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Stuttgarter LAG contra Bundesarbeitsgericht
10.11.2016. Juristische Meinungsverschiedenheiten werden im Arbeitsrecht normalerweise nur so lange engagiert ausgetragen, bis sich das Bundesarbeitsgericht (BAG) zu der Streitfrage äußert. Dann ist normalerweise Ruhe, da die Arbeits- und Landesarbeitsgerichte ab diesem Zeitpunkt im Sinne des BAG entscheiden.
Anders ist es bei der Streitfrage, ob jedes vergangene Arbeitsverhältnis, auch wenn es noch so lange in der Vergangenheit zurückliegt, die sachgrundlose Befristung eines erneuten Arbeitsverhältnisses verbietet, wie sich das eigentlich aus § 14 Abs.2 Satz 2 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) ergibt.
Denn obwohl das BAG im Jahre 2011 entschieden hat, dass ein vergangenes Arbeitsverhältnis der sachgrundlosen Befristung eines neuen Arbeitsvertrags nicht im Wege steht, wenn das vergangene Arbeitsverhältnis länger als drei Jahre zurückliegt (wir berichteten in Arbeitsrecht aktuell: 11/074 Sachgrundlose Befristung von Arbeitsverträgen erleichtert), halten viele Untergerichte weiter am Gesetzeswortlaut fest. Und der spricht gegen die Ansicht des BAG.
So haben zwei Kammern des LAG Baden-Württemberg 2013 und 2014 klargestellt, dass sie ihrem Gesetzesverständnis und nicht dem BAG folgten (wir berichteten in Arbeitsrecht aktuell: 14/115 Sachgrundlose Befristung und Vorbeschäftigung). Vor kurzem hat sich die dritte Kammer des Stuttgarter LAG den Befristungsrebellen angeschlossen: LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 13.10.2016, 3 Sa 34/16.
- Streit um das Vorbeschäftigungsverbot bei der sachgrundlosen Befristung
- Der Streitfall: Verkäuferin wird nach über fünfjähriger Pause erneut befristet eingestellt
- Auch die dritte Kammer des LAG Baden-Württemberg macht eine zeitliche Befristung des Vorbeschäftigungsverbots nicht mit
Streit um das Vorbeschäftigungsverbot bei der sachgrundlosen Befristung
Arbeitsverträge können gemäß § 14 Abs.2 TzBfG bei Neueinstellungen bis zur Gesamtdauer von zwei Jahren ohne Sachgrund befristet werden, während der Arbeitgeber bei länger dauernden Befristungen sachliche Gründe für die Vermeidung eines unbefristeten Arbeitsvertrags braucht.
Was Neueinstellungen sind, drückt das Gesetz in § 14 Abs.2 TzBfG negativ aus: Keine Neueinstellung liegt vor, wenn zwischen den Arbeitsvertragsparteien schon einmal ("zuvor") ein Arbeitsverhältnis bestanden hat. Dann ist eine sachgrundlose Befristung unzulässig, weil sie gegen das Vorbeschäftigungsverbot bzw. Anschlussverbot verstoßen würde: § 14 Abs.2 TzBfG lautet:
"Eine Befristung nach Satz 1 ist nicht zulässig, wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden hat."
Nach der überraschenden Kehrtwende, die das BAG mit seinem Urteil vom 06.04.2011 (7 AZR 716/09) vollzogen hat, ist das Wort "zuvor" im Sinne von "vor nicht allzu langer Zeit" zu verstehen. Dabei propagiert das BAG in freier Rechtsschöpfung eine Dreijahresgrenze: Eine sachgrundlose Befristung scheitert nicht an früheren Arbeitsverhältnissen, wenn diese länger als drei Jahre zurückliegen (wir berichteten in Arbeitsrecht aktuell: 11/074 Sachgrundlose Befristung von Arbeitsverträgen erleichtert).
Mit dieser Dreijahresgrenze ist nach Ansicht ihrer Befürworter rechtlich genug getan, um einen Missbrauch sachgrundloser Befristungen in Form von Kettenbefristungen zu verhindern. Dass ein Unterunternehmen vor 20 Jahren einmal einen Arbeitnehmer als Werkstudent beschäftigt hat, steht dementsprechend eine sachgrundlosen Befristung nicht im Wege.
So vernünftig diese Überlegungen auch sein mögen - der Gesetzgeber hat sich im Jahre 2000 bei der Reform des Befristungsrechts anders entschieden. Denn die Möglichkeit einer Karenzzeit von einigen Jahren wurde im Gesetzgebungsverfahren diskutiert, fand aber keine Zustimmung. So hatte der Sachverständige Prof. Preis eine zweijährige Karenzzeit angeregt (Bundestag Drucks. 14/4625, S.18) und die FDP kritisierte an der Regelung, dass künftig "jeder Betrieb nachprüfen müsse, ob er den betreffenden Arbeitnehmer bereits als Aushilfskraft beschäftigt habe" (Bundestag Drucks. 14/4625, S.20).
Die BAG-Rechtsprechung in dieser Frage ist daher mehr als zweifelhaft. Es sieht ganz so aus, als ob das BAG damit gegen die verfassungsrechtlich vorgeschriebene Gesetzesbindung der Justiz (Art.20 Abs.3 GG) verstößt. Kein Wunder, dass viele Untergerichte dem BAG die Gefolgschaft verweigern.
Der Streitfall: Verkäuferin wird nach über fünfjähriger Pause erneut befristet eingestellt
Im Streitfall hatte einer Verkäuferin geklagt, die von Ende 2008 bis Mitte 2009 bei einem Einzelhandelsgeschäft beschäftigt war und nach über fünfjähriger Pause im September 2014 erneut eingestellt wurde, und zwar auf der Grundlage eines sachgrundlos bis September 2015 befristeten Arbeitsvertrags.
Im Verlauf des Arbeitsverhältnisses wurde die Verkäuferin schwanger und befand sich gegen Ende des befristeten Arbeitsverhältnisses im Mutterschutz. Die von ihr beantragte zweijährige Elternzeit wollte der Arbeitgeber nicht bewilligen, da er die Befristung zum 30.09.2015 für wirksam hielt. Die Verkäuferin erhob Entfristungsklage, die das Arbeitsgericht Pforzheim allerdings abwies (Arbeitsgerichts Pforzheim, Urteil vom 13.04.2016, 6 Ca 395/15 ). Darauf legte die Verkäuferin Berufung zum LAG Baden-Württemberg ein.
Auch die dritte Kammer des LAG Baden-Württemberg macht eine zeitliche Befristung des Vorbeschäftigungsverbots nicht mit
Die Stuttgarter Richter hoben das Urteil des Arbeitsgerichts Pforzheim auf, stellten den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses fest und verurteilten den Arbeitgeber dazu, einen rückständigen Zuschuss zum Mutterschaftsgeld in Höhe von 144,00 EUR zu zahlen (Urteil vom 13.10.2016, 3 Sa 34/16). Der unterlegene Arbeitgeber kann Revision zum BAG einlegen.
In der ausführlichen Urteilsbegründung werden alle Argumente zusammengetragen, die gegen die Ansicht des BAG sprechen: Der Wortlaut der Vorschrift enthält keinen Anhaltspunkt für eine bestimmte Karenzzeit, im Gesetzgebungsverfahren Ende 2010 wurde eine solche Karenzzeit diskutiert, aber nicht ins Gesetz aufgenommen, und auch verfassungs- und europarechtliche Vorschriften zwingen nicht dazu, das Gesetz im Sinne einer Dreijahres-Karenzzeit zu "interpretieren".
Nebenbei stellen die Stuttgarter Richter klar, dass die Regelung über die Verzugsschadenspauschale von 40,00 EUR in § 288 Abs.5 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) auch im Arbeitsrecht anzuwenden ist. Hier im Streitfall konnte die Klägerin aber keine 40,00 EUR verlangen, weil der Arbeitgeber den Zahlungsverzug nicht verschuldet hatte, denn er hatte sich an der "geltenden" BAG-Rechtsprechung zur sachgrundlosen Befristung orientiert und aus diesem Grunde den Zuschuss zum Mutterschaftsgeld nach dem 30.09.2015 verweigert.
Mit dieser Entscheidung hat nach der sechsten (Urteil vom 26.09.2013, 6 Sa 28/13) und der siebten Kammer des LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 21.02.2014, 7 Sa 64/13) jetzt auch die dritte Kammer des Stuttgarter LAG gegen das BAG Front gemacht. Angesichts dieser starken Opposition ist fraglich, ob das BAG an seiner (verfehlten) Entscheidung aus dem Jahre 2011 festhalten wird.
Ein erneutes BAG-Urteil in diesem Sinne wäre für die Erfurter Richter riskant, denn es dann droht eine Verfassungsbeschwerde des betroffenen Arbeitnehmers. Eine solche Verfassungsbeschwerde hätte gute Erfolgsaussichten, da das BAG mit seiner Rechtsprechung sehr wahrscheinlich gegen Art.20 Abs.3 GG verstößt.
Fazit: Arbeitgeber sollten sich besser nicht darauf verlassen, dass eine sachgrundlose Befristung rechtlich wasserdicht ist, wenn der Arbeitnehmer vor über drei Jahren schon einmal im Betrieb beschäftigt war. Und Arbeitnehmer sollten in solchen Fällen den Verstoß gegen das Anschlussverbot nicht einfach auf sich beruhen lassen, sondern sich anwaltlich beraten lassen, ob eine Entfristungsklage sinnvoll ist.
Nähere Informationen finden Sie hier:
- Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 13.10.2016, 3 Sa 34/16
- Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 21.02.2014, 7 Sa 64/13
- Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 26.09.2013, 6 Sa 28/13
- Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 06.04.2011, 7 AZR 716/09
- Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 21.09.2011, 7 AZR 375/10
- Deutscher Bundestag, Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, vom 15.11.2000, Bundestags-Drucks. 14/4625
- Handbuch Arbeitsrecht: Befristung des Arbeitsvertrags (befristeter Arbeitsvertrag, Zeitvertrag)
- Handbuch Arbeitsrecht: Elternzeit, Elterngeld
- Handbuch Arbeitsrecht: Klage gegen Befristung (Befristungskontrollklage, Entfristungsklage)
- Handbuch Arbeitsrecht: Lohnrückstand - Arbeitnehmerrechte
- Handbuch Arbeitsrecht: Mutterschutz
- Handbuch Arbeitsrecht: Zahlungsverzug des Arbeitgebers
- Mustervertrag: Sachgrundlos befristeter Arbeitsvertrag
- Arbeitsrecht aktuell: 19/194 Sachgrundlose Befristung bei Vorbeschäftigung vor langer Zeit
- Arbeitsrecht aktuell: 19/118 Arbeitsgericht Köln contra BAG
- Arbeitsrecht aktuell: 19/025 Neue BAG-Rechtsprechung zur sachgrundlosen Befristung 2019
- Arbeitsrecht aktuell: 18/239 Keine Verzugskostenpauschale bei Gehaltsrückstand
- Arbeitsrecht aktuell: 18/143 BAG-Rechtsprechung zum Vorbeschäftigungsverbot gekippt
- Arbeitsrecht aktuell: 17/020 Verlängerung von befristeten Verträgen bei der Zeitarbeit
- Arbeitsrecht aktuell: 16/333 Tarifvertragliche Regelung zu sachgrundloser Befristung
- Arbeitsrecht aktuell: 14/200 Befristung nach Arbeitgeberwechsel als Missbrauch
- Arbeitsrecht aktuell: 14/115 Sachgrundlose Befristung und Vorbeschäftigung
- Arbeitsrecht aktuell: 12/283 Befristung und Tarifvertrag
- Arbeitsrecht aktuell: 11/098 Sachgrundlose Befristung trotz Vereinbarung eines Sachgrundes möglich
- Arbeitsrecht aktuell: 11/074 Sachgrundlose Befristung von Arbeitsverträgen erleichtert
- Arbeitsrecht aktuell: 10/238 Neueinstellung statt Verlängerung eines befristeten Arbeitsverhältnisses ist nicht rechtsmissbräuchlich
- Arbeitsrecht aktuell: 08/123 Folgen einer objektiv falschen Antwort des Arbeitnehmers auf die Frage nach vorangegangenen Beschäftigungen
- Arbeitsrecht aktuell: 08/067 Sachgrundlose Anschlussbefristung nach befristetem Probearbeitsverhältnis
Letzte Überarbeitung: 8. Oktober 2021
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