HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

EuGH, Ur­teil vom 15.09.2011, C-155/10 - Wil­liams u.a.

   
Schlagworte: Arbeitszeit, Urlaub, Urlaubsentgelt
   
Gericht: Europäischer Gerichtshof
Aktenzeichen: C-155/10
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 15.09.2011
   
Leitsätze:

Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung und Klausel 3 der Vereinbarung, die der Richtlinie 2000/79/EG des Rates vom 27. November 2000 über die Durchführung der von der Vereinigung Europäischer Fluggesellschaften (AEA), der Europäischen Transportarbeiter-Föderation (ETF), der European Cockpit Association (ECA), der European Regions Airline Association (ERA) und der International Air Carrier Association (IACA) geschlossenen Europäischen Vereinbarung über die Arbeitszeitorganisation für das fliegende Personal der Zivilluftfahrt als Anhang beigefügt ist, sind dahin auszulegen, dass ein Linienpilot während seines Jahresurlaubs nicht nur Anspruch auf die Fortzahlung seines Grundgehalts hat, sondern zum einen auch auf alle Bestandteile, die untrennbar mit der Erfüllung der ihm nach seinem Arbeitsvertrag obliegenden Aufgaben verbunden sind und durch einen in die Berechnung seines Gesamtentgelts eingehenden Geldbetrag abgegolten werden, und zum anderen auch auf alle Bestandteile, die an seine persönliche und berufliche Stellung anknüpfen.

Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu beurteilen, ob die verschiedenen Bestandteile des Gesamtentgelts dieses Arbeitnehmers diese Kriterien erfüllen.

Vorinstanzen:
   

UR­TEIL DES GERICH­TSHOFS (Ers­te Kam­mer)

15. Sep­tem­ber 2011(*)

„Ar­beits­be­din­gun­gen – Richt­li­nie 2003/88/EG – Ar­beits­zeit­ge­stal­tung – Recht auf Jah­res­ur­laub – Li­ni­en­pi­lo­ten“

In der Rechts­sa­che C-155/10

be­tref­fend ein Vor­ab­ent­schei­dungs­er­su­chen nach Art. 267 AEUV, ein­ge­reicht vom Su­pre­me Court of the United King­dom, vor­mals Hou­se of Lords (Ver­ei­nig­tes König­reich), mit Ent­schei­dung vom 24. März 2010, beim Ge­richts­hof ein­ge­gan­gen am 2. April 2010, in dem Ver­fah­ren

Wil­liams u. a.

ge­gen

Bri­tish Air­ways plc

erlässt

DER GERICH­TSHOF (Ers­te Kam­mer)

un­ter Mit­wir­kung des Kam­mer­präsi­den­ten A. Tiz­za­no, der Rich­ter J.-J. Ka­sel, A. Borg Bart­het, E. Le­vits (Be­richt­er­stat­ter) und der Rich­te­rin M. Ber­ger,

Ge­ne­ral­anwältin: V. Trs­ten­jak,

Kanz­ler: L. Hew­lett, Haupt­ver­wal­tungsrätin,

auf­grund des schrift­li­chen Ver­fah­rens und auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 14. April 2011,

un­ter Berück­sich­ti­gung der Erklärun­gen

– von Wil­liams u. a., ver­tre­ten durch J. McN­eill, QC, und M. Ford, Bar­ris­ter,

– der Bri­tish Air­ways plc, ver­tre­ten durch C. Jeans und A. Short, QC,

– der däni­schen Re­gie­rung, ver­tre­ten durch V. Pas­ternak Jørgen­sen und C. Vang als Be­vollmäch­tig­te,

– der Eu­ropäischen Kom­mis­si­on, ver­tre­ten durch M. van Beek und N. Yer­rell als Be­vollmäch­tig­te,

nach Anhörung der Schluss­anträge der Ge­ne­ral­anwältin in der Sit­zung vom 16. Ju­ni 2011

fol­gen­des

Ur­teil

1

Das Vor­ab­ent­schei­dungs­er­su­chen be­trifft die Aus­le­gung von Art. 7 der Richt­li­nie 2003/88/EG des Eu­ropäischen Par­la­ments und des Ra­tes vom 4. No­vem­ber 2003 über be­stimm­te As­pek­te der Ar­beits­zeit­ge­stal­tung (ABl. L 299, S. 9) so­wie Klau­sel 3 der Ver­ein­ba­rung, die der Richt­li­nie 2000/79/EG des Ra­tes vom 27. No­vem­ber 2000 über die Durchführung der von der Ver­ei­ni­gung Eu­ropäischer Flug­ge­sell­schaf­ten (AEA), der Eu­ropäischen Trans­port­ar­bei­ter-Föde­ra­ti­on (ETF), der Eu­ro­pean Cock­pit As­so­cia­ti­on (ECA), der Eu­ro­pean Re­gi­ons Air­line As­so­cia­ti­on (ERA) und der In­ter­na­tio­nal Air Car­ri­er As­so­cia­ti­on (IA­CA) ge­schlos­se­nen Eu­ropäischen Ver­ein­ba­rung über die Ar­beits­zei­t­or­ga­ni­sa­ti­on für das flie­gen­de Per­so­nal der Zi­vil­luft­fahrt (ABl. L 302, S. 57) als An­hang bei­gefügt ist (im Fol­gen­den: Eu­ropäische Ver­ein­ba­rung).

2

Die­ses Er­su­chen er­geht im Rah­men ei­nes Rechts­streits zwi­schen Frau Wil­liams u. a. und ih­rem Ar­beit­ge­ber, der Bri­tish Air­ways plc (im Fol­gen­den: Bri­tish Air­ways), über das während ih­res be­zahl­ten Jah­res­ur­laubs be­zo­ge­ne Ent­gelt.

Recht­li­cher Rah­men

Uni­ons­recht

3

Art. 7 („Jah­res­ur­laub“) der Richt­li­nie 2003/88 sieht vor:

(1) Die Mit­glied­staa­ten tref­fen die er­for­der­li­chen Maßnah­men, da­mit je­der Ar­beit­neh­mer ei­nen be­zahl­ten Min­dest­jah­res­ur­laub von vier Wo­chen nach Maßga­be der Be­din­gun­gen für die In­an­spruch­nah­me und die Gewährung erhält, die in den ein­zel­staat­li­chen Rechts­vor­schrif­ten und/oder nach den ein­zel­staat­li­chen Ge­pflo­gen­hei­ten vor­ge­se­hen sind.

(2) Der be­zahl­te Min­dest­jah­res­ur­laub darf außer bei Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses nicht durch ei­ne fi­nan­zi­el­le Vergütung er­setzt wer­den.“

4

Klau­sel 3 der Eu­ropäischen Ver­ein­ba­rung be­stimmt:

„(1) Das flie­gen­de Per­so­nal der Zi­vil­luft­fahrt hat An­spruch auf be­zahl­ten Jah­res­ur­laub von min­des­tens vier Wo­chen; die Vor­aus­set­zun­gen für die­sen An­spruch und für die Gewährung des Jah­res­ur­laubs sind durch die na­tio­na­len Rechts­vor­schrif­ten und/oder Ge­pflo­gen­hei­ten ge­re­gelt.

(2) Der be­zahl­te Min­dest­jah­res­ur­laub darf außer bei Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses nicht durch ei­ne fi­nan­zi­el­le Vergütung er­setzt wer­den.“

Na­tio­na­les Recht

5

Die Ci­vil Avia­ti­on (Working Ti­me) Re­gu­la­ti­ons 2004 (Sta­tu­to­ry In­stru­ments 2004 Nr. 756, Ar­beits­zeit­ver­ord­nung für die Zi­vil­luft­fahrt 2004) be­stimmt:

„4. (1) Mit­glie­der ei­ner Flug­be­sat­zung ha­ben An­spruch auf be­zahl­ten Jah­res­ur­laub von min­des­tens vier Wo­chen oder bei ei­ner Beschäfti­gungs­dau­er von we­ni­ger als ei­nem Jahr auf ei­nen ent­spre­chen­den An­teil der vier Wo­chen.

(2) Der Ur­laub, auf den die Mit­glie­der ei­ner Flug­be­sat­zung nach die­ser Re­gu­la­ti­on An­spruch ha­ben,

(a) kann in Ab­schnit­ten ge­nom­men wer­den;

(b) darf außer bei Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses des Mit­glieds der Flug­be­sat­zung nicht durch ei­ne fi­nan­zi­el­le Vergütung er­setzt wer­den.“

6

Nach Re­gu­la­ti­on 9 die­ser Ver­ord­nung hat der Ar­beit­ge­ber si­cher­zu­stel­len, dass

„… pro Mo­nat

a) kei­ne von ihm an­ge­stell­te Per­son während ih­rer Ar­beits­zeit als Mit­glied ei­ner Flug­be­sat­zung ar­bei­ten darf, wenn die Ge­samt­heit der Flug­zei­ten des Be­tref­fen­den in­ner­halb ei­nes Zeit­raums von 12 Mo­na­ten, der mit En­de des Mo­nats en­det, der dem zu be­ur­tei­len­den Mo­nat vor­aus­geht, mehr als 900 St­un­den beträgt; und

b) kein von ihm an­ge­stell­tes Mit­glied ei­ner Flug­be­sat­zung in­ner­halb ei­nes Zeit­raums von 12 Mo­na­ten, der mit dem En­de des Mo­nats en­det, der dem zu be­ur­tei­len­den Mo­nat vor­aus­geht, ei­ne jähr­li­che Ge­samt­ar­beits­zeit von mehr als 2 000 St­un­den hat.“

Aus­gangs­ver­fah­ren und Vor­la­ge­fra­gen

7

Die Kläger des Aus­gangs­ver­fah­rens sind Pi­lo­ten, die bei Bri­tish Air­ways an­ge­stellt sind (im Fol­gen­den: Pi­lo­ten). Ih­re Ar­beits­be­din­gun­gen wer­den von der Bri­tish Air Li­ne Pi­lots As­so­cia­ti­on mit Bri­tish Air­ways aus­ge­han­delt. Die­se Be­din­gun­gen sind in dem Me­mo­ran­dum of Agree­ment vom 1. April 2005 (im Fol­gen­den: MOA) ent­hal­ten.

8

Nach dem MOA be­steht das Ent­gelt der Pi­lo­ten aus drei Be­stand­tei­len. Der ers­te Be­stand­teil ist ein fes­ter Jah­res­be­trag. Der zwei­te und der drit­te Be­stand­teil sind Zu­la­gen, de­ren Höhe sich zum ei­nen nach den ge­flo­ge­nen Zei­ten rich­tet, wo­bei die­se Zu­la­ge auf der Grund­la­ge von 10 GBP je planmäßiger Flug­stun­de be­rech­net wird, und zum an­de­ren nach der Dau­er der Ab­we­sen­heit vom Stütz­punkt, wo­bei die Zu­la­ge in die­sem Fall 2,73 GBP je St­un­de beträgt. Die flug­zeit­abhängi­ge Zu­la­ge ist in vol­lem Um­fang Ent­gelt und zu ver­steu­ern, während bei der Zu­la­ge für die Ab­we­sen­heit vom Stütz­punkt 82 % als Auf­wands­entschädi­gung und le­dig­lich 18 % als Ent­gelt gel­ten und zu ver­steu­ern sind.

9

Die Flug­zei­ten ei­nes Pi­lo­ten hängen von den ihm zu­ge­wie­se­nen Flug­stre­cken und den Flugplänen ab. Sie be­tra­gen gemäß den An­ga­ben des Su­pre­me Court of the United King­dom in der Re­gel un­gefähr 15 Ta­ge pro Mo­nat.

10  

Nach dem MOA be­ruht der für den be­zahl­ten Jah­res­ur­laub ent­rich­te­te Be­trag aus­sch­ließlich auf dem ers­ten Be­stand­teil des Ent­gelts, d. h. dem fes­ten Jah­res­be­trag.

11

Die Pi­lo­ten ma­chen gel­tend, dass gemäß dem Uni­ons­recht die Grund­la­ge des für den Jah­res­ur­laub zu zah­len­den Be­trags ihr ge­sam­tes Ent­gelt ein­sch­ließlich der Zu­la­gen sein müsse.

12

Das Em­ploy­ment Tri­bu­nal und das Em­ploy­ment Ap­peal Tri­bu­nal ha­ben die­sem An­trag statt­ge­ge­ben. Der Court of Ap­peal (Eng­land & Wa­les) schloss sich der ge­gensätz­li­chen Auf­fas­sung von Bri­tish Air­ways an und ent­schied, dass das Ent­gelt le­dig­lich im fes­ten Jah­res­be­trag be­ste­he.

13

Das vor­le­gen­de Ge­richt hat Zwei­fel hin­sicht­lich der Be­deu­tung des Aus­drucks „be­zahl­ter Jah­res­ur­laub“ und des Um­fangs des Spiel­raums für die na­tio­na­le Ge­setz­ge­bung und/oder Pra­xis, „Be­din­gun­gen für den An­spruch auf sol­chen Ur­laub und des­sen Gewährung“ fest­zu­le­gen.

14

Un­ter die­sen Umständen hat der Su­pre­me Court of the United King­dom be­schlos­sen, das Ver­fah­ren aus­zu­set­zen und dem Ge­richts­hof fol­gen­de Fra­gen zur Vor­ab­ent­schei­dung vor­zu­le­gen:

1. Im Hin­blick auf a) Art. 7 der Richt­li­nie 93/104/EG des Ra­tes vom 23. No­vem­ber 1993 über be­stimm­te As­pek­te der Ar­beits­zeit­ge­stal­tung (ABl. L 307, S. 18) in der durch die Richt­li­nie 2000/34/EG des Eu­ropäischen Par­la­ments und des Ra­tes vom 22. Ju­ni 2000 (ABl. L 195, S. 41) geänder­ten Fas­sung und Art. 7 der Richt­li­nie 2003/88 und b) Klau­sel 3 der Eu­ropäischen Ver­ein­ba­rung:

a) In­wie­weit wer­den ge­ge­be­nen­falls Vor­aus­set­zun­gen in Be­zug auf Na­tur und/oder Höhe des Ent­gelts, das für Zei­ten des be­zahl­ten Jah­res­ur­laubs zu zah­len ist, eu­ro­pa­recht­lich be­stimmt oder ge­re­gelt, und

b) in­wie­weit können die Mit­glied­staa­ten ge­ge­be­nen­falls fest­le­gen, wie die­ses Ent­gelt zu be­rech­nen ist?

2. Genügt es ins­be­son­de­re, dass das Ent­gelt, das nach in­ner­staat­li­chen Rechts­vor­schrif­ten und/oder Ge­pflo­gen­hei­ten und/oder Ta­rif­verträgen und/oder in­di­vi­du­el­len Verträgen zwi­schen Ar­beit­ge­bern und Ar­beit­neh­mern ge­zahlt wird, so be­mes­sen ist, dass es den Ar­beit­neh­mer in die La­ge ver­setzt und ihn da­zu mo­ti­viert, den Jah­res­ur­laub zu neh­men und im wahrs­ten Sin­ne des Wor­tes zu ge­nießen; dass es al­so so be­mes­sen ist, dass kei­ne ernst­haf­te Ge­fahr be­steht, dass der Ar­beit­neh­mer sei­nen Jah­res­ur­laub nicht an­tritt?

3. Oder ist es er­for­der­lich, dass das Ent­gelt ent­we­der

a) ge­nau mit dem „gewöhn­li­chen“ Ent­gelt des Ar­beit­neh­mers übe­rein­stimmt oder

b) im We­sent­li­chen mit dem „gewöhn­li­chen“ Ent­gelt des Ar­beit­neh­mers ver­gleich­bar ist?

4. So­fern die Fra­gen 3 a) oder 3 b) be­jaht wer­den: Han­delt es sich bei der Zah­lung, die Ge­gen­stand der ein­schlägi­gen Maßnah­me oder des ein­schlägi­gen Ver­gleichs ist,

a) um das Ent­gelt, das der Ar­beit­neh­mer während des je­wei­li­gen Ur­laubs ver­dient hätte, wenn er an­stel­le des Ur­laubs ge­ar­bei­tet hätte, oder

b) um das Ent­gelt, das er während ei­nes an­de­ren Zeit­raums – und wenn ja, wel­chen Zeit­raums – ver­dient hat, in dem er ge­ar­bei­tet hat?

5. Wie ist ein sol­ches „gewöhn­li­ches“ oder „ver­gleich­ba­res“ Ent­gelt zu be­rech­nen,

a) wenn auf das Ent­gelt, das der Ar­beit­neh­mer für ei­nen Zeit­raum erhält, in dem er ar­bei­tet, ei­ne Zu­la­ge ge­zahlt wird, wenn und so­weit er ei­ner be­son­de­ren Tätig­keit nach­geht?

b) wenn ei­ne jähr­li­che oder sons­ti­ge Höchst­gren­ze für den Um­fang oder den Zeit­raum be­steht, in dem der Ar­beit­neh­mer ei­ner sol­chen Tätig­keit nach­ge­hen kann, und die­se Höchst­gren­ze be­reits ganz oder bei­na­he über­schrit­ten ist, wenn der Jah­res­ur­laub an­ge­tre­ten wird, so dass es dem Ar­beit­neh­mer tatsächlich nicht ge­stat­tet ge­we­sen wäre, die­ser Tätig­keit nach­zu­ge­hen, wenn er an­stel­le des Ur­laubs ge­ar­bei­tet hätte?

Zu den Vor­la­ge­fra­gen

15

Mit sei­nen Fra­gen, die zu­sam­men zu prüfen sind, möch­te das vor­le­gen­de Ge­richt im We­sent­li­chen wis­sen, ob Art. 7 der Richt­li­nie Nr. 2003/88 und Klau­sel 3 der Eu­ropäischen Ver­ein­ba­rung Hin­wei­se bezüglich des Ent­gelts, auf das ein Flug­li­ni­en­pi­lot während sei­nes Jah­res­ur­laubs An­spruch hat, zu ent­neh­men sind und, falls ja, wel­che.

16

Ein­lei­tend ist zum ei­nen fest­zu­stel­len, dass die Richt­li­ni­en Nrn. 2000/79 und 2003/88 den­sel­ben Zweck ha­ben, nämlich die Ar­beits­zeit zum Wohl der Si­cher­heit und der Ge­sund­heit der Ar­beit­neh­mer zu ge­stal­ten, und zum an­de­ren, dass der Wort­laut von Klau­sel 3 im We­sent­li­chen iden­tisch mit dem des Art. 7 der Richt­li­nie Nr. 2003/88 ist. Dar­aus folgt, wie die Ge­ne­ral­anwältin in Nr. 43 ih­rer Schluss­anträge aus­geführt hat, dass die Recht­spre­chungs­grundsätze, die der Ge­richts­hof im Zu­ge der Aus­le­gung der letzt­ge­nann­ten Be­stim­mung ent­wi­ckelt hat, auf Klau­sel 3 der Eu­ropäischen Ver­ein­ba­rung über­trag­bar sind. Art. 7 der Richt­li­nie Nr. 2003/88 ist aber mit Blick auf sei­nen Wort­laut und die Zie­le die­ser Richt­li­nie aus­zu­le­gen.

17

Der Wort­laut von Art. 7 der Richt­li­nie Nr. 2003/88 enthält kei­nen aus­drück­li­chen Hin­weis bezüglich des Ent­gelts, auf das der Ar­beit­neh­mer während sei­nes Jah­res­ur­laubs An­spruch hat. In der Recht­spre­chung wur­de je­doch dar­auf hin­ge­wie­sen, dass sich be­reits aus dem Wort­laut von Abs. 1 die­ses Ar­ti­kels – ei­ner Be­stim­mung, von der die­se Richt­li­nie kei­ne Ab­wei­chung zulässt –, er­gibt, dass je­der Ar­beit­neh­mer An­spruch auf ei­nen be­zahl­ten Min­dest­jah­res­ur­laub von vier Wo­chen hat und dass die­ser An­spruch auf be­zahl­ten Jah­res­ur­laub als ein be­son­ders be­deut­sa­mer Grund­satz des So­zi­al­rechts der Ge­mein­schaft an­zu­se­hen ist (vgl. Ur­teil vom 20. Ja­nu­ar 2009, Schultz-Hoff u. a., C-350/06 und C-520/06, Slg. 2009, I-179, Rand­nrn. 22 und 54 und die dort an­geführ­te Recht­spre­chung).

18

Der An­spruch auf ei­nen sol­chen be­zahl­ten Jah­res­ur­laub ist im Übri­gen in Art. 31 Abs. 2 der Char­ta der Grund­rech­te der Eu­ropäischen Uni­on aus­drück­lich ver­an­kert, der Art. 6 Abs. 1 EUV recht­li­che Gleich­ran­gig­keit mit den Verträgen zu­er­kennt.

19

In die­sem Zu­sam­men­hang hat der Ge­richts­hof be­reits klar­ge­stellt, dass der Aus­druck „be­zahl­ter [Jah­res­ur­laub]“ in Art. 7 Abs. 1 der Richt­li­nie 2003/88 be­deu­tet, dass das Ar­beits­ent­gelt für die Dau­er des „Jah­res­ur­laub[s]“ im Sin­ne die­ser Richt­li­nie wei­ter­zu­gewähren ist und dass der Ar­beit­neh­mer mit an­de­ren Wor­ten für die­se Ru­he­zeit das gewöhn­li­che Ar­beits­ent­gelt er­hal­ten muss (vgl. Ur­tei­le vom 16. März 2006, Ro­bin­son-Stee­le u. a., C-131/04 und C-257/04, Slg. 2006, I-2531, Rand­nr. 50, und Schultz-Hoff u. a., Rand­nr. 58).

20

Durch das Er­for­der­nis der Zah­lung die­ses Ur­laubs­ent­gelts soll der Ar­beit­neh­mer nämlich während des Jah­res­ur­laubs in ei­ne La­ge ver­setzt wer­den, die in Be­zug auf das Ent­gelt mit den Zei­ten ge­leis­te­ter Ar­beit ver­gleich­bar ist (vgl. Ur­tei­le Ro­bin­son-Stee­le u. a., Rand­nr. 58, und Schultz-Hoff u. a., Rand­nr. 60).

21

Wie die Ge­ne­ral­anwältin in Nr. 90 ih­rer Schluss­anträge ausführt, er­gibt sich aus dem Vor­ste­hen­den, dass das Ur­laubs­ent­gelt grundsätz­lich so be­mes­sen sein muss, dass es mit dem gewöhn­li­chen Ent­gelt des Ar­beit­neh­mers übe­rein­stimmt. Dar­aus er­gibt sich auch, dass ei­ne fi­nan­zi­el­le Vergütung den uni­ons­recht­li­chen Vor­ga­ben nicht genügt, wenn sie ge­ra­de noch so be­mes­sen ist, dass kei­ne ernst­haf­te Ge­fahr be­steht, dass der Ar­beit­neh­mer sei­nen Jah­res­ur­laub nicht an­tritt.

22

Be­steht das vom Ar­beit­neh­mer be­zo­ge­ne Ent­gelt je­doch aus meh­re­ren Be­stand­tei­len, er­for­dert die Be­stim­mung die­ses gewöhn­li­chen Ent­gelts und folg­lich des Be­trags, auf den die­ser Ar­beit­neh­mer während sei­nes Jah­res­ur­laubs An­spruch hat, ei­ne spe­zi­fi­sche Prüfung. So verhält es sich bei dem von ei­nem Li­ni­en­pi­lo­ten als An­gehöri­gem des flie­gen­den Per­so­nals ei­ner Flug­ge­sell­schaft be­zo­ge­nen Ent­gelt, das aus ei­nem fes­ten Jah­res­be­trag und aus va­ria­blen, von den ge­flo­ge­nen Zei­ten und der Dau­er der Ab­we­sen­heit vom Stütz­punkt abhängi­gen Zu­la­gen be­steht.

23

Hier­zu ist fest­zu­stel­len, dass die Struk­tur des gewöhn­li­chen Ent­gelts ei­nes Ar­beit­neh­mers als sol­che zwar den Vor­schrif­ten und Ge­pflo­gen­hei­ten nach dem Recht der Mit­glied­staa­ten un­ter­liegt, sie je­doch kei­nen Ein­fluss auf den in Rand­nr. 19 des vor­lie­gen­den Ur­teils ge­nann­ten An­spruch des Ar­beit­neh­mers ha­ben kann, während des ihm für Er­ho­lung und Ent­span­nung zur Verfügung ste­hen­den Zeit­raums in den Ge­nuss wirt­schaft­li­cher Be­din­gun­gen zu kom­men, die mit de­nen ver­gleich­bar sind, die die Ausübung sei­ner Ar­beit be­tref­fen.

24

Da­her muss je­de Un­an­nehm­lich­keit, die un­trenn­bar mit der Erfüllung der dem Ar­beit­neh­mer nach sei­nem Ar­beits­ver­trag ob­lie­gen­den Auf­ga­ben ver­bun­den ist und durch ei­nen in die Be­rech­nung des Ge­sam­tent­gelts des Ar­beit­neh­mers ein­ge­hen­den Geld­be­trag ab­ge­gol­ten wird, wie bei Li­ni­en­pi­lo­ten die ge­flo­ge­nen Zei­ten, zwin­gend Teil des Be­trags sein, auf den der Ar­beit­neh­mer während sei­nes Jah­res­ur­laubs An­spruch hat.

25

Da­ge­gen müssen Be­stand­tei­le des Ge­sam­tent­gelts des Ar­beit­neh­mers, die aus­sch­ließlich ge­le­gent­lich an­fal­len­de Kos­ten oder Ne­ben­kos­ten de­cken sol­len, wel­che bei der Erfüllung der dem Ar­beit­neh­mer nach sei­nem Ar­beits­ver­trag ob­lie­gen­den Auf­ga­ben ent­ste­hen, wie Kos­ten, die mit dem Zeit­raum ver­bun­den sind, in dem sich die Pi­lo­ten ge­zwun­ge­ner­maßen nicht am Stütz­punkt auf­hal­ten, bei der Be­rech­nung der für den Jah­res­ur­laub zu ent­rich­ten­den Zah­lung nicht berück­sich­tigt wer­den.

26

In­so­weit ist es Sa­che des na­tio­na­len Ge­richts, den in­ne­ren Zu­sam­men­hang zwi­schen den ver­schie­de­nen Be­stand­tei­len des Ge­sam­tent­gelts des Ar­beit­neh­mers und der Erfüllung der ihm nach sei­nem Ar­beits­ver­trag ob­lie­gen­den Auf­ga­ben zu be­ur­tei­len. Die­se Be­ur­tei­lung muss auf der Ba­sis ei­nes Durch­schnitts­werts über ei­nen hin­rei­chend re­präsen­ta­ti­ven Re­fe­renz­zeit­raum und im Licht des von der ge­nann­ten Recht­spre­chung ent­wi­ckel­ten Grund­sat­zes vor­ge­nom­men wer­den, wo­nach der An­spruch auf Jah­res­ur­laub und der auf Zah­lung des Ur­laubs­ent­gelts in der Richt­li­nie 2003/88 als zwei As­pek­te ei­nes ein­zi­gen An­spruchs be­han­delt wer­den (vgl. Ur­tei­le Ro­bin­son-Stee­le u. a., Rand­nr. 58, und Schultz-Hoff u. a., Rand­nr. 60).

27

Hier­nach ist noch dar­auf hin­zu­wei­sen, dass der Ge­richts­hof be­reits ent­schie­den hat, dass ei­ne Ar­beit­neh­me­rin, die bei ei­ner Flug­ge­sell­schaft als Ka­bi­nen­che­fin an­ge­stellt war und der für die Dau­er ih­rer Schwan­ger­schaft vorüber­ge­hend ei­ne Tätig­keit am Bo­den zu­ge­wie­sen wor­den war, nicht nur An­spruch auf Fort­zah­lung ih­res Grund­ge­halts, son­dern auch auf die Ent­gelt­be­stand­tei­le oder Zu­la­gen hat, die an ih­re be­ruf­li­che Stel­lung an­knüpfen. Da­her wa­ren die Zu­la­gen, die an ih­re lei­ten­de Po­si­ti­on, die Dau­er ih­rer Be­triebs­zu­gehörig­keit und an ih­re be­ruf­li­chen Qua­li­fi­ka­tio­nen an­knüpfen, fort­zu­zah­len (vgl. in die­sem Sin­ne Ur­teil vom 1. Ju­li 2010, Par­viai­nen, C-471/08, Slg. 2010, I-0000, Rand­nr. 73). Die­se Recht­spre­chung gilt auch für ei­ne schwan­ge­re Ar­beit­neh­me­rin, die be­ur­laubt ist (Ur­teil vom 1. Ju­li 2010, Gas­s­mayr, C-194/08, Slg. 2010, I-0000, Rand­nr. 65).

28

Dar­aus folgt, dass über die in Rand­nr. 24 des vor­lie­gen­den Ur­teils ge­nann­ten Be­stand­tei­le des Ge­sam­tent­gelts hin­aus al­le die­je­ni­gen Be­stand­tei­le, die an die persönli­che und be­ruf­li­che Stel­lung des Li­ni­en­pi­lo­ten an­knüpfen, während sei­nes be­zahl­ten Jah­res­ur­laubs fort­zu­zah­len sind.

29

Sch­ließlich bleibt noch klar­zu­stel­len, dass so­wohl die Richt­li­nie 2003/88 als auch die Eu­ropäische Ver­ein­ba­rung nur ei­nen Min­dest­schutz in Be­zug auf den Ent­gelt­an­spruch der sich im Jah­res­ur­laub be­fin­den­den Ar­beit­neh­me­rin­nen und Ar­beit­neh­mer vor­sieht.

30

Da­her hin­dert kei­ne Be­stim­mung des Uni­ons­rechts die Mit­glied­staa­ten oder ge­ge­be­nen­falls die So­zi­al­part­ner dar­an, über den von der Uni­ons­re­ge­lung ga­ran­tier­ten Min­dest­schutz des Ar­beit­neh­mers hin­aus­zu­ge­hen und die Fort­zah­lung sämt­li­cher Be­stand­tei­le des Ge­sam­tent­gelts vor­zu­se­hen, auf die der Ar­beit­neh­mer während sei­ner Ar­beits­zeit An­spruch hat (vgl. in die­sem Sin­ne Ur­teil Par­viai­nen, Rand­nr. 63).

31

Nach al­le­dem ist auf die Vor­la­ge­fra­gen zu ant­wor­ten, dass Art. 7 der Richt­li­nie 2003/88 und Klau­sel 3 der Eu­ropäischen Ver­ein­ba­rung da­hin aus­zu­le­gen sind, dass ein Li­ni­en­pi­lot während sei­nes Jah­res­ur­laubs nicht nur An­spruch auf die Fort­zah­lung sei­nes Grund­ge­halts hat, son­dern zum ei­nen auch auf al­le Be­stand­tei­le, die un­trenn­bar mit der Erfüllung der ihm nach sei­nem Ar­beits­ver­trag ob­lie­gen­den Auf­ga­ben ver­bun­den sind und durch ei­nen in die Be­rech­nung sei­nes Ge­sam­tent­gelts ein­ge­hen­den Geld­be­trag ab­ge­gol­ten wer­den, und zum an­de­ren auch auf al­le Be­stand­tei­le, die an sei­ne persönli­che und be­ruf­li­che Stel­lung an­knüpfen. Es ist Sa­che des na­tio­na­len Ge­richts, zu be­ur­tei­len, ob die ver­schie­de­nen Be­stand­tei­le des Ge­sam­tent­gelts die­ses Ar­beit­neh­mers die­se Kri­te­ri­en erfüllen.

Kos­ten

32

Für die Par­tei­en des Aus­gangs­ver­fah­rens ist das Ver­fah­ren ein Zwi­schen­streit in dem bei dem vor­le­gen­den Ge­richt anhängi­gen Rechts­streit; die Kos­ten­ent­schei­dung ist da­her Sa­che die­ses Ge­richts. Die Aus­la­gen an­de­rer Be­tei­lig­ter für die Ab­ga­be von Erklärun­gen vor dem Ge­richts­hof sind nicht er­stat­tungsfähig.

 

Aus die­sen Gründen hat der Ge­richts­hof (Ers­te Kam­mer) für Recht er­kannt:

Art. 7 der Richt­li­nie 2003/88/EG des Eu­ropäischen Par­la­ments und des Ra­tes vom 4. No­vem­ber 2003 über be­stimm­te As­pek­te der Ar­beits­zeit­ge­stal­tung und Klau­sel 3 der Ver­ein­ba­rung, die der Richt­li­nie 2000/79/EG des Ra­tes vom 27. No­vem­ber 2000 über die Durchführung der von der Ver­ei­ni­gung Eu­ropäischer Flug­ge­sell­schaf­ten (AEA), der Eu­ropäischen Trans­port­ar­bei­ter-Föde­ra­ti­on (ETF), der Eu­ro­pean Cock­pit As­so­cia­ti­on (ECA), der Eu­ro­pean Re­gi­ons Air­line As­so­cia­ti­on (ERA) und der In­ter­na­tio­nal Air Car­ri­er As­so­cia­ti­on (IA­CA) ge­schlos­se­nen Eu­ropäischen Ver­ein­ba­rung über die Ar­beits­zei­t­or­ga­ni­sa­ti­on für das flie­gen­de Per­so­nal der Zi­vil­luft­fahrt als An­hang bei­gefügt ist, sind da­hin aus­zu­le­gen, dass ein Li­ni­en­pi­lot während sei­nes Jah­res­ur­laubs nicht nur An­spruch auf die Fort­zah­lung sei­nes Grund­ge­halts hat, son­dern zum ei­nen auch auf al­le Be­stand­tei­le, die un­trenn­bar mit der Erfüllung der ihm nach sei­nem Ar­beits­ver­trag ob­lie­gen­den Auf­ga­ben ver­bun­den sind und durch ei­nen in die Be­rech­nung sei­nes Ge­sam­tent­gelts ein­ge­hen­den Geld­be­trag ab­ge­gol­ten wer­den, und zum an­de­ren auch auf al­le Be­stand­tei­le, die an sei­ne persönli­che und be­ruf­li­che Stel­lung an­knüpfen.

Es ist Sa­che des na­tio­na­len Ge­richts, zu be­ur­tei­len, ob die ver­schie­de­nen Be­stand­tei­le des Ge­sam­tent­gelts die­ses Ar­beit­neh­mers die­se Kri­te­ri­en erfüllen.

Un­ter­schrif­ten

*Ver­fah­rens­spra­che: Eng­lisch.

Quel­le: Ge­richts­hof der Eu­ropäischen Uni­on (EuGH), http://cu­ria.eu­ro­pa.eu

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