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BAG, Ur­teil vom 26.03.2015, 2 AZR 237/14

   
Schlagworte: Mutterschutz, Schwangerschaft, Kündigung: Schwangerschaft
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 2 AZR 237/14
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 26.03.2015
   
Leitsätze:

1. Im Fall einer Schwangerschaft aufgrund einer Befruchtung außerhalb des Körpers (In-vitro-Fertilisation) greift das Kündigungsverbot des § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG ab dem Zeitpunkt der Einsetzung einer befruchteten Eizelle in die Gebärmutter (Embryonentransfer).


2. Eine außerhalb des Geltungsbereichs des KSchG ausgesprochene Kündigung ist gemäß § 134 BGB iVm. § 7 Abs. 1, §§ 1, 3 AGG nichtig, wenn sie wegen der - beabsichtigten - Durchführung einer In-vitro-Fertilisation und der damit einhergehenden Möglichkeit einer Schwangerschaft erklärt wird.

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Leipzig, Urteil vom 21.06.2013 - 9 Ca 600/13
Sächsisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 7.03.2014 - 3 Sa 502/13
   

BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT

2 AZR 237/14
3 Sa 502/13

Säch­si­sches
Lan­des­ar­beits­ge­richt

 

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am

26. März 2015

UR­TEIL

Schmidt, Ur­kunds­be­am­tin

der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Be­klag­ter, Be­ru­fungskläger und Re­vi­si­onskläger,

pp.

Kläge­rin, Be­ru­fungs­be­klag­te und Re­vi­si­ons­be­klag­te,

hat der Zwei­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 29. Ja­nu­ar 2015 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Kreft, die Rich­te­rin am Bun­des­ar­beits­ge­richt Ra­chor, den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Nie­mann so­wie den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Söller und die eh­ren­amt­li­che Rich­te­rin Schipp für Recht er­kannt:
 

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Die Re­vi­si­on des Be­klag­ten ge­gen das Ur­teil des Säch­si­schen Lan­des­ar­beits­ge­richts vom 7. März 2014 - 3 Sa 502/13 - wird auf sei­ne Kos­ten zurück­ge­wie­sen.


Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten über die Wirk­sam­keit ei­ner or­dent­li­chen Kündi­gung.

Die 1975 ge­bo­re­ne Kläge­rin war bei dem Be­klag­ten, der mit ins­ge­samt zwei Ar­beit­neh­mern ei­ne Ver­si­che­rungs­ver­tre­tung be­treibt, seit Fe­bru­ar 2012 als Büro­lei­te­rin beschäftigt. Der Be­klag­te äußer­te sich re­gelmäßig po­si­tiv über die Ar­beits­leis­tung der Kläge­rin. Ver­war­nun­gen oder Ab­mah­nun­gen er­teil­te er ihr nicht.


Am 14. oder 15. Ja­nu­ar 2013 eröff­ne­te die Kläge­rin dem Be­klag­ten in ei­nem persönli­chen Gespräch, dass sie seit meh­re­ren Jah­ren ei­nen bis­her un­erfüll­ten Kin­der­wunsch he­ge und ein er­neu­ter Ver­such ei­ner künst­li­chen Be­fruch­tung an­ste­he.

Mit Schrei­ben vom 31. Ja­nu­ar 2013, der Kläge­rin am sel­ben Tag zu­ge­gan­gen, kündig­te der Be­klag­te das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en zum 1. März 2013 und stell­te die Kläge­rin von der Ar­beits­leis­tung frei. In der Fol­ge be­setz­te er ih­re Stel­le mit ei­ner älte­ren Ar­beit­neh­me­rin.

Am 7. Fe­bru­ar 2013 wur­de bei der Kläge­rin ei­ne Frühschwan­ger­schaft fest­ge­stellt. Un­ter dem 13. Fe­bru­ar 2013 teil­te sie dies dem Be­klag­ten mit. Der Mut­ter­pass der Kläge­rin und ein ärzt­li­ches Schrei­ben vom 16. Mai 2013 be­nen­nen als Da­tum des sog. Em­bryo­nen­trans­fers im Rah­men ei­ner künst­li­chen Be­fruch­tung den 24. Ja­nu­ar 2013. Am 1. Ok­to­ber 2013 wur­de die Toch­ter der Kläge­rin ge­bo­ren.
 

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Mit der vor­lie­gen­den Kla­ge hat die Kläge­rin sich recht­zei­tig ge­gen die Kündi­gung ge­wandt. Sie hat vor­ge­bracht, bei de­ren Zu­gang sei sie be­reits schwan­ger ge­we­sen. Zu­dem stel­le die Kündi­gung ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung we­gen ih­res Ge­schlechts dar. Sie sei we­gen ih­rer Ankündi­gung, sich künst­lich be­fruch­ten zu las­sen, erklärt wor­den.


Die Kläge­rin hat be­an­tragt 


fest­zu­stel­len, dass das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en durch die Kündi­gung des Be­klag­ten vom 31. Ja­nu­ar 2013 nicht auf­gelöst wor­den ist.

Der Be­klag­te hat be­an­tragt, die Kla­ge ab­zu­wei­sen. Er hat ge­meint, die Kläge­rin ha­be nicht nach­ge­wie­sen, dass sie bei Zu­gang der Kündi­gung be­reits schwan­ger ge­we­sen sei. Die von ihr vor­ge­leg­ten Be­schei­ni­gun­gen sei­en wi­dersprüchlich. Ih­nen könne nicht ent­nom­men wer­den, dass der Em­bryo­nen­trans­fer am 24. Ja­nu­ar 2013 statt­ge­fun­den ha­be. Im Übri­gen kom­me es für den Be­ginn der Schwan­ger­schaft auf den Zeit­punkt der Ein­nis­tung an. Die Kündi­gung ha­be er al­lein des­halb erklärt, weil er mit der Ar­beits­leis­tung der Kläge­rin nicht zu­frie­den ge­we­sen sei.

Die Vor­in­stan­zen ha­ben der Kla­ge statt­ge­ge­ben. Mit sei­ner Re­vi­si­on be­gehrt der Be­klag­te wei­ter­hin de­ren Ab­wei­sung.

Ent­schei­dungs­gründe

Die Re­vi­si­on ist un­be­gründet. Die Kündi­gung ist gemäß § 134 BGB un­wirk­sam. Sie verstößt so­wohl ge­gen § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG (A.) als auch ge­gen § 7 Abs. 1, §§ 1, 3 AGG (B.).


A. Die Kläge­rin ge­noss bei Zu­gang der Kündi­gung den be­son­de­ren Schutz aus § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG.


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I. Nach die­ser Vor­schrift ist ei­ne oh­ne behörd­li­che Zu­stim­mung (da­zu § 9 Abs. 3 MuSchG) aus­ge­spro­che­ne Kündi­gung ge­genüber ei­ner Frau während der Schwan­ger­schaft un­zulässig, wenn dem Ar­beit­ge­ber zur Zeit der Kündi­gung die Schwan­ger­schaft be­kannt war oder sie ihm in­ner­halb zwei­er Wo­chen nach Zu­gang der Kündi­gung mit­ge­teilt wird.


II. Zwi­schen den Par­tei­en be­stand ein Ar­beits­verhält­nis gemäß § 1 Nr. 1 MuSchG. Die Kläge­rin hat dem Be­klag­ten die Schwan­ger­schaft je­den­falls bin­nen zwei­er Wo­chen nach Zu­gang der Kündi­gung mit­ge­teilt. Ei­ne behörd­li­che Zu­stim­mung lag nicht vor.

III. Die Kläge­rin war bei Zu­gang der Kündi­gung schwan­ger. Im Fall ei­ner Schwan­ger­schaft auf­grund ei­ner Be­fruch­tung außer­halb des Körpers (In-vi­tro-Fer­ti­li­sa­ti­on) be­ginnt der be­son­de­re Kündi­gungs­schutz mit der Ein­set­zung der be­fruch­te­ten Ei­zel­le in die Gebärmut­ter (Em­bryo­nen­trans­fer) und nicht erst mit ih­rer Ein­nis­tung (Ni­da­ti­on).

1. In der Hu­man­me­di­zin be­zeich­net Schwan­ger­schaft den Zu­stand der Frau von der Kon­zep­ti­on (dh. von dem zur Be­fruch­tung führen­den Ver­kehr) bis zur Ge­burt (vgl. Pschy­rem­bel Kli­ni­sches Wörter­buch 265. Aufl. „Kon­zep­ti­on“ und „Schwan­ger­schaft“). Die Schwan­ger­schafts­dau­er wird ent­we­der post mens­trua­tio­nem (dh. vom ers­ten Tag der letz­ten Mens­trua­ti­on bis zum Tag der Ge­burt) mit durch­schnitt­lich 280 Ta­gen oder post con­cep­tio­nem (dh. von der Kon­zep­ti­on bis zum Tag der Ge­burt) mit durch­schnitt­lich 263 bis 273 Ta­gen be­rech­net (Pschy­rem­bel Kli­ni­sches Wörter­buch 265. Aufl. „Schwan­ger­schafts­dau­er“). Die Be­rech­nung hängt un­ter an­de­rem da­von ab, ob auf den körper­li­chen Zu­stand der Frau oder auf den Be­ginn des Le­bens ab­ge­stellt wird (Rei­ner Eu­ZA 2009, 79).

2. Bei natürli­cher Empfäng­nis wird der Be­ginn des Kündi­gungs­ver­bots aus § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG in ent­spre­chen­der An­wen­dung von § 5 Abs. 2 Satz 1 MuSchG in der Wei­se be­stimmt, dass von dem ärzt­lich fest­ge­stell­ten mut­maßli­chen Tag der Ent­bin­dung um 280 Ta­ge zurück­ge­rech­net wird (st. Rspr., vgl. BAG 12. Mai 2011 - 2 AZR 384/10 - Rn. 33; 7. Mai 1998 - 2 AZR 417/97 -
 

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zu II 1 der Gründe, BA­GE 88, 357). Die­ser Zeit­raum um­fasst die mitt­le­re Schwan­ger­schafts­dau­er, die bei ei­nem durch­schnitt­li­chen Mens­trua­ti­ons­zy­klus zehn Lun­ar­mo­na­te zu je 28 Ta­gen - ge­rech­net vom ers­ten Tag der letz­ten Re­gel­blu­tung an - beträgt. Er mar­kiert die äußers­te zeit­li­che Gren­ze, in­ner­halb de­rer bei nor­ma­lem Zy­klus ei­ne Schwan­ger­schaft vor­lie­gen kann. Da­mit wer­den auch Ta­ge ein­be­zo­gen, in de­nen das Vor­lie­gen ei­ner Schwan­ger­schaft eher un­wahr­schein­lich ist.


Ent­ge­gen kri­ti­schen Stim­men in der Li­te­ra­tur (vgl. KR/Ba­der/Gall­ner 10. Aufl. § 9 MuSchG Rn. 64b mwN) lässt der Se­nat da­bei nicht ei­nen An­scheins­be­weis zu­guns­ten der Ar­beit­neh­me­rin ein­grei­fen. Viel­mehr ver­zich­tet er be­wusst auf ei­ne Wahr­schein­lich­keits­rech­nung, um zu gewähr­leis­ten, dass je­de tatsächlich Schwan­ge­re den Schutz des § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG in An­spruch neh­men kann. Da sich - so­fern nicht aus­nahms­wei­se der Tag der Kon­zep­ti­on zwei­fels­frei fest­steht - Feh­ler und Un­ge­nau­ig­kei­ten nicht ver­mei­den las­sen, ist es ge­recht­fer­tigt, zunächst von der der Ar­beit­neh­me­rin güns­tigs­ten Be­rech­nungs­me­tho­de aus­zu­ge­hen. Der Ar­beit­ge­ber kann den Be­weis­wert ei­ner ärzt­li­chen Be­schei­ni­gung über den mut­maßli­chen Ent­bin­dungs­ter­min erschüttern, in­dem er Umstände dar­legt und be­weist, auf­grund de­rer es wis­sen­schaft­lich ge­si­cher­ter Er­kennt­nis wi­derspräche, vom Be­ginn der Schwan­ger­schaft vor Kündi­gungs­zu­gang aus­zu­ge­hen. Die Ar­beit­neh­me­rin muss dann wei­te­ren Be­weis führen und ist ge­ge­be­nen­falls ge­hal­ten, ih­re Ärz­te von der Schwei­ge­pflicht zu ent­bin­den (BAG 7. Mai 1998 - 2 AZR 417/97 - zu II 3 c der Gründe, BA­GE 88, 357). Wer­den im Ver­lauf der Schwan­ger­schaft ge­naue­re Er­kennt­nis­se über den Zeit­punkt ih­res Be­ginns ge­won­nen, kann zu­dem ei­ne kor­ri­gier­te Be­schei­ni­gung er­stellt wer­den (BAG 27. Ok­to­ber 1983 - 2 AZR 566/82 - zu A II 2 c dd der Gründe).


3. Bei ei­ner Schwan­ger­schaft auf­grund ei­ner In-vi­tro-Fer­ti­li­sa­ti­on be­ginnt der be­son­de­re Kündi­gungs­schutz mit dem Em­bryo­nen­trans­fer. Es kann we­der die 280-Ta­ges-Re­gel zur An­wen­dung ge­lan­gen, noch ent­schei­det der Zeit­punkt der Ni­da­ti­on.


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a) Die In-vi­tro-Fer­ti­li­sa­ti­on ist ei­ne Me­tho­de der künst­li­chen Be­fruch­tung, bei der ent­nom­me­ne Ei­zel­len mit präpa­rier­ten Sper­mi­en be­fruch­tet und die Em­bryos an­sch­ließend in den Ute­rus der Frau trans­fe­riert wer­den (Pschy­rem­bel Kli­ni­sches Wörter­buch 265. Aufl. „In-vi­tro-Fer­ti­li­sa­ti­on“). Der Vor­gang läuft in meh­re­ren Schrit­ten ab, dar­un­ter die hor­mo­nel­le Sti­mu­la­ti­on der Ei­erstöcke mit dem Ziel, meh­re­re Ei­zel­len gleich­zei­tig zur Rei­fung zu brin­gen, die Fol­li­kel­punk­ti­on, die Ent­nah­me der Ei­zel­len, die Be­fruch­tung ei­ner oder meh­re­rer Ei­zel­len mit auf­be­rei­te­ten Sper­mi­en, die Ein­set­zung der be­fruch­te­ten Ei­zel­le oder Ei­zel­len in die Gebärmut­ter und die Ein­nis­tung (vgl. EuGH 26. Fe­bru­ar 2008 - C-506/06 - [Mayr] Rn. 30, Slg. 2008, I-1017).


b) Aus Gründen der Rechts­si­cher­heit kann ei­ne Schwan­ger­schaft bei Durchführung ei­ner In-vi­tro-Fer­ti­li­sa­ti­on frühes­tens im Zeit­punkt des Em­bryo­nen­trans­fers und nicht be­reits mit Be­fruch­tung der Ei­zel­le außer­halb des Körpers der Frau be­gin­nen (EuGH 26. Fe­bru­ar 2008 - C-506/06 - [Mayr] Rn. 41, Slg. 2008, I-1017). Da das „Ein­frie­ren“ be­fruch­te­ter Ei­zel­len (sog. Kryo­kon­ser­vie­rung) durch das Ge­setz zum Schutz von Em­bryo­nen (Em­bryo­nen­schutz­ge­setz vom 13. De­zem­ber 1990 (BGBl. I S. 2746), zu­letzt geändert am 21. No­vem­ber 2011 (BGBl. I S. 2228)) zeit­lich nicht be­grenzt wird (§ 9 Nr. 4 des Ge­set­zes; vgl. Spick­hoff/Müller-Ter­pitz Me­di­zin­recht 2. Aufl. § 9 ESchG Rn. 2), könn­te sich ei­ne Ar­beit­neh­me­rin an­dern­falls un­ter Umständen meh­re­re Jah­re auf den be­son­de­ren Kündi­gungs­schutz gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG be­ru­fen (aA Rei­ner Eu­ZA 2009, 79).


c) Da ei­ne Schwan­ger­schaft auf­grund ei­ner In-vi­tro-Fer­ti­li­sa­ti­on kei­nes­falls vor dem Em­bryo­nen­trans­fer be­gin­nen kann, ver­bie­tet sich ei­ne Rück­rech­nung um 280 Ta­ge vom mut­maßli­chen Ge­burts­ter­min. Da­mit würden - weil der ers­te Tag der letz­ten Mens­trua­ti­on not­wen­dig früher lie­gen muss - auch Zei­ten vor dem Trans­fer ein­be­zo­gen, oh­ne dass es nötig wäre, auf die­se Wei­se der Ge­fahr vor­zu­beu­gen, ei­ne tatsächlich schon schwan­ge­re Frau vom be­son­de­ren Kündi­gungs­schutz aus­zu­sch­ließen.


d) Rich­ti­ger­wei­se be­ginnt ei­ne Schwan­ger­schaft auf­grund ei­ner In-vi­tro-Fer­ti­li­sa­ti­on auch nicht später als mit dem Em­bryo­nen­trans­fer (eben­so Däub-
 

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ler/Hjort/Schu­bert/Wol­merath 3. Aufl. § 9 MuSchG Rn. 10; ErfK/Schlach­ter 15. Aufl. § 3 AGG Rn. 6; Göhle-San­der ju­ris­PR-ArbR 40/2014 Anm. 3; Ha­Ko-Fie­big/Böhm 4. Aufl. § 9 MuSchG Rn. 7; Kütt­ner/Poe­che Per­so­nal­buch 2014 Mut­ter­schutz Rn. 5; Töns/Dal­hei­mer MuSchG 2. Aufl. § 195 RVO Rn. 41; Zmarz­lik/Zip­pe­rer MuSchG 9. Aufl. § 3 Rn. 2). Sie be­ginnt nicht erst mit der Ni­da­ti­on (so aber AR-Vos­sen 7. Aufl. § 9 MuSchG Rn. 6; KR/Ba­der/Gall­ner 10. Aufl. § 9 MuSchG Rn. 29; et­was miss­verständ­lich Buch­ner/Be­cker MuSchG 8. Aufl. § 1 Rn. 141a; Rancke/Pep­ping Mut­ter­schutz 3. Aufl. § 3 MuSchG Rn. 5; Roos/Bie­res­born MuSchG § 3 Rn. 118: sie spre­chen je­weils von „er­folg­rei­cher Im­plan­ta­ti­on“).

aa) Der Mut­ter­schutz ge­nießt ei­nen ho­hen Rang. Mit ihm ver­wirk­licht der na­tio­na­le Ge­setz­ge­ber sei­nen Schutz­auf­trag aus Art. 6 Abs. 4 GG (vgl. BVerfG 18. No­vem­ber 2003 - 1 BvR 302/96 - zu C 2 b aa der Gründe, BVerfGE 109, 64). Zu­gleich kommt er den Ver­pflich­tun­gen aus der Richt­li­nie 92/85/EWG des Ra­tes vom 19. Ok­to­ber 1992 über die Durchführung von Maßnah­men zur Ver­bes­se­rung der Si­cher­heit und des Ge­sund­heits­schut­zes von schwan­ge­ren Ar­beit­neh­me­rin­nen, Wöch­ne­rin­nen und stil­len­den Ar­beit­neh­me­rin­nen am Ar­beits­platz (Mut­ter­schutzRL) nach. Zweck des Mut­ter­schut­zes ist es, die im Ar­beits­verhält­nis ste­hen­de Mut­ter vor ar­beits­platz­be­ding­ten Ge­fah­ren, Über­for­de­run­gen und Ge­sund­heitsschädi­gun­gen zu be­wah­ren. Das Kündi­gungs­ver­bot in § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG soll die schwan­ge­re Ar­beit­neh­me­rin vor der Ge­fahr schützen, die die Möglich­keit ei­ner Ent­las­sung für ih­re psy­chi­sche und phy­si­sche Ver­fas­sung dar­stellt (vgl. EuGH 26. Fe­bru­ar 2008 - C-506/06 - [Mayr] Rn. 34, Slg. 2008, I-1017 zu Art. 10 Nr. 1 der Mut­ter­schutzRL). Um die Si­cher­heit und den Schutz je­der schwan­ge­ren Ar­beit­neh­me­rin zu gewähr­leis­ten, ist nach den uni­ons­recht­li­chen Vor­ga­ben von dem frühestmögli­chen Zeit­punkt des Vor­lie­gens ei­ner Schwan­ger­schaft aus­zu­ge­hen (EuGH 26. Fe­bru­ar 2008 - C-506/06 - [Mayr] Rn. 37, 40, aaO zu Art. 10 Nr. 1 der Mut­ter­schutzRL). Das ist der Zeit­punkt der Ver­bin­dung ei­ner be­fruch­te­ten Ei­zel­le mit dem Or­ga­nis­mus der wer­den­den Mut­ter durch den Em­bryo­nen­trans­fer. Spätes­tens da­mit ist ein Zu­stand er­reicht, der dem­je­ni­gen nach der natürli­chen Be­fruch­tung ent­spricht.

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Auch bei der natürli­chen Empfäng­nis be­ginnt die Schwan­ger­schaft mit der Kon­zep­ti­on, nicht erst mit der Ni­da­ti­on.

bb) Das Ab­stel­len auf den Em­bryo­nen­trans­fer be­deu­tet zu­dem Rechts­si­cher­heit. Der Zeit­punkt des Trans­fers lässt sich pro­blem­los fest­stel­len. Für den Zeit­punkt der Ni­da­ti­on gilt dies nicht. Bei der Ni­da­ti­on han­delt es sich um ei­nen Pro­zess, der mit An­hef­tung der Blas­to­zys­te (bzw. des Em­bryos) am fünf­ten und sechs­ten Ent­wick­lungs­tag be­ginnt und am elf­ten bis zwölf­ten Tag ab­ge­schlos­sen wird (Pschy­rem­bel Kli­ni­sches Wörter­buch 265. Aufl. „Ni­da­ti­on“). Wann ge­nau die­ser Pro­zess bei der be­tref­fen­den Frau be­ginnt und en­det, wird in der Re­gel nicht fest­ge­stellt. Da­mit ist der frühestmögli­che Ter­min der Ni­da­ti­on nur schwer zu be­stim­men. Es ver­blie­be ei­ne er­heb­li­che Un­si­cher­heit über den Be­ginn des Kündi­gungs­schut­zes.


cc) Das Ab­stel­len auf den Em­bryo­nen­trans­fer steht nicht in Wi­der­spruch zu § 218 Abs. 1 Satz 2 StGB. Zwar kann da­nach ein - straf­be­wehr­ter - Schwan­ger­schafts­ab­bruch erst vor­lie­gen, wenn die Ein­nis­tung des be­fruch­te­ten Eis in der Gebärmut­ter ab­ge­schlos­sen ist. Schutz­ob­jekt des § 218 StGB ist je­doch nicht (auch) die wer­den­de Mut­ter, son­dern aus­sch­ließlich die Lei­bes­frucht. Der straf­recht­li­che Schutz setzt des­halb erst nach dem bio­lo­gisch-me­di­zi­ni­schen Be­ginn ei­ner Schwan­ger­schaft ein (vgl. Schönke/Schröder/Eser StGB 29. Aufl. § 218 Rn. 6). Er stellt auf den Zeit­punkt der Ni­da­ti­on ab, weil vor­her kaum zwi­schen ei­nem Ab­bruch und ei­nem un­ge­woll­ten Frühst­ab­gang der Lei­bes­frucht un­ter­schie­den wer­den kann (vgl. BT-Drs. 12/2605 S. 22; Schönke/Schröder/ Eser StGB 29. Aufl. vor §§ 218 bis 219b Rn. 35). Die an­de­re Ziel­rich­tung des § 218 Abs. 1 Satz 2 StGB als die des § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG recht­fer­tigt es, für den Be­ginn des je­wei­li­gen Schut­zes un­ter­schied­li­che Zeit­punk­te fest­zu­le­gen. So liegt es im Übri­gen nicht nur bei der Schwan­ger­schaft auf­grund ei­ner In-vi­tro-Fer­ti­li­sa­ti­on, son­dern auch bei der natürli­chen Schwan­ger­schaft.

dd) Der Hin­weis des Be­klag­ten auf ge­rin­ge Er­folgs­aus­sich­ten von In-vi­tro-Fer­ti­li­sa­tio­nen spielt für den Streit­fall kei­ne Rol­le. Die Kläge­rin hat zwi­schen­zeit­lich ein Kind ent­bun­den. Es be­darf des­halb kei­ner Ent­schei­dung, ob durch den Em­bryo­nen­trans­fer der Be­ginn des be­son­de­ren Kündi­gungs­schut­zes le­dig­lich
 

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für den Fall be­stimmt wird, dass es in der Fol­ge zu ei­ner Ni­da­ti­on kommt, oder ob der be­son­de­re Kündi­gungs­schutz mit der Ein­set­zung ei­ner be­fruch­te­ten Ei­zel­le in die Gebärmut­ter „un­be­dingt“, al­so in je­dem Fall, ein­setzt und - oh­ne Nach­wir­kung - wie­der en­det, wenn ei­ne Ein­nis­tung aus­bleibt. Die letzt­ge­nann­te Sicht­wei­se könn­te durch Art. 10 Nr. 1 Mut­ter­schutzRL ge­bo­ten sein, ent­spricht der Rechts­la­ge bei natürli­cher Schwan­ger­schaft (bei der die nicht zur Ni­da­ti­on führen­de Kon­zep­ti­on frei­lich oft un­be­merkt blei­ben wird) und ver­wirk­licht den Grund­satz, dass die Wirk­sam­keit ei­nes Rechts­geschäfts zum Zeit­punkt sei­ner Vor­nah­me fest­ste­hen soll (vgl. KR/Ba­der/Gall­ner 10. Aufl. § 9 MuSchG Rn. 64b zur Recht­spre­chung des Se­nats zum Be­ginn der Schwan­ger­schaft bei natürli­cher Empfäng­nis). Die­ser Grund­satz gilt al­ler­dings nicht un­ein­ge­schränkt. In § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG (vgl. auch Art. 2 Buchst. a der Mut­ter­schutzRL) wird er durch­bro­chen, in­dem ei­ne oh­ne Kennt­nis von der Schwan­ger­schaft erklärte Kündi­gung un­wirk­sam wird, wenn die Ar­beit­neh­me­rin dem Ar­beit­ge­ber frist­ge­recht ent­spre­chen­de Mit­tei­lung macht. In­so­fern wird dem Ar­beit­ge­ber oh­ne­hin ein min­des­tens zweiwöchi­ger - bei feh­len­dem Ver­schul­den der Ar­beit­neh­me­rin so­gar länge­rer - „Schwe­be­zu­stand“ zu­ge­mu­tet. Sol­ches ist dem Ar­beits- und all­ge­mei­nen Zi­vil­recht auch in an­de­ren Zu­sam­menhängen nicht fremd (vgl. für das Ar­beits­recht nur § 85 SGB IX, §§ 174, 180 BGB und zB für das Miet­recht § 543 Abs. 2 Satz 3, § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB).


4. Da­nach war die Kläge­rin bei Zu­gang der Kündi­gung schwan­ger. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat fest­ge­stellt, dass der Em­bryo­nen­trans­fer am 24. Ja­nu­ar 2013 er­folgt ist. Die­se Fest­stel­lung bin­det den Se­nat. Ge­gen sie ist ein zulässi­ger und be­gründe­ter Re­vi­si­ons­an­griff nicht geführt wor­den (§ 559 Abs. 2 ZPO).


a) Der Zeit­punkt des Em­bryo­nen­trans­fers ist Ge­gen­stand tatrich­ter­li­cher Würdi­gung iSd. § 286 Abs. 1 ZPO. Ei­ne sol­che ist re­vi­si­ons­recht­lich nur dar­auf­hin über­prüfbar, ob das Be­ru­fungs­ge­richt den ge­sam­ten In­halt der Ver­hand­lung berück­sich­tigt und al­le er­ho­be­nen Be­wei­se gewürdigt hat, ob ei­ne Be­weiswürdi­gung in sich wi­der­spruchs­frei, oh­ne Ver­let­zung von Denk­ge­set­zen so­wie all­ge­mei­nen Er­fah­rungssätzen er­folgt und ob sie recht­lich möglich ist (BAG


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21. Au­gust 2014 - 8 AZR 655/13 - Rn. 40; 20. Ju­ni 2013 - 2 AZR 546/12 - Rn. 16, BA­GE 145, 278).

b) Das Lan­des­ar­beits­ge­richt ist zu­tref­fend da­von aus­ge­gan­gen, dass die Ar­beit­neh­me­rin ih­rer Dar­le­gungs­last für das Be­ste­hen ei­ner Schwan­ger­schaft im Kündi­gungs­zeit­punkt zunächst durch Vor­la­ge ei­ner ärzt­li­chen Be­schei­ni­gung genügt (BAG 7. Mai 1998 - 2 AZR 417/97 - zu II 3 c der Gründe, BA­GE 88, 357), und die Kläge­rin mit ih­rem Mut­ter­pass und dem Schrei­ben vom 16. Mai 2013 zwei Be­schei­ni­gun­gen vor­ge­legt hat, die als Tag des Em­bryo­nen­trans­fers den 24. Ja­nu­ar 2013 aus­wei­sen. Der Be­klag­te geht selbst da­von aus, dass die Kläge­rin an die­sem Tag auf­grund ei­ner „Ope­ra­ti­on“ aus­ge­fal­len sei.

c) Die von der Re­vi­si­on gerügten Wi­dersprüche in den ärzt­li­chen Be­schei­ni­gun­gen be­ste­hen nicht. Zwar wur­de laut Mut­ter­pass am 27. Fe­bru­ar 2013 ei­ne Schwan­ger­schaft in der sieb­ten/ach­ten Wo­che fest­ge­stellt. Die­se An­ga­be be­ruh­te je­doch er­sicht­lich auf ei­ner Be­rech­nung an­hand der letz­ten Mens­trua­ti­on, die im Mut­ter­pass mit Da­tum vom 8. Ja­nu­ar 2013 an­ge­ge­ben ist. Dem ent­spricht die Fest­stel­lung ei­ner Frühschwan­ger­schaft in der fünf­ten Wo­che in der ärzt­li­chen Be­schei­ni­gung vom 11. Fe­bru­ar 2013.

B. Die Kündi­gung ver­stieß außer­dem ge­gen § 7 Abs. 1 iVm. §§ 1, 3 AGG. Sie dis­kri­mi­nier­te die Kläge­rin we­gen ih­res Ge­schlechts.

I. Ei­ne or­dent­li­che Kündi­gung, die ei­nen Ar­beit­neh­mer, auf den das Kündi­gungs­schutz­ge­setz - noch - kei­ne An­wen­dung fin­det, aus ei­nem der in § 1 AGG ge­nann­ten Gründe dis­kri­mi­niert, ist gemäß § 134 BGB iVm. § 7 Abs. 1 AGG un­wirk­sam. Zwar re­gelt das AGG nicht selbst, wel­che Rechts­fol­ge ei­ne nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG un­zulässi­ge Be­nach­tei­li­gung hat. Je­doch er­gibt sich die Rechts­fol­ge aus § 134 BGB. Seit In­kraft­tre­ten des AGG sind des­halb dis­kri­mi­nie­ren­de Kündi­gun­gen nicht mehr am Maßstab des § 242 BGB zu mes­sen. § 2 Abs. 4 AGG steht dem nicht ent­ge­gen (BAG 19. De­zem­ber 2013 - 6 AZR 190/12 - Rn. 14, 18, 22).
 

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II. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt ist zu Recht da­von aus­ge­gan­gen, der Be­klag­te ha­be die Kläge­rin durch die Kündi­gung we­gen ih­res Ge­schlechts dis­kri­mi­niert.


1. Gemäß § 7 Abs. 1 Halbs. 1 AGG dürfen Beschäftig­te nicht we­gen ei­nes der in § 1 AGG ge­nann­ten Merk­ma­le be­nach­tei­ligt wer­den. Ei­ne un­mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung iSv. § 3 Abs. 1 AGG liegt vor, wenn ei­ne Per­son we­gen ei­nes der verpönten Merk­ma­le ei­ne we­ni­ger güns­ti­ge Be­hand­lung erfährt als ei­ne an­de­re Per­son in ei­ner ver­gleich­ba­ren Si­tua­ti­on erfährt, er­fah­ren hat oder er­fah­ren würde.

2. Die Kündi­gung als sol­che knüpft als ge­stal­ten­de Wil­lens­erklärung nicht an die Dis­kri­mi­nie­rungs­merk­ma­le des § 1 AGG an. Erst die dem Kündi­gungs­ent­schluss zu­grun­de lie­gen­den Erwägun­gen können An­halts­punkt für ei­nen Zu­sam­men­hang zwi­schen der Kündi­gungs­erklärung und ei­nem Merk­mal nach § 1 AGG sein. Die­ser kann sich aus der Kündi­gungs­be­gründung oder an­de­ren Umständen er­ge­ben. Da­bei be­darf es kei­ner sub­jek­ti­ven Kom­po­nen­te im Sin­ne ei­ner Be­nach­tei­li­gungs­ab­sicht. Es genügt, dass ei­ne An­knüpfung der Kündi­gung an ein Dis­kri­mi­nie­rungs­merk­mal zu­min­dest in Be­tracht kommt (BAG 22. Ok­to­ber 2009 - 8 AZR 642/08 - Rn. 29).

3. Die Kündi­gung we­gen ei­ner Schwan­ger­schaft der Ar­beit­neh­me­rin oder aus ei­nem im We­sent­li­chen auf der Schwan­ger­schaft be­ru­hen­den Grund kommt nur bei Frau­en in Be­tracht. Sie stellt ei­ne un­mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung auf­grund des Ge­schlechts dar (vgl. EuGH 26. Fe­bru­ar 2008 - C-506/06 - [Mayr] Rn. 46, Slg. 2008, I-1017; 8. Sep­tem­ber 2005 - C-191/03 - [McKen­na] Rn. 47, Slg. 2005, I-7631; je­weils zur Mut­ter­schutzRL). Da die Maßnah­men zur Vor­be­rei­tung und Durchführung ei­ner In-vi­tro-Fer­ti­li­sa­ti­on aus­sch­ließlich Frau­en be­tref­fen, führt die Kündi­gung ei­ner Ar­beit­neh­me­rin, die hauptsächlich aus dem Grund er­folgt, dass sie be­ab­sich­tigt, sich die­ser Be­hand­lung zu un­ter­zie­hen, eben­falls zu ei­ner un­mit­tel­ba­ren Ge­schlechts­dis­kri­mi­nie­rung (vgl. EuGH 26. Fe­bru­ar 2008 - C-506/06 - [Mayr] Rn. 50, Slg. 2008, I-1017 zur Mut­ter­schutzRL; sie­he auch LAG Köln 3. Ju­ni 2014 - 12 Sa 911/13 - zur Nicht­verlänge­rung ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses).


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4. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat rechts­feh­ler­frei fest­ge­stellt, dass maßgeb­li­cher Grund für die Kündi­gung die - ge­plan­te - Durchführung ei­ner In-vi­tro-Fer­ti­li­sa­ti­on und die da­mit ver­bun­de­ne Möglich­keit ei­ner Schwan­ger­schaft wa­ren.


a) Die zu­guns­ten der Kläge­rin ein­grei­fen­de Be­weis­last­re­gel des § 22 AGG für ei­ne Be­nach­tei­li­gung we­gen ei­nes der in § 1 AGG ge­nann­ten Merk­ma­le wirkt sich auf die Ver­tei­lung der Dar­le­gungs­last aus. Es genügt, dass die Beschäftig­te In­di­zi­en vorträgt und ge­ge­be­nen­falls be­weist, die ih­re Be­nach­tei­li­gung we­gen ei­nes verpönten Merk­mals ver­mu­ten las­sen. Hier­zu ist nicht er­for­der­lich, dass die Tat­sa­chen ei­nen zwin­gen­den Schluss auf ei­ne Ver­knüpfung der Be­nach­tei­li­gung mit ei­nem Dis­kri­mi­nie­rungs­merk­mal er­lau­ben. Viel­mehr reicht es, wenn dafür nach all­ge­mei­ner Le­bens­er­fah­rung ei­ne über­wie­gen­de Wahr­schein­lich­keit be­steht. Ist dies der Fall, trägt der Ar­beit­ge­ber die Be­weis­last dafür, dass kein Ver­s­toß ge­gen die Be­stim­mun­gen zum Schutz vor Be­nach­tei­li­gung vor­ge­le­gen hat (BAG 7. Ju­li 2011 - 2 AZR 396/10 - Rn. 34; 22. Ju­li 2010 - 8 AZR 1012/08 - Rn. 65).


b) Die Würdi­gung, ob die Ar­beit­neh­me­rin Tat­sa­chen vor­ge­tra­gen hat, die ih­re Be­nach­tei­li­gung we­gen ei­nes verpönten Merk­mals ver­mu­ten las­sen, ob­liegt den Tat­sa­chen­ge­rich­ten. Gemäß § 286 Abs. 1 ZPO ha­ben sie un­ter Berück­sich­ti­gung des ge­sam­ten In­halts der Ver­hand­lun­gen und des Er­geb­nis­ses ei­ner et­wai­gen Be­weis­auf­nah­me nach ih­rer frei­en Über­zeu­gung zu ent­schei­den, ob sie ei­ne tatsächli­che Be­haup­tung für wahr oder für nicht wahr er­ach­ten. Die­se Grundsätze gel­ten auch, wenn nicht darüber zu ent­schei­den ist, ob ei­ne Be­haup­tung „wahr“ ist, son­dern darüber, ob vor­ge­tra­ge­ne und ge­ge­be­nen­falls be­wie­se­ne Tat­sa­chen ei­ne Be­haup­tung der Ar­beit­neh­me­rin als „wahr“ ver­mu­ten las­sen (BAG 22. Ju­li 2010 - 8 AZR 1012/08 - Rn. 66; 17. De­zem­ber 2009 - 8 AZR 670/08 - Rn. 20).


c) Die ge­won­ne­ne Über­zeu­gung von ei­ner über­wie­gen­den Wahr­schein­lich­keit für die Kau­sa­lität zwi­schen dem verpönten Merk­mal - hier dem Ge­schlecht der Kläge­rin - und ei­nem Nach­teil kann vom Re­vi­si­ons­ge­richt nur dar­auf über­prüft wer­den, ob sie möglich und in sich wi­der­spruchs­frei ist und nicht


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ge­gen Rechtssätze, Denk­ge­set­ze oder Er­fah­rungssätze verstößt (BAG 18. Sep­tem­ber 2014 - 8 AZR 753/13 - Rn. 24; 27. März 2014 - 6 AZR 989/12 - Rn. 37).


d) Die­sem ein­ge­schränk­ten Prüfungs­maßstab hält die An­nah­me des Lan­des­ar­beits­ge­richts, maßgeb­li­cher Grund für den Aus­spruch der Kündi­gung sei­en die - be­ab­sich­tig­te - Durchführung ei­ner In-vi­tro-Fer­ti­li­sa­ti­on und die da­mit ein­her­ge­hen­de Möglich­keit ei­ner Schwan­ger­schaft der Kläge­rin ge­we­sen, al­le­mal stand.


aa) Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat, wenn auch oh­ne Be­zug auf § 22 AGG, hin­rei­chen­de In­di­zi­en für sei­ne An­nah­me dar­in ge­se­hen, dass der Be­klag­te, der sich bis da­hin re­gelmäßig po­si­tiv über ih­re Ar­beits­leis­tung geäußert hat­te, das Ar­beits­verhält­nis der Kläge­rin kur­ze Zeit nach ih­rer Mit­tei­lung vom 14. oder 15. Ja­nu­ar 2013 von ei­ner er­neut „an­ste­hen­den“ künst­li­chen Be­fruch­tung - nämlich am 31. Ja­nu­ar 2013 - gekündigt und ih­re Stel­le mit ei­ner „älte­ren“ Ar­beit­neh­me­rin be­setzt hat. Fer­ner hat es ge­meint, der Be­klag­te ha­be die aus die­sen Umständen re­sul­tie­ren­de Ver­mu­tung nicht durch sub­stan­ti­ier­ten Sach­vor­trag ent­kräftet.


bb) Die­se Würdi­gung ist in sich wi­der­spruchs­frei und verstößt nicht ge­gen Denk­ge­set­ze oder all­ge­mei­ne Er­fah­rungssätze. Ins­be­son­de­re der zeit­li­che Zu­sam­men­hang trägt den Schluss, die Kündi­gung sei auf­grund der Ankündi­gung der Kläge­rin er­folgt (vgl. da­zu BAG 23. April 2009 - 6 AZR 189/08 - Rn. 15, BA­GE 130, 347 zu § 612a BGB). So­weit der Be­klag­te die un­strei­ti­gen Tat­sa­chen - die Mit­tei­lung der Kläge­rin und das Feh­len von Ver­war­nun­gen und Ab­mah­nun­gen - an­ders be­ur­teilt se­hen will, setzt er le­dig­lich sei­ne ei­ge­ne Würdi­gung an die Stel­le de­rer des Lan­des­ar­beits­ge­richts. Rechts­feh­ler zeigt er da­mit nicht auf.


cc) Die vom Be­klag­ten erst­mals in der Re­vi­si­ons­in­stanz vor­ge­brach­ten Tat­sa­chen können gemäß § 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO kei­ne Berück­sich­ti­gung mehr fin­den. Ver­fah­rensrügen iSv. § 559 Abs. 1 Satz 2 iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b ZPO hat er nicht er­ho­ben.


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C. Der Be­klag­te hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kos­ten sei­ner er­folg­lo­sen Re­vi­si­on zu tra­gen.

Kreft 

Ra­chor 

Nie­mann

Söller 

B. Schipp

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