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BAG, Ur­teil vom 18.05.2006, 2 AZR 412/05

   
Schlagworte: Arbeitnehmerüberlassung, Leiharbeit, Zeitarbeit, Kündigung: Betriebsbedingt
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 2 AZR 412/05
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 18.05.2006
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Siegburg, Urteil vom 30.06.2004, 6 (2) Ca 903/04
Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 3.06.2005, 11 Sa 1014/04
   

BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT


2 AZR 412/05
11 Sa 1014/04
Lan­des­ar­beits­ge­richt

Köln

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am

18. Mai 2006

UR­TEIL

An­derl, Ur­kunds­be­am­tin

der Geschäfts­stel­le


In Sa­chen

Be­klag­te, Be­ru­fungskläge­rin und Re­vi­si­onskläge­rin,


pp.


Kläger, Be­ru­fungs­be­klag­ter und Re­vi­si­ons­be­klag­ter,

hat der Zwei­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf Grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 18. Mai 2006 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Prof. Dr. Rost, die Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Ey­lert und Schmitz-Scho­le­mann so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Dr. Ro­eckl und Ro­sen­dahl für Recht er­kannt:


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Die Re­vi­si­on der Be­klag­ten ge­gen das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Köln vom 3. Ju­ni 2005 - 11 Sa 1014/04 - wird auf Kos­ten der Be­klag­ten zurück­ge­wie­sen.


Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand


Die Par­tei­en strei­ten über die Wirk­sam­keit ei­ner or­dent­li­chen be­triebs­be­ding­ten Kündi­gung.

Die Be­klag­te be­treibt ein EDV-Be­ra­tungs­un­ter­neh­men und setzt den ganz über­wie­gen­den Teil ih­rer ca. 400 Ar­beit­neh­mer zur EDV-Be­ra­tung bei Auf­trag­ge­bern auf der Ba­sis von Werk­verträgen oder Ar­beit­neh­merüber­las­sungs­verträgen ein. Der am 3. Au­gust 1954 ge­bo­re­ne, ge­schie­de­ne Kläger war seit dem 5. Ok­to­ber 1998 bei der Be­klag­ten tätig. Nach­dem er zunächst bei ver­schie­de­nen Kun­den als Netz­werkad­mi­nis­tra­tor ge­ar­bei­tet hat­te, war er seit Au­gust 1999 im We­ge der Ar­beit­neh­merüber­las­sung als „Or­ga­ni­sa­ti­ons­pro­gram­mie­rer“ bei der Fir­ma V in D un­un­ter­bro­chen ein­ge­setzt und be­treu­te vor al­lem die sog. „Clip­per“-Pro­gram­mie­rung.

Die Fir­ma V verlänger­te den En­de Ja­nu­ar 2004 aus­lau­fen­den Ver­trag mit der Be­klag­ten nicht.

Mit Schrei­ben vom 29. Ja­nu­ar 2004 kündig­te die Be­klag­te das Ar­beits­verhält­nis zum 31. März 2004 we­gen Auf­trags­man­gels.

Der Kläger hat sich ge­gen die­se Kündi­gung ge­wandt und die Auf­fas­sung ver­tre­ten, die Kündi­gung sei so­zi­al un­ge­recht­fer­tigt. Die Be­klag­te hätte ihn bei ei­nem an­de­ren Kun­den, bei­spiels­wei­se bei der GmbH, mit an­de­ren Tätig­kei­ten ein­set­zen können. Auf Grund sei­ner Kennt­nis­se in der Sys­tem­tech­nik könne er zur Be­treu­ung der Win­dows-Be­triebs­sys­te­me ein­ge­setzt wer­den. Er be­herr­sche auch die Pro­gram­mie­rung in den Spra­chen „Ba­sic“ und „C“, könne an­de­re Auf­ga­ben im EDV-Be­reich bewälti­gen und die Ser­ver- und Work­sta­tion­tech­nik der Be­triebs­sys­te­me Win­dows NT 4.0, Win­dows 2000 und Win­dows 2003 in­klu­si­ve der da­zu­gehöri­gen Si­cher­heits­tech­nik be­treu­en. Im Übri­gen sei die So­zi­al­aus­wahl feh­ler­haft. Er sei ins­be­son­de­re ge­genüber dem ver­gleich­ba­ren Netz­werkad­mi­nis­tra­tor P (ge­bo­ren am 12. Fe­bru­ar 1968, le­dig,


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kei­ne Kin­der und seit dem 30. No­vem­ber 2000 bei der Be­klag­ten beschäftigt) so­zi­al schutzwürdi­ger.

Der Kläger hat zu­letzt be­an­tragt 

fest­zu­stel­len, dass das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en nicht durch die Kündi­gung vom 29. Ja­nu­ar 2004 zum 31. März 2004 be­en­det wor­den ist, son­dern un­verändert fort­be­steht.

Die Be­klag­te hat zur Be­gründung ih­res Kla­ge­ab­wei­sungs­an­trags aus­geführt: Die Kündi­gung sei aus drin­gen­den be­trieb­li­chen Er­for­der­nis­sen so­zi­al ge­recht­fer­tigt. Auf Grund des Auf­trags­ver­lus­tes der Fir­ma V und feh­len­der Fol­ge­aufträge sei zum Kündi­gungs­zeit­punkt ab­seh­bar ge­we­sen, dass ei­ne Wei­ter­beschäfti­gung des Klägers mit sei­ner Qua­li­fi­ka­ti­on zukünf­tig nicht mehr in Be­tracht ge­kom­men sei. Die Pro­gram­mier­spra­che Clip­per sei ver­al­tet und wer­de von kei­nem Kun­den mehr be­nutzt. Seit 2001 ha­be es hierfür kei­ne Neu­aufträge mehr ge­ge­ben. Der Kläger verfüge auch nicht über die für den Ein­satz bei an­de­ren Kun­den er­for­der­li­che Qua­li­fi­ka­ti­on, die er auch nicht in ei­nem zu­mut­ba­ren Zeit­raum er­wer­ben könne. Die So­zi­al­aus­wahl sei feh­ler­frei.

Das Ar­beits­ge­richt hat nach dem Kla­ge­an­trag des Klägers er­kannt. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die Be­ru­fung der Be­klag­ten zurück­ge­wie­sen. Mit der vom Lan­des­ar­beits­ge­richt zu­ge­las­se­nen Re­vi­si­on be­gehrt die Be­klag­te wei­ter­hin die Ab­wei­sung der Kla­ge.


Ent­schei­dungs­gründe

Die Re­vi­si­on der Be­klag­ten hat kei­nen Er­folg. 

A. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat im We­sent­li­chen sei­ne der Kla­ge statt­ge­ben­de Ent­schei­dung wie folgt be­gründet: Die Kündi­gung sei nicht durch drin­gen­de be­trieb­li­che Er­for­der­nis­se iSv. § 1 Abs. 2 KSchG be­dingt. Die Be­klag­te ha­be die feh­len­de Wei­ter­beschäfti­gungsmöglich­keit auf Grund ei­nes Auf­trags­man­gels nicht hin­rei­chend dar­ge­legt. Sie tra­ge als Leih­ar­beits­un­ter­neh­men das Beschäfti­gungs­ri­si­ko für kurz­fris­ti­ge Auf­tragslücken. Sie müsse dar­le­gen, dass in ei­nem re­präsen­ta­ti­ven Zeit­raum vor Aus­spruch der Kündi­gung we­der im bis­he­ri­gen Ar­beits­be­reich des Ar­beit­neh­mers noch in an­de­ren Be­rei­chen, in de­nen er nach zu­mut­ba­ren Um­schu­lungs- und Fort­bil­dungs­maßnah­men hätte ein­ge­setzt wer­den können, Auf­träge vor­han­den ge­we­sen sei­en. Nur dann könne an­ge­nom­men wer­den, sol­che Beschäfti­gungsmöglich­kei­ten würden auch
 

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zukünf­tig kurz­fris­tig nicht ent­ste­hen. Dafür, dass dies nicht der Fall sei, tra­ge der Ar­beit­ge­ber die Dar­le­gungs- und Be­weis­last. Dem genüge der Vor­trag der Be­klag­ten nicht. Der bloße Hin­weis auf den Weg­fall des V-Auf­tra­ges recht­fer­ti­ge die not­wen­di­ge an­zu­stel­len­de ne­ga­ti­ve Pro­gno­se nicht. Die Be­klag­te ha­be zu den feh­len­den an­de­ren Ein­satzmöglich­kei­ten nicht sub­stan­zi­iert vor­ge­tra­gen, bei­spiels­wei­se feh­le es an ei­ner Dar­stel­lung zu den ak­qui­rier­ten Ein­satzmöglich­kei­ten im Zeit­raum Sep­tem­ber 2003 bis März 2004 und den dafür not­wen­di­gen Qua­li­fi­ka­ti­ons­vor­aus­set­zun­gen.

B. Dem folgt der Se­nat im Er­geb­nis und in we­sent­li­chen Tei­len der Be­gründung. 

Die frist­gemäße Kündi­gung ist nach § 1 Abs. 1 KSchG un­wirk­sam, weil sie so­zi­al un­ge­recht­fer­tigt iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG ist. Die Be­klag­te hat drin­gen­de be­trieb­li­che Er­for­der­nis­se, die ei­ner Wei­ter­beschäfti­gung des Klägers in ih­rem Be­trieb ent­ge­gen­ste­hen, nicht aus­rei­chend dar­ge­tan.

I. Bei der Be­ant­wor­tung der Fra­ge, ob ei­ne Kündi­gung gemäß § 1 Abs. 2 KSchG so­zi­al ge­recht­fer­tigt ist, weil drin­gen­de be­trieb­li­che Er­for­der­nis­se ei­ner Wei­ter­beschäfti­gung des Ar­beit­neh­mers im Be­trieb ent­ge­gen­ste­hen, geht es um die An­wen­dung un­be­stimm­ter Rechts­be­grif­fe. Die­se kann vom Re­vi­si­ons­ge­richt nur dar­auf über­prüft wer­den, ob das Lan­des­ar­beits­ge­richt in dem an­zu­fech­ten­den Ur­teil die Rechts­be­grif­fe selbst ver­kannt hat, ob es bei der Un­ter­ord­nung des Sach­ver­halts un­ter die Rechts­nor­men des § 1 KSchG Denk­ge­set­ze oder all­ge­mei­ne Er­fah­rungssätze ver­letzt hat, ob es al­le we­sent­li­chen Umstände berück­sich­tigt hat und ob das Ur­teil in sich wi­der­spruchs­frei ist (st. Rspr., vgl. BAG 26. Sep­tem­ber 1996 - 2 AZR 200/96 - BA­GE 84, 209, 212; 21. Sep­tem­ber 2000 - 2 AZR 440/99 - BA­GE 95, 350, 356; zu­letzt bei­spw. 7. Ju­li 2005 - 2 AZR 399/04 - AP KSchG 1969 § 1 Be­triebs­be­ding­te Kündi­gung Nr. 138 = EzA KSchG § 1 Be­triebs­be­ding­te Kündi­gung Nr. 138).

II. Die­sem ein­ge­schränk­ten Prüfungs­maßstab hält das Be­ru­fungs­ur­teil stand. Zu Un­recht meint die Re­vi­si­on, auf Grund des aus­ge­lau­fe­nen V-Auf­tra­ges sei der Ar­beits­platz des Klägers ent­fal­len.

1. Ein drin­gen­des be­trieb­li­ches Er­for­der­nis für ei­ne Kündi­gung iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG kann sich aus ei­nem in­ner­be­trieb­li­chen (ins­be­son­de­re ei­ner un­ter­neh­me­ri­schen Or­ga­ni­sa­ti­ons­ent­schei­dung) oder aus ei­nem außer­be­trieb­li­chen Grund (zB ei­nem Auf­trags­man­gel) er­ge­ben.


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Ei­ne Kündi­gung ist aus in­ner­be­trieb­li­chen Gründen ge­recht­fer­tigt, wenn sich der Ar­beit­ge­ber zu ei­ner or­ga­ni­sa­to­ri­schen Maßnah­me ent­schließt, bei de­ren in­ner­be­trieb­li­cher Um­set­zung das Bedürf­nis für ei­ne Wei­ter­beschäfti­gung ei­nes oder meh­re­re Ar­beit­neh­mer entfällt (vgl. bei­spw. BAG 7. De­zem­ber 1978 - 2 AZR 155/77 - BA­GE 31, 157; 29. März 1990 - 2 AZR 369/89 - BA­GE 65, 61; zu­letzt 7. Ju­li 2005 - 2 AZR 399/04 - AP KSchG 1969 § 1 Be­triebs­be­ding­te Kündi­gung Nr. 138 = EzA KSchG § 1 Be­triebs­be­ding­te Kündi­gung Nr. 138).

Ein be­triebs­be­ding­ter Kündi­gungs­grund kann sich auch aus außer­be­trieb­li­chen Umständen er­ge­ben, wenn nämlich der Ar­beit­ge­ber, wie im Fall ei­nes schlich­ten Auf­trags­ver­lus­tes, die An­zahl der benötig­ten Ar­beit­neh­mer un­mit­tel­bar an die ver­blie­be­ne bzw. vor­han­de­ne Ar­beits­men­ge an­pas­sen will, die sich aus dem ver­rin­ger­ten Auf­trags­be­stand und dem dar­aus re­sul­tie­ren­den ver­rin­ger­ten Ar­beits­vo­lu­men er­gibt (BAG 15. Ju­ni 1989 - 2 AZR 600/88 - AP KSchG 1969 § 1 Be­triebs­be­ding­te Kündi­gung Nr. 45 = EzA KSchG § 1 Be­triebs­be­ding­te Kündi­gung Nr. 63 ; 12. April 2002 - 2 AZR 256/01 - AP KSchG 1969 § 1 Be­triebs­be­ding­te Kündi­gung 120 = EzA KSchG § 1 Be­triebs­be­ding­te Kündi­gung Nr. 118). Ein Auf­tragsrück­gang stellt in­so­weit ein drin­gen­des be­trieb­li­ches Er­for­der­nis zur Kündi­gung dar, wenn der Ar­beits­an­fall so zurück­ge­gan­gen ist, dass zukünf­tig für ei­nen oder meh­re­re Ar­beit­neh­mer kein Bedürf­nis für ei­ne Wei­ter­beschäfti­gung mehr be­steht (BAG 17. Ju­ni 1999 - 2 AZR 141/99 - BA­GE 92, 71 und - 2 AZR 456/98 - BA­GE 92, 79). Be­haup­tet der Ar­beit­ge­ber, al­lein der außer­be­trieb­li­che Grund ha­be das Bedürf­nis für ei­ne Wei­ter­beschäfti­gung ent­fal­len las­sen, bin­det er sich al­so selbst an die von ihm so ge­se­he­nen Sach­zwänge, kann das Ge­richt in vol­lem Um­fang nach­prüfen, ob die vom Ar­beit­ge­ber be­haup­te­ten außer­be­trieb­li­chen Umstände für die Kündi­gung zum Zeit­punkt der Kündi­gung tatsächlich vor­la­gen und zukünf­tig zu ei­nem dau­er­haf­ten Rück­gang des Beschäfti­gungs­vo­lu­mens führen. Da­bei muss der In­halt und die Sub­stanz des Sach­vor­trags dem Um­stand Rech­nung tra­gen, dass die Einschätzung des zukünf­ti­gen - ge­sun­ke­nen - Beschäfti­gungs­be­darfs und -vo­lu­mens pro­gnos­ti­schen Cha­rak­ter hat. Der Ar­beit­ge­ber muss des­halb den Rück­gang des Beschäfti­gungs­vo­lu­mens nach­voll­zieh­bar dar­stel­len, bei­spiels­wei­se durch ei­ne Dar­stel­lung der Ent­wick­lung und ei­nen Ver­gleich des Auf­trags- und Beschäfti­gungs­vo­lu­mens in Re­fe­renz­pe­ri­oden (vgl. bei­spw. Hie­kel: FS 50 Jah­re Ar­beits­ge­mein­schaft Ar­beits­recht 333, 340; Dahl BB 2003, 1626, 1628).

Im Rah­men der Ar­beit­neh­merüber­las­sung ent­steht ein ent­spre­chen­der Über­hang an Leih­ar­beit­neh­mern, wenn der Ein­satz von Leih­ar­beit­neh­mern en­det, oh­ne dass der Ar­beit­neh­mer wie­der bei an­de­ren Ent­lei­hern oder im Be­trieb des Ver­lei­hers


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so­fort oder auf ab­seh­ba­re Zeit ein­ge­setzt wer­den kann (Dahl BB 2003, 1626, 1628; Ul­ber AÜG 3. Aufl. § 1 AÜG Rn. 91). Da­bei reicht ein bloßer Hin­weis auf ei­nen aus­lau­fen­den Auf­trag und auf ei­nen feh­len­den An­schluss­auf­trag re­gelmäßig nicht aus, um ei­nen - dau­er­haf­ten - Weg­fall des Beschäfti­gungs­bedürf­nis­ses zu be­gründen. Der Ar­beit­ge­ber muss an Hand der Auf­trags- und Per­so­nal­pla­nung viel­mehr dar­stel­len, war­um es sich nicht nur um ei­ne - kurz­fris­ti­ge - Auf­trags­schwan­kung, son­dern um ei­nen dau­er­haf­ten Auf­tragsrück­gang han­delt und ein an­de­rer Ein­satz des Ar­beit­neh­mers bei ei­nem an­de­ren Kun­den bzw. in ei­nem an­de­ren Auf­trag - auch ggf. nach ent­spre­chen­den An­pas­sungs­fort­bil­dun­gen - nicht in Be­tracht kommt. Dies gilt um­so mehr, als es dem We­sen der Ar­beit­neh­merüber­las­sung und dem Geschäft ei­nes Ar­beit­neh­merüber­las­sungs-Un­ter­neh­men ent­spricht, Ar­beit­neh­mer - oft kurz­fris­tig - bei ver­schie­de­nen Auf­trag­ge­bern ein­zu­set­zen und zu beschäfti­gen. Es kann ge­sche­hen, dass be­reits ei­nen Tag nach Aus­spruch der Kündi­gung ein neu­er Kun­de kurz­fris­tig Be­darf für ei­nen Ar­beit­neh­mer und des­sen Ein­satz an­mel­det (Dahl BB 2003, 1626, 1627). Des­halb ist es ge­recht­fer­tigt, an die Dar­le­gung der Tat­sa­chen, auf de­nen die zu stel­len­de Pro­gno­se des zukünf­ti­gen Beschäfti­gungs­vo­lu­mens be­ruht, de­zi­dier­te An­for­de­run­gen - auch in zeit­li­cher Hin­sicht - zu stel­len. Das Vor­lie­gen von mögli­cher­wei­se nur kurz­fris­ti­gen Auf­trags­schwan­kun­gen muss aus­zu­sch­ließen sein. Kurz­fris­ti­ge Auf­tragslücken sind bei ei­nem Leih­ar­beits­un­ter­neh­men nicht ge­eig­net, ei­ne be­triebs­be­ding­te Kündi­gung iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG zu recht­fer­ti­gen, da sie zum ty­pi­schen Wirt­schafts­ri­si­ko die­ser Un­ter­neh­men gehören (LAG Köln 10. De­zem­ber 1998 - 6 Sa 493/98 - EzAÜG KSchG Nr. 10; Thüsing/Pelz­ner AÜG § 3 Rn. 115; ErfK/Wank AÜG 6. Aufl. Einl. Rn. 41; Ur­ban-Krell/Schulz: Ar­beit­neh­merüber­las­sung und Ar­beits­ver­mitt­lung Rn. 454; Preis/Ten­brock In­no­va­ti­ve Ar­beits­for­men Rn. 967; Sand­mann/Mar­schall AÜG Art. 1 § 11 Anm. 23; Hie­kel aaO S. 340; Schüren/Beh­rend NZA 2003, 521, 524).

2. Die An­nah­me des Lan­des­ar­beits­ge­richts, die Be­klag­te ha­be nicht aus­rei­chend dar­ge­legt, dass im Kündi­gungs­zeit­punkt greif­ba­re An­halts­punk­te für die An­nah­me ei­nes dau­er­haft ge­sun­ke­nen Beschäfti­gungs­be­darfs vor­la­gen und es des­halb an ei­nem drin­gen­den be­trieb­li­chen Er­for­der­nis zur Kündi­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses fehl­te, ist re­vi­si­ons­recht­lich nicht zu be­an­stan­den.

a) Al­ler­dings kann ein drin­gen­des be­trieb­li­ches Er­for­der­nis noch nicht al­lein des­halb ver­neint wer­den, weil - wie das Lan­des­ar­beits­ge­richt meint - die Be­klag­te auch bei ei­nem dau­er­haf­ten Auf­tragsrück­gang zu­min­dest für wei­te­re drei Mo­na­te das Beschäfti­gungs­ri­si­ko zu tra­gen ha­be. Ei­ne sol­che Ein­schränkung des Rechts des Ar­beit­ge­bers


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zur be­triebs­be­ding­ten Kündi­gung bei ei­nem dau­er­haf­ten Rück­gang des Beschäfti­gungs­vo­lu­mens lässt sich für ei­nen Ver­leih­ar­beit­ge­ber - je­den­falls nach Auf­he­bung des § 9 Nr. 3 AÜG aF durch das Ers­te Ge­setz für mo­der­ne Dienst­leis­tun­gen am Ar­beits­markt vom 23. De­zem­ber 2002 - auch nicht mehr un­ter Berück­sich­ti­gung des Sinns und Zwecks des Leih­ar­beits­verhält­nis­ses be­gründen (ErfK/Wank aaO Einl. Rn. 41; Hie­kel aaO S. 342; aA und wei­ter­hin auf die drei Mo­na­te ab­stel­lend: Schüren AÜG 2. Aufl. Einl. Rn. 230; Ur­ban-Krell/Schulz aaO Rn. 454).

b) Der Ar­beit­ge­ber, der ei­ne be­triebs­be­ding­te Kündi­gung aus­spricht, ist aber für den dau­er­haf­ten Weg­fall des Beschäfti­gungs­be­darfs dar­le­gungs- und be­weis­pflich­tig.

Ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Re­vi­si­on hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt vor­lie­gend kei­ne über­zo­ge­nen An­for­de­run­gen an die Dar­le­gungs­last ge­stellt. Die Be­klag­te hat die not­wen­di­gen Tat­sa­chen zur Be­ur­tei­lung ei­nes zukünf­tig dau­er­haft ge­sun­ke­nen Beschäfti­gungs­be­darfs nicht hin­rei­chend dar­ge­stellt. Sie hat we­der für ei­nen re­präsen­ta­ti­ven Zeit­raum spe­zi­fi­ziert, wie sich die Auf­träge und die Ein­satzmöglich­kei­ten (in­klu­si­ve der benötig­ten Qua­li­fi­ka­tio­nen der Ar­beit­neh­mer) ent­wi­ckelt ha­ben und zukünf­tig (in ei­nem Ver­gleich der Auf­träge in den ver­schie­de­nen Re­fe­renz­pe­ri­oden) ent­wi­ckeln wer­den, noch wel­che Ar­beit­neh­mer sie zur Be­ar­bei­tung die­ser Auf­träge ein­ge­setzt und wel­che Maßnah­men sie ein­ge­lei­tet hat, um Ar­beit­neh­mer im Rah­men von neu­en Auf­trägen zu ver­wen­den. Aus § 1 Abs. 2 Satz 2 und 3 KSchG folgt, dass sie den Kläger möglichst bei ei­nem neu­en Auf­trag - auch zu geänder­ten Qua­li­fi­ka­ti­ons­an­for­de­run­gen - ein­set­zen muss, selbst dann, wenn hierfür noch not­wen­di­ge und zu­mut­ba­re Um­schu­lungs- und Fort­bil­dungs­maßnah­men not­wen­dig wären (so schon BAG 7. Mai 1968 - 1 AZR 407/67 - BA­GE 21, 6, 11). Außer­dem war die Be­klag­te auch nach § 241 Abs. 2 BGB ver­pflich­tet, auf die In­ter­es­sen des Klägers Rück­sicht zu neh­men, wo­zu hier gehört hätte, ihn dar­auf hin­zu­wei­sen, dass sei­ne Qua­li­fi­ka­ti­on zukünf­tig für ei­nen Ein­satz in neu­en Auf­trägen nicht aus­rei­chend und des­halb fort­zu­ent­wi­ckeln sei. Nach den Fest­stel­lun­gen des Lan­des­ar­beits­ge­richts sind ent­spre­chen­de Tat­sa­chen und Umstände nicht aus­rei­chend dar­ge­legt wor­den. Das Be­ru­fungs­ge­richt konn­te da­her ei­nen kündi­gungs­re­le­van­ten dau­er­haf­ten Weg­fall des zukünf­ti­gen Beschäfti­gungs­be­darfs oh­ne re­vi­si­ons­recht­lich er­heb­li­chen Rechts­feh­ler ver­nei­nen.

c) Der Ein­wand der Re­vi­si­on, auf Grund der Nicht­verlänge­rung des V-Auf­tra­ges ha­be de­fi­ni­tiv fest­ge­stan­den, es lie­ge ein Ar­beits­man­gel vor, reicht dem­ge­genüber nicht aus, ei­nen dau­er­haf­ten Weg­fall des Beschäfti­gungs­be­darfs in der Zu­kunft hin­rei­chend dar­zu­le­gen.


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3. Liegt so­mit schon kein drin­gen­des be­trieb­li­ches Er­for­der­nis zur Kündi­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses vor, be­durf­te es kei­ner wei­te­ren Prüfung, ob die Kündi­gung auch we­gen ei­ner feh­ler­haf­ten So­zi­al­aus­wahl nach 1 Abs. 3 KSchG so­zi­al un­ge­recht­fer­tigt war.

C. Die Kos­ten­ent­schei­dung folgt aus § 97 ZPO. 


Rost 

Schmitz-Scho­le­mann 

Ey­lert

Dr. Ro­eckl 

Ro­sen­dahl

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