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EuGH zum Betriebsübergang im Konzern
29.10.2014. Wird ein Betrieb oder Betriebsteil verkauft, tritt der Erwerber automatisch in die bestehenden Arbeitsverhältnissen ein, d.h. an den Rechten und Pflichten aus den bestehenden Arbeitsverträgen ändert sich nichts.
Von diesem juristischen Schutz haben Arbeitnehmer aber bei Betriebsübergängen von einer Konzernmutter auf ein Tochterunternehmen oft wenig, denn ihre Situation ist bei der Konzernmutter so oder so voraussichtlich besser als bei einem Tochterunternehmen.
Daher wehren sich Arbeitnehmer, die von einer solchen "Austöchterung" betroffen sind, manchmal mit dem Argument gegen die Überleitung ihrer Arbeitsverhältnisse, dass ein Betriebs- oder Betriebsteilübergang in Wahrheit gar nicht vorliegt, weil es gar keinen übergangsfähigen Betriebsteil gibt und/oder weil die Konzernmutter weiterhin das Sagen hat.
In einem aktuellen Fall hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) deutlich gemacht, dass das Europarecht kaum Stützen für solche Argumente enthält: EuGH, Urteil vom 06.03.2014, C-458/12 (Amatori gg. Telecom Italia).
- Verbietet das Europarecht die gesetzliche Überleitung von Arbeitsverhältnissen von einer Konzernmutter auf eine Konzerntochter, wenn gar kein übergangsfähiger Betrieb vorliegt?
- Der Fall Lorenzo Amatori und Kollegen gegen Telecom Italia: Die Telecom zaubert eine Sparte "IT Operations" aus dem Hut und bringt sie als Sacheinlage in eine Tochtergesellschaft ein
- EuGH: Auch wenn kein Betriebsübergang im Sinne der Richtlinie 2001/23/EG vorliegt, können die Mitgliedsstaaten in ähnlichen Fällen Arbeitsverhältnisse auf einen neuen Arbeitgeber übergehen lassen
Verbietet das Europarecht die gesetzliche Überleitung von Arbeitsverhältnissen von einer Konzernmutter auf eine Konzerntochter, wenn gar kein übergangsfähiger Betrieb vorliegt?
Gemäß § 613a Abs.1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) tritt der Erwerber eines Betriebs oder Betriebsteils kraft Gesetzes in die Stellung des alten Arbeitgebers, des Betriebsveräußerers, ein. Diese Regelung entspricht den europarechtlichen Vorgaben, die sich aus der Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12.03.2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen (Richtlinie 2001/23/EG) ergeben. Denn Art.3 Abs.1 Satz 1 der Richtlinie 2001/23/EG lautet:
"Die Rechte und Pflichten des Veräußerers aus einem zum Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsvertrag oder Arbeitsverhältnis gehen aufgrund des Übergangs auf den Erwerber über."
Diese automatische Überleitung der Arbeitsverhältnisse auf den Betriebserwerber soll die betroffenen Arbeitnehmer schützen: Denn würden ihre Arbeitsverhältnisse nicht zusammen mit dem veräußerten Betrieb auf den Betriebserwerber übergehen, könnte der Betriebsveräußerer Kündigungen aussprechen, weil er infolge der Betriebsveräußerung keine Beschäftigungsmöglichkeiten mehr hätte. Da die Arbeitsverhältnisse aber mit allen vertraglichen Ansprüchen auf den Erwerber übergeleitet werden, drohen (jedenfalls theoretisch) weder Lohnsenkungen noch Kündigungen.
Das ist aus Arbeitnehmersicht schon einmal gut. Noch besser ist es allerdings, diesen "Schutz" gar nicht in Anspruch nehmen zu müssen, jedenfalls dann, wenn es um einen Wechsel von einer Konzernmutter auf eine Tochtergesellschaft geht. Bleibt man bei der Muttergesellschaft, ist man dort nämlich allemal besser aufgehoben als bei einer Tochter.
Fraglich ist, ob die Richtlinie 2001/23/EG an dieser Stelle Grenzen für eine juristisch automatische und damit den Arbeitnehmern aufgezwungene Überleitung von Arbeitsverhältnissen enthält. Anders gesagt: Würde es gegen die Richtlinie verstoßen, den Arbeitnehmern kraft gesetzlicher Regelung auch dann einen neuen Arbeitgeber vor die Nase zu setzen, wenn gar keine übergangsfähige betriebliche Einheit bestand und/oder wenn die Überleitung fragwürdig ist, weil die veräußernde Konzernmutter vor wie nach dem angeblichen "Übergang" der Leitungsmacht das Sagen hat?
Der Fall Lorenzo Amatori und Kollegen gegen Telecom Italia: Die Telecom zaubert eine Sparte "IT Operations" aus dem Hut und bringt sie als Sacheinlage in eine Tochtergesellschaft ein
In dem italienischen Streitfall teilte die Telecom Italia im Februar 2010 ihren Unternehmensbereich "Information Technology" in etwa zehn Unterbereiche auf, darunter eine Sparte „IT Operations“. Im Zuge dieser Umstrukturierung wurden der Sparte "IT Operations" auch Arbeitnehmer zugeordnet, die mit Ausführungsaufgaben betraut waren und deren Abteilung „Software and test factory“ hieß.
Obwohl die Arbeitnehmer der Abteilung „Software and test factory“ der Sparte „IT Operations“ zugeordnet waren, hatten sie wie bisher eng mit den Kollegen anderer Sparten zusammenzuarbeiten, vor allem mit Kollegen der Sparte „Projektplanung“.
Gut zwei Monate nach dieser Umstrukturierung, Ende April 2010, brachte die Telecom Italia die Sparte „IT Operations“ als Sacheinlage in eine Tochtergesellschaft ein, die TIIT, die unter Berufung auf die italienischen Gesetzesvorschriften zum Betriebsübergang als neuer Arbeitgeber der Beschäftigten der Sparte „IT Operations“ auftrat.
Herr Amatori und 74 seiner Kollegen waren damit nicht einverstanden und zogen vor das Tribunale di Trento, um den Fortbestand ihrer Arbeitsverhältnisse mit der Telecom Italia feststellen zu lassen. Dabei beriefen sie sich darauf, dass die Sparte "IT Operations" vor der Einbringung in das Kapital der Telecom-Tochtergesellschaft TIIT gar keine funktionell selbständige Unterabteilung von Telecom Italia gewesen sei und dass Telecom Italia nach wie vor das Sagen habe.
Das Tribunale di Trento hielt es für möglich, dass nach den italienischen Gesetzesvorschriften über den Betriebsübergang ein Arbeitgeberwechsel stattgefunden hatte, hielt das aber für europarechtlich bedenklich. Daher fragte es den EuGH, ob die Richtlinie 2001/23/EG einem automatischen Arbeitgeberwechsel ohne Einverständnis der Arbeitnehmer entgegensteht,
- falls es vor dem (angeblichen) "Betriebsübergang" gar keine funktionell selbständige wirtschaftliche Einheit gegeben hat, und/oder
- falls das veräußernde Unternehmen nach dem Übergang eine starke beherrschende Stellung gegenüber dem Erwerber einnimmt, die durch eine enge Verbindung in Form eines Auftragsverhältnisses und eine Vermengung des Unternehmensrisikos zutrage tritt.
EuGH: Auch wenn kein Betriebsübergang im Sinne der Richtlinie 2001/23/EG vorliegt, können die Mitgliedsstaaten in ähnlichen Fällen Arbeitsverhältnisse auf einen neuen Arbeitgeber übergehen lassen
Der EuGH beantwortete beide Vorlagefragen des Tribunale di Trento im Sinne der Telecom Italia.
Wenn es vor einem unternehmerischen Zusammenschluss keine funktionell selbständige wirtschaftliche Einheit, d.h. keinen Betrieb oder Betriebsteil im Sinne der Richtlinie 2001/23/EG gab, und wenn infolgedessen kein Betriebsübergang im Sinne dieser Richtlinie vorliegt, dann schreibt die Richtlinie den Mitgliedsstaaten eben nichts vor. Sie verbietet es daher den Mitgliedsstaaten nicht, die Arbeitnehmer auch in solchen Fällen durch eine automatische gesetzliche Überleitung ihrer Arbeitsverhältnisse zu "schützen".
Außerdem bestätigt der Gerichtshof seine bisherige Rechtsprechung, der zufolge ein Betriebsübergang auch dann vorliegen kann, wenn der Veräußerer eine Konzernmuttergesellschaft und der Erwerber eine Tochtergesellschaft ist. Denn auch und gerade in solchen Fällen sollten die betroffenen Arbeitnehmer gemäß Art.3 Abs.1 Satz 1 der Richtlinie 2001/23/EG geschützt werden.
Das EuGH-Urteil bestätigt, dass die Richtlinie 2001/23/EG keine Grundlage für die Möglichkeit eines Widerspruchs der Arbeitnehmer gegen die Überleitung ihrer Arbeitsverhältnisse auf den Betriebserwerber enthält. Die nach deutschen Recht bestehende Widerspruchsmöglichkeit (§ 613a Abs.6 BGB) geht daher über die Vorgaben des EU-Rechts hinaus.
Und sogar dort, wo § 613a BGB nicht gilt wie bei gesetzlichen Überleitungen von Arbeitsverhältnissen, lässt sich dem deutschen Verfassungsrecht ein Vetorecht der Arbeitnehmer gegenüber einem ihnen aufgezwungenen Arbeitgeberwechsel entnehmen, wie das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vor einigen Jahren entschieden hat (BVerfG, Beschluss vom 25.01.2011, 1 BvR 1741/09 - wir berichteten darüber in Arbeitsrecht aktuell: 11/108 Bundesverfassungsgericht: Widerspruchsrecht auch bei Privatisierung aufgrund Gesetzes).
Fazit: Hätte sich der italienische Vorlagefall in Deutschland abgespielt, hätten die betroffenen Arbeitnehmer einfach der Überleitung ihrer Arbeitsverhältnisse auf die Tochtergesellschaft widersprechen können und wären dadurch bei ihrem bisherigen Arbeitgeber, der Muttergesellschaft geblieben.
Trotz des Widerspruchsrechts lohnt es sich aus Arbeitnehmersicht, das Vorliegen eines vom Arbeitgeber behaupteten Betriebsübergangs anwaltlich überprüfen zu lassen, wenn man mit ihm nicht einverstanden ist. Denn wenn gar kein übergangsfähiger Betrieb oder Betriebsteil existiert, ist § 613a Abs.1 BGB nicht anwendbar, und dann muss ein Widerspruch gegen die arbeitgeberseitig behauptete Überleitung des Arbeitsverhältnisses nur vorsorglich erklärt werden. Das stärkt die Verhandlungsposition des Arbeitnehmers, wenn der Arbeitgeber im weiteren Verlauf eine betriebsbedingte Kündigung ausspricht, weil er infolge eines - angeblichen - Betriebsübergangs keine Beschäftigungsmöglichkeiten mehr sieht.
Nähere Informationen zu diesem Thema finden Sie hier:
- Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 06.03.2014, C-458/12 (Amatori gg. Telecom Italia)
- Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 12.02.2009, Rs. C-466/07 (Klarenberg gegen Ferrotron)
- Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 25.01.2011, 1 BvR 1741/09
- Handbuch Arbeitsrecht: Betriebsübergang
- Arbeitsrecht aktuell: 19/192 Betriebsübergang zwecks Liquidation
- Arbeitsrecht aktuell: 18/025 Betriebsübergang als Täuschungsmanöver
- Arbeitsrecht aktuell: 16/277 Betriebsübergang und materielle Betriebsmittel
- Arbeitsrecht aktuell: 16/245 Betriebsübergang und Betriebsführungsvertrag
- Arbeitsrecht aktuell: 14/109 Betriebsübergang und Leiharbeit
- Arbeitsrecht aktuell: 13/282 Betriebsübergang im öffentlichen Dienst
- Arbeitsrecht aktuell: 12/357 Betriebsübergang durch Grundstückskauf?
- Arbeitsrecht aktuell: 12/190 Betriebsübergang bei Rettungszweckverband
- Arbeitsrecht aktuell: 11/202 Betriebsteilübergang - BAG entscheidet Klarenberg-Fall pro Arbeitgeber
- Arbeitsrecht aktuell: 11/108 Bundesverfassungsgericht: Widerspruchsrecht auch bei Privatisierung aufgrund Gesetzes
- Arbeitsrecht aktuell: 09/140 Betriebsübergang auch bei schwierigeren Arbeitsaufgaben
- Arbeitsrecht aktuell: 09/034 Betriebsteilübergang auch bei Verlust der organisatorischen Selbständigkeit
- Arbeitsrecht aktuell: 08/135 Betriebsteilübergang auch ohne Wahrung der organisatorischen Selbständigkeit
Letzte Überarbeitung: 2. September 2019
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