HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

ARBEITSRECHT AKTUELL // 11/027

Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung durch ta­rif­li­chen Ur­laubs­an­spruch

LAG Düs­sel­dorf: Ein nach dem Le­bens­al­ter ge­staf­fel­ter ta­rif­li­cher Ur­laubs­an­spruch ist oh­ne er­kenn­ba­res recht­mä­ßi­ges Ziel dis­kri­mi­nie­rend: Lan­des­ar­beits­ge­richt Düs­sel­dorf, Ur­teil vom 18.01.2011, 8 Sa 1274/10
Urlaub am Meer, Palme, Luftmatratze, Sonnenhut und Badestrand Dis­kri­mi­nie­rung durch Al­ters­staf­fe­lun­gen
08.02.2011. Mit dem All­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­ge­setz (AGG) wur­de in Deutsch­land die eu­ro­päi­sche Richt­li­nie 2000/78/EG des Ra­tes vom 27.11.2000 (Richt­li­nie 2000/78/EG) um­ge­setzt. Das AGG ver­bie­tet un­ter an­de­rem die Dis­kri­mi­nie­rung von Ar­beit­neh­mern we­gen ih­res Al­ters (§§ 1, 7 AGG).

Ei­ne un­ter­schied­li­che Be­hand­lung von Ar­beit­neh­mern we­gen ih­res Al­ters ist aber nur dann ei­ne Dis­krim­nie­rung, wenn es für sie kei­ne hin­rei­chen­den Grün­de gibt. § 10 AGG lässt sie des­halb zu, wenn die Un­gleich­be­hand­lung "ob­jek­tiv und an­ge­mes­sen und durch ein le­gi­ti­mes Ziel ge­recht­fer­tigt ist. Die Mit­tel zur Er­rei­chung die­ses Ziels müs­sen an­ge­mes­sen und er­for­der­lich sein."

Die­se ziem­lich "ju­ris­ti­sche" For­mu­lie­rung wur­de aus der Richt­li­nie über­nom­men und ist auch für Ta­rif­ver­trags­part­nern ver­bind­lich. Ta­rif­ver­trä­ge ent­hal­ten al­ler­dings tra­di­tio­nell vie­le al­ters­ab­hän­gi­ge Rech­te, zu de­nen ins­be­son­de­re Le­bens­al­ters­stu­fen bei Löh­nen und Ur­laub ge­hö­ren. Hier kann schnell frag­lich sein, ob die un­ter­schied­li­che Be­hand­lung tat­säch­lich "ob­jek­tiv und an­ge­mes­sen" und durch ein "le­gi­ti­mes Ziel" ge­recht­fer­tigt ist.

In Ar­beits­recht ak­tu­ell 10/247 ("Län­ge­rer ta­rif­li­cher Ur­laub für 30jährige als für 19jährige ist dis­kri­mi­nie­rend") be­rich­te­ten wir über ei­ne jun­ge Kas­sie­rin, die sich vor die­sem Hin­ter­grund ge­gen die al­ters­ab­hän­gi­ge - und aus ih­rer Per­spek­ti­ve dis­kri­mi­nie­ren­de - Staf­fe­lung ta­rif­ver­trag­li­cher Ur­laubs­an­sprü­che wand­te.

Der "Man­tel­ta­rif­ver­trag für den Ein­zel­han­del in NRW vom 25.07.2008" (MTV Ein­zel­han­del NRW) ge­währ­te der da­mals noch 23jährigen nur ei­nen An­spruch auf 34 Ur­laubs­ta­ge, wäh­rend ab dem 30.Le­bens­jahr 36 Ur­laubs­ta­ge ge­ge­ben wer­den.

Der Ar­beit­ge­ber ver­tei­dig­te die Re­ge­lung mit dem Ar­gu­ment, die Re­ge­lung sol­le die Ver­ein­bar­keit von Fa­mi­lie und Be­ruf för­dern. Denn, so sein Ge­dan­ken­gang, im Ein­zel­han­del sei­en in ers­ter Li­nie Frau­en be­schäf­tigt, die um das 30.Le­bens­jahr her­um fes­te Part­ner­schaf­ten ein­ge­hen und ei­nen ei­ge­nen Haus­halt grün­den. Die Staf­fe­lung tra­ge al­so den wach­sen­den Für­sor­ge­pflich­ten "äl­te­rer" Frau­en Rech­nung.

Das in ers­ter In­stanz zu­stän­di­ge Ar­beits­ge­richt We­sel teil­te völ­lig zu Recht die Auf­fas­sung der Kas­sie­re­rin (Ur­teil vom 11.08.2010). Die Ar­gu­men­ta­ti­on des Ar­beit­ge­bers be­ru­he auf ei­nem "über­hol­ten Welt­bild". Die Un­gleich­be­hand­lung ba­siert nicht auf Tat­sa­chen, son­dern nur auf Ver­mu­tun­gen oder gar auf "ins Blaue hin­ein" auf­ge­stell­ten Be­haup­tun­gen.

Sie ist da­mit nicht "ob­jek­tiv" im Sin­ne des § 10 AGG, so das Ge­richt. Ab­ge­se­hen da­von sei die­se Art von Re­ge­lung nicht "an­ge­mes­sen und er­for­der­lich", um das an­geb­li­che Ziel zu ver­fol­gen. Denn das Ziel, die Fa­mi­lie durch zu­sätz­li­chen Ur­laub zu för­dern, könn­te bei­spiels­wei­se durch ei­ne Ur­laubs­staf­fe­lung pro Kind oder bei Nach­weis ei­ner Part­ner­schaft ef­fek­ti­ver ver­folgt wer­den.

Die strei­ti­ge Ur­laubs­re­ge­lung hielt das Ar­beits­ge­richt da­her für dis­kri­mi­nie­rend und des­halb un­wirk­sam. Da­mit hat der Ta­rif­ver­trag ei­ne Lü­cke, so­weit es um die Ur­laubs­ta­ge­re­ge­lung geht. Das Ge­richt schloss die­se durch ei­ne "An­glei­chung nach oben", al­so ganz im Sin­ne der Kas­sie­re­rin. Sie hat­te da­mit den höchst­mög­li­chen An­spruch auf (36) Ur­laubs­ta­ge pro Ka­len­der­jahr. Nur auf die­se Wei­se wird das Ge­bot der ef­fek­ti­ven Durch­set­zung eu­ro­päi­scher Richt­li­ni­en aus­rei­chend be­ach­tet.

Das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Düs­sel­dorf hat die­se Ent­schei­dung nun, nur knapp 5 Mo­na­te spä­ter, be­stä­tigt (Ur­teil vom 18.01.2011). Ei­ne aus­führ­li­che Be­grün­dung liegt noch nicht vor. Der Pres­se­mit­tei­lung kann je­doch ent­nom­men wer­den, dass es sei­ner Vor­in­stanz nicht nur im Er­geb­nis, son­dern auch in der Ar­gu­men­ta­ti­on folgt.

Fa­zit: Ei­ne al­ters­ab­hän­gi­ge Staf­fe­lung von Lohn oder Ur­laub ist nur er­laubt, wenn da­mit ein recht­mä­ßi­ges Ziel ver­folgt wird. Das Ziel muss da­bei - so je­den­falls das LAG Düs­sel­dorf - in dem Ta­rif­ver­trag oder sei­nen Be­gleit­um­stän­den "An­klang ge­fun­den" ha­ben.

Da das Ge­richt die Re­vi­si­on ge­gen sei­ne Ent­schei­dung zu­lies, spricht viel da­für, dass sich das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) in ab­seh­ba­rer Zeit mit die­ser Auf­fas­sung aus­ein­an­der­set­zen kann. Es dürf­te sei­ne Vor­in­stan­zen je­den­falls im Er­geb­nis be­stä­ti­gen und die Recht­spre­chung da­mit um ei­ne wei­te­re wich­ti­ge Ent­schei­dung zu Al­ters­dis­kri­mi­nie­run­gen be­rei­chern.

Nä­he­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das Ge­richt sei­ne Ent­schei­dungs­grün­de schrift­lich ab­ge­fasst und ver­öf­fent­licht. Die Ent­schei­dungs­grün­de im Voll­text fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 4. Juni 2019

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de

Bewertung:

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 

Für Personaler, betriebliche Arbeitnehmervertretungen und andere Arbeitsrechtsprofis: "Update Arbeitsrecht" bringt Sie regelmäßig auf den neusten Stand der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung. Informationen zu den Abo-Bedingungen und ein kostenloses Ansichtsexemplar finden Sie hier:

Alle vierzehn Tage alles Wichtige
verständlich / aktuell / praxisnah

HINWEIS: Sämtliche Texte dieser Internetpräsenz mit Ausnahme der Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen sind urheberrechtlich geschützt. Urheber im Sinne des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Martin Hensche, Lützowstraße 32, 10785 Berlin.

Wörtliche oder sinngemäße Zitate sind nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Urhebers bzw. bei ausdrücklichem Hinweis auf die fremde Urheberschaft (Quellenangabe iSv. § 63 UrhG) rechtlich zulässig. Verstöße hiergegen werden gerichtlich verfolgt.

© 1997 - 2024:
Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Berlin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Lützowstraße 32, 10785 Berlin
Telefon: 030 - 26 39 62 0
Telefax: 030 - 26 39 62 499
E-mail: hensche@hensche.de