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LAG Rhein­land-Pfalz, Ur­teil vom 19.08.2010, 10 Sa 244/10

   
Schlagworte: Urlaub: Krankheit, Krankheit: Urlaub, Mehrurlaub, TVöD
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen: 10 Sa 244/10
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 19.08.2010
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Koblenz, Urteil vom 15.04.2010, 10 Ca 3118/09
Nachgehend Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22.05.2012, 9 AZR 575/10
   

Ak­ten­zei­chen:
10 Sa 244/10
10 Ca 3118/09
ArbG Ko­blenz
Ent­schei­dung vom 19.08.2010

Te­nor:
Die Be­ru­fung des Klägers ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Ko­blenz vom 15. April 2010, Az.: 10 Ca 3118/09, wird kos­ten­pflich­tig zurück­ge­wie­sen.
Die Re­vi­si­on wird zu­ge­las­sen.

Tat­be­stand:
Zwi­schen den Par­tei­en ist strei­tig, ob der den ge­setz­li­chen Min­des­t­ur­laub über­stei­gen­de Ta­ri­fur­laub aus den Jah­ren 2007 und 2008 ver­fal­len ist.

Der 1950 ge­bo­re­ne Kläger ist seit 1974 bei der be­klag­ten Stadt in der Fünf-Ta­ge-Wo­che als An­ge­stell­ter zu ei­nem Ent­gelt nach Ent­gelt­grup­pe 9 beschäftigt. Auf das Ar­beits­verhält­nis fin­det der Ta­rif­ver­trag für den öffent­li­chen Dienst (TVöD) An­wen­dung. § 26 TVöD lau­tet aus­zugs­wei­se:

㤠26
Er­ho­lungs­ur­laub
(1) Beschäftig­te ha­ben in je­dem Ka­len­der­jahr An­spruch auf Er­ho­lungs­ur­laub un­ter Fort­zah­lung des Ent­gelts (§ 21). Bei Ver­tei­lung der wöchent­li­chen Ar­beits­zeit auf fünf Ta­ge in der Ka­len­der­wo­che beträgt der Ur­laubs­an­spruch in je­dem Ka­len­der­jahr
bis zum voll­ende­ten 30. Le­bens­jahr 26 Ar­beits­ta­ge,
bis zum voll­ende­ten 40. Le­bens­jahr 29 Ar­beits­ta­ge und
nach dem voll­ende­ten 40. Le­bens­jahr 30 Ar­beits­ta­ge.
… Der Er­ho­lungs­ur­laub muss im lau­fen­den Ka­len­der­jahr gewährt und kann auch in Tei­len ge­nom­men wer­den.
(2) Im Übri­gen gilt das Bun­des­ur­laubs­ge­setz mit fol­gen­den Maßga­ben:
a) Im Fal­le der Über­tra­gung muss der Er­ho­lungs­ur­laub in den ers­ten drei Mo­na­ten des fol­gen­den Ka­len­der­jah­res an­ge­tre­ten wer­den. Kann der Er­ho­lungs­ur­laub we­gen Ar­beits­unfähig­keit oder aus be­trieb­li­chen/dienst­li­chen Gründen nicht bis zum 31. März an­ge­tre­ten wer­den, ist er bis zum 31. Mai an­zu­tre­ten.
b) …“

Der Kläger war vom 23.06.2007 bis zum 07.10.2009 ar­beits­unfähig er­krankt. Mit sei­ner der Be­klag­ten im De­zem­ber 2009 zu­ge­stell­ten Kla­ge ver­langt er, ihm für 2007 und 2008 den ta­rif­li­chen Mehr­ur­laub von je­weils noch 10 Ur­laubs­ta­gen zu gewähren.

Der Kläger hat erst­in­stanz­lich be­an­tragt,
die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, ihm 10 Ta­ge Rest­ur­laub aus 2007 und 10 Ta­ge Rest­ur­laub aus 2008 zu gewähren.

Die Be­klag­te hat be­an­tragt,
die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Das Ar­beits­ge­richt hat mit Ur­teil vom 15.04.2010 die Kla­ge ab­ge­wie­sen und zur Be­gründung aus­geführt, die Ansprüche auf Gewährung ta­rif­li­chen Mehr­ur­laubs aus den Jah­ren 2007 und 2008 sei­en am je­wei­li­gen En­de des ta­rif­li­chen Über­tra­gungs­zeit­rau­mes (31.05.2008 und 31.05.2009) ver­fal­len. § 26 Abs. 2 TVöD bie­te vor dem Hin­ter­grund der Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts deut­li­che An­halts­punk­te für den er­kenn­ba­ren Wil­len der Ta­rif­ver­trags­par­tei­en zwi­schen dem ge­setz­li­chen Min­des­t­ur­laub und dem ta­rif­li­chen Mehr­ur­laub zu un­ter­schei­den. We­gen der Ein­zel­hei­ten der Ent­schei­dungs­gründe des Ar­beits­ge­richts wird auf Sei­te 4 bis 6 des Ur­teils vom 15.04.2010 (= Bl. 38-40 d. A.) Be­zug ge­nom­men.

Der Kläger hat ge­gen die­ses Ur­teil, das ihm am 28.04.2010 zu­ge­stellt wor­den ist, mit Schrift­satz vom 14.05.2010 Be­ru­fung ein­ge­legt und die­se mit am 28.06.2010 beim Lan­des­ar­beits­ge­richt ein­ge­gan­ge­nen Schrift­satz be­gründet.

Er ist der An­sicht, das Ar­beits­ge­richt ha­be § 26 Abs. 2 TVöD feh­ler­haft aus­ge­legt. § 26 Abs. 2 TVöD dif­fe­ren­zie­re nicht zwi­schen ge­setz­li­chem Min­des­t­ur­laub und ta­rif­li­chem Mehr­ur­laub. We­gen der Ein­zel­hei­ten der Be­ru­fungs­be­gründung wird auf den In­halt des Schrift­sat­zes des Klägers vom 28.06.2010 (Bl. 63-65 d. A.) Be­zug ge­nom­men.

Der Kläger be­an­tragt zweit­in­stanz­lich,
das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Ko­blenz vom 15.04.2010, Az.: 10 Ca 3118/09, auf­zu­he­ben und die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, ihm 10 Ta­ge Rest­ur­laub aus 2007 und 10 Ta­ge Rest­ur­laub aus 2008 zu gewähren.

Die Be­klag­te be­an­tragt zweit­in­stanz­lich,
die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen.

Sie ver­tei­digt das an­ge­foch­te­ne Ur­teil nach Maßga­be ih­res Schrift­sat­zes vom 22.07.2010 (Bl. 66-68 d.A.), auf den Be­zug ge­nom­men wird, als zu­tref­fend. § 26 TVöD ent­hal­te Re­ge­lun­gen über den Er­ho­lungs­ur­laub, die in we­sent­li­chen Tei­len vom BUrlG ab­wi­chen, so dass der ta­rif­li­che Mehr­ur­laub des Klägers mit dem En­de des Über­tra­gungs­zeit­raums am 31.05.2008 und 31.05.2009 ver­fal­len sei.

Ent­schei­dungs­gründe:
I.
Die nach § 64 Abs. 1 und Abs. 2 ArbGG statt­haf­te Be­ru­fung des Klägers ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i. V. m. §§ 517, 519, 520 ZPO form- und frist­ge­recht ein­ge­legt und be­gründet wor­den. Sie ist so­mit zulässig.

II. In der Sa­che hat die Be­ru­fung kei­nen Er­folg. Das Ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge zu Recht ab­ge­wie­sen. Ansprüche des Klägers auf Gewährung ta­rif­li­chen Mehr­ur­laubs von je­weils 10 Ta­gen aus 2007 und 2008 be­ste­hen nicht. Die Ansprüche auf den ta­rif­li­chen Mehr­ur­laub sind gemäß § 26 Abs. 2 lit. a TVöD am 31.05.2008 bzw. am 31.05.2009 ver­fal­len, weil ihn der Kläger we­gen Ar­beits­unfähig­keit bis zum En­de des Über­tra­gungs­zeit­raums nicht an­tre­ten konn­te.

Wie das Ar­beits­ge­richt im Ein­klang mit der Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts, der sich auch die Be­ru­fungs­kam­mer an­sch­ließt, zu­tref­fend er­kannt hat, können die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en Ur­laubs- und Ur­laubs­ab­gel­tungs­ansprüche, die den von Art. 7 Abs. 1 der Ar­beits­zeit­richt­li­nie gewähr­leis­te­ten und von §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG be­gründe­ten An­spruch auf Min­dest­jah­res­ur­laub von vier Wo­chen über­stei­gen, frei re­geln (BAG Ur­teil vom 23.03.2010 - 9 AZR 128/09 - Rn. 19 ff. - NZA 2010, 810, m.w.N.).

Die Re­ge­lungs­macht der Ta­rif­part­ner ist nicht durch die für ge­setz­li­che Ur­laubs­ansprüche ge­genüber öffent­li­chen Ar­beit­ge­bern ein­tre­ten­de un­mit­tel­ba­re Wir­kung von Art. 7 der Ar­beits­zeit­richt­li­nie oder die im Pri­vat­rechts­ver­kehr er­for­der­li­che richt­li­ni­en­kon­for­me Fort­bil­dung des § 7 Abs. 3 und 4 BUrlG be­schränkt (BAG Ur­teil vom 24.03.2009 - 9 AZR 983/07 - Rn. 44 ff. - NZA 2009, 538). Ei­nem ta­rif­lich an­ge­ord­ne­ten Ver­fall des über­ge­setz­li­chen Ur­laubs­an­spruchs und sei­ner Ab­gel­tung steht nach dem kla­ren Richt­li­ni­en­recht und der ge­si­cher­ten Recht­spre­chung des EuGH kein Uni­ons­recht ent­ge­gen.

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt hat die Aus­le­gungs­re­gel auf­ge­stellt, dass für ei­nen Re­ge­lungs­wil­len, der zwi­schen ge­setz­li­chen und über­ge­setz­li­chen ver­trag­li­chen Ansprüchen un­ter­schei­de, deut­li­che An­halts­punk­te be­ste­hen müssen (BAG vom 23.03.2010 - 9 AZR 128/09 - Rn. 35 ff., a.a.O.). Die­se deut­li­chen An­halts­punk­te müssen sich aus Ta­rif­wort­laut, -zu­sam­men­hang und -zweck so­wie ggf. aus der Ta­rif­ge­schich­te er­ge­ben. Deut­li­che An­halts­punk­te für ei­nen Re­ge­lungs­wil­len der Ta­rif­ver­trags­par­tei­en, der zwi­schen ge­setz­li­chen und über­ge­setz­li­chen Ur­laubs(-ab­gel­tungs)ansprüchen un­ter­schei­det, sind schon dann an­zu­neh­men, wenn sich die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en in wei­ten Tei­len vom ge­setz­li­chen Ur­laubs­re­gime lösen und statt­des­sen ei­ge­ne Re­geln auf­stel­len. Im Fall ei­ner sol­chen ei­genständi­gen, zu­sam­menhängen­den und in sich kon­sis­ten­ten Re­ge­lung ist oh­ne ent­ge­gen­ste­hen­de An­halts­punk­te in der Re­gel da­von aus­zu­ge­hen, dass die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en Ansprüche nur be­gründen und fort­be­ste­hen las­sen wol­len, so­weit ei­ne ge­setz­li­che Ver­pflich­tung be­steht. Ei­ne aus­drück­li­che Dif­fe­ren­zie­rung zwi­schen ge­setz­li­chen und über­ge­setz­li­chen Ansprüchen ist dann nicht not­wen­dig (BAG vom 23.03.2010 - 9 AZR 128/09 - Rn. 50, a.a.O.).

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt hat sich in der zi­tier­ten Ent­schei­dung vom 23.03.2010 (9 AZR 128/09, a.a.O.) mit der ta­rif­li­chen Re­ge­lung des § 48 Abs. 3 des Man­tel­ta­rif­ver­tra­ges für die An­ge­stell­ten der Bun­des­ver­si­che­rungs­an­stalt für An­ge­stell­te (MTAng-BfA) beschäftigt. Die Vor­aus­set­zun­gen ei­ner Ab­wei­chung der Ta­rif­ver­trags­par­tei­en vom Ge­set­zes­recht sind - auch vor­lie­gend - im Fall des § 26 TVöD erfüllt.

Die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en des öffent­li­chen Diens­tes ha­ben auch in § 26 TVöD ein weit­ge­hend vom Ge­set­zes­recht gelöstes Ur­laubs­re­gime ge­schaf­fen. § 26 TVöD trifft Aus­sa­gen über die Dau­er des Ur­laubs­an­spruchs und re­gelt so­wohl die An­spruchs­vor­aus­set­zun­gen als auch die Rechts­fol­ge des Ver­falls bei Frist­versäum­nis. Im Un­ter­schied zu § 7 Abs. 3 Satz 1 und 3 BUrlG stellt § 26 Abs. 2 lit. a TVöD nicht dar­auf ab, dass der Ur­laub im Ur­laubs­jahr oder Über­tra­gungs­zeit­raum gewährt und ge­nom­men wird. Ein An­spruchs­un­ter­gang wird be­reits durch ei­nen An­tritt des Ur­laubs im Ur­laubs­jahr oder Über­tra­gungs­zeit­raum ver­mie­den. In §§ 27, und 28 TVöD fin­den sich Re­ge­lun­gen über den Zu­satz­ur­laub für Wech­sel­schicht­ar­beit, Schicht­ar­beit und Nacht­ar­beit, Zu­satz- und Son­der­ur­laub. Auch die Ta­rif­ge­schich­te des TVöD, der ab 01.10.2005 u.a. den Bun­des­an­ge­stell­ten­ta­rif­ver­trag (BAT) vom 23.02.1961 ab­gelöst hat, ist durch ein ei­genständi­ges Ur­laubs­re­gime ge­kenn­zeich­net.

§ 26 Abs. 2 lit. a TVöD deu­tet schon nach sei­nem aus­drück­li­chen Wort­laut nicht auf ei­nen von den Ta­rif­ver­trags­par­tei­en be­zweck­ten „Gleich­lauf“ der ge­setz­li­chen so­wie der über­ge­setz­li­chen Ur­laubs- und Ur­laubs­ab­gel­tungs­ansprüche bei Ar­beits­unfähig­keit hin. Die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en sind von der ge­setz­li­chen Re­ge­lung ab­ge­wi­chen und ha­ben den Ur­laubs­an­spruch bei krank­heits­be­ding­ter Ar­beits­unfähig­keit nicht bis zum 31.03. des Fol­ge­jah­res be­fris­tet. Sie ha­ben den Ver­fall bei Ar­beits­unfähig­keit des Beschäftig­ten in­so­weit ge­lo­ckert, als ein An­tritt des Ur­laubs auch noch bis zum 31.05. des Fol­ge­jah­res zulässig ist. Spätes­tes zu die­sem Zeit­punkt muss der Ur­laub aus dem Vor­jahr an­ge­tre­ten wer­den. Zwar gilt der länge­re Über­tra­gungs­zeit­raum so­wohl für den ge­setz­li­chen als auch den ta­rif­ver­trag­li­chen An­spruch. Ei­ne aus­drück­li­che Dif­fe­ren­zie­rung zwi­schen ge­setz­li­chen und über­ge­setz­li­chen Ansprüchen ist je­doch nicht not­wen­dig (BAG vom 23.03.2010 - 9 AZR 128/09 - Rn. 50, a.a.O.), wenn die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en - wie hier - ei­ne ei­genständi­ge Ur­laubs­re­ge­lung tref­fen.

III. Nach al­le­dem ist die Be­ru­fung des Klägers mit der Kos­ten­fol­ge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurück­zu­wei­sen.

Die Re­vi­si­on wird gemäß § 72 Abs. 2 Zif­fer 1 ArbGG zu­ge­las­sen.
 

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