Um das Angebot dieser Webseite optimal zu präsentieren und zu verbessern, verwendet diese Webseite Cookies. Durch die weitere Nutzung der Webseite stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Näheres dazu erfahren Sie in unserer Datenschutzerklärung.
Okay

HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

BAG, Ur­teil vom 19.08.2010, 8 AZR 466/09

   
Schlagworte: Gleichbehandlung
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 8 AZR 466/09
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 19.08.2010
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Hamburg, Urteil vom 4.12.2007, 20 Ca 105/07
Landesarbeitsgericht Hamburg, Urteil vom 29.10.2008, 3 Sa 15/08
   


BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT


8 AZR 466/09
3 Sa 15/08
Lan­des­ar­beits­ge­richt
Ham­burg

 

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am

19. Au­gust 2010

UR­TEIL

Förs­ter, Ur­kunds­be­am­tin

der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Kläge­rin, Be­ru­fungs­be­klag­te und Re­vi­si­onskläge­rin,

pp.

Be­klag­ter, Be­ru­fungskläger und Re­vi­si­ons­be­klag­ter,

hat der Ach­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 19. Au­gust 2010 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Hauck, die Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Böck und Brein­lin­ger so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Brück­mann und Schulz für Recht er­kannt:
 


- 2 -

Die Re­vi­si­on der Kläge­rin ge­gen das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Ham­burg vom 29. Ok­to­ber 2008 - 3 Sa 15/08 - wird zurück­ge­wie­sen.


Die Kläge­rin hat die Kos­ten der Re­vi­si­on zu tra­gen.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten um ei­nen Entschädi­gungs­an­spruch der Kläge­rin, die sich bei dem Be­klag­ten um ei­ne be­fris­te­te Stel­le für ei­ne So­zi­alpädago­gin be­wor­ben hat­te.


Der Be­klag­te ist der für Ham­burg zuständi­ge Lan­des­ver­band des Dia­ko­ni­schen Wer­kes der Evan­ge­li­schen Kir­che in Deutsch­land (EKD) und Teil der Nord­el­bi­schen Evan­ge­lisch-Lu­the­ri­schen Kir­che (NEK). In den auch für den Be­klag­ten gel­ten­den Richt­li­ni­en des Ra­tes der EKD nach Art. 9 Buchst. b Grund­ord­nung über die An­for­de­run­gen der pri­vat­recht­li­chen be­ruf­li­chen Mit­ar­beit in der EKD und des Dia­ko­ni­schen Wer­kes der EKD heißt es ua.:


„§ 2
Grund­la­ge des kirch­li­chen Diens­tes


(1) Der Dienst der Kir­che ist durch den Auf­trag be­stimmt, das Evan­ge­li­um in Wort und Tat zu be­zeu­gen. Al­le Frau­en und Männer, die in An­stel­lungs­verhält­nis­sen in Kir­che und Dia­ko­nie tätig sind, tra­gen in un­ter­schied­li­cher Wei­se da­zu bei, dass die­ser Auf­trag erfüllt wer­den kann. Die­ser Auf­trag ist die Grund­la­ge der Rech­te und Pflich­ten von An­stel­lungs­trägern so­wie Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­tern.

...


§ 3
Be­ruf­li­che An­for­de­rung bei der Be­gründung des Ar­beits­verhält­nis­ses

(1) Die be­ruf­li­che Mit­ar­beit in der evan­ge­li­schen Kir­che und ih­rer Dia­ko­nie setzt grundsätz­lich die Zu­gehörig­keit zu ei­ner Glied­kir­che der Evan­ge­li­schen Kir­che in Deutsch-


- 3 - 


land oder ei­ner Kir­che vor­aus, mit der die Evan­ge­li­sche Kir­che in Deutsch­land in Kir­chen­ge­mein­schaft ver­bun­den ist.

(2) Für Auf­ga­ben, die nicht der Verkündi­gung, Seel­sor­ge, Un­ter­wei­sung oder Lei­tung zu­zu­ord­nen sind, kann von Ab­satz 1 ab­ge­wi­chen wer­den, wenn an­de­re ge­eig­ne­te Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter nicht zu ge­win­nen sind. In die­sem Fall können auch Per­so­nen ein­ge­stellt wer­den, die ei­ner an­de­ren Mit­glieds­kir­che der Ar­beits­ge­mein­schaft christ­li­cher Kir­chen in Deutsch­land oder der Ver­ei­ni­gung Evan­ge­li­scher Frei­kir­chen an­gehören sol­len. Die Ein­stel­lung von Per­so­nen, die die Vor­aus­set­zun­gen des Ab­sat­zes 1 nicht erfüllen, muss im Ein­zel­fall un­ter Be­ach­tung der Größe der Dienst­stel­le oder Ein­rich­tung und ih­rer sons­ti­gen Mit­ar­bei­ter­schaft so­wie der wahr­zu­neh­men­den Auf­ga­ben und des je­wei­li­gen Um­fel­des ge­prüft wer­den. § 2 Ab­satz 1 Satz 2 bleibt un­berührt.“


Mit Stel­len­an­zei­ge vom 30. No­vem­ber 2006 such­te der Be­klag­te für die Zeit vom 1. Fe­bru­ar bis 31. De­zem­ber 2007 für den Vor­stands­be­reich So­zia­les und Öku­me­ne / Fach­be­reich Mi­gra­ti­on und Exis­tenz­si­che­rung ei­ne/-n So­zi­alpädago­gin/-en (hal­be Stel­le) für das Teil­pro­jekt „In­te­gra­ti­ons­lot­se Ham­burg“ der Equal-Ent­wick­lungs­part­ner­schaft NO­BI - Nord­deut­sches Netz­werk zur be­ruf­li­chen In­te­gra­ti­on von Mi­gran­tin­nen und Mi­gran­ten. Die Stel­len­aus­schrei­bung lau­te­te aus­zugs­wei­se:


„Die­ses Pro­jekt ist ein Schu­lungs- und In­for­ma­ti­ons­an­ge­bot für Mul­ti­pli­ka­to­rin­nen und Mul­ti­pli­ka­to­ren im Be­reich der be­ruf­li­chen In­te­gra­ti­on von er­wach­se­nen Mi­gran­tin­nen und Mi­gran­ten.


Zu den Auf­ga­ben die­ser Po­si­ti­on gehören der in­halt­li­che Aus­bau der Ru­brik ‚Fach­in­for­ma­tio­nen’ auf www.i.de, die Er­stel­lung von In­for­ma­ti­ons­ma­te­ri­al, die Vor­be­rei­tung und Durchführung von Ver­an­stal­tun­gen so­wie die Ar­beit in den Struk­tu­ren und Gre­mi­en des Fach­be­reichs Mi­gra­ti­on und Exis­tenz­si­che­rung.

Sie verfügen über ein ab­ge­schlos­se­nes Stu­di­um der So­zi­al­wis­sen­schaft/So­zi­alpädago­gik (o. Ä.), Er­fah­run­gen in der Pro­jekt­ar­beit so­wie Er­fah­run­gen und Kom­pe­ten­zen in den The­men­be­rei­chen Mi­gra­ti­on, Ar­beits­markt und In­ter­kul­tu­ra­lität. Sie be­sit­zen zu­dem si­che­re EDV-An­wen­der- und In­ter­net­kennt­nis­se. Für Sie sind so­wohl das ei­genständi­ge Ar­bei­ten als auch das kon­struk­ti­ve
 


- 4 -

Ar­bei­ten im Team selbst­verständ­lich.


Als dia­ko­ni­sche Ein­rich­tung set­zen wir die Zu­gehörig­keit zu ei­ner christ­li­chen Kir­che vor­aus.

Ne­ben ei­ner Vergütung nach IV a KAT-NEK bie­ten wir glei­ten­de Ar­beits­zei­ten, sehr gu­te Fort­bil­dungsmöglich­kei­ten und ei­ne zusätz­li­che Al­ters­ver­sor­gung.“

Die Kläge­rin ist Deut­sche türki­scher Her­kunft, ge­bo­re­ne Mus­li­min und gehört kei­ner christ­li­chen Kir­che an. Sie ist aus­ge­bil­de­te Rei­se­ver­kehrs­kauf­frau, hat aber nicht stu­diert. In den The­men­be­rei­chen Mi­gra­ti­on und In­te­gra­ti­on hat sie Er­fah­run­gen in Prak­ti­ka, Pro­jek­ten so­wie als „Wis­sen­schaft­li­che Mit­ar­bei­te­rin“ ei­ner Ab­ge­ord­ne­ten der Ham­bur­ger Bürger­schaft ge­sam­melt. Die Kläge­rin be­warb sich mit Schrei­ben vom 24. De­zem­ber 2006 um die vom Be­klag­ten aus­ge­schrie­be­ne Stel­le.


Am 2. Ja­nu­ar 2007 wur­de die Kläge­rin von der Mit­ar­bei­te­rin K des Be­klag­ten an­ge­ru­fen. Die­se wies dar­auf hin, die Kläge­rin ha­be bei ih­rer „sehr in­ter­es­san­ten“ Be­wer­bung die Fra­ge der Re­li­gi­ons­zu­gehörig­keit un­be­ant­wor­tet ge­las­sen. Auf die Ant­wort der Kläge­rin, sie prak­ti­zie­re kei­ne Re­li­gi­on, sei je­doch als Türkin ge­bo­re­ne Mus­li­min, frag­te Frau K wei­ter, ob sich die Kläge­rin ei­nen Ein­tritt in die Kir­che vor­stel­len könne, da dies un­be­ding­te Vor­aus­set­zung bei der Stel­le sei. Die Kläge­rin er­wi­der­te, da die Stel­le kei­nen re­li­giösen Be­zug auf­wei­se, könne dies kaum nötig sein.


Auf­grund ei­ner Aus­wah­l­ent­schei­dung sei­nes Beschäftig­ten Dr. H stell­te der Be­klag­te zum 1. Fe­bru­ar 2007 die in In­di­en ge­bo­re­ne Be­wer­be­rin F für die Stel­le ein, die ein Hoch­schul­stu­di­um mit Di­plom­prüfung im Fach So­zi­al­wis­sen­schaf­ten er­folg­reich ab­ge­schlos­sen hat­te. Un­ter dem 6. Fe­bru­ar 2007 teil­te er der Kläge­rin die Ab­leh­nung ih­rer Be­wer­bung schrift­lich mit.


Mit An­walts­schrei­ben vom 21. Fe­bru­ar 2007 ließ die Kläge­rin Scha­dens­er­satz- und Entschädi­gungs­ansprüche we­gen Be­nach­tei­li­gung auf­grund Re­li­gi­on und eth­ni­scher Her­kunft gel­tend ma­chen. Die­se Ansprüche wies der Be­klag­te mit Schrei­ben vom 1. März 2007 zurück. Den Entschädi­gungs­an­spruch ver­folgt die Kläge­rin mit ih­rer am 18. Mai 2007 beim
 


- 5 -

Ar­beits­ge­richt Ham­burg ein­ge­gan­ge­nen und dem Be­klag­ten am 30. Mai 2007 zu­ge­stell­ten Kla­ge wei­ter.


Da­zu ver­tritt sie die An­sicht, we­gen ih­rer Nicht­zu­gehörig­keit zu ei­ner christ­li­chen Kir­che un­mit­tel­bar und we­gen ih­rer eth­ni­schen Her­kunft mit­tel­bar vom Be­klag­ten be­nach­tei­ligt wor­den zu sein, wes­we­gen ihr ein Entschädi­gungs­an­spruch von drei Mo­nats­gehältern in Höhe von je­weils ca. 1.300,00 Eu­ro brut­to zu­ste­he.


Von ei­ner un­mit­tel­ba­ren Be­nach­tei­li­gung we­gen der Re­li­gi­on sei aus­zu­ge­hen, da be­reits in der Stel­len­aus­schrei­bung die Zu­gehörig­keit zu ei­ner christ­li­chen Kir­che vor­aus­ge­setzt wor­den sei und die Mit­ar­bei­te­rin K des Be­klag­ten dies als un­be­ding­te Ein­stel­lungs­vor­aus­set­zung bestätigt ha­be. Die aus­ge­schrie­be­ne Stel­le wei­se kei­nen re­li­giösen Be­zug auf. Da­her sei ei­ne Un­gleich­be­hand­lung we­gen der Re­li­gi­on nicht statt­haft. Bei richt­li­ni­en­kon­for­mer Aus­le­gung des § 9 AGG müsse bei der Beschäfti­gung durch Re­li­gi­ons­ge­mein­schaf­ten oder ih­nen zu­ge­ord­ne­te Ein­rich­tun­gen an­ge­sichts des Ethos der Or­ga­ni­sa­ti­on die Re­li­gi­on der Per­son nach Art der Tätig­keit oder der Umstände ih­rer Ausübung ei­ne we­sent­li­che, rechtmäßige und ge­recht­fer­tig­te be­ruf­li­che An­for­de­rung dar­stel­len. Auf ei­ne Stel­le oh­ne re­li­giösen Be­zug tref­fe dies nicht zu.


Auch ei­ne mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung we­gen ih­rer eth­ni­schen Her­kunft sei er­folgt. Weit über 90 % der türkischstämmi­gen Bevölke­rung gehöre zu­min­dest for­mal dem is­la­mi­schen Glau­ben an. Das Merk­mal der Zu­gehörig­keit zu ei­ner christ­li­chen Kir­che wir­ke sich mit­tel­bar als Be­nach­tei­li­gung auf­grund des Merk­mals der eth­ni­schen Her­kunft aus, da Per­so­nen türki­scher Her­kunft fast nie Mit­glied ei­ner christ­li­chen Kir­che sei­en.


Die Kläge­rin hat be­an­tragt, 


den Be­klag­ten zu ver­ur­tei­len, an sie ei­ne an­ge­mes­se­ne Entschädi­gung nach § 15 AGG zu zah­len, de­ren Höhe in das Er­mes­sen des Ge­richts ge­stellt wird.


Zur Be­gründung sei­nes An­tra­ges auf Kla­ge­ab­wei­sung hat der Be­klag­te die Auf­fas­sung ver­tre­ten, in Er­man­ge­lung ei­nes Hoch­schul­stu­di­ums sei die



- 6 -

Kläge­rin be­reits ob­jek­tiv un­ge­eig­net für die zu be­set­zen­de Stel­le. Das ver­fas­sungs­recht­lich ga­ran­tier­te Selbst­be­stim­mungs­recht der Kir­chen um­fas­se die Be­fug­nis, bei Stel­len­aus­schrei­bun­gen die Re­li­gi­ons­zu­gehörig­keit zur Ein­stel­lungs­vor­aus­set­zung zu er­he­ben.

Das Ar­beits­ge­richt hat der Kla­ge statt­ge­ge­ben. Die Be­ru­fung des Be­klag­ten hat­te vor dem Lan­des­ar­beits­ge­richt Er­folg. Mit der vom Se­nat zu­ge­las­se­nen Re­vi­si­on ver­folgt die Kläge­rin die Wie­der­her­stel­lung des erst­in­stanz­li­chen Ur­teils.


Ent­schei­dungs­gründe

Die Re­vi­si­on der Kläge­rin ist nicht be­gründet. Ihr steht der gel­tend ge­mach­te Entschädi­gungs­an­spruch nicht zu.

A. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat sei­ne Ent­schei­dung im We­sent­li­chen wie folgt be­gründet: Da die Kläge­rin auf­grund ih­rer feh­len­den Qua­li­fi­ka­ti­on schon kei­ne ge­eig­ne­te Be­wer­be­rin ge­we­sen sei, ha­be sie auch nicht we­gen ei­nes un­zulässi­gen Merk­mals iSd. § 1 AGG be­nach­tei­ligt wer­den können. Be­reits zu § 611a BGB aF sei in Li­te­ra­tur und Recht­spre­chung an­er­kannt wor­den, dass in ei­nem Stel­len­be­set­zungs­ver­fah­ren der­je­ni­ge be­nach­tei­ligt wer­den könne, der ob­jek­tiv für die zu be­set­zen­de Stel­le über­haupt in Be­tracht kom­me und sich sub­jek­tiv ernst­haft um die­se be­wor­ben ha­be. Auch nach In­kraft­tre­ten des AGG müsse der Be­wer­ber als ob­jek­tiv un­ge­eig­net an­ge­se­hen wer­den, der die in der Stel­len­aus­schrei­bung vom Ar­beit­ge­ber ge­setz­ten An­for­de­run­gen nicht erfülle. Maßgeb­lich sei die Stel­len­aus­schrei­bung. We­der könne der Ar­beit­ge­ber später wei­te­re Vor­aus­set­zun­gen nach­schie­ben noch sei in An­be­tracht der Or­ga­ni­sa­ti­ons­ge­walt des Ar­beit­ge­bers zu über­prüfen, ob die An­for­de­run­gen der Stel­len­aus­schrei­bung für die zu be­set­zen­de Stel­le tatsächlich zwin­gend er­for­der­lich sei­en.

Die Stel­len­aus­schrei­bung des Be­klag­ten hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt da­hin aus­ge­legt, dass nach ihr ein ab­ge­schlos­se­nes Stu­di­um zwin­gen­de
 


- 7 -

Vor­aus­set­zung ge­we­sen sei. Der re­la­ti­vie­ren­de Klam­mer­zu­satz „o. Ä.“ ha­be sich nicht auf das Stu­di­um an sich, son­dern auf die mit der Aus­schrei­bung an­ge­spro­che­ne Fach­rich­tung ei­nes Stu­di­ums be­zo­gen. Als aus­ge­bil­de­te Rei­se­ver­kehrs­kauf­frau sei die Kläge­rin we­der So­zi­alpädago­gin noch ha­be sie ein Stu­di­um ab­sol­viert. Sie be­sit­ze nicht ein­mal die Hoch­schul­rei­fe. Da­mit wei­che ih­re Qua­li­fi­ka­ti­on so­gar er­heb­lich von den aus­ge­schrie­be­nen Ein­stel­lungs­kri­te­ri­en ab, dass von ei­ner ob­jek­ti­ven Eig­nung auch un­ge­ach­tet ih­rer sons­ti­gen in den letz­ten Jah­ren er­wor­be­nen Qua­li­fi­ka­tio­nen für die The­men­be­rei­che Mi­gra­ti­on, Ar­beits­markt und In­ter­kul­tu­ra­lität nicht die Re­de sein könne. Die­se Qua­li­fi­ka­tio­nen könn­ten ein ab­ge­schlos­se­nes Hoch­schul­stu­di­um nicht er­set­zen. An­ge­sichts des aus der Stel­len­aus­schrei­bung er­sicht­li­chen Tätig­keits­be­reichs sei es auch nicht willkürlich, wenn der Be­klag­te ein Hoch­schul­stu­di­um zur Ein­stel­lungs­vor­aus­set­zung ge­macht ha­be. An die­ses von ihm auf­ge­stell­te An­for­de­rungs­pro­fil ha­be er sich bei der Ein­stel­lung auch ge­hal­ten. Die te­le-fo­ni­sche Be­mer­kung der Mit­ar­bei­te­rin K, die Be­wer­bung der Kläge­rin sei sehr in­ter­es­sant, stel­le kein aus­rei­chen­des In­diz für die Be­reit­schaft des Be­klag­ten dar, von den auf­ge­stell­ten Ein­stel­lungs­vor­aus­set­zun­gen ab­wei­chen zu wol­len. Da nicht Frau K, son­dern Herr Dr. H die Ein­stel­lungs­ent­schei­dung ge­trof­fen ha­be, spiel­ten Vor­stel­lun­gen von Frau K über die Ein­stel­lungs­chan­cen der Kläge­rin kei­ne Rol­le.

B. Dem folgt der Se­nat im Er­geb­nis. Die Kläge­rin hat kei­nen Entschädi­gungs­an­spruch nach § 15 Abs. 2 AGG we­gen Be­nach­tei­li­gung aus ei­nem der in § 1 AGG ge­nann­ten Gründe.


I. Streit­ge­gen­stand ist der An­spruch der Kläge­rin auf Zah­lung ei­ner Entschädi­gung we­gen ei­nes im­ma­te­ri­el­len Scha­dens.

1. Ei­nen auf die Er­stat­tung ei­nes Vermögens­scha­dens ge­rich­te­ten Scha­dens­er­satz­an­spruch macht die Kläge­rin nicht gel­tend. In­so­weit ist der An­trag der Kläge­rin ein­deu­tig und ei­ner Aus­le­gung nicht zugäng­lich. Die mo­nat­li­che Vergütung iHv. 1.300,00 Eu­ro brut­to führt sie er­sicht­lich nur an, um ei­ne Größen­ord­nung für die Höhe der in das Er­mes­sen des Ge­richts ge­stell­ten Entschädi­gung vor­zu­ge­ben.


- 8 -

2. Der auf Zah­lung ei­ner Entschädi­gung ge­rich­te­te Kla­ge­an­trag ist zulässig, ins­be­son­de­re hin­rei­chend be­stimmt (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Dem steht nicht ent­ge­gen, dass die Kläge­rin die Höhe der von ihr be­gehr­ten Entschädi­gung in das Er­mes­sen des Ge­richts ge­stellt hat. Die­se Möglich­keit eröff­net be­reits der Wort­laut des § 15 Abs. 2 AGG. Den Ge­rich­ten wird da­mit hin­sicht­lich der Höhe der Entschädi­gung ein Be­ur­tei­lungs­spiel­raum ein­geräumt (BT-Drucks. 16/1780 S. 38). Hängt die Be­stim­mung ei­nes Be­tra­ges vom bil­li­gen Er­mes­sen des Ge­richts ab, ist ein un­be­zif­fer­ter Zah­lungs­an­trag zulässig. Die Kläge­rin hat auch Tat­sa­chen be­nannt, die das Ge­richt bei der Be­stim­mung des Be­tra­ges her­an­zie­hen soll und die Größen­ord­nung der gel­tend ge­mach­ten For­de­rung an­ge­ge­ben (BAG 28. Mai 2009 - 8 AZR 536/08 - Rn. 17 f., AP AGG § 8 Nr. 1 = EzA AGG § 8 Nr. 1; 16. Sep­tem­ber 2008 - 9 AZR 791/07 - Rn. 18, BA­GE 127, 367 = AP SGB IX § 81 Nr. 15 = EzA SGB IX § 81 Nr. 17; 24. April 2008 - 8 AZR 257/07 - Rn. 17, AP AGG § 33 Nr. 2 = EzA BGB 2002 § 611a Nr. 6).


3. Die Fris­ten zur Gel­tend­ma­chung ei­nes Entschädi­gungs­an­spruchs (§ 15 Abs. 4 AGG) und zur Kla­ge­er­he­bung (§ 61b Abs. 1 ArbGG) hat die Kläge­rin ein­ge­hal­ten.


a) Das am 18. Au­gust 2006 in Kraft ge­tre­te­ne AGG fin­det auf den Streit­fall An­wen­dung. Maßgeb­lich kommt es auf den Zeit­punkt der Be­nach­tei­li­gungs­hand­lung an (BAG 21. Ju­li 2009 - 9 AZR 431/08 - Rn. 15 mwN, AP SGB IX § 82 Nr. 1 = EzA SGB IX § 82 Nr. 1). Der frühes­te An­knüpfungs­punkt für ei­ne Be­nach­tei­li­gungs­hand­lung, die Stel­len­aus­schrei­bung, da­tiert vom 30. No­vem­ber 2006.


b) Die Ab­leh­nung der Be­wer­bung wur­de der Kläge­rin durch das Schrei­ben des Be­klag­ten vom 6. Fe­bru­ar 2007 mit­ge­teilt. Mit An­walts­schrei­ben vom 21. Fe­bru­ar 2007 ließ sie Ansprüche nach § 15 Abs. 1 und Abs. 2 AGG gel­tend ma­chen. Da­mit hat­te sie die Zwei­mo­nats­frist für die schrift­li­che Gel­tend­ma­chung nach § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG ge­wahrt. Ei­nen be­zif­fer­ten Entschädi­gungs­be­trag muss­te sie nicht gel­tend ma­chen (BAG 18. No­vem­ber 2008 - 9 AZR 643/07 - Rn. 43, AP SGB IX § 81 Nr. 16 = EzA SGB IX § 81 Nr. 19;

- 9 -

15. Fe­bru­ar 2005 - 9 AZR 635/03 - BA­GE 113, 361 = AP SGB IX § 81 Nr. 7 = EzA SGB IX § 81 Nr. 6).

c) Die am 18. Mai 2007 durch Fax beim Ar­beits­ge­richt ein­ge­gan­ge­ne Kla­ge, die dem Be­klag­ten am 30. Mai 2007 zu­ge­stellt wur­de, wahr­te die Drei­mo­nats­frist des § 61b Abs. 1 ArbGG (§ 253 Abs. 1 ZPO).

II. Die Kläge­rin hat je­doch kei­nen An­spruch auf Zah­lung ei­ner Entschädi­gung aus § 15 Abs. 2 AGG, weil sie we­gen ei­nes in § 1 AGG ge­nann­ten Grun­des be­nach­tei­ligt wor­den wäre, § 7 Abs. 1 AGG.

1. Die Kläge­rin fällt als „Beschäftig­te“ iSd. AGG un­ter den persönli­chen An­wen­dungs­be­reich des Ge­set­zes.

Nach § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG gel­ten als Beschäftig­te auch Be­wer­be­rin­nen und Be­wer­ber für ein Beschäfti­gungs­verhält­nis. Nach § 6 Abs. 2 Satz 1 AGG ist Ar­beit­ge­ber im Sin­ne des Ge­set­zes, wer „Per­so­nen nach Abs. 1“ des § 6 AGG „beschäftigt“. Ar­beit­ge­ber ist al­so je­den­falls der­je­ni­ge, der um Be­wer­bun­gen für ein von ihm an­ge­streb­tes Beschäfti­gungs­verhält­nis bit­tet.

a) Die Ernst­haf­tig­keit der Be­wer­bung der Kläge­rin steht nicht in Fra­ge. Dass sich die Kläge­rin sub­jek­tiv ernst­haft um die von dem Be­klag­ten aus­ge­schrie­be­ne Stel­le be­wor­ben hat, ist zwi­schen den Par­tei­en we­der um­strit­ten noch sind nach den Fest­stel­lun­gen des Lan­des­ar­beits­ge­richts In­di­zi­en er­kenn­bar, die ge­gen die Ernst­haf­tig­keit ih­rer Be­wer­bung spre­chen und na­he­le­gen könn­ten, in Wirk­lich­keit ha­be sie nur ei­ne Entschädi­gung an­ge­strebt (vgl. BAG 21. Ju­li 2009 - 9 AZR 431/08 - Rn. 49 f. mwN, AP SGB IX § 82 Nr. 1 = EzA SGB IX § 82 Nr. 1).


b) Ei­ne of­fen­sicht­li­che Über- oder Nicht­qua­li­fi­ka­ti­on der Kläge­rin kann we­gen ih­rer un­strit­tig ge­sam­mel­ten Er­fah­run­gen in den Be­rei­chen Mi­gra­ti­on und In­te­gra­ti­on nicht an­ge­nom­men wer­den. Im Übri­gen ist die ob­jek­ti­ve Eig­nung ei­ner Be­wer­be­rin kei­ne Vor­aus­set­zung für ih­re Ak­tiv­le­gi­ti­ma­ti­on bezüglich der Ansprüche nach § 15 AGG (BAG 18. März 2010 - 8 AZR 77/09 - Rn. 16, AP AGG § 8 Nr. 2 = EzA AGG § 8 Nr. 2). Für den Sta­tus als Be­wer­be­rin
 


- 10 -

kommt es nicht dar­auf an, ob die Kläge­rin für die von dem Be­klag­ten aus-ge­schrie­be­ne Tätig­keit ob­jek­tiv ge­eig­net war, so­fern nicht ein kras­ses Miss­verhält­nis zwi­schen An­for­de­rungs­pro­fil der zu ver­ge­ben­den Stel­le und Qua­li­fi­ka­ti­on des Be­wer­bers ge­ra­de die Ernst­haf­tig­keit sei­ner Be­wer­bung in Fra­ge ste­hen lässt.


c) Der Be­klag­te ist als An­spruchs­geg­ner nach § 15 Abs. 2 iVm. § 6 Abs. 2 AGG pas­siv­le­gi­ti­miert, denn als ein­ge­tra­ge­ner Ver­ein ist er ei­ne ju­ris­ti­sche Per­son und beschäftigt Ar­beit­neh­mer iSd. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AGG, weil er um Be­wer­bun­gen für die von ihm aus­ge­schrie­be­ne Stel­le ge­be­ten hat.


2. Der Be­klag­te hat nicht ge­gen das Be­nach­tei­li­gungs­ver­bot des § 7 Abs. 1 iVm. § 1 AGG ver­s­toßen. Denn die Kläge­rin hat nicht we­gen der Re­li­gi­on ei­ne un­mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung iSd. § 3 Abs. 1 AGG er­lit­ten.


a) Ei­ne un­mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung iSd. § 3 Abs. 1 AGG liegt vor, wenn ei­ne Per­son we­gen ei­nes in § 1 AGG ge­nann­ten Grun­des ei­ne we­ni­ger güns­ti­ge Be­hand­lung erfährt als ei­ne an­de­re Per­son in ei­ner ver­gleich­ba­ren Si­tua­ti­on erfährt, er­fah­ren hat oder er­fah­ren würde, wo­bei die sich nach­tei­lig aus­wir­ken­de Maßnah­me di­rekt an das ver­bo­te­ne Merk­mal an­knüpfen muss (BAG 14. Au­gust 2007 - 9 AZR 943/06 - BA­GE 123, 358 = AP AGG § 33 Nr. 1 = EzA BGB 2002 § 611a Nr. 5).

b) Die Kläge­rin wur­de ungüns­ti­ger be­han­delt als tatsächli­che oder po­ten­ti­el­le an­de­re Be­wer­ber, denn ih­re Be­wer­bung wur­de ab­ge­lehnt, oh­ne dass sie zu ei­nem Vor­stel­lungs­gespräch ein­ge­la­den wur­de. Die­se Ver­sa­gung der Chan­ce auf Ein­stel­lung stellt ei­ne ungüns­ti­ge Be­hand­lung dar, wo­bei es nicht dar­auf an­kommt, ob oh­ne die­se Be­hand­lung ei­ne Ein­stel­lung er­folgt wäre (BAG 28. Mai 2009 - 8 AZR 536/08 - AP AGG § 8 Nr. 1 = EzA AGG § 8 Nr. 1; vgl. auch BVerfG 16. No­vem­ber 1993 - 1 BvR 258/86 - BVerfGE 89, 276).


c) Die ungüns­ti­ge­re Be­hand­lung der Kläge­rin er­folg­te je­doch in kei­ner ver­gleich­ba­ren Si­tua­ti­on iSd. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG.
 


- 11 -

aa) Das Vor­lie­gen ei­ner ver­gleich­ba­ren Si­tua­ti­on setzt vor­aus, dass die Kläge­rin ob­jek­tiv für die Stel­le ei­ner So­zi­alpädago­gin in dem Teil­pro­jekt „In­te­gra­ti­ons­lot­se Ham­burg“ ge­eig­net war, denn ver­gleich­bar (nicht: gleich!) ist die Aus­wahl­si­tua­ti­on nur für Ar­beit­neh­mer, die glei­cher­maßen die ob­jek­ti­ve Eig­nung für die zu be­set­zen­de Stel­le auf­wei­sen (BAG 18. März 2010 - 8 AZR 77/09 - Rn. 22, AP AGG § 8 Nr. 2 = EzA AGG § 8 Nr. 2). Im über­wie­gen­den Schrift­tum zum AGG, aber auch in der Recht­spre­chung des Se­nats wird für das Vor­lie­gen ei­ner Be­nach­tei­li­gung ver­langt, dass ei­ne Per­son, die an sich für die Tätig­keit ge­eig­net wäre, nicht aus­gewählt oder schon nicht in Be­tracht ge­zo­gen wur­de (BAG 5. Fe­bru­ar 2004 - 8 AZR 112/03 - BA­GE 109, 265 = AP BGB § 611a Nr. 23 = EzA BGB 2002 § 611a Nr. 3; Däubler/Bertz­bach/Däubler AGG 2. Aufl. § 7 Rn. 9; Adom­eit/Mohr Kom­m­AGG § 22 Rn. 27; ErfK/Schlach­ter 10. Aufl. § 6 AGG Rn. 3; aA: vgl. Schiek/Ko­cher AGG § 22 Rn. 25, § 3 Rn. 7; LAG Ber­lin-Bran­den­burg 26. No­vem­ber 2008 - 15 Sa 517/08 - LA­GE AGG § 22 Nr. 1). Könn­te auch ein ob­jek­tiv un­ge­eig­ne­ter Be­wer­ber im­ma­te­ri­el­le Entschädi­gung nach § 15 Abs. 2 AGG ver­lan­gen, stünde dies nicht im Ein­klang mit dem Schutz­zweck des AGG. Das AGG will vor un­ge­recht­fer­tig­ter Be­nach­tei­li­gung schützen, nicht ei­ne un­red­li­che Ge­sin­nung des (po­ten­ti­el­len) Ar­beit­ge­bers sank­tio­nie­ren. Die ob­jek­ti­ve Eig­nung ist al­so kei­ne un­ge­schrie­be­ne Vor­aus­set­zung der Be­wer­be­rei­gen­schaft, son­dern Kri­te­ri­um der „ver­gleich­ba­ren Si­tua­ti­on“ iSd. § 3 Abs. 1 AGG (BAG 18. März 2010 - 8 AZR 77/09 - aaO).


bb) Maßgeb­lich für die ob­jek­ti­ve Eig­nung ist da­bei nicht das for­mel­le An­for­de­rungs­pro­fil, wel­ches der Ar­beit­ge­ber er­stellt hat, son­dern die An­for­de­run­gen, die an die je­wei­li­ge Tätig­keit nach der im Ar­beits­le­ben herr­schen­den Ver­kehrs­an­schau­ung ge­stellt wer­den (BAG 18. März 2010 - 8 AZR 77/09 - Rn. 22, AP AGG § 8 Nr. 2 = EzA AGG § 8 Nr. 2; Bau­er/Göpfert/Krie­ger AGG 2. Aufl. § 3 Rn. 15, an­ders aber § 6 Rn. 10; Däubler/Bertz­bach/Däubler § 7 Rn. 9).

cc) Die ob­jek­ti­ve Eig­nung ist zu tren­nen von der in­di­vi­du­el­len fach­li­chen und persönli­chen Qua­li­fi­ka­ti­on des Be­wer­bers (eben­so Bau­er/Göpfert/Krie­ger

- 12 -

§ 3 Rn. 15, 18; ähn­lich Däubler/Bertz­bach/Däubler aaO), die nur als Kri­te­ri­um der Aus­wah­l­ent­schei­dung auf der Ebe­ne der Kau­sa­lität zwi­schen Be­nach­tei­li­gung und ver­bo­te­nem Merk­mal ei­ne Rol­le spielt (eben­so mit an­de­rem Aus­gangs­punkt: Schiek/Ko­cher § 22 Rn. 24, 25). Da­mit ist gewähr­leis­tet, dass der Ar­beit­ge­ber über den der Stel­le zu­ge­ord­ne­ten Auf­ga­ben­be­reich frei zu ent­schei­den hat, wie Art. 12 Abs. 1 GG es ge­bie­tet (BAG 28. Mai 2009 - 8 AZR 536/08 - mwN, AP AGG § 8 Nr. 1 = EzA AGG § 8 Nr. 1), aber nicht durch das Stel­len hierfür nicht er­for­der­li­cher An­for­de­run­gen an Be­wer­ber die Ver­gleich­bar­keit der Si­tua­ti­on selbst ge­stal­ten und den Schutz des AGG de fac­to be-sei­ti­gen kann (vgl. Voigt in Schleu­se­ner/Suckow/Voigt AGG 2. Aufl. § 15 Rn. 36; Däubler/Bertz­bach/Däubler aaO, die des­halb ein er­heb­li­ches bzw. of­fen­kun­di­ges Eig­nungs­de­fi­zit ver­lan­gen). Be­wer­ber, wel­che die auf der zu be­set­zen­den Stel­le aus­zuüben­den Tätig­kei­ten grundsätz­lich ver­rich­ten können, oh­ne aber je­de Vor­aus­set­zung des An­for­de­rungs­pro­fils zu erfüllen, bedürfen des Schut­zes vor Dis­kri­mi­nie­rung, weil ge­ra­de An­for­de­rungs­pro­fi­le in Stel­len­an­zei­gen häufig Qua­li­fi­ka­tio­nen be­nen­nen, de­ren Vor­han­den­sein der Ar­beit­ge­ber sich für den Ide­al­fall zwar wünscht, die aber kei­nes­falls zwin­gen­de Vor­aus­set­zung ei­ner er­folg­rei­chen Be­wer­bung sind.

dd) So­weit das Lan­des­ar­beits­ge­richt die ob­jek­ti­ve Eig­nung der Kläge­rin ver­neint hat, hält dies un­ter Be­ach­tung der dar­ge­leg­ten Maßstäbe ei­ner re­vi­si­ons­recht­li­chen Prüfung stand. Die Kläge­rin ist kei­ne ob­jek­tiv ge­eig­ne­te Be­wer­be­rin, da das in der Stel­len­aus­schrei­bung ge­for­der­te ab­ge­schlos­se­ne Stu­di­um der „So­zi­al­wis­sen­schaft/So­zi­alpädago­gik (o. Ä.)“ für die vor­ge­se­he­ne Tätig­keit nach der im Ar­beits­le­ben herr­schen­den Ver­kehrs­an­schau­ung tatsächlich ge­bo­ten ist.


Da­bei kann auf­grund ih­res Be­wer­bungs­schrei­bens da­von aus­ge­gan­gen wer­den, dass die Kläge­rin mit Aus­nah­me ei­nes ab­ge­schlos­se­nen Stu­di­ums über die wei­te­ren in der Stel­len­aus­schrei­bung ge­for­der­ten Er­fah­run­gen und Kom­pe­ten­zen verfügt.

Der in der Aus­schrei­bung dar­ge­leg­te Tätig­keits­be­reich um­fasst den in­halt­li­chen Aus­bau der Ru­brik „Fach­in­for­ma­tio­nen“ auf www.i.de, die Er­stel­lung
 


- 13 -

von In­for­ma­ti­ons­ma­te­ri­al, die Vor­be­rei­tung und Durchführung von Ver­an­stal­tun­gen so­wie die Ar­beit in den Struk­tu­ren und Gre­mi­en des Fach­be­reichs Mi­gra­ti­on und Exis­tenz­si­che­rung und recht­fer­tigt die For­de­rung nach ei­nem Stu­di­um in den Fächern So­zi­al­wis­sen­schaft oder So­zi­alpädago­gik oder ei­nem ver­gleich­ba­ren Stu­di­en­gang. Dies gilt im Be­son­de­ren, da das Teil­pro­jekt „In­te­gra­ti­ons­lot­se Ham­burg“ ein Schu­lungs- und In­for­ma­ti­ons­an­ge­bot für Mul­ti­pli­ka­to­rin­nen und Mul­ti­pli­ka­to­ren im Be­reich der be­ruf­li­chen In­te­gra­ti­on von er­wach­se­nen Mi­gran­tin­nen und Mi­gran­ten dar­stellt. Schu­lungs- und In­for­ma­ti­ons­an­ge­bo­te, die für Mul­ti­pli­ka­to­ren be­stimmt sind, müssen in be­son­de­rer Wei­se pädago­gi­schen, di­dak­ti­schen und in­halt­li­chen Ansprüchen genügen, um die Mul­ti­pli­ka­to­ren zu befähi­gen, fun­dier­te Kennt­nis­se er­folg­reich wei­ter­ge­ben zu können. Für die aus­ge­schrie­be­ne Stel­le ist das Er­for­der­nis ei­nes ab­ge­schlos­se­nen Stu­di­ums in dem Be­reich So­zi­al­wis­sen­schaft/So­zi­alpädago­gik nach der im Ar­beits­le­ben herr­schen­den Ver­kehrs­an­schau­ung ein ge­bo­te­nes Kri­te­ri­um, da nur die­ses si­cher gewähr­leis­tet, dass der Be­wer­ber mit den theo­re­ti­schen Grund­la­gen ver­traut ist, wel­che die Stel­le tatsächlich er­for­dert. Die breit an­ge­leg­ten und um­fas­send im Stu­di­um ver­mit­tel­ten Kennt­nis­se si­chern die Qua­lität der Auf­ga­ben­wahr­neh­mung im Rah­men der Stel­le. Zwar ist es denk­bar, dass sich ein Be­wer­ber die in ei­nem Stu­di­um ver­mit­tel­ten Kennt­nis­se auch an­der­wei­tig an­eig­net. Der Stu­di­en­ab­schluss ist je­doch für ei­nen Ar­beit­ge­ber re­gelmäßig der verläss­lichs­te An­knüpfungs­punkt dafür, dass der Be­wer­ber tatsächlich die er­for­der­li­chen Kennt­nis­se be­sitzt. Der Be­klag­te konn­te um so mehr die­se Qua­li­fi­ka­ti­on zur Ein­stel­lungs­vor­aus­set­zung ma­chen, als sich un­ter den durch das Teil­pro­jekt „In­te­gra­ti­ons­lot­se Ham­burg“ an­ge­spro­che­nen Mul­ti­pli­ka­to­rin­nen und Mul­ti­pli­ka­to­ren So­zi­alpädago­gin­nen und So­zi­alpädago­gen mit ab­ge­schlos­se­nem (Fach-)Hoch­schul­stu­di­um be­fin­den konn­ten.


Da die Kläge­rin ein Stu­di­um in den Fächern So­zi­al­wis­sen­schaft, So­zi­alpädago­gik oder in ei­nem ver­gleich­ba­ren Fach we­der ab­sol­viert noch ab­ge­schlos­sen hat, erfüllt sie ob­jek­tiv nicht die für die Stel­le er­for­der­li­che Qua­li­fi­ka­ti­on des ab­ge­schlos­se­nen Stu­di­ums in den be­zeich­ne­ten Fächern.



- 14 -

Da­mit ist sie ge­genüber der be­vor­zug­ten Be­wer­be­rin nicht iSd. § 3 Abs. 1 AGG „in ei­ner ver­gleich­ba­ren Si­tua­ti­on“ ungüns­ti­ger be­han­delt wor­den.


ee) Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat bei sei­ner Ent­schei­dung auch nicht den An­spruch der Kläge­rin auf recht­li­ches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) ver­letzt. Die ent­spre­chen­den Ver­fah­rensrügen der Kläge­rin sind un­be­gründet. Zwar hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt die feh­len­de Hoch­schul­rei­fe der Kläge­rin im Tat­be­stand fest­ge­stellt und bei der Be­gründung sei­ner Ent­schei­dung erwähnt. Er­sicht­lich hat es aber ent­schei­dend auf das feh­len­de Hoch­schul­stu­di­um als in der Stel­len­aus­schrei­bung erwähl­tes und sach­lich ge­recht­fer­tig­tes Qua­li­fi­ka­ti­ons­merk­mal ab­ge­stellt. Auch muss­te das Lan­des­ar­beits­ge­richt nicht dar­auf hin­wei­sen, dass es in­so­weit den Sach­ver­halt an­ders würdigt als das erst­in­stanz­li­che Ge­richt. Die Ver­fah­rens­be­tei­lig­ten ver­moch­ten bei An­wen­dung der von ih­nen zu ver­lan­gen­den Sorg­falt zu er­ken­nen, auf wel­chen Tat­sa­chen­vor­trag es für die Ent­schei­dung an­kom­men kann. Der Be­klag­te hat­te be­reits mit der Be­ru­fungs­be­gründung vor­ge­tra­gen, die Kläge­rin sei ob­jek­tiv nicht für die Stel­le ge­eig­net ge­we­sen (dort S. 15 ff.). Dem ist die Kläge­rin ih­rer­seits mit der Be­ru­fungs­er­wi­de­rung ent­ge­gen­ge­tre­ten (dort S. 5). Da­ge­gen ver­langt Art. 103 Abs. 1 GG nicht, dass ein Ge­richt vor Schluss der münd­li­chen Ver­hand­lung auf sei­ne Rechts­auf­fas­sung hin­weist. An­halts­punk­te dafür, dass das Lan­des­ar­beits­ge­richt An­for­de­run­gen an den Sach­vor­trag der Par­tei­en ge­stellt hätte, mit de­nen auch ein ge­wis­sen­haf­ter und kun­di­ger Pro­zess­be­tei­lig­ter - selbst un­ter Berück­sich­ti­gung der Viel­falt ver­tret­ba­rer Rechts­auf­fas­sun­gen - nach dem bis­he­ri­gen Pro­zess­ver­lauf nicht zu rech­nen brauch­te, sind we­der dem an­ge­foch­te­nen Ur­teil noch dem sons­ti­gen Ak­ten­in­halt zu ent­neh­men (vgl. BVerfG 29. Mai 1991 - 1 BvR 1383/90 - BVerfGE 84, 188, 190).

d) Von dem mit der Stel­len­aus­schrei­bung zu Recht ge­for­der­ten Qua­li­fi­ka­ti­ons­merk­mal ei­nes ab­ge­schlos­se­nen Stu­di­ums der So­zi­al­wis­sen­schaf­ten ist der Be­klag­te bei der tatsächlich vor­ge­nom­me­nen Ein­stel­lung nicht ab-ge­wi­chen. Die be­vor­zug­te Be­wer­be­rin F hat mit der Di­plom­prüfung ihr Hoch­schul­stu­di­um im Fach So­zi­al­wis­sen­schaf­ten er­folg­reich ab­ge­schlos­sen. Sie erfüllt das nach der Ver­kehrs­an­schau­ung ge­bo­te­ne Er­for­der­nis der Stel­len­aus-
 


- 15 -

schrei­bung. Die Würdi­gung des Lan­des­ar­beits­ge­richts, der Be­klag­te ha­be auch im Rah­men des Be­wer­bungs­ver­fah­rens kei­ne Be­reit­schaft be­kun­det, von den auf­ge­stell­ten Ein­stel­lungs­vor­aus­set­zun­gen ab­zu­wei­chen, ist re­vi­si­ons­recht­lich nicht zu be­an­stan­den. Die Par­tei­en ha­ben in der Be­ru­fungs­ver­hand­lung un­strei­tig ge­stellt, dass nicht Frau K, son­dern Herr Dr. H die Aus­wah­l­ent­schei­dung ge­trof­fen hat. Es liegt im Be­ur­tei­lungs­spiel­raum der Tat­sa­chen­rich­ter, da­nach der Äußerung der Mit­ar­bei­te­rin K des Be­klag­ten, die Be­wer­bung der Kläge­rin sei „sehr in­ter­es­sant“ kei­ne Erklärung des Be­klag­ten mit dem In­halt zu ent­neh­men, er wol­le von den auf­ge­stell­ten Ein­stel­lungs­vor­aus­set­zun­gen ab­wei­chen.


3. Da die Kläge­rin nicht in ei­ner „ver­gleich­ba­ren Si­tua­ti­on“ iSd. § 3 AGG un­mit­tel­bar oder mit­tel­bar ungüns­ti­ger be­han­delt wor­den ist, kann es da­hin-ste­hen, ob die un­ter­schied­li­che Be­hand­lung zulässig iSd. §§ 8, 9 AGG ge­we­sen wäre.

C. Die Kläge­rin hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kos­ten ih­rer er­folg­lo­sen Re­vi­si­on zu tra­gen.

Hauck 

Der Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Böck ist we­gen Ur­laub an der Un­ter­schrifts­leis­tung ver­hin­dert. Hauck 

Brein­lin­ger

Brück­mann 

Schulz

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 


zur Übersicht 8 AZR 466/09