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ARBEITSRECHT AKTUELL // 12/104

Streik­recht für Be­am­te?

Streik be­am­te­ter Leh­rer recht­fer­tigt Dis­zi­pli­nar­stra­fe: Ober­ver­wal­tungs­ge­richt des Lan­des Nord­rhein-West­fa­len, Ur­teil vom 07.03.2012, 3d A 317/11.O
Feuerwehrmann Polizist Arzt

08.03.2012. Art. 9 Abs. 3 Satz 1 Grund­ge­setz (GG) er­laubt es al­len Deut­schen, Ge­werk­schaf­ten und Ar­beit­ge­ber­ver­ei­ni­gun­gen bil­den, um ih­re wirt­schaft­li­chen In­ter­es­sen zu wah­ren. Da­zu ge­hört die Frei­heit, Ta­rif­ver­trä­ge ab­zu­schlie­ßen, und auch das Recht zum Streik, da das Ta­rif­ver­trgs­sys­tem oh­ne Streiks und das Streik­recht nicht funk­tio­nie­ren wür­de.

Das gilt aber nicht für Be­am­te: Denn de­ren Ar­beits­be­din­gun­gen und Be­zü­ge wer­den nicht per Ta­rif­ver­trag, son­dern durch Ge­set­ze ge­re­gelt, und da­her ha­ben Be­am­te nach deut­schem Ver­fas­sungs­recht kein Streik­recht. Da­her gilt: Wer als Be­am­ter streikt, be­geht da­her ein Dienst­ver­ge­hen und muss mit ei­ner Dis­zi­pli­nar­stra­fe rech­nen.

Die­se Rechts­la­ge ist aber seit ei­ni­ger Zeit in der ju­ris­ti­schen und po­li­ti­schen Dis­kus­si­on: Denn die Eu­ro­päi­sche Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on (EM­RK) er­laubt Streik­ver­bo­te nur für ei­nen klei­nen Teil der Staats­be­diens­te­ten, auf die sich der Staat im­mer und un­be­dingt ver­las­sen kön­nen muss, näm­lich für Streit­kräf­te, für die Po­li­zei und für die Si­cher­heits­ver­wal­tung.Ein Streik­ver­bot für an­de­re Be­am­te, so z.B. für Leh­rer, ist mit Art.11 EM­RK da­ge­gen nicht zu ver­ein­ba­ren.

Das Ver­wal­tungs­ge­richt (VG) Düs­sel­dorf hat­te da­her im De­zem­ber 2010 ent­schie­den, dass ei­ner be­am­te­ten Leh­re­rin we­gen der Teil­nah­me an ei­nem Streik kei­ne Dis­zi­pli­nar­stra­fe auf­er­legt wer­den darf (VG Düs­sel­dorf, Ur­teil vom 15.12.2010, 31 K 3904/10.O - wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell 11/110: Streik be­am­te­ter Leh­rer recht­fer­tigt kei­ne Dis­zi­pli­nar­stra­fe).

Im Streit­fall hat­te ei­ne ver­be­am­te­te Leh­re­rin An­fang 2009 an drei Ta­gen an Warn­streiks teil­ge­nom­men, zu de­nen die Ge­werk­schaft Er­zie­hung und Wis­sen­schaft (GEW) auf­ge­ru­fen hat­te. Da die Leh­re­rin in­fol­ge der Streik­teil­nah­me an die­sen drei Ta­gen kei­nen Un­ter­richt er­teilt hat­te, er­leg­te ihr Dienst­herr ihr im Rah­men ei­nes Dis­zi­pli­nar­ver­fah­rens ei­ne Geld­bu­ße von 1.500,00 EUR auf, ge­gen die sich die Be­am­tin wehr­te. Das VG Düs­sel­dorf ur­teil­te, dass der Dienst­herr zwar an das dem GG zu ent­neh­men­de Be­am­ten­streik­ver­bot ge­bun­den ist, da­ne­ben aber die EM­RK mit ih­rer wei­ter­ge­hen­den Streik­ga­ran­tie be­ach­ten muss. Da­her mein­te das VG Düs­sel­dorf, dass Be­am­te zwar nicht strei­ken dürf­ten, dass aber an­de­rer­seits der Dienst­herr strei­ken­de Leh­rer nicht mit ei­ner Dis­zi­pli­nar­stra­fen be­le­gen darf.

Das sah der Dis­zi­pli­nar­se­nat des Ober­ver­wal­tungs­ge­richts (OVG) des Lan­des Nord­rhein-West­fa­len (NRW) in ei­nem ges­tern ver­kün­de­ten Ur­teil an­ders und hob das Ur­teil des VG Düs­sel­dorf vom 15.12.2010 wie­der auf (OVG NRW, Ur­teil vom 07.03.2012, 3d A 317/11.O). Da­mit hat­te Be­ru­fung des Dienst­herrn ge­gen das Ur­teil des VG Düs­sel­dorf Er­folg. Zur Be­grün­dung führ­te das Ge­richt in der münd­li­chen Ur­teils­be­grün­dung aus:

Aus der EM­RK und der Recht­spre­chung des Eu­ro­päi­schen Ge­richts­hofs für Men­schen­rech­te (EGMR) lässt sich ein Streik­recht für deut­sche Be­am­te nicht ab­lei­ten. Dar­über hin­aus kommt der EM­RK im deut­schen Recht kei­ne über den Rang ei­nes ein­fa­chen Bun­des­ge­set­zes hin­aus­ge­hen­de Wir­kung zu, so dass sich die EM­RK an dem hö­her­ran­gi­gen Grund­ge­setz mes­sen las­sen muss, so das Ge­richt.

Die in Art. 11 EM­RK und in Art. 9 Abs. 3 GG ge­re­gel­te Ko­ali­ti­ons­frei­heit wird durch die in Art. 33 Abs. 5 GG ver­an­ker­ten her­ge­brach­ten Grund­sät­ze des Be­rufs­be­am­ten­tums ein­ge­schränkt, so dass deut­sche Be­am­te auf­grund ih­rer Treue­pflicht ge­gen­über ih­rem Dienst­herrn "und vor dem Hin­ter­grund der Er­hal­tung der Funk­ti­ons­fä­hig­keit staat­li­chen Han­delns" nach An­sicht des OVG kein Streik­recht ha­ben. Die­ses Streik­ver­bot gilt, so das Ge­richt, un­ab­hän­gig da­von, wel­che kon­kre­te Funk­ti­on der ein­zel­ne Be­am­te aus­übe, denn al­lein der Sta­tus als Be­am­ter ist ent­schei­dend.

Das OVG hat die Re­vi­si­on zum Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt (BVerwG) nicht zu­ge­las­sen. Da­ge­gen ist Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de mög­lich, über die das BVerwG ent­schei­den müss­te.

Fa­zit: Auch Leh­rer und an­de­re Be­am­te, die kei­ne ho­heit­li­chen Be­fug­nis­se im en­ge­ren Sin­ne aus­üben, dür­fen nicht strei­ken. Das ist mehr oder we­ni­ger un­strei­tig. Frag­lich und recht­lich um­strit­ten ist da­ge­gen, ob sol­che Be­am­te für den Fall ei­ner - recht­lich ver­bo­te­nen - Streik­teil­nah­me vor Dis­zi­pli­nar­stra­fen durch Art.11 EM­RK ge­schützt sind. Setzt sich die An­sicht des OVG NRW durch, müs­sen strei­ken­de Leh­rer mit Dis­zi­pli­nar­maß­nah­men rech­nen.

Nä­he­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das Ge­richt sei­ne Ent­schei­dungs­grün­de schrift­lich ab­ge­fasst und ver­öf­fent­licht. Die Ent­schei­dungs­grün­de im Voll­text fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit hat das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt (BVerwG) die Re­vi­si­on zu­ge­las­sen und das Ur­teil des Ober­ver­wal­tungs­ge­richts (OVG) ab­ge­seg­net, gleich­zei­tig aber ei­ne ge­setz­li­che Re­ge­lung des Be­am­ten­streik­rechts an­ge­mahnt, weil das ge­ne­rel­le Streik­ver­bot für deut­sche Be­am­te mit der EM­RK und den Vor­ga­ben des EGMR nicht ver­ein­bar ist. In­for­ma­tio­nen zu dem Ur­teil des BVerwG fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 27. März 2020

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