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BAG, Ur­teil vom 19.11.2014, 5 AZR 1101/12

   
Schlagworte: Mindestlohn, Bereitschaftsdienst, Arbeitsbereitschaft
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 5 AZR 1101/12
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 19.11.2014
   
Leitsätze: Das Mindestentgelt nach § 2 PflegeArbbV ist nicht nur für Vollarbeit, sondern auch für Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst zu zahlen.
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Stuttgart, Urteil vom 13.03.2012 - 6 Ca 8962/10
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 28.11.2012 - 4 Sa 48/12
   

Bun­des­ar­beits­ge­richt

5 AZR 1101/12

4 Sa 48/12

Lan­des­ar­beits­ge­richt

Ba­den-Würt­tem­berg

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am

19. No­vem­ber 2014

Ur­teil

Met­ze, Ur­kunds­be­am­ter

der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Be­klag­te, Be­ru­fungskläge­rin, Be­ru­fungs­be­klag­te und Re­vi­si­onskläge­rin,

pp.

Kläge­rin, Be­ru­fungs­be­klag­te, Be­ru­fungskläge­rin und Re­vi­si­ons­be­klag­te,

hat der Fünf­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der Be­ra­tung vom 19. No­vem­ber 2014 durch den Vi­ze­präsi­den­ten des Bun­des­ar­beits­ge­richts Dr. Müller-Glöge, die Rich­te­rin am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Laux, den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Biebl so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Reh­wald und Pol­lert für Recht er­kannt:

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1. Die Re­vi­si­on der Be­klag­ten ge­gen das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Ba­den-Würt­tem­berg vom 28. No­vem­ber 2012 - 4 Sa 48/12 - wird zurück­ge­wie­sen.

2. Die Be­klag­te hat die Kos­ten der Re­vi­si­on zu tra­gen.

 

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand


Die Par­tei­en strei­ten über Dif­fe­renz­vergütung und da­bei ins­be­son­de­re darüber, ob das Min­des­tent­gelt nach § 2 der Ver­ord­nung über zwin­gen­de Ar­beits­be­din­gun­gen für die Pfle­ge­bran­che (Pfle­ge­ar­beits­be­din­gun­gen­ver­ord­nung - Pfle­ge­ArbbV) vom 15. Ju­li 2010 (BAnz. 2010 Nr. 110 S. 2571) auch für Ar­beits­be­reit­schaft und Be­reit­schafts­dienst zu zah­len ist.

Die 1954 ge­bo­re­ne Kläge­rin war vom 1. Ju­li bis zum 29. Ok­to­ber 2010 bei der Be­klag­ten, die ei­nen pri­va­ten Pfle­ge­dienst be­treibt, als Pfle­ge­hel­fe­rin beschäftigt. Ar­beits­ort war das Haus der Ka­tho­li­schen Schwes­tern­schaft V e.V. in S.

Dem Ar­beits­verhält­nis lag ein Ar­beits­ver­trag vom 30. Ju­ni 2010 zu­grun­de, in dem es ua. heißt:


㤠1


Der Ar­beit­neh­mer wird mit der Wir­kung vom 01.07.2010 als Pfle­ge­hel­fe­rin für die Ru­du Pfle­ge und Be­treu­ung an der Pfle­ge­stel­le VS für Sr. E, Sr. U und Sr. C un­be­fris­tet ein­ge­stellt.

Er ist nach je­wei­li­ger nähe­rer Wei­sung des Ar­beit­ge­bers ver­pflich­tet, Pfle­ge- und sons­ti­ge Dienst­leis­tun­gen für die pfle­ge­bedürf­ti­gen Per­so­nen zu er­brin­gen. Die Dienst­leis­tun­gen er­fol­gen in der Re­gel in dem Haus der Pfle­ge­bedürf­ti­gen.



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§ 3


1. Der Ar­beit­neh­mer erhält ein Fest­lohn von EUR 1.685,85 brut­to mo­nat­lich. (nur gültig für die o.b.a. Per­so­nen)

2. Es ist wird ei­ne Ar­beits­zeit von 204 Ru­du - Einsätzen abzüglich der 24 Ur­laubs­ta­ge sind 180 Ru­du-Einsätzen / Ar­beits­ta­gen p/Jahr der ver­ein­bart.

3. Der Ar­beit­neh­mer ist je­doch auf An­wei­sung der Ar­beit­ge­bers ver­pflich­tet, Mehr- und Übe­r­ar­beit zu leis­ten.

4. Ru­du wird be­rech­net nach Pfle­ge­mo­du­len / Pfle­ge­zei­ten da­bei wird der Min­des­lohn an­zu­wen­den, Haus­wirt­schaft­li­che Tätig­keit, Be­reit­schaft und An­we­sen­heit ge­son­dert Ru­he­zei­ten und Pau­sen wer­den nicht vergütet. (sie­he Stel­len­be­schrei­bung)

Fahrt­zei­ten und Fahrt­kos­ten wer­den nicht vergütet.

…“

Die Kläge­rin leis­te­te im Streit­zeit­raum Au­gust bis Ok­to­ber 2010 Rund- um-die-Uhr-Diens­te vom 6. Au­gust, 21:00 Uhr, bis zum 20. Au­gust, 12:00 Uhr, vom 2. Sep­tem­ber, 21:00 Uhr, bis zum 16. Sep­tem­ber, 12:00 Uhr, und vom 30. Sep­tem­ber, 21:00 Uhr, bis zum 15. Ok­to­ber, 12:00 Uhr. Da­bei be­wohn­te sie im Haus der Schwes­tern­schaft ein Zim­mer in un­mit­tel­ba­rer Nähe zu den zu be­treu­en­den Schwes­tern. Von die­sen lei­den Sr. E und Sr. U an De­menz und sind an den Roll­stuhl ge­bun­den. Sr. C kam am 15. Au­gust 2010 ins Kran­ken­haus und ver­starb dort. Ne­ben Pfle­ge­leis­tun­gen ob­la­gen der Kläge­rin auch Tätig­kei­ten im Be­reich der haus­wirt­schaft­li­chen Ver­sor­gung der Schwes­tern (wie zB Zu­be­rei­ten von Frühstück und Abend­es­sen, Ge­schirr spülen, Wech­seln und Wa­schen von Wäsche). Täglich von 11:45 bis 12:45 Uhr nah­men die Pfle­ge­bedürf­ti­gen am ge­mein­sa­men Mit­tag­es­sen der Schwes­tern­schaft, von 17:50 bis 18:50 Uhr am Got­tes­dienst teil.

Mit der am 19. No­vem­ber 2010 beim Ar­beits­ge­richt ein­ge­reich­ten Kla­ge hat die Kläge­rin ua. gel­tend ge­macht, während der Rund-um-die-Uhr-Diens­te durch­ge­hend ge­ar­bei­tet zu ha­ben. Das Min­des­tent­gelt nach § 2 Pfle­ge­ArbbV sei zu­dem nicht nur für Vol­l­ar­beit, son­dern auch für Be­reit­schafts­dienst zu zah­len.

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Die Kläge­rin hat zu­letzt - so­weit die Kla­ge in die Re­vi­si­ons­in­stanz ge­langt ist - sinn­gemäß be­an­tragt,


die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an sie 2.198,59 Eu­ro brut­to nebst Zin­sen in Höhe von fünf Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz aus 670,53 Eu­ro seit dem 16. Sep­tem­ber 2010, aus 696,03 Eu­ro seit dem 16. Ok­to­ber 2010 und aus 832,03 Eu­ro seit dem 16. No­vem­ber 2010 zu zah­len.

Die Be­klag­te hat Kla­ge­ab­wei­sung be­an­tragt und gel­tend ge­macht, die Kläge­rin ha­be nicht rund um die Uhr ge­ar­bei­tet, son­dern ar­beitstäglich min­des­tens vier St­un­den Pau­se neh­men können. Sie ha­be in der Zeit von 21:00 bis 06:30 Uhr al­len­falls Ruf­be­reit­schaft ge­habt und nachts schla­fen können. Zu­dem sei Be­reit­schafts­dienst nicht mit dem Min­des­tent­gelt nach § 2 Pfle­ge­ArbbV zu ent­loh­nen.

Das Ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge - so­weit sie in die Re­vi­si­ons­in­stanz ge­langt ist - ab­ge­wie­sen. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat auf die Be­ru­fung der Kläge­rin der Kla­ge auf der Ba­sis von 22 mit dem Min­des­tent­gelt nach § 2 Abs. 1 Pfle­ge­ArbbV zu vergüten­den St­un­den je Ar­beits­tag im Rund-um-die-Uhr-Dienst statt­ge­ge­ben. Mit der vom Lan­des­ar­beits­ge­richt zu­ge­las­se­nen Re­vi­si­on be­gehrt die Be­klag­te die Wie­der­her­stel­lung des erst­in­stanz­li­chen Ur­teils.

 

Ent­schei­dungs­gründe



Die Re­vi­si­on der Be­klag­ten ist un­be­gründet. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die Be­klag­te zu Recht zur wei­te­ren Vergütungs­zah­lung nebst Zin­sen ver­ur­teilt. Die Kla­ge ist in dem noch anhängi­gen Um­fang be­gründet. Das folgt aus § 2 Abs. 1 Pfle­ge­ArbbV.

I. Streit­ge­genständ­lich ist in der Re­vi­si­ons­in­stanz auf­grund der be­schränk­ten Re­vi­si­ons­ein­le­gung der Be­klag­ten und man­gels An­schluss­re­vi­si­on der Kläge­rin die Dif­fe­renz­vergütung, die sich aus der Dif­fe­renz zwi­schen der

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ar­beits­ver­trag­lich ver­ein­bar­ten Vergütung und dem Min­des­tent­gelt von - im Streit­zeit­raum - 8,50 Eu­ro je St­un­de nach § 2 Abs. 1 Pfle­ge­ArbbV er­ge­ben kann. Das sind auf der Ba­sis von 22 Ar­beits­stun­den je Ar­beits­tag - rech­ne­risch un­strei­tig - für den Mo­nat Au­gust 2010 670,53 Eu­ro brut­to, für den Mo­nat Sep­tem­ber 2010 696,03 Eu­ro brut­to und für den Mo­nat Ok­to­ber 2010 832,03 Eu­ro brut­to.

II. Die Kläge­rin hat An­spruch auf das Min­des­tent­gelt nach § 2 Abs. 1 Pfle­ge­ArbbV nicht nur für Vol­l­ar­beit, son­dern auch für Ar­beits­be­reit­schaft und Be­reit­schafts­dienst. Das er­gibt die Aus­le­gung der Norm, die die ar­beits­ver­trag­li­che Vergütungs­ab­re­de in der Ent­gelthöhe kor­ri­giert.

1. Die Pfle­ge­ArbbV ist wirk­sam (vgl. BAG 22. Ju­li 2014 - 1 ABR 96/12 - Rn. 17 ff.; zur Ver­fas­sungsmäßig­keit ent­spre­chen­der Ver­ord­nun­gen sie­he auch BAG 16. April 2014 - 4 AZR 802/11 - Rn. 17 ff.). Das stellt die Be­klag­te nicht in Fra­ge. Für ei­ne (er­neu­te) Prüfung der Wirk­sam­keit der Pfle­ge­ArbbV be­steht von Amts we­gen kein An­lass (vgl. BAG 10. Sep­tem­ber 2014 - 10 AZR 959/13 - Rn. 21 f.).

2. Der Gel­tungs­be­reich der Pfle­ge­ArbbV ist eröff­net. Das steht zwi­schen den Par­tei­en außer Streit. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat zu­dem fest­ge­stellt, dass die Be­klag­te ei­nen Pfle­ge­be­trieb iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 Pfle­ge­ArbbV be­treibt und die Kläge­rin mit der ar­beits­ver­trag­lich ver­ein­bar­ten Pfle­ge und Be­treu­ung der Schwes­tern E, U und C über­wie­gend pfle­ge­ri­sche Tätig­kei­ten in der Grund­pfle­ge nach § 14 Abs. 4 Nr. 1 bis Nr. 3 SGB XI er­brach­te, § 1 Abs. 3 Satz 1 Pfle­ge­ArbbV.

3. Das Min­des­tent­gelt nach § 2 Pfle­ge­ArbbV ist „je St­un­de“ fest­ge­legt. Da­mit knüpft die Norm - ent­spre­chend den Ge­pflo­gen­hei­ten der Ta­rif­part­ner und auch vie­ler Ar­beits­ver­trags­par­tei­en, als Ent­gelt ei­nen be­stimm­ten Eu­ro-Be­trag in Re­la­ti­on zu ei­ner be­stimm­ten Zeit­ein­heit (zu­meist St­un­de oder Mo­nat, bis­wei­len auch Tag, Wo­che, Jahr) bzw. dem Um­fang der in ei­ner be­stimm­ten Zeit­ein­heit zu leis­ten­den Ar­beit fest­zu­set­zen - an die „vergütungs­pflich­ti­ge Ar­beits­zeit“ an. Die­ser Be­griff hat zwar in­so­fern ei­ne ge­wis­se Unschärfe, als die

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Vergütungs­pflicht des Ar­beit­ge­bers nach § 611 Abs. 1 BGB al­lein für die „Leis­tung der ver­spro­che­nen Diens­te“ be­steht und da­mit un­abhängig ist von der ar­beits­zeit­recht­li­chen Ein­ord­nung der Zeit­span­ne, während de­rer der Ar­beit­neh­mer die ge­schul­de­te Ar­beits­leis­tung er­bringt (BAG 19. Sep­tem­ber 2012 - 5 AZR 678/11 - Rn. 15 mwN, BA­GE 143, 107). Er hat sich aber zur Un­ter­schei­dung von Ar­beits­zeit im ar­beits­schutz­recht­li­chen Sin­ne, zeit­li­chem Um­fang der zu vergüten­den Ar­beit und Ar­beits­zeit im Sin­ne der Mit­be­stim­mungs­rech­te des Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­set­zes ein­gebürgert (vgl. Wank RdA 2014, 285). Die An­knüpfung des Min­dest­lohns an die vergütungs­pflich­ti­ge Ar­beits­zeit bestätigt § 3 Abs. 1 Satz 1 Pfle­ge­ArbbV, der die Fällig­keit des Min­des­tent­gelts „für die ver­trag­lich ver­ein­bar­te Ar­beits­zeit“ re­gelt.

4. Da­mit ist das Min­des­tent­gelt in der Pfle­ge­bran­che zu zah­len für die ver­trag­lich ver­ein­bar­te Ar­beits­zeit bzw. - präzi­ser - für al­le St­un­den, während de­rer der Ar­beit­neh­mer in­ner­halb der ver­ein­bar­ten Ar­beits­zeit die gemäß § 611 Abs. 1 BGB ge­schul­de­te Ar­beit er­bringt oder, was im Streit­fall nicht er­heb­lich ist, auf­grund ge­setz­li­cher Ent­gelt­fort­zah­lungs­tat­bestände von der Pflicht zur Er­brin­gung der Ar­beits­leis­tung be­freit ist. § 2 Pfle­ge­ArbbV stellt we­der auf die Art der Tätig­keit (§ 11 Abs. 1 iVm. § 5 Nr. 1 AEntG), noch auf die In­ten­sität der Ar­beit (Vol­l­ar­beit, Ar­beits­be­reit­schaft, Be­reit­schafts­dienst) ab. Ist der An­wen­dungs­be­reich der Pfle­ge­ArbbV eröff­net, weil der Ar­beit­neh­mer in ei­nem Pfle­ge­be­trieb über­wie­gend pfle­ge­ri­sche Tätig­kei­ten in der Grund­pfle­ge nach § 14 Abs. 4 Nr. 1 bis Nr. 3 SGB XI zu er­brin­gen hat, muss des­halb das Min­des­tent­gelt auch für die nicht pfle­ge­ri­schen (Zu­sam­men­hangs-)Tätig­kei­ten (wie zB im Be­reich der haus­wirt­schaft­li­chen Ver­sor­gung nach § 14 Abs. 4 Nr. 4 SGB XI) und für al­le For­men von Ar­beit ge­zahlt wer­den.

Ar­beits­be­reit­schaft und Be­reit­schafts­dienst sind nicht nur ar­beits­schutz­recht­lich Ar­beits­zeit, § 2 Abs. 1 Satz 1, § 7 Abs. 1 Nr. 1a Arb­ZG (zur ge­set­zes­his­to­ri­schen Ent­wick­lung auf­grund von Vor­ga­ben des Uni­ons­rechts, vgl. BAG 11. Ju­li 2006 - 9 AZR 519/05 - Rn. 42, BA­GE 119, 41), son­dern vergütungs­pflich­ti­ge Ar­beit iSv. § 611 Abs. 1 BGB. Denn da­zu zählt nicht nur je­de Tätig­keit, die als sol­che der Be­frie­di­gung ei­nes frem­den Bedürf­nis­ses dient, son­dern

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auch ei­ne vom Ar­beit­ge­ber ver­an­lass­te Untätig­keit, während de­rer der Ar­beit­neh­mer am Ar­beits­platz oder ei­ner vom Ar­beit­ge­ber be­stimm­ten Stel­le an­we­send sein muss und nicht frei über die Nut­zung des Zeit­raums be­stim­men kann, er al­so we­der ei­ne Pau­se (§ 4 Arb­ZG) noch Frei­zeit hat (BAG 20. April 2011 - 5 AZR 200/10 - Rn. 21 mwN, BA­GE 137, 366). Die­se Vor­aus­set­zung ist bei der Ar­beits­be­reit­schaft, die ge­mein­hin um­schrie­ben wird als Zeit wa­cher Auf­merk­sam­keit im Zu­stand der Ent­span­nung (vgl. ErfK/Wank 15. Aufl. § 2 Arb­ZG Rn. 21), und dem Be­reit­schafts­dienst ge­ge­ben. In bei­den Fällen muss sich der Ar­beit­neh­mer an ei­nem vom Ar­beit­ge­ber be­stimm­ten Ort (in­ner­halb oder außer­halb des Be­triebs) be­reit­hal­ten, um im Be­darfs­fal­le die Ar­beit auf­zu­neh­men. Bei der Ar­beits­be­reit­schaft hat der Ar­beit­neh­mer von sich aus tätig zu wer­den, beim Be­reit­schafts­dienst „auf An­for­de­rung“ (BAG 12. De­zem­ber 2012 - 5 AZR 918/11 - Rn. 19; vgl. zum Gan­zen auch: Ba­eck/Deutsch 3. Aufl. § 2 Arb­ZG Rn. 33 ff.; Schlie­mann 2. Aufl. § 2 Arb­ZG Rn. 16 ff., je­weils mwN). Zwar kann für die­se Son­der­for­men der Ar­beit ei­ne ge­son­der­te Vergütungs­re­ge­lung ge­trof­fen und ein ge­rin­ge­res Ent­gelt als für Vol­l­ar­beit vor­ge­se­hen wer­den (BAG 20. April 2011 - 5 AZR 200/10 - Rn. 32, BA­GE 137, 366). Von die­ser Möglich­keit hat aber der Ver­ord­nungs­ge­ber im Be­reich der Pfle­ge we­der in § 2 noch in den übri­gen Be­stim­mun­gen der Pfle­ge­ArbbV Ge­brauch ge­macht. Des­halb ist es un­er­heb­lich, ob ar­beits­ver­trag­lich für den Be­reit­schafts­dienst ei­ne ge­rin­ge­re Vergütung ver­ein­bart wer­den soll­te. In ei­ner sol­chen Aus­le­gung wäre der - sprach­lich gänz­lich missglück­te - § 3 Nr. 4 Ar­beits­ver­trag we­gen Ver­s­toßes ge­gen § 2 Pfle­ge­ArbbV un­wirk­sam, § 134 BGB.

5. Da­nach schul­det die Be­klag­te je­den­falls für die vom Lan­des­ar­beits­ge­richt an­ge­setz­ten 22 St­un­den pro Ar­beits­tag das Min­des­tent­gelt nach § 2 Abs. 1 Pfle­ge­ArbbV. Denn die Kläge­rin muss­te sich, so sie kei­ne Vol­l­ar­beit leis­te­te, auch nach dem Vor­brin­gen der Be­klag­ten rund um die Uhr bei oder je­den­falls in der Nähe der zu pfle­gen­den Schwes­tern auf­hal­ten, um bei Be­darf tätig wer­den zu können. Sie durf­te die in § 1 Ar­beits­ver­trag be­zeich­ne­te Pfle­ge­stel­le nicht ver­las­sen. Ob die Kläge­rin in der Zeit von 11:45 bis 12:45 Uhr und 17:50 bis 18:50 Uhr tatsächlich Pau­sen im Rechts­sin­ne hat­te, braucht der Se­nat nicht zu

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ent­schei­den. Die dies­bezügli­che Wer­tung des Lan­des­ar­beits­ge­richts hat die Kläge­rin nicht an­ge­grif­fen.

So­weit die Be­klag­te die Zeit von 21:00 bis 06:30 Uhr als Ruf­be­reit­schaft be­wer­tet wis­sen will, ver­kennt sie, dass ei­ne sol­che nicht schon dann vor­liegt, wenn die Ar­beit nur „auf Zu­ruf“ (hier: der Pfle­ge­bedürf­ti­gen) auf­ge­nom­men wer­den muss. Ruf­be­reit­schaft setzt - in Ab­gren­zung zum Be­reit­schafts­dienst - viel­mehr vor­aus, dass der Ar­beit­neh­mer nicht ge­zwun­gen ist, sich am Ar­beits­platz oder ei­ner an­de­ren vom Ar­beit­ge­ber be­stimm­ten Stel­le auf­zu­hal­ten, son­dern - un­ter frei­er Wahl des Auf­ent­halts­orts - le­dig­lich je­der­zeit er­reich­bar sein muss, um auf Ab­ruf des Ar­beit­ge­bers die Ar­beit als­bald auf­neh­men zu können (EuGH 3. Ok­to­ber 2000 - C-303/98 - [Si­map] Rn. 50, Slg. 2000, I-07963; BAG 11. Ju­li 2006 - 9 AZR 519/05 - Rn. 41, BA­GE 119, 41; Ba­eck/Deutsch 3. Aufl. § 2 Arb­ZG Rn. 48 ff.; ErfK/Wank 15. Aufl. § 2 Arb­ZG Rn. 30; Schlie­mann 2. Aufl. § 2 Arb­ZG Rn. 28 ff., je­weils mwN). Dass die Kläge­rin be­rech­tigt ge­we­sen wäre, des Nachts die in § 1 Ar­beits­ver­trag ge­nann­te Pfle­ge­stel­le zu ver­las­sen und ei­ge­nen In­ter­es­sen nach­zu­ge­hen, hat die Be­klag­te nicht be­haup­tet. Ob die Kläge­rin, wie die Be­klag­te vor­bringt, nachts (durch-)schla­fen konn­te, ist für die Ein­ord­nung als Be­reit­schafts­dienst oh­ne Be­lang.

Die Rüge der Re­vi­si­on, das Lan­des­ar­beits­ge­richt ha­be die Zeit von 13:00 bis 15:00 Uhr („Mit­tags­ru­he“ der zu pfle­gen­den Schwes­tern) un­ter Über­ge­hen von - in der Re­vi­si­ons­be­gründung nicht näher kon­kre­ti­sier­ten - Be­weis­an­ge­bo­ten zu Un­recht nicht als Pau­se be­wer­tet, greift nicht durch. Nach § 4 Arb­ZG sind - nicht zur Ar­beits­zeit zählen­de und nicht nach § 611 Abs. 1 BGB zu vergüten­de - Pau­sen im Vor­aus fest­ste­hen­de Un­ter­bre­chun­gen der Ar­beit, in de­nen der Ar­beit­neh­mer we­der Ar­beit zu leis­ten noch sich dafür be­reit­zu­hal­ten hat und frei über die Nut­zung des Zeit­raums be­stim­men kann (BAG 23. Sep­tem­ber 1992 - 4 AZR 562/91 - zu I 2 der Gründe; 16. De­zem­ber 2009 - 5 AZR 157/09 - Rn. 10; Ba­eck/Deutsch 3. Aufl. § 4 Arb­ZG Rn. 9; ErfK/Wank 15. Aufl. § 4 Arb­ZG Rn. 1; Schlie­mann 2. Aufl. § 4 Arb­ZG Rn. 6, je­weils mwN). Un­strei­tig muss­te die Kläge­rin aber auch während der „Mit­tags­ru­he“ an der Pfle­ge­stel­le an­we­send sein, um bei Be­darf je­der­zeit die Ar­beit auf­neh­men zu können.

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6. Die An­zahl der im Streit­zeit­raum ge­leis­te­ten Diens­te ist un­strei­tig. Auch im Übri­gen hat die Re­vi­si­on die vom Lan­des­ar­beits­ge­richt fest­ge­stell­te Höhe der Dif­fe­renz­vergütung in rech­ne­ri­scher Hin­sicht nicht an­ge­grif­fen.

III. Zin­sen auf die Dif­fe­renz­vergütung ste­hen der Kläge­rin je­weils ab dem 16. des Fol­ge­mo­nats zu, § 288 Abs. 1, § 286 Abs. 2 BGB iVm. § 3 Abs. 1 Satz 1 Pfle­ge­ArbbV.

IV. Die Kos­ten­ent­schei­dung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.


Müller-Glöge

Laux

Biebl

Rai­ner Reh­wald

Dirk Pol­lert

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