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ARBEITSRECHT AKTUELL // 12/294

Eh­ren­amt und Ar­beits­ver­trag

Ei­ne eh­ren­amt­lich tä­ti­ge Te­le­fon­seel­sor­ge­rin ist kei­ne Ar­beit­neh­mer und hat da­her kei­nen Kün­di­gungs­schutz: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 29.08.2012, 10 AZR 499/11
Für eh­ren­amt­li­che Ar­beit braucht man kei­nen Ar­beits­ver­trag

30.08.2012. Vie­le für die Ge­sell­schaft wich­ti­ge Auf­ga­ben kön­nen nur er­le­digt wer­den, weil es en­ga­gier­te Men­schen gibt, die für ih­re Leis­tun­gen kein Geld ha­ben wol­len, son­dern die­se Leis­tun­gen oh­ne Ge­gen­leis­tung bzw. eh­ren­amt­lich er­brin­gen. Die wich­tigs­ten Tä­tig­keits­fel­der eh­ren­amt­lich en­ga­gier­ter Bür­ge­rin­nen und Bür­ger sind die Be­treu­ung von Kin­dern so­wie die Pfle­ge al­ter und kran­ker Men­schen. Aber auch El­tern­ver­tre­ter in der Schu­le, Schöf­fen bei Ge­richt oder Be­triebs­rä­te ar­bei­ten eh­ren­amt­lich.

Weil Eh­ren­amt­li­che für ih­re Leis­tun­gen kein Geld be­kom­men und auch kein Geld ha­ben wol­len, sind sie nicht auf der Grund­la­ge ei­nes Ar­beits­ver­trags tä­tig. Denn Ar­beits­ver­trä­ge sind ei­ne spe­zi­el­le Form von Dienst­ver­trä­gen, und Dienst­ver­trä­ge wie­der­um sind Aus­tausch­ver­trä­ge: Der Dienst­ver­pflich­te­te bzw. Ar­beit­neh­mer "macht es für Geld", d.h. er ar­bei­tet um des Loh­nes wil­len.

Al­ler­dings kann man sich fra­gen, ob die­se Rechts­grund­sät­ze auch heu­te noch rich­tig sind. Wenn die Er­werbs­tä­tig­keit vie­ler jun­ger Men­schen aus ei­ner jah­re­lan­gen Ab­fol­ge von Prak­ti­kums­ver­hält­nis­sen be­steht und vie­le Po­li­ti­ker eh­ren­amt­li­ches En­ga­ge­ment im­mer lau­ter und deut­li­cher "ein­for­dern", kann man über­le­gen, den recht­li­chen Schutz von Ar­beit­neh­mern auf eh­ren­amt­lich tä­ti­ge Men­schen aus­zu­wei­ten. Sol­chen Über­le­gun­gen hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) mit ei­nem Ur­teil vom gest­ri­gen Ta­ge ei­ne Ab­sa­ge er­teilt: BAG, Ur­teil vom 29.08.2012, 10 AZR 499/11.

Sind eh­ren­amt­lich täti­ge Bürge­rin­nen und Bürger Ar­beit­neh­mer?

Wer Ar­beit­neh­mer ist, kann so­zia­le und ma­te­ri­el­le Si­cher­heit be­an­spru­chen. Ar­beit­neh­mer ha­ben bei Krank­heit An­spruch auf Ent­gelt­fort­zah­lung (§ 3 Ent­gelt­fort­zah­lungs­ge­setz - Ent­gFG) und sie können ei­nen be­zahl­ten Er­ho­lungs­ur­laub ver­lan­gen (§ 1 Bun­des­ur­laubs­ge­setz - BUrlG). Außer­dem ge­nießen sie nor­ma­ler­wei­se Kündi­gungs­schutz auf der Grund­la­ge des Kündi­gungs­schutz­ge­set­zes (KSchG).

Ar­beit­neh­mer sind prak­tisch im­mer auch "Beschäftig­te" im Sin­ne des So­zi­al­ver­si­che­rungs­rechts und da­her in al­len fünf Zwei­gen der So­zi­al­ver­si­che­rung (Ren­ten­ver­si­che­rung, Kran­ken­ver­si­che­rung, Ar­beits­lo­sen­ver­si­che­rung, Pfle­ge­ver­si­che­rung, Un­fall­ver­si­che­rung) ver­si­chert.

Im Un­ter­schied da­zu sind eh­ren­amt­lich täti­ge Men­schen nur in der ge­setz­li­chen Un­fall­ver­si­che­rung geschützt. Wer da­her als El­tern­ver­tre­ter auf dem Weg zu ei­ner abend­li­chen Schul­kon­fe­renz oder wer als eh­ren­amt­li­cher Rich­ter auf dem Weg zum Ar­beits­ge­richt ei­nen Un­fall er­lei­det und ver­letzt wird, kann Leis­tun­gen der ge­setz­li­chen Un­fall­ver­si­che­rung ver­lan­gen.

Das wars dann aber auch. Wei­te­re Ab­si­che­run­gen der eh­ren­amt­li­chen Tätig­keit sind ge­setz­lich nicht vor­ge­se­hen. Denn die Si­che­rung des Lohn­an­spruchs bei Krank­heit und Ur­laub er­gibt kei­nen Sinn, wenn es von vorn­her­ein kei­nen Lohn­an­spruch gibt. Und auch der Be­triebs­rat hat sich um eh­ren­amt­li­che Kräfte nicht zu kümmern (§ 5 Abs.2 Nr.3 Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz - Be­trVG).

Zu über­le­gen ist al­ler­dings, ob Eh­ren­amt­li­che nicht viel­leicht (als ei­ne Art un­ty­pi­sche Ar­beit­neh­mer) Kündi­gungs­schutz in An­spruch neh­men können. Denn wer lan­ge Zeit re­gelmäßig eh­ren­amt­lich ar­bei­tet, stellt sich dar­auf ein und kann er­war­ten, dass ihm nicht von heu­te auf mor­gen der Stuhl vor die Tür ge­setzt wird.

Der Streit­fall: Eh­ren­amt­li­che Te­le­fon­seel­sor­ge­rin wird ent­las­sen und er­hebt Kündi­gungs­schutz­kla­ge

In dem vom BAG ent­schie­de­nen Fall strit­ten ein Träger der Te­le­fon­seel­sor­ge und ei­ne dort eh­ren­amt­lich täti­ge Seel­sor­ge­rin um den Fort­be­stand ih­res Ver­trags­verhält­nis­ses.

Der Träger der Te­le­fon­seel­sor­ge un­ter­hielt ei­ne Be­triebsstätte, in der ein haupt­amt­li­cher und et­wa fünf­zig eh­ren­amt­li­che Mit­ar­bei­ter den Seel­sor­ge­dienst ver­rich­te­ten. Nach der Dienst­ord­nung wur­de von den eh­ren­amt­li­chen Kräften er­war­tet, dass die­se sich re­gelmäßig am Dienst be­tei­li­gen, und zwar min­des­tens zehn St­un­den pro Mo­nat. Je­weils im Vor­mo­nat leg­te der Träger der Te­le­fon­seel­sor­ge ei­nen Dienst­plan für den nächs­ten Mo­nat aus, in den sich die eh­ren­amt­li­chen Mit­ar­bei­ter ein­tra­gen muss­ten.

Die Kläge­rin war auf der Grund­la­ge ei­nes schrift­lich fest­ge­hal­te­nen Ver­trags („Be­auf­tra­gung“) seit dem April 2002 als eh­ren­amt­li­che Te­le­fon­seel­sor­ge­rin für zehn St­un­den im Mo­nat tätig. Dafür er­hielt sie kei­nen Lohn, son­dern nur ei­nen Un­kos­ten­er­satz von 30,00 EUR pro Mo­nat. Am 22.01.2010 wur­de die Kläge­rin münd­lich von ih­rem Dienst ent­bun­den.

Das ließ sie sich nicht ge­fal­len. Sie zog vor das Ar­beits­ge­richt Chem­nitz und er­hob Kündi­gungs­schutz­kla­ge. Mit die­ser Kla­ge hat­te sie we­der vor dem Ar­beits­ge­richt Chem­nitz (Ur­teil vom 18.06.2010, 5 Ca 429/10) noch vor dem Säch­si­schen Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Er­folg (Säch­si­sches LAG, Ur­teil vom 20.05.2011, 3 Sa 579/10).

BAG: Durch die Ausübung eh­ren­amt­li­cher Tätig­keit wird kein Ar­beits­verhält­nis be­gründet

Auch das BAG ent­schied ge­gen die Seel­sor­ge­rin, denn zwi­schen ihr und dem Träger der Te­le­fon­seel­sor­ge be­stand kein Ar­beits­verhält­nis, so das BAG. Zur Be­gründung heißt es in der der­zeit al­lein vor­lie­gen­den Pres­se­mit­tei­lung des BAG:

Es ist recht­lich zulässig, so das BAG, sich per Ver­trag zur Leis­tung von Diens­ten zu ver­pflich­ten, oh­ne dass der an­de­re Ver­trags­part­ner dafür Geld be­zah­len muss. Dies gilt je­den­falls dann,

  • wenn ein Ar­beits­lohn - wie das für eh­ren­amt­li­che Tätig­kei­ten ty­pisch ist - nicht zu er­war­ten ist, und
  • wenn kein "Miss­brauch" vor­liegt.

Denn Eh­renämter die­nen nicht der Si­che­rung oder Bes­se­rung der wirt­schaft­li­chen Exis­tenz, so das BAG. Sie sind "Aus­druck ei­ner in­ne­ren Hal­tung ge­genüber Be­lan­gen des Ge­mein­wohls und den Sor­gen und Nöten an­de­rer Men­schen".

Und da im Streit­fall auch kein An­halts­punkt dafür be­stand, dass der Auf­trag­ge­ber zwin­gen­de ar­beits­recht­li­che Schutz­vor­schrif­ten um­ge­hen woll­te, war die ver­trag­li­che Ver­ein­ba­rung zwi­schen der Seel­sor­ge­rin und dem Träger recht­lich in Ord­nung.

Fa­zit: Es mag sein, dass eh­ren­amt­lich täti­ge Bürge­rin­nen und Bürger bei ih­rer Tätig­keit Wei­sun­gen be­fol­gen müssen, doch führt al­lein dies noch nicht zu ei­ner so­zia­len Abhängig­keit, wie sie für ein Ar­beits­verhält­nis ty­pisch ist. Denn Ar­beit­neh­mer wer­den durch die Wei­sungs­abhängig­keit be­las­tet, weil sie auf den Ver­dienst aus dem Ar­beits­verhält­nis an­ge­wie­sen sind. Sie können im Nor­mal­fall nicht ein­fach "hin­schmeißen". Die­se wirt­schaft­li­che und da­mit persönli­che Un­abhängig­keit hat aber der­je­ni­ge, der von vorn­her­ein kein Geld ver­langt. Und auch zeit­lich ge­se­hen ist sein Eh­ren­amt meist ei­ne Ne­bentätig­keit.

Dem­ent­spre­chend wer­den Eh­ren­amt­li­che auch durch ei­ne Kündi­gung nicht so be­las­tet, wie dies bei Ar­beit­neh­mern der Fall ist. Denn da sie mit ih­rem Eh­ren­amt von vorn­her­ein kein Geld ver­die­nen, führt ei­ne Kündi­gung auch nicht zu wirt­schaft­li­chen Ein­bußen. Und auch ei­ne eh­ren­amt­li­che An­schluss-"Beschäfti­gung" wird man leich­ter fin­den als ein gekündig­ter Ar­beit­neh­mer ei­ne neue be­zahl­te An­stel­lung.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das BAG sei­ne Ent­schei­dungs­gründe veröffent­licht. Das vollständig be­gründe­te Ur­teil des BAG fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 29. Juni 2020

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