HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

ARBEITSRECHT AKTUELL // 09/156

Kün­di­gung durch den Ar­beit­neh­mer we­gen Über­for­de­rung führt nicht zu Sperr­zeit

Ar­beits­lo­sen­geld: Kei­ne Sperr­zeit bei Kün­di­gung we­gen schlech­ter Ar­beits­be­din­gun­gen: Hes­si­sches Lan­des­so­zi­al­ge­richt, Ur­teil vom 29.07.2009, L 9 AL 129/08
Logo der Bundesagentur für Arbeit, weißes Dreieck auf rotem Hintergrund Kei­ne Sperr­zeit trotz Ei­gen­kün­di­gung?

31.08.2009. Kün­digt ein Ar­beit­neh­mer sein Be­schäf­ti­gungs­ver­hält­nis und geht da­mit "se­hen­den Au­ges" in die Ar­beits­lo­sig­keit, wird die Agen­tur für Ar­beit re­gel­mä­ßig ei­ne Sperr­zeit ge­gen ihn ver­hän­gen.

Frag­lich ist je­doch, ob ei­ne sol­che Sperr­frist auch dann ge­recht­fer­tigt ist, wenn der Be­schäf­tig­te auf­grund schlech­ter Ar­beits­be­din­gun­gen kün­digt und ob­jek­tiv be­reits ei­ne star­ke Über­for­de­rung durch die zu er­le­di­gen­den Ar­bei­ten vor­liegt. 

Ob sol­che Um­stän­de dem Ar­beit­neh­mer die Fort­set­zung des Ar­beits­ver­hält­nis­ses un­zu­mut­bar ma­chen, hat­te kürz­lich das Hes­si­sche Lan­des­so­zi­al­ge­richt (LSG) zu ent­schei­den, Hes­si­sche LSG, Ur­teil vom 29.07.2009, L 9 AL 129/08.

Lösung des Beschäfti­gungs­verhält­nis­ses: Ei­ne Sperr­zeit ist die Re­gel

Stellt die Agen­tur für Ar­beit den Ein­tritt ei­ner Sperr­zeit fest, wird dem Ar­beits­lo­sen das ihm an sich zu­ste­hen­de Ar­beits­lo­sen­geld I für ei­ne be­stimm­te Zeit nicht gewährt, da er sich in ei­ner „ver­si­che­rungs­wid­ri­gen“ Wei­se ver­hal­ten, d.h. ge­gen sei­ne ge­setz­li­chen Pflich­ten als Ver­si­cher­ter ver­s­toßen hat. Die Sperr­zeit­tat­bestände sind ge­setz­lich ge­re­gelt (§ 144 Abs.1 SGB III) und rei­chen von der Ar­beits­auf­ga­be über die Ab­leh­nung ei­ner von der Ar­beits­agen­tur an­ge­bo­te­nen Beschäfti­gung hin zu Mel­de­versäum­nis­sen.

Im Fal­le ei­ner Sperr­zeit we­gen Ar­beits­auf­ga­be tritt die Sper­re gemäß § 144 Abs.1 Satz 2 Nr.1 SGB III ein, wenn der Ar­beits­lo­se das Beschäfti­gungs­verhält­nis gelöst oder durch ein ar­beits­ver­trags­wid­ri­ges Ver­hal­ten An­lass für die Lösung des Beschäfti­gungs­verhält­nis­ses ge­ge­ben und da­durch vorsätz­lich oder grob fahrlässig die Ar­beits­lo­sig­keit her­bei­geführt hat. Ty­pi­sche Fälle ei­ner sol­chen Lösung des Beschäfti­gungs­verhält­nis­ses sind die Ei­genkündi­gung durch den Ar­beit­neh­mer oder der Ver­ein­ba­rung ei­nes Auf­he­bungs­ver­trags mit dem Ar­beit­ge­ber. Hier führt das Ver­hal­ten des Ar­beit­neh­mers un­mit­tel­bar zur Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses und da­mit zum Ein­tritt des Ver­si­che­rungs­falls bzw. der Ar­beits­lo­sig­keit.

Vor­aus­set­zung ei­ner Sperr­zeit ist in al­len Fällen und da­mit auch im Fal­le der Sperr­zeit we­gen Ar­beits­auf­ga­be, dass der Ar­beit­neh­mer für sein Ver­hal­ten kei­nen „wich­ti­gen Grund“ hat­te. Dar­un­ter sind Umstände zu ver­ste­hen, die aus­nahms­wei­se zu ei­ner an­de­ren Be­wer­tung des an sich zur Sperr­zeit führen­den Ver­hal­tens führen. Sol­che Umstände können bei ei­ner Ar­beits­auf­ga­be dar­in lie­gen, dass das vom Ar­beit­neh­mer gekündig­te oder durch Auf­he­bungs­ver­trag be­en­de­te Ar­beits­verhält­nis für ihn nicht zu­mut­bar war.

Die Fra­ge, wel­che Umstände dem Ar­beit­neh­mer die wei­te­re Fort­set­zung ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses un­zu­mut­bar ma­chen, hängt in der Re­gel von al­len Umständen des Ein­zel­falls ab, da meist erst die be­las­ten­den Umstände in ih­rer Ge­samt­heit zur Un­zu­mut­bar­keit führen. Über ei­nen sol­chen Fall hat­te Hes­si­sche LSG mit Ur­teil vom 29.07.2009 (L 9 AL 129/08) zu ent­schei­den.

Ei­genkündi­gung we­gen schlech­ter Ar­beits­be­din­gun­gen

Ein Bus­fah­rer wech­sel­te aus langjähri­ger Beschäfti­gung zu ei­nem neu­en Ar­beit­ge­ber, kündig­te die neue Stel­le je­doch schon zwei­ein­halb Mo­na­te nach Dienst­an­tritt und be­an­trag­te Ar­beits­lo­sen­geld, wor­auf­hin die Agen­tur für Ar­beit ei­ne Sperr­zeit von zwölf Wo­chen fest­setz­te. Zur Be­gründung ver­wies die Ar­beits­agen­tur auf den Sperr­zeit­tat­be­stand der Ar­beits­auf­ga­be (§ 144 Abs.1 Satz 2 Nr.1 SGB III).

Der Bus­fah­rer da­ge­gen be­rief sich zur Recht­fer­ti­gung sei­ner Kündi­gung dar­auf, dass er im­mer erst spät am Abend er­fah­ren hat­te, ob und wann er am nächs­ten Tag ar­bei­ten müsse. Außer­dem muss­te er zur Ver­de­ckung von Über­schrei­tun­gen der Lenk­zei­ten meh­re­re Fahr­ten­schrei­ber­schei­ben be­nut­zen. Und zu al­le­dem wur­de noch nicht ein­mal der Lohn pünkt­lich ge­zahlt. Die­se Umstände be­trach­te­te der Bus­fah­rer als ei­nen wich­ti­gen Grund für die Auf­ga­be des Beschäfti­gungs­verhält­nis­ses.

Die Ar­beits­agen­tur ließ sich von die­sen Ar­gu­men­ten im Wi­der­spruchs­ver­fah­ren nicht be­ein­dru­cken, son­dern er­ließ ei­nen Wi­der­spruchs­be­scheid, ge­gen den der Bus­fah­rer im We­ge der Kla­ge vor dem So­zi­al­ge­richt vor­ging. Da­ge­gen leg­te der Bus­fah­rer Kla­ge vor dem So­zi­al­ge­richt Darm­stadt ein, das die Sperr­zeit al­ler­dings nur von zwölf auf sechs Wo­chen verkürz­te und die Kla­ge im übri­gen ab­wies (So­zi­al­ge­richt Darm­stadt, Ur­teil vom 15.05.2008, S 11 AL 363/06). Da­ge­gen leg­te er Be­ru­fung zum Hes­si­schesn Lan­des­so­zi­al­ge­richt ein.

Hes­si­sches LSG: Über­for­der­ter Bus­fah­rer erhält Ar­beits­lo­sen­geld oh­ne Sperr­zeit

Das LSG gab dem Kläger Recht. Sei­ner An­sicht nach war die ob­jek­ti­ve Über­for­de­rung durch die Ar­beits­be­din­gun­gen ein wich­ti­ger Grund für die durch den Ar­beit­neh­mer aus­ge­spro­che­ne Kündi­gung. Der Ar­beit­neh­mer stand nach Mei­nung des Ge­richts we­gen der Ar­beits­be­din­gun­gen der­art un­ter Druck, dass er den An­for­de­run­gen des Ar­beit­ge­bers nicht mehr ha­be ge­recht wer­den können.

Wich­tig war für die recht­li­che Be­wer­tung, dass der Ar­beit­neh­mer we­gen der man­geln­den Vor­her­seh­bar­keit der Dienst­zei­ten sei­ne Frei­zeit nicht mehr pla­nen konn­te. Darüber hin­aus hat­te er nach den Fest­stel­lun­gen des Ge­richts nur we­nig Zeit für die Vor­be­rei­tung der in­ein­an­der ver­schach­tel­ten Bus­fahr­ten ge­habt. Außer­dem wa­ren die Fahr­zei­ten so knapp kal­ku­liert, dass der Bus­fah­rer im­mer wie­der um Ent­las­tung bit­ten muss­te. Die­se schlech­ten Ar­beits­be­din­gun­gen hat­ten sich nach der ge­richt­li­chen Fest­stel­lun­gen nach­tei­lig auf sei­ne Kon­zen­tra­ti­on aus­ge­wirkt - und da­mit auch auf die Ver­kehrs­si­cher­heit der beförder­ten Fahrgäste, un­ter de­nen sich oft Kin­der und Ju­gend­li­che be­fan­den.

Ob der Bus­fah­rer, wie er selbst vor­brach­te, Lenk- und Ru­he­zei­ten nicht ha­be ein­hal­ten können und mit ver­schie­de­nen Fahr­ten­schrei­ber­schei­ben ar­bei­ten muss­te, konn­te das LSG nicht mit Si­cher­heit fest­stel­len, so dass es die­se Be­haup­tun­gen des Bus­fah­rers als nicht er­wie­sen an­sah. Das änder­te aber nichts an dem für den Bus­fah­rer po­si­ti­ven Aus­gang des Ver­fah­rens, da dass es an­ge­sichts der übri­gen be­las­ten­den Ar­beits­umstände auf die vom Kläger be­haup­te­te be­wuss­te Lenk­zei­tenüber­schrei­tung nicht an­kam.

Fa­zit: Kündigt ein Ar­beit­neh­mer sein Beschäfti­gungs­verhält­nis auf­grund schlech­ter Ar­beits­be­din­gun­gen und liegt ob­jek­tiv ei­ne star­ke Über­for­de­rung des Ar­beit­neh­mers durch die zu er­le­di­gen­den Ar­bei­ten vor, so ist ein wich­ti­ger Grund für die Ar­beits­auf­ga­be im Sin­ne von § 144 Abs.1 Satz 1 SGB III ge­ge­ben.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 18. Dezember 2017

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de
Bewertung: 4.0 von 5 Sternen (3 Bewertungen)

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 

Für Personaler, betriebliche Arbeitnehmervertretungen und andere Arbeitsrechtsprofis: "Update Arbeitsrecht" bringt Sie regelmäßig auf den neusten Stand der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung. Informationen zu den Abo-Bedingungen und ein kostenloses Ansichtsexemplar finden Sie hier:

Alle vierzehn Tage alles Wichtige
verständlich / aktuell / praxisnah

HINWEIS: Sämtliche Texte dieser Internetpräsenz mit Ausnahme der Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen sind urheberrechtlich geschützt. Urheber im Sinne des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Martin Hensche, Lützowstraße 32, 10785 Berlin.

Wörtliche oder sinngemäße Zitate sind nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Urhebers bzw. bei ausdrücklichem Hinweis auf die fremde Urheberschaft (Quellenangabe iSv. § 63 UrhG) rechtlich zulässig. Verstöße hiergegen werden gerichtlich verfolgt.

© 1997 - 2024:
Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Berlin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Lützowstraße 32, 10785 Berlin
Telefon: 030 - 26 39 62 0
Telefax: 030 - 26 39 62 499
E-mail: hensche@hensche.de