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ARBEITSRECHT AKTUELL // 07/51

Kei­ne „Fol­ge­pflicht“ bei Be­triebs­ver­le­gung um 270 km

Auf der Grund­la­ge sei­nes Wei­sungs­rechts kann der Ar­beit­ge­ber nicht ver­lan­gen, dass der Ar­beit­neh­mer in ei­ne an­de­re Stadt um­zieht: Hes­si­sches Lan­des­ar­beits­ge­richt, 14.06.2007, 11 Sa 296/06
Je­den Tag mit dem Flug­zeug zur Ar­beit?

20.09.2007. Der Ar­beit­ge­ber kann im Pri­nip auf der Grund­la­ge sei­nes Wei­sungs­rechts den Ort der Ar­beits­leis­tung ein­sei­tig fest­le­gen.

Prak­tisch kommt das vor al­lem vor, wenn der kom­plet­te Be­trieb an ei­nen an­de­ren Ort ver­legt wird, d.h. um­zieht.

Wird der Be­trieb an ei­nen an­de­ren Ort ver­legt, müs­sen Ar­beit­neh­mer al­ler­dings den vom Ar­beit­ge­ber vor­ge­ge­be­nen Orts­wech­sel nicht oh­ne je­de stre­cken­mä­ßi­ge Be­gren­zung mit­ma­chen. Zwar kann man nicht all­ge­mein sa­gen, dass der Ar­beit­ge­ber den Be­trieb nur in­ner­halb der Gren­zen ei­ner Stadt ver­le­gen darf, da ein Be­trieb kurz hin­ter dem Stadt­rand bei gu­ter Ver­kehrs­an­bin­dung für die Ar­beit­neh­mer zu­mut­bar sein kann.

Aber na­tür­lich ist nicht je­de an­de­re Stadt in­ner­halb Deutsch­lands für die Ar­beit­neh­mer zu­mut­bar. Das gilt je­den­falls dann, wenn der Ar­beits­ver­trag kei­ne deutsch­land­wei­te Orts­wech­sel­klau­sel ent­hält: Hes­si­sches Lan­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 14.06.2007, 11 Sa 296/06.

Müssen Ar­beit­neh­mer ei­ner Be­triebs­ver­la­ge­rung in ei­ne an­de­re Stadt nach­fol­gen?

Ar­beit­ge­ber können Ar­beit­neh­mern im Rah­men ih­res Wei­sungs­rechts nicht nur An­wei­sun­gen bzgl. der Art und Wei­se der Ar­beits­leis­tung ge­ben, son­dern ih­nen auch Vor­ga­ben in Be­zug auf Zeit und Ort der Ar­beit ma­chen.

Frag­lich ist hier im­mer wie­der, wo die Gren­zen die­ses Rechts lie­gen.

Das Ge­setz legt nur fest, dass Wei­sun­gen „bil­li­gem Er­mes­sen“ ent­spre­chen müssen, d.h. an­ge­mes­sen, zu­mut­bar und fair sein müssen. Außer­dem muss der Ar­beit­ge­ber bei sei­nen Wei­sun­gen die Vor­ga­ben des Ar­beits­ver­trags, von Be­triebs­ver­ein­ba­run­gen, Ta­rif­verträgen und Ge­set­zen be­ach­ten (§ 106 Abs. 1 Ge­wer­be­ord­nung - Ge­wO).

Das Hes­si­sche Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) in Frank­furt am Main hat­te die Fra­ge zu klären, wel­che Gren­zen der Ar­beit­ge­ber bei der Fest­le­gung des Orts der Ar­beits­leis­tung zu be­ach­ten hat, wenn er die ge­sam­te Be­triebsstätte in ei­ne an­de­re Stadt ver­legt.

Der Streit­fall: Ar­beit­ge­ber ver­legt den Be­trieb an ei­nen 270 Ki­lo­me­ter ent­fern­ten Ort

Die Kläge­rin war seit En­de der 80er Jah­re bei dem be­klag­ten Ar­beit­ge­ber in der Per­so­nal­ab­tei­lung in ei­ner in Hes­sen ge­le­ge­nen Stadt beschäftigt.

Im Ar­beits­ver­trag fand sich we­der ei­ne aus­drück­li­che Fest­le­gung des Ar­beits­or­tes noch der Vor­be­halt der Ver­set­zung an ei­nen an­de­ren Ar­beits­ort. Tatsächlich hat­te die Kläge­rin, al­ler­dings bis zum Be­ginn der El­tern­zeit, ih­re Ar­beits­leis­tung al­lein am Sitz der Zen­tra­le er­bracht.

Während der El­tern­zeit der Kläge­rin ver­leg­te der Ar­beit­ge­ber sei­nen Sitz von Hes­sen ins Ruhr­ge­biet. Als die Kläge­rin aus der El­tern­zeit zurück­kehr­te, wur­de ihr ein 270 km vom ursprüng­li­chen Ar­beits­ort ent­fern­ter Ar­beits­platz an­ge­bo­ten. Nach­dem die Kläge­rin die­sen ab­lehn­te und vor­sorg­lich ih­re Ar­beits­leis­tung am al­ten Ar­beits­ort an­bot, ver­wei­ger­te der Ar­beit­ge­ber die wei­te­ren Lohn­zah­lun­gen.

Da die Kläge­rin die Ar­beits­leis­tung nicht er­brach­te, ver­wei­ger­te der Ar­beit­ge­ber den Ar­beits­lohn nach dem Grund­satz "oh­ne Ar­beit kein Lohn". Die Kläger mein­te da­ge­gen, ihr stünde trotz­dem der Lohn zu, da der Ar­beit­ge­ber ihr kei­ne ver­trags­gemäße Ar­beit an dem bis­he­ri­gen Ar­beits­ort zu­ge­wie­sen hat­te und sich da­her, so die Kläge­rin, im An­nah­me­ver­zug be­fand. Dem­ent­spre­chend klag­te sie auf Zah­lung des An­nah­me­ver­zugs­lohns gemäß § 611 Bürger­li­ches Ge­setz­buch (BGB) in Ver­bin­dung mit § 615 BGB.

Hes­si­sches Lan­des­ar­beits­ge­richt: Wei­sungs­recht schön und gut, aber 270 Ki­lo­me­ter sind zu weit

Das Hes­si­sche LAG hat der Be­ru­fung der Kläge­rin mit fol­gen­der Be­gründung statt­ge­ge­ben:

Die Kläge­rin leis­te­te zwar während des An­nah­me­ver­zugs­zeit­raums kei­ne Ar­beit, sie hat die Ar­beits­leis­tung ge­genüber der Be­klag­ten aber an­ge­bo­ten, die die Be­klag­te al­ler­dings nicht an­ge­nom­men hat. Die­ses An­ge­bot genügte, da es Sa­che der Be­klag­ten ge­we­sen wäre, der Kläge­rin ei­nen Ar­beits­platz in Hes­sen zur Verfügung zu stel­len.

Der von der Be­klag­ten an­ge­bo­te­ne Ar­beits­platz im Ruhr­ge­biet war nämlich nicht ver­trags­gemäß. Zwar be­inhal­te­te der Ar­beits­ver­trag der Par­tei­en kei­ne aus­drück­li­che Fest­le­gung des Ar­beits­or­tes, al­ler­dings ver­ein­bar­ten die Par­tei­en auch kei­nen Ver­set­zungs­vor­be­halt für die Ver­set­zung an ei­nen an­de­ren Ar­beits­ort.

Enthält der Ar­beits­ver­trag aber kei­ne aus­drück­li­che Ver­ein­ba­rung zum Ort der Ar­beits­leis­tung, ist der Ver­trag nach §§ 133, 157 BGB nach Treu und Glau­ben un­ter Berück­sich­ti­gung der Ver­kehrs­sit­te aus­zu­le­gen. Dies führt vor­lie­gend nach An­sicht des Hes­si­schen LAG zu dem Er­geb­nis, dass das Ar­beits­verhält­nis der Kläge­rin ört­lich auf den (frühe­ren) Sitz der Zen­tra­le in Hes­sen be­zo­gen war und die Kläge­rin aus­sch­ließlich dort, wie bis zum Be­ginn der El­tern­zeit auch tatsächlich ge­sche­hen, ih­re Ar­beits­leis­tung zu er­brin­gen hat­te.

An die­sem Er­geb­nis ändert nichts, dass der Ar­beit­ge­ber sei­ne ge­sam­te Zen­tra­le ein­sch­ließlich der Per­so­nal­ab­tei­lung von Hes­sen in das Ruhr­ge­biet ver­legt hat­te. Denn auch in ei­nem sol­chen Fall sind die in­di­vi­du­al­ver­trag­li­chen Gren­zen hin­sicht­lich des Orts der Ar­beits­leis­tung zu be­ach­ten. Nach An­sicht des Hes­si­schen LAG, das sich da­bei auf ei­ne ver­brei­te­te Mei­nung in der ar­beits­ge­richt­li­chen Recht­spre­chung be­ruft, gibt es kei­ne all­ge­mei­ne „Fol­ge­pflicht“ des Ar­beit­neh­mers und auch kei­ne ent­spre­chen­de Wei­sungs­be­fug­nis des Ar­beit­ge­bers, die un­abhängig von der Ent­fer­nung zwi­schen al­ter und neu­er Be­triebsstätte wäre.

Da­her war das ge­setz­li­che Di­rek­ti­ons­recht des Ar­beit­ge­bers zur Ände­rung des Ar­beits­or­tes nach § 106 Satz 1 Ge­wO auf­grund der hier ge­ge­be­nen recht­li­chen Fest­le­gung der ursprüng­li­chen Un­ter­neh­mens­zen­tra­le als Ort zur Er­brin­gung der Ar­beits­leis­tung ein­ge­schränkt.

So­mit be­fand sich der Ar­beit­ge­ber seit dem En­de der El­tern­zeit der Kläge­rin im An­nah­me­ver­zug und muss­te der Kläge­rin den Lohn auch für die Zeit zah­len, in der die Kläge­rin kei­ne Ar­beits­leis­tung er­brach­te.

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Letzte Überarbeitung: 11. Juni 2020

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