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ARBEITSRECHT AKTUELL // 12/385

Kei­ne Zu­rück­wei­sung der Be­triebs­rats­an­hö­rung we­gen feh­len­der Voll­macht

Der Be­triebs­rat kann ein An­hö­rungssschrei­ben zu ei­ner ge­plan­ten Kün­di­gung nicht ge­mäß § 174 BGB zu­rück­wei­sen, weil kei­ne Voll­machts­ur­kun­de bei­liegt: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 13.12.2012, 6 AZR 348/11
Sitzung des Betriebsrats, Betriebsratsversammlung Ei­ne An­hö­rung des Be­triebs­rats ist noch kei­ne Kün­di­gung

14.12.2012. Der Be­triebs­rat ist vor je­der ge­plan­ten Kün­di­gung an­zu­hö­ren. Das be­deu­tet, dass er über die Kün­di­gungs­plä­ne des Ar­beit­ge­bers in­for­miert wer­den muss, um Stel­lung neh­men zu kön­nen, so dass er auf den Kün­di­gungs­ent­schluss des Ar­beit­ge­bers ein­wir­ken kann.

Die Be­triebs­rats­an­hö­rung ist von ex­tre­mer Wich­tig­keit, denn wenn der Ar­beit­ge­ber hier patzt, ist die spä­ter aus­ge­spro­che­ne Kün­di­gung al­lein des­halb un­wirk­sam, § 102 Abs.1 Satz 3 Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz (Be­trVG). Da­her gibt es seit lan­gem vie­le Ge­richts­ent­schei­dun­gen zu der Fra­ge, wel­che In­for­ma­tio­nen der Ar­beit­ge­ber dem Be­triebs­rat bei der An­hö­rung ge­ben muss, wie der Be­triebs­rat re­agie­ren kann usw.

Bis­lang noch nicht vom Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) ge­klärt ist die Fra­ge, ob der Be­triebs­rat die recht­li­che Mög­lich­keit hat, ein von ei­nem Ver­tre­ter des Ar­beit­ge­bers er­stell­tes An­hö­rungs­schrei­ben zu­rück­zu­wei­sen, wenn die­sem Schrei­ben kei­ne Voll­macht bei­ge­fügt ist. Die­ses Recht be­steht bei Kün­di­gun­gen und ähn­lich wich­ti­gen Er­klä­run­gen, aber mög­li­cher­wei­se nicht ge­gen­über ei­ner An­hö­rung.

Mit Ur­teil vom gest­ri­gen Don­ners­tag hat das BAG ent­schie­den, dass der Be­triebs­rat kein Recht zur Zu­rück­wei­sung ei­nes An­hö­rungs­schrei­bens we­gen feh­len­der Voll­macht hat: BAG, Ur­teil vom 13.12.2012, 6 AZR 348/11.

Kann Be­triebs­rat ein Anhörungs­schrei­ben we­gen feh­len­der Voll­machts­ur­kun­de zurück­wei­sen, wenn das Schrei­ben von ei­nem an­geb­lich be­vollmäch­tig­ten Ver­tre­ter des Ar­beit­ge­bers stammt?

Gemäß § 174 Satz 1 Bürger­li­ches Ge­setz­buch (BGB) kann man als Empfänger Kündi­gun­gen und ähn­lich wich­ti­ge "ein­sei­ti­ge" Erklärun­gen zurück­wei­sen, wenn die­se durch ei­nen Stell­ver­tre­ter ab­ge­ge­ben wer­den, d.h. na­mens und in be­haup­te­ter Voll­macht für ei­nen an­de­ren. Die­ses Recht hat man dann, wenn der an­geb­li­che Ver­tre­ter bei sei­ner Erklärung kei­ne Voll­machts­ur­kun­de vor­legt, aus der sich sei­ne Be­vollmäch­ti­gung zu sol­chen Erklärun­gen er­gibt.

Ei­ne sol­che Zurück­wei­sung ist ärger­lich für den Stell­ver­tre­ter und sei­nen Auf­trag­ge­ber, falls ei­ne Be­vollmäch­ti­gung tatsächlich vor­liegt, nur eben bei Ab­ga­be der Erklärung nicht in Form ei­ner Voll­machts­ur­kun­de be­legt wer­den konn­te.

An­de­rer­seits wäre es aber ei­ne un­zu­mut­ba­re Si­tua­ti­on für den Empfänger ein­sei­ti­ger Erklärun­gen wie ins­be­son­de­re ei­ner Kündi­gung, wenn er nicht wüss­te, ob der Erklären­de da­zu be­vollmäch­tigt ist oder nicht. Denn ist man als Ar­beit­neh­mer ein­mal gekündigt, muss man bin­nen drei Wo­chen ent­schei­den, ob man ei­ne Kündi­gungs­schutz­kla­ge er­he­ben will oder nicht. Die­ser Stress würde un­zu­mut­bar ge­stei­gert, wenn der Gekündig­te nicht das Recht zur Zurück­wei­sung gemäß § 174 Satz 1 BGB hätte.

Von § 174 Satz 1 BGB ma­chen Anwälte da­her ger­ne Ge­brauch, weil die Erklärung in­fol­ge ei­ner be­rech­tig­ten Zurück­wei­sung null und nich­tig ist. Sie müss­te dann er­neut aus­ge­spro­chen wer­den, was zu er­heb­li­chen Verzöge­run­gen führen kann.

Frag­lich ist al­ler­dings, ob auch das Anhörungs­schrei­ben gemäß § 102 Abs.1 Be­trVG, mit dem der Ar­beit­ge­ber den ers­ten Schritt hin zu ei­ner Kündi­gung un­ter­nimmt, ei­ne sol­che "ein­sei­ti­ge Erklärung" ist, die Be­triebsräte zurück­wei­sen können, falls sie nicht vom Ar­beit­ge­ber selbst, son­dern von ei­nem (an­geb­li­chen) Be­vollmäch­tig­ten oh­ne Voll­mach­tur­kun­de stammt. Ei­ne Lan­des­ar­beits­ge­rich­te (LAGs) ha­ben in den letz­ten Jah­ren die­se Auf­fas­sung ver­tre­ten, so z.B. das LAG Ber­lin-Bran­den­burg mit Ur­teil vom 27.05.2011, 8 Sa 132/11 (wir be­rich­te­ten in: Ar­beits­recht ak­tu­ell: 11/211 Anhörung des Be­triebs­rats vor ei­ner Kündi­gung).

Der Fall des BAG: Grie­chi­sches Luft­fahrt­un­ter­neh­men schließt aus fi­nan­zi­el­len Gründen sei­ne deut­schen Stand­or­te und lei­tet ein Anhörungs­ver­fah­ren durch ei­nen be­vollmäch­tig­ten Rechts­an­walt ein

Ei­ne grie­chi­sche Flug­ge­sell­schaft beschäftig­te in Deutsch­land an fünf Stand­or­ten 69 Ar­beit­neh­mer im Bo­den­be­trieb. Die Ge­sell­schaft wur­de 2009 der Son­der­li­qui­da­ti­on nach grie­chi­schem Recht un­ter­stellt. Als Son­der­li­qui­da­to­rin wur­de ei­ne an­de­re Ge­sell­schaft grie­chi­schen Rechts ein­ge­setzt. Die­se be­schloss, al­le deut­schen Stand­or­te zu schließen und den Ar­beit­neh­mern zu kündi­gen.

Über ei­nen be­auf­trag­ten Rechts­an­walt hörte sie den Be­triebs­rat des Stand­orts Stutt­gart mit Schrei­ben vom 15.12.2009 zu ei­ner ge­plan­ten or­dent­li­chen Kündi­gung an. Dem Schrei­ben war kei­ne Voll­machts­ur­kun­de bei­gefügt. Der Be­triebs­rat wies die Anhörung des­halb ei­ni­ge Ta­ge später zurück.

Dar­auf­hin kündig­te der An­walt oh­ne er­neu­te Anhörung das Ar­beits­verhält­nis ei­ner an­ge­stell­ten "Sa­les Re­pre­sen­ta­ti­ve" mit Schrei­ben vom 29.12.2009 zum 31.03.2010.

Die gekündig­te Ar­beit­neh­mer er­hob Kündi­gungs­schutz­kla­ge und be­rief sich un­ter an­de­rem dar­auf, dass die Kündi­gung nach § 102 Abs.1 Be­trVG un­wirk­sam war, weil der Anhörung des Be­triebs­rats kein Voll­machts­nach­weis des Rechts­an­walts bei­gefügt ge­we­sen war. Da­mit hat­te sie vor dem LAG Ba­den-Würt­tem­berg Er­folg, d.h. das LAG hielt die Kündi­gung für un­wirk­sam (Ur­teil vom 25.03.2011, 7 Sa 7/11).

BAG: Der Be­triebs­rat kann ein Anhörungssschrei­ben zu ei­ner ge­plan­ten Kündi­gung nicht gemäß § 174 zurück­wei­sen, wenn kei­ne Voll­machts­ur­kun­de bei­liegt

An­ders das BAG, das ge­gen die Ar­beit­neh­me­rin ent­schied. Zur Be­gründung heißt es da­zu in der der­zeit al­lein vor­lie­gen­den Pres­se­mel­dung des BAG:

Be­triebsräte können ei­ne Anhörung gemäß § 102 Abs.1 Be­trVG nicht in sinn­gemäßer ("ana­lo­ger") An­wen­dung von § 174 Satz 1 BGB we­gen feh­len­den Voll­machts­nach­wei­ses zurück­wei­sen. Denn der Zweck des Anhörungs­er­for­der­nis­ses steht ei­ner sol­chen An­wen­dung von § 174 BGB ent­ge­gen, so das BAG.

Da­bei ver­weist das BAG dar­auf, dass das Anhörungs­ver­fah­ren kei­nen Form­vor­schrif­ten un­ter­liegt, so dass ei­ne münd­li­che oder te­le­fo­ni­sche Anhörung auch möglich ist. Auch dann be­ginnt die kur­ze einwöchi­ge Frist zur Ab­ga­be ei­ner Stel­lung­nah­me zu lau­fen.

Und wenn der Be­triebs­rat Zwei­fel an der Bo­ten- oder Ver­tre­ter­stel­lung der ihm ge­genüber bei der Anhörung auf­tre­ten­den Per­son hat, so das BAG wei­ter, dann könne er sich doch "nach dem Ge­bot der ver­trau­ens­vol­len Zu­sam­men­ar­beit" un­mit­tel­bar ge­genüber dem Ar­beit­ge­ber äußern.

Fa­zit: Ent­ge­gen den von ei­ni­gen LAGs in den letz­ten Jah­ren ver­tre­te­nen Rechts­an­sicht kann der Be­triebs­rat ei­ne Be­triebs­rats­anhörung, die von ei­nem (an­geb­li­chen) Ver­tre­ter des Ar­beit­ge­bers stammt, nicht gemäß § 174 Satz 1 BGB zurück­wei­sen. Das ent­las­tet Ar­beit­ge­ber, da die­se sich bei der Aus­ar­bei­tung von Anhörungs­schrei­ben oh­ne­hin oft von An­walts­kanz­lei­en be­ra­ten las­sen. Und wenn der An­walt so­wie­so schon das Anhörungs­schrei­ben ver­fasst, kann er es auch dem Be­triebs­rat zu­kom­men las­sen - und zwar auch dann, wenn er ge­ra­de kei­ne Voll­machts­ur­kun­de zur Hand hat.

Be­triebsräte soll­ten mit die­ser BAG-Recht­spre­chung le­ben können. Zwar müssen Sie bei ei­ner oh­ne Voll­machts­ur­kun­de über­reich­ten Anhörung zu ei­ner ge­plan­ten or­dent­li­chen Kündi­gung die kur­ze einwöchi­ge Frist be­ach­ten, die das Ge­setz ih­nen für ei­nen mögli­chen Wi­der­spruch setzt, oh­ne da­bei si­cher zu wis­sen, dass der an­geb­li­che Ver­tre­ter durch den Ar­beit­ge­ber wirk­lich be­vollmäch­tigt war. Im schlimms­ten Fall hätten sich die Be­triebs­rats­mit­glie­der dann um­sonst Ge­dan­ken ge­macht bzw. sich oh­ne Grund zu ei­ner Sit­zung zu­sam­men­ge­fun­den.

Das aber ist ei­ne Be­las­tung, die weit ge­rin­ger ist als die ei­nes Ar­beit­neh­mers, der durch ei­nen Ar­beit­ge­ber­ver­tre­ter oh­ne Voll­machts­ur­kun­de gekündigt wird. Denn der Ar­beit­neh­mer müss­te oh­ne das Recht zur Zurück­wei­sung gemäß § 174 Satz 1 BGB rein vor­sorg­lich Kla­ge er­he­ben. Das ist in er­heb­li­chem Um­fang mit Stress und Kos­ten ver­bun­den. Sol­che Be­las­tun­gen tref­fen den Be­triebs­rat in­fol­ge die­ses BAG-Ur­teils nicht.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das BAG sei­ne Ent­schei­dungs­gründe veröffent­licht. Das vollständig be­gründe­te Ur­teil des BAG fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 29. Januar 2017

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