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BAG, Ur­teil vom 25.03.2015, 5 AZR 602/13

   
Schlagworte: Überstunden, Überstundenklage, Schätzung
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 5 AZR 602/13
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 25.03.2015
   
Leitsätze:

1. Fehlt es an einer ausdrücklichen arbeitsvertraglichen Bestimmung des Umfangs der Arbeitszeit, darf der durchschnittliche Arbeitnehmer die Klausel, er werde „in Vollzeit“ beschäftigt, so verstehen, dass die regelmäßige Dauer der Arbeitszeit 40 Wochenstunden nicht übersteigt.

2. Steht fest (§ 286 ZPO), dass Überstunden auf Veranlassung des Arbeitgebers geleistet worden sind, kann aber der Arbeitnehmer seiner Dar-legungs- oder Beweislast für jede einzelne Überstunde nicht in jeder Hinsicht genügen, darf das Gericht den Mindestumfang geleisteter Überstunden nach § 287 Abs. 2 iVm. Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 ZPO schätzen.

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Dortmund, Urteil vom 23.10.2012 - 5 Ca 2205/12
Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 18.4.2013 - 8 Sa 1649/12
   

BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT

5 AZR 602/13
8 Sa 1649/12
Lan­des­ar­beits­ge­richt

Hamm

 

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am

25. März 2015

UR­TEIL

Rad­t­ke, Ur­kunds­be­am­tin

der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Be­klag­te, Be­ru­fungs­be­klag­te und Re­vi­si­onskläge­rin,

pp.

Kläger, Be­ru­fungskläger und Re­vi­si­ons­be­klag­ter,

hat der Fünf­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 25. März 2015 durch den Vi­ze­präsi­den­ten des Bun­des­ar­beits­ge­richts Dr. Müller-Glöge, den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Biebl, die Rich­te­rin am Bun­des­ar­beits­ge­richt We­ber so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Busch­mann und Feld­mei­er für Recht er­kannt:


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1. Die Re­vi­si­on der Be­klag­ten ge­gen das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Hamm vom 18. April 2013 - 8 Sa 1649/12 - wird zurück­ge­wie­sen.

2. Die Be­klag­te hat die Kos­ten der Re­vi­si­on zu tra­gen.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten über die Vergütung von Über­stun­den


Die Be­klag­te be­treibt ein Un­ter­neh­men des pri­va­ten Om­ni­bus­ge­wer­bes. Der 1956 ge­bo­re­ne Kläger ab­sol­vier­te nach vor­an­ge­gan­ge­ner Ar­beits­lo­sig­keit bei ihr im April 2011 ei­ne Maßnah­me zur be­ruf­li­chen Ein­glie­de­rung und war an­sch­ließend vom 1. Mai 2011 bis zum 31. März 2012 als Bus­fah­rer im Li­ni­en-ver­kehr ge­gen ein Brut­to­mo­nats­ge­halt von 1.800,00 Eu­ro beschäftigt.

Grund­la­ge des Ar­beits­verhält­nis­ses war der Ar­beits­ver­trag vom 29. April 2011, in dem es ua. heißt:

㤠1
In­halt, Be­ginn und Dau­er des Ar­beits­verhält­nis­ses

Der AN wird ab 01.05.2011 bis 01.05.2012 im Rah­men ei­nes ge­werb­li­chen be­fris­te­ten Ar­beits­verhält­nis­ses als Bus­fah­rer in Voll­zeit beschäftigt.
...

§ 3
Ar­beits­ent­gelt

Der Ar­beit­neh­mer erhält mo­nat­lich 1.800,00 EU­RO brut­to zzgl. 6,00 EU­RO (>8 Std.) bzw. 12,00 EU­RO (>14 Std.) Spe­sen pro Ar­beits­tag. Auf das Ge­halt wird am 1. ei­nes je­den Mo­nats ein Ab­schlag ge­zahlt in Höhe von 600,00 EU­RO net­to und das Rest­ge­halt wird zum 15. ei­nes Mo­nats aus­ge­zahlt. Zu die­sem Ter­min wer­den auch die Spe­sen ab­ge­rech­net.
 

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§ 4
Ar­beits­zeit


Die Ar­beits­zeit ist dem Ar­beit­neh­mer be­kannt. Er hat im Mo­nat 2 Sams­ta­ge und je­den Sonn­tag frei. Dies kann durch die Geschäfts­lei­tung, kurz­fris­tig geändert wer­den, z.B. Sams­tag und Sonn­tag ar­bei­ten, dafür freie Ta­ge in der Wo­che. Der Ar­beit­neh­mer kann auch zu an­de­ren Ar­bei­ten her­an­ge­zo­gen wer­den z.B. Werk­statt­hil­fe, Büro­hil­fe, Haus­meis­ter, Gar­ten­pfle­ge etc..
...

§ 8
Auf­ga­ben des Ar­beit­neh­mers / Be­trieb­li­cher Ab­lauf

...

7. Vor An­tritt ei­ner je­den Fahrt ist ei­ne Ab­fahrts­kon­trol­le am Fahr­zeug durch­zuführen. Falls Fahr­zeu­ge Mängel auf­wei­sen, so ist ein Mängel­zet­tel aus­zufüllen und die­ser ist am Dia­gramm­schei­ben­brett aus­zuhängen. Bei schwer­wie­gen­den Mängeln ist zusätz­lich ent­we­der das Büro oder die Werk­statt zu in­for­mie­ren.

8. Die Bus-Kar­tei­kar­ten müssen von je­dem Fah­rer aus-gefüllt wer­den. Hier­bei han­delt es sich um ei­ne Kar­tei, die be­legt, dass ei­ne Ab­fahrts­kon­trol­le durch­geführt wur­de und evtl. Mängel und Schäden am zu führen­den Fahr­zeug ge­mel­det wur­den. Die­se Kar­tei­kar­te ist von je­dem Fah­rer vor Dienst­an­tritt aus­zufüllen! Die Kar­tei­kar­te stellt ei­nen wich­ti­gen Bei­trag zum rei­bungs­lo­sen so­wie si­che­ren Be­triebs­ab­lauf dar. Die zwei­te Kar­tei­kar­te dient als Nach­weis der ge­fah­re­nen km und des ge­tank­ten Treib­stof­fes.

...

10. Die ein­ge­setz­ten Bus­se sind nach je­dem Dienst zu be­tan­ken, zu wa­schen, der Fahr­gas­tin­nen­raum ist be­sen­rein zu hin­ter­las­sen. Bei Zu­wi­der­hand­lun­gen müssen Sie mit Lohnkürzung (15,- € pro Ver­ge­hen) rech­nen.(...)“

Der Kläger wur­de auf 14 ver­schie­de­nen Bus­tou­ren im Li­ni­en­ver­kehr ein­ge­setzt, de­ren Be­ginn und En­de sich ein­sch­ließlich der War­te­zei­ten wie folgt dar­stel­len: Tour BRS 1 von 5:50 bis 16:19 Uhr, Tour BRS 2 von 6:54 bis


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19:19 Uhr, Tour BRS 3 von 6:40 bis 17:01 Uhr, Tour BRS 4 von 6:35 bis 18:33 Uhr, Tour BRS 1 Fe­ri­en von 4:20 bis 15:15 Uhr, Tour BRS 2 Fe­ri­en von 15:15 bis 21:00 Uhr, Tour BRS 3 Fe­ri­en von 5:45 bis 19:09 Uhr, Tour BRS 4 Fe­ri­en von 6:20 bis 15:09 Uhr, Tour BRS 5 Fe­ri­en von 9:00 bis 19:59 Uhr, Tour BRS 1 sams­tags von 8:03 bis 20:09 Uhr, Tour BRS 2 sams­tags von 6:49 bis 15:28 Uhr, Tour BRS 3 sams­tags von 10:00 bis 19:45 Uhr, Tour BRS 4 sams­tags von 7:00 bis 16:24 Uhr und Tour BRS 5 sams­tags von 16:25 bis 0:38 Uhr. Fer­ner muss­te der Kläger vor An­tritt und nach Be­en­di­gung der Fahr­ten die ar­beits­ver­trag­lich fest­ge­hal­te­nen Kon­troll­maßnah­men und Rei­ni­gungstätig­kei­ten ausführen, de­ren Dau­er zwi­schen den Par­tei­en strei­tig ge­blie­ben ist. Glei­ches gilt für die Fahr­ten vom Be­trieb zur ers­ten Hal­te­stell­te und von der letz­ten Hal­te­stel­le zum Be­trieb.

Nach er­folg­lo­ser außer­ge­richt­li­cher Gel­tend­ma­chung hat der Kläger mit der am 15. Mai 2012 ein­ge­reich­ten Kla­ge für den Beschäfti­gungs­zeit­raum, aus­ge­hend von ei­ner re­gelmäßigen Ar­beits­zeit von 40 Wo­chen­stun­den, die Vergütung von 649,65 Über­stun­den ver­langt. Er hat da­zu für je­den Ar­beits­tag des Zeit­raums Ju­ni 2011 bis März 2012 un­ter An­ga­be des be­nutz­ten Fahr­zeugs und der ge­fah­re­nen Li­nie An­fang und En­de der Ar­beit dar­ge­legt und bei sei­ner Be­rech­nung ar­beitstäglich ei­ne St­un­de Pau­se berück­sich­tigt. Darüber hin­aus­ge­hen­de War­te­zei­ten sei­en kei­ne Pau­sen im Rechts­sin­ne ge­we­sen. Für je­de Über­stun­de hat der Kläger ei­nen mit dem Di­vi­sor 176 von dem ver­ein­bar­ten Mo­nats­ent­gelt her­un­ter­ge­rech­ne­ten Brut­to­stun­den­lohn von 10,22 Eu­ro an­ge­setzt.

Der Kläger hat in den Vor­in­stan­zen be­an­tragt, die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an ihn 6.644,14 Eu­ro brut­to nebst Zin­sen in Höhe von fünf Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit dem 4. April 2012 zu zah­len.

Die Be­klag­te hat Kla­ge­ab­wei­sung be­an­tragt und gel­tend ge­macht, Über­stun­den könn­ten nicht an­ge­fal­len sein, weil der Kläger als Ar­beits­zeit die Zeit ge­schul­det ha­be, die er für die Er­le­di­gung der ihm zu­ge­wie­se­nen Ar­bei­ten benötig­te. Dies sei dem Kläger auf­grund der dem Ar­beits­verhält­nis vor­an­ge-


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gan­ge­nen Förder­maßnah­me be­kannt ge­we­sen. Im Übri­gen sei­en bei ei­ner über­schlägi­gen Be­rech­nung im Durch­schnitt al­len­falls rund 8,5 St­un­den pro Ar­beits­tag an­ge­fal­len. Hin­zu kom­me ei­ne Rüstzeit von zehn Mi­nu­ten ar­beitstäglich. Die im Li­ni­en­ver­kehr an­fal­len­den War­te­zei­ten sei­en sämt­lich als Pau­sen zu wer­ten.


Das Ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat auf die Be­ru­fung des Klägers der Kla­ge teil­wei­se statt­ge­ge­ben und dem Kläger un­ter An­wen­dung von § 287 ZPO für 108 ge­leis­te­te Über­stun­den 1.103,76 Eu­ro brut­to nebst Zin­sen zu­ge­spro­chen. Mit der vom Lan­des­ar­beits­ge­richt zu­ge­las­se­nen Re­vi­si­on ver­folgt die Be­klag­te ih­ren An­trag auf vollständi­ge Kla­ge­ab­wei­sung wei­ter. Sie rügt, das Lan­des­ar­beits­ge­richt sei zu Un­recht von ei­ner Nor­mal­ar­beits­zeit von 40 Wo­chen­stun­den aus­ge­gan­gen und die vor­ge­nom­me­ne Schätzung von § 287 Abs. 2 ZPO „nicht ge­deckt“. Der Kläger, der die Kla­ge­ab­wei­sung im Übri­gen hat rechts­kräftig wer­den las­sen, be­an­tragt die Zurück­wei­sung der Re­vi­si­on.


Ent­schei­dungs­gründe

Die Re­vi­si­on der Be­klag­ten ist un­be­gründet. Das Be­ru­fungs­ur­teil hält den An­grif­fen der Re­vi­si­on stand. Die Kla­ge ist in dem noch in der Re­vi­si­ons­in­stanz anhängi­gen Um­fang be­gründet. Die Be­klag­te schul­det dem Kläger für 108 im Zeit­raum Ju­ni 2011 bis März 2012 ge­leis­te­te Über­stun­den wei­te­re Vergütung in Höhe von 1.103,76 Eu­ro brut­to nebst Zin­sen, § 612 Abs. 1 BGB.


I. Die Vergütung von Über­stun­den ist ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Be­klag­ten nicht schon des­halb aus­ge­schlos­sen, weil sol­che im Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en nicht hätten an­fal­len können. Der Kläger muss­te für die ver­ein­bar­te Vergütung nicht so­lan­ge ar­bei­ten, wie er zur Er­le­di­gung der zu­ge­wie­se­nen Ar­bei­ten brauch­te. Viel­mehr ha­ben die Par­tei­en ei­ne re­gelmäßige Ar­beits­zeit von


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40 Wo­chen­stun­den ver­ein­bart. Das er­gibt die Aus­le­gung der §§ 1, 4 Ar­beits­ver­trag.

1. Die Be­stim­mun­gen des Ar­beits­ver­trags zu Tätig­keit und Ar­beits­zeit sind wie All­ge­mei­ne Geschäfts­be­din­gun­gen an­hand von § 305c Abs. 2, §§ 306, 307 bis 309 BGB zu be­ur­tei­len. Die Be­klag­te hat schon nach dem äußeren Er­schei­nungs­bild den Ar­beits­ver­trag vom 29. April 2011 vor­for­mu­liert, dem Kläger un­strei­tig in die­ser Form an­ge­bo­ten und da­mit im Rechts­sin­ne ge­stellt. Ob es sich da­bei um ei­ne für ei­ne Viel­zahl von Verträgen vor­for­mu­lier­te Ver­trags­be­din­gung han­del­te (§ 305 Abs. 1 BGB), be­darf kei­ner wei­te­ren Aufklärung, denn der Ar­beits­ver­trag ist ein Ver­brau­cher­ver­trag iSv. § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB (vgl. BAG 19. Mai 2010 - 5 AZR 253/09 - Rn. 20 ff.; 27. Ju­ni 2012 - 5 AZR 530/11 - Rn. 14). Auf die vor­for­mu­lier­ten Re­ge­lun­gen konn­te der Kläger nach den nicht an­ge­grif­fe­nen Fest­stel­lun­gen des Lan­des­ar­beits­ge­richts kei­nen Ein­fluss neh­men.

All­ge­mei­ne Geschäfts­be­din­gun­gen sind nach ih­rem ob­jek­ti­ven In­halt und ty­pi­schen Sinn ein­heit­lich so aus­zu­le­gen, wie sie von verständi­gen und red­li­chen Ver­trags­part­nern un­ter Abwägung der In­ter­es­sen der nor­ma­ler­wei­se be­tei­lig­ten Ver­kehrs­krei­se ver­stan­den wer­den, wo­bei die Verständ­nismöglich­kei­ten des durch­schnitt­li­chen Ver­trags­part­ners des Ver­wen­ders zu­grun­de zu le­gen sind. Da­bei un­ter­liegt die Aus­le­gung der un­ein­ge­schränk­ten Über­prüfung durch das Re­vi­si­ons­ge­richt (st. Rspr., vgl. zB BAG 13. Fe­bru­ar 2013 - 5 AZR 2/12 - Rn. 15 mwN).

2. Nach die­sen Grundsätzen ist § 4 Satz 1 Ar­beits­ver­trag, wo­nach dem Ar­beit­neh­mer die Ar­beits­zeit be­kannt sei, kei­ne Ver­ein­ba­rung, son­dern setzt ei­ne sol­che vor­aus. Die­ser Hin­weis auf den Kennt­nis­stand des Ar­beit­neh­mers kann wahr oder un­wahr sein, aber nicht - wie das Lan­des­ar­beits­ge­richt an­ge­nom­men hat - un­wirk­sam. Dass und in wel­cher Wei­se die Par­tei­en durch übe­rein­stim­men­de Wil­lens­erklärung ei­ne be­stimm­te Dau­er der Ar­beits­zeit ver­ein­bart hätten, hat die Be­klag­te nicht dar­ge­legt. Ihr Vor­brin­gen, dem Kläger sei durch die vor­he­ri­ge, knapp ein­mo­na­ti­ge Tätig­keit im Rah­men ei­ner Förder­maßnah­me


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der Ar­beits­ver­wal­tung die Dau­er der Ar­beits­zeit be­kannt ge­we­sen, lässt nicht er­ken­nen, dass die Par­tei­en sich über die Mo­da­litäten der Ar­beits­zeit aus­drück­lich rechts­geschäft­lich ge­ei­nigt hätten.

3. Die für das Ar­beits­verhält­nis gel­ten sol­len­de Ar­beits­zeit, die den für die ver­ein­bar­te Vergütung ge­schul­de­ten zeit­li­chen Um­fang der iSv. § 611 Abs. 1 BGB „ver­spro­che­nen Diens­te“ be­stimmt, ist des­halb durch Aus­le­gung zu er­mit­teln. An­knüpfungs­punkt hierfür ist § 1 Ar­beits­ver­trag, in dem es heißt, der Kläger wer­de als Bus­fah­rer „in Voll­zeit“ beschäftigt. Der durch­schnitt­li­che Ar­beit­neh­mer darf „in Voll­zeit“ so ver­ste­hen, dass die re­gelmäßige Dau­er der Ar­beits­zeit - un­ter Zu­grun­de­le­gung ei­ner Fünf-Ta­ge-Wo­che und der in § 3 Satz 1 Arb­ZG vor­ge­se­he­nen acht St­un­den ar­beitstäglich - 40 Wo­chen­stun­den nicht über­steigt. Soll hin­ge­gen mit der For­mu­lie­rung „in Voll­zeit“ die nach gel­ten­dem Recht zulässi­ge Höchst­gren­ze der Ar­beits­zeit ganz oder teil­wei­se aus­geschöpft wer­den, müss­te dies durch ei­ne kon­kre­te St­un­den­an­ga­be oder zu­min­dest ei­ne hin­rei­chend be­stimm­te Be­zug­nah­me auf den ar­beits­schutz­recht­lich eröff­ne­ten Ar­beits­zeit­rah­men klar und deut­lich zum Aus­druck ge­bracht wer­den (vgl. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB). Al­lein der Hin­weis in § 4 Satz 2 Ar­beits­ver­trag, der Kläger ha­be „im Mo­nat zwei Sams­ta­ge und je­den Sonn­tag frei“, sorgt nicht für die nöti­ge Klar­heit. Denn für die Beschäfti­gung an Sonn­ta­gen sieht § 11 Abs. 3 Satz 1 Arb­ZG ei­nen Er­satz­ru­he­tag vor. Die Nen­nung des Sams­tags als mögli­chen Ar­beits­tag be­sagt nicht, dass ei­ne Sechs-Ta­ge-Wo­che ver­ein­bart sei, son­dern er­laubt le­dig­lich ei­ne fle­xi­ble Ver­tei­lung der Wo­chen­ar­beits­zeit.


4. Weil die für das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en maßge­ben­de Ar­beits­zeit durch Aus­le­gung des § 1 Ar­beits­ver­trag er­mit­telt wer­den kann, kommt es auf die Exis­tenz ei­ner be­triebsübli­chen Ar­beits­zeit (vgl. BAG 15. Mai 2013 - 10 AZR 325/12 - Rn. 21; 25. Fe­bru­ar 2015 - 5 AZR 481/13 - Rn. 25) nicht an. Zu­dem lässt sich dem Vor­brin­gen der Be­klag­ten nicht ent­neh­men, dass sie - vom Kläger ab­ge­se­hen - mit ih­ren Beschäftig­ten ei­ne kon­kret be­stimm­te Dau­er der Ar­beits­zeit ver­ein­bart hätte. Al­lein durch ein­sei­ti­ge An­ord­nung des Ar­beit­ge­bers kann ei­ne be­triebsübli­che Ar­beits­zeit nicht rechts­ver­bind­lich be­gründet wer­den.
 

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II. Die Vergütung von Über­stun­den setzt - bei Feh­len ei­ner an­wend­ba­ren ta­rif­ver­trag­li­chen Re­ge­lung - ent­we­der ei­ne ent­spre­chen­de ar­beits­ver­trag­li­che Ver­ein­ba­rung oder ei­ne Vergütungs­pflicht nach § 612 Abs. 1 BGB vor­aus.

Ar­beits­ver­trag­lich ha­ben die Par­tei­en die Vergütung von Über­stun­den we­der ver­ein­bart noch aus­ge­schlos­sen. An­spruchs­grund­la­ge für das Be­geh­ren des Klägers kann des­halb nur § 612 Abs. 1 BGB sein. Da­nach gilt ei­ne Vergütung als still­schwei­gend ver­ein­bart, wenn die Ar­beits­leis­tung nur ge­gen ei­ne Vergütung zu er­war­ten ist. § 612 Abs. 1 BGB bil­det nicht nur in den Fällen, in de­nen über­haupt kei­ne Vergütungs­ver­ein­ba­rung ge­trof­fen wur­de, son­dern auch dann die Rechts­grund­la­ge für den An­spruch auf die Vergütung, wenn der Ar­beit­neh­mer auf Ver­an­las­sung des Ar­beit­ge­bers quan­ti­ta­tiv mehr ar­bei­tet als von der Vergütungs­ab­re­de er­fasst (vgl. BAG 18. Mai 2011 - 5 AZR 181/10 - Rn. 17 mwN). Die nach § 612 Abs. 1 BGB er­for­der­li­che - ob­jek­ti­ve - Vergütungs­er­war­tung (vgl. BAG 17. Au­gust 2011 - 5 AZR 406/10 - Rn. 20, BA­GE 139, 44; 27. Ju­ni 2012 - 5 AZR 530/11 - Rn. 19 mwN) er­gibt sich je­den­falls dar­aus, dass im be­tref­fen­den Wirt­schafts­zweig die Vergütung von Über­stun­den - so­gar mit ei­nem Mehr­ar­beits­zu­schlag von 25 % - ta­rif­lich vor­ge­se­hen ist, § 13 Abs. 2 MTV für die Ar­beit­neh­mer des pri­va­ten Om­ni­bus­ge­wer­bes des Lan­des Nord­rhein-West­fa­len vom 8. Ju­li 2009.


III. Die Vergütung von Über­stun­den setzt wei­ter vor­aus, dass der Ar­beit­neh­mer sol­che tatsächlich ge­leis­tet hat und die Über­stun­den­leis­tung vom Ar­beit­ge­ber ver­an­lasst war oder ihm zu­zu­rech­nen ist (BAG 10. April 2013 - 5 AZR 122/12 - Rn. 14 mwN). Für bei­de Vor­aus­set­zun­gen - ein­sch­ließlich der An­zahl ge­leis­te­ter Über­stun­den - trägt der Ar­beit­neh­mer die Dar­le­gungs- und Be­weis­last (vgl. BAG 16. Mai 2012 - 5 AZR 347/11 - Rn. 25 ff., BA­GE 141, 330 zur Leis­tung von Über­stun­den und BAG 10. April 2013 - 5 AZR 122/12 - Rn. 15 ff. zur ar­beit­ge­ber­sei­ti­gen Ver­an­las­sung von Über­stun­den). Steht fest (§ 286 ZPO), dass Über­stun­den auf Ver­an­las­sung des Ar­beits­ge­bers ge­leis­tet wor­den sind, kann aber der Ar­beit­neh­mer sei­ner Dar­le­gungs- oder Be­weis­last für je­de ein­zel­ne Über­stun­de nicht in je­der Hin­sicht genügen, darf das Ge­richt den Um-


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fang ge­leis­te­ter Über­stun­den nach § 287 Abs. 2 iVm. Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 ZPO schätzen (BAG 21. Mai 1980 - 5 AZR 194/78 - zu 4 a der Gründe).


1. Nach § 287 Abs. 1 ZPO ent­schei­det der Tatrich­ter un­ter Würdi­gung al­ler Umstände nach sei­ner Über­zeu­gung, ob ein Scha­den ent­stan­den und wie hoch er ist. Das Ge­setz nimmt da­bei in Kauf, dass das Er­geb­nis der Schätzung mit der Wirk­lich­keit viel­fach nicht übe­rein­stimmt; al­ler­dings soll die Schätzung möglichst na­he an die­se her­anführen (BAG 12. De­zem­ber 2007 - 10 AZR 97/07 - Rn. 49, BA­GE 125, 147; 20. Sep­tem­ber 2006 - 10 AZR 439/05 - Rn. 37, BA­GE 119, 294). Der Tatrich­ter muss nach pflicht­gemäßem Er­mes­sen auch be­ur­tei­len, ob nach § 287 Abs. 1 ZPO nicht we­nigs­tens die Schätzung ei­nes Min­dest­scha­dens möglich ist. Ei­ne Schätzung darf nur dann un­ter­blei­ben, wenn sie man­gels jeg­li­cher kon­kre­ter An­halts­punk­te voll­kom­men „in der Luft hin­ge“ und da­her willkürlich wäre (BAG 26. Sep­tem­ber 2012 - 10 AZR 370/10 - Rn. 19, BA­GE 143, 165; BGH 17. De­zem­ber 2014 - VIII ZR 88/13 - Rn. 46 mwN zur st. Rspr. des BGH). Die für ei­ne Schätzung un­ab­ding­ba­ren An­knüpfungs­tat­sa­chen muss der Geschädig­te im Re­gel­fall dar­le­gen und be­wei­sen (BAG 26. Sep­tem­ber 2012 - 10 AZR 370/10 - Rn. 20 mwN, aaO).

Nach § 287 Abs. 2 ZPO gel­ten die Vor­schrif­ten des § 287 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 ZPO bei vermögens­recht­li­chen Strei­tig­kei­ten ent­spre­chend. Die Vor­schrift er­laubt da­mit un­ter den im Ge­setz ge­nann­ten Vor­aus­set­zun­gen auch die Schätzung des Um­fangs von Erfüllungs­ansprüchen (BAG 21. Mai 1980 - 5 AZR 194/78 - zu 4 a der Gründe - zum Um­fang ei­ner Über­stun­den­leis­tung; 11. März 1981 - 5 AZR 878/78 - zu III der Gründe - zur Höhe ei­ner Lohn­for­de­rung; 17. De­zem­ber 2014 - 5 AZR 663/13 - Rn. 29 - zur Höhe der übli­chen Vergütung; BGH 17. De­zem­ber 2014 - VIII ZR 88/13 - Rn. 45 f. - zur Schätzung bei ei­nem Miet­erhöhungs­ver­lan­gen nach Mo­der­ni­sie­rungs­maßnah­men).

2. Nach die­sen Grundsätzen kommt ei­ne „Über­stun­denschätzung“ in Be­tracht, wenn auf­grund un­strei­ti­gen Par­tei­vor­brin­gens, ei­ge­nem Sach­vor­trag des Ar­beit­ge­bers oder dem vom Tatrich­ter nach § 286 Abs. 1 ZPO für wahr er­ach­te­ten Sach­vor­trag des Ar­beit­neh­mers fest­steht, dass Über­stun­den ge­leis­tet wur-


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den, weil die dem Ar­beit­neh­mer vom Ar­beit­ge­ber zu­ge­wie­se­ne Ar­beit ge­ne­rell oder zu­min­dest im Streit­zeit­raum nicht oh­ne die Leis­tung von Über­stun­den zu er­brin­gen war. Kann in ei­nem sol­chen Fal­le der Ar­beit­neh­mer nicht je­de ein­zel­ne Über­stun­de be­le­gen (et­wa weil zeit­na­he Ar­beits­zeit­auf­schrie­be feh­len, über­haupt der Ar­beit­ge­ber das zeit­li­che Maß der Ar­beit nicht kon­trol­liert hat oder Zeu­gen nicht zur Verfügung ste­hen), kann und muss der Tatrich­ter nach pflicht­gemäßen Er­mes­sen das Min­dest­maß ge­leis­te­ter Über­stun­den schätzen, so­fern dafür aus­rei­chen­de An­knüpfungs­tat­sa­chen vor­lie­gen. Je­den­falls ist es nicht ge­recht­fer­tigt, dem auf­grund des vom Ar­beit­ge­ber zu­ge­wie­se­nen Um­fangs der Ar­beit im Grund­satz be­rech­tig­ten Ar­beit­neh­mer je­de Über­stun­den­vergütung zu ver­sa­gen (vgl. BAG 21. Mai 1980 - 5 AZR 194/78 - zu 4 a der Gründe; BGH 17. De­zem­ber 2014 - VIII ZR 88/13 - Rn. 46).


3. Die Vor­aus­set­zun­gen für die vom Lan­des­ar­beits­ge­richt vor­ge­nom­me­ne Schätzung des Min­dest­um­fangs ge­leis­te­ter Über­stun­den sind im Streit­fall erfüllt. Ob auch ei­ne wei­ter­ge­hen­de Schätzung ge­recht­fer­tigt ge­we­sen wäre, braucht der Se­nat man­gels Re­vi­si­on des Klägers nicht zu ent­schei­den.

a) Dass der Kläger - bei Zu­grun­de­le­gung ei­ner re­gelmäßigen Ar­beits­zeit von 40 Wo­chen­stun­den - im Streit­zeit­raum zur Er­le­di­gung der ihm von der Be­klag­ten zu­ge­wie­se­nen Ar­bei­ten Über­stun­den ge­leis­tet hat, ist un­strei­tig (§ 138 Abs. 3 ZPO). Die Be­klag­te weicht le­dig­lich in der Be­wer­tung ab, wenn sie von der un­zu­tref­fen­den An­nah­me aus­geht, als Ar­beits­zeit sei die Zeit ge­schul­det ge­we­sen, die der Kläger für die Er­le­di­gung der ihm zu­ge­wie­se­nen Ar­bei­ten benötig­te. Auf die sub­stan­ti­ier­te Dar­le­gung des Klägers von Be­ginn und En­de der Ar­beit in den Mo­na­ten Ju­ni 2011 bis März 2012 hat die Be­klag­te für kei­nen ein­zi­gen Ar­beits­tag und kei­ne ein­zi­ge Bus­li­nie dar­ge­legt, dass un­ter nor­ma­len Verhält­nis­sen die zu­ge­wie­se­ne Ar­beit in­ner­halb von acht St­un­den zu er­le­di­gen ge­we­sen wäre. Sie hat zur Ent­kräftung des Sach­vor­trags des Klägers we­der die teil­wei­se noch bei ihr vor­han­de­nen Ta­cho­schei­ben aus­ge­wer­tet, noch sich auf Auf­zeich­nun­gen nach § 16 Abs. 2 Arb­ZG be­ru­fen. Sch­ließlich hat sie schriftsätz­lich vor­ge­bracht, „bei über­schlägi­ger Be­rech­nung“ sei von ei­nem zeit­li­chen


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Um­fang der Ar­beit von „rund 8,5 St­un­den pro Ar­beits­tag“ zuzüglich zehn Mi­nu­ten Rüstzeit aus­zu­ge­hen. Da­bei hat die Be­klag­te schon al­le War­te­zei­ten her­aus­ge­rech­net und als Pau­sen ge­wer­tet, oh­ne dar­zu­le­gen, dass der Kläger da­bei frei über die Nut­zung des Zeit­raums be­stim­men konn­te und sich nicht et­wa im oder am Bus zur Ar­beit be­reit­hal­ten muss­te (zum Rechts­be­griff der Pau­se BAG 25. Fe­bru­ar 2015 - 5 AZR 886/12 - Rn. 21 mwN).


b) Ob das Tat­sa­chen­ge­richt das Min­dest­maß ge­leis­te­ter Über­stun­den „rich­tig“ geschätzt hat, un­ter­liegt nur der ein­ge­schränk­ten Nach­prüfung durch das Re­vi­si­ons­ge­richt auf Er­mes­sensüber­schrei­tung (BAG 21. Mai 1980 - 5 AZR 194/78 - zu 4 b der Gründe) da­hin­ge­hend, ob der Tatrich­ter we­sent­li­che Be­mes­sungs­fak­to­ren außer Be­tracht ge­las­sen oder sei­ner Schätzung un­rich­ti­ge oder un­be­wie­se­ne An­knüpfungs­tat­sa­chen zu­grun­de ge­legt hat (vgl. BAG 26. Sep­tem­ber 2012 - 10 AZR 370/10 - Rn. 25 mwN, BA­GE 143, 165) und da­mit die Schätzung man­gels kon­kre­ter An­halts­punk­te völlig „in der Luft“ hängt, al­so willkürlich ist (vgl. BGH 17. De­zem­ber 2014 - VIII ZR 88/13 - Rn. 46 mwN).

c) Die­sem Über­prüfungs­maßstab hält die vom Lan­des­ar­beits­ge­richt vor­ge­nom­me­ne Schätzung stand. Die Re­vi­si­on zeigt kei­ne Umstände auf, die die Schätzung des Min­dest­maßes von ge­leis­te­ten Über­stun­den auf ei­ne hal­be St­un­de je Ar­beits­tag als - zu Las­ten der Be­klag­ten - willkürlich ge­grif­fen er­schei­nen ließe. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt ori­en­tiert sich an der ei­ge­nen Schätzung der Be­klag­ten. Dar­an woll­te die­se zwar in der Be­ru­fungs­ver­hand­lung „nicht wei­ter fest­hal­ten“. Aus wel­chen Gründen ih­re Schätzung feh­ler­haft sein soll­te, hat die Be­klag­te dem Lan­des­ar­beits­ge­richt al­ler­dings nicht erläutert. Oh­ne re­vi­si­blen Rechts­feh­ler durf­te des­halb das Lan­des­ar­beits­ge­richt an die Schätzung der Be­klag­ten an­knüpfen.

4. Ge­gen die An­zahl der nach Fest­stel­lung des Lan­des­ar­beits­ge­richts im Streit­zeit­raum vom Kläger ge­leis­te­ten 216 Ar­beits­ta­ge und den vom Lan­des­ar­beits­ge­richt zu­grun­de ge­leg­ten, vom Mo­nats­ent­gelt „her­un­ter­ge­rech­ne­ten“ Brut­to­stun­den­lohn iHv. 10,22 Eu­ro hat die Re­vi­si­on An­grif­fe nicht er­ho­ben.


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IV. Ver­zugs­zin­sen ste­hen dem Kläger in dem vom Lan­des­ar­beits­ge­richt aus­ge­ur­teil­ten Um­fang nach § 288 Abs. 1, § 286 Abs. 1 Satz 1 BGB zu.

V. Die Kos­ten­ent­schei­dung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. 


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