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ARBEITSRECHT AKTUELL // 15/208

Wie­der­hol­te Kün­di­gung als Dis­kri­mi­nie­rung

Ge­schlechts­be­ding­te Dis­kri­mi­nie­rung durch wie­der­hol­te und ein­deu­tig un­wirk­sa­me Kün­di­gung ei­ner schwan­ge­ren Ar­beit­neh­me­rin: Ar­beits­ge­richt Ber­lin, Ur­teil vom 08.05.2015, 28 Ca 18485/14
Mann und Frau mit Kinderwagen Wann ist ei­ne Kün­di­gung nicht nur un­wirk­sam, son­dern dis­kri­mi­nie­rend?

04.08.2015. Schwan­ge­re und Müt­ter kurz nach der Ent­bin­dung ge­nie­ßen nach dem Mut­ter­schutz­ge­setz (MuSchG) ei­nen be­son­de­ren Schutz vor Kün­di­gun­gen. Die­ser soll sie in der sen­si­blen Le­bens­si­tua­ti­on vor dem emo­tio­na­len Stress, der mit ei­ner Kün­di­gung ver­bun­den ist, be­wah­ren.

In ei­nem Fall, den nun das Ber­li­ner Ar­beits­ge­richt zu ent­schei­den hat­te, kün­dig­te ein Rechts­an­walt sei­ner schwan­ge­ren Ar­beit­neh­me­rin nun gleich zwei mal un­ter Ver­stoß ge­gen das MuSchG. In bei­den Fäl­len er­klär­te das Ar­beits­ge­richt Ber­lin die Kün­di­gun­gen für un­wirk­sam.

In der zwei­ten Kün­di­gung sah es so­gar ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Ge­schlechts und sprach der Ar­beit­neh­me­rin ei­ne Ent­schä­di­gung in Hö­he von 1.500,00 EUR ge­mäß § 15 Abs. 2 All­ge­mei­nes Gleich­be­hand­lungs­ge­setz (AGG) zu: Ar­beits­ge­richt Ber­lin, Ur­teil vom 08.08.2015, 28 Ca 18485/14.

Wann ist ei­ne Kündi­gung ei­ner Schwan­ge­ren ei­ne ge­schlechts­be­ding­te Dis­kri­mi­nie­rung und auf was für ei­ne Entschädi­gung können gekündig­te Ar­beit­neh­me­rin­nen hof­fen?

Wer we­gen sei­nes Ge­schlechts im Ar­beits­le­ben dis­kri­mi­niert wird, kann gemäß § 15 Abs.1 und 2 AGG Zah­lung von Scha­dens­er­satz bzw. ei­ne Entschädi­gung ver­lan­gen.

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) hat­te da­zu 2013 ent­schie­den, dass die Kündi­gung ei­ner schwan­ge­ren Ar­beit­neh­me­rin un­ter Ver­s­toß ge­gen das MuSchG ei­ne Be­nach­tei­li­gung we­gen des Ge­schlechts dar­stellt und ei­nen An­spruch auf ei­ne Entschädi­gung auslösen kann (BAG, Ur­teil vom 12.12.2013, 8 AZR 838/12).

In dem da­ma­li­gen Streit­fall des BAG ver­dien­te die gekündig­te Ar­beit­neh­me­rin bei 30 St­un­den 750,00 EUR brut­to. Während ih­rer Schwan­ger­schaft er­litt sie ei­ne Fehl­ge­burt. Noch während des Kran­ken­haus­auf­ent­halts warf ihr Ar­beit­ge­ber die Kündi­gung in ih­ren Brief­kas­ten ein. Auf­grund des dar­in lie­gen­den be­son­ders gro­ben Ver­s­toßes ge­gen sei­ne Fürsor­ge­pflich­ten hielt das BAG ei­ne Entschädi­gung von vier Mo­nats­gehältern (= 3.000,00 EUR) für an­ge­mes­sen.

Dass vier Mo­nats­gehälter Gel­dentschädi­gung nicht in je­dem Fall zu be­an­spru­chen sind, zeigt der ak­tu­el­le Fall des Ar­beits­ge­richts Ber­lin.

Der Fall des Ar­beits­ge­richts Ber­lin: Rechts­an­walt kündigt Schwan­ge­ren er­neut oh­ne Ein­ho­lung der Zu­stim­mung der Ar­beits­schutz­behörde

In dem Ber­li­ner Fall ging es um ei­nen An­walt und sei­ne Rechts­an­walts­fach­an­ge­stell­te (Re­No), die sich gleich zwei Mal hin­ter­ein­an­der vor Ge­richt tra­fen.

In ei­nem ers­ten Pro­zess strit­ten die Par­tei­en um ei­ne or­dent­li­che Kündi­gung, die der An­walt der schwan­ge­ren Re­No ge­genüber aus­ge­spro­chen hat­te. Sie wur­de für un­wirk­sam erklärt, denn der An­walt hat­te gekündigt, oh­ne zu­vor die er­for­der­li­che Zu­stim­mung der Ar­beits­schutz­behörde gemäß § 9 Abs. 3 MuSchG ein­zu­ho­len.

Auch ein zwei­ter Ver­such, die schwan­ge­re Ar­beit­neh­me­rin - dies­mal frist­los - zu kündi­gen, ging schief. Der Rechts­an­walt hat­te aus dem ers­ten Ver­fah­ren of­fen­bar nichts ge­lernt und die er­for­der­li­che Zu­stim­mung der Ar­beits­schutz­behörde zur Kündi­gung er­neut nicht ein­ge­holt. Zur "Be­gründung" be­rief er sich dar­auf, von der Schwan­ger­schaft nichts ge­wusst zu ha­ben.

Denn die Ar­beit­neh­me­rin durf­te auf­grund ei­nes frau­enärzt­li­chen ("kon­kre­ten") Beschäfti­gungs­ver­bo­tes be­reits vor Be­ginn der sechswöchi­gen ge­setz­li­chen Schutz­frist nicht zur Ar­beit ge­hen, wo­bei das frau­enärzt­li­che Beschäfti­gungs­ver­bot pass­ge­nau mit Be­ginn der vor­ge­burt­li­chen ge­setz­li­chen sechswöchi­gen Schutz­frist en­de­te. Da­her hat­te sich die Re­No nach Ab­lauf des Beschäfti­gungs­ver­bo­tes bzw. bei Be­ginn der Sechs­wo­chen­frist nicht mehr bei ih­rem Chef ge­mel­det, der dar­auf­hin die frist­lo­se Kündi­gung erklärte.

Hier hat­te der An­walt of­fen­sicht­lich ge­gen das Kündi­gungs­ver­bot des § 9 Abs.1 Satz 1 MuSchG ver­s­toßen, denn die Ar­beit­neh­me­rin war (wei­ter­hin) schwan­ger und die vom Ge­setz ge­for­der­te Kennt­nis hat­te der An­walt aus dem Vor­pro­zess.

Die vor die­sem Hin­ter­grund an­ge­streng­te - zwei­te - Kündi­gungs­schutz­kla­ge hat­te da­her vor dem Ar­beits­ge­richt Ber­lin Er­folg. Die Aus­re­de des An­walts, er sei da­von aus­ge­gan­gen, dass sich die "Schwan­ger­schaft schon an­ders er­le­digt ha­be", be­ein­druck­te das Ar­beits­ge­richt nicht.

Aber ist ei­ne of­fen­kun­dig un­wirk­sa­me er­neu­te Kündi­gung ei­ner Schwan­ge­ren zu­gleich auch ei­ne Frau­en­dis­kri­mi­nie­rung und entschädi­gungs­pflich­tig? Und falls ja, wie hoch ist ei­ne an­ge­mes­se­ne Entschädi­gung?

Ar­beits­ge­richt Ber­lin: Die wie­der­hol­te Kündi­gung ei­ner Schwan­ge­ren oh­ne die er­for­der­li­che Zu­stim­mung der Ar­beits­schutz­behörde ist ein Dis­kri­mi­nie­rungs­in­diz

Das Ar­beits­ge­richt ent­schied nicht nur die Kündi­gungs­schutz­kla­ge zu­guns­ten der Re­No, son­dern ver­ur­teil­te den An­walt auch zu ei­ner Entschädi­gung in Höhe von 1.500,00 EUR we­gen ge­schlechts­be­ding­ter Dis­kri­mi­nie­rung auf der Grund­la­ge von § 15 Abs. 2 AGG.

Die Ber­li­ner Ar­beits­rich­ter be­rie­fen sich da­bei im We­sent­li­chen auf die oben ge­nann­te BAG-Ent­schei­dung vom 12.12.2013 (8 AZR 838/12), wo­nach die Kündi­gung ei­ner schwan­ge­ren Ar­beit­neh­me­rin un­ter Ver­s­toß ge­gen das MuSchG ei­ne Be­nach­tei­li­gung we­gen des Ge­schlechts dar­stel­len und ei­nen Entschädi­gungs­an­spruch zur Fol­ge ha­ben kann.

Hier im Streit­fall war für das Ar­beits­ge­richt Ber­lin ent­schei­dend, dass der An­walt we­gen des vor­he­ri­gen Pro­zes­ses und des ihm vor­lie­gen­den Mut­ter­pas­ses mit ei­ner Fort­dau­er der Schwan­ger­schaft rech­nen muss­te. Zwei­fel über die Fort­dau­er der Schwan­ger­schaft hätte der Rechts­an­walt durch Nach­fra­ge bei dem An­walt der schwan­ge­ren Ar­beit­neh­me­rin leicht ausräum­en können.

Im Er­geb­nis be­stand da­her ein Entschädi­gungs­an­spruch we­gen ge­schlechts­be­ding­ter Dis­kri­mi­nie­rung gemäß § 15 Abs.2 AGG. Auch die ver­meint­lich "net­ten" Grußwor­te un­ter der frist­lo­sen Kündi­gung ("Für die be­vor­ste­hen­den Fei­er­ta­ge wünsche ich Ih­nen al­les Gu­te") be­wer­te­te das Ar­beits­ge­richt als iro­nisch und da­mit zu­un­guns­ten des Ar­beit­ge­bers. Im Er­geb­nis hielt das Ge­richt ei­ne Entschädi­gung in Höhe von 1.500, 00 EUR für an­ge­mes­sen.

Fa­zit: Die Entschädi­gung, die das Ber­li­ner Ar­beits­ge­richt der schwan­ge­ren Ar­beit­neh­me­rin zu­sprach, ist ziem­lich nied­rig aus­ge­fal­len. Hier hätte man we­gen des wie­der­hol­ten Ver­s­toßes ge­gen das MuSchG und auf­grund der da­mit ver­bun­de­nen in­ten­si­ven Be­las­tung der gekündig­ten Ar­beit­neh­me­rin während ih­rer Schwan­ger­schaft auch zwei der drei Gehälter zu­spre­chen können.

Im­mer­hin: Wer als Ar­beit­ge­ber glaubt, auf­grund ei­ner un­wirk­sa­men Kündi­gung kei­ne fi­nan­zi­el­len Nach­tei­le zu er­lei­den, kann sich ver­spe­ku­lie­ren. Das gilt nicht nur für dis­kri­mi­nie­ren­de Kündi­gun­gen während ei­ner Schwan­ger­schaft, son­dern z.B. auch für dis­kri­mi­nie­ren­de Kündi­gun­gen schwer­be­hin­der­ter Ar­beit­neh­mer.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das AG Ber­lin sei­ne Ent­schei­dungs­gründe veröffent­licht. Das vollständig be­gründe­te Ur­teil des AG fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 31. August 2018

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