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LAG Ber­lin-Bran­den­burg, Ur­teil vom 08.02.2012, 24 Sa 1800/11

   
Schlagworte: Verdachtskündigung, Kündigung: Außerordentlich, Kündigung: Verdachtskündigung
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen: 24 Sa 1800/11
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 08.02.2012
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 15.06.2011, 60 Ca 229/11
   

Lan­des­ar­beits­ge­richt

Ber­lin-Bran­den­burg

 

Verkündet

am 08.02.2012

Geschäfts­zei­chen (bit­te im­mer an­ge­ben)

24 Sa 1800/11

60 Ca 229/11
Ar­beits­ge­richt Ber­lin  

K., Amts­in­spek­to­rin
als Ur­kunds­be­am­tin
der Geschäfts­stel­le


Im Na­men des Vol­kes

 

Ur­teil

In Sa­chen

pp


hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg, 24. Kam­mer,
auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 14. De­zem­ber 2011
durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Lan­des­ar­beits­ge­richt Sch. als Vor­sit­zen­den
so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter M. und T.

für Recht er­kannt:

I. Auf die Be­ru­fung der Be­klag­ten wird das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Ber­lin vom 15.06.2011 – 60 Ca 229/11– ab­geändert:

Die Kla­ge wird ab­ge­wie­sen.

II. Der Kläger hat die Kos­ten des Rechts­streits zu tra­gen.

III. Die Re­vi­si­on wird nicht zu­ge­las­sen.

 

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T a t b e s t a n d

Die Par­tei­en strei­ten über die Wirk­sam­keit ei­ner außer­or­dent­li­chen ar­beit­ge­ber­sei­ti­gen Kündi­gung we­gen des Ver­dachts un­be­fug­ten Her­stel­lens und In-Um­lauf-Brin­gens von Fahr­kar­ten für den Öffent­li­chen Nah­ver­kehr.

Der 1956 ge­bo­re­ne, mit ei­ner be­hin­der­ten Frau ver­hei­ra­te­te Kläger war bei der Be­klag­ten, ei­nem öffent­lich-recht­li­chen Nah­ver­kehrs­un­ter­neh­men, seit 1990 beschäftigt.

Bis 2001 war er als Bus­fah­rer tätig. Nach Fest­stel­lung sei­ner Fahr­dienst­un­taug­lich­keit im Jahr 2002 wur­de er ab 2003 in der Ab­tei­lung FVM-V im Be­reich Ti­cket­ver­fol­gung in der U. Straße ein­ge­setzt. Dort war er zunächst un­ter dem Sach­ge­biets­lei­ter Bahn in der sog. Scan­ner­stel­le und später in der Ti­cket­ein­zel­ver­fol­gung der für die ex­ter­nen Ver­kauf­sagen­tu­ren zuständi­gen Un­ter­ab­tei­lung FVM V 3 tätig. Seit 2008 war er un­ter der Sach­ge­biet­lei­te­rin C. in der Ti­cket­ein­zel­ver­fol­gung der für die un­ter­neh­mens­ei­ge­nen Ver­kaufs­stel­len zuständi­gen Un­ter­ab­tei­lung FVM-V 2 beschäftigt. Im Jahr 2009 zog die Ab­tei­lung in die H.straße, dem Haupt­sitz der Be­klag­ten, um.

Der Fahr­kar­ten­ver­kauf in den ex­ter­nen Ver­kauf­sagen­tu­ren und un­ter­neh­mens­ei­ge­nen Ver­kaufs­stel­len der Be­klag­ten er­folgt über mit dem Bu­chungs­sys­tem der Be­klag­ten elek­tro­nisch ver­bun­de­ne PVS (per­so­nen­be­dien­te Ver­kaufs­sys­tem)-Geräte, in wel­che Blan­ko-Echt­fahr­kar­ten­rol­len ein­ge­legt wer­den. Die Rol­len sind mit ei­ner Se­ri­en­num­mer und den lau­fen­den Ti­cket­num­mern ver­se­hen. Die Ver­kauf­sagen­tu­ren und -stel­len ge­ben die Art und den Gültig­keits­zeit­raum der gewünsch­ten Fahr­kar­ten in das Gerät ein und dru­cken die Fahr­kar­ten an­sch­ließend aus. Da­bei wer­den ne­ben der Art, dem Wert und dem Gültig­keits­zeit­raum der Fahr­kar­ten auch die je­wei­li­ge Se­ri­en- und Ti­cket­num­mer so­wie die Geräte- und Ver­kaufs­stel­len­num­mer im Bu­chungs­sys­tem re­gis­triert. Re­st­rol­len und feh­ler­haf­te, von den Geräten nicht les­ba­re Rol­len ge­ben die Ver­kauf­sagen­tu­ren und stel­len zurück und wer­den dar­auf­hin mit neu­en Rol­len be­lie­fert.

Es kommt re­gelmäßig vor, dass Kun­den nicht benötig­te oder ver­se­hent­lich ge­kauf­te Fahr­kar­ten an die Ver­kauf­sagen­tu­ren und -stel­len zwecks Er­stat­tung des Kauf­prei­ses zurück­ge­ben. Fer­ner kommt es vor, dass die Be­klag­te im Rah­men von be­son­de­ren Ver­an­stal­tun­gen Fahr­kar­ten ver­schenkt und sich die Be­schenk­ten den Wert der Fahr­kar­te er­stat­ten las­sen wol­len. Für die Er­stat­tung ist das Er­stat­tungsbüro der Be­klag­ten zuständig.

Im Rah­men der Ti­cket­ver­fol­gung wer­den die zurück­ge­ge­be­nen Re­st­rol­len und feh­ler­haf­ten Rol­len in der sog. Scan­ner­stel­le der Un­ter­ab­tei­lung FVM-V 3 ein­ge­scannt und aus­ge­bucht.

 

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Auf­ga­be der Ti­cket­ein­zel­ver­fol­gung ist es, die ein­ge­scann­ten Fahr­kar­ten mit den ver­kauf­ten Fahr­kar­ten im Bu­chungs­sys­tem ab­zu­glei­chen und Dif­fe­ren­zen auf­zuklären. Da­zu wird zunächst an­hand der zurück­ge­ge­be­nen Rol­len ge­prüft, ob die­se kor­rekt ein­ge­scannt wor­den sind. An­sch­ließend wer­den et­wai­ge Bu­chungs­feh­ler mit den je­wei­li­gen Ver­kauf­sagen­tu­ren und -stel­len ab­geklärt. Die aus­ge­buch­ten Fahr­kar­ten­rol­len wer­den in ei­nem Pan­zer­schrank im Raum A 0208 der Scan­ner­stel­le zwi­schen­ge­la­gert und in re­gelmäßigen Abständen von ei­nem Be­zirks­lei­ter oh­ne noch­ma­li­ge Vollständig­keits­kon­trol­le in ei­nem Sack zur Ver­nich­tung durch ei­ne ex­ter­nes Ent­sor­gungs­un­ter­neh­men ins La­ger der Be­klag­ten in die P.straße ge­bracht und dort in ei­nen Da­ten­schutz­con­tai­ner ge­ge­ben. Zu­gang zu dem Pan­zer­schrank hat­ten ne­ben den in der Scan­ner­stel­le Beschäftig­ten auch der Kläger so­wie wei­te­re Beschäftig­te.

Im Frühdienst durf­te der Kläger auf Grund ei­ner Aus­nah­me­re­ge­lung we­gen sei­ner be­hin­der­ten Frau be­reits um 5.30 Uhr be­gin­nen, während für die übri­gen Beschäftig­ten der Ab­tei­lung frühes­ter Ar­beits­be­ginn 6.00 Uhr war. Der Kläger hielt sich in der Re­gel schon ab et­wa 5.00 Uhr im Be­trieb auf, wo­bei zwi­schen den Par­tei­en strei­tig ist, ob er häufig auch schon vor 5.00 Uhr an­we­send war.

Zu den Räum­lich­kei­ten der Un­ter­ab­tei­lung FVM-V 2 gehört ein Schu­lungs­raum, der Raum A 0103, der durch ein elek­tro­ni­sches Sch­ließsys­tem ge­si­chert ist. Sch­ließbe­rech­ti­gung hat­ten laut An­ga­ben der Be­klag­ten ge­genüber dem Per­so­nal­rat (Bl. 64 d. A.) ne­ben drei dort Beschäftig­ten zehn wei­te­re Beschäftig­te der Un­ter­ab­tei­lung, dar­un­ter der Kläger. Beim Be­tre­ten des Rau­mes wer­den die je­wei­li­ge Schlüssel­num­mer und ei­ne Be­nut­zer-ID re­gis­triert. Da­tum und Uhr­zeit des Be­tre­tens wer­den nicht re­gis­triert. Die letz­ten 50 Sch­ließun­gen können je­weils aus­ge­le­sen wer­den. Der Kläger hat­te die Schlüssel­num­mer A 01.027 und die Be­nut­zer-ID 27. Wie häufig der Raum an ei­nem Ar­beits­tag durch­schnitt­lich be­tre­ten wird, ob nur et­wa zehn Mal oder et­wa dreißig Mal, ist zwi­schen den Par­tei­en strei­tig.

In dem Schu­lungs­raum be­fin­det sich ein PVS-Gerät mit der Num­mer 610 für Schu­lungs- und Test­zwe­cke. Das PVS-Gerät ist durch ei­ne Be­die­ner-Kenn­num­mer und ei­ne persönli­che Iden­titäts­num­mer (PIN) geschützt. Beim An- und Ab­mel­den wird je­weils das Da­tum und die Uhr­zeit so­wie die Be­die­ner-Kenn­num­mer ge­spei­chert. Ei­ne Verände­rung von Da­tum und Uhr­zeit ist nur über ei­nen im Zen­tral­sys­tem an­ge­leg­ten Tech­ni­kerac­count möglich. Ob das Gerät mit dem Bu­chungs­sys­tem der Be­klag­ten ver­bun­den ist und Da­tum und Uhr­zeit nachts re­gelmäßig au­to­ma­tisch ak­tua­li­siert wer­den, ist zwi­schen den Par­tei­en strei­tig.

Bis zum Um­zug der Ab­tei­lung in die H.straße führ­te auch Herr B. an dem Gerät re­gelmäßig Schu­lun­gen durch. Zu die­sem Zweck hat­te ihm die Be­klag­te mit Schrei­ben vom 7. Ja­nu­ar

 

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2005 die Be­die­ner-Kenn­num­mer ….. und die PIN ….. zu­ge­teilt. In der U. Straße be­wahr­te Herr B. das Schrei­ben in sei­nem in ei­nem Durch­gangs­zim­mer ge­le­ge­nen Büro in der un­ver­schlos­se­nen Schub­la­de sei­nes Schreib­ti­sches auf. Ei­ne Sch­ließbe­rech­ti­gung für den Schu­lungs­raum A 0103 hat Herr B. nicht.

Bei den Schu­lun­gen wer­den übli­cher­wei­se Test­fahr­kar­ten­rol­len ver­wen­det. Im Ok­to­ber und No­vem­ber 2010 über­prüfte der Kläger zu­sam­men mit dem stell­ver­tre­ten­den Ab­tei­lungs­lei­ter M. zurück­ge­ge­be­ne Echt­fahr­kar­ten­rol­len, weil es ver­mehrt zu Be­schwer­den über de­ren Nicht­les­bar­keit ge­kom­men war.

Am 10. De­zem­ber 2010 be­merk­te ei­ne Mit­ar­bei­te­rin im Er­stat­tungsbüro, dass in­ner­halb kur­zer Zeit von zwei ver­schie­de­nen Pri­vat­per­so­nen (Frau T. und Frau K.) vier Jah­res­kar­ten Ber­lin ABC und 23 7-Ta­ges­kar­ten Ber­lin AB mit iden­ti­scher PVS-Geräte­num­mer zur Er­stat­tung ein­ge­reicht wor­den wa­ren, und in­for­mier­te den stell­ver­tre­ten­den Ab­tei­lungs­lei­ter M. Es stell­te sich her­aus, dass es sich bei der PVS-Geräte­num­mer um die Num­mer des Gerätes im Schu­lungs­raum der Un­ter­ab­tei­lung FVM-V 2 han­del­te. Die wei­te­ren Er­mitt­lun­gen er­ga­ben, dass die vier Jah­res­kar­ten Ber­lin ABC am 7. Ok­to­ber 2010 zwi­schen 5.00 Uhr und 5.13 Uhr, die 23 7-Ta­ges­kar­ten Ber­lin AB am 19. No­vem­ber 2010 zwi­schen 4.56 Uhr und 5.16 Uhr und vier wei­te­re Jah­res­kar­ten Ber­lin ABC am 10. De­zem­ber 2010 zwi­schen 4.48 Uhr und 5.21 Uhr un­ter Ver­wen­dung von aus­ge­buch­ten Echt­kar­ten­rol­len und der Zu­gangs­da­ten von Herrn B. an dem Gerät aus­ge­druckt wor­den wa­ren so­wie im Zeit­raum von März bis De­zem­ber 2010 noch zahl­rei­che wei­te­re Fahr­kar­ten. We­gen der Ein­zel­hei­ten wird auf die Auf­stel­lung der Be­klag­ten (Bl. 57 - 59 d. A.) so­wie den Aus­zug aus dem Log-in/Log-out-Re­port des Gerätes für die Zeit vom 13. Ok­to­ber bis zum 10. De­zem­ber 2010 (Bl. 83 f. d. A.) ver­wie­sen. Dar­auf­hin las die Be­klag­te den Türzy­lin­der des Schu­lungs­raums aus und kam an­hand des Sch­ließpro­to­kolls (Bl. 89 - 92 d. A.) zu dem Er­geb­nis, dass der Kläger der ers­te ge­we­sen sein müsse, der am 10. De­zem­ber 2010 den Schu­lungs­raum be­tre­ten hat-te. Im Lau­fe des Be­ru­fungs­ver­fah­rens er­fuhr die Be­klag­te, dass Frau T. Mit­glied in dem­sel­ben Klein­gar­ten­ver­ein wie der Kläger und mit ihm gut be­kannt ist und dass Frau K. die Nich­te der Ehe­frau des Klägers ist.

Am 13. De­zem­ber 2010 und er­neut am 16. De­zem­ber 2010 hörte die Be­klag­te den Kläger zu dem Sach­ver­halt an. Fer­ner er­stat­te­te sie Straf­an­zei­ge ge­gen den Kläger, Frau T. und Frau K.. Das Er­mitt­lungs­ver­fah­ren ist noch nicht ab­ge­schlos­sen. Während der ers­ten Anhörung am 13. De­zem­ber 2010 gab der Kläger an, sich mit dem PVS-Gerät nicht aus­zu­ken­nen und auch kei­nen Zu­griff dar­auf zu ha­ben. Während der Anhörung am 16. De­zem­ber 2010 gab er kei­ne Stel­lung­nah­me ab.

 

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Dar­auf­hin be­an­trag­te die Be­klag­te am 20. De­zem­ber 2010 beim Per­so­nal­rat die Zu­stim­mung zu ei­ner be­ab­sich­tig­ten außer­or­dent­li­chen Kündi­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses mit dem Kläger mit so­for­ti­ger Wir­kung, hilfs­wei­se un­ter Gewährung ei­ner Aus­lauf­frist und fügte dem An­trag den Ent­wurf des Kündi­gungs­schrei­bens so­wie zahl­rei­che wei­te­re Un­ter­la­gen bei. We­gen der Ein­zel­hei­ten wird auf die Ab­lich­tung der An­tra­ges nebst der An­la­gen (Bl. 60 - 126 d. A.) ver­wie­sen. Am 21. De­zem­ber 2010 stimm­te der Per­so­nal­rat der be­ab­sich­tig­ten Kündi­gung zu.

Mit Schrei­ben vom 22. De­zem­ber 2010, wel­ches dem Kläger an dem­sel­ben Tag zu­ging, kündig­te die Be­klag­te das Ar­beits­verhält­nis mit die­sem we­gen des Ver­dachts des Vor­lie­gens ei­nes wich­ti­gen Grun­des frist­los, hilfs­wei­se un­ter Zu­bil­li­gung ei­ner so­zia­len Aus­lauf­frist bis zum 30. Ju­ni 2011.

Mit der am 6. Ja­nu­ar 2011 beim Ar­beits­ge­richt Ber­lin ein­ge­gan­ge­nen, der Be­klag­ten am 18. Ja­nu­ar 2011 zu­ge­stell­ten Kla­ge wen­det sich der Kläger ge­gen die­se Kündi­gung und macht sei­ne vorläufi­ge Wei­ter­beschäfti­gung gel­tend.

Der Kläger hat vor­ge­tra­gen: Er sei an dem PVS-Gerät nicht aus­ge­bil­det und sei auch bei kei­ner Schu­lung da­bei ge­we­sen. Er sei auch nicht vor 5.00 Uhr mor­gens im Be­trieb an­we­send. Ab­ge­se­hen da­von, dass dem Sch­ließpro­to­koll nicht zu ent­neh­men sei, wer an wel­chem Tag zu wel­cher Uhr­zeit den Schu­lungs­raum be­tre­ten ha­be, ließe sich auch nicht aus­sch­ließen, dass Da­tum und Uhr­zeit des je­wei­li­gen Ti­cket­aus­drucks nicht mit dem tatsächli­chen Da­tum und der tatsächli­chen Uhr­zeit übe­rein­stimm­ten. Das PVS-Gerät las­se sich ganz ein­fach ma­ni­pu­lie­ren. Es sei in der Ver­gan­gen­heit mehr­fach vor­ge­kom­men, dass Tech­ni­ker ih­ren Tech­ni­ker-Code te­le­fo­nisch durch­ge­ge­ben hätten, um bei Feh­ler­be­sei­ti­gun­gen be­hilf­lich zu sein.

Der Kläger hat be­an­tragt,

1. fest­zu­stel­len, dass das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en durch die frist­lo­se, hilfs­wei­se mit Aus­lauf­frist aus­ge­spro­che­ne Kündi­gung vom 22. De­zem­ber 2010 nicht auf­gelöst wor­den ist bzw. auf­gelöst wird;

2. die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, den Kläger bis zum rechts­kräfti­gen Ab­schluss des Kündi­gungs­rechts­streits zu den bis­he­ri­gen Be­din­gun­gen als Ver­wal­tungs­an­ge­stell­ten im Ver­trieb zu beschäfti­gen.

Die Be­klag­te hat be­an­tragt,

die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Sie hat vor­ge­tra­gen: Es be­ste­he der drin­gen­de Ver­dacht, dass der Kläger zwi­schen dem 1. und 7. Ok­to­ber 2010 ei­ne Re­st­rol­le aus dem Pan­zer­schrank in der Scan­ner­stel­le ent­wen-

 

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det ha­be und dar­auf am 7. Ok­to­ber 2010 zwi­schen 5.00 und 5.13 Uhr mit­tels des Test­gerätes die von Frau T. zur Er­stat­tung ein­ge­reich­ten vier Jah­res­kar­ten Ber­lin ABC aus­ge­druckt ha­be. Fer­ner be­ste­he der drin­gen­de Ver­dacht, dass er auch zwi­schen dem 15. und 19. No­vem­ber 2010 ei­ne Re­st­rol­le aus dem Pan­zer­schrank ent­wen­det und dar­auf am 19. No­vem­ber 2010 zwi­schen 4.56 Uhr und 5.16 Uhr mit­tels des Test­gerätes die von Frau K. ein­ge­reich­ten 23 7-Ta­ges­kar­ten Ber­lin AB aus­ge­druckt ha­be. Zum ei­nen ha­be der Kläger Zu­griff auf die zur Ver­nich­tung frei­ge­ge­be­nen Re­st­rol­len im Pan­zer­schrank ge­habt. Er ha­be in der U. Straße auch die Möglich­keit ge­habt, die Be­die­ner-Kenn­num­mer von Herrn B. und des­sen PIN aus­zu­spähen und ha­be auch die Abläufe der Ti­cke­ter­stel­lung so­wie der Ört­lich­kei­ten und sons­ti­gen Ge­ge­ben­hei­ten ge­kannt. Außer­dem sei­en die Fahr­kar­ten zu ei­ner Uhr­zeit aus­ge­druckt wor­den, zu der sich nur der Kläger schon im Be­trieb auf­hal­te. Der Kläger müsse der Ers­te ge­we­sen sein, der am 10. De­zem­ber 2010 den Schu­lungs­raum be­tre­ten ha­be; dies er­ge­be sich dar­aus, dass der­je­ni­ge, der vor im als Letz­ter im Sch­ließpro­to­koll re­gis­triert sei, am Vor­tag Spätdienst ge­habt ha­be. Wei­ter sei der Kläger der Ein­zi­ge mit Sch­ließbe­rech­ti­gung, der an sämt­li­chen Ta­gen, an de­nen auf dem Test­gerät Fahr­kar­ten un­ter Ver­wen­dung der Zu­gangs­da­ten von Herrn B. aus­ge­druckt wor­den sei­en, Dienst ge­habt ha­be. Ei­ne Ma­ni­pu­la­ti­on von Da­tum und/oder Uhr­zeit sei aus­ge­schlos­sen. Zu­dem müss­te der Log-in/ Log-out-Re­port Zeitsprünge aus­wei­sen, wenn Da­tum und Uhr­zeit tatsächlich ma­ni­pu­liert wor­den wären. Sol­che Zeitsprünge ließen sich dem Re­port je­doch nicht ent­neh­men. Das Gerät sei auch nicht mit dem EDV-Sys­tem ver­bun­den, son­dern wer­de off­line be­trie­ben.

We­gen des wei­te­ren Vor­brin­gens der Par­tei­en in der ers­ten In­stanz wird auf den Tat­be­stand des an­ge­foch­te­nen Ur­teils Be­zug ge­nom­men.

Mit Ur­teil vom 15. Ju­ni 2011 hat das Ar­beits­ge­richt Ber­lin der Kla­ge statt­ge­ge­ben. Zur Be­gründung hat es im We­sent­li­chen aus­geführt, die von der Be­klag­ten an­geführ­ten In­di­zi­en ließen nicht den Schluss zu, dass der Kläger mit großer Wahr­schein­lich­keit tatsächlich Re­st­rol­len ent­wen­det und auf dem PVS-Test­gerät die von Frau T. und Frau K. zur Er­stat­tung ein­reich­ten Fahr­kar­ten ge­druckt ha­be. Es sprächen zwar zahl­rei­che In­di­zi­en ge­gen den Kläger, je­doch könne nicht fest­ge­stellt wer­den, dass prak­tisch nur der Kläger und nicht auch an­de­re Beschäftig­te als Täter in­fra­ge kämen oder dass Ma­ni­pu­la­tio­nen des PVS-Gerätes aus­ge­schlos­sen oder äußerst un­wahr­schein­lich sei­en. Es sei da­her möglich, dass die In­di­zi­en nur zufällig auf den Kläger hin­deu­te­ten.

Ge­gen das ihr am 4. Au­gust 2011 zu­ge­stell­te Ur­teil hat die Be­klag­te am 31. Au­gust 2011 Be­ru­fung ein­ge­legt und die­se nach Verlänge­rung der Frist bis zum 11. Ok­to­ber 2011 am sel­ben Tag be­gründet.

 

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Sie trägt vor: Der Kläger ha­be be­reits vor 5.00 Uhr mor­gens das Dienst­gebäude un­be­hel­ligt be­tre­ten können. Ei­ne Ma­ni­pu­la­ti­on des PVS-Gerätes sei grundsätz­lich aus­ge­schlos­sen. Ei­ne Ände­rung von Da­tum und Uhr­zeit durch ei­nen Tech­ni­ker bedürfe der Nut­zung ei­nes Tech­ni­ker­codes. Je­de Ände­rung von Da­tum und Uhr­zeit im Druck­pro­to­koll wer­de im Log-in/Log-out-Pro­to­koll auf­ge­zeigt. Kein Mit­ar­bei­ter mit Sch­ließbe­rech­ti­gung zum Raum A 1030 verfüge über ei­nen Tech­ni­ker­code. Herr G. ha­be nicht über den Zu­gangs­code ei­nes Tech­ni­kers verfügt. Die Ge­samt­schau der ge­gen den Kläger spre­chen­den In­di­zi­en trügen den ge­gen ihn ge­rich­te­ten Ver­dacht. Al­lein der Täter erfülle sämt­li­che Ver­dachts­be­gründen­den Kri­te­ri­en ein­sch­ließlich des Kon­tak­tes zu den Da­men K. und T., die den Ver­dacht der Täter­schaft be­gründe­ten. Ob­wohl iso­liert be­trach­tet nach Maßga­be ei­nes je­den ein­zel­nen Kri­te­ri­ums auch an­de­re Mit­ar­bei­ter als Täter in Be­tracht ge­kom­men sei­en, sei der Kläger der ein­zi­ge, in des­sen Per­son al­le Fäden zu­sam­menführ­ten.

Die Be­klag­te be­an­tragt,
das an­ge­foch­te­ne Ur­teil ab­zuändern und die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Der Kläger be­an­tragt,
die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen.

Er trägt vor: Die Be­klag­te ha­be le­dig­lich ei­nen Ver­dacht, kei­ne kon­kre­ten Vorwürfe. Auch die übri­gen Ar­beit­neh­mer, die ei­ne Sch­ließbe­rech­ti­gung zum Raum 1030 hat­ten, kämen für die Ma­ni­pu­la­tio­nen in Be­tracht. Dem Sch­ließpro­to­koll könne nicht ent­nom­men wer­den, wann der Raum be­tre­ten bzw. ver­las­sen wor­den sei. Fahr­kar­ten würden über ebay und sonst auf dem frei­en Markt an­ge­bo­ten; die Be­klag­te ha­be ein Or­ga­ni­sa­ti­ons­pro­blem. Zu kei­nem Zeit­punkt, als er sich im Raum 1030 auf­ge­hal­ten ha­be, sei­en Fahr­kar­ten ge­druckt wor­den. Ma­ni­pu­la­tio­nen des PVS-Gerätes hätten durch jed­we­den an­de­ren Mit­ar­bei­ter durch­geführt wer­den können. Wenn ein Be­kann­ter von ihm il­le­gal Fahr­kar­ten er­wor­ben hätte, so hätte er anläss­lich ei­ner Haus­durch­su­chung die­se ver­nich­tet. Die Tat­sa­che, dass dies nicht ge­sche­hen sei, spre­che ge­gen ein kol­lu­si­ves Zu­sam­men­wir­ken. Die Be­klag­te ha­be die ent­schei­den­de Fra­ge nicht be­ant­wor­tet, wie er an den PIN-Code her­an­kom­men konn­te. Herrn B. ha­be ei­ne strik­te Dienst­an­wei­sung ge­habt, den PIN-Code sorgfältig zu ver­wah­ren.

We­gen des wei­te­ren Vor­brin­gens der Par­tei­en im Ein­zel­nen wird auf die ge­wech­sel­ten Schriftsätze nebst An­la­gen, die Ge­gen­stand der münd­li­chen Ver­hand­lung wa­ren, Be­zug ge­nom­men.

 

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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I. Die Be­ru­fung der Be­klag­ten ist be­gründet. Das Ar­beits­verhält­nis ist durch die frist­lo­se Kündi­gung der Be­klag­ten vom 22. De­zem­ber 2010 auf­gelöst wor­den. Die vom Kläger be­gehr­te Fest­stel­lung kann da­her nicht ge­trof­fen wer­den; er hat des­halb auch kei­nen An­spruch auf Wei­ter­beschäfti­gung bis zum rechts­kräfti­gen Ab­schluss des Rechts­streits.

1. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann ein Ar­beits­verhält­nis aus wich­ti­gem Grund außer­or­dent­lich gekündigt wer­den, wenn Tat­sa­chen vor­lie­gen, auf Grund de­rer dem Kündi­gen­den un­ter Berück­sich­ti­gung al­ler Umstände des Ein­zel­falls und un­ter Abwägung der In­ter­es­sen bei­der Ver­trags­tei­le die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses bis zum Ab­lauf der Kündi­gungs­frist oder bis zu der ver­ein­bar­ten Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses nicht zu­ge­mu­tet wer­den kann. Da­bei kann nach der ständi­gen Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts auch der Ver­dacht ei­ner schwer­wie­gen­den Pflicht­ver­let­zung ei­nen wich­ti­gen Grund bil­den. Ein sol­cher Ver­dacht stellt ge­genüber dem Vor­wurf, der Ar­beit­neh­mer ha­be die Pflicht­ver­let­zung tatsächlich be­gan­gen, ei­nen ei­genständi­gen Kündi­gungs­grund dar. Ei­ne Ver­dachtskündi­gung kann ge­recht­fer­tigt sein, wenn star­ke auf ob­jek­ti­ven Tat­sa­chen gründen­de Ver­dachts­mo­men­te ge­ge­ben sind, die Ver­dachts­mo­men­te ge­eig­net sind, das für die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses er­for­der­li­che Ver­trau­en zu zerstören, und der Ar­beit­ge­ber al­le zu­mut­ba­ren An­stren­gun­gen zur Aufklärung des Ver­dachts un­ter­nom­men, ins­be­son­de­re dem Ar­beit­neh­mer Ge­le­gen­heit zur Stel­lung­nah­me ge­ge­ben hat. Der Ver­dacht muss auf kon­kre­te Tat­sa­chen gestützt sein. Er muss sich aus Umständen er­ge­ben, die so be­schaf­fen sind, dass sie ei­nen verständi­gen und ge­recht abwägen­den Ar­beit­ge­ber zum Aus­spruch der Kündi­gung ver­an­las­sen können. Der Ver­dacht muss drin­gend sein. Es muss ei­ne große Wahr­schein­lich­keit be­ste­hen, dass der Ar­beit­neh­mer die ihm vor­ge­wor­fe­ne Pflicht­ver­let­zung tatsächlich be­gan­gen hat (BAG vom 25.11.2010 - 2 AZR 801/09 -, AP Nr. 48 zu § 626 BGB Ver­dacht straf­ba­rer Hand­lung m. w. N.).

2. Ge­mes­sen an die­sen Grundsätzen ist ein wich­ti­ger Grund i. S. d. § 626 Abs. 1 BGB an sich ge­ge­ben. Die von der Be­klag­ten an­geführ­ten In­di­zi­en las­sen den Schluss zu, dass der Kläger mit großer Wahr­schein­lich­keit zwei Re­st­rol­len aus dem Pan­zer­schrank der Scan­ner­stel­le ent­wen­det und am 7. Ok­to­ber und 19. No­vem­ber 2010 je­weils um et­wa 5.00 Uhr mor­gens un­ter Ver­wen­dung der Zu­gangs­da­ten von Herrn B. die von Frau T. und Frau K. zur Er­stat­tung ein­ge­reich­ten Fahr­kar­ten auf dem PVS-Test­gerät im Schu­lungs­raum ge­druckt hat.

 

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a) Auf­grund der dar­ge­stell­ten In­di­zi­en kommt mit ho­her Wahr­schein­lich­keit al­lein der Kläger als Täter in Fra­ge.

aa) Das Ar­beits­ge­richt hat zwar zu­tref­fend dar­auf hin­ge­wie­sen, dass außer dem Kläger zahl­rei­che wei­te­re Beschäftig­te Zu­gang zu den Re­st­rol­len im Pan­zer­schrank der Scan­ner­stel­le hat­ten. Auch be­stand die Möglich­keit, dass an­de­re Beschäftig­te von den Zu­gangs­da­ten des Herrn B. in des­sen Schreib­tisch­schub­la­de Kennt­nis hätten ha­ben können. Auch hat­te nicht nur der Kläger ei­ne Sch­ließbe­rech­ti­gung für den Schu­lungs­raum. Sch­ließlich kann nicht mit ab­so­lu­ter Si­cher­heit aus­ge­schlos­sen wer­den, dass auch an­de­re Mit­ar­bei­ter als der Kläger zu den Zei­ten im Be­trieb wa­ren, zu de­nen die Fahr­kar­ten ge­druckt wur­den. Den­klo­gisch aus­ge­schlos­sen sind Ma­ni­pu­la­tio­nen von Da­tum und Uhr­zeit an dem Test­gerät durch an­de­re Mit­ar­bei­ter eben­falls nicht. Die vom Ar­beits­ge­richt er­wo­ge­ne Tat­be­tei­li­gung meh­re­rer Ar­beit­neh­mer kann eben­falls nicht mit ab­so­lu­ter Si­cher­heit aus­ge­schlos­sen wer­den.

bb) Der ab­so­lu­te Aus­schluss der Täter­schaft An­de­rer ist je­doch nicht Wirk­sam­keits­vor­aus­set­zung für die streit­ge­genständ­li­che Kündi­gung. Die Be­klag­te hat kei­ne Tat-, son­dern ei­ne Ver­dachtskündi­gung aus­ge­spro­chen. Für die­se genügt ei­ne ho­he Wahr­schein­lich­keit der Täter­schaft, die nicht da­durch aus­ge­schlos­sen ist, dass auch die Täter­schaft an­de­rer - al­ler­dings nur mit ei­ner sehr ge­rin­gen Wahr­schein­lich­keit - in Be­tracht kommt.

cc) Im Ent­schei­dungs­fall er­gibt sich die drin­gen­de Wahr­schein­lich­keit der Täter­schaft des Klägers aus der Zu­sam­men­schau der erst­in­stanz­lich vor­ge­tra­ge­nen Ver­dachts­mo­men­te ge­gen den Kläger zu­sam­men mit dem zweit­in­stanz­lich mit­ge­teil­ten Sach­ver­halt, dass die bei­den Täte­rin­nen (Frau T. und Frau K.) in en­ger freund­schaft­li­cher bzw. ver­wandt­schaft­li­cher Be­zie­hung zum Kläger stünden.

(1) Es kann da­hin­ste­hen, ob be­reits der Um­stand, dass al­lein der Kläger die ein­zi­ge Per­son ist, auf die al­le erst­in­stanz­lich vor­ge­tra­ge­nen Ver­dachts­mo­men­te hin­deu­ten, den für ei­ne Kündi­gung er­for­der­li­chen drin­gen­den Ver­dacht be­gründet. Ei­ne be­son­ders ho­he Wahr­schein­lich­keit der Täter­schaft des Klägers er­gibt sich je­den­falls dar­aus, dass al­lein der Kläger als „In­si­der“ mit der Möglich­keit, sich die auf­ge­fun­de­nen Fahr­aus­wei­se il­le­gal zu ver­schaf­fen, mit den bei­den Täte­rin­nen eng ver­bun­den ist. Die ein­zi­ge Ver­bin­dung zwi­schen Frau T. und Frau K. ist der Kläger, der die Möglich­keit hat­te, sich die von den bei­den Da­men zur Er­stat­tung ein­ge­reich­ten Fahr­aus­wei­se zu ver­schaf­fen.

(2) Die vom Kläger hier­zu in der Be­ru­fungs­ver­hand­lung ab­ge­ge­be­ne Erklärung, die bei­den Da­men hätten sich die Fahr­aus­wei­se bei ebay er­stei­gern oder sonst im In­ter­net be-

 

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sor­gen können, min­dert nicht den ge­gen ihn be­ste­hen­den Ver­dacht. We­der aus dem Ak­ten­in­halt noch aus dem Vor­trag des Klägers er­gibt sich, wel­che kon­kre­te Per­son außer ihm in der La­ge ge­we­sen sein könn­te, sich ge­ra­de die hier streit­ge­genständ­li­chen Fahr­aus­wei­se il­le­gal zu ver­schaf­fen und sie den Da­men T. und K. zugäng­lich zu ma­chen. Dass ein an­de­rer Ar­beit­neh­mer als der Kläger sich rechts­wid­rig die­se Fahr­aus­wei­se aus­druckt und sie so­dann im In­ter­net feil­ge­bo­ten und dar­auf­hin zufällig und un­abhängig von­ein­an­der Frau T. und Frau K. Fahr­aus­wei­se von die­ser Per­son er­wor­ben und so­dann bei der Be­klag­ten zur Er­stat­tung ein­ge­reicht hätten, hielt die Kam­mer für so ex­trem un­wahr­schein­lich, dass sie dem­ent­spre­chend die Wahr­schein­lich­keit der Täter­schaft des Klägers für be­son­ders hoch er­ach­tet hat.

b) Die Be­klag­te hat den Kläger vor Aus­spruch der Ver­dachtskündi­gung ord­nungs­gemäß an­gehört; hierüber be­steht zwi­schen den Par­tei­en kein Streit.

c) Die Pflicht­ver­let­zung, de­ren der Kläger drin­gend verdäch­tig ist, ist ge­eig­net, ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung an sich zu recht­fer­ti­gen.

aa) Ei­ne schwe­re und schuld­haf­te Ver­trags­pflicht­ver­let­zung kann ein wich­ti­ger Grund für ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung sein. Das gilt auch für die Ver­let­zung von ver­trag­li­chen Ne­ben­pflich­ten (BAG 12. März 2009 - 2 ABR 24/08 - Rn. 30, EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Ar­beit­neh­mer­ver­tre­ter Nr. 1; 19. April 2007 - 2 AZR 78/06 - Rn. 28, AP BGB § 611 Di­rek­ti­ons­recht Nr. 77). Zum Nach­teil des Ar­beit­ge­bers be­gan­ge­ne Ei­gen­tums- oder Vermögens­de­lik­te, aber auch nicht straf­ba­re, ähn­lich schwer­wie­gen­de Hand­lun­gen un­mit­tel­bar ge­gen das Vermögen des Ar­beit­ge­bers kom­men ty­pi­scher­wei­se - un­abhängig vom Wert des Tat­ob­jekts und der Höhe ei­nes ein­ge­tre­te­nen Scha­dens - als Grund für ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung in Be­tracht (BAG 13. De­zem­ber 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 16, 17, AP BGB § 626 Nr. 210; 12. Au­gust 1999 - 2 AZR 923/98 - zu II 2 b aa der Gründe, BA­GE 92, 184; 17. Mai 1984 - 2 AZR 3/83 - zu II 1 der Gründe, AP BGB § 626 Ver­dacht straf­ba­rer Hand­lung Nr. 14).

bb) Ein Ar­beit­neh­mer ver­letzt sei­ne Pflicht aus § 241 Abs. 2 BGB, auf die be­rech­tig­ten In­ter­es­sen des Ar­beit­ge­bers Rück­sicht zu neh­men, durch die un­er­laub­te Her­stel­lung von Fahr­aus­wei­sen für Beförde­rungs­leis­tun­gen des Ar­beit­ge­bers und de­ren Wei­ter­ga­be an Drit­te in er­heb­li­chem Maße.

(1) Nach § 241 Abs. 2 BGB ist je­de Par­tei des Ar­beits­ver­trags zur Rück­sicht­nah­me auf die Rech­te, Rechtsgüter und In­ter­es­sen ih­res Ver­trags­part­ners ver­pflich­tet. Die­se Re­ge­lung dient dem Schutz und der Förde­rung des Ver­trags­zwecks (BAG 28. Ok­to­ber 2010 - 2

 

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AZR 293/09 - Rn. 19, NZA 2011, 112; 10. Sep­tem­ber 2009 - 2 AZR 257/08 - Rn. 20, AP KSchG 1969 § 1 Ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung Nr. 60).

(2) Be­geht der Ar­beit­neh­mer bei oder im Zu­sam­men­hang mit sei­ner Ar­beit rechts­wid­ri­ge und vorsätz­li­che - ggf. straf­ba­re - Hand­lun­gen un­mit­tel­bar ge­gen das Vermögen sei­nes Ar­beit­ge­bers, ver­letzt er zu­gleich in schwer­wie­gen­der Wei­se sei­ne schuld­recht­li­che Pflicht zur Rück­sicht­nah­me und miss­braucht das in ihn ge­setz­te Ver­trau­en. Ein sol­ches Ver­hal­ten kann auch dann ei­nen wich­ti­gen Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB dar­stel­len, wenn die rechts­wid­ri­ge Hand­lung Sa­chen von nur ge­rin­gem Wert be­trifft oder zu ei­nem nur ge­ringfügi­gen, mögli­cher­wei­se zu gar kei­nem Scha­den geführt hat (BAG 10.06.2010 - 2 AZR 541/09 - NZA 2010, 1227).

cc) Die Pflicht­ver­let­zung, de­rer der Kläger verdäch­tigt wird, stellt un­abhängig von ih­rer straf­recht­li­chen Re­le­vanz je­den­falls ei­ne in ih­rer In­ten­sität ei­nem Ei­gen­tums- oder Vermögens­de­likt glei­chen­de Hand­lung un­mit­tel­bar ge­gen das Vermögen des Ar­beit­ge­bers dar.

3. Die frist­lo­se Kündi­gung ist bei Be­ach­tung al­ler Umstände des vor­lie­gen­den Falls und nach Abwägung der wi­der­strei­ten­den In­ter­es­sen ge­recht­fer­tigt.

a) Bei der Prüfung, ob dem Ar­beit­ge­ber ei­ne Wei­ter­beschäfti­gung des Ar­beit­neh­mers trotz Vor­lie­gens ei­ner er­heb­li­chen Pflicht­ver­let­zung je­den­falls bis zum Ab­lauf der Kündi­gungs­frist zu­zu­mu­ten ist, ist in ei­ner Ge­samtwürdi­gung das In­ter­es­se des Ar­beit­ge­bers an der so­for­ti­gen Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses ge­gen das In­ter­es­se des Ar­beit­neh­mers an des­sen Fort­be­stand ab­zuwägen. Es hat ei­ne Be­wer­tung des Ein­zel­falls un­ter Be­ach­tung des Verhält­nismäßig­keits­grund­sat­zes zu er­fol­gen. Zu berück­sich­ti­gen sind bei die­ser Abwägung das Ge­wicht und die Aus­wir­kun­gen ei­ner Ver­trags­pflicht­ver­let­zung - et­wa im Hin­blick auf das Maß ei­nes durch sie be­wirk­ten Ver­trau­ens­ver­lus­tes und auf ih­re wirt­schaft­li­chen Fol­gen -, der Grad des Ver­schul­dens des Ar­beit­neh­mers, ei­ne mögli­che Wie­der­ho­lungs­ge­fahr so­wie die Dau­er des Ar­beits­verhält­nis­ses und des­sen störungs­frei­er Ver­lauf. Ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung kommt nur in Be­tracht, wenn es kei­ne an­ge­mes­se­nen We­ge gibt, das Ar­beits­verhält­nis fort­zu­set­zen, weil dem Ar­beit­ge­ber sämt­li­che mil­de­ren Re­ak­ti­onsmöglich­kei­ten (z. B. or­dent­li­che Kündi­gung oder Ab­mah­nung) un­zu­mut­bar sind. Dies gilt auch bei Störun­gen im Ver­trau­ens­be­reich. Da­bei ist zu be­ach­ten, dass grundsätz­lich da­von aus­zu­ge­hen ist, dass das künf­ti­ge Ver­hal­ten ei­nes Ar­beit­neh­mers schon durch die An­dro­hung von Fol­gen für den Be­stand des Ar­beits­verhält­nis­ses po­si­tiv be­ein­flusst wer­den kann, wenn die Ver­trags­pflicht­ver­let­zung auf steu­er­ba­rem Ver­hal­ten des Ar­beit­neh­mers be­ruht. Al­ler­dings be­darf es in An­se­hung des Verhält­nismäßig­keits­grund­sat­zes ei­ner Ab­mah­nung nicht, wenn ei­ne Ver­hal­tensände­rung in Zu­kunft selbst nach

 

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Ab­mah­nung nicht zu er­war­ten steht oder es sich um ei­ne so schwe­re Pflicht­ver­let­zung han­delt, dass ei­ne Hin­nah­me durch den Ar­beit­ge­ber of­fen­sicht­lich - auch für den Ar­beit­neh­mer er­kenn­bar - aus­ge­schlos­sen ist. Die­se Grundsätze gel­ten un­ein­ge­schränkt selbst bei Störun­gen des Ver­trau­ens­be­reichs durch Straf­ta­ten ge­gen Vermögen oder Ei­gen­tum des Ar­beit­ge­bers (BAG 10.06.2010 - 2 AZR 541/09 - NZA 2010, 1227 m. w. N.).

b) Im Ent­schei­dungs­fall über­wo­gen die In­ter­es­sen des Ar­beit­ge­bers an der so­for­ti­gen Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses deut­lich; ei­ner vor­he­ri­gen Ab­mah­nung be­durf­te es nicht.

aa) Ge­ra­de auf­grund der vom Kläger vor­ge­tra­ge­nen er­heb­li­chen Missstände im Zu­sam­men­hang mit der Einführung der per­so­nen­be­dien­ten Ver­kaufs­sys­te­me (Zei­tungs­ar­ti­kel aus dem Jah­re 2001, Ver­kaufs­an­ge­bo­te von ebay) und der da­mit ver­bun­de­nen ne­ga­ti­ven Pu­bli­ci­ty für die Be­klag­te muss­te dem Kläger be­wusst sein, dass die Be­klag­te ei­ne je­de Be­tei­li­gung ei­nes Ar­beit­neh­mers an Betrüge­rei­en und Diebstählen im Zu­sam­men­hang mit Fahr­aus­wei­sen mit der schärfs­ten ar­beits­recht­li­chen Sank­ti­on, der außer­or­dent­li­chen Kündi­gung, be­le­gen würde. In An­be­tracht des­sen so­wie we­gen der ho­hen kri­mi­nel­len En­er­gie, die auf­ge­bracht zu ha­ben der Kläger zu Recht verdäch­tigt wird, war ob­jek­tiv das Ver­trau­en in die Zu­verlässig­keit des Klägers der­art erschüttert, dass des­sen vollständi­ge Wie­der­her­stel­lung und ein künf­tig er­neut störungs­frei­es Mit­ein­an­der der Par­tei­en nicht zu er­war­ten war.

bb) Dies gilt auch an­ge­sichts der langjähri­gen störungs­frei­en Be­triebs­zu­gehörig­keit des Klägers.

(1) Die­se wiegt al­ler­dings schwer zu Guns­ten des Klägers. Für die Zu­mut­bar­keit der Wei­ter­beschäfti­gung kann es von er­heb­li­cher Be­deu­tung sein, ob der Ar­beit­neh­mer be­reits ge­rau­me Zeit in ei­ner Ver­trau­ens­stel­lung beschäftigt war, oh­ne ver­gleich­ba­re Pflicht­ver­let­zun­gen be­gan­gen zu ha­ben. Dies gilt auch bei Pflicht­verstößen im un­mit­tel­ba­ren Vermögens­be­reich. Ei­ne lan­ge Jah­re un­gestörte Ver­trau­ens­be­zie­hung zwei­er Ver­trags­part­ner wird nicht not­wen­dig schon durch ei­ne erst­ma­li­ge Ver­trau­en­s­enttäuschung vollständig und un­wie­der­bring­lich zerstört.

(2) Aus Sicht ei­nes ob­jek­ti­ven Be­trach­ters muss­te al­ler­dings die Be­klag­te an­ge­sichts der Art, der Schwe­re und der Be­ge­hens­wei­se der Pflicht­ver­let­zung kein hin­rei­chen­des Ver­trau­en mehr dar­auf ha­ben, dass der Kläger zukünf­tig sei­ne Ver­trags­pflich­ten kor­rekt erfüllen wer­de.

 

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Hin­zu kommt, dass die Be­klag­te im Hin­blick auf die vom Kläger selbst wie­der­holt und breit dar­ge­stell­ten Un­zuläng­lich­kei­ten des Sys­tems und der da­mit ver­bun­de­nen Miss­brauchsmöglich­kei­ten so­wie des Um­fangs der vom Kläger dar­ge­stell­ten Er­werbsmöglich­kei­ten il­le­gal her­ge­stell­ter Fahr­aus­wei­se im In­ter­net ein drin­gen­des In­ter­es­se dar­an hat­te, dass die zu­gangs­be­rech­tig­ten Ar­beit­neh­mer ab­so­lut ver­trau­enswürdig und zu­verlässig sei­en. In die­sem Zu­sam­men­hang ist auch der ge­ne­ral­präven­ti­ve As­pekt zu be­ach­ten. Das In­ter­es­se der Be­klag­ten, durch har­te ar­beits­recht­li­che Sank­tio­nen Si­cher­heitslücken zu be­sei­ti­gen und an­de­re Ar­beit­neh­mer zur or­dent­li­chen Ver­trags­erfüllung an­zu­hal­ten, wiegt in An­be­tracht des vom Kläger dar­ge­stell­ten Aus­maßes des il­le­ga­len Fahr­schein­han­dels so­wie der Auf­merk­sam­keit der Öffent­lich­keit schwer.

cc) Art und Schwe­re der Pflicht­ver­let­zung, de­ren der Kläger verdäch­tig ist, so­wie der ge­ne­ral­präven­ti­ve As­pekt über­wie­gen deut­lich das durch die langjähri­ge Be­triebs­zu­gehörig­keit be­son­ders schutzwürdi­ge In­ter­es­se des Klägers an der Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses oder auch nur an der Ein­hal­tung der Kündi­gungs­frist.

4. Da sich die streit­ge­genständ­li­che frist­lo­se Kündi­gung als wirk­sam er­wies, konn­te der Kläger nicht Wei­ter­beschäfti­gung bis zum rechts­kräfti­gen Ab­schluss des Kündi­gungs­rechts­streits ver­lan­gen.

II. Die Kos­ten­ent­schei­dung folgt aus § 91 ZPO.

III. Die Vor­aus­set­zun­gen für die Zu­las­sung der Re­vi­si­on la­gen nicht vor. Die Kam­mer ist der Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts ge­folgt. Im Übri­gen wa­ren die Be­son­der­hei­ten des Ein­zel­falls maßgeb­lich.


R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Ge­gen die­ses Ur­teil ist ein Rechts­mit­tel nicht ge­ge­ben.


Sch.

M.

T.

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