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LAG Ba­den-Würt­tem­berg, Ur­teil vom 16.09.2010, 11 Sa 35/10

   
Schlagworte: Massenentlassungsanzeige, Massenentlassung, Kündigung: Betriebsbedingt
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Aktenzeichen: 11 Sa 35/10
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 16.09.2010
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Freiburg, Urteil vom 23.02.2010, 4 Ca 557/09
   

Lan­des­ar­beits­ge­richt

Ba­den-Würt­tem­berg

- Kam­mern Frei­burg -

 

Verkündet

am 16.09.2010

Ak­ten­zei­chen:

11 Sa 35/10

4 Ca 557/09 (ArbG Frei­burg)

 

Im Na­men des Vol­kes

 

Ur­teil

In dem Rechts­streit

- Be­klag­te/Be­ru­fungskläge­rin -

Proz.-Bev.:

ge­gen

- Kläger/Be­ru­fungs­be­klag­ter -

Proz.-Bev.:

hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt Ba­den-Würt­tem­berg
- Kam­mern Frei­burg - 11. Kam­mer -
durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter
am Lan­des­ar­beits­ge­richt Bern­hard,
die eh­ren­amt­li­che Rich­te­rin Kopf-Prie­be
und den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Türsch­mann
auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 16.09.2010

für Recht er­kannt:

1. Die Be­ru­fung des Klägers ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Frei­burg, vom 23.02.2010, Az.: 4 Ca. 557/09, wird auf sei­ne Kos­ten zurück­ge­wie­sen.

2. Die Re­vi­si­on wird zu­ge­las­sen.

 

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Ur­teil vom 16.09.2010 - 11 Sa 3510 -

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten um die Wirk­sam­keit ei­ner or­dent­li­chen be­triebs­be­ding­ten Ar­beit­ge­berkündi­gung.

Der Kläger, 42 Jah­re alt, war seit 01.02.2006 bei der Be­klag­ten als Lei­ter Fi­nan­zen und zen­tra­le Diens­te ge­gen ei­ne durch­schnitt­li­che Brut­to­mo­nats­vergütung von 8.916,67 € beschäftigt. Am 27.08.2009 be­schloss die Ge­sell­schaf­ter­ver­samm­lung der Be­klag­ten die so­for­ti­ge Sch­ließung der von ihr be­trie­be­nen on­ko­lo­gi­schen Fach­kli­nik, in der es kei­nen Be­triebs­rat gab. Be­reits am Fol­ge­tag zeig­te die Be­klag­te ge­genüber der Agen­tur für Ar­beit die Ent­las­sung ih­rer Be­leg­schaft an. In dem von ihr ver­wen­de­ten For­mu­lar gab sie an, bei ihr sei­en in der Re­gel 67 und zum Zeit­punkt der An­zei­ge 66 Ar­beit­neh­mer beschäftigt. Es sei be­ab­sich­tigt, am 31.08.2009 66 Ar­beit­neh­mer zu ent­las­sen.

Mit Schrei­ben vom 31.08.2009 kündig­te die Be­klag­te so­dann das Ar­beits­verhält­nis mit dem Kläger zum 28.02.2010 und sprach zu­gleich und bis zum 29.09.2009 wei­te­re ins­ge­samt 57 Kündi­gun­gen aus. Die zunächst nicht gekündig­ten Mit­ar­bei­ter be­fan­den sich in Mut­ter­schutz oder El­tern­zeit und konn­ten in­fol­ge Son­derkündi­gungs­schut­zes nicht so­fort gekündigt wer­den.

Un­ter dem 31.08.2009 bestätig­te die Agen­tur für Ar­beit den Ein­gang der Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge und for­der­te die Be­klag­te auf, ei­ne Lis­te der zur Ent­las­sung vor­ge­se­he­nen Mit­ar­bei­ter vor­zu­le­gen. Nach Ein­gang die­ser Lis­te stell­te der zuständi­ge Sach­be­ar­bei­ter der Agen­tur fest, dass nur 58 Mit­ar­bei­ter auf­geführt wa­ren und kor­ri­gier­te auf te­le­fo­ni­sche Nach­fra­ge bei der Be­klag­ten am 10.09.2009 das For­mu­lar der Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge da­hin­ge­hend, dass er die Zahl der re­gelmäßig Beschäftig­ten, der zum Zeit­punkt der Kündi­gung Beschäftig­ten und der ins­ge­samt und am 31.08.2009 zu Kündi­gen­den je­weils hand­schrift­lich in 58 abänder­te. Mit Be­scheid vom 17.09.2009 setz­te die Agen­tur für Ar­beit so­dann den Ab­lauf der Ent­las­sungs­sper­re nach § 18 KSchG für 58 Ar­beit­neh­mer auf den 28.09.2009 fest.

Der Kläger hat die Kündi­gung we­gen feh­ler­haf­ter Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge für un­wirk­sam ge­hal­ten und be­an­tragt,

 

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Ur­teil vom 16.09.2010 - 11 Sa 3510 -

Es wird fest­ge­stellt, dass das Ar­beits­verhält­nis zwi­schen den Par­tei­en nicht durch or­dent­li­che Kündi­gung der Be­klag­ten vom 31.08.2009 mit Ab­lauf des 28.02.2010 en­den wird.

Die Be­klag­te hat Klag­ab­wei­sung be­an­tragt und die Auf­fas­sung ver­tre­ten, die ursprüng­lich un­rich­ti­gen Zah­len­an­ga­ben mach­ten we­der die Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge feh­ler­haft, noch gar die Kündi­gung rechts­un­wirk­sam.

Bezüglich wei­te­rer Ein­zel­hei­ten des Par­tei­en­vor­brin­gens ers­ter In­stanz wird auf die dort ge­wech­sel­ten Schriftsätze nebst An­la­gen so­wie auf den Tat­be­stand des an­ge­grif­fe­nen Ur­teils ver­wie­sen.

Das Ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge ab­ge­wie­sen und aus­geführt, die Be­klag­te ha­be die er­for­der­li­che Mas­sen­ent­las­sung vor Aus­spruch der Kündi­gung ord­nungs­gemäß an­ge­zeigt. We­sent­lich sei, dass al­le Kündi­gun­gen, die die Be­klag­te am 31.08.2009 bzw. in den Fol­ge­ta­gen aus­ge­spro­chen ha­be, von der Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge er­fasst ge­we­sen sei­en und zwar des­halb, weil die Zah­len, die die Be­klag­te an­ge­ge­ben hat­te, zu hoch ge­we­sen sei­en. Die fal­sche An­ga­be ha­be die Ar­beits­ver­wal­tung nicht dar­an ge­hin­dert, durch recht­zei­ti­ge und ge­ziel­te Maßnah­men das Ent­ste­hen größerer Ar­beits­lo­sig­keit zu ver­mei­den oder zu verzögern, der ar­beits­markt­po­li­ti­sche Zweck der Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge sei da­mit erfüllt ge­we­sen. Da der Sach­be­ar­bei­ter der Ar­beits­ver­wal­tung die hand­schrift­li­chen Kor­rek­tu­ren selbst vor­ge­nom­men und die ursprüng­li­che An­zei­ge un­ter Berück­sich­ti­gung der Kor­rek­tu­ren be­ar­bei­tet ha­be, ha­be er in­ci­dent fest­ge­stellt, dass ei­ne wirk­sa­me Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge vor­lag. An die­se Ent­schei­dung sei­en die Ge­rich­te für Ar-beits­sa­chen ge­bun­den.

Der Kläger hat ge­gen das ihm am 06.04.2010 zu­ge­stell­te Ur­teil des Ar­beits­ge­richts am 04.05.2010 Be­ru­fung ein­ge­legt und sie am 11.05.2010 be­gründet. Er bleibt bei sei­ner Rechts­auf­fas­sung, die Kündi­gung sei we­gen feh­ler­haf­ter Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge un­wirk­sam. § 17 Abs. 3 Satz 4 KSchG for­de­re als zwin­gen­de Min­destan­ga­ben un­ter an­de­rem die Zahl der zu kündi­gen­den und der in der Re­gel beschäftig­ten Ar­beit­neh­mer. Feh­le ei­ner der in § 17 Abs. 3 Satz 4 KSchG auf­geführ­ten Punk­te sei die An­zei­ge un­wirk­sam. Zwar könne der Ar­beit­ge­ber die un­ter­las­se­nen An­ga­ben nach­ho­len, die An­zei­ge sei dann aber erst mit ih­rer Ver­vollständi­gung wirk­sam er­ho­ben. Zwar ha­be die Be­klag­te ei­ne Zahl der zu ent­las­sen­den Mit­ar­bei­ter an­ge­ge­ben, die­se sei aber falsch ge­we­sen. Erst mit der Kor­rek­tur durch den Sach­be­ar­bei­ter der Ar­beits­agen­tur am

 

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Ur­teil vom 16.09.2010 - 11 Sa 3510 -

10.09.2009 ha­be des­halb ei­ne wirk­sa­me Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge vor­ge­le­gen, erst da­nach hätte die Be­klag­te wirk­sam kündi­gen können. So­weit das Ar­beits­ge­richt da­ge­gen die Kor­rek­tur für möglich ge­hal­ten ha­be, weil die fal­sche An­ga­be nicht das ge­setz­ge­be­risch ver­folg­te Ziel be­ein­flusst hätte, berück­sich­ti­ge dies nicht, dass Sinn und Zweck der Re­ge­lung der §§ 17 f. KSchG nicht al­lein die Ermögli­chung ar­beits­markt­li­cher Maßnah­men sei und im öffent­li­chen In­ter­es­se lie­ge. Denn die Re­ge­lun­gen der Richt­li­nie 98/59/ÄG ziel­ten gemäß der Erwägungs­gründe 2 und 7 dar­auf, den Schutz der Ar­beit­neh­mer bei Mas­sen­ent­las­sun­gen zu verstärken. Wenn aber Schutz­zweck des § 17 KSchG in ers­ter Li­nie der in­di­vi­du­el­le Schutz des be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mers sei, ver­wirk­li­che sich die­ser Schutz da­durch, dass ei­ne Kündi­gung erst nach wirk­sa­mer An­zei­ge nach § 17 KSchG möglich sei. Das Ar­beits­ge­richt hätte auch nicht oh­ne Wei­te­res da­von aus­ge­hen dürfen, dass die Agen­tur für Ar­beit den An­trag be­reits vor dem 10.09.2009 für be­ar­bei­tungs­reif an­ge­se­hen ha­be, der Be­scheid vom 17.09.2010 las­se sich hierüber nicht aus. Schon des­halb könne von ei­ner Bin­dungs­wir­kung des Ar­beits­ge­richts an die Ent­schei­dung der Ar­beits­ver­wal­tung nicht aus­ge­gan­gen wer­den. Ei­ne sol­che Bin­dungs­wir­kung sei aber auch des­halb nicht an­zu­neh­men, weil der Be­scheid vom 17.09.2009 dem Kläger nicht zu­ge­stellt wor­den sei, er al­so kei­ne Ein­wen­dun­gen ha­be er­he­ben können, aber auch des­halb nicht, weil nicht nur ein Sach­be­ar­bei­ter, son­dern der Geschäftsführer der Agen­tur für Ar­beit nach § 20 KSchG die Ent­schei­dung hätte tref­fen müssen, was nicht ge­sche­hen sei, wes­halb der Ver­wal­tungs­akt of­fen­sicht­lich mit schwe­ren Feh­lern be­haf­tet ge­we­sen sei.

Der Kläger stellt dem zu­fol­ge den An­trag:

Das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Frei­burg, Az.: 4 Ca 557/09 vom 23.02.2010 wird ab­geändert.

Es wird fest­ge­stellt, dass das Ar­beits­verhält­nis zwi­schen den Par­tei­en nicht durch or­dent­li­che Kündi­gung der Be­klag­ten vom 31.08.2009 mit Ab­lauf des 28.02.2010 ge­en­det hat.

Die Be­klag­te be­an­tragt,

die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen.

Sie ver­weist auf die Ent­schei­dung des Bun­des­ar­beits­ge­richts vom 22.03.2001, wo­nach fal­sche An­ga­ben des Ar­beit­ge­bers in ei­ner Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge über die An­zahl der in der Re­gel

 

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Ur­teil vom 16.09.2010 - 11 Sa 3510 -

beschäftig­ten bzw. der zu ent­las­sen­den Ar­beit­neh­mer re­gelmäßig fol­gen­los blei­be, wenn die Ar­beits­ver­wal­tung da­durch bei der sach­li­chen Prüfung nicht be­ein­flusst wor­den sei. Hier­von müsse an­ge­sichts der kon­kre­ten Be­rech­nung der Sperr­frist im Be­scheid vom 17.09. aus­ge­gan­gen wer­den, weil ei­ne kürze­re, als ei­ne ein­mo­na­ti­ge Sperr­frist be­gin­nend mit dem Ein­gang der rechts­wirk­sa­men An­zei­ge nicht möglich sei. Selbst wenn dies dem Be­scheid nicht ein­deu­tig zu ent­neh­men sei, er­ge­be sich aus dem Er­lass des Be­scheids durch die Vor­sit­zen­de der Geschäftsführung der Agen­tur für Ar­beit, dass der gemäß § 20 Abs. 2 KSchG zuständi­ge Aus­schuss die Ent­schei­dung ge­trof­fen ha­be. Selbst wenn aber der Be­scheid der Agen­tur für Ar­beit feh­ler­haft ge­we­sen wäre, hätte dies kei­nen Ein­fluss auf die Wirk­sam­keit der Kündi­gung ge­habt. Die Vor­schrif­ten der §§ 17 f. KSchG ver­folg­ten nämlich ei­nen ar­beits­markt­po­li­ti­schen Zweck, Sinn und Zweck der An­zei­ge sei es primär, die Agen­tur für Ar­beit bes­ser auf Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­gen re­agie­ren las­sen zu können. Die Verstärkung des Schut­zes der Ar­beit­neh­mer bei Mas­sen­ent­las­sun­gen be­ste­he ge­ra­de dar­in, dass die Ar­beits­agen­tur durch die Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge auf ei­ne Be­wer­ber­flut vor­be­rei­tet wer­de und ent­spre­chen­de Maßnah­men er­grei­fen könne. Ge­nau da­durch wer­de der persönli­che Schutz der von ei­ner Mas­sen­ent­las­sung be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mers gewähr­leis­tet.

Bezüglich wei­te­rer Ein­zel­hei­ten des Par­tei­en­vor­brin­gens in der Be­ru­fung wird auf de­ren Be­gründung so­wie auf die Er­wi­de­rung hier­auf ver­wie­sen.

 

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Ent­schei­dungs­gründe:

Die form- und frist­ge­recht ein­ge­reich­te und aus­geführ­te und so­mit zulässi­ge Be­ru­fung des Klägers ist un­be­gründet. Das Ar­beits­ge­richt hat im Er­geb­nis und mit zu­tref­fen­der Be­gründung zu Recht ent­schie­den, dass das Ar­beits­verhält­nis zwi­schen den Par­tei­en durch die Kündi­gung der Be­klag­ten vom 31.08.2009 mit Frist­ab­lauf am 28.02.2010 ge­en­det hat, was auch nicht an dem ein­zi­gen Streit­punkt zwi­schen den Par­tei­en schei­ter­te, nämlich der Fra­ge, ob die Be­klag­te vor Aus­spruch der Kündi­gung ei­ne ord­nungs­gemäße Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge bei der Agen­tur für Ar­beit er­stat­tet hat. Auf die Ausführun­gen des Ar­beits­ge­richts hier­zu in den Ent­schei­dungs­gründen des an­ge­grif­fe­nen Ur­teils wird voll­umfäng­lich ver­wie­sen. Nur im Hin­blick auf die Ein­wen­dun­gen des Klägers in der Be­ru­fung ist ergänzend auf fol­gen­des hin­zu­wei­sen:

1. Die Par­tei­en und auch das Ar­beits­ge­richt gin­gen erst­in­stanz­lich of­fen­sicht­lich da­von aus, dass die Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge der Be­klag­ten in­so­weit feh­ler­haft war, als die An­ga­ben hin­sicht­lich der An­zahl der re­gelmäßig im Be­trieb Beschäftig­ten, der An­zahl der zum Zeit­punkt der Kündi­gung beschäftig­ten und der An­zahl der zu ent­las­sen­den Ar­beit­neh­mer nicht den tatsächli­chen Ge­ge­ben­hei­ten und der tatsächli­chen Ab­sicht der Be­klag­ten ent­spra­chen und erst am 10.09.2009 nach te­le­fo­ni­scher Rück­fra­ge vom Sach­be­ar­bei­ter der Agen­tur für Ar­beit be­rich­tigt wor­den sind. In der Be­ru­fungs­ver­hand­lung wur­de dies hin­sicht­lich der An­ga­ben der vor­han­de­nen Beschäfti­gungs­zah­len zu­min­dest in Fra­ge ge­stellt. Wie die Be­klag­te nun­mehr in der münd­li­chen Ver­hand­lung ausführ­te, wa­ren zum Zeit­punkt der Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge tatsächlich 67 Ar­beit­neh­mer re­gelmäßig und 66 Ar­beit­neh­mer tatsächlich beschäftigt. Die am 10.09.2009 durch den Sach­be­ar­bei­ter der Agen­tur für Ar­beit vor­ge­nom­me­ne Kor­rek­tur hätte dann aber erst zur dies­bezügli­chen Un­rich­tig­keit der Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge geführt. Der Kläger konn­te sich in der Be­ru­fungs­ver­hand­lung hier­zu in­halt­lich nicht äußern, ob­wohl ihm an und für sich als Lei­ter Zen­tra­le Diens­te und Fi­nan­zen die Sachnähe zu­ge­spro­chen wer­den müss­te, um die An­zahl der im Be­trieb zum Zeit­punkt der Kündi­gun­gen re­gelmäßig beschäftig­ten Ar­beit­neh­mer ken­nen zu können. Wären die An­ga­ben der Be­klag­ten in der Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge in­so­weit aber zu­tref­fend ge­we­sen und hätte erst der Sach­be­ar­bei­ter der Agen­tur für Ar­beit ei­ne feh­ler­haf­te Kor­rek­tur vor­ge­nom­men, so wäre die Feh­ler­haf­tig­keit der Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge in die­ser Hin­sicht nicht der Be­klag­ten zu­zu-

 

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rech­nen, sie könn­te nicht zur Un­wirk­sam­keit der Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge führen und dem­zu­fol­ge auch nicht zur Un­wirk­sam­keit der Kündi­gung.

2. Nichts an­de­res würde aber gel­ten, hätte die Be­klag­te die An­zahl der re­gelmäßig und der zum Zeit­punkt der be­ab­sich­tig­ten Mas­sen­ent­las­sung beschäftig­ten Ar­beit­neh­mer selbst zu hoch an­ge­ge­ben. Die fal­sche An­ga­be der im Be­trieb re­gelmäßig beschäftig­ten Ar­beit­neh­mer führt nicht zur Un­wirk­sam­keit der An­zei­ge, wenn die Agen­tur für Ar­beit da­durch bei ei­ner sach­li­chen Prüfung nicht be­ein­flusst wur­de (BAG, 21.03.2001, 8 AZR 565/00, AP Nr. 59 zu Ar­ta 101 GG; Lem­ke-Ober­win­ter, § 17 KSchG, Rz. 125; KR-Wei­gand, § 17 KSchG, Rz. 83). Wäre die An­ga­be der re­gelmäßig und ak­tu­ell beschäftig­ten Ar­beit­neh­mer in der Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge der Be­klag­ten zu hoch ge­we­sen, hätte dies im kon­kre­ten Fall kei­ner­lei Aus­wir­kun­gen auf die Ar­beit der Agen­tur für Ar­beit ha­ben können. Nur dann, wenn we­gen zu ho­her An­ga­be der re­gelmäßig Beschäftig­ten im Verhält­nis zur Zahl der zu Kündi­gen­den kei­ne Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge er­for­der­lich ge­we­sen wäre und die Agen­tur für Ar­beit sich des­halb ver­an­lasst ge­se­hen hätte, ein Ne­ga­ti­vat­test zu er­tei­len, wäre ei­ne Be­ein­flus­sung der Ar­beit der Agen­tur in Be­tracht ge­kom­men. Ob nun aber ei­ne Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge nach den §§ 17 ff. er­for­der­lich ist, hängt vom Verhält­nis der zu ent­las­sen­den Mit­ar­bei­ter zu den re­gelmäßig beschäftig­ten Mit­ar­bei­tern ab. So­weit nicht we­ni­ger als 20 Mit­ar­bei­ter im Be­trieb re­gelmäßig beschäftigt sind, kann ei­ne überhöhte An­ga­be der re­gelmäßig Beschäftig­ten nur Aus­wir­kun­gen auf die Ar­beit der Agen­tur für Ar­beit ha­ben, wenn im Verhält­nis zur Zahl der zu ent­las­sen­den Mit­ar­bei­ter der ge­setz­lich vor­ge­se­he­ne Pro­zent­satz un­ter­schrit­ten ist, der ei­ne Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge er­for­der­lich macht. Da­von könn­te vor­lie­gend auch dann nicht aus­ge­gan­gen wer­den, wenn die Zahl der re­gelmäßig Beschäftig­ten im Be­trieb der Be­klag­ten tatsächlich nicht 67, son­dern le­dig­lich 58 be­tra­gen hätte. Die Ent­las­sung von dann an­ge­ge­be­nen 66 Ar­beit­neh­mer wäre in die­sem Fal­le un­denk­bar, weil sie 100 % über­schrei­ten würde, die Ent­las­sung von 58 Ar­beit­neh­mern ergäbe je­den­falls 100 %. In bei­den Fällen wäre da­von aus­zu­ge­hen, dass al­le Beschäftig­ten ent­las­sen wer­den soll­ten, die Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge al­so zwin­gend be­ar­bei­tet wer­den muss­te.

3. Un­strei­tig hat die Be­klag­te in der Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge aber die Zahl der zu ent­las-sen­den Mit­ar­bei­ter zu hoch an­ge­ge­ben, weil sie nicht berück­sich­tig­te, dass 8 Ar­beit­neh­me-rin­nen we­gen Mut­ter­schutz bzw. El­tern­zeit zum vor­ge­se­he­nen Zeit­punkt nicht gekündigt wer­den konn­ten. Auch die­se Feh­ler­haf­tig­keit führt nicht zur Un­wirk­sam­keit der Mas­sen­ent

 

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las­sungs­an­zei­ge und da­mit auch nicht zur Un­wirk­sam­keit der streit­ge­genständ­li­chen Kündi­gung.

Rich­tig ist, dass die An­ga­be der Zahl der zu ent­las­sen­den Ar­beit­neh­mer zu den so­ge­nann­ten „Muss­an­ga­ben" des § 17 Abs. 3 Ziff. 4 KSchG zählt. Rich­tig ist auch, dass die herr­schen­de Mei­nung da­von aus­geht, dass in­halt­li­che Feh­ler in die­sen Punk­ten zur Rechts­un­wirk­sam­keit der Kündi­gun­gen führen (Kitt­ner/Dei­nert, § 17 KSchG, Rz. 43; von Ho­y­nin­gen-Hue­ne/Link, § 17 KSchG, Rn. 84, KR Wei­gand Rn. 83, APS/ Moll, § 17 KSchG, Rn. 100). Zwin­gend ist dies al­ler­dings nicht. Mit be­acht­li­cher Be­gründung weist bei­spiels­wei­se Lem­ke- Ober­win­ter (§ 17 KSchG Rz. 115 und 125) dar­auf hin, dass ob­jek­tiv fal­sche An­ga­ben dann un­er­heb­lich sei­en, wenn der Ar­beit­ge­ber die aus sei­ner Sicht im Zeit­punkt der Er­stat­tung der An­zei­ge zu­tref­fen­den An­ga­ben ge­macht hat, wo­von ge­ra­de im vor­lie­gen­den Fal­le aus­ge­gan­gen wer­den kann, weil die Be­klag­te in der Tat al­len Mit­ar­bei­tern kündi­gen woll­te, auch den Mit­ar­bei­tern, die sich in Kündi­gungs­schutz be­fan­den und in­so­weit le­dig­lich ei­nem recht­li­chem Irr­tum un­ter­lag, als sie nicht be­ach­te­te, dass in der Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge nach dem Form­blatt der Agen­tur für Ar­beit nicht al­le be­ab­sich­tig­ten Ent­las­sun­gen auf­zuführen wa­ren, son­dern le­dig­lich die, die mit dem 31.08.2009 in Gang ge­setzt wer­den soll­ten.

Letzt­lich muss­te die Kam­mer sich nicht endgültig ent­schei­den, ob sie der Mei­nung von Lem­ke-Ober­win­ter fol­gen woll­te, weil ih­rer Auf­fas­sung nach je­den­falls auch bei der feh­ler­haf­ten An­ga­be der Zahl der zu ent­las­sen­den Mit­ar­bei­ter die Ent­schei­dung des Bun­des­ar­beits­ge­richts vom 22.03.2001 (8 AZR 566/00, AP Nr. 59 zu Art. 101 GG) in­so­weit an­zu­wen­den ist, als Feh­ler in der Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge auch hier nur zur Un­wirk­sam­keit der An­zei­ge und da­mit in der Fol­ge zur Un­wirk­sam­keit aus­ge­spro­che­ner Kündi­gun­gen führen können, wenn die feh­ler­haf­ten An­ga­ben Aus­wir­kun­gen auf die Ar­beit der Agen­tur für Ar­beit ha­ben konn­te. Von Letz­te­rem ist auch in­so­weit nicht aus­zu­ge­hen.

Durch den zwin­gend er­for­der­li­chen in § 17 Abs. 3 Satz 4 KSchG ab­sch­ließend ge­re­gel­ten In­halt soll si­cher­ge­stellt wer­den, dass der mit der Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge er­streb­te ar-beits­markt­po­li­ti­sche Zweck er­reicht wer­den kann. Die Agen­tu­ren für Ar­beit sol­len auf die­se Wei­se in die La­ge ver­setzt wer­den, vor­aus­schau­en­de Ar­beits­ver­mitt­lung und an­de­re Maß-nah­men ein­zu­lei­ten, um die Fol­gen der Mas­sen­ent­las­sung von den be­trof­fe­nen Ar­beit­neh-mern möglichst ab­zu­wen­den (vgl. BR-Druck­sa­che 400/77, S. 8 = RdA 1978 36; BT-

 

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Ur­teil vom 16.09.2010 - 11 Sa 3510 -

Druck­sa­che 8/1041, S. 5; von Ho­y­nin­gen-Hue­ne, § 17 KSchG Rz. 84). Die An­ga­be ei­ner überhöhten Zahl der zu ent­las­sen­den Mit­ar­bei­ter kann den so be­schrie­be­nen ar­beits­markt-po­li­ti­schen Zweck nicht ver­ei­teln, schon gar nicht in ei­nem die be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer nach­tei­lig tan­gie­ren­den Sin­ne. Wenn die Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge die Agen­tur für Ar­beit in die La­ge ver­set­zen soll, Ar­beits­ver­mitt­lungs- und an­de­re Maßnah­men ein­zu­lei­ten, um die Fol­gen der Mas­sen­ent­las­sung möglichst ab­zu­wen­den, wird sie nicht durch überhöhte An­ga­ben, und schon gar nicht bei ei­ner so ge­ringfügi­gen Überhöhung wie vor­lie­gend, da­von ab­ge­hal­ten, die not­wen­di­gen Tätig­kei­ten zu ent­wi­ckeln. Aus der kon­kre­ten Re­ak­ti­on der Agen­tur für Ar­beit durch Be­scheid vom 17.09.2009 kann auch nicht das Ge­rings­te dafür ent­nom­men wer­den, dass sich die Agen­tur in ih­rer Sach­be­ar­bei­tung be­hin­dert ge­se­hen hätte, sie hat viel­mehr die Min­dest­sperr­frist verhängt, be­gin­nend mit dem Ein­gang der, wenn auch in­halt­lich teil­wei­se feh­ler­haf­ten, Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge und da­mit ge­zeigt, dass sie sich zum Zeit­punkt des Ein­gangs der An­zei­ge in der La­ge sah, die ihr auf­er­leg­te Ar­beit zu ver­rich­ten.

4. An dem vor­ge­fun­de­nen Er­geb­nis ändert sich auch nichts, berück­sich­tigt man die Richt­li­nie 98/59/EG. Auch wenn rich­tig ist, dass die dor­ti­gen Re­ge­lun­gen den Schutz der Ar­beit­neh­mer bei Mas­sen­ent­las­sun­gen verstärken sol­len, kann dies nicht zu mehr führen, als da­zu, dass ei­ne Ent­las­sung außer­halb der An­ga­ben zur An­zahl und zu den Be­rufs­grup­pen der zu ent­las­sen­den Ar­beit­neh­mer von der Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge nicht ge­deckt ist, so dass im Hin­blick auf ei­ne sol­che Ent­las­sung kei­ne Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge vor­liegt und die sich aus ei­nem der­ar­ti­gen Ge­set­zes­ver­s­toß er­ge­ben­den Rechts­fol­gen ein­tre­ten. Hat aber die Be­klag­te wie vor­lie­gend ei­ne zu ho­he An­zahl der zu ent­las­sen­den Mit­ar­bei­ter in die Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge auf­ge­nom­men, so ist je­den­falls auch die be­ab­sich­tig­te Ent­las­sung des Klägers wie der al­ler an­de­ren 57 gekündig­ten Ar­beit­neh­mer von der Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge ge­deckt, der Schutz al­ler gekündig­ter Ar­beit­neh­mer durch die er­for­der­li­che Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge ist mit­hin gewähr­leis­tet.

5. Das Be­ru­fungs­ge­richt konn­te nach dem vor­ste­hen­den Er­geb­nis of­fen las­sen, ob es be­reits durch die Ent­schei­dung der Agen­tur für Ar­beit vom 17.09.2009 an die­se ge­bun­den war oder ob Feh­ler in der Be­schluss­fas­sung durch die Agen­tur der Ar­beit ei­ne Bin­dungs­wir­kung aus­sch­ließen konn­ten, denn even­tu­el­le Feh­ler in der Wil­lens­bil­dung der Agen­tur für Ar­beit, die

 

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nicht vom Ar­beit­ge­ber ver­an­lasst wur­den, können je­den­falls die Wirk­sam­keit aus­ge­spro­che­ner Kündi­gun­gen nicht tan­gie­ren.

Die Zurück­wei­sung der Be­ru­fung führ­te zur Kos­ten­fol­ge des § 97 ZPO.

Das Be­ru­fungs­ge­richt hält die ent­schie­de­ne Fra­ge der Aus­wir­kun­gen zu ho­her Zah­len­an­ga­ben in der Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge auf die Wirk­sam­keit aus­ge­spro­che­ner Kündi­gun­gen für grundsätz­lich und hat des­halb die Re­vi­si­on zu­ge­las­sen.

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