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BAG, Ur­teil vom 18.03.2014, 3 AZR 69/12

   
Schlagworte: Diskriminierung: Alter, Altersdiskriminierung, Betriebsrente, Betriebliche Altersversorgung
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 3 AZR 69/12
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 18.03.2014
   
Leitsätze: Eine Bestimmung in einer Versorgungsordnung, nach der ein Anspruch auf eine betriebliche Altersrente nicht besteht, wenn der Arbeitnehmer bei Erfüllung der nach der Versorgungsordnung vorgesehenen zehnjährigen Wartezeit das 55. Lebensjahr vollendet hat, verstößt gegen das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters und ist deshalb nach § 7 Abs. 2 AGG unwirksam.
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Stuttgart, Urteil vom 19.5.011 - 1 Ca 5468/10
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 23.11.2011 - 2 Sa 77/11
   


BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT


3 AZR 69/12
2 Sa 77/11
Lan­des­ar­beits­ge­richt

Ba­den-Würt­tem­berg

 

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am

18. März 2014

UR­TEIL

Kauf­hold, Ur­kunds­be­am­tin

der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Be­klag­te, Be­ru­fungs­be­klag­te und Re­vi­si­onskläge­rin,

pp.

Kläge­rin, Be­ru­fungskläge­rin und Re­vi­si­ons­be­klag­te,

hat der Drit­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 18. März 2014 durch die Vor­sit­zen­de Rich­te­rin am Bun­des­ar­beits­ge­richt Gräfl, die Rich­te­rin­nen am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Schlewing und Dr. Ah­rendt so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Wi­sch­nath und Brun­ke für Recht er­kannt:
 


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Die Re­vi­si­on der Be­klag­ten ge­gen das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Ba­den-Würt­tem­berg vom 23. No­vem­ber 2011 - 2 Sa 77/11 - wird zurück­ge­wie­sen.


Die Be­klag­te hat die Kos­ten des Re­vi­si­ons­ver­fah­rens zu tra­gen.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten darüber, ob die Be­klag­te der Kläge­rin ei­ne be­trieb­li­che Al­ters­ren­te zu gewähren hat.

Die am 19. Ju­ni 1945 ge­bo­re­ne Kläge­rin war seit dem 1. No­vem­ber 1981 bei der H Bank eG beschäftigt. Die H Bank eG wur­de am 1. Ja­nu­ar 1999 auf die Be­klag­te ver­schmol­zen. Das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en en­de­te mit Ab­lauf des 30. Ju­ni 2010.


Die Be­klag­te hat ih­ren Mit­ar­bei­tern Leis­tun­gen der be­trieb­li­chen Al­ters­ver­sor­gung nach der Ver­sor­gungs­ord­nung für die Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter der V P eG vom 1. Sep­tem­ber 1991 (im Fol­gen­den: Ver­sor­gungs­ord­nung) zu­ge­sagt. Die Ver­sor­gungs­ord­nung enthält aus­zugs­wei­se fol­gen­de Re­ge­lun­gen:


„§ 1 Fest­le­gung des Per­so­nen­krei­ses


(1) Die Neu­ord­nung der be­trieb­li­chen Al­ters­ver­sor­gung er­faßt drei un­ter­schied­li­che Per­so­nen­krei­se:
...


(4) Für Mit­ar­bei­ter, die nach dem In­kraft­tre­ten der Ver­sor­gungs­ord­nung am 1.9.1991 neu in die Diens­te der V P eG ein­tre­ten oder im Rah­men ei­ner Ver­schmel­zung/Fu­si­on i.S. des § 16 in de­ren Diens­te über­nom­men wer­den (= 3. Per­so­nen­kreis) gel­ten die Vor­schrif­ten die­ser Ver­sor­gungs­ord­nung mit Aus­nah­me sämt­li­cher sich auf die Hin­ter­blie­be­nen­ver­sor­gung be­zie­hen­der Re­ge­lun­gen (...). Es wird kei­ner­lei Hin­ter­blie­be­nen­leis­tung zu­ge­sagt.
 


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§ 2 Kreis der Ver­sor­gungs­be­rech­tig­ten


(1) Von der Ver­sor­gungs­ord­nung wer­den al­le fest an­ge­stell­ten Mit­ar­bei­ter - mit Aus­nah­me der Vor­stands­mit­glie­der und der ge­ringfügig Teil­zeit­beschäftig­ten im Sin­ne des § 8 SGB IV so­wie aus­ge­schie­de­ner Mit­ar­bei­ter im Vor­ru­he­stand - der Bank, er­faßt, die

a) das 20. Le­bens­jahr voll­endet und

b) ei­ne min­des­tens 10jähri­ge an­rech­nungsfähi­ge Dienst­zeit (War­te­zeit) nach Maßga­be des § 3 nach-wei­sen können (nur die in § 1 Abs. 3 und 4 ge­nann­ten Per­so­nen­krei­se) so­wie

c) zum Zeit­punkt der Erfüllung der War­te­zeit das 55. Le­bens­jahr noch nicht voll­endet ha­ben.
...

§ 3 War­te­zeit

(1) Für den in § 1 Abs. 3 und 4 ge­nann­ten Per­so­nen­kreis ent­steht der An­spruch auf die Ver­sor­gungs­leis­tun­gen nach un­un­ter­bro­che­ner Zurück­le­gung von 10 an­rech­nungsfähi­gen Dienst­jah­ren gemäß § 4 (War­te­zeit).


(2) Die War­te­zeit be­ginnt mit dem Tag des Dienst­an­tritts, frühes­tens am Tag nach Voll­endung des 20. Le­bens­jah­res.
...

§ 4 An­rech­nungsfähi­ge Dienst­zeit

(1) Als an­rech­nungsfähi­ge Dienst­zeit gilt die Zeit, die der Mit­ar­bei­ter nach dem voll­ende­ten 20. Le­bens­jahr un­un­ter­bro­chen mit ei­nem un­be­fris­te­ten Ar­beits­ver­trag bei der Bank ver­bracht hat. ...
...

§ 5 Ar­ten der Ver­sor­gungs­leis­tun­gen

(1) Gewährt wer­den


a) Al­ters­ren­te an Mit­ar­bei­ter nach der Voll­endung des 65. Le­bens­jah­res ...
...


§ 14 Be­ginn, En­de und Aus­zah­lung der Ver­sor­gungs­bezüge



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(1) Der An­spruch auf Zah­lung der Ver­sor­gungs­bezüge ent­steht mit dem Ver­sor­gungs­fall, so­fern die Leis­tungs­vor­aus­set­zun­gen die­ser Ver­sor­gungs­ord­nung erfüllt sind. Der Zah­lungs­an­spruch des Mit­ar­bei­ters ent­steht erst mit der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses.


(2) Die Ver­sor­gungs­bezüge wer­den mo­nat­lich, nachschüssig (am Mo­nats­en­de) und zwölf­mal jähr­lich, erst­ma­lig am En­de des Mo­nats ge­zahlt, der dem Ver­sor­gungs­fall folgt. ...
...


§ 16 Ver­schmel­zung/Fu­si­on

Im Fal­le ei­ner Ver­schmel­zung/Fu­si­on von über­tra­gen­den Ban­ken mit der V P als auf­neh­men­de Bank sind die über­nom­me­nen Mit­ar­bei­ter der über­tra­gen-den Ban­ken ab dem Ver­schmel­zungs­zeit­punkt ver­sor­gungs­be­rech­tigt (vgl. da­zu § 1 Abs. 4). Es wer-den die ab dem Ver­schmel­zungs­zeit­punkt in den Diens­ten der V P er­brach­ten Dienst­zei­ten für die an­rech­nungsfähi­ge War­te­zeit nach § 3 und die An­spruchshöhe berück­sich­tigt.“

Die Kläge­rin hat die Auf­fas­sung ver­tre­ten, ihr ste­he nach der Ver­sor­gungs­ord­nung ab dem 1. Ju­li 2010 ei­ne be­trieb­li­che Al­ters­ren­te iHv. 113,66 Eu­ro brut­to zu. § 2 Abs. 1 Buchst. c der Ver­sor­gungs­ord­nung sei un­wirk­sam. Die Re­ge­lung be­wir­ke ei­ne nach dem All­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­ge­setz un­zulässi­ge Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Al­ters, da sie Ar­beit­neh­mer von der be­trieb­li­chen Al­ters­ver­sor­gung aus­sch­ließe, die bei Be­ginn der zehnjähri­gen War­te­zeit das 45. Le­bens­jahr voll­endet ha­ben.


Die Kläge­rin hat zu­letzt be­an­tragt, 


die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an sie be­gin­nend ab 1. Ju­li 2010 ei­ne mo­nat­li­che Be­triebs­ren­te iHv. 113,66 Eu­ro brut­to zu be­zah­len, zahl­bar je­weils am Mo­nats­en­de des Fol­ge­mo­nats.


Die Be­klag­te hat Kla­ge­ab­wei­sung be­an­tragt und die An­sicht ver­tre­ten, die Kläge­rin ha­be kei­nen An­spruch auf Gewährung ei­ner Be­triebs­ren­te, da sie zum Zeit­punkt der Erfüllung der War­te­zeit das 55. Le­bens­jahr be­reits voll­endet
 


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hat­te. Die in § 2 Abs. 1 Buchst. c der Ver­sor­gungs­ord­nung be­stimm­te Höchst­al­ters­gren­ze sei wirk­sam. Die Re­ge­lung zie­le dar­auf ab, Ver­sor­gungs­ri­si­ken zu be­gren­zen und ei­ne bei jünge­ren Ar­beit­neh­mern re­gelmäßig noch zu er­war­ten­de länge­re Be­triebs­zu­gehörig­keit zu ho­no­rie­ren. Außer­dem wir­ke sie auf ei­ne aus­ge­wo­ge­ne Al­ters­struk­tur hin.

Das Ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat der Be­ru­fung der Kläge­rin ent­spro­chen und der Kla­ge statt­ge­ge­ben. Mit ih­rer Re­vi­si­on be­gehrt die Be­klag­te die Wie­der­her­stel­lung des erst­in­stanz­li­chen Ur­teils. Die Kläge­rin be­an­tragt die Zurück­wei­sung der Re­vi­si­on.


Ent­schei­dungs­gründe

Die Re­vi­si­on der Be­klag­ten ist un­be­gründet. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat der Kla­ge zu Recht statt­ge­ge­ben. Die Kläge­rin hat ge­gen die Be­klag­te ei­nen An­spruch auf Zah­lung ei­ner be­trieb­li­chen Al­ters­ren­te iHv. 113,66 Eu­ro brut­to mo­nat­lich ab dem 1. Ju­li 2010.


I. Die Kla­ge ist zulässig. Es han­delt sich um ei­ne Kla­ge auf wie­der­keh­ren­de Leis­tun­gen iSd. § 258 ZPO. Bei wie­der­keh­ren­den Leis­tun­gen, die - wie Be­triebs­ren­ten­ansprüche - von kei­ner Ge­gen­leis­tung abhängen, können grundsätz­lich auch künf­tig fällig wer­den­de Teil­beträge ein­ge­klagt wer­den. Im Ge­gen­satz zu § 259 ZPO muss nicht die Be­sorg­nis be­ste­hen, dass der Schuld­ner sich der recht­zei­ti­gen Leis­tung ent­zie­hen wer­de (vgl. et­wa BAG 15. Ja­nu­ar 2013 - 3 AZR 638/10 - Rn. 15 mwN).


II. Die Kla­ge ist be­gründet. Die Be­klag­te schul­det der Kläge­rin ab dem 1. Ju­li 2010 nach § 5 Abs. 1 Buchst. a der Ver­sor­gungs­ord­nung ei­ne mo­nat­li­che Al­ters­ren­te iHv. 113,66 Eu­ro brut­to. Die Kläge­rin ist nach § 2 Abs. 1 der Ver­sor­gungs­ord­nung ver­sor­gungs­be­rech­tigt.


1. Nach § 2 Abs. 1 der Ver­sor­gungs­ord­nung wer­den al­le fest an­ge­stell­ten Mit­ar­bei­ter mit Aus­nah­me der Vor­stands­mit­glie­der, der ge­ringfügig Teil­zeit­be-



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schäftig­ten im Sin­ne des § 8 SGB IV und der aus­ge­schie­de­nen Mit­ar­bei­ter im Vor­ru­he­stand, die das 20. Le­bens­jahr voll­endet ha­ben (Buchst. a), ei­ne min­des­tens zehnjähri­ge an­rech­nungsfähi­ge Dienst­zeit (War­te­zeit) nach­wei­sen können (Buchst. b) so­wie zum Zeit­punkt der Erfüllung der War­te­zeit das 55. Le­bens­jahr noch nicht voll­endet ha­ben (Buchst. c), von der Ver­sor­gungs­ord­nung er­fasst. Ist der Mit­ar­bei­ter in­fol­ge ei­ner Ver­schmel­zung von der Be­klag­ten über­nom­men wor­den, wer­den nach § 16 Satz 2 der Ver­sor­gungs­ord­nung die ab der Ver­schmel­zung in den Diens­ten der Be­klag­ten er­brach­ten Dienst­zei­ten für die an­rech­nungsfähi­ge War­te­zeit berück­sich­tigt.

2. Die Kläge­rin erfüllt die in § 2 Abs. 1 Buchst. a und b der Ver­sor­gungs­ord­nung ge­nann­ten Vor­aus­set­zun­gen. Sie hat das 20. Le­bens­jahr voll­endet und kann ei­ne min­des­tens zehnjähri­ge an­rech­nungsfähi­ge Dienst­zeit (War­te­zeit) nach Maßga­be des § 3 Abs. 1 der Ver­sor­gungs­ord­nung nach­wei­sen. Die Kläge­rin hat gemäß § 16 Satz 2 iVm. § 4 Abs. 1 der Ver­sor­gungs­ord­nung ab dem Zeit­punkt der Ver­schmel­zung der H Bank eG auf die Be­klag­te am 1. Ja­nu­ar 1999 bis zu ih­rem Aus­schei­den aus dem Ar­beits­verhält­nis mit der Be­klag­ten zum 30. Ju­ni 2010 mehr als zehn un­un­ter­bro­che­ne Dienst­jah­re in ei­nem un­be­fris­te­ten Ar­beits­verhält­nis bei der Be­klag­ten ver­bracht. Sie hat­te zwar ent­ge­gen § 2 Abs. 1 Buchst. c der Ver­sor­gungs­ord­nung zum Zeit­punkt der Erfüllung der War­te­zeit das 55. Le­bens­jahr be­reits voll­endet. Dies steht ih­rer Ver­sor­gungs­be­rech­ti­gung je­doch nicht ent­ge­gen. Die Re­ge­lung in § 2 Abs. 1 Buchst. c der Ver­sor­gungs­ord­nung ist gemäß § 7 Abs. 2 AGG un­wirk­sam. Sie be­wirkt ei­ne un­zulässi­ge Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Al­ters.


a) Das All­ge­mei­ne Gleich­be­hand­lungs­ge­setz ist im Streit­fall an­wend­bar.


aa) Das All­ge­mei­ne Gleich­be­hand­lungs­ge­setz gilt trotz der in § 2 Abs. 2 Satz 2 AGG ent­hal­te­nen Ver­wei­sung auf das Be­triebs­ren­ten­ge­setz auch für die be­trieb­li­che Al­ters­ver­sor­gung, so­weit das Be­triebs­ren­ten­recht nicht vor­ran­gi­ge Son­der­re­ge­lun­gen enthält (BAG 12. No­vem­ber 2013 - 3 AZR 356/12 - Rn. 16; 11. De­zem­ber 2007 - 3 AZR 249/06 - Rn. 22 ff., BA­GE 125, 133). Letz­te­res ist vor­lie­gend nicht der Fall.
 


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bb) Das All­ge­mei­ne Gleich­be­hand­lungs­ge­setz ist auch in zeit­li­cher Hin­sicht an­wend­bar. Nach Art. 4 des Ge­set­zes zur Um­set­zung eu­ropäischer Richt­li­ni­en zur Ver­wirk­li­chung des Grund­sat­zes der Gleich­be­hand­lung vom 14. Au­gust 2006 (BGBl. I S. 1897), das am 17. Au­gust 2006 verkündet wur­de, trat das All­ge­mei­ne Gleich­be­hand­lungs­ge­setz am 18. Au­gust 2006 in Kraft. Zu die­sem Zeit­punkt stand die Kläge­rin noch in ei­nem Ar­beits­verhält­nis mit der Be­klag­ten.

b) § 2 Abs. 1 Buchst. c der Ver­sor­gungs­ord­nung ist gemäß § 7 Abs. 2 AGG un­wirk­sam. Die Re­ge­lung be­wirkt ei­ne un­mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung we­gen des Al­ters nach §§ 1, 3 Abs. 1 Satz 1, § 7 Abs. 1 AGG, die nicht nach § 10 AGG ge­recht­fer­tigt ist.


aa) Nach § 7 Abs. 1 Halbs. 1 AGG dürfen Beschäftig­te nicht we­gen der in § 1 AGG ge­nann­ten Gründe, ua. we­gen des Al­ters, be­nach­tei­ligt wer­den. Un­zulässig sind un­mit­tel­ba­re und mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gun­gen. Ei­ne un­mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung ist nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG ge­ge­ben, wenn ei­ne Per­son we­gen ei­nes in § 1 AGG ge­nann­ten Grun­des ei­ne we­ni­ger güns­ti­ge Be­hand­lung erfährt als ei­ne an­de­re Per­son in ei­ner ver­gleich­ba­ren Si­tua­ti­on. Nach § 3 Abs. 2 AGG liegt ei­ne mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung vor, wenn dem An­schein nach neu­tra­le Vor­schrif­ten, Kri­te­ri­en oder Ver­fah­ren Per­so­nen we­gen ei­nes in § 1 AGG ge­nann­ten Grun­des ge­genüber an­de­ren Per­so­nen in be­son­de­rer Wei­se be­nach­tei­li­gen können, es sei denn, die be­tref­fen­den Vor­schrif­ten, Kri­te­ri­en oder Ver­fah­ren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sach­lich ge­recht­fer­tigt und die Mit­tel sind zur Er­rei­chung die­ses Ziels an­ge­mes­sen und er­for­der­lich. Be­stim­mun­gen in Ver­ein­ba­run­gen, die ge­gen das Be­nach­tei­li­gungs­ver­bot des § 7 Abs. 1 AGG ver­s­toßen, sind nach § 7 Abs. 2 AGG un­wirk­sam (vgl. et­wa BAG 12. No­vem­ber 2013 - 3 AZR 356/12 - Rn. 20 mwN).

bb) § 2 Abs. 1 Buchst. c der Ver­sor­gungs­ord­nung be­wirkt ei­ne un­mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung we­gen des Al­ters iSd. §§ 1, 3 Abs. 1 Satz 1 und § 7 AGG. Nach § 2 Abs. 1 Buchst. c der Ver­sor­gungs­ord­nung sind Mit­ar­bei­ter nur dann ver­sor­gungs­be­rech­tigt, wenn sie zum Zeit­punkt der Erfüllung der zehnjähri­gen War­te­zeit noch nicht das 55. Le­bens­jahr voll­endet ha­ben. Die Re­ge­lung führt da­zu, dass Mit­ar­bei­ter, die bei Be­ginn der zehnjähri­gen War­te­zeit und da­mit bei


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Be­ginn des Ar­beits­verhält­nis­ses mit der Be­klag­ten (vgl. § 3 Abs. 2, § 16 Satz 2 der Ver­sor­gungs­ord­nung) das 45. Le­bens­jahr voll­endet ha­ben, von den Leis­tun­gen der be­trieb­li­chen Al­ters­ver­sor­gung nach der Ver­sor­gungs­ord­nung aus­ge­schlos­sen sind. Da­mit er­fah­ren Mit­ar­bei­ter, die - wie die Kläge­rin - bei Be­ginn ih­res Ar­beits­verhält­nis­ses mit der Be­klag­ten das 45. Le­bens­jahr be­reits voll­endet ha­ben, we­gen ih­res Al­ters ei­ne ungüns­ti­ge­re Be­hand­lung als Mit­ar­bei­ter, die zu die­sem Zeit­punkt das 45. Le­bens­jahr noch nicht voll­endet ha­ben.

cc) Die durch § 2 Abs. 1 Buchst. c der Ver­sor­gungs­ord­nung be­wirk­te Un­gleich­be­hand­lung ist nicht nach § 10 AGG sach­lich ge­recht­fer­tigt. Der Se­nat hat zwar in älte­ren Ent­schei­dun­gen die Fest­le­gung ei­ner Min­dest­be­triebs­zu­gehörig­keit von 20 Jah­ren bis zum 65. Le­bens­jahr als Vor­aus­set­zung für den Be­zug von Al­ters­ren­te für zulässig ge­hal­ten (vgl. BAG 7. Ju­li 1977 - 3 AZR 570/76 - BA­GE 29, 227; 14. Ja­nu­ar 1986 - 3 AZR 456/84 - zu II 1 der Gründe, BA­GE 50, 356). An die­ser Recht­spre­chung hält der Se­nat je­doch nach In­kraft­tre­ten des All­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­ge­set­zes nicht fest.


(1) Nach § 10 Satz 1 AGG ist ei­ne un­ter­schied­li­che Be­hand­lung we­gen des Al­ters zulässig, wenn sie ob­jek­tiv und an­ge­mes­sen und durch ein le­gi­ti­mes Ziel ge­recht­fer­tigt ist. Die Mit­tel zur Er­rei­chung die­ses Ziels müssen nach § 10 Satz 2 AGG an­ge­mes­sen und er­for­der­lich sein. § 10 Satz 3 AGG enthält ei­ne Aufzählung von Tat­beständen, wo­nach der­ar­ti­ge un­ter­schied­li­che Be­hand­lun­gen ins­be­son­de­re ge­recht­fer­tigt sein können. Nach § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG ist dies der Fall bei der Fest­set­zung von Al­ters­gren­zen bei be­trieb­li­chen Sys­te­men der so­zia­len Si­cher­heit als Vor­aus­set­zung für die Mit­glied­schaft oder den Be­zug von Al­ters­ren­te. In­dem der Ge­setz­ge­ber den in Nr. 4 ge­re­gel­ten Tat­be­stand in die Recht­fer­ti­gungs­gründe des § 10 Satz 3 AGG ein­ge­ord­net hat, hat er zum Aus­druck ge­bracht, dass die Fest­set­zung von Al­ters­gren­zen für den Zu­gang zu be­trieb­li­chen Sys­te­men der so­zia­len Si­cher­heit und da­mit auch zur be­trieb­li­chen Al­ters­ver­sor­gung und für den Be­zug von Al­ters­ren­te grundsätz­lich als ein von ei­nem le­gi­ti­men Ziel ge­tra­ge­nes Mit­tel iSv. § 10 Satz 1 und Satz 2 AGG zulässig sein soll. Da ei­ne sol­che Al­ters­gren­ze in der je­wei­li­gen Ver­sor­gungs­re­ge­lung fest­zu­set­zen ist, muss die kon­kret gewähl­te Al­ters­gren­ze iSv. § 10

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Satz 2 AGG an­ge­mes­sen sein (vgl. et­wa BAG 12. No­vem­ber 2013 - 3 AZR 356/12 - Rn. 22 mwN).

(2) § 10 AGG dient der Um­set­zung von Art. 6 der Richt­li­nie 2000/78/EG des Ra­tes vom 27. No­vem­ber 2000 zur Fest­le­gung ei­nes all­ge­mei­nen Rah­mens für die Ver­wirk­li­chung der Gleich­be­hand­lung in Beschäfti­gung und Be­ruf (ABl. EG L 303 vom 2. De­zem­ber 2000 S. 16, im Fol­gen­den: Richt­li­nie 2000/78/EG) in das na­tio­na­le Recht. Die Be­stim­mung ist mit Uni­ons­recht ver­ein­bar (vgl. et­wa BAG 12. No­vem­ber 2013 - 3 AZR 356/12 - Rn. 23 mwN).

(a) Nach Art. 6 Abs. 1 der Richt­li­nie 2000/78/EG können die Mit­glied­staa­ten vor­se­hen, dass Un­gleich­be­hand­lun­gen we­gen des Al­ters kei­ne Dis­kri­mi­nie­rung dar­stel­len, so­fern sie ob­jek­tiv und an­ge­mes­sen sind und im Rah­men des na­tio­na­len Rechts durch ein le­gi­ti­mes Ziel, wor­un­ter ins­be­son­de­re rechtmäßige Zie­le aus den Be­rei­chen Beschäfti­gungs­po­li­tik, Ar­beits­markt und be­ruf­li­che Bil­dung zu ver­ste­hen sind, ge­recht­fer­tigt sind und die Mit­tel zur Er­rei­chung die­ses Ziels an­ge­mes­sen und er­for­der­lich sind. Für den Be­reich der Ver­sor­gung im Al­ter enthält Art. 6 Abs. 2 der Richt­li­nie 2000/78/EG ei­ne Spe­zi­al­re­ge­lung. Da­nach können die Mit­glied­staa­ten vor­se­hen, dass bei den be­trieb­li­chen Sys­te­men der so­zia­len Si­cher­heit die Fest­set­zung von Al­ters­gren­zen als Vor­aus­set­zung für die Mit­glied­schaft oder den Be­zug von Al­ters­ren­te kei­ne Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Al­ters dar­stellt, so­lan­ge dies nicht zu Dis­kri­mi­nie­run­gen we­gen des Ge­schlechts führt. Die Mit­glied­staa­ten sind dem­nach, so­weit es um die­se Sys­te­me geht, bei der Um­set­zung in na­tio­na­les Recht nicht ver­pflich­tet, die Vor­aus­set­zun­gen des Art. 6 Abs. 1 der Richt­li­nie 2000/78/EG ein­zu­hal­ten. Die Fest­set­zung von Al­ters­gren­zen in den be­trieb­li­chen Sys­te­men der so­zia­len Si­cher­heit ist so­mit uni­ons­recht­lich in der Re­gel zulässig. Da­mit wer­den Hin­der­nis­se, die der Ver­brei­tung der be­trieb­li­chen Al­ters­ver­sor­gung ent­ge­gen­ste­hen können, be­sei­tigt (vgl. et­wa BAG 12. No­vem­ber 2013 - 3 AZR 356/12 - Rn. 24 mwN).


(b) Die­sen Vor­ga­ben genügt § 10 AGG. Es kann of­fen­blei­ben, ob Art. 6 Abs. 2 der Richt­li­nie 2000/78/EG ei­ne Verhält­nismäßig­keitsprüfung der für die Mit­glied­schaft in ei­nem Sys­tem der be­trieb­li­chen Al­ters­ver­sor­gung oder den

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Be­zug von Al­ters­ren­te be­stimm­ten Al­ters­gren­ze er­for­dert (vgl. Schluss­anträge der Ge­ne­ral­anwältin Ko­kott vom 7. Fe­bru­ar 2013 in der Rechts­sa­che - C-476/11 - [HK Dan­mark]). Soll­te dies der Fall sein, hätte der na­tio­na­le Ge­setz­ge­ber Art. 6 Abs. 2 der Richt­li­nie 2000/78/EG na­he­zu un­verändert in das na­tio­na­le Recht über­nom­men. Soll­te dies nicht der Fall sein, wäre der Ge­setz­ge­ber, in­dem er die Nr. 4 in die Recht­fer­ti­gungs­gründe des § 10 Satz 3 AGG ein­ge­ord­net und so­mit § 10 Satz 1 und Satz 2 AGG für an­wend­bar erklärt hat, so­gar über die An­for­de­run­gen des Art. 6 Abs. 2 der Richt­li­nie 2000/78/EG hin­aus­ge­gan­gen. Zwar fin­det sich im Ge­set­zes­text die in Art. 6 Abs. 2 der Richt­li­nie 2000/78/EG ent­hal­te­ne Ein­schränkung „so­lan­ge dies nicht zu Dis­kri­mi­nie­run­gen we­gen des Ge­schlechts führt“, nicht wie­der. Das be­deu­tet aber nicht, dass § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG hin­ter Art. 6 Abs. 2 der Richt­li­nie 2000/78/EG zurück­blie­be. Aus­weis­lich der Ent­ste­hungs­ge­schich­te der Vor­schrift darf nach dem Wil­len des na­tio­na­len Ge­setz­ge­bers die Fest­set­zung von Al­ters­gren­zen nicht zu ei­ner Be­nach­tei­li­gung we­gen des Ge­schlechts oder we­gen ei­nes an­de­ren in § 1 AGG ge­nann­ten Grun­des führen (BT-Drucks. 16/1780 S. 36). Dies er­gibt sich auch dar­aus, dass ei­ne Re­ge­lung, die zu ei­ner Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Ge­schlechts führt, nicht iSv. § 10 Satz 2 AGG an­ge­mes­sen sein kann. Es ist auch nicht zu be­an­stan­den, dass der na­tio­na­le Ge­setz­ge­ber da­von ab­ge­se­hen hat, kon­kre­te Al­ters­gren­zen für die Teil­nah­me an ei­ner be­trieb­li­chen Al­ters­ver­sor­gung oder die Auf­nah­me in ein Ver­sor­gungs­werk selbst zu be­stim­men. Der Ge­setz­ge­ber muss die we­gen ei­nes so­zi­al­po­li­ti­schen Ziels für ge­bo­ten er­ach­te­te Un­gleich­be­hand­lung nicht im De­tail selbst re­geln, son­dern kann Ge­stal­tungs- und Be­ur­tei­lungs­spielräume einräum­en (vgl. EuGH 16. Ok­to­ber 2007 - C-411/05 - [Pa­la­ci­os de la Vil­la] Rn. 68, 74, Slg. 2007, I-8531; BAG 12. No­vem­ber 2013 - 3 AZR 356/12 - Rn. 25 mwN).


(c) Das vom na­tio­na­len Ge­setz­ge­ber ver­folg­te Ziel der Förde­rung der be­trieb­li­chen Al­ters­ver­sor­gung ist ein le­gi­ti­mes Ziel iSd. § 10 Satz 1 AGG. Um die­ses Ziel zu fördern, hat der Ge­setz­ge­ber mit § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG zur Ge­stal­tung der be­trieb­li­chen Al­ters­ver­sor­gung in Ver­sor­gungs­ord­nun­gen das Mit­tel der Fest­set­zung von Al­ters­gren­zen für die Mit­glied­schaft oder den Be­zug von Al­ters­ren­ten zur Verfügung ge­stellt. Von die­ser Möglich­keit kann grundsätz­lich

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auch der ein­zel­ne Ar­beit­ge­ber bei der Schaf­fung von Ver­sor­gungs­re­ge­lun­gen Ge­brauch ma­chen. Al­ler­dings muss die kon­kret fest­ge­leg­te Al­ters­gren­ze nach § 10 Satz 2 AGG an­ge­mes­sen sein (vgl. et­wa BAG 12. No­vem­ber 2013 - 3 AZR 356/12 - Rn. 26).


(3) Da­nach ist der durch § 2 Abs. 1 Buchst. c der Ver­sor­gungs­ord­nung be­wirk­te Aus­schluss von Mit­ar­bei­tern, die bei Be­ginn des Ar­beits­verhält­nis­ses mit der Be­klag­ten das 45. Le­bens­jahr voll­endet ha­ben, aus dem Kreis der nach der Ver­sor­gungs­ord­nung Ver­sor­gungs­be­rech­tig­ten nicht ge­recht­fer­tigt iSv. § 10 AGG.

(a) Dem Ar­beit­ge­ber steht zwar bei frei­wil­li­gen zusätz­li­chen Leis­tun­gen - wo­zu auch Leis­tun­gen der be­trieb­li­chen Al­ters­ver­sor­gung zählen - ein von den Ge­rich­ten zu re­spek­tie­ren­der Ge­stal­tungs- und Er­mes­sens­spiel­raum zu. Dies ist sei­ner Be­reit­schaft ge­schul­det, sich frei­wil­lig zu ei­ner von ihm zu fi­nan­zie­ren­den be­trieb­li­chen Zu­satz­ver­sor­gung zu ver­pflich­ten. Durch die Fest­le­gung der Vor­aus­set­zun­gen für die Auf­nah­me in ein be­trieb­li­ches Sys­tem der Al­ters­ver­sor­gung wird zu­dem der Do­tie­rungs­rah­men des Ar­beit­ge­bers be­stimmt. Die­se Ge­stal­tungs­frei­heit eröff­net dem Ar­beit­ge­ber grundsätz­lich auch die Möglich­keit, al­ters­abhängi­ge Zu­gangs­vor­aus­set­zun­gen für die Auf­nah­me in den von der Ver­sor­gungs­ord­nung begüns­tig­ten Per­so­nen­kreis fest­zu­le­gen. Der Ar­beit­ge­ber darf je­doch bei der Fest­le­gung ei­ner al­ters­abhängi­gen Zu­gangs­vor­aus­set­zung für Leis­tun­gen der be­trieb­li­chen Al­ters­ver­sor­gung die be­rech­tig­ten Be­lan­ge der be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer nicht außer Acht las­sen. Da­bei ist zu berück­sich­ti­gen, dass die be­trieb­li­che Al­ters­ver­sor­gung nicht nur Ver­sor­gungs-, son­dern auch Ent­gelt­cha­rak­ter hat und ei­ne al­ters­abhängi­ge Zu­gangs­vor­aus­set­zung da­zu führt, dass die hier­von be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer für die ge­sam­te von ih­nen ge­leis­te­te Be­triebs­treue kei­ne be­trieb­li­che Al­ters­ver­sor­gung er­hal­ten (vgl. et­wa BAG 12. No­vem­ber 2013 - 3 AZR 356/12 - Rn. 28 mwN). Ei­ne Re­ge­lung, die zur Fol­ge hat, dass während ei­nes beträcht­li­chen Teils ei­nes ty­pi­schen Er­werbs­le­bens kei­ne Ver­sor­gungs­an­wart­schaf­ten er­wor­ben wer­den können, ist da­mit nicht zu ver­ein­ba­ren.

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(b) Da­nach ist der durch § 2 Abs. 1 Buchst. c der Ver­sor­gungs­ord­nung be­wirk­te Aus­schluss von Mit­ar­bei­tern, die bei Erfüllung der zehnjähri­gen War­te­zeit das 55. Le­bens­jahr voll­endet ha­ben, von den Leis­tun­gen der be­trieb­li­chen Al­ters­ver­sor­gung nicht an­ge­mes­sen iSd. § 10 Satz 2 AGG. Die Re­ge­lung berück­sich­tigt die be­rech­tig­ten Be­lan­ge der be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer nur un­zu­rei­chend. Sie führt da­zu, dass Ar­beit­neh­mer, die bei Be­ginn ih­res Ar­beits­verhält­nis­ses mit der Be­klag­ten be­reits das 45. Le­bens­jahr voll­endet ha­ben, kei­ne Ver­sor­gungs­an­wart­schaf­ten mehr er­wer­ben können. Das hat ty­pi­scher­wei­se zur Fol­ge, dass die­se Ar­beit­neh­mer nur bis zur Voll­endung des 45. Le­bens­jahrs Zeit ha­ben, Be­triebs­ren­ten­an­wart­schaf­ten bei an­de­ren Ar­beit­ge­bern zu er­die­nen. Da ein Er­werbs­le­ben bei ty­pi­sie­ren­der Be­trach­tung min­des­tens 40 Jah­re um­fasst und der Zeit­raum von der Voll­endung des 45. Le­bens­jahrs bis zum Er­rei­chen der Re­gel­al­ters­gren­ze min­des­tens 20 Jah­re beträgt, führt die Re­ge­lung in § 2 Abs. 1 Buchst. c der Ver­sor­gungs­ord­nung da­zu, dass während ei­nes beträcht­li­chen Teils ei­nes ty­pi­schen Er­werbs­le­bens kei­ne Ver­sor­gungs­an­wart­schaf­ten mehr er­wor­ben wer­den können. Dies kann auch un­ter Berück­sich­ti­gung des In­ter­es­ses des Ar­beit­ge­bers, nur den­je­ni­gen Ar­beit­neh­mern Ver­sor­gungs­leis­tun­gen zu­zu­sa­gen, die noch ei­ne länger­fris­ti­ge Be­triebs­treue er­brin­gen können, nicht als an­ge­mes­sen an­ge­se­hen wer­den. Die­ses In­ter­es­se des Ar­beit­ge­bers recht­fer­tigt es nicht, Ar­beit­neh­mern, die dem Be­trieb während der Hälf­te ei­nes ty­pi­schen Er­werbs­le­bens an­gehören, Leis­tun­gen der be­trieb­li­chen Al­ters­ver­sor­gung vor­zu­ent­hal­ten. Ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Be­klag­ten ist der Aus­schluss von Mit­ar­bei­tern, die bei Be­ginn des Ar­beits­verhält­nis­ses das 45. Le­bens­jahr voll­endet ha­ben, von den Leis­tun­gen der be­trieb­li­chen Al­ters­ver­sor­gung auch we­der ein ge­eig­ne­tes noch ein er­for­der­li­ches Mit­tel, um auf ei­ne aus­ge­wo­ge­ne Al­ters­struk­tur im Un­ter­neh­men hin­zu­wir­ken. Es er­sch­ließt sich nicht, wes­halb es ein An­reiz für jünge­re Ar­beit­neh­mer sein soll, ein Ar­beits­verhält­nis mit der Be­klag­ten zu be­gründen, weil älte­re Ar­beit­neh­mer von den be­trieb­li­chen Al­ters­ver­sor­gungs­leis­tun­gen aus­ge­nom­men wer­den. Ei­ne Be­stim­mung, die be­wirkt, dass Ar­beit­neh­mer, die noch min­des­tens 20 Jah­re be­triebs­treu sein können, von Leis­tun­gen der be­trieb­li­chen Al­ters­ver­sor­gung aus­ge­schlos­sen wer­den, ist da­her auch un­ter Berück­sich­ti­gung des zu re­spek-
 


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tie­ren­den Ge­stal­tungs- und Er­mes­sens­spiel­rau­mes des Ar­beit­ge­bers nicht mehr hin­nehm­bar. So­weit die Be­klag­te sich dar­auf be­ru­fen hat, dass § 2 Abs. 1 Buchst. c der Ver­sor­gungs­ord­nung das Ver­sor­gungs­ri­si­ko bei der In­va­li­ditäts-und Hin­ter­blie­be­nen­ver­sor­gung ein­gren­zen soll, ver­mag dies je­den­falls ei­nen Aus­schluss von den Leis­tun­gen der Al­ters­ver­sor­gung nicht zu recht­fer­ti­gen. Im Übri­gen sind für den Per­so­nen­kreis, dem die Kläge­rin an­gehört, Leis­tun­gen der Hin­ter­blie­be­nen­ver­sor­gung oh­ne­hin nach § 1 Abs. 4 Satz 2 der Ver­sor­gungs­ord­nung aus­ge­schlos­sen.

c) Der Ver­s­toß von § 2 Abs. 1 Buchst. c der Ver­sor­gungs­ord­nung ge­gen das Be­nach­tei­li­gungs­ver­bot in § 7 Abs. 1 AGG hat zur Fol­ge, dass die Re­ge­lung nach § 7 Abs. 2 AGG un­wirk­sam ist. Ei­ne ergänzen­de Aus­le­gung der Ver­sor­gungs­ord­nung da­hin, dass Mit­ar­bei­ter, die bei Be­ginn des Ar­beits­verhält­nis­ses be­reits das 55. Le­bens­jahr voll­endet ha­ben, nicht ver­sor­gungs­be­rech­tigt sind, kommt ent­ge­gen der von der Be­klag­ten in der münd­li­chen Ver­hand­lung vor dem Se­nat ver­tre­te­nen Auf­fas­sung nicht in Be­tracht. Vor­aus­set­zung ei­ner ergänzen­den Ver­trags­aus­le­gung ist, dass die Ver­ein­ba­rung ei­ne Re­ge­lungslücke im Sin­ne ei­ner plan­wid­ri­gen Un­vollständig­keit auf­weist (BAG 19. Mai 2010 - 4 AZR 796/08 - Rn. 23, BA­GE 134, 283; 9. De­zem­ber 2008 - 3 AZR 431/07 - Rn. 25). Dies ist hier nicht der Fall. Die Un­wirk­sam­keit von § 2 Abs. 1 Buchst. c der Ver­sor­gungs­ord­nung hat nicht zur Fol­ge, dass die Mit­ar­bei­ter der Be­klag­ten oh­ne Rück­sicht auf ihr Al­ter zu Be­ginn der an­rech­nungsfähi­gen Dienst­zeit ver­sor­gungs­be­rech­tigt wären. Viel­mehr sind nach § 2 Abs. 1 Buchst. b der Ver­sor­gungs­ord­nung Mit­ar­bei­ter, die bei Ein­tritt des Ver­sor­gungs­falls kei­ne zehnjähri­ge Dienst­zeit bei der Be­klag­ten nach­wei­sen können, nicht ver­sor­gungs­be­rech­tigt. Die Re­ge­lung schließt da­mit in zulässi­ger Wei­se Mit­ar­bei­ter, die zum Zeit­punkt des Dienstein­tritts bei der Be­klag­ten auf­grund ih­res Al­ters die zehnjähri­ge War­te­zeit bis zur Re­gel­al­ters­gren­ze in der ge­setz­li­chen Ren­ten­ver­si­che­rung nicht mehr erfüllen können, von den Leis­tun­gen der be­trieb­li­chen Al­ters­ver­sor­gung aus (vgl. zur Zulässig­keit ei­ner min­des­tens 15¬jähri­gen War­te­zeit bis zur Re­gel­al­ters­gren­ze BAG 12. Fe­bru­ar 2013 - 3 AZR 100/11 - Rn. 23 ff.).



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d) Der Se­nat kann über die Ver­ein­bar­keit von § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG so­wie § 2 Abs. 1 Buchst. c der Ver­sor­gungs­ord­nung mit Uni­ons­recht selbst ent­schei­den. Ein Vor­ab­ent­schei­dungs­er­su­chen nach Art. 267 Abs. 3 AEUV ist nicht ge­bo­ten. Die Aus­le­gung des den Vor­schrif­ten des All­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­ge­set­zes zu­grun­de lie­gen­den uni­ons­recht­li­chen Grund­sat­zes des Ver­bots der Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Al­ters ein­sch­ließlich des Rück­griffs auf die Richt­li­nie 2000/78/EG zu des­sen Kon­kre­ti­sie­rung ist durch die Ent­schei­dun­gen des Ge­richts­hofs der Eu­ropäischen Uni­on in der Rechts­sa­che „Kücükde­ve­ci“ (EuGH 19. Ja­nu­ar 2010 - C-555/07 - Slg. 2010, I-365) und in der Rechts­sa­che „Prig­ge ua.“ (EuGH 13. Sep­tem­ber 2011 - C-447/09 - Slg. 2011, I-8003) geklärt, so dass ei­ne Vor­la­ge­pflicht entfällt (vgl. EuGH 6. Ok­to­ber 1982 - C-283/81 - [C.I.L.F.I.T.] Slg. 1982, 3415). Ei­ner Vor­ab­ent­schei­dung zur Aus­le­gung von Art. 6 Abs. 2 der Richt­li­nie 2000/78/EG be­darf es eben­falls nicht. Es kann da­hin­ste­hen, ob ei­ne für die Mit­glied­schaft in ei­nem Sys­tem der be­trieb­li­chen Al­ters­ver­sor­gung oder den Be­zug von Al­ters­ren­te be­stimm­te Al­ters­gren­ze nach den Vor­ga­ben in Art. 6 Abs. 2 der Richt­li­nie 2000/78/EG ei­ner Verhält­nismäßig­keitsprüfung stand­hal­ten muss oder ob es ei­ner sol­chen Prüfung nicht be­darf (vgl. Schluss­anträge der Ge­ne­ral­anwältin Ko­kott vom 7. Fe­bru­ar 2013 in der Rechts­sa­che - C-476/11 - [HK Dan­mark]); denn die Re­ge­lung in § 2 Abs. 1 Buchst. c der Ver­sor­gungs­ord­nung ist nicht an­ge­mes­sen und da­mit nicht verhält­nismäßig. Ob ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Al­ters iSd. Art. 6 der Richt­li­nie 2000/78/EG sach­lich ge­recht­fer­tigt ist, ist von den na­tio­na­len Ge­rich­ten zu prüfen (vgl. EuGH 5. März 2009 - C-388/07 - [Age Con­cern Eng­land] Rn. 47, Slg. 2009, I-1569).


3. Der von der Be­klag­ten erst­mals in der Re­vi­si­on er­ho­be­ne Ein­wand, das Al­ters­ver­sor­gungs­werk wäre oh­ne die Zu­gangs­be­schränkung nach § 2 Abs. 1 Buchst. c der Ver­sor­gungs­ord­nung aus fi­nan­zi­el­len Gründen vor­zei­tig ge­schlos­sen wor­den, führt nicht zu ei­nem an­de­ren Er­geb­nis. Zum ei­nen han­delt es sich um neu­en Sach­vor­trag, der in der Re­vi­si­on grundsätz­lich un­zulässig ist. Ei­ne Ver­let­zung der Hin­weis­pflicht sei­tens des Lan­des­ar­beits­ge­richts, auf die sich die Be­klag­te in der münd­li­chen Ver­hand­lung vor dem Se­nat be­ru­fen hat, hätte in­ner­halb der Frist zur Be­gründung der Re­vi­si­on gerügt wer­den müssen.
 


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Zum an­de­ren wäre das Vor­brin­gen der Be­klag­ten - un­ge­ach­tet der Fra­ge, ob es über­haupt hin­rei­chend sub­stan­ti­iert ist - un­be­acht­lich. Zwar kann nach ständi­ger Recht­spre­chung des Se­nats ei­ne Be­fug­nis zur An­pas­sung ei­nes Ver­sor­gungs­werks we­gen Störung der Geschäfts­grund­la­ge be­ste­hen, wenn sich die zu­grun­de ge­leg­te Rechts­la­ge nach Schaf­fung des Ver­sor­gungs­werks we­sent­lich und un­er­war­tet geändert und dies beim Ar­beit­ge­ber zu er­heb­li­chen Mehr­be­las­tun­gen geführt hat (Äqui­va­lenzstörung) (vgl. et­wa BAG 19. Fe­bru­ar 2008 - 3 AZR 290/06 - Rn. 18, BA­GE 126, 1). Ei­ne Störung der Geschäfts­grund­la­ge be­gründet je­doch le­dig­lich ein nach bil­li­gem Er­mes­sen aus­zuüben­des ein­sei­ti­ges Leis­tungs­be­stim­mungs­recht des Ar­beit­ge­bers, durch das das Ver­sor­gungs­werk ins­ge­samt an die geänder­ten Grund­la­gen an­ge­passt wer­den kann (vgl. BAG 22. Ok­to­ber 2002 - 3 AZR 496/01 - zu I 1 d dd der Gründe). Ei­ne et­wai­ge An­pas­sung der Ver­sor­gungs­ord­nung we­gen ei­ner we­sent­li­chen Über­schrei­tung des ursprüng­lich zu­grun­de ge­leg­ten Do­tie­rungs­rah­mens könn­te da­her nicht zur Fol­ge ha­ben, dass die ge­gen das Ver­bot der Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Al­ters ver­s­toßen­de Re­ge­lung wei­ter­gilt. Viel­mehr wäre ei­ne mit dem gel­ten­den Recht ver­ein­ba­re, die fi­nan­zi­el­len Be­lan­ge der Be­klag­ten berück­sich­ti­gen­de Neu­re­ge­lung zu tref­fen.

4. Der Kläge­rin steht da­mit nach § 5 Abs. 1 Buchst. a iVm. § 14 Abs. 1 der Ver­sor­gungs­ord­nung ab dem 1. Ju­li 2010 ein An­spruch auf Zah­lung ei­ner be­trieb­li­chen Al­ters­ren­te in un­strei­ti­ger Höhe von 113,66 Eu­ro brut­to mo­nat­lich zu. Sie hat am 19. Ju­ni 2010 das für sie nach § 235 Abs. 2 Satz 1 SGB VI als Re­gel­al­ters­gren­ze maßgeb­li­che 65. Le­bens­jahr voll­endet und ist am 30. Ju­ni 2010 aus dem Ar­beits­verhält­nis mit der Be­klag­ten aus­ge­schie­den. Nach § 14 Abs. 2 Satz 1 der Ver­sor­gungs­ord­nung ist die Be­triebs­ren­te am je­wei­li­gen Mo­nats­en­de zahl­bar. Die Kläge­rin hat die Zah­lung der be­trieb­li­chen Al­ters­ren­te al­ler­dings erst zum je­wei­li­gen Mo­nats­en­de des Fol­ge­mo­nats be­an­tragt. Hier­an ist der Se­nat gemäß § 308 Abs. 1 ZPO ge­bun­den.
 


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III. Die Kos­ten­ent­schei­dung be­ruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. 


Gräfl 

Schlewing A

hrendt

Wi­sch­nath 

Brun­ke

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