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Wi­der­rufs­vor­be­halt für den Fall ei­ner wirt­schaft­li­chen Not­la­ge

Ein Weih­nachts­geld von ei­nem hal­ben Mo­nats­ge­halt kann bei ei­ner wirt­schaft­li­chen Not­la­ge wi­der­ru­fen wer­den, wenn ei­ne Wi­der­rufs­klau­sel dies vor­sieht: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 24.01.2017, 1 AZR 774/14
Zwei Männchen mit Euro

19.06.2017. Vie­le Ar­beit­ge­ber ha­ben kein Pro­blem da­mit, ih­ren Ar­beit­neh­mern im No­vem­ber ein Weih­nachts­geld zu zah­len, vor­aus­ge­setzt, die fi­nan­zi­el­le La­ge des Un­ter­neh­mens er­laubt ei­ne sol­che Son­der­zah­lung.

Weil das aber nicht im­mer der Fall ist, wer­den ar­beits­ver­trag­li­che Weih­nachts­geld­zu­sa­gen oft un­ter ei­nen Frei­wil­lig­keits­vor­be­halt oder un­ter ei­nen Wi­der­rufs­vor­be­halt ge­stellt. Bei Wi­der­rufs­vor­be­hal­ten muss der Ar­beit­ge­ber al­ler­dings auf­pas­sen, dass er die ent­spre­chen­de Ver­trags­klau­sel ver­ständ­lich for­mu­liert, da­mit der Ar­beit­neh­mer in et­wa weiß, un­ter wel­chen Um­stän­den er mit ei­nem Wi­der­ruf rech­nen muss.

In sei­nem ak­tu­el­len Ur­teil hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) ent­schie­den, dass es aus­reicht, als Wi­der­rufs­grund im Ver­trag ei­ne "wirt­schaft­li­che Not­la­ge" zu nen­nen: BAG, Ur­teil vom 24.01.2017, 1 AZR 774/14.

Wann ist ein Wi­der­rufs­vor­be­halt in all­ge­mei­nen Geschäfts­be­din­gun­gen (AGB) wirk­sam?

All­ge­mei­ne Geschäfts­be­din­gun­gen (AGB), die der Ar­beit­ge­ber ein­sei­tig vor­for­mu­liert und sei­nen Ar­beits­verträgen zu­grun­de legt, wer­den von den Ar­beits­ge­rich­ten ge­nau ge­prüft, denn hier be­steht die Ge­fahr, dass Ar­beit­neh­mer durch miss­verständ­li­che oder ein­sei­ti­ge Klau­seln über den Tisch ge­zo­gen wer­den. Ge­setz­li­che Grund­la­ge die­ser Kon­trol­le sind die §§ 305 ff. Bürger­li­ches Ge­setz­buch (BGB).

In AGB ent­hal­te­ne Wi­der­rufs­vor­be­hal­te sind wirk­sam,

  • wenn sie nicht an ei­ner un­gewöhn­li­chen Stel­le des Ver­tra­ges ver­steckt sind, denn sonst sind „über­ra­schen­de Klau­seln“ und wer­den gemäß § 305c Abs.1 BGB nicht Ver­trags­be­stand­teil,
  • wenn sie klar und verständ­lich for­mu­liert sind, § 307 Abs.1 Satz 2 BGB, und
  • wenn der wi­der­ruf­li­che An­teil der Vergütung nicht mehr als 25 bis 30 Pro­zent der Ge­samt­vergütung des Ar­beit­neh­mers aus­macht, denn an­de­ren­falls ist der Wi­der­rufs­vor­be­halt für den Ar­beit­neh­mer un­zu­mut­bar im Sin­ne von § 308 Nr.4 BGB; außer­dem würde der Ar­beit­neh­mer in ei­nem sol­chen Fall „un­an­ge­mes­sen be­nach­tei­ligt“ (§ 307 Abs.2 BGB).

Wich­tig ist bei Wi­der­rufs­klau­seln auch, dass sie die sach­li­chen Vor­aus­set­zun­gen ei­nes Wi­der­rufs um­schrei­ben, da­mit der Ar­beit­neh­mer weiß, un­ter wel­chen Umständen er mit ei­nem Wi­der­ruf rech­nen muss. Die An­ga­be des Wi­der­rufs­grun­des soll den Ar­beit­neh­mer auch in der La­ge ver­set­zen, die Rechtmäßig­keit ei­ner dar­auf gestütz­ten Wi­der­rufs­erklärung zu be­ur­tei­len.

Hier fragt sich, wie ge­nau der Ar­beit­ge­ber bei der An­ga­be von Wi­der­rufs­gründen in sei­ner Wi­der­rufs­klau­sel ar­bei­ten muss. Genügt es z.B., wenn hier als Vor­aus­set­zung für den Wi­der­ruf ei­nes Weih­nachts­gel­des der Fall ei­ner "wirt­schaft­li­chen Not­la­ge" ge­nannt wird?

Der Fall: Ar­beit­ge­ber wi­der­ruft das Weih­nachts­geld auf­grund ei­ner wirt­schaft­li­chen Not­la­ge

Im Streit­fall ging es um ei­ne vom Ar­beit­ge­ber ge­stell­te for­mu­lar­ver­trag­li­che Wi­der­rufs­klau­sel, die den An­spruch auf Zah­lung ei­nes Weih­nachts­gel­des wie folgt un­ter Wi­der­rufs­vor­be­halt stell­te:

"Der Ar­beit­ge­ber behält sich vor, die­se Leis­tung im Fall der wirt­schaft­li­chen Not­la­ge zu wi­der­ru­fen."

Da das Weih­nachts­geld gemäß Ar­beits­ver­trag (je nach Dau­er des Ar­beits­verhält­nis­ses) ma­xi­mal 55 Pro­zent ei­nes Mo­nats­ge­halts be­trug, wa­ren von ei­nem Wi­der­ruf ma­xi­mal vier Pro­zent des Jah­res­ge­halts be­trof­fen.

Im No­vem­ber 2012 teil­te der Ar­beit­ge­ber den Ar­beit­neh­mern mit, er wi­der­ru­fe „das Weih­nachts­geld für das Jahr 2012 auf­grund wirt­schaft­li­cher Not­la­ge“. Zu die­sem Zeit­punkt stand der Ar­beit­ge­ber kurz vor ei­ner In­sol­venz, die nur durch den Ein­stieg ei­nes In­ves­tors ab­ge­wen­det wer­den konn­te. Der In­ves­tor hat­te sei­nen Ein­stieg vom Wi­der­ruf des Weih­nachts­gelds abhängig ge­macht.

Ei­ner der be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer klag­te auf Weih­nachts­geld­zah­lung und be­rief sich u.a. dar­auf, dass die Gründe für ei­nen Wi­der­ruf in der Wi­der­rufs­klau­sel zu un­ge­nau be­schrie­ben sei­en. Vor dem Ar­beits­ge­richt Kemp­ten hat­te er da­mit Er­folg (Ur­teil vom 28.08.2013, 1 Ca 614/13), während das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) München die Kla­ge ab­wies.

BAG: Ein for­mu­lar­ver­trag­li­cher Vor­be­halt, die Zah­lung ei­nes Weih­nachts­gelds bei ei­ner wirt­schaft­li­chen Not­la­ge zu wi­der­ru­fen, ist wirk­sam

Das BAG ent­schied eben­falls für den Ar­beit­ge­be­rin. Er war da­zu be­rech­tigt, die Weih­nachts­geld­zu­sa­ge für 2012 ein­sei­tig zu wi­der­ru­fen, so das BAG. Zur Be­gründung heißt es:

Der Wi­der­rufs­vor­be­halt war aus­rei­chend klar und verständ­lich for­mu­liert und ent­sprach da­her den ge­setz­li­chen An­for­de­run­gen an die "Trans­pa­renz" ei­ner AGB-Klau­sel. Denn hier genügt es, wenn der Ar­beit­ge­ber "die Rich­tung" an­gibt, "aus der der Wi­der­ruf möglich sein soll, z.B. wirt­schaft­li­che Gründe, Leis­tung oder Ver­hal­ten des Ar­beit­neh­mers". Außer­dem konn­te man der Klau­sel deut­lich ent­neh­men, dass hier kei­ne all­ge­mei­ne wirt­schaft­li­che Not­la­ge ge­meint war, son­dern ei­ne Not­la­ge des Ar­beit­ge­bers, da ja gemäß der Klau­sel der Ar­beit­ge­ber zum Wi­der­ruf be­rech­tigt sein soll­te.

Die Wi­der­rufs­klau­sel war auch in­halt­lich in Ord­nung und ent­sprach da­mit § 308 Nr.4 BGB, so die Er­fur­ter Rich­ter. Die In­ter­es­sen­abwägung ging hier zu­guns­ten des Ar­beit­ge­bers aus, denn der Weg­fall des Weih­nachts­gel­des führ­te hier zu ei­ner Ver­min­de­rung des Jah­res­ge­hal­tes von we­ni­ger als fünf Pro­zent.

Sch­ließlich ging auch die Ausübung des Wi­der­rufs­rechts im No­vem­ber 2012 in Ord­nung. Denn der Ar­beit­ge­ber be­fand sich zum Zeit­punkt der Wi­der­rufs­erklärung in ei­ner wirt­schaft­li­chen Not­la­ge. Er war da­mals in sei­ner Exis­tenz be­droht und stand am Ran­de ei­ner In­sol­venz, die nur mit Hil­fe ei­nes In­ves­tors ab­ge­wen­det wer­den konn­te.

Fa­zit: Be­ruft sich der Ar­beit­ge­ber auf ei­nen Wi­der­rufs­vor­be­halt, muss er gleich meh­re­re ju­ris­ti­sche Hürden neh­men. Oft schei­tern Wi­der­rufs­vor­be­hal­te be­reits am AGB-Recht, weil die Ver­trags­klau­sel un­wirk­sam ist, was z.B. dar­an lie­gen kann, dass ein Ge­halts­be­stand­tei­le als "frei wi­der­ruf­lich" be­zeich­net wird oder als "frei­wil­li­ge, stets wi­der­ruf­li­che Leis­tung". Be­schränkt der Ar­beit­ge­ber al­ler­dings wie hier im Streit­fall das Wi­der­rufs­recht auf ein nicht sehr üppi­ges Weih­nachts­geld und außer­dem auf den (eher sel­te­nen) Fall ei­ner wirt­schaft­li­chen Not­la­ge, ist die Wi­der­rufs­klau­sel in Ord­nung.

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Letzte Überarbeitung: 22. Dezember 2017

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