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ARBEITSRECHT AKTUELL // 10/196

Wei­ter­be­schäf­ti­gung ei­nes Aus­zu­bil­den­den­ver­tre­ters

Ar­beit­ge­ber müs­sen Ar­beits­plät­ze für Aus­zu­bil­den­den­ver­tre­ter re­ser­vie­ren: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Be­schluss vom 17.02.2010, 7 ABR 89/08
Handschlag Playmobil Über­nah­me von Ju­gend- und Aus­zu­bil­den­den­ver­tre­tern bei Ein­satz von Leih­ar­beit­neh­mern
07.10.2010. Wie auch an­de­re In­ter­es­sen­ver­tre­ter lau­fen Ju­gend- und Aus­zu­bil­den­den­ver­tre­ter Ge­fahr, ih­rem Ar­beit­ge­ber durch Kon­flik­te ne­ga­tiv auf­zu­fal­len. Da mit dem En­de der Aus­bil­dung auch der Aus­bil­dungs­ver­trag en­det, be­steht hier das Ri­si­ko, nicht als Ar­beit­neh­mer ein­ge­stellt zu wer­den.

Das Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz be­grün­det da­her aus­nahms­wei­se kraft Ge­set­zes ein Ar­beits­ver­hält­nis, das je­doch auf­ge­löst wer­den kann, wenn die Wei­ter­be­schäf­ti­gung dem Ar­beit­ge­ber "un­zu­mut­bar" ist: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Be­schluss vom 17.02.2010, 7 ABR 89/08.

Wann ist die Wei­ter­beschäfti­gung von Mit­glie­dern der Ju­gend- und Aus­zu­bil­den­den­ver­tre­tung un­zu­mut­bar?

Für ei­ne Viel­zahl von Be­ru­fen ist ei­ne mehrjähri­ge Be­rufs­aus­bil­dung nötig. Ihr recht­li­cher Rah­men wird im We­sent­li­chen durch das Be­rufs­aus­bil­dungs­ge­setz (BBiG) be­stimmt. Im Re­gel­fall en­det das Be­rufs­aus­bil­dungs­verhält­nis au­to­ma­tisch, wenn das Er­geb­nis der be­stan­de­nen Prüfung durch den Prüfungs­aus­schuss be­kannt ge­ge­ben wird oder die Aus­bil­dungs­zeit ab­ge­lau­fen ist (§ 21 BBiG).

Da­nach wird nicht oh­ne Wei­te­res ein Ar­beits­verhält­nis be­gründet. Ei­ne Aus­nah­me gilt für den Fall, dass der Aus­zu­bil­den­de im An­schluss an die Be­rufs­aus­bil­dung wei­ter­beschäftigt wird, oh­ne dass ir­gend­wel­che aus­drück­li­chen Ab­spra­chen ge­trof­fen wur­den. In die­sem Fall gilt ein un­be­fris­te­tes Ar­beits­verhält­nis als be­gründet (§24 BBiG). An­ders als im Ar­beits­recht üblich ent­steht hier die recht­li­che Be­zie­hung zwi­schen Ar­beit­neh­mer und Ar­beit­ge­ber nicht durch Ver­trag, son­dern durch Ge­setz.

Ei­ne ähn­li­che, für Aus­zu­bil­den­de an­ge­neh­me­re Son­der­re­ge­lung ist im Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz (Be­trVG) für die Ju­gend- und Aus­zu­bil­den­den­ver­tre­tung vor­ge­se­hen. Für ih­re ge­genwärti­gen und mit Ein­schränkun­gen eben­so auch für ih­re ehe­ma­li­gen Mit­glie­der gilt, dass ein un­be­fris­te­tes Ar­beits­verhält­nis be­gründet wird, wenn das Mit­glied in­ner­halb der letz­ten drei Mo­na­te vor dem En­de des Aus­bil­dungs­verhält­nis­ses schrift­lich vom Ar­beit­ge­ber die Wei­ter­beschäfti­gung ver­langt (§ 78a Abs.1 Satz 1 Be­trVG). Auf die­se Wei­se sol­len Amts­träger vor be­ruf­li­chen Nach­tei­len durch ih­re Amts­ausübung geschützt wer­den, d.h. kei­ne "Ra­che­ak­tio­nen" ih­res Aus­bil­ders / künf­ti­gen Ar­beit­ge­bers befürch­ten müssen.

Ar­beit­ge­ber, de­nen kraft Ge­set­zes ein Ar­beits­verhält­nis auf­ge­zwun­gen wird, müssen den ehe­ma­li­gen Aus­zu­bil­den­den und jet­zi­gen Mit­ar­bei­ter nicht um je­den Preis hal­ten. § 78a Abs.4 Satz 1 Be­trVG gibt ih­nen das Recht, spätes­tens bis zum Ab­lauf vom zwei Wo­chen nach dem En­de der Aus­bil­dung die Auflösung des Ar­beits­verhält­nis­ses zu ver­lan­gen. Es müssen al­ler­dings Tat­sa­chen vor­lie­gen, durch die dem Ar­beit­ge­ber "un­ter Berück­sich­ti­gung al­ler Umstände" die Wei­ter­beschäfti­gung nicht zu­ge­mu­tet wer­den kann.

Da der Be­zug zum je­wei­li­gen Ein­zel­fall und "Zu­mut­bar­keit" sehr viel In­ter­pre­ta­ti­ons­spiel­raum las­sen, sind ar­beits­ge­richt­li­che Ent­schei­dun­gen zu die­sem The­ma häufi­ger, als man viel­leicht we­gen der doch eher spe­zi­el­len Fall­ge­stal­tung an­neh­men mag. Hin­ter­grund dürf­te nicht zu­letzt sein, dass der er­folg­rei­che ge­richt­li­che Auflösungs­an­trag erst mit Rechts­kraft der ge­richt­li­chen Ent­schei­dung wirk­sam wird und nur für die Zu­kunft gilt. Ein lan­ger Rechts­streit be­deu­tet hier al­so für Be­trof­fe­ne ent­spre­chend lan­ge ei­nen ver­gleichs­wei­se si­che­ren Ar­beits­platz.

Mit der Zeit ha­ben sich gro­be Leit­li­ni­en dafür ent­wi­ckelt, was zu­mut­bar ist und was nicht. So nimmt das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) bei­spiels­wei­se an, dass die Wei­ter­beschäfti­gung un­zu­mut­bar ist, wenn im Be­trieb kein der Qua­li­fi­ka­ti­on des Ex-Aus­zu­bil­den­den ent­spre­chen­der frei­er Ar­beits­platz exis­tiert. Der Ar­beit­ge­ber ist nicht ver­pflich­tet, neue Ar­beitsplätze zu schaf­fen.

Frag­lich ist da­bei je­doch, ob ein mit ei­nem Leih­ar­bei­ter be­setz­ter Ar­beits­platz "frei", d.h. verfügbar, ist oder nicht: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Be­schluss vom 17.02.2010, 7 ABR 89/08.

Der Fall: Aus­zu­bil­den­den­ver­tre­te­rin möch­te auf Platz ei­nes Leih­ar­bei­ters wei­ter­beschäftigt wer­den

Ein Un­ter­neh­men der Au­to­mo­bil­in­dus­trie führ­te seit An­fang 2005 ein Re­struk­tu­rie­rungs­pro­gramm durch, dass un­ter an­de­rem be­inhal­te­te, Ar­beitsplätze zu re­du­zie­ren und Aus­zu­bil­den­de der Ab­schluss­jahrgänge 2006 und 2007 nicht zu über­neh­men. Der Ar­beit­ge­ber ver­mit­tel­te die­se Aus­zu­bil­den­den an ei­ne Leih­ar­beits­fir­ma. Die­se wie­der­um schick­te die Be­trof­fe­nen per Ar­beit­neh­merüber­las­sung an den Ar­beit­ge­ber zurück. Ei­ne jun­ge Me­cha­tro­ni­ke­rin, die in der Ju­gend- und Aus­zu­bil­den­den­ver­tre­tung des Be­trie­bes ak­tiv ge­we­sen war, woll­te die­ses Spiel nicht mit­spie­len. Sie be­warb sich nicht bei der Leih­ar­beits­fir­ma. Statt­des­sen be­an­trag­te sie An­fang 2007 ih­re Über­nah­me in ein un­be­fris­te­tes Ar­beits­verhält­nis.

Dar­auf­hin stell­te der Ar­beit­ge­ber frist­ge­recht ei­nen Auflösungs­an­trag, da kei­ne Beschäfti­gungsmöglich­kei­ten vor­han­den sei­en.

Das Ar­beits­ge­richt Bo­chum (Be­schluss vom 06.07.2007, 1 BV 6/07) und das Lan­des­ar­beits­ge­richt Hamm (West­fa­len; Be­schluss vom 22.02.2008, 10 TaBV 93707) teil­ten die­sen Einschätzung und ga­ben dem Auflösungs­an­trag statt. Da das LAG nicht Rechts­be­schwer­de zum BAG nicht zu­ge­las­sen hat­te, leg­te die ehe­ma­li­ge Aus­zu­bil­den­de bei die­sem Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de ein - und hat­te da­mit Er­folg. Das Ge­richt lies die Rechts­be­schwer­de zu.

Die Ent­schei­dung: Es kann zu­mut­bar sein, ei­nen Leih­ar­bei­ter­platz frei zu ma­chen

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt gab der Rechts­be­schwer­de zwar statt, ver­wies aber an das LAG zwecks wei­ter Sach­aufklärung und er­neu­ter Ent­schei­dung zurück. Nach Auf­fas­sung des BAG muss die Vor­in­stanz aufklären, wann und un­ter wel­chen Umständen ge­nau die Leih­ar­bei­ter beschäftigt wur­den.

Bei En­de des Aus­bil­dungs­verhält­nis­ses müsse, so das Ge­richt, die Wei­ter­beschäfti­gung zu­mut­bar sein. Sie sei nicht al­lein des­halb un­zu­mut­bar, weil sich der Ar­beit­ge­ber ent­schließt, die in sei­nem Be­trieb an­fal­len­den Ar­beits­auf­ga­ben künf­tig nicht mehr ei­ge­nen Ver­trags­ar­beit­neh­mern (al­so der Stamm­be­leg­schaft), son­dern Leih­ar­beit­neh­mern zu über­tra­gen. Durch die­se Ent­schei­dung wer­de we­der die An­zahl der Ar­beitsplätze noch die Ar­beits­men­ge verändert, für de­ren Bewälti­gung Ar­beit­neh­mer ein­ge­setzt wer­den. Leih­ar­bei­ter wer­den für die Ar­bei­ten wie ei­ge­ne Beschäftig­te ein­ge­setzt.

Das BAG meint, es könne im Ein­zel­fall zu­mut­bar sein, ei­nen sol­chen Ar­beits­platz frei­zu­ma­chen. Dies gel­te (je­den­falls) für Plätze, die in­ner­halb der Drei-Mo­nats-Frist vor dem En­de der Aus­bil­dung be­setzt wur­den, denn in die­ser Zeit muss der Ar­beit­ge­ber grundsätz­lich ei­nen der Aus­bil­dung ent­spre­chen­den Ar­beits­platz frei­hal­ten. Zu Guns­ten des Ar­beit­ge­bers bzw. für Un­zu­mut­bar­keit können da­bei je­doch be­rech­tig­te be­trieb­li­che In­ter­es­sen an der Wei­ter­beschäfti­gung ge­ra­de des be­trof­fe­nen Leih­ar­bei­ters oder ver­trag­li­che Ver­pflich­tun­gen des Ar­beit­ge­bers ge­genüber dem Ver­lei­her spre­chen.

Fa­zit: Das LAG Hamm hat noch nicht (er­neut) über den Fall ent­schie­den. Das ent­schlos­se­ne Vor­ge­hen der Me­cha­tro­ni­kern hat ihr da­mit nun schon seit fast vier Jah­ren ein Ar­beits­verhält­nis be­schert. Of­fen­bar wird sie je­doch nicht ih­rer Aus­bil­dung ent­spre­chend ein­ge­setzt und mit der Un­si­cher­heit le­ben, zu wel­chem Er­geb­nis das LAG kom­men wird. Da Leih­ar­beits­verhält­nis­se grundsätz­lich eher kurz ge­hal­ten wer­den, ste­hen die Chan­cen je­doch nicht schlecht, dass sie letzt­lich Er­folg ha­ben und ih­ren kraft Ge­set­zes er­hal­te­nen Ar­beits­platz be­hal­ten darf.

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Letzte Überarbeitung: 21. Dezember 2020

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