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BAG, Ur­teil vom 24.08.2016, 5 AZR 703/15

   
Schlagworte: Mindestentgelt, Ausschlussfristen
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 5 AZR 703/15
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 24.08.2016
   
Leitsätze: Eine arbeitsvertragliche Verfallklausel, die auch den Anspruch auf das Mindestentgelt nach § 2 PflegeArbbV erfasst, verstößt im Anwendungsbereich dieser Verordnung gegen § 9 Satz 3 iVm. § 13 AEntG und ist insoweit nach § 134 BGB unwirksam.
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Braunschweig, Urteil vom 12.09.2014, 3 Ca 253/14
Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 17.09.2015, 6 Sa 1328/14
   

BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT

5 AZR 703/15
6 Sa 1328/14
Lan­des­ar­beits­ge­richt
Nie­der­sach­sen

Verkündet
am 24. Au­gust 2016
Klei­nert, Ur­kunds­be­am­tin
der Geschäfts­stel­le

 

Im Na­men des Vol­kes!

UR­TEIL

In Sa­chen

 

Be­klag­ter, Be­ru­fungskläger und Re­vi­si­onskläger,

pp.

Kläge­rin, Be­ru­fungs­be­klag­te und Re­vi­si­ons­be­klag­te,

hat der Fünf­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der Be­ra­tung vom 24. Au­gust 2016 durch den Vi­ze­präsi­den­ten des Bun­des­ar­beits­ge­richts Dr. Müller-Glöge, den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Biebl, die Rich­te­rin am Bun­des­ar­beits­ge­richt We­ber so­wie den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Jung­bluth und die eh­ren­amt­li­che Rich­te­rin Zorn für Recht er­kannt:

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I. Auf die Re­vi­si­on des Be­klag­ten wird - un­ter Zurück­wei­sung der Re­vi­si­on im Übri­gen - das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Nie­der­sach­sen vom 17. Sep­tem­ber 2015 - 6 Sa 1328/14 - teil­wei­se auf­ge­ho­ben.

II. Auf die Be­ru­fung des Be­klag­ten wird das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Braun­schweig vom 12. Sep­tem­ber 2014 - 3 Ca 253/14 - in Ziff. 1 teil­wei­se ab­geändert und zur Klar­stel­lung ins­ge­samt wie folgt neu ge­fasst:

1. Der Be­klag­te wird ver­ur­teilt, an die Kläge­rin 648,00 Eu­ro brut­to nebst Zin­sen in Höhe von fünf Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz aus 288,00 Eu­ro seit dem 1. Ja­nu­ar 2014, aus 216,00 Eu­ro seit dem 8. Ja­nu­ar 2014 und aus 144,00 Eu­ro seit dem 20. Ja­nu­ar 2014 zu zah­len.

2. Im Übri­gen wird die Kla­ge ab­ge­wie­sen.

III. Von den erst­in­stanz­li­chen Kos­ten des Rechts­streits ha­ben die Kläge­rin 1/3 und der Be­klag­te 2/3, von den Kos­ten der Be­ru­fung und der Re­vi­si­on die Kläge­rin 1/20 und der Be­klag­te 19/20 zu tra­gen.

 

Von Rechts we­gen!

 

Tat­be­stand

 

Die Par­tei­en strei­ten über Ent­gelt­fort­zah­lung im Krank­heits­fall.

Die Kläge­rin war vom 15. Ju­li bis zum 15. De­zem­ber 2013 beim Be­klag­ten, der da­mals den am­bu­lan­ten Pfle­ge­dienst L be­trieb, als Pfle­ge­hilfs­kraft beschäftigt. Die wöchent­li­che Ar­beits­zeit be­trug 20 St­un­den, als Vergütung war ein Brut­to­stun­den­lohn von 9,00 Eu­ro ver­ein­bart.

Grund­la­ge des Ar­beits­verhält­nis­ses war der For­mu­lar­ar­beits­ver­trag vom 11. Ju­li 2013, der - druck­tech­nisch her­vor­ge­ho­ben - fol­gen­de Re­ge­lung enthält:

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„§ 22 Aus­schluss­frist bei Gel­tend­ma­chung von Ansprüchen

(1) Al­le bei­der­sei­ti­gen Ansprüche aus dem Ar­beits­verhält­nis und sol­che, die mit dem Ar­beits­verhält­nis in Ver­bin­dung ste­hen, ver­fal­len, wenn sie nicht in­ner­halb von drei Mo­na­ten nach der Fällig­keit ge­genüber der an­de­ren Ver­trags­par­tei schrift­lich er­ho­ben wer­den. Dies gilt auch für Ansprüche, die während des be­ste­hen­den Ar­beits­verhält­nis­ses ent­ste­hen.

(2) Lehnt die Ge­gen­par­tei den An­spruch ab oder erklärt sie sich nicht in­ner­halb von zwei Wo­chen nach der Gel­tend­ma­chung des An­spru­ches, so verfällt die­ser, wenn er nicht in­ner­halb von drei Mo­na­ten nach der Ab­leh­nung oder dem Frist­ab­lauf ge­richt­lich gel­tend ge­macht wird.“

Der ver­ein­bar­te Brut­to­stun­den­lohn ent­sprach dem ab dem 1. Ju­li 2013 im Ge­biet des Lan­des Nie­der­sach­sen „je St­un­de“ zu zah­len­den Min­des­tent­gelt nach § 2 Abs. 1 Ver­ord­nung über zwin­gen­de Ar­beits­be­din­gun­gen für die Pfle­ge­bran­che (Pfle­ge­ArbbV) vom 15. Ju­li 2010 (BAnz. 2010 Nr. 110 S. 2571). De­ren § 4 be­stimmt un­ter der Über­schrift Aus­schluss­frist:

„Die Ansprüche auf das Min­des­tent­gelt ver­fal­len, wenn sie nicht in­ner­halb von zwölf Mo­na­ten nach ih­rer Fällig­keit schrift­lich gel­tend ge­macht wer­den.“

Die Kläge­rin war vom 19. No­vem­ber bis zum 15. De­zem­ber 2013 ar­beits­unfähig krank­ge­schrie­ben. Der Be­klag­te hat­te trotz ärzt­li­cher Be­schei­ni­gung Zwei­fel an der Ar­beits­unfähig­keit und leis­te­te kei­ne Ent­gelt­fort­zah­lung.

Mit Schrei­ben vom 20. Ja­nu­ar 2014 for­der­te die Kläge­rin den Be­klag­ten zu Ab­rech­nung und Be­zah­lung der Kran­ken­ta­ge auf, mit An­walts­schrei­ben vom 28. Mai 2014 be­zif­fer­te sie die Ent­gelt­fort­zah­lung auf 684,00 Eu­ro. Ei­ne Re­ak­ti­on des Be­klag­ten er­folg­te nicht.

Mit der am 2. Ju­ni 2014 ein­ge­reich­ten Kla­ge hat die Kläge­rin gel­tend ge­macht, sie sei vom 19. No­vem­ber bis zum 15. De­zem­ber 2013 ar­beits­unfähig krank ge­we­sen. Für die in die­sem Zeit­raum an­fal­len­den 19 Ar­beits­ta­ge schul­de der Be­klag­te für je­weils vier Ar­beits­stun­den Ent­gelt­fort­zah­lung. Die ar­beits­ver-

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trag­li­che Aus­schluss­frist ha­be sie nicht ein­hal­ten müssen, die Frist des § 4 Pfle­ge­ArbbV sei ge­wahrt.

Die Kläge­rin hat - so­weit für die Re­vi­si­on von Be­lang - be­an­tragt, den Be­klag­ten zu ver­ur­tei­len, an sie 684,00 Eu­ro brut­to nebst Zin­sen iHv. fünf Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit dem 1. Ja­nu­ar 2014 zu zah­len.

Der Be­klag­te hat Kla­ge­ab­wei­sung be­an­tragt und gel­tend ge­macht, der An­spruch auf Ent­gelt­fort­zah­lung sei je­den­falls nach § 22 Ar­beits­ver­trag ver­fal­len.

Das Ar­beits­ge­richt hat der Kla­ge - so­weit sie in die Re­vi­si­ons­in­stanz ge­langt ist - statt­ge­ge­ben. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die Be­ru­fung des Be­klag­ten zurück­ge­wie­sen. Mit der vom Lan­des­ar­beits­ge­richt zu­ge­las­se­nen Re­vi­si­on ver­folgt der Be­klag­te sein Kla­ge­ab­wei­sungs­be­geh­ren wei­ter.

 

Ent­schei­dungs­gründe

 

Die Re­vi­si­on des Be­klag­ten hat nur hin­sicht­lich der Höhe der Kla­ge­for­de­rung Er­folg, im Übri­gen ist sie un­be­gründet.

I. Die Kla­ge ist zulässig, ins­be­son­de­re hin­rei­chend be­stimmt iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO (vgl. BAG 23. März 2016 - 5 AZR 758/13 - Rn. 21). Streit­ge­gen­stand ist ein be­zif­fer­ter Eu­ro­be­trag, den die Kläge­rin als Ent­gelt­fort­zah­lung im Krank­heits­fall für die Dau­er ih­rer ärzt­lich at­tes­tier­ten Ar­beits­unfähig­keit vom 19. No­vem­ber bis zum 15. De­zem­ber 2013 be­gehrt.

II. In Höhe ei­nes Teil­be­trags von 36,00 Eu­ro brut­to ist die Kla­ge nach der ei­ge­nen Dar­le­gung der Kläge­rin un­be­gründet.

Der An­spruch auf Ent­gelt­fort­zah­lung nach § 3 Abs. 1 EFZG be­trifft den durch die krank­heits­be­ding­te Ver­hin­de­rung ver­ur­sach­ten Ar­beits­aus­fall, in­so­weit be­gründet die Norm trotz Nicht­leis­tung der Ar­beit den Ent­gelt­an­spruch des Ar­beit­neh­mers. Nach nicht an­ge­grif­fe­ner Fest­stel­lung des Lan­des­ar­beits­ge-

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richts hat die Kläge­rin am 19. No­vem­ber 2013 ih­ren Ar­beits­platz (erst) ver­las­sen, „nach­dem sie zu­vor ih­ren ar­beits­ver­trag­li­chen Ver­pflich­tun­gen in vol­lem Um­fang nach­ge­kom­men war“. Da­nach ist an die­sem Tag kei­ne Ar­beits­leis­tung we­gen Ar­beits­unfähig­keit der Kläge­rin aus­ge­fal­len. Sie hat kei­nen An­spruch auf Ent­gelt­fort­zah­lung im Krank­heits­fall. Ob das für den Mo­nat No­vem­ber 2013 ge­zahl­te Ent­gelt die am 19. No­vem­ber 2013 noch vor Ar­beits­en­de ge­leis­te­te Ar­beit mit­um­fasst, ist nicht streit­ge­genständ­lich.

III. Im Übri­gen ist die Kla­ge be­gründet. Der Be­klag­te ist nach § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 EFZG ver­pflich­tet, der Kläge­rin für die Dau­er ih­rer durch ärzt­li­che Be­schei­ni­gung be­leg­ten Ar­beits­unfähig­keit Ent­gelt­fort­zah­lung im Krank­heits­fall in Höhe des ihr bei der für sie maßge­ben­den re­gelmäßigen Ar­beits­zeit zu­ste­hen­den Ar­beits­ent­gelts zu leis­ten. Sei­ne Zwei­fel an der Ar­beits­unfähig­keit der Kläge­rin hat der Be­klag­te in der Re­vi­si­ons­in­stanz aus­drück­lich nicht auf­recht­er­hal­ten. Der An­spruch auf Ent­gelt­fort­zah­lung im Krank­heits­fall ist nicht auf­grund der ar­beits­ver­trag­li­chen Aus­schluss­frist er­lo­schen, denn die­se ist we­gen In­trans­pa­renz un­wirk­sam (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB). Folg­lich war die Kläge­rin nicht ge­hal­ten, den An­spruch auf Ent­gelt­fort­zah­lung im Krank­heits­fall bin­nen der Fris­ten des § 22 Ar­beits­ver­trag gel­tend zu ma­chen.

1. § 22 Ar­beits­ver­trag ist nach nicht an­ge­grif­fe­ner Fest­stel­lung des Lan­des­ar­beits­ge­richts ei­ne All­ge­mei­ne Geschäfts­be­din­gung (§ 305 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 BGB). Dafür be­gründet zu­dem das äußere Er­schei­nungs­bild ei­ne tatsächli­che Ver­mu­tung (vgl. BAG 19. März 2014 - 5 AZR 299/13 (F) - Rn. 17 mwN), der kei­ne der Par­tei­en ent­ge­gen­ge­tre­ten ist.

2. § 22 Ar­beits­ver­trag er­fasst den An­spruch auf das Min­des­tent­gelt nach § 2 Pfle­ge­ArbbV und verstößt im An­wen­dungs­be­reich die­ser Ver­ord­nung ge­gen § 9 Satz 3 AEntG, der über § 13 AEntG auch für das Min­des­tent­gelt auf­grund ei­ner nach § 11 AEntG er­las­se­nen Rechts­ver­ord­nung gilt.

a) Der An­spruch auf das Min­des­tent­gelt nach § 2 Pfle­ge­ArbbV ist ein nor­ma­tiv be­gründe­ter An­spruch, der ei­genständig ne­ben die sons­ti­gen Grund-la­gen für das Ent­gelt tritt (vgl. - zum Mi­LoG - BAG 25. Mai 2016 - 5 AZR

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135/16 - Rn. 22). Er fällt als An­spruch aus dem Ar­beits­verhält­nis, je­den­falls als sol­cher, der mit dem Ar­beits­verhält­nis in Ver­bin­dung steht, in den An­wen­dungs­be­reich von § 22 Ar­beits­ver­trag.

b) Die Klau­sel kann - aus­ge­hend von ih­rem Wort­laut - nicht ein­engend da­hin­ge­hend aus­ge­legt wer­den, sie er­fas­se den An­spruch auf das Min­des­tent­gelt nach § 2 Pfle­ge­ArbbV nicht.

aa) Während für Alt­verträge, al­so vor dem In­kraft­tre­ten der Pfle­ge­ArbbV ge­schlos­se­ne Ar­beits­verträge, ei­ne ein­engen­de, das Min­des­tent­gelt nicht er­fas­sen­de und da­mit den Vor­ga­ben des § 9 Satz 3 AEntG genügen­de Aus­le­gung in Erwägung ge­zo­gen wer­den könn­te (vgl. zum ent­spre­chen­den Pro­blem im An­wen­dungs­be­reich des Min­dest­l­ohn­ge­set­zes Preis/Ul­ber Aus­schluss­fris­ten und Min­dest­l­ohn­ge­setz S. 49 ff.; Grei­ner in Thüsing 2. Aufl. § 3 Mi­LoG Rn. 12), schei­det ei­ne sol­che Aus­le­gung bei ei­nem Neu­ver­trag wie dem vor­lie­gen­den aus. Wird ei­ne der­ar­ti­ge Ver­fall­klau­sel im An­wen­dungs­be­reich der Pfle­ge­ArbbV noch nach de­ren In­kraft­tre­ten ge­stellt, muss der durch­schnitt­li­che Ar­beit­neh­mer da­von aus­ge­hen, dass sie auch den An­spruch auf das Min­des­tent­gelt nach § 2 Pfle­ge­ArbbV er­fas­sen soll.

bb) Auch die An­nah­me, ei­ne ar­beits­ver­trag­lich ver­ein­bar­te Aus­schluss­frist sol­le nur die von den Par­tei­en für re­ge­lungs­bedürf­tig ge­hal­te­nen Fälle er­fas­sen, während ei­ne An­wen­dung auf Fall­kon­stel­la­tio­nen, die zwin­gend durch ge­setz­li­che Ver­bo­te oder Ge­bo­te ge­re­gelt sind, re­gelmäßig nicht ge­wollt sei (BAG 20. Ju­ni 2013 - 8 AZR 280/12 - Rn. 21 f. mwN; 25. Mai 2005 - 5 AZR 572/04 - zu IV 6 der Gründe, BA­GE 115, 19), führt zu kei­nem an­de­ren Er­geb­nis (zum Min­dest­l­ohn­ge­setz eben­so Rie­chert/Nim­mer­jahn Mi­LoG § 3 Rn. 17; Schaub/Vo­gel­sang ArbR-HdB 16. Aufl. § 66 Rn. 47; Sa­gan/Wit­schen jM 2014, 372, 376; Ne­bel/Klos­ter BB 2014, 2933, 2936; un­ent­schie­den Preis/Ul­ber aaO S. 53 f.; Bay­reu­ther NZA 2014, 865, 870). Denn die Kol­li­si­on des An­wen­dungs­be­reichs der Ver­fall­klau­sel mit § 9 Satz 3 AEntG be­trifft nicht ei­nen nur sel­ten auf­tre­ten­den Son­der­fall, son­dern das Ent­gelt für ge­leis­te­te Ar­beit und da­mit den Haupt­an­wen­dungs­be­reich ei­ner Aus­schluss­frist.

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c) We­gen der Ein­be­zie­hung des An­spruchs auf das Min­des­tent­gelt verstößt die Klau­sel ge­gen § 9 Satz 3 AEntG. Da­nach können Aus­schluss­fris­ten für die Gel­tend­ma­chung ei­nes durch Rechts­ver­ord­nung nach § 7 AEntG oder § 11 AEntG (§ 13 AEntG) be­gründe­ten An­spruchs auf das Min­des­tent­gelt nicht ar­beits­ver­trag­lich ge­re­gelt wer­den. Die Norm ent­zieht zum Schutz des Min­des­tent­gelt­an­spruchs Aus­schluss­fris­ten für die Gel­tend­ma­chung des An­spruchs der Re­ge­lungs­macht der Ar­beits­ver­trags­par­tei­en und ist da­mit Ver­bots­ge­setz iSd. § 134 BGB (zu des­sen Vor­aus­set­zun­gen vgl. et­wa BAG 19. Au­gust 2015 - 5 AZR 500/14 - Rn. 31 f., BA­GE 152, 228). So­weit der Schutz­zweck des Ver­bots­ge­set­zes reicht, ist die Klau­sel teil­un­wirk­sam (allg. zur Rechts­fol­ge Pa­landt/El­len­ber­ger BGB 75. Aufl. § 134 Rn. 13, § 139 Rn. 18 mwN). Denn ar­beits­ver­trag­li­che Aus­schluss­fris­ten für an­de­re Ansprüche als den auf das Min­des­tent­gelt ver­bie­tet § 9 Satz 3 AEntG nicht.

3. Nach dem Recht der All­ge­mei­nen Geschäfts­be­din­gun­gen führt der Ver­s­toß ge­gen § 9 Satz 3 AEntG zur Ge­samt­un­wirk­sam­keit der Ver­fall­klau­sel nach § 306 BGB, des­sen Rechts­fol­gen nicht nur zur An­wen­dung kom­men, wenn sich die Un­wirk­sam­keit ei­ner AGB-Klau­sel aus den §§ 305 ff. BGB selbst er­gibt, son­dern auch dann, wenn sie ge­gen sons­ti­ge Ver­bo­te verstößt (BAG 19. Ju­ni 2012 - 9 AZR 712/10 - Rn. 21 mwN; 21. April 2016 - 8 AZR 474/14 - Rn. 42).

a) Die Klau­sel ist nicht teil­bar, denn § 22 Ar­beits­ver­trag enthält nicht ver­schie­de­ne Aus­schluss­fris­ten­re­ge­lun­gen (da­zu BAG 27. Ja­nu­ar 2016 - 5 AZR 277/14 - Rn. 22 ff.), son­dern er­fasst in­halt­lich und sprach­lich al­le Ansprüche aus dem Ar­beits­verhält­nis und sol­che, die mit dem Ar­beits­verhält­nis in Ver­bin­dung ste­hen (vgl. HWK/Gott­hardt/Ro­loff 7. Aufl. Anh. §§ 305 - 310 BGB Rn. 12; aA Rie­chert/Nim­mer­jahn Mi­LoG § 3 Rn. 18, die stets Teil­bar­keit an­neh­men).

b) Sind All­ge­mei­ne Geschäfts­be­din­gun­gen ganz oder teil­wei­se un­wirk­sam, bleibt der Ver­trag im Übri­gen wirk­sam (§ 306 Abs. 1 BGB) und rich­tet sich der In­halt des Ver­trags in­so­weit nach den ge­setz­li­chen Vor­schrif­ten (§ 306 Abs. 2 BGB). Ei­ne gel­tungs­er­hal­ten­de Re­duk­ti­on von Klau­seln auf den zulässi­gen In­halt durch die Ge­rich­te fin­det grundsätz­lich nicht statt (vgl. nur BAG 28. Sep­tem­ber 2005 - 5 AZR 52/05 - Rn. 39, BA­GE 116, 66; 16. De­zem­ber

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2014 - 9 AZR 295/13 - Rn. 20, BA­GE 150, 207; 17. März 2016 - 8 AZR 665/14 - Rn. 29; ErfK/Preis 16. Aufl. §§ 305 - 310 BGB Rn. 104; HWK/Gott­hardt/Ro­loff 7. Aufl. § 306 BGB Rn. 4; Bo­nin in Däubler/Bo­nin/Dei­nert AGB-Kon­trol­le im Ar-beits­recht 4. Aufl. § 306 BGB Rn. 18, al­le mwN; krit. Schlewing in Cle­menz/ Kreft/Krau­se AGB - Ar­beits­recht § 306 BGB Rn. 73 ff.).

4. Der Auf­recht­er­hal­tung der Ver­fall­klau­sel für - ab­ge­se­hen vom Min­des­tent­gelt nach § 2 Pfle­ge­ArbbV - al­le an­de­ren von ihr er­fass­ten Ansprüche steht das Trans­pa­renz­ge­bot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB ent­ge­gen.

a) Gibt ei­ne Norm ei­ne ein­deu­ti­ge Gren­ze der Un­wirk­sam­keit vor, stellt die Auf­recht­er­hal­tung des nicht ver­bo­te­nen Teils ei­ner Klau­sel nicht in je­dem Fal­le ei­ne un­zulässi­ge gel­tungs­er­hal­ten­de Re­duk­ti­on dar (vgl. BAG 25. Mai 2005 - 5 AZR 572/04 - zu III 2 der Gründe, BA­GE 115, 19; 21. April 2010 - 10 AZR 288/09 - Rn. 22, BA­GE 134, 147). Dem­ent­spre­chend lässt im Be­reich des Min­dest­l­ohn­ge­set­zes die weit über­wie­gen­de Mei­nung im Schrift­tum ei­ne gel­tungs­er­hal­ten­de Re­duk­ti­on ar­beits­ver­trag­li­cher Aus­schluss­fris­ten­re­ge­lun­gen zu, weil § 3 Satz 1 Mi­LoG die Un­wirk­sam­keit nur „in­so­weit“ an­ord­ne, als Ver­ein­ba­run­gen die Gel­tend­ma­chung des An­spruchs auf den Min­dest­lohn be­schränken oder aus­sch­ließen, er al­so ei­ne gel­tungs­er­hal­ten­de Re­duk­ti­on voll­umfäng­li­cher Ver­fall­klau­seln ermögli­che (Bay­reu­ther NZA 2014, 865, 870; ders. NZA 2015, 385, 387; ErfK/Fran­zen 16. Aufl. § 3 Mi­LoG Rn. 3a; ders. JbAr­bR Bd. 52 S. 89; HK-Mi­LoG/Trümner § 3 Rn. 30; Grei­ner in Thüsing Mi­LoG 2. Aufl. § 3 Rn. 12; Sa­gan/Wit­schen jM 2014, 372, 376; Ne­bel/Klos­ter BB 2014, 2933, 2936; Stof­fels AGB-Recht 3. Aufl. Rn. 1127; wohl auch Preis/Ul­ber aaO S. 55; HWK/Sit­tard 7. Aufl. § 3 Mi­LoG Rn. 4; abl. Schaub/Vo­gel­sang ArbR-HdB 16. Aufl. § 66 Rn. 48).

b) Ob § 9 Satz 3 AEntG ei­ne gel­tungs­er­hal­ten­de Re­duk­ti­on ermöglicht, braucht der Se­nat nicht zu klären, denn der Auf­recht­er­hal­tung der streit­ge­genständ­li­chen Ver­fall­klau­sel für Ansprüche, die nicht sol­che auf das Min­des­tent­gelt nach § 2 Pfle­ge­ArbbV sind, steht das Trans­pa­renz­ge­bot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB ent­ge­gen.

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aa) Gemäß § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB kann sich die zur Un­wirk­sam­keit ei­ner All­ge­mei­nen Geschäfts­be­din­gung führen­de un­an­ge­mes­se­ne Be­nach­tei­li­gung aus der man­geln­den Klar­heit und Verständ­lich­keit der Be­din­gung er­ge­ben. Die­ses Trans­pa­renz­ge­bot schließt das Be­stimmt­heits­ge­bot ein. Es müssen die tat­be­stand­li­chen Vor­aus­set­zun­gen und Rechts­fol­gen so ge­nau be­schrie­ben wer­den, dass für den Ver­wen­der kei­ne un­ge­recht­fer­tig­ten Be­ur­tei­lungs­spielräume ent­ste­hen. Der Ver­trags­part­ner des Klau­sel­ver­wen­ders soll oh­ne frem­de Hil­fe Ge­wiss­heit über den In­halt der ver­trag­li­chen Rech­te und Pflich­ten er­lan­gen und nicht von der Durch­set­zung be­ste­hen­der Rech­te ab­ge­hal­ten wer­den (st. Rspr., vgl. et­wa BAG 17. Au­gust 2011 - 5 AZR 406/10 - Rn. 13, BA­GE 139, 44; 21. Ja­nu­ar 2015 - 10 AZR 84/14 - Rn. 33, BA­GE 150, 286). Ei­ne Klau­sel, die die Rechts­la­ge un­zu­tref­fend oder miss­verständ­lich dar­stellt und auf die­se Wei­se dem Ver­wen­der ermöglicht, be­gründe­te Ansprüche un­ter Hin­weis auf die in der Klau­sel ge­trof­fe­ne Re­ge­lung ab­zu­weh­ren, be­nach­tei­ligt den Ver­trags­part­ner ent­ge­gen den Ge­bo­ten von Treu und Glau­ben un­an­ge­mes­sen (BGH 5. Ok­to­ber 2005 - VIII ZR 382/04 - Rn. 23; 25. No­vem­ber 2015 - VIII ZR 360/14 - Rn. 17 mwN, BGHZ 208, 52).

bb) Ge­mes­sen dar­an ist die Aus­schluss­fris­ten­re­ge­lung des § 22 Ar­beits­ver­trag in­trans­pa­rent. Die Klau­sel stellt die Rechts­la­ge ir­reführend dar und sug­ge­riert dem durch­schnitt­li­chen Ar­beit­neh­mer - selbst wenn er die Klau­sel nicht nur flüch­tig, son­dern auf­merk­sam und sorgfältig be­trach­tet (vgl. BAG 23. Ja­nu­ar 2014 - 8 AZR 130/13 - Rn. 24) -, er müsse auch den An­spruch auf das Min­des­tent­gelt nach § 2 Pfle­ge­ArbbV in­ner­halb der dort vor­ge­se­he­nen Fris­ten außer­ge­richt­lich und ge­richt­lich gel­tend ma­chen. Da­mit be­steht die Ge­fahr, dass bei Ver­strei­chen die­ser Fris­ten der Ar­beit­neh­mer den An­spruch auf das Min­des­tent­gelt nicht mehr durch­setzt, ob­wohl nach § 4 Pfle­ge­ArbbV noch kein Ver­fall ein­ge­tre­ten ist. Um die­ser Ge­fahr vor­zu­beu­gen, muss im An­wen­dungs­be­reich der Pfle­ge­ArbbV der An­spruch auf das Min­des­tent­gelt nach § 2 Pfle­ge­ArbbV von ei­ner ar­beits­ver­trag­li­chen Ver­fall­klau­sel klar und deut­lich aus­ge­nom­men wer­den (zum Min­dest­l­ohn­ge­setz im Er­geb­nis eben­so ErfK/Fran­zen 16. Aufl. § 3 Mi­LoG Rn. 3a; HK-Mi­LoG/Trümner § 3 Rn. 30; Schaub/Vo­gel­sang ArbR-HdB 16. Aufl. § 66 Rn. 48; Ne­bel/Klos­ter BB 2014, 2933, 2936 f.; wohl auch

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Preis/Ul­ber aaO S. 56; aA Grei­ner in Thüsing Mi­LoG 2. Aufl. § 3 Rn. 12; Bay­reu­ther NZA 2015, 385, 387; Sa­gan/Wit­schen jM 2014, 372, 376; Stof­fels ABG-Recht 3. Aufl. Rn. 1127).

5. Ei­ne rechts­kon­for­me Aus­schluss­frist mit­tels ergänzen­der Ver­trags­aus­le­gung ein­zufügen, kommt nicht in Be­tracht. Dies setz­te vor­aus, dass die An­wen­dung der ge­setz­li­chen Vor­schrif­ten und das Un­ter­blei­ben der Ergänzung des Ver­trags kei­ne an­ge­mes­se­ne, den ty­pi­schen In­ter­es­sen der Ver­trags­par­tei­en Rech­nung tra­gen­de Lösung bie­tet (BAG 25. Mai 2005 - 5 AZR 572/04 - zu IV 8 b der Gründe, BA­GE 115, 19). Der Weg­fall der Klau­sel muss den Ver­wen­der über Gebühr be­nach­tei­li­gen und um­ge­kehrt den Ver­trags­part­ner in ei­nem Maße begüns­ti­gen, das durch des­sen schutzwürdi­ge In­ter­es­sen nicht mehr ge­recht­fer­tigt ist (BAG 17. März 2016 - 8 AZR 665/14 - Rn. 31 mwN).

Die­se Vor­aus­set­zun­gen sind nicht erfüllt. Die Pfle­ge­ar­beits­be­din­gun­gen­ver­ord­nung war zum Zeit­punkt des Ver­trags­schlus­ses fast drei Jah­re in Kraft, dem Be­klag­ten als In­ha­ber ei­nes am­bu­lan­ten Pfle­ge­diens­tes wäre es un­schwer möglich ge­we­sen, die Ver­fall­klau­sel so zu for­mu­lie­ren, dass sie den An­spruch auf das Min­des­tent­gelt nach § 2 Pfle­ge­ArbbV aus­nimmt. Die bei Weg­fall der Ver­fall­klau­sel grei­fen­den Verjährungs­re­geln so­wie die Be­stim­mung des § 4 Pfle­ge­ArbbV bie­ten ei­nen hin­rei­chen­den In­ter­es­sen­aus­gleich.

6. Die Kläge­rin hat An­spruch auf Ver­zugs­zin­sen, § 288 Abs. 1, § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Gemäß § 8 Abs. 3 Satz 2 Ar­beits­ver­trag wur­de die Ent­gelt­fort­zah­lung für den Zeit­raum 20. bis 30. No­vem­ber 2013 am 15. Werk­tag des Fol­ge­mo­nats fällig, so dass dies­bezüglich dem An­trag der Kläge­rin mit dem Zins­be­ginn 1. Ja­nu­ar 2014 ent­spro­chen wer­den konn­te. Von der Ent­gelt­fort­zahung für den Zeit­raum 1. bis 15. De­zem­ber 2013 wa­ren 60 % am fünf­ten Werk­tag (§ 8 Abs. 3 Satz 1 Ar­beits­ver­trag) und der Rest am 15. Werk­tag des Ja­nu­ar 2014 fällig. In­so­weit war die Zins­ent­schei­dung der Vor­in­stan­zen zu kor­ri­gie­ren.

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IV. Die Kos­ten­ent­schei­dung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO. 34

 

Müller-Glöge 

Biebl 

We­ber

Jung­bluth 

Zorn

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