HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

ARBEITSRECHT AKTUELL // 16/245

Be­triebs­über­gang und Be­triebs­füh­rungs­ver­trag

Han­delt ei­ne Be­triebs­füh­rungs­ge­sell­schaft im Na­men und für Rech­nung der Trä­ger­ge­sell­schaft, liegt kein Be­triebs­über­gang vor: Lan­des­ar­beits­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg, Ur­teil vom 11.05.2016, 15 Sa 108/16
Polier mit Bauarbeitern

03.08.2016. Wer ei­nen Pro­duk­ti­ons­be­trieb über­nimmt und da­mit ge­mäß § 613a Bür­ger­li­ches Ge­setz­buch (BGB) neu­er Ar­beit­ge­ber der im Be­trieb be­schäf­tig­ten Ar­beit­neh­mer wird, muss vor­han­de­ne Be­triebs­mit­tel und ge­werb­li­che Rech­te nicht un­be­dingt kau­fen.

Viel­mehr ge­nügt es, wenn er den Be­trieb pach­tet, wie das z.B. im Ho­tel­ge­wer­be und in der Gas­tro­no­mie oft vor­kommt.

Hat der "Er­wer­ber" mit dem "Ver­äu­ße­rer" aber nur ei­nen Be­triebs­füh­rungs­ver­trag ge­schlos­sen und sich dar­in ver­pflich­tet, den Be­trieb im Na­men und auf Rech­nung des "Ver­äu­ße­rers" zu füh­ren, stellt ei­ne sol­che Lohn­fer­ti­gung kei­nen Be­triebs­über­gang dar. Die Ar­beit­neh­mer ge­hen dann nicht auf die Be­triebs­füh­rungs­ge­sell­schaft über: Lan­des­ar­beits­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg, Ur­teil vom 11.05.2016, 15 Sa 108/16.

Be­triebsüber­gang auf ei­ne Be­triebsführungs­ge­sell­schaft, die die Geschäfte im Na­men und auf Rech­nung des bis­he­ri­gen In­ha­bers führt?

Geht ein Be­trieb oder Be­triebs­teil durch Ver­trag auf ei­nen an­de­ren In­ha­ber über, so tritt die­ser gemäß § 613a Abs.1 Satz 1 BGB in die Rech­te und Pflich­ten aus den im Zeit­punkt des Über­gangs be­ste­hen­den Ar­beits­verhält­nis­sen ein. Der Er­wer­ber wird au­to­ma­tisch, d.h. kraft Ge­set­zes, Ar­beit­ge­ber der im Be­trieb beschäftig­ten Ar­beit­neh­mer.

Da die­se recht­li­che Re­ge­lung zum Schutz der be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer zwin­gend ist, d.h. ver­trag­lich nicht ab­geändert wer­den kann, be­steht oft Streit darüber, ob die ge­setz­li­chen Vor­aus­set­zun­gen ei­nes sol­chen Be­triebsüber­gangs ge­ge­ben sind oder nicht. Lei­der de­fi­niert das Ge­setz nicht, was un­ter ei­nem Be­triebsüber­gang zu ver­ste­hen ist.

Die Ar­beits­ge­rich­te prüfen da­her nach ent­spre­chen­den Vor­ga­ben des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs (EuGH), ob es im Ein­zel­fall ei­ne „wirt­schaft­li­che Ein­heit“ gab und ob die­se Ein­heit un­ter Bei­be­hal­tung ih­rer "Iden­tität" vom al­ten auf den neu­en In­ha­ber über­ge­gan­gen ist. Wich­tig sind da­bei fol­gen­de Umstände, die den Cha­rak­ter des Be­triebs und des mögli­chen Über­gangs aus­ma­chen:

  1. Art des Be­trie­bes: pro­duk­ti­ons­mit­tel­ge­prägter Be­trieb oder Dienst­leis­tungs­be­trieb?
  2. Wert und Über­tra­gung ma­te­ri­el­ler Be­triebs­mit­tel wie Gebäude und/oder be­weg­li­che Güter?
  3. Wert und Über­tra­gung im­ma­te­ri­el­ler Vermögens­ge­genstände?
  4. Über­nah­me der Haupt­be­leg­schaft?
  5. Über­nah­me der Kund­schaft und Fort­set­zung der Kun­den­be­zie­hun­gen?
  6. Ähn­lich­keit zwi­schen den vor und nach dem (mögli­chen) Über­gang im Be­trieb ver­rich­te­ten Tätig­kei­ten?
  7. Kur­ze oder länge­re Dau­er ei­ner Un­ter­bre­chung die­ser Tätig­kei­ten?

Hin­ter die­ser Check­lis­te steht letzt­lich die Fra­ge, ob der (mögli­che) Er­wer­ber die wirt­schaft­li­chen Früch­te sei­nes Vorgängers wei­ter ern­ten kann (und da­her nach dem Ge­setz auch des­sen Ar­beit­neh­mer wei­ter be­zah­len muss). Da­durch soll ver­mie­den wer­den, dass sich Be­triebs­er­wer­ber nur die wirt­schaft­lich in­ter­es­san­ten Ro­si­nen ei­nes Be­triebs her­aus­pi­cken.

Die ge­setz­li­che Über­lei­tung von Ar­beits­verhält­nis­sen gemäß § 613a Abs.1 Satz 1 BGB kann sich aber auch zu Un­guns­ten der Ar­beit­neh­mer aus­wir­ken, nämlich dann, wenn sie statt ih­res bis­he­ri­gen fi­nanz­star­ken Ar­beit­ge­bers ei­nen win­di­gen Papp­ka­me­ra­den als Ar­beit­ge­ber vor­ge­setzt be­kom­men, der nur des­halb als Be­triebs­er­wer­ber in Er­schei­nung tritt, um den Be­trieb möglichst rasch nach des­sen Über­gang ab­zu­wi­ckeln, und zwar "kostengüns­tig".

An­halts­punk­te für ei­ne sol­che Stra­te­gie be­ste­hen dann, wenn ein Schwes­ter- oder Toch­ter­un­ter­neh­men des bis­he­ri­gen Ar­beit­ge­bers als (an­geb­li­cher) Be­triebs­er­wer­ber auf­tritt, da­bei aber im Na­men und auf Rech­nung des bis­he­ri­gen Ar­beit­ge­bers den Be­trieb "führt". Bei ei­nem sol­chen Be­triebsführungs­ver­trag kann man be­zwei­feln, ob der "Be­triebs­er­wer­ber" über­haupt In­ha­ber des Be­triebs ge­wor­den ist. Falls nicht, liegt kein Be­triebsüber­gang vor.

Über ei­nen sol­chen Fall hat­te vor kur­zem das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Ber­lin-Bran­den­burg zu ent­schei­den: LAG Ber­lin-Bran­den­burg, Ur­teil vom 11.05.2016, 15 Sa 108/16.

Der Streit­fall: Be­triebsführungs­ge­sell­schaft über­nimmt die Ar­beit­ge­ber­stel­lung un­ter Be­ru­fung auf § 613a BGB, wird aber im Na­men der In­ha­ber­ge­sell­schaft tätig

Ein Her­stel­ler von Fens­terbänken und Türen mit drei Stand­or­ten in Deutsch­land hat­te im März 2011 die Führung sei­ner drei Be­trie­be auf ei­ne Schwes­ter­ge­sell­schaft über­tra­gen, da­bei aber sämt­li­che Im­mo­bi­li­en, Pro­duk­ti­ons­mit­tel und Pa­ten­te be­hal­ten. Die Auf­ga­be der Schwes­ter­ge­sell­schaft be­stand gemäß ei­nem Be­triebsführungs­ver­trag im We­sent­li­chen dar­in, ge­gen ge­ringfügi­ge Be­zah­lung die Ar­beits­verhält­nis­se fort­zuführen. Im Übri­gen muss­te die Schwes­ter- bzw. Be­triebsführungs­ge­sell­schaft al­le Geschäfte im Na­men und auf Rech­nung der In­ha­ber­ge­sell­schaft führen.

Kurz nach­dem den Ar­beit­neh­mern, un­ter an­de­rem am Stand­ort Ber­lin, der (an­geb­li­che) Über­gang ih­rer Ar­beits­verhält­nis­se auf die Be­triebsführungs­ge­sell­schaft verkündet wor­den war, ge­riet die­se in wirt­schaft­li­che Schwie­rig­kei­ten und be­schloss nach vorüber­ge­hen­der Un­ter­schrei­tung von Ta­rif­loh­nerhöhun­gen und Kurz­ar­beit die Sch­ließung al­ler drei Stand­or­te. Die Kündi­gungs­schutz­kla­gen der be­trof­fe­nen Ber­li­ner Ar­beit­neh­mer hat­ten kei­nen Er­folg.

Nach­dem sich der Rauch der ju­ris­ti­schen Schlacht­getümmels ver­zo­gen hat­te, stell­ten die ver­dutz­ten Ber­li­ner Ar­beit­neh­mer im Som­mer 2015 fest, dass die Pro­duk­ti­on von Fens­terbänken und Türen an den an­de­ren bei­den Stand­or­ten wei­ter be­trie­ben wur­de, und zwar im Na­men ih­res ursprüng­li­chen Ar­beit­ge­bers.

Dar­auf­hin tra­ten ei­ni­ge der Be­trof­fe­nen, un­ter ih­nen ein seit 1980 beschäftig­ter Be­triebs­elek­tri­ker und Be­triebs­rats­mit­glied, an ih­ren ursprüng­li­chen Ar­beit­ge­ber her­an und for­der­ten ihn auf, das Fort­be­ste­hen ih­rer Ar­beits­verhält­nis­se zu bestäti­gen.

Der Ar­beit­ge­ber re­agier­te nervös und er­hob ei­ne ne­ga­ti­ve Fest­stel­lungs­kla­ge, d.h. er be­gehr­te die ge­richt­li­che Fest­stel­lung, dass zwi­schen ihm und dem Be­triebs­elek­tri­ker seit En­de März 2011 kein Ar­beits­verhält­nis mehr be­stand bzw. be­steht. Das Ar­beits­ge­richt Ber­lin gab der Kla­ge statt (Ur­teil vom 18.11.2015, 39 Ca 8638/15). 

LAG Ber­lin-Bran­den­burg: Han­delt ei­ne Be­triebsführungs­ge­sell­schaft im Na­men und für Rech­nung der Träger­ge­sell­schaft, liegt kein Be­triebsüber­gang vor

Vor dem LAG zog der Ar­beit­ge­ber den Kürze­ren, d.h. das LAG wies die Kla­ge ab. Be­gründung des Ge­richts: Der an­geb­li­che Be­triebsüber­gang per En­de März 2011 war gar kei­ner, denn der an­geb­li­che Be­triebs­er­wer­ber war nie In­ha­ber des Be­triebs ge­wor­den.

Denn weil die Be­triebsführungs­ge­sell­schaft hier gemäß dem Be­triebsführungs­ver­trag nach außen ge­genüber Kun­den und Lie­fe­ran­ten nicht als Be­triebs­in­ha­ber auf­trat, son­dern im Na­men und auf Rech­nung der In­ha­ber­ge­sell­schaft bzw. des ursprüng­li­chen In­ha­bers, hat­te die­ser sei­ne In­ha­ber­stel­lung nie auf­ge­ge­ben. Ein Wech­sel in der Per­son des Be­triebs­in­ha­bers hat­te nicht statt­ge­fun­den, so das LAG.

Die wirt­schaft­li­che Ziel­set­zung ei­nes sol­chen Ver­wirr­spiels kom­men­tie­ren die Ber­li­ner Rich­ter zu­recht mit deut­li­chen Wor­ten. Die Re­ge­lun­gen zum Be­triebsüber­gang, so das Ge­richt, "sind nicht da­zu da, den Ar­beit­neh­mern ei­nen neu­en, möglichst >ar­men< Ver­trags­part­ner zu­zu­wei­sen".

Das LAG hat die Re­vi­si­on zum Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) zu­ge­las­sen. Es ist aber un­wahr­schein­lich, dass das BAG den Fall ei­nes Be­triebsführungs­ver­trags, bei wel­chem die Be­triebsführungs­ge­sell­schaft im Na­men und auf Rech­nung der In­ha­ber­ge­sell­schaft auf­tritt, an­ders be­ur­teilt.

Fa­zit: Tritt ei­ne Be­triebsführungs­ge­sell­schaft gar nicht als Be­triebs­in­ha­ber auf, kann ein Be­triebsführungs­ver­trag kei­ne Grund­la­ge für ei­nen Be­triebsüber­gang sein. An­ders ist es dann, wenn der Be­triebsführungs­ver­trag die Be­triebsführungs­ge­sell­schaft da­zu ermäch­tigt, den Be­trieb im ei­ge­nen Na­men zu führen.

Dann al­ler­dings müssen die be­tei­lig­ten Ar­beit­ge­ber die Ar­beit­neh­mer dar­auf hin­wei­sen, dass sie künf­tig für ei­nen "Ha­be­nichts" ar­bei­ten sol­len, der in wirt­schaft­li­cher Abhängig­keit von der In­ha­ber­ge­sell­schaft letzt­lich nur Ma­nage­ment­auf­ga­ben wahr­nimmt. Ar­beit­neh­mern ist in ei­nem sol­chen Fall da­zu zu ra­ten, zu­sam­men mit ei­nem An­walt oder ei­nem ge­werk­schaft­li­chen Rechts­se­kretär zu über­le­gen, ob sie dem Über­gang ih­rer Ar­beits­verhält­nis­se gemäß § 613a Abs.6 BGB wi­der­spre­chen soll­ten.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) über den Fall ent­schie­den und das Ur­teil des LAG Ber­lin-Bran­den­burg bestätigt. Nähe­re In­for­ma­tio­nen zu dem BAG-Ur­teil fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 2. September 2019

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de

Bewertung:

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 

Für Personaler, betriebliche Arbeitnehmervertretungen und andere Arbeitsrechtsprofis: "Update Arbeitsrecht" bringt Sie regelmäßig auf den neusten Stand der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung. Informationen zu den Abo-Bedingungen und ein kostenloses Ansichtsexemplar finden Sie hier:

Alle vierzehn Tage alles Wichtige
verständlich / aktuell / praxisnah

HINWEIS: Sämtliche Texte dieser Internetpräsenz mit Ausnahme der Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen sind urheberrechtlich geschützt. Urheber im Sinne des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Martin Hensche, Lützowstraße 32, 10785 Berlin.

Wörtliche oder sinngemäße Zitate sind nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Urhebers bzw. bei ausdrücklichem Hinweis auf die fremde Urheberschaft (Quellenangabe iSv. § 63 UrhG) rechtlich zulässig. Verstöße hiergegen werden gerichtlich verfolgt.

© 1997 - 2024:
Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Berlin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Lützowstraße 32, 10785 Berlin
Telefon: 030 - 26 39 62 0
Telefax: 030 - 26 39 62 499
E-mail: hensche@hensche.de