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ARBEITSRECHT AKTUELL // 13/268

Be­fris­te­te Ar­beits­ver­trä­ge im Job­cen­ter

Op­ti­ons­kom­mu­nen kön­nen die Be­fris­tung von Ar­beits­ver­trä­gen von Job­cen­ter­mit­ar­bei­tern nicht mit der Ex­pe­ri­men­tier­klau­sel des § 6a SGB II be­grün­den: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 11.09.2013, 7 AZR 107/12
Sanduhr mit rotem Sand Mit­ar­bei­ter in Job­cen­tern ha­ben oft Zeit­ver­trä­ge

13.09.2013. Das Teil­zeit- und Be­fris­tungs­ge­setz (Tz­B­fG) er­laubt die Be­fris­tung ei­nes Ar­beits­ver­trags auch über die Ge­samt­dau­er von zwei Jah­ren hin­aus, vor­aus­ge­setzt, es gibt da­für ei­nen sach­li­chen Grund.

Zu den wich­tigs­ten Sach­grün­den für ei­ne Be­fris­tung ge­hört der nur vor­über­ge­hen­de Be­darf an der Ar­beits­leis­tung (§ 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Tz­B­fG).

Die Recht­spre­chung zu die­sem Sach­grund ist aber streng. Ein vor­über­ge­hen­der Be­darf liegt nur vor, wenn bei Ver­trags­schluss mit hin­rei­chen­der Si­cher­heit nach dem ver­ein­bar­ten Ver­trags­en­de für ei­ne wei­te­re Be­schäf­ti­gung kein Be­darf mehr be­steht.

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) hat die­se har­te Li­nie in ei­nem vor­ges­tern er­gan­ge­nen Ur­teil be­stä­tigt. Hier hat­te sich ei­ne Kom­mu­ne als Trä­ger ei­nes Job­cen­ters ("Op­ti­ons­kom­mu­ne") auf die po­li­tisch un­si­che­re Zu­kunft der kom­mu­na­len Job­cen­ter im Jah­re 2005 be­ru­fen. Da­mit hat­te sie in Er­furt kei­nen Er­folg: BAG, Ur­teil vom 11.09.2013, 7 AZR 107/12.

Können Kom­mu­nen als Träger von Job­cen­tern Zeit­verträge mit der po­li­tisch un­si­che­ren Zu­kunft der kom­mu­na­len Job­cen­ter im Jah­re 2005 recht­fer­ti­gen?

Träger der Grund­si­che­rung für Ar­beits­lo­se ("Hartz IV"), die von den Job­cen­tern er­bracht wer­den, sind nach dem Zwei­ten Buch So­zi­al­ge­setz­buch - Grund­si­che­rung für Ar­beit­su­chen­de - (SGB II) ent­we­der die Ar­beits­agen­tu­ren (Re­gel­fall) oder die kreis­frei­en Städte und Krei­se (Aus­nah­me), vor­aus­ge­setzt, die Städte bzw. Krei­se ha­ben sich dafür ent­schie­den, die­sen Teil der Ar­beits­ver­wal­tung selbst zu über­neh­men (§ 6a SGB II). Der­zeit gibt es in Deutsch­land 109 sol­cher "Op­ti­ons­kom­mu­nen".

Im Jah­re 2005 be­stand die­se - heu­te un­be­fris­te­te - ge­setz­li­che Möglich­keit kom­mu­na­ler Job­cen­ter al­ler­dings nur mit ei­ner ge­setz­li­chen Be­fris­tung bis zum 31.12.2010 (§ 6a SGB II al­te Fas­sung). Denn die po­li­ti­sche und recht­li­che Zu­kunft der kom­mu­na­len Job­cen­ter war da­mals auf­grund ei­nes Ur­teils des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts vom 20.12.2007 (2 BvR 2433/04, 2 BvR 2434/04) un­ge­wiss (wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 08/038 Was ge­schieht mit den Job­cen­tern?).

Da­her hat­ten vie­le Op­ti­ons­kom­mu­nen mit ih­re Job­cen­ter-Mit­ar­bei­tern be­fris­te­te Ar­beits­verträge ab­ge­schlos­sen, die zum 31.12.2010 aus­lie­fen, d.h. zu­sam­men mit dem Aus­lau­fen des Ex­pe­ri­men­tier-Pa­ra­gra­phen (§ 6a SGB II al­te Fas­sung) en­den soll­ten. Denn mit dem Aus­lau­fen des Ex­pe­ri­men­tier-Pa­ra­gra­phen zum 31.12.2010 war für die Op­ti­ons­kom­mu­nen klar, dass ihr Be­darf an der Ar­beits­leis­tung von Job­cen­ter-Mit­ar­bei­ter eben nur bis zum 31.12.2010 be­ste­hen würde.

Ar­beits­recht­lich ge­se­hen ist das aber gar nicht so klar. Denn dass ei­nem öffent­li­chen Ar­beit­ge­ber so­zi­al­staat­li­che Dau­er-Auf­ga­ben auf­grund ei­ner be­fris­tet gel­ten­den Ge­set­zes­re­ge­lung nur zeit­wei­se über­tra­gen sind, heißt noch nicht un­be­dingt, dass sich der Ar­beit­ge­ber auf § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Tz­B­fG be­ru­fen kann.

Der Streit­fall: Land­kreis Leer ver­ein­bart 2005 mit ei­ner Job­cen­ter-Mit­ar­bei­te­rin ei­nen Fünf­jah­res­ver­trag von Ja­nu­ar 2006 bis En­de 2010

Im Streit­fall ging es um ei­ne Ar­beit­neh­me­rin, die beim Job­cen­ter des Land­krei­ses Leer, ei­ner Op­ti­ons­kom­mu­ne, als Sach­be­ar­bei­te­rin in der Ar­beits­ver­mitt­lung be­fris­tet beschäftigt war. Den letz­ten be­fris­te­ten Ver­trag schlos­sen die Par­tei­en im Ok­to­ber 2005. Er lief ab Ja­nu­ar 2006 und soll­te En­de De­zem­ber 2010 aus­lau­fen.

Als Grund für die Be­fris­tung be­rief sich der Land­kreis dar­auf, dass er als Op­ti­ons­kom­mu­ne ein Job­cen­ter be­trei­ben wol­le, und zwar auf der Grund­la­ge der da­mals bis En­de 2010 be­fris­te­ten Ex­pe­ri­men­tier­klau­sel des § 6a SGB II al­te Fas­sung.

En­de 2010 er­hiel­ten 107 der et­wa 130 zunächst be­fris­tet ein­ge­stell­ten Job­cen­ter-Mit­ar­bei­ter un­be­fris­te­te Ar­beits­verhält­nis­se, ei­ni­ge aber nicht, un­ter ih­nen die Ar­beits­ver­mitt­le­rin, de­ren Ar­beits­ver­trag am 31.12.2010 aus­lief.

Sie er­hob Ent­fris­tungs­kla­ge und hat­te da­mit zunächst vor dem Ar­beits­ge­richt Em­den Er­folg (Ur­teil vom 03.05.2011, 2 Ca 39/11), zog aber in der Be­ru­fung vor dem Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) den Kürze­ren (LAG Nie­der­sach­sen, Ur­teil vom 06.12.2011, 11 Sa 802/11). Denn das LAG mein­te, der Be­darf an der Ar­beits­leis­tung ha­be bei Ab­schluss des Ar­beits­ver­trags im Ok­to­ber 2005 auf­grund der bis En­de 2010 be­fris­te­ten Ge­set­zes­re­ge­lung tatsächlich nur vorüber­ge­hend be­stan­den.

BAG: Op­ti­ons­kom­mu­nen können die Be­fris­tung von Ar­beits­verträgen von Job­cen­ter­mit­ar­bei­tern nicht al­lein mit der Ex­pe­ri­men­tier­klau­sel des § 6a SGB II al­te Fas­sung be­gründen

Vor dem BAG un­ter­lag der Land­kreis Leer. Das BAG hielt die Be­fris­tung für un­wirk­sam.

Denn, so die Er­fur­ter Rich­ter: Ei­ne Pro­gno­se des Ar­beit­ge­bers, dass der Ar­beits­be­darf künf­tig wegfällt, ist nicht schon da­durch be­gründet, dass dem Ar­beit­ge­ber so­zi­al­staat­li­che Dau­er-Auf­ga­ben nach ei­nem Ge­setz nur zeit­wei­se über­tra­gen sind.

Denn das be­deu­tet nur, dass die Auf­ga­be beim Ar­beit­ge­ber mögli­cher­wei­se entfällt. Die zunächst be­ste­hen­de Un­ge­wiss­heit über die Fortführung des Op­ti­ons­mo­dells recht­fer­tigt da­her kei­ne Be­fris­tung ei­nes Ar­beits­ver­tra­ges, so das BAG.

Fa­zit: Ei­ne ge­setz­li­che "Ex­pe­ri­men­tier­klau­sel" be­ruht auf der Über­le­gung, dass das Ex­pe­ri­ment im Nach­hin­ein mögli­cher­wei­se po­li­tisch po­si­tiv be­wer­tet wird. In die­sem Fall Fall wird die ge­setz­li­che Re­ge­lung verlängert, d.h. für die Zu­kunft fort­ge­schrie­ben. Dass die Op­ti­ons­kom­mu­nen das im Ok­to­ber 2005 noch nicht si­cher wis­sen konn­ten, ist ihr Ri­si­ko als Ar­beit­ge­ber. Öffent­li­che Ar­beit­ge­ber steht hier recht­lich nicht bes­ser als pri­va­te Un­ter­neh­men. Auch sie müssen das Ri­si­ko tra­gen, dass ein "Großauf­trag" wie die Zuständig­keit für die Job­cen­ter nicht verlängert wird.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das BAG sei­ne Ent­schei­dungs­gründe veröffent­licht. Das vollständig be­gründe­te Ur­teil des BAG fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 28. März 2018

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