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ARBEITSRECHT AKTUELL // 16/080

Ur­laub bei Ein­tritt in der zwei­ten Jah­res­hälf­te

Be­ginnt das Ar­beits­ver­hält­nis am 01. Ju­li, ent­steht für die­ses Ka­len­der­jahr kein vol­ler Jah­res­ur­laubs­an­spruch: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 17.11.2015, 9 AZR 179/15
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08.03.2016. Ar­beit­neh­mer kön­nen pro Jahr min­des­tens vier Wo­chen Ur­laub be­an­spru­chen, und das schon zu Be­ginn des Ka­len­der­jah­res.

Wer al­ler­dings schon im Ja­nu­ar sei­ne vier Wo­chen Ur­laub neh­men möch­te, muss schon ein Weil­chen im dem­sel­ben Be­trieb be­schäf­tigt sein, ge­nau­er ge­sagt mehr als sechs Mo­na­te.

In ei­ner ak­tu­el­len Ent­schei­dung hat sich das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) mit der Fra­ge be­schäf­tigt, wann ge­nau die­se ge­setz­lich vor­ge­schrie­be­nen sechs Mo­na­te her­um sind, wenn das Ar­beits­ver­hält­nis am 01. Ju­li be­ginn, d.h. mit dem Ab­lauf des 31. De­zem­ber oder erst am 01. Ja­nu­ar des Fol­ge­jah­res: BAG, Ur­teil vom 17.11.2015, 9 AZR 179/15.

Ab wann kann man den vol­len Jah­res­ur­laub be­an­spru­chen, wenn man zum 01. Ju­li an­ge­fan­gen hat?

Für den Nor­mal­fall ei­nes schon länger be­ste­hen­den Ar­beits­verhält­nis­ses geht das Bun­des­ur­laubs­ge­setz (BUrlG) da­von aus, dass der Ar­beit­neh­mer frei ent­schei­den kann, ober er sei­nen ge­setz­li­chen Min­des­t­ur­laub von vier Wo­chen schon im Ja­nu­ar, im Som­mer oder erst im De­zem­ber neh­men möch­te. Da­her kann es pas­sie­ren, dass man bei ei­nem Ar­beit­ge­ber­wech­sel im lau­fen­den Ka­len­der­jahr be­reits sei­nen gan­zen Jah­res­ur­laub ge­nom­men hat, wes­halb der al­te Ar­beit­ge­ber ei­ne Ur­laubs­be­schei­ni­gung zur Vor­la­ge beim neu­en Ar­beit­ge­ber er­tei­len muss, da­mit der Ar­beit­neh­mer nicht dop­pelt Ur­laub macht (§ 6 BUrlG).

Al­ler­dings wäre es selt­sam, ei­ne neue Stel­le an­zu­tre­ten, um nach ei­ni­gen Ta­gen der Ein­ar­bei­tung dem Chef und den Kol­le­gen mit­zu­tei­len, dass man jetzt erst ein­mal vier Wo­chen Ur­laub neh­men wol­le. Da­her sieht § 4 BUrlG ei­ne sechs­mo­na­ti­ge War­te­zeit vor, die der Ar­beit­neh­mer hin­ter brin­gen muss, um den vol­len vierwöchi­gen Jah­res­ur­laub erst­mals in An­spruch neh­men zu können. § 4 BUrlG lau­tet:

"Der vol­le Ur­laubs­an­spruch wird erst­ma­lig nach sechs­mo­na­ti­gem Be­ste­hen des Ar­beits­verhält­nis­ses er­wor­ben."

Frag­lich ist, wie das Wört­chen "nach" zu ver­ste­hen ist, d.h. wann die sechs­mo­na­ti­ge War­te­zeit her­um ist: Be­reits mit Ab­lauf der sechs Mo­na­te oder am Tag da­nach? An­ders ge­fragt: Ist "nach" im Sin­ne von "mit Ab­lauf von sechs Mo­na­ten" oder im Sin­ne von "nach Ab­lauf von sechs Mo­na­ten" zu ver­ste­hen?

Die Ant­wort auf die­se Fra­ge kann sich auf die Ur­laubs­ab­gel­tung aus­wir­ken, wenn der Ar­beit­neh­mer nach ex­akt sechs Mo­na­te wie­der aus dem Ar­beits­verhält­nis aus­schei­det, al­so z.B. vom 01. April bis zum 30. Sep­tem­ber beschäftigt war und während die­ser Zeit kei­nen Teil­ur­laub in An­spruch ge­nom­men hat (was ja gemäß § 5 Abs.1 Buch­sta­be a) BUrlG hätte tun können).

In ei­nem sol­chen Fall fragt sich,

  • ob der Ar­beit­neh­mer ex­akt zum Zeit­punkt sei­nes Aus­tre­tens (d.h. gleich­zei­tig) die War­te­zeit erfüllt hat und da­her vier Wo­chen Ur­laubs­ab­gel­tung ver­lan­gen kann, oder
  • ob er "vor erfüll­ter War­te­zeit" im Sin­ne von § 5 Abs.1 Buch­sta­be b) BUrlG aus dem Ar­beits­verhält­nis aus­ge­schie­den ist, so dass er nur ei­nen zeit­an­tei­li­gen Ur­laubs­an­spruch er­wor­ben hat, d.h. ei­nen An­spruch von 6/12 des Jah­res­ur­laubs­an­spruchs (= zwei Wo­chen).

Die­se Fra­ge stellt sich auch, wenn ein Ar­beits­verhält­nis am 01. Ju­li be­gon­nen hat und mit Ab­lauf des 31. De­zem­ber oder kurz da­nach wie­der auf­gelöst wird. Denn bei ei­nem Aus­schei­den in der ers­ten Jah­reshälf­te gibt es für das ge­ra­de be­gon­ne­ne Jahr nur ei­nen zeit­an­tei­li­gen Ur­laub (§ 5 Abs.1 Buch­sta­be c) BUrlG), d.h. bei ei­nem Aus­schei­den per En­de Ja­nu­ar 1/12 des Jah­res­ur­laubs, bei ei­nem Aus­tritt per En­de Fe­bru­ar 2/12 usw.

Dann kommt es vor al­lem dar­auf an, wie der Rest­ur­laubs­an­spruch aus der zwei­ten Vor­jah­reshälf­te zu be­wer­ten ist, d.h. ob der Ar­beit­neh­mer in der Zeit vom 01. Ju­li bis zum 31. De­zem­ber des Vor­jah­res den vol­len oder aber nur ei­nen zeit­an­tei­li­gen bzw. hälf­ti­gen Ur­laubs­an­spruch (gemäß § 5 Abs.1 Buch­sta­be a) BUrlG) er­wor­ben hat.

Der Fall des BAG: Wach­mann ist vom 01. Ju­li bis zum 02. Ja­nu­ar des Fol­ge­jah­res beschäftigt und ver­langt Ur­laubs­ab­gel­tung

Im Streit­fall ging es um ei­nen Wach­mann, der vom 01.07.2013 bis zum 02.01.2014 als Dienst­hun­deführer beschäftigt war. Im Ar­beits­ver­trag wur­de auf den Man­tel­ta­rif­ver­trag für das Wach- und Si­cher­heits­ge­wer­be in Nord­rhein-West­fa­len vom 08.12.2005 (MTV) Be­zug ge­nom­men. Der MTV wie­der­um sah ei­nen Jah­res­ur­laub von 26 "Werk­ta­gen" vor und ent­hielt fol­gen­de wei­te­re Re­ge­lung zum Ur­laub:

"Neu ein­tre­ten­de und/oder aus­schei­den­de Ar­beit­neh­mer er­hal­ten so viel Zwölf­tel des ih­nen zu­ste­hen­den Jah­res­ur­laubs, wie sie vol­le Mo­na­te im lau­fen­den Ka­len­der­jahr beschäftigt wa­ren. Die Zwölf­te­lung er­folgt nur in den Gren­zen des § 5 BUrlG."

Da der Wach­mann während sei­ner Tätig­keit kei­nen Teil­ur­laub ge­nom­men hat­te, zahl­te der Ar­beit­ge­ber ihm ei­ne Ur­laubs­ab­gel­tung in Höhe des hälf­ti­gen Jah­res­ur­laubs­an­spruchs aus, d.h. er zahl­te 1.170,39 EUR brut­to für 13 ab­zu­gel­ten­de Ur­laubs­ta­ge. Der Wach­mann klag­te wei­te­re 1.170,39 EUR Ur­laubs­ab­gel­tung ein, da er mein­te, er hätte in den sechs Mo­na­ten vom 01.07.2013 bis zum 31.12.2013 be­reits die War­te­zeit des § 4 BUrlG zurück­ge­legt und da­her für 2013 den vol­len Jah­res­ur­laubs­an­spruch er­wor­ben. Sei­ner Mei­nung nach war § 5 Abs.1 Buch­sta­be a) BUrlG da­her nicht an­wend­bar.

Das Ar­beits­ge­richt Rhei­ne gab sei­ner Kla­ge statt (Ur­teil vom 16.07.2014, 3 Ca 453/14), das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Hamm wies sie auf die Be­ru­fung des Ar­beit­ge­bers hin ab. Nach An­sicht des LAG hat­te der Wach­mann die War­te­zeit in 2013 nicht erfüllt (Ur­teil vom 19.02.2015, 16 Sa 1207/14). 

BAG: Be­ginnt das Ar­beits­verhält­nis am 01. Ju­li, ent­steht für die­ses Ka­len­der­jahr kein vol­ler Jah­res­ur­laubs­an­spruch

Das BAG folg­te der Auf­fas­sung des LAG Hamm und wies die Re­vi­si­on des Wach­manns zurück. Er hat­te die War­te­zeit des § 4 BUrlG durch sei­ne ex­akt sechs­mo­na­ti­ge Beschäfti­gung in der zwei­ten Jah­reshälf­te 2013 nicht erfüllt, so dass hier § 5 Abs.1 Buch­sta­be a) BUrlG an­zu­wen­den war. So­mit hat­te er für 2013 nur ei­nen zeit­an­tei­li­gen Ur­laubs­an­spruch von 6/12 sei­nes Jah­res­ur­laubs­an­spruchs er­wor­ben, und die­ser An­spruch war vom Ar­beit­ge­ber kor­rekt be­rech­net und ab­ge­gol­ten wor­den.

Zur Be­gründung zieht das BAG ei­ne Par­al­le­le zu dem Fall, dass das Ar­beits­verhält­nis im Ver­lauf der ers­ten Jah­reshälf­te en­det, d.h. zum Fall des § 5 Abs.1 Buch­sta­be c) BUrlG. Hier ist an­er­kannt, dass ein Aus­schei­den mit Ab­lauf des 30. Ju­ni noch als Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses "in der ers­ten Hälf­te ei­nes Ka­len­der­jahrs" gilt, so dass für ei­ne Beschäfti­gung vom 01. Ja­nu­ar bis zum 30. Ju­ni ein zeit­an­tei­li­ger Ur­laubs­an­spruch bzw. Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruch be­steht. Die­se Kon­stel­la­ti­on ist recht­lich nicht an­ders zu be­han­deln als ei­ne Beschäfti­gung vom 01. Ju­li bis zum 31. De­zem­ber, so das BAG.

Dass es dem kla­gen­den Wach­mann nicht half, dass sein Ar­beits­verhält­nis erst mit dem 02.01.2014 en­de­te, liegt an § 5 Abs.1 Buch­sta­be c) BUrlG. Für die zwei Ta­ge im Ja­nu­ar 2014 gibt es nämlich gemäß § 5 Abs.1 Buch­sta­be c) BUrlG nur ei­ne zeit­an­tei­li­ge Ur­laubs­ab­gel­tung, die al­ler­dings für die zwei Ka­len­der­ta­ge (01. und 02. Ja­nu­ar) nicht ein­mal ei­nen hal­ben Ur­laubs­tag aus­macht und da­her un­berück­sich­tigt bleibt. Und der Ur­laubs- und Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruch für das zurück­lie­gen­de Jahr 2013 war da­von ge­trennt zu be­rech­nen und be­lief sich gemäß § 5 Abs.1 Buch­sta­be a) BUrlG eben nur auf die Hälf­te des Jah­res­ur­laubs.

Fa­zit: Das Ur­teil des BAG ent­spricht der herr­schen­den Mei­nung in der ar­beits­recht­li­chen Kom­men­tar­li­te­ra­tur und ist von der Sa­che her rich­tig. Ar­beit­neh­mer, de­ren Ar­beits­verhält­nis am 01. Ju­li be­ginnt, können in die­sem Ka­len­der­jahr die sechs­mo­na­ti­ge War­te­zeit nicht zurück­le­gen und er­wer­ben da­her nur ei­nen zeit­an­tei­li­gen Ur­laubs­an­spruch. Das gilt auch für den Nor­mal­fall der Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses im Fol­ge­jahr: Hier kann der Ar­beit­neh­mer die Über­tra­gung von 6/12 des Vor­jah­res­an­spruchs ver­lan­gen, d.h. er hat ei­nen hälf­ti­gen Ur­laubsüber­trag (§ 7 Abs.3 Satz 4 BUrlG).

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Letzte Überarbeitung: 7. Juni 2020

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