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LAG Düs­sel­dorf, Ur­teil vom 02.08.2019, 10 Sa 1139/18

   
Schlagworte: Arbeitsverhältnis, Arbeitspflicht, Arbeitnehmer
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Aktenzeichen: 10 Sa 1139/18
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 02.08.2019
   
Leitsätze:

1. Eine Vereinbarung, wonach die eine Partei eine Zahlung zu leisten hat, für die die andere Partei nach ausdrücklicher Vereinbarung gerade keine Leistung erbringen muss, ist kein Austauschvertrag und damit auch kein Dienstvertag und kein Arbeitsvertrag. Schließen die Vertragsparteien den bewusst und gewollt auf die Vereinbarung einer solch einseitigen Leistungsverpflichtung gerichteten Vertrag gleichwohl unter der Bezeichnung "Arbeitsvertrag" ab, so handelt es sich um ein Scheingeschäft, das gemäß § 117 Abs. 1 BGB nichtig ist.

2. Die Überlegung, ein Scheingeschäft läge nicht vor, weil die Parteien die Wirkungen des vereinbarten Arbeitsvertrages, etwa in Gestalt der Begründung eines sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses, gewollt hätten (so Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 22. November 2002 - 11 Sa 697/02 -, juris; u.U. auch BAG, Beschluss vom 25. Januar 2007 - 5 AZB 49/06 -, juris) übersieht, dass der Wille der Parteien nicht gerade nicht auf die "Wirkung des Rechtsgeschäftes" (Begründung eines Austauschverhältnisses zwischen Arbeitsleistung und Vergütung) gerichtet war. Gewollt war vielmehr allein die Vorspiegelung eines dahingehenden Rechtsscheins zu dem Zweck, Dritte durch die irrige Annahme, es läge tatsächlich ein Arbeitsverhältnis vor, dazu zu veranlassen, auch die in ihrem Zusammenhang maßgeblichen Kriterien, etwa für das Bestehen eines sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses und/oder für die steuerliche Anerkennung von Entgeltzahlungen als Betriebsausgaben, zu bejahen.

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Krefeld, 08.11.2018, 4 Ca 979/18,
nachgehend:
Bundesarbeitsgericht, 14.10.2020, 5 AZR 409/19
   

Lan­des­ar­beits­ge­richt Düssel­dorf, 10 Sa 1139/18


Te­nor:

Die Be­ru­fung der Kläge­rin ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Kre­feld vom 08.11.2018 - 4 Ca 979/18 - wird auf ih­re Kos­ten zurück­ge­wie­sen.

Die Re­vi­si­on wird zu­ge­las­sen.


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T A T B E S T A N D :

1

Mit der Kla­ge be­gehrt die Kläge­rin Zah­lung von rückständi­gen Gehältern un­ter Be­ru­fung auf ein Ar­beits­verhält­nis.

2

Die Be­klag­te wur­de im Jahr 2003 ge­gründet. Ge­sell­schaf­ter wa­ren da­mals der jet­zi­ge Geschäftsführer der Be­klag­ten, Herr I. T., und der Ehe­mann der Kläge­rin, Herr N. V.. Letz­te­rer be­saß zum da­ma­li­gen Zeit­punkt die Mehr­heit der Ge­sell­schafts­an­tei­le.

3

Im Sep­tem­ber 2005 schloss die Kläge­rin mit der Be­klag­ten ei­nen Ar­beits­ver­trag, wo­nach sie für die Be­klag­te als Be­ra­te­rin - zu­letzt ge­gen ein Ent­gelt von € 3.759,31 brut­to mo­nat­lich - tätig sein soll­te. In­wie­weit die Kläge­rin je­mals Ar­beits­leis­tung für die Be­klag­te er­brach­te, ist un­klar. Im Jahr 2018 hat sie un­strei­tig kei­ner­lei Ar­beits­leis­tun­gen für die Be­klag­te er­bracht.

4

Im Jahr 2015 gin­gen die Ge­sell­schafts­an­tei­le des Ehe­manns über ei­ne Zwi­schen­per­son auf den Sohn der Kläge­rin und ih­res Ehe­manns, Herrn E.-B. V. über. Nach­dem es im Jahr 2017 zu Aus­ein­an­der­set­zun­gen un­ter den Ge­sell­schaf­tern ge­kom­men war, wur­de Herr T. zunächst als Mit­geschäftsführer ab­be­ru­fen und der Sohn der Kläge­rin zum Al­lein­geschäftsführer be­stellt. Tatsächlich nahm je­doch der Ehe­mann der Kläge­rin die­se Auf­ga­be wahr. Sch­ließlich ver­kauf­te der Sohn der Kläge­rin im De­zem­ber 2017 sei­nen Geschäfts­an­teil an Herrn T., der so­dann Al­lein­ge­sell­schaf­ter und al­lei­ni­ger Geschäftsführer der Be­klag­ten wur­de. In die­ser Ei­gen­schaft kündig­te er das An­stel­lungs­verhält­nis der Kläge­rin zum 31.05.2018.

5

Mit Schrei­ben vom 02.03.2018 mach­te die Kläge­rin Ar­beits­ent­gelt aus dem gekündig­ten Ar­beits­verhält­nis für die Mo­na­te Fe­bru­ar 2018 und März 2018 in Höhe von "brut­to € 7.518,62 = net­to € 5.168,98" ge­genüber der Be­klag­ten gel­tend und setz­te ei­ne Zah­lungs­frist bis zum 10.03.2018. Auf die mit der Kla­ge­er­wi­de­rung als An­la­ge B2 vor­ge­leg­te Ko­pie wird Be­zug ge­nom­men.

6

Da kei­ne Zah­lung er­folg­te, hat die Kläge­rin mit ih­rer am 18.06.2018 beim Ar­beits­ge­richt ein­ge­gan­ge­nen Kla­ge zunächst Zah­lung von Ar­beits­ent­gelt für die Mo­na­te März bis Mai 2018 in Höhe von "€ 11.277,93 brut­to = € 5.535,54 net­to" ver­langt und die Kla­ge mit Schrift­satz vom 29.06.2018 um die Zah­lung wei­te­rer € 3.759,31 brut­to = € 1885,18 net­to er­wei­tert, weil auch das Ge­halt für Fe­bru­ar 2018 nicht ge­zahlt wor­den sei.

7

Die Kläge­rin hat be­haup­tet, am 14.11.2017 mit ih­rem Ehe­mann die Ver­ein­ba­rung ge­trof­fen zu ha­ben, dass sie im Fal­le der Kündi­gung von der Er­brin­gung der Ar­beits­leis­tung frei­ge­stellt wer­de. Da­bei ha­be ihr Ehe­mann als be­vollmäch­tig­ter Ver­tre­ter ih­res ge­mein­sa­men Soh­nes in des­sen da­ma­li­ger Ei­gen­schaft als Geschäftsführer der Be­klag­ten ge­han­delt. Am dar­auf fol­gen­den Tag ha­be zwi­schen ih­rem Ehe­mann als Ver­tre­ter des Soh­nes und dem Ge­sell­schaf­ter Herrn T. ein Gespräch statt­ge­fun­den, bei dem man überein­ge­kom­men sei, dass das Ar­beits­verhält­nis der Kläge­rin mit ge­setz­li­cher Frist or­dent­lich gekündigt und die Kläge­rin nach Er­halt der Kündi­gung un­ter Fort­zah­lung der Bezüge frei­ge­stellt wer­de. Am 08.03.2018 ha­be noch­mals ei­ne Be­spre­chung zwi­schen den bei­den statt­ge­fun­den, de­ren In­halt ihr Ehe­mann Herrn T. mit der mit Schrift­satz vom 10.10.2018 in Ko­pie vor­ge­leg­ten E-Mail vom 09.03.2018 bestätigt ha­be. Dem ha­be Herr T. nicht wi­der­spro­chen. Nach­dem sich die Be­klag­te nicht an die­se Ver­ein­ba­rung ge­hal­ten ha­be, ha­be sie vor­sorg­lich ergänzend von ih­rem Zurück­be­hal­tungs­recht hin­sicht­lich ih­rer Ar­beits­leis­tung Ge­brauch ge­macht.

8

Die Kläge­rin hat erst­in­stanz­lich zu­letzt be­an­tragt,

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die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an die Kläge­rin € 15.037,24 brut­to nebst Zin­sen in Höhe von fünf Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit dem 06.07.2018 zu zah­len. 10
Die Be­klag­ten­sei­te hat be­an­tragt, 11
die Kla­ge ab­zu­wei­sen. 12

Sie hat vor­ge­bracht, ei­ne An­spruchs­grund­la­ge für ei­nen Vergütungs­an­spruch sei nicht ge­ge­ben. Die Kläge­rin ha­be we­der ge­ar­bei­tet noch ih­re Ar­beits­kraft tatsächlich oder wört­lich an­ge­bo­ten. Ver­ein­ba­run­gen über ei­ne Frei­stel­lung sei­en nicht ge­trof­fen wor­den. Es ha­be zwar am 15.11.2017 ei­ne Be­spre­chung ge­ge­ben. Aus­weis­lich des mit der Kla­ge­er­wi­de­rung als An­la­ge B1 in Ko­pie vor­ge­leg­ten Pro­to­kolls vom 17.11.2017 sei aber nur über die Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses zum 30.04.2018 ge­spro­chen wor­den. Ei­ne Ver­ein­ba­rung über ei­ne Frei­stel­lung ha­be es nicht ge­ge­ben. Bei der Be­spre­chung im März 2018 ha­be Herr T. ge­genüber dem Ehe­mann der Kläge­rin sämt­li­che Ansprüche ab­ge­lehnt. Die E-Mail vom 09.03.2018 sei über­dies nie auf dem E-Mail-Ac­count des Geschäftsführers der Be­klag­ten an­ge­kom­men.

13

Mit Ur­teil vom 08.11.2018, auf des­sen Ent­schei­dungs­gründe we­gen der im Ein­zel­nen zu­grun­de­lie­gen­den Erwägun­gen ver­wie­sen wird, hat das Ar­beits­ge­richt die Kla­ge ab­ge­wie­sen.

14

Mit ih­rer form- und frist­gemäß ein­ge­leg­ten Be­ru­fung, we­gen de­ren teils wie­der­ho­len­den, teils ver­tie­fen­den De­tails auf die Be­ru­fungs­be­gründung ver­wie­sen wird, wen­det sich die Kläge­rin ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts.

15

Das Ar­beits­ge­richt ha­be rechts­feh­ler­haft nicht berück­sich­tigt, dass die Be­klag­te die Vergütung für Ja­nu­ar 2018 be­zahlt ha­be, ob­gleich die Kläge­rin auch in die­sem Mo­nat un­strei­tig nicht ge­ar­bei­tet ha­be. Da das Ge­halt für Fe­bru­ar 2018 dann nicht mehr ge­zahlt wor­den sei, ha­be die Kläge­rin dies an­ge­mahnt und gleich­zei­tig von ih­rem Zurück­be­hal­tungs­recht Ge­brauch ge­macht. Zusätz­lich ha­be sie sich auf die Frei­stel­lungs­ver­ein­ba­rung be­ru­fen. Die­se Ver­ein­ba­rung sei zunächst zwi­schen ihr und ih­rem Ehe­mann als Ver­tre­ter des sei­ner­zei­ti­gen Geschäftsführers Herrn E.-B. V. am 14.11.2017 in ih­rer Woh­nung mit dem In­halt ge­trof­fen wor­den, dass sie im Fal­le ei­ner Kündi­gung durch die Be­klag­te von der Er­brin­gung ih­rer Ar­beits­leis­tung un­ter Fort­zah­lung der Bezüge frei­ge­stellt wer­de. Ihr Ehe­mann sei von ih­rem Sohn um­fas­send be­vollmäch­tigt wor­den, die­sen als Pri­vat­per­son aber auch in sei­ner Ei­gen­schaft als Ge­sell­schaf­ter und Geschäftsführer der Be­klag­ten zu ver­tre­ten. Auf die mit Schrift­satz vom 12.03.2019 in Ko­pie vor­ge­leg­te Voll­machts­ur­kun­de wird Be­zug ge­nom­men.

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Während der münd­li­chen Ver­hand­lung vor dem Be­ru­fungs­ge­richt hat der Ver­tre­ter der Kläge­rin erklärt, dass die Kläge­rin nie im Be­trieb der Be­klag­ten ge­ar­bei­tet ha­be und zwar seit Be­ginn des Ar­beits­verhält­nis­ses, wel­ches rich­ti­ger­wei­se seit dem Jahr 2005 be­ste­he. Die Kläge­rin ha­be des­halb auch nie ih­re Ar­beits­kraft an­bie­ten müssen und auch nie an­ge­bo­ten. Es sei von An­fang an so ge­we­sen, dass die Kläge­rin Ge­halt oh­ne Ar­beit be­kom­men ha­be. Wie sich aus dem Be­schluss des Bun­des­ar­beits­ge­richts vom 25.01.2007 - 5 AZB 49/06 er­ge­be, han­de­le es sich bei ei­ner sol­chen Ver­ein­ba­rung nicht um ein Schein­geschäft.

17
Die Kläge­rin be­an­tragt, 18

das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Kre­feld vom 08.11.2018 - 1 Ca 631/08 ab­zuändern und die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an sie € 15.037,24 € nebst Zin­sen in Höhe von fünf Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit dem 06.07.2018 zu zah­len.

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Die Be­klag­te be­an­tragt,

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die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen. 21

Mit ih­rer Be­ru­fungs­be­ant­wor­tung, auf die we­gen der Ein­zel­hei­ten des zweit­in­stanz­li­chen Vor­brin­gens ver­wie­sen wird, ver­tei­digt sie das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts un­ter Wie­der­ho­lung und Ver­tie­fung ih­res erst­in­stanz­li­chen Vor­trags. Sie be­strei­tet die Echt­heit der vor­ge­leg­ten Voll­machts­ur­kun­de ein­sch­ließlich des be­haup­te­ten Aus­stel­lungs­da­tums. Im Übri­gen läge auf Sei­ten der Be­klag­ten kei­ne Kennt­nis darüber vor, ob Ver­ein­ba­run­gen ge­trof­fen wor­den sei­en, wo­nach die Kläge­rin nicht ha­be ar­bei­ten müssen. Selbst wenn dem aber so ge­we­sen sein soll­te, könne dar­aus kei­ne dau­er­haf­te Bin­dung re­sul­tie­ren.

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We­gen der wei­te­ren Ein­zel­hei­ten des zu­grun­de­lie­gen­den Sach­ver­halts so­wie des wi­der­strei­ten­den Sach­vor­trags und der un­ter­schied­li­chen Rechts­auf­fas­sun­gen der Par­tei­en wird gemäß § 69 Abs. 3 Satz 2 ArbGG ergänzend auf den Tat­be­stand des an­ge­foch­te­nen Ur­teils so­wie den Ak­ten­in­halt, ins­be­son­de­re die wech­sel­sei­ti­gen Schriftsätze der Par­tei­en nebst An­la­gen so­wie die Pro­to­kol­le der münd­li­chen Ver­hand­lun­gen aus bei­den In­stan­zen Be­zug ge­nom­men.

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E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E :

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I. 25

Die den An­for­de­run­gen der §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 1, 2, 6 ArbGG in Ver­bin­dung mit §§ 519, 520 ZPO genügen­de und des­halb zulässi­ge Be­ru­fung konn­te in der Sa­che kei­nen Er­folg ha­ben. Das Ar­beits­ge­richt hat den Rechts­streit rich­tig ent­schie­den, in­dem es die Kla­ge ab­ge­wie­sen hat.

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1. Das Ar­beits­ge­richt ist auf der Grund­la­ge des sei­ner Ent­schei­dung zu­grun­de zu le­gen­den Sach­vor­trags der Par­tei­en in zu­tref­fen­der Dar­stel­lung und An­wen­dung der für die Ent­schei­dung des Rechts­streits maßgeb­li­chen Rechts­grundsätze zu dem Er­geb­nis ge­langt, dass die Kläge­rin we­der aus dem Ge­sichts­punkt des An­nah­me­ver­zugs der Be­klag­ten nach § 615 BGB noch auf­grund ei­ner zwi­schen den Par­tei­en ge­trof­fe­nen Frei­stel­lungs­ver­ein­ba­rung An­spruch auf Zah­lung von Ar­beits­ent­gelt für die Mo­na­te Fe­bru­ar 2018 bis Mai 2018 hat. Das Be­ru­fungs­ge­richt teilt die­se Auf­fas­sung und folgt den zu­grun­de­lie­gen­den Erwägun­gen des Ar­beits­ge­richts, die es sich un­ter Be­zug­nah­me auf die Ent­schei­dungs­gründe des erst­in­stanz­li­chen Ur­teils zu Ei­gen macht (§ 69 Abs. 2 ArbGG).

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2. Im Be­ru­fungs­ver­fah­ren sind we­der in tatsäch­li­cher noch in recht­li­cher Hin­sicht Ge­sichts­punk­te vor­ge­bracht wor­den, die zu ei­ner Abände­rung der ausführ­lich und sorgfältig be­gründe­ten Ent­schei­dung des Ar­beits­ge­richts Ver­an­las­sung ge­ben könn­ten. Im Ge­gen­teil: Auf­grund des zum Schluss der münd­li­chen Ver­hand­lung vor dem Be­ru­fungs­ge­richt ge­ge­be­nen Sach­vor­trags der Kläge­rin ist die Kla­ge be­reits un­schlüssig.

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Nach der Be­haup­tung der Kläge­rin war un­ter den Par­tei­en von An­fang an ver­ein­bart, dass die Be­klag­te zwar zur Zah­lung von Ent­gelt, die Kläge­rin aber nicht zur Er­brin­gung von Ar­beits­leis­tung ver­pflich­tet sein soll­te, wes­halb sie auch nie Ar­beits­leis­tung für die Be­klag­te er­bracht ha­be.

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a) Dies als zu­tref­fend un­ter­stellt, kann die Kläge­rin kein An­spruch auf Zah­lung von Ar­beits­vergütung aus §§ 611, 611a BGB ha­ben, weil die Par­tei­en kei­nen Ar­beits­ver­trag ab­ge­schlos­sen ha­ben.

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aa) Nach § 611a BGB wird der Ar­beit­neh­mer durch den Ar­beits­ver­trag im Diens­te ei­nes an­de­ren zur Leis­tung wei­sungs­ge­bun­de­ner, fremd­be­stimm­ter Ar­beit in persönli­cher

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Abhängig­keit ver­pflich­tet, während der Ar­beit­ge­ber zur Zah­lung der ver­ein­bar­ten Vergütung ver­pflich­tet ist. Da­mit ist der Ar­beits­ver­trag ein Dienst­ver­trag i.S.d. § 611 BGB. Da die Ent­gelt­lich­keit der Dienst­leis­tung "für den Dienst­ver­trag we­sent­lich" ist (Mot II 459), ist der Dienst­ver­trag ein ge­gen­sei­ti­ger Aus­tausch­ver­trag, auf die die §§ 320 ff. BGB An­wen­dung fin­den. Bei ei­nem sol­chen Ver­trag sind die bei­der­sei­ti­gen Leis­tungs­pflich­ten "der Ent­ste­hung nach durch­ein­an­der be­dingt", wo­bei für den Dienst­ver­trag noch die Be­son­der­heit hin­zu­kommt, dass der Tat­be­stand ei­nes rechts­geschäft­li­chen Leis­tungs­ver­spre­chens nur für die Ver­pflich­tung zur Dienst­leis­tung vor­lie­gen muss, während ei­ne ggf. feh­len­de Vergütungs­zu­sa­ge nach nähe­rer Maßga­be des § 612 Abs 1 kom­pen­siert wer­den kann (Stau­din­ger/Ri­char­di/Fi­schin­ger (2016) BGB § 611, Rn. 4, m.w.N.).

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bb) Ein­ge­denk die­ser We­sens­be­stim­mung des Ar­beits­ver­tra­ges kann kein Zwei­fel be­ste­hen, dass ei­ne Ver­ein­ba­rung, wo­nach die ei­ne Par­tei ei­ne Zah­lung zu leis­ten hat, für die die an­de­re Par­tei nach aus­drück­li­cher Ver­ein­ba­rung ge­ra­de kei­ne Leis­tung er­brin­gen muss, kein Aus­tausch­ver­trag und da­mit auch kein Dienst­ver­tag und kein Ar­beits­ver­trag ist. Sch­ließen die Ver­trags­par­tei­en den be­wusst und ge­wollt auf die Ver­ein­ba­rung ei­ner solch ein­sei­ti­gen Leis­tungs­ver­pflich­tung ge­rich­te­ten Ver­trag gleich­wohl un­ter der Be­zeich­nung "Ar­beits­ver­trag" ab, so ändert dies nichts am tatsächlich ge­ge­be­nen Wil­len der Par­tei­en. Da die­ser nicht auf den Ab­schluss ei­nes Ar­beits­ver­tra­ges ge­rich­tet war, han­delt es sich bei dem ent­ge­gen dem erklärten Wil­len gleich­wohl als Ar­beits­ver­trag be­zeich­ne­ten Ver­trag um ein Schein­geschäft, das gemäß § 117 Abs. 1 BGB nich­tig ist.

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cc) Dem lässt sich nicht ent­ge­gen hal­ten, dass ein Schein­geschäft des­halb nicht vor­lie­ge, weil die Par­tei­en die "Wir­kun­gen des ver­ein­bar­ten Ar­beits­ver­tra­ges", et­wa in Ge­stalt der Be­gründung ei­nes so­zi­al­ver­si­che­rungs­recht­li­chen Beschäfti­gungs­verhält­nis­ses, ge­wollt hätten (so aber Lan­des­ar­beits­ge­richt Köln, Ur­teil vom 22. No­vem­ber 2002 - 11 Sa 697/02 -, ju­ris; u.U. auch BAG, Be­schluss vom 25. Ja­nu­ar 2007 - 5 AZB 49/06 -, ju­ris). Es mag wohl sein - ge­nau­er ge­sagt, es liegt auf der Hand -, dass der Wil­le der Par­tei­en dar­auf ge­rich­tet ist, an an­de­rer Stel­le (ggü. So­zi­al­ver­si­che­rung und Fis­kus) et­was zu be­wir­ken. Dar­aus die Schluss­fol­ge­rung zu zie­hen, dass dann auch das Rechts­geschäft ge­wollt sein müsse, hieße aber dem vor­ge­spie­gel­ten Schein zu er­lie­gen und die Gültig­keit des Rechts­geschäfts da­mit zu be­gründen, dass die Wir­kun­gen des Scheins (nicht die des Rechts­geschäfts!) ge­wollt ge­we­sen sei­en. Die Rechts­wir­kung des Ar­beits­ver­tra­ges läge in der Be­gründung des Aus­tausch­verhält­nis­ses zwi­schen Ar­beits­leis­tung und Vergütung. Die­se Rechts­wir­kung war erklärter­maßen nicht ge­wollt! Ge­wollt war aus­sch­ließlich die Vor­spie­ge­lung ei­nes da­hin­ge­hen­den Rechts­scheins zu dem Zweck, Drit­te durch die ir­ri­ge An­nah­me, es läge tatsächlich ein Ar­beits­verhält­nis vor, da­zu zu ver­an­las­sen, auch die in ih­rem je­wei­li­gen Zu­sam­men­hang maßgeb­li­chen Kri­te­ri­en, et­wa für das Be­ste­hen ei­nes so­zi­al­ver­si­che­rungs­recht­li­chen Beschäfti­gungs­verhält­nis­ses und/oder für die steu­er­li­che An­er­ken­nung von Ent­gelt­zah­lun­gen als Be­triebs­aus­ga­be, zu be­ja­hen. Eben dies sank­tio­niert § 117 Abs. 1 BGB.

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dd) Die Ein­wen­dung des Schein­geschäfts schei­tert auch nicht dar­an, dass die Ver­trags­par­tei­en den zum Schein ab­ge­schlos­se­nen Ar­beits­ver­trag später bestätigt und ihm da­mit gemäß § 141 BGB zur Wirk­sam­keit ver­hol­fen hätten.

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(1) Ent­ge­gen der Ent­schei­dung des Lan­des­ar­beits­ge­richts Köln vom 22.11.2002 kann ei­ne sol­che Bestäti­gung nicht in der Zah­lung von Löhnen, der per­ma­nen­ten Er­stel­lung der Lohn­ab­rech­nun­gen oder der Abführung oder gar der Er­stel­lung ei­nes (dann wohl in­halt­lich auch noch un­zu­tref­fen­den) Zeug­nis­ses und erst recht nicht in dem Aus­spruch ei­ner Kündi­gung er­blickt wer­den (vgl. Lan­des­ar­beits­ge­richt Köln, Ur­teil vom 22. No­vem­ber 2002 - 11 Sa 697/02 -, Rn. 5, ju­ris). Das Lan­des­ar­beits­ge­richt Köln über­sieht bei sei­ner Ent­schei­dung zwei­er­lei:

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ei­nen kommt ei­ne Bestäti­gung i.S.d. § 141 Abs. 1 BGB nur in Be­tracht, wenn im Mo­ment der Bestäti­gung al­le Wirk­sam­keits­er­for­der­nis­se für das zu bestäti­gen­de Rechts­geschäft vor­lie­gen, mit an­de­ren Wor­ten der die Nich­tig­keit be­wir­ken­de Um­stand nicht mehr ge­ge­ben ist (Stau­din­ger/Roth (2015) BGB § 141, Rn. 17). Zum an­de­ren muss nach außen hin sicht­bar wer­den, dass der Bestäti­gen­de (oder die Bestäti­gen­den im Fal­le ei­nes Ver­tra­ges) ent­we­der die Nich­tig­keit des Ver­tra­ges kennt oder er zu­min­dest Zwei­fel an der Wirk­sam­keit des Geschäfts hat. Das Fest­hal­ten an ei­nem un­er­kannt nich­ti­gen Geschäft ist ge­ra­de kei­ne Bestäti­gung und führt da­her auch nicht zur Wirk­sam­keit des Rechts­geschäfts (Stau­din­ger/Roth (2015) BGB § 141, Rn. 20).

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Im ge­ge­be­nen Fall ist we­der die ei­ne noch die an­de­re Vor­aus­set­zung erfüllt. Im Ge­gen­teil: Nach dem Vor­brin­gen der Kläge­rin hat sie bis zum Schluss nicht ge­ar­bei­tet und auch nie ar­bei­ten sol­len. Da­mit steht für die Prüfung der Schlüssig­keit der Kla­ge fest, dass die Par­tei­en im Lauf der Jah­re nie ei­ne Ver­pflich­tung der Kläge­rin zur Er­brin­gung von zur Ar­beits­leis­tung be­gründet und da­mit auch nie den zur Nich­tig­keit der Ver­ein­ba­rung führen­den Man­gel be­sei­tigt ha­ben. Dass je­den­falls die Kläge­rin - bis zu­letzt - nicht von ei­ner mögli­chen Nich­tig­keit des Ver­tra­ges als Schein­geschäft aus­ging, lässt sich an ih­rem ge­sam­ten Pro­zess­vor­trag ab­le­sen und wird durch die Erklärung während der münd­li­chen Ver­hand­lung vor dem Be­ru­fungs­ge­richt noch ein­mal un­ter­stri­chen.

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(2) Aus dem­sel­ben Grun­de kann in den von der Kläge­rin be­haup­te­ten Frei­stel­lungs­ver­ein­ba­run­gen kei­ne Bestäti­gung i.S.d. § 141 BGB lie­gen.

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Im Lich­te der Be­haup­tung, dass nie ei­ne Ar­beits­ver­pflich­tung ge­wollt ge­we­sen sei, können die von der Kläge­rin be­haup­te­ten "Frei­stel­lungs­ver­ein­ba­run­gen" al­len­falls als klar­stel­len­de Bestäti­gung des­sen ver­stan­den wer­den, was oh­ne­hin schon galt, nämlich, dass die Kläge­rin auch wei­ter­hin nicht zur Er­brin­gung der Ar­beits­leis­tung ver­pflich­tet sein soll­te. Das ist al­len­falls ei­ne Bestäti­gung des aus den dar­ge­leg­ten Gründen nich­ti­gen Schein­geschäfts ex­akt in dem Punkt, der die Nich­tig­keit be­wirkt, nicht aber ei­ne sol­che, die zu ei­ner nun­mehr rechtgülti­gen Ver­ein­ba­rung führen könn­te.

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b) Ei­ne an­de­re An­spruchs­grund­la­ge, die der Kläge­rin im Hin­blick auf den mit der Kla­ge ver­folg­ten Streit­ge­gen­stand zum Er­folg ver­hel­fen könn­te, ist nicht er­sicht­lich.

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Zwar fin­den nach § 117 Abs. 2 BGB in dem Fall, dass durch ein Schein­geschäft ein an­de­res Rechts­geschäft ver­deckt wird, die für das ver­deck­te Rechts­geschäft gel­ten­den Vor­schrif­ten An­wen­dung. Gleich­wohl be­darf die Fra­ge, ob die Kläge­rin vor die­sem Hin­ter­grund ge­gen die Be­klag­te aus an­de­rem Rechts­grund - et­wa aus ei­nem Schen­kungs­ver­spre­chen - Ansprüche zu­ste­hen könn­te, kei­ner Klärung, da es sich um ei­nen an­de­ren Streit­ge­gen­stand han­delt, den die an der Ver­ein­ba­rung ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses fest­hal­ten­de Kläge­rin mit der Kla­ge ge­ra­de nicht ver­folgt.

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a) Nach dem für das ar­beits­ge­richt­li­che Ur­teils­ver­fah­ren gel­ten­den zwei­glied­ri­gen Streit­ge­gen­stands­be­griff be­stimmt sich der Ge­gen­stand des Ver­fah­rens durch den ge­stell­ten An­trag (Kla­ge­an­trag) und dem ihm zu­grun­de lie­gen­den Le­bens­sach­ver­halt (Kla­ge­grund). Der Streit­ge­gen­stand iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO er­fasst al­le Tat­sa­chen, die bei ei­ner natürli­chen, vom Stand­punkt der Par­tei­en aus­ge­hen­den, den Sach­ver­halt sei­nem We­sen nach er­fas­sen­den Be­trach­tungs­wei­se zu dem zur Ent­schei­dung ge­stell­ten Tat­sa­chen­kom­plex gehören, den der Kläger zur Stützung sei­nes Rechts­schutz­be­geh­rens dem Ge­richt un­ter­brei­tet hat. Ei­ne Mehr­heit von Streit­ge­genständen iSd. ZPO liegt auch dann vor, wenn die ma­te­ri­ell-recht­li­che Re­ge­lung die zu­sam­men­tref­fen­den Ansprüche durch ei­ne Ver­selbständi­gung der ein­zel­nen Le­bens­vorgänge er­kenn­bar un­ter­schied­lich aus­ge­stal­tet (BAG, Ur­teil vom 02. Au­gust 2018 - 6 AZR 437/17 -, ju­ris, Rn. 20, m.w.N.). Geht es um die An­wen­dung ver­schie­de­ner Nor­men auf ver­schie­de­ne Sach­ver­hal­te (z.B. Tätig­keit, die be­stimm­te ta­rif­li­che An­for­de­run­gen erfüllt, ei­ner­seits und

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Un­gleich­be­hand­lung von Ar­beit­neh­mern mit glei­cher Tätig­keit hin­sicht­lich ih­rer Ar­beits­zeit an­de­rer­seits), so lie­gen selbst dann ver­schie­de­ne Streit­ge­genstände vor, wenn bei­de für sich be­trach­tet zu dem­sel­ben (Zah­lungs-) An­spruch zu führen vermögen (BAG, Ur­teil vom 02. Au­gust 2018 - 6 AZR 437/17 -, ju­ris, Rn. 20 - 22). Wird auf der Grund­la­ge des glei­chen Le­bens­sach­ver­halts ein­mal die Fest­stel­lung ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses und zum an­de­ren die Fest­stel­lung ei­nes Ge­sell­schafts­verhält­nis­ses be­gehrt, so lie­gen dar­in un­ter­schied­li­che kon­kre­te Rechts­verhält­nis­se und da­mit auch Streit­ge­genstände (BAG, Ur­teil vom 30. Ju­ni 1988 - 2 AZR 797/87 -, Rn. 24, ju­ris).

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b) Streit­ge­gen­stand des hie­si­gen Ver­fah­rens ist da­nach das durch An­trag und Le­bens­sach­ver­halt be­stimm­te Be­geh­ren der Kläge­rin, die Be­klag­te aus Ar­beits­ver­trag i.V.m. ei­ner Frei­stel­lungs­ver­ein­ba­rung zur Zah­lung ei­nes Brut­to­be­tra­ges als Ar­beits­vergütung (Ar­beits­ent­gelt, Gehälter, Lohn) für die Zeit zwi­schen Aus­spruch der Kündi­gung und dem Aus­lau­fen der Kündi­gungs­frist zu ver­ur­tei­len.

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In An­wen­dung der vor­ste­hen­den Rechts­grundsätze er­weist sich die Fra­ge, ob die Kläge­rin von der Be­klag­ten et­wa auf­grund ei­nes Schen­kungs­ver­spre­chens mo­nat­lich die un­ent­gelt­li­che Zu­wen­dung ei­nes Geld­be­tra­ges ver­lan­gen kann, um ei­nen da­von zu un­ter­schei­den­den Streit­ge­gen­stand. Das zeigt sich schon am An­trag, der in die­sem Fall nicht auf die Zah­lung ei­nes Brut­to­be­tra­ges ge­rich­tet wäre, aber auch dar­an, dass je­weils un­ter­schied­li­che kon­kre­te Rechts­verhält­nis­se zu­grun­de lie­gen (ei­ner­seits Ar­beits­verhält­nis, an­de­rer­seits Schen­kungs­ver­spre­chen).

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II. 45
Die Kos­ten­ent­schei­dung folgt aus § 64 Abs. 6 ArbGG in Ver­bin­dung mit § 97 Abs. 1 ZPO. 46
III. 47

Die Re­vi­si­on an das Bun­des­ar­beits­ge­richt war gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG we­gen Di­ver­genz zur Ent­schei­dung des Lan­des­ar­beits­ge­richts Köln vom 22. No­vem­ber 2002 - 11 Sa 697/02 - zu­zu­las­sen.

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RECH­TSMIT­TEL­BE­LEH­RUNG 49

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Mailänder­ReichS­trauß

 

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