HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

ARBEITSRECHT AKTUELL // 12/071

Ver­dacht ei­ner Straf­tat - frist­lo­se Kün­di­gung rech­tens

Ge­richt be­stä­tigt Ver­dachts­kün­di­gung der Ber­li­ner Ver­kehrs­be­trie­be (BVG): Mit­ar­bei­ter soll Fahr­kar­ten ge­fälscht und ver­kauft ha­ben: Lan­des­ar­beits­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg, Ur­teil vom 08.02.2012, 24 Sa 1800/11
Rechte Hand mit roter Karte

15.02.2012. Wenn der Ar­beit­ge­ber ei­ne Ver­dachts­kün­di­gung aus­spricht, liegt der Grund für die Kün­di­gung nicht in ei­nem nach­ge­wie­se­nen Pflicht­ver­stoß des Ar­beit­neh­mers, son­dern in dem drin­gen­den Ver­dacht ei­nes sol­chen Pflicht­ver­sto­ßes. Auf­grund die­ses Ver­dachts, un­ter dem der Ar­beit­neh­mer steht, ist er aus per­sön­li­chen Grün­den "nicht mehr trag­bar". Ei­ne Ver­dachts­kün­di­gung ist da­her ein Un­ter­fall ei­ner per­so­nen­be­ding­ten Kün­di­gung. Denn für den Ver­dacht, den man auf sich ge­zo­gen hat, "kann man nichts".

Meist wer­den Ver­dachts­kün­di­gun­gen als au­ßer­or­dent­li­che und frist­lo­se Kün­di­gung aus­ge­spro­chen, und zwar in der Re­gel zu­sam­men mit ei­ner zu­gleich er­klär­ten ver­hal­tens­be­ding­ten "Tat­kün­di­gung": Der Ar­beit­ge­ber kün­digt frist­lo we­gen des aus sei­ner Sicht nach­gwie­se­nen Pflicht­ver­sto­ßes, d.h. aus ver­hal­tens­be­ding­ten Grün­den (Tat­kün­di­gung), und hilfs­wei­se für den Fall, dass sich der Vor­wurf vor Ge­richt nicht be­wei­sen lässt, auf­grund des drin­gen­den Tat­ver­dachts. 

Aus Sicht des ge­kün­dig­ten Ar­beit­neh­mers ist ei­ne Ver­dachts­kün­di­gung un­ge­recht, da man ihm ja letzt­lich nichts be­wei­sen kann. Trotz­dem sind Ver­dacht­kün­di­gun­gen recht­lich an­er­kannt, denn pri­va­te Ar­beit­ge­ber sind nicht die Po­li­zei bzw. Staats­an­walt­schaft. Da was­ser­dich­te Nach­wei­se der Tat­be­ge­hung auf­wen­dig sind, kann man die­se Pflicht nur staat­li­chen Straf­ver­folgs­be­hör­den auf­er­le­gen. Für Ar­beit­ge­ber gilt da­ge­gen, dass schon der drin­gen­de Tat­ver­dacht die wei­te­re Fort­set­zung des Ar­beits­ver­hält­nis­ses un­zu­mut­bar ma­chen kann (und dann ei­ne Ver­dachts­kün­di­gung recht­fer­tigt).

In ei­nem ak­tu­el­len Fall hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg die au­ßer­or­dent­li­che Ver­dachts­kün­di­gung ei­nes Ar­beit­neh­mers der Ber­li­ner Ver­kehrs­be­trie­be (BVG) für rechts­wirk­sam er­klärt. Der Ar­beit­neh­mer stand in dem Ver­dacht, un­be­fugt Fahr­schei­ne her­zu­stel­len und zu ver­trei­ben (LAG Ber­lin-Bran­den­burg, Ur­teil vom 08.02.2012, 24 Sa 1800/11).

Im Streit­fall hat­te der Ar­beit­neh­mer die Auf­ga­be, die Fahr­schei­ne zu ver­wal­ten, die an den ex­ter­nen Ver­kaufs­stel­len der BVG ver­kauft wer­den. Das funk­tio­niert so, dass die BVG-Ver­kaufs­stel­len Blan­ko­fahr­schein­rol­len er­hal­ten, mit de­nen sie Fahr­schei­ne aus­dru­cken kön­nen. Re­st­rol­len wer­den an die BVG zu­rück­ge­ge­ben und in ei­nem Tre­sor ver­wahrt. Die Ar­beit­neh­mer der Ver­kaufs­stel­len ha­ben die Mög­lich­keit, in ei­nem be­son­ders ge­si­cher­ten Schu­lungs­raum die Her­stel­lung der Fahr­schei­ne zu trai­nie­ren.

Der ge­kün­dig­te Ar­beit­neh­mer hat­te sich da­durch ver­däch­tig ge­macht, dass zwei Kun­din­nen in­ner­halb kur­zer Zeit meh­re­re Jah­res­kar­ten und Ta­ges­kar­ten zur Er­stat­tung ein­ge­reicht hat­ten. Die­se Fahr­kar­ten wa­ren in dem Schu­lungs­raum her­ge­stellt wor­den, zu dem der ge­kün­dig­te Ar­beit­neh­mer Zu­tritt hat­te, und er hat­te auch Zu­gang zu den Re­st­rol­len, mit de­nen die Fahr­schei­ne an­ge­fer­tigt wor­den wa­ren. Au­ßer­dem hat­te er wäh­rend der Her­stel­lung der Fahr­schei­ne Dienst, und die Kun­din­nen, die die Fahr­schei­ne zur Er­stat­tung ein­ge­reicht hat­ten, wa­ren mit dem Ge­kün­dig­ten ver­wandt bzw. freund­schaft­lich ver­bun­den.

Bei die­ser Sach­la­ge, so das LAG, be­stand ei­ne ganz über­wie­gen­de Wahr­schein­lich­keit da­für, dass der Ar­beit­neh­mer an der Fahr­schein­ma­ni­pu­la­ti­on be­tei­ligt war. Das be­rech­tig­te die BVG ei­ner au­ßer­or­dent­li­chen Kün­di­gung des lang­jäh­rig be­ste­hen­den Ar­beits­ver­hält­nis­ses. Ei­ne Tä­ter­schaft des Ar­beit­neh­mers muss­te da­für nicht nach­ge­wie­sen wer­den, so das LAG aus­drück­lich.

Fa­zit: Ver­dachts­kün­di­gun­gen sind und blei­ben auch nach lan­ger Be­schäf­ti­gungs­dau­er zu­läs­sig, wenn zwei Vor­aus­set­zun­gen vor­lie­gen: Ers­tens muss der Ar­beit­ge­ber den Ar­beit­neh­mer vor Aus­spruch ei­ner Ver­dachts­kün­di­gung zu den Ver­dachts­mo­men­ten an­ge­hört ha­ben, d.h. der Ar­beit­neh­mer muss vor­ab die Mög­lich­keit ha­ben, die be­ste­hen­den Ver­dachts­mo­men­te zu ent­kräf­ten. Zwei­tens muss der dann im­mer noch ver­blei­ben­de Ver­dacht "drin­gend" sein. Ei­ne blo­ße Ver­däch­ti­gung durch den Ar­beit­ge­ber ge­nügt nicht.

Nä­he­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das Ge­richt sei­ne Ent­schei­dungs­grün­de schrift­lich ab­ge­fasst und ver­öf­fent­licht. Die Ent­schei­dungs­grün­de im Voll­text fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 9. Juli 2019

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de

Bewertung:

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 

Für Personaler, betriebliche Arbeitnehmervertretungen und andere Arbeitsrechtsprofis: "Update Arbeitsrecht" bringt Sie regelmäßig auf den neusten Stand der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung. Informationen zu den Abo-Bedingungen und ein kostenloses Ansichtsexemplar finden Sie hier:

Alle vierzehn Tage alles Wichtige
verständlich / aktuell / praxisnah

HINWEIS: Sämtliche Texte dieser Internetpräsenz mit Ausnahme der Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen sind urheberrechtlich geschützt. Urheber im Sinne des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Martin Hensche, Lützowstraße 32, 10785 Berlin.

Wörtliche oder sinngemäße Zitate sind nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Urhebers bzw. bei ausdrücklichem Hinweis auf die fremde Urheberschaft (Quellenangabe iSv. § 63 UrhG) rechtlich zulässig. Verstöße hiergegen werden gerichtlich verfolgt.

© 1997 - 2024:
Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Berlin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Lützowstraße 32, 10785 Berlin
Telefon: 030 - 26 39 62 0
Telefax: 030 - 26 39 62 499
E-mail: hensche@hensche.de