HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

ARBEITSRECHT AKTUELL // 15/006

Ta­rif­ein­heit und Streik­recht

Kein ge­richt­li­cher Stopp des Lok­füh­rer­streiks oh­ne ge­setz­li­che Re­ge­lung der Ta­rif­ein­heit: Hes­si­sches Lan­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 07.11.2014, 9 Sa­Ga 1496/14
Lokführer mit Lok Al­le Rä­der ste­hen still, wenn die GDL es will?

05.01.2015. An­fang No­vem­ber 2014 ent­schied das Hes­si­sches Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG), dass die Ge­werk­schaft Deut­scher Lo­ko­mo­tiv­füh­rer (GDL) Be­trie­be des Deut­sche-Bahn-Kon­zerns be­strei­ken darf.

Da­bei ging es um ei­nen von der GDL an­ge­kün­dig­ten fünf­tä­gi­gen Streik, den sie dann aber selbst vor­zei­tig stopp­te bzw. nicht wei­ter durch­führ­te, nach­dem sie vor dem LAG ge­won­nen hat­te.

Mitt­ler­wei­le lie­gen die Ur­teils­grün­de vor. Sie wer­den im fol­gen­den kurz be­spro­chen: Hes­si­sches LAG, Ur­teil vom 07.11.2014, 9 Sa­Ga 1496/14.

Müssen die Ge­rich­te Streiks klei­ner Ge­werk­schaf­ten schärfer kon­trol­lie­ren, nach­dem das BAG den Grund­satz der Ta­rif­ein­heit im Jah­re 2010 auf­ge­ge­ben hat?

Der Grund­satz der Ta­rif­ein­heit be­sagt, dass nur die Ta­rif­verträge ei­ner Ge­werk­schaft auf al­le Ar­beit­neh­mer ei­nes Be­triebs an­ge­wandt wer­den, auch wenn ei­ni­ge Ar­beit­neh­mer des Be­triebs in an­de­ren Ge­werk­schaf­ten or­ga­ni­siert sind. De­ren Ta­rif­verträge wer­den da­her durch den Grund­satz der Ta­rif­ein­heit ver­drängt, d.h. sie kom­men nicht zu An­wen­dung, ob­wohl sie ei­gent­lich gemäß § 4 Abs.1 Ta­rif­ver­trags­ge­setz (TVG) an­ge­wen­det wer­den müss­ten.

Nach der frühe­ren Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts (BAG), die das BAG im Jah­re 2010 auf­ge­ge­ben hat (wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 10/134 Ab­schied vom Grund­satz der Ta­rif­ein­heit), setz­te sich da­bei der­je­ni­ge Ta­rif­ver­trag durch, der die für den Be­trieb spe­zi­ells­ten, d.h. sach­lich am bes­ten pas­sen­den Re­ge­lun­gen be­reit hält. Und sol­che Ta­rif­verträge konn­ten in­fol­ge ih­rer langjähri­gen er­folg­rei­chen Ta­rif­pra­xis meist die großen mit­glie­der­star­ken Ge­werk­schaf­ten vor­wei­sen, die im Deut­schen Ge­werk­schafts­bund (DGB) zu­sam­men­ge­schlos­sen sind.

Der­zeit möch­te die SPD-Ar­beits­mi­nis­te­rin Nah­les den Grund­satz der Ta­rif­ein­heit per Ge­setz fest­schrei­ben und da­mit die Ände­rung der BAG-Recht­spre­chung rückgängig ma­chen (wir be­rich­te­ten u.a. in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 14/232 Eck­punk­te zur Ta­rif­ein­heit und Streik­recht). Bis ein sol­ches Ge­setz al­ler­dings ver­ab­schie­det ist, wird aber noch ei­ni­ge Zeit ver­ge­hen. Und bis da­hin gilt der Grund­satz der Ta­rif­ein­heit je­den­falls nicht.

Vor die­sem Hin­ter­grund fragt sich, ob die Ar­beits­ge­rich­te nicht die Streiks klei­ne­rer Ge­werk­schaf­ten, die durch die Recht­spre­chungsände­rung des BAG Rücken­wind er­hal­ten ha­ben, ge­nau­er über­prüfen müss­ten. Ar­beit­ge­ber­ju­ris­ten ar­gu­men­tie­ren hier, dass Ar­beit­ge­ber seit 2010 stärker in die Streik­zan­ge ge­nom­men wer­den können, so dass die sog. "Kampf­pa­rität" zu­las­ten der Ar­beit­ge­ber­sei­te und zu­guns­ten klei­ne­rer Ge­werk­schaf­ten ver­scho­ben bzw. gestört sei.

Im Streit: An­dro­hung ei­nes fünftäti­gen Streiks durch die GDL An­fang No­vem­ber 2014

Nach­dem die GDL an­gekündigt hat­te, vom 05.11.2014 um 15:00 Uhr (Mitt­woch) bis zum 10.11.2014 frühmor­gens (Mon­tag) zu strei­ken, zo­gen fünf Un­ter­neh­men des Deut­sche-Bahn-Kon­zerns am 06.11.2014 (Don­ners­tag) vor das Ar­beits­ge­richt Frank­furt am Main und be­an­trag­ten, der GDL den Streik durch ei­ne ge­richt­li­che Eil­ent­schei­dung ver­bie­ten zu las­sen.

Da­bei ar­gu­men­tier­ten sie, die GDL ver­s­toße ge­gen die Frie­dens­pflicht, die sich aus ei­nem - al­ler­dings von der kon­kur­rie­ren­den Ei­sen­bahn- und Ver­kehrs­ge­werk­schaft (EVG) ver­ein­bar­ten - Ta­rif­ver­trag er­ge­ben soll­te.

Außer­dem sei der Streik we­gen er­heb­li­cher wirt­schaft­li­cher Schäden un­verhält­nismäßig.

Drit­tens müss­ten die Ge­rich­te seit der Ab­kehr des BAG vom Grund­satz der Ta­rif­ein­heit ge­ne­rell stren­ge­re An­for­de­run­gen an die Rechtmäßig­keit von Streiks klei­ne­rer Ge­werk­schaf­ten stel­len, denn die aus Ta­rif­verträgen sich er­ge­ben­de Frie­dens­pflicht schütze die Ar­beit­ge­ber nicht mehr so wie früher, da je­de Ge­werk­schaft nur an die Frie­dens­pflicht ge­bun­den sei, die sich aus ih­ren ei­ge­nen Ta­rif­verträgen er­ge­be.

Das Ar­beits­ge­richt Frank­furt wies den Eil­an­trag noch am sel­ben Tag nach münd­li­cher Ver­hand­lung zurück, das Ur­teil wur­de nach 23:00 Uhr verkündet.

Hes­si­sches LAG : Kein ge­richt­li­cher Stopp des Lokführer­streiks oh­ne ge­setz­li­che Re­ge­lung der Ta­rif­ein­heit

Sa­ge ei­ner, die Jus­tiz ar­bei­te lang­sam: Noch am fol­gen­den Frei­tag, dem 07.11.2014, ver­han­del­te das LAG über die in­zwi­schen von den Bahn­un­ter­neh­men ein­ge­leg­te Be­ru­fung und wies die­se durch Ur­teil vom sel­ben Tag zurück (Hes­si­sches LAG, Ur­teil vom 07.11.2014, 9 Sa­Ga 1496/14). Denn von den Ar­gu­men­ten der be­streik­ten Bahn­un­ter­neh­men ließ sich das LAG nicht über­zeu­gen.

Die GDL hat­te mit ih­rem Streik nicht ge­gen die aus ei­nem EVG-Ta­rif­ver­trag fol­gen­de Frie­dens­pflicht ver­s­toßen, so das LAG, denn die­ser von den Bahn­un­ter­neh­men her­an­ge­zo­ge­ne Ta­rif­ver­trag war nur ein Rah­men- oder Grund­la­gen­ta­rif­ver­trag, d.h. er war dar­auf hin an­ge­legt, durch wei­te­re Ta­rif­verträge kon­kre­ti­siert zu wer­den. Außer­dem war die GDL nicht an die Frie­dens­pflicht aus die­sem Ta­rif­ver­trag ge­bun­den, weil nicht sie, son­dern die EVG ihn ab­ge­schlos­sen hat­te.

Der Streik war nach An­sicht des LAG auch nicht we­gen an­geb­lich hor­ren­der wirt­schaft­li­cher Schäden un­verhält­nismäßig. Die Bahn­un­ter­neh­men hat­ten hier zwar die Zahl von 100 Mio. Eu­ro in den Raum ge­stellt, doch das LAG wies dar­auf hin, dass der Streik ja von vorn­her­ein auf ei­ni­ge Ta­ge be­grenzt und an­gekündigt wor­den war, so dass sich die Bahn­un­ter­neh­men dar­auf hätten ein­stel­len können.

Sch­ließlich mein­te das LAG, die von der Ar­beit­ge­ber­sei­te ge­for­der­te Be­gren­zung des Streik­rechts klei­ner Ge­werk­schaf­ten könn­te nicht durch rich­ter­li­che Rechts­fort­bil­dung ge­schaf­fen wer­den. Nach­dem das BAG den Grund­satz der Ta­rif­ein­heit auf­ge­ge­ben hat, ist es recht­lich zulässig, dass meh­re­re Ge­werk­schaf­ten in ei­nem ge­werk­schafts­plu­ra­len Be­trieb Ta­rif­for­de­run­gen für die­sel­be Be­rufs­grup­pe er­he­ben und dafür auch strei­ken, so das LAG.

Fa­zit: Das LAG hat sich zu­recht dem An­sin­nen der Bahn­un­ter­neh­men ver­wei­gert, den GDL-Streik zu stop­pen. Der Streik stieß zwar in der Öffent­lich­keit viel­fach auf Un­verständ­nis oder so­gar auf Ab­leh­nung, da die GDL nicht in ers­ter Li­nie für fünf Pro­zent mehr Lohn streik­te, son­dern vor al­lem für ihr or­ga­ni­sa­ti­ons­po­li­ti­sches Ziel, auch das Zug­per­so­nal und die Ran­gierführer zu ver­tre­ten. Auch mit sol­chen Streiks ma­chen die strei­ken­den Ge­werk­schaf­ten und Ar­beit­neh­mer aber von ih­rem Ko­ali­ti­ons­grund­recht (Art.9 Abs.3 Grund­ge­setz - GG) Ge­brauch.

Würden die Ar­beits­ge­rich­te Streiks im­mer schon dann per einst­wei­li­ger Verfügung stop­pen, wenn der be­streik­te Ar­beit­ge­ber vor Ge­richt et­was von an­geb­lich hor­ren­den Schäden mur­melt, wäre das Grund­recht auf Streik nichts mehr wert.

Kri­tisch ist al­len­falls an­zu­mer­ken, dass das Streik­recht der GDL be­reits lan­ge vor Auf­ga­be des Ta­rif­ein­heits­grund­sat­zes durch das BAG in der Recht­spre­chung an­er­kannt war. Denn der Grund­satz der Ta­rif­ein­heit setzt kon­kur­rie­ren­de (ech­te) Ta­rif­verträge ver­schie­de­ner Ge­werk­schaf­ten vor­aus und da­mit das Streik­recht die­ser Ge­werk­schaf­ten. Da­her hat­te das Säch­si­sche LAG be­reits 2007 ent­schie­den, dass die GDL zu Lokführer­streiks im Güter­ver­kehr und im Per­so­nen­fern­ver­kehr auf­ru­fen darf, ob­wohl die be­streik­ten Bahn­un­ter­neh­men da­mals wie heu­te der Mei­nung wa­ren, die GDL-Streiks sei­en un­verhält­nismäßig (Säch­si­sches LAG, Ur­teil vom 02.11.2007, 7 Sa­Ga 19/07, wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 07/76 Lokführer dürfen im Güter­ver­kehr und im Per­so­nen­fern­ver­kehr strei­ken).

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 30. Oktober 2020

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de

Bewertung:

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 

Für Personaler, betriebliche Arbeitnehmervertretungen und andere Arbeitsrechtsprofis: "Update Arbeitsrecht" bringt Sie regelmäßig auf den neusten Stand der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung. Informationen zu den Abo-Bedingungen und ein kostenloses Ansichtsexemplar finden Sie hier:

Alle vierzehn Tage alles Wichtige
verständlich / aktuell / praxisnah

HINWEIS: Sämtliche Texte dieser Internetpräsenz mit Ausnahme der Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen sind urheberrechtlich geschützt. Urheber im Sinne des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Martin Hensche, Lützowstraße 32, 10785 Berlin.

Wörtliche oder sinngemäße Zitate sind nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Urhebers bzw. bei ausdrücklichem Hinweis auf die fremde Urheberschaft (Quellenangabe iSv. § 63 UrhG) rechtlich zulässig. Verstöße hiergegen werden gerichtlich verfolgt.

© 1997 - 2024:
Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Berlin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Lützowstraße 32, 10785 Berlin
Telefon: 030 - 26 39 62 0
Telefax: 030 - 26 39 62 499
E-mail: hensche@hensche.de