HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

ARBEITSRECHT AKTUELL // 08/102

Um­stel­lung ei­ner kirch­li­chen Ge­samt­ver­sor­gung auf das Punk­te­mo­dell des öf­fent­li­chen Diens­tes

Die Ca­ri­tas durf­te die bis­he­ri­ge end­ge­halts­be­zo­ge­ne Be­triebs­ren­te durch ein un­güns­ti­ge­res Punk­te­mo­dell ab­lö­sen: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 19.08.2008, 3 AZR 383/06
Gesetzestext mit darauf liegendem Holzkreuz Kür­zun­gen bei der Be­triebs­ren­te ma­chen auch vor kirch­li­chen Ein­rich­tun­gen nicht halt

29.09.2008. In ei­nem ak­tu­el­len Ur­teil hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) den Sys­tem­wech­sel bei der be­trieb­li­chen Al­ters­ver­sor­gung im Be­reich der kirch­lich ge­bun­de­nen Ar­beits­ver­hält­nis­se für rech­tens er­klärt.

Wäh­rend die Be­triebs­ren­ten der Ar­beit­neh­mer der ka­tho­li­schen Kir­che und ih­rer ka­ri­ta­ti­ven Ein­rich­tun­gen, der Ca­ri­tas, bis­lang auf der Grund­la­ge des vor der Be­ren­tung er­reich­ten End­ge­hal­tes be­rech­net wur­den, gilt künf­tig ein Punk­te­mo­dell.

Das neue Punk­te­mo­dell gilt rück­wir­kend ab dem 01.01.2002. Es ist für die Ar­beit­neh­mer fi­nan­zi­ell we­ni­ger at­trak­tiv, aber recht­lich zu­läs­sig: BAG, Ur­teil vom 19.08.2008, 3 AZR 383/06.

Ist die Ablösung der end­ge­halts­be­zo­ge­nen Be­triebs­ren­te durch ein Be­triebs­ren­ten­sys­tem auf Ba­sis ei­nes Punk­te­mo­dells im Be­reich der kirch­lich ge­bun­de­nen Ar­beits­verhält­nis­se rech­tens?

Im März des Jah­res 2002 be­schlos­sen die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en des öffent­li­chen Diens­tes ei­nen Sys­tem­wech­sel in ih­rem Zu­satz­ver­sor­gungs­sys­tem (Ta­rif­ver­trag über die be­trieb­li­che Al­ters­ver­sor­gung der Beschäftig­ten des öffent­li­chen Diens­tes vom 01.03.2002 - Ta­rif­ver­trag Al­ters­ver­sor­gung - ATV).

Dafür gab es sach­li­che Gründe. Letzt­lich ging es um die Be­he­bung von Fi­nan­zie­rungs­engpässen auf­grund der sich ste­tig verändern­den de­mo­gra­phi­schen Struk­tur. Mit Neu­fas­sung ih­rer Sat­zung vom 22.11.2002 gab die Ver­sor­gungs­an­stalt des Bun­des und der Länder (VBL) da­her rück­wir­kend zum 31.12.2001 das frühe­re end­ge­halts­be­zo­ge­ne Ge­samt­ver­sor­gungs­sys­tem zu­guns­ten ei­nes auf ei­nem Punk­te­mo­dell be­ru­hen­den Be­triebs­ren­ten­sys­tems auf.

Die­ses ist durch die Ab­kop­pe­lung der Be­triebs­ren­te von dem zu­letzt vor Ren­ten­be­ginn be­zo­ge­nen End­ge­halt mit ge­rin­ge­ren Ri­si­ken und Fi­nan­zie­rungs­las­ten für den Ar­beit­ge­ber ver­bun­den, dafür ent­spre­chend we­ni­ger at­trak­tiv für den Beschäftig­ten: Er er­wirbt für je­des Jahr der Tätig­keit Ren­ten­punk­te, die von sei­nem ak­tu­el­len Ge­halt abhängig und da­her nicht dy­na­misch vom End­ge­halt abhängen.

Un­ter dem Ein­druck des ATV be­schloss der Ver­wal­tungs­rat der kirch­li­chen Zu­satz­ver­sor­gungs­kas­se des Ver­ban­des der Diöze­sen Deutsch­lands (KZVK) am 16.04.2002 eben­falls ei­ne Sat­zungsände­rung und stell­te rück­wir­kend zum 01.01.2002 sein Ver­sor­gungs­sys­tem nach dem Vor­bild des öffent­li­chen Diens­tes um. Auch das Vorgänger­mo­dell ent­sprach dem des öffent­li­chen Diens­tes.

In der Fol­ge­zeit kam es im öffent­li­chen Dienst zu Strei­tig­kei­ten über die Wirk­sam­keit der Um­stel­lung im All­ge­mei­nen so­wie ein­zel­ner Be­rech­nungs­re­ge­lun­gen im Be­son­de­ren. Erst durch zwei grund­le­gen­de Ent­schei­dun­gen, die des Bun­des­ar­beits­ge­richts (BAG), Ur­teil vom 27.03.2007, 3 AZR 299/06 und des Bun­des­ge­richts­hofs (BGH),Ur­teil vom 14.11.2007, IV ZR 74/06, wur­de höchst­rich­ter­lich ab­ge­si­chert, dass die Sys­tem­um­stel­lung grundsätz­lich rechtmäßig ist. Ei­ne Ver­fas­sungs­be­schwer­de ge­gen die Ent­schei­dung des BGH nahm das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt (BVerfG) nicht zur Ent­schei­dung an (Nicht­an­nah­me­be­schluss vom 30.05.2008, 1 BvR 27/08).

Für den kirch­li­chen Be­reich, d.h. für die Sat­zungsände­rung der KZVK, fehlt bis­her ei­ne höchst­rich­ter­li­che Ent­schei­dung über die Wirk­sam­keit der Sys­tem­um­stel­lung.

Der Fall des BAG: So­zi­alpädago­ge der Ca­ri­tas klagt ge­gen das neue Be­triebs­ren­ten­sys­tem

Der Kläger ist als So­zi­alpädago­ge bei ei­ner Ein­rich­tung der Ca­ri­tas beschäftigt. In sei­nem Dienst­ver­trag wur­de die Gel­tung der Richt­li­ni­en für Ar­beits­verträge in den Ein­rich­tun­gen des Deut­schen Ca­ri­tas­ver­ban­des (AVR-Ca­ri­tas) in der je­weils gel­ten­den Fas­sung ver­ein­bart.

Zif­fer VIII der An­la­ge 1 zu den AVR-Ca­ri­tas ver­pflich­tet den Dienst­ge­ber, ei­ne zusätz­li­che Al­ters­ver­sor­gung gemäß An­la­ge 8 zu den AVR-Ca­ri­tas zu gewähr­leis­ten. Grundsätz­lich fin­det dann die Ver­sor­gungs­ord­nung A der An­la­ge 8 An­wen­dung. Un­ter der Über­schrift „§ 1 Ge­samt­ver­sor­gung“ ist dort ge­re­gelt, dass Mit­ar­bei­ter und Aus­zu­bil­den­de, für die nach der Sat­zung der KZVK Ver­si­che­rungs­pflicht be­steht, durch ih­ren Dienst­ge­ber bei der KZVK zu ver­si­chern sind. Fer­ner heißt es in Ab­satz 2, die Ver­sor­gungs­ansprüche würden sich „aus­sch­ließlich nach der Sat­zung der Zu­satz­ver­sor­gungs­kas­se und ih­rer Ausführungs­be­stim­mun­gen“ rich­ten.

Der Kläger ist durch den be­klag­ten Ar­beit­ge­ber bei der KZVK zu­satz­ver­si­chert. Nach­dem das Sys­tem der Al­ters­ver­sor­gung um­ge­stellt wor­den war, wur­de der Kläger darüber En­de Ok­to­ber 2002 in­for­miert. Er wand­te sich zunächst außer­ge­richt­lich - oh­ne Er­folg - ge­gen die Um­stel­lung. Sch­ließlich zog er vor Ge­richt und woll­te fest­ge­stellt wis­sen, dass sei­ne Ru­he­geld­ansprüche im Sin­ne ei­ner Ge­samt­ver­sor­gung fort­be­ste­hen und durch die Sys­tem­um­stel­lung nicht berührt wer­den.

Er un­ter­lag so­wohl in ers­ter In­stanz vor dem ArbG Pa­der­born (Ur­teil vom 07.09.2005, 3 Ca 69/05) als auch in zwei­ter In­stanz vor dem Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Hamm (Ur­teil vom 18.01.2006, 3 Sa 2122/05).

BAG: Kirch­li­che Ar­beit­ge­ber durf­ten die bis­he­ri­ge end­ge­halts­be­zo­ge­ne Be­triebs­ren­te durch ein ungüns­ti­ge­res Punk­te­mo­dell ablösen

Auch die Re­vi­si­on des Klägers hat­te kei­nen Er­folg. Zur Be­gründung heißt es in der der­zeit al­lein vor­lie­gen­den Pres­se­mel­dung des BAG:

Dem Kläger wur­de kei­ne Ge­samt­ver­sor­gung zu­ge­sagt, weil § 1 der An­la­ge 8 AVR-Ca­ri­tas oh­ne Ein­schränkung auf die Sat­zungs­be­stim­mun­gen der KZVK ver­weist. Zwar be­sit­zen die Ar­beits­ver­ter­trags­richt­li­ni­en (AVR), die kirch­li­che Ein­rich­tun­gen ih­ren Ar­beits­verträgen zu­grun­de le­gen, so­wie de­ren An­la­gen kei­nen nor­ma­ti­ven Cha­rak­ter, weil es kei­ne Ta­rif­verträge sind. Den­noch han­delt es sich hier in der Sa­che um Norm­set­zung von drit­ter Sei­te, nämlich von Sei­ten der für die Ca­ri­tas täti­gen ar­beits­recht­li­chen Kom­mis­si­on.

Of­fen­bar geht auch das BAG von der Wirk­sam­keit der Sat­zungsände­rung aus, wenn es mit­teilt, die Sys­tem­um­stel­lung ha­be nicht der Zu­stim­mung der ar­beits­recht­li­chen Kom­mis­si­on be­durft. Das LAG hat­te hier­zu kurz und bündig ent­schie­den, dass es sich bei Sat­zungsände­rung um Recht­set­zung durch ei­nen Drit­ten (nämlich den Ver­wal­tungs­rat der KZVK) han­de­le. Un­ter des­sen Re­ge­lungs­be­fug­nis ha­ben sich die Par­tei­en durch die (mit­tel­ba­re) ar­beits­ver­trag­li­che Be­zug­nah­me un­ter­wor­fen, so dass de­ren Be­tei­li­gung bei der Sat­zungsände­rung nicht an­ge­zeigt war.

Im Er­geb­nis hielt das BAG die Ablösung der Ge­samt­ver­sor­gung durch das Punk­te­mo­dell bei den Ein­rich­tun­gen der Ca­ri­tas für zulässig. Da­bei ver­weist es in der Pres­se­mit­tei­lung zur Be­gründung le­dig­lich auf sein Ur­teil vom 27.03.2007 (3 AZR 299/06) so­wie die Ent­schei­dung des BGH vom 14.11.2007 (IV ZR 74/06). In­wie­weit die dor­ti­ge Ar­gu­men­ta­ti­on aus dem (staat­li­chen) Ta­rif- bzw. Ver­fas­sungs­recht auf Kir­chen­recht über­tra­gen wer­den können, bleibt ab­zu­war­ten.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen zu die­sem Vor­gang fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das Ge­richt sei­ne Ent­schei­dungs­gründe schrift­lich ab­ge­fasst und veröffent­licht. Die Ent­schei­dungs­gründe im Voll­text fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 3. August 2020

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de

Bewertung:

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 

Für Personaler, betriebliche Arbeitnehmervertretungen und andere Arbeitsrechtsprofis: "Update Arbeitsrecht" bringt Sie regelmäßig auf den neusten Stand der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung. Informationen zu den Abo-Bedingungen und ein kostenloses Ansichtsexemplar finden Sie hier:

Alle vierzehn Tage alles Wichtige
verständlich / aktuell / praxisnah

HINWEIS: Sämtliche Texte dieser Internetpräsenz mit Ausnahme der Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen sind urheberrechtlich geschützt. Urheber im Sinne des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Martin Hensche, Lützowstraße 32, 10785 Berlin.

Wörtliche oder sinngemäße Zitate sind nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Urhebers bzw. bei ausdrücklichem Hinweis auf die fremde Urheberschaft (Quellenangabe iSv. § 63 UrhG) rechtlich zulässig. Verstöße hiergegen werden gerichtlich verfolgt.

© 1997 - 2024:
Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Berlin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Lützowstraße 32, 10785 Berlin
Telefon: 030 - 26 39 62 0
Telefax: 030 - 26 39 62 499
E-mail: hensche@hensche.de