HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

ARBEITSRECHT AKTUELL // 15/090

Be­fris­tungs­ket­te als Rechts­miss­brauch

Be­fris­tungs­pro­fi Stra­ßen­meis­te­rei: Ei­ne Ver­trags­dau­er von sechs Jah­ren und acht Mo­na­ten bei zehn Ver­trä­gen legt Miss­brauch na­he: Lan­des­ar­beits­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg, Ur­teil vom 04.02.2015, 15 Sa 1947/14
Baustellenschild Braucht das Land Bran­den­burg Stra­ßen­wär­ter nur im Win­ter?

08.04.2015. Im Ju­li 2012 hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) ent­schie­den, dass "sehr lan­ge" Be­fris­tungs­ket­ten rechts­miss­bräuch­lich sein kön­nen, was zur Un­wirk­sam­keit der zu­letzt ver­ein­bar­ten Be­fris­tung führt (BAG, Ur­teil vom 18.07.2012, 7 AZR 443/09 - Kü­cük - wir be­rich­te­ten in: Ar­beits­recht ak­tu­ell: 12/263 Ket­ten­be­fris­tung kann Miss­brauch sein).

Da­bei ließ das BAG of­fen, ab wel­cher Ge­samt­be­schäf­ti­gungs­zeit und ab der wie­viel­ten Ver­trags­ver­län­ge­rung ein Rechts­miss­brauch zu ver­mu­ten und da­her vom Ar­beit­ge­ber zu wi­der­le­gen ist.

In ei­nem ak­tu­el­len Fall hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Ber­lin-Bran­den­burg die Miss­brauchs­schwel­le ziem­lich weit ab­ge­senkt: Sei­ner An­sicht nach kann ei­ne miss­bräuch­li­che Ver­trags­be­fris­tung be­reits dann vor­lie­gen, wenn die Ge­samt­dau­er der hin­ter­ein­an­der ge­schal­te­ten Zeit­ver­trä­ge sechs Jah­re und acht Mo­na­te be­trägt: LAG Ber­lin-Bran­den­burg, Ur­teil vom 04.02.2015, 15 Sa 1947/14.

End­los hin­ter­ein­an­der ge­schal­te­te be­fris­te­te Ar­beits­verträge - wo be­ginnt der Rechts­miss­brauch?

Zeit­lich be­fris­te­te Ar­beits­verträge können nicht schran­ken­los zulässig sein, weil pfif­fi­ge Ar­beit­ge­ber an­sons­ten den Kündi­gungs­schutz be­lie­big aus­he­beln könn­ten.

Da­her schreibt die „Rah­men­ver­ein­ba­rung über be­fris­te­te Ar­beits­verträge“ den EU-Staa­ten vor, ge­gen den Miss­brauch auf­ein­an­der fol­gen­der Zeit­verträge vor­zu­ge­hen. Die „Rah­men­ver­ein­ba­rung“ wur­de 1999 von Ar­beit­ge­ber- und Ar­beit­neh­mer­ver­tre­tern auf EU-Ebe­ne aus­ge­han­delt und ist der we­sent­li­che In­halt der Richt­li­nie 1999/70/EG des Ra­tes vom 28.06.1999.

Kon­kret ver­pflich­tet die Rah­men­ver­ein­ba­rung die EU-Staa­ten da­zu,

  • Zeit­verträge von ei­nem Sach­grund abhängig zu ma­chen (§ 5 Nr. 1a der Rah­men­ver­ein­ba­rung), und/oder
  • für auf­ein­an­der fol­gen­de Zeit­verträge ei­ne Höchst­dau­er vor­zu­se­hen (§ 5 Nr. 1 b) der Rah­men­ver­ein­ba­rung), und/oder
  • ei­ne Höchst­zahl von Be­fris­tun­gen fest­zu­schrei­ben (§ 5 Nr. 1c) Rah­men­ver­ein­ba­rung).

In Deutsch­land wur­den die­se Vor­ga­ben durch das Teil­zeit- und Be­fris­tungs­ge­setz (Tz­B­fG) um­ge­setzt. Das Tz­B­fG sieht

  • so­wohl ei­ne Höchst­gren­ze vor, nämlich von zwei Jah­ren für sach­grund­los be­fris­te­te Verträge (§ 14 Abs.2 Tz­B­fG),
  • als auch die Not­wen­dig­keit ei­nes Sach­grun­des für die Be­fris­tung, nämlich für Ar­beits­verhält­nis­se über ei­ner Ge­samt­dau­er von zwei Jah­ren (§ 14 Abs.1 Tz­B­fG).

Aus die­ser ge­setz­li­chen Al­ter­na­ti­ve (sach­grund­lo­se Be­fris­tung bis zur Höchst­dau­er von zwei Jah­re, Er­for­der­lich­keit ei­nes Sach­grun­des bei Ar­beits­verhält­nis­sen von ins­ge­samt mehr als zwei Jah­ren) er­gibt sich, dass Sach­grund­be­fris­tun­gen im Prin­zip be­lie­big oft hin­ter­ein­an­der ge­schal­tet wer­den können. Denn wenn der Ar­beit­ge­ber für die je­weils letz­te be­fris­te­te Verlänge­rung ei­ner sol­chen Ket­ten­be­fris­tung ei­nen sach­li­chen Grund hat, ist die­se (letz­te) Be­fris­tung wirk­sam und ei­ne Ent­fris­tungs­kla­ge hätte kei­nen Er­folg.

An die­ser Stel­le kommt die Miss­brauchs­kon­trol­le ins Spiel: Auch wenn die zu­letzt ver­ein­bar­te Be­fris­tung bei iso­lier­ter Be­trach­tung durch ei­nen Sach­grund (z.B. durch die Ver­tre­tung ei­nes vorüber­ge­hend feh­len­den an­de­ren Ar­beit­neh­mers) ge­recht­fer­tigt und da­her "ei­gent­lich" wirk­sam wäre, kann sie

  • auf­grund ei­ner großen Ge­samtlänge des ge­sam­ten Ar­beits­verhält­nis­ses und
  • auf­grund der großen An­zahl der hin­ter­ein­an­der ge­schal­te­ten Verlänge­run­gen und
  • auf­grund der Umstände des Ein­zel­falls (un­un­ter­bro­che­ne Beschäfti­gung? Be­trau­ung mit den­sel­ben Auf­ga­ben? Möglich­keit der un­be­fris­te­ten Über­nah­me?)

letzt­lich "rechts­miss­bräuch­lich" sein. Un­ter sol­chen Umständen stellt es nach der neue­ren BAG-Recht­spre­chung ei­nen "in­sti­tu­tio­nel­len Rechts­miss­brauch" dar, wenn der Ar­beit­ge­ber ge­genüber ei­nem langjährig beschäftig­ten Ar­beit­neh­mer trotz der Möglich­keit ei­ner dau­er­haf­ten Ein­stel­lung im­mer wie­der auf be­fris­te­te Verträge zurück­greift.

In der o.g. Grund­satz­ent­schei­dung des BAG aus dem Jah­re 2012 ging es um ei­ne Kölner Jus­tiz­an­ge­stell­te, Bi­an­ca Kücük, die über elf Jah­re hin­weg auf­grund von ins­ge­samt 13 Zeit­verträgen be­fris­tet beschäftigt wur­de (Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 18.07.2012, 7 AZR 443/09 - Kücük). Hier lag der Ver­dacht ei­nes Rechts­miss­brauchs na­he, den die Jus­tiz als Ar­beit­ge­ber im Pro­zess hätte ent­kräften müssen.

Aber kann man be­reits bei ei­ner Ge­samt­dau­er des Ar­beits­verhält­nis­ses von et­wa sechs­ein­halb Jah­ren und bei zehn Zeit­verträgen von ei­nem miss­bräuch­li­chen Ein­satz des Be­fris­tungs­rechts durch den Ar­beit­ge­ber spre­chen?

Im Streit: An­ge­stell­ter der bran­den­bur­gi­schen Straßen­meis­te­rei wird sechs Jah­re und acht Mo­na­te lang im­mer er­neut be­fris­tet beschäftigt

Ge­klagt hat­te ein Ar­beit­neh­mer des Lan­des Bran­den­burg, der als ge­lern­ter Straßenwärter bei der Straßen­meis­te­rei beschäftigt wur­de. Der ers­te be­fris­te­te Ver­trag dau­er­te vom 15.08.2007 bis zum 14.02.2008, der letz­te und zehn­te in der Be­fris­tungs­ket­te hat­te ei­ne Lauf­zeit vom 01.10.2013 bis zum 14.04.2014.

Im letz­ten Ar­beits­ver­trag war als Tätig­keits­be­schrei­bung „zur Un­terstützung bei der Durchführung des Win­ter­diens­tes“ an­ge­ge­ben wor­den. Für die Win­ter­sai­son 2013/14 wa­ren ne­ben dem Kläger fünf wei­te­re Ar­beit­neh­mer be­fris­tet ein­ge­stellt wor­den. Be­reits am 26.02.2014 schrieb das be­klag­te Land für das Straßen­we­sen neun Stel­len und am 18.03.2014 wei­te­re zwei Stel­len be­fris­tet aus.

Der Straßenwärter er­hob frist­ge­recht in­ner­halb von drei Wo­chen nach Ab­lauf des zu­letzt ver­ein­bar­ten be­fris­te­ten Ver­trags Be­fris­tungs­kon­troll­kla­ge. Das be­klag­te Land be­rief sich dar­auf, dass als Sach­grund für die letz­te Be­fris­tung ein vorüber­ge­hen­der sai­so­na­ler Mehr­be­darf (§ 14 Abs.1 Satz 2 Nr.1 Tz­B­fG) in der Straßen­meis­te­rei N. von sechs Ar­beit­neh­mern be­stan­den ha­be.

Das Ar­beits­ge­richt Frank­furt (Oder) gab der Kla­ge statt, d.h. es stell­te fest, dass das Ar­beits­verhält­nis des Klägers nicht auf­grund Be­fris­tung am 14.04.2014 ge­en­det hat­te (Ur­teil vom 04.09.2014, 6 Ca 629/14). Da­ge­gen leg­te das Land Bran­den­burg Be­ru­fung zum LAG Ber­lin-Bran­den­burg ein.

LAG Ber­lin-Bran­den­burg: Ei­ne Ver­trags­dau­er von sechs Jah­ren und acht Mo­na­ten bei zehn Verträgen legt Miss­brauch na­he

Auch vor dem LAG zog das Land Bran­den­burg den Kürze­ren.

Zur Be­gründung be­ruft sich das LAG zum ei­nen auf das o.g. Grund­satz­ur­teil des BAG vom 18.07.2012 (7 AZR 443/09 - Kücük), zum an­de­ren auf ein BAG-Ur­teil vom 13.02.2013 (7 AZR 225/11), in dem das BAG be­reits ei­ne Ge­samt­beschäfti­gungs­dau­er von sechs­ein­halb Jah­ren bei 13 Be­fris­tun­gen als aus­rei­chend an­ge­se­hen hat, um ei­ne Miss­brauchsprüfung durch­zuführen.

Vor die­sem Hin­ter­grund wa­ren die hier im Streit­fall ge­ge­be­ne Beschäfti­gungs­dau­er (sechs Jah­re und acht Mo­na­te) und die An­zahl der Verträge (zehn) nach An­sicht des LAG aus­rei­chend, um ei­ne Miss­brauchs­kon­trol­le vor­zu­neh­men. Und die­se Kon­trol­le fiel im Er­geb­nis zu­las­ten des be­klag­ten Lan­des aus. Denn, so das LAG:

Zu Las­ten des Ar­beit­ge­bers war hier zu wer­ten, dass der Ar­beit­neh­mer un­un­ter­bro­chen beschäftigt wur­de. Auf die Be­son­der­hei­ten ei­nes Sai­son­be­triebs konn­te sich das Land hier nicht be­ru­fen. Denn trotz des erhöhten Beschäfti­gungs­be­darfs in den Win­ter­mo­na­ten brauch­te das Land auch in den Som­mer­mo­na­ten zusätz­li­che, über das Stamm­per­so­nal hin­aus­ge­hen­de Ar­beits­kräfte. Das wur­de durch den Ver­lauf des Ar­beits­verhält­nis­ses des Klägers be­legt, der durchgängig, d.h. im Win­ter wie im Som­mer, zur Ver­tre­tung aus­ge­fal­le­ner Ar­beit­neh­mer ein­ge­setzt wur­de. Für ei­nen dau­er­haft erhöhten Beschäfti­gungs­be­darf spra­chen auch die Stel­len­aus­schrei­bun­gen vom Fe­bru­ar und März 2014.

Sch­ließlich war der Kläger durchgängig als Straßenwärter beschäftigt wor­den, und zwar stets bei Straßen­meis­te­rei­en im Nord­os­ten Ber­lins, ob­wohl das Land ihn gemäß Ta­rif je­der­zeit an ei­nen an­de­ren Ort hätte ver­set­zen können.

Da­her kam das LAG zu dem Er­geb­nis, dass die im­mer wie­der be­fris­te­te Beschäfti­gung des Klägers we­gen sei­ner lang­fris­ti­gen un­un­ter­bro­che­nen Tätig­keit un­ter Zu­hil­fe­nah­me von zehn be­fris­te­ten Ar­beits­verträgen als rechts­miss­bräuch­lich ge­genüber dem Kläger an­zu­se­hen war.

Fa­zit: Nach der ak­tu­el­len Recht­spre­chung der Ar­beits­ge­rich­te lohnt es sich be­reits ab ei­ner Beschäfti­gungs­dau­er von sechs Jah­ren und bei zehn Be­fris­tun­gen, die Wirk­sam­keit der zu­letzt ver­ein­bar­ten Sach­grund­be­fris­tung ge­richt­lich über­prüfen zu las­sen. Denn die hier im Streit­fall ge­ge­be­nen "Be­son­der­hei­ten" (dau­er­haft erhöhter Per­so­nal­be­darf bzw. dau­er­haf­ter Ver­tre­tungs­be­darf, ständi­ger Ein­satz auf dem­sel­ben Ar­beits­platz, naht­lo­se Beschäfti­gung) wer­den häufig vor­kom­men.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 9. Oktober 2020

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de

Bewertung:

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 

Für Personaler, betriebliche Arbeitnehmervertretungen und andere Arbeitsrechtsprofis: "Update Arbeitsrecht" bringt Sie regelmäßig auf den neusten Stand der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung. Informationen zu den Abo-Bedingungen und ein kostenloses Ansichtsexemplar finden Sie hier:

Alle vierzehn Tage alles Wichtige
verständlich / aktuell / praxisnah

HINWEIS: Sämtliche Texte dieser Internetpräsenz mit Ausnahme der Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen sind urheberrechtlich geschützt. Urheber im Sinne des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Martin Hensche, Lützowstraße 32, 10785 Berlin.

Wörtliche oder sinngemäße Zitate sind nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Urhebers bzw. bei ausdrücklichem Hinweis auf die fremde Urheberschaft (Quellenangabe iSv. § 63 UrhG) rechtlich zulässig. Verstöße hiergegen werden gerichtlich verfolgt.

© 1997 - 2024:
Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Berlin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Lützowstraße 32, 10785 Berlin
Telefon: 030 - 26 39 62 0
Telefax: 030 - 26 39 62 499
E-mail: hensche@hensche.de