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Hes­si­sches LAG, Ur­teil vom 01.07.2011, 10 Sa 245/11

   
Schlagworte: Personenbedingte Kündigung, Kraftfahrer, Trunkenheitsfahrt
   
Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 10 Sa 245/11
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 01.07.2011
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Kassel, Urteil vom 21.12.2010, 6 Ca 325/10
   


Hes­si­sches Lan­des­ar­beits­ge­richt

Verkündet am:
01. Ju­li 2011

Ak­ten­zei­chen: 10 Sa 245/11
(Ar­beits­ge­richt Kas­sel: 6 Ca 325/10)

Ur­kunds­be­am­tin der Geschäfts­stel­le

Im Na­men des Vol­kes

Ur­teil

In dem Be­ru­fungs­ver­fah­ren


Kläger und
Be­ru­fungskläger

Pro­zess­be­vollmäch­tigt.:

ge­gen

Be­klag­te und
Be­ru­fungs­be­klag­te

Pro­zess­be­vollmäch­tigt.:

hat das Hes­si­sche Lan­des­ar­beits­ge­richt, Kam­mer 10, auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 01. Ju­li 2011

durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Lan­des­ar­beits­ge­richt als Vor­sit­zen­den
und den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter
und den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter

für Recht er­kannt:


Die Be­ru­fung des Klägers ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Kas­sel vom 21. De­zem­ber 2010 – 6 Ca 325/10 – wird kos­ten­pflich­tig zurück­ge­wie­sen.

Die Re­vi­si­on wird nicht zu­ge­las­sen.

 

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Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten darüber, ob das zwi­schen ih­nen be­ste­hen­de Ar­beits­verhält­nis auf­grund or­dent­li­cher Kündi­gung der Be­klag­ten vom 27. Ju­li 2010 zum 30. Sep­tem­ber 2010 auf­gelöst wor­den ist.

Der am 06. Ok­to­ber 1960 ge­bo­re­ne Kläger, der sei­ner Ehe­frau ge­genüber un­ter­halts­pflich­tig ist, war bei der Be­klag­ten seit dem 17. April 1997 als Kraft­fah­rer zu ei­ner mo­nat­li­chen Brut­to­vergütung in Höhe von zu­letzt € 1.891,00 beschäftigt. Aus­weis­lich des zwi­schen den Par­tei­en ge­schlos­se­nen Ar­beits­ver­tra­ges vom 15. April 1997 (Bl. 5 – 6 d. A.) fand auf das Ar­beits­verhält­nis der Man­tel­ta­rif­ver­trag für die ge­werb­li­chen Ar­beit­neh­mer des pri­va­ten Trans­port- und Ver­kehrs­ge­wer­bes in Hes­sen in der je­weils gülti­gen Fas­sung An­wen­dung. Der Kläger ist mit ei­nem Grad der Be­hin­de­rung von 50 schwer­be­hin­dert. Bei ei­ner Körper­größe von 192 Zen­ti­me­tern wiegt er 64 Ki­lo­gramm. Sei­ne Ehe­frau ist als Fri­seu­rin in Teil­zeit beschäftigt. Sein Sohn ist ar­beits­los.

Mit Schrei­ben vom 25. Sep­tem­ber 2001 (Bl. 38 d. A.) und 11. Mai 2005 (Bl. 39 d. A.) er­teil­te die Be­klag­te dem Kläger je­weils ei­ne Ab­mah­nung we­gen fahrlässi­ger Scha­dens­ver­ur­sa­chung. Mit Schrei­ben vom 31. Mai 2006 er­teil­te die Be­klag­te dem Kläger ei­ne Ab­mah­nung, da er vie­le nicht genügend les­ba­re Ab­lie­fe­rungs­quit­tun­gen ab­ge­ge­ben ha­be (Bl. 40 d. A.). Mit Schrei­ben vom 05. Mai 2009 (Bl. 41 d. A.) mo­nier­te ei­ne Auf­trag­ge­be­rin der Be­klag­ten, dass der Kläger den Emp­fang ei­ner für ei­nen Drit­ten be­stimm­ten Lie­fe­rung an Stel­le des Empfängers selbst quit­tiert ha­be (Bl. 41 d. A.).

Ab dem Herbst 2009 war der Kläger ar­beits­unfähig er­krankt. Im Mai 2010 be­gann ei­ne Wie­der­ein­glie­de­rung des Klägers, wel­che bis zum Ju­ni 2010 dau­ern soll­te.

Am 04. Ju­ni 2010 wur­de dem Kläger im Zu­sam­men­hang mit ei­ner pri­va­ten Trun­ken­heits­fahrt bei ei­ner Blut­al­ko­hol­kon­zen­tra­ti­on von 1,36 Pro­mil­le der Führer­schein ent­zo­gen. Ge­gen den Kläger er­ging Straf­be­fehl. Seit dem 01. Ju­ni 2011 ist der Kläger wie­der im Be­sitz der Fahr­er­laub­nis.

 

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Auf An­trag der Be­klag­ten er­teil­te das In­te­gra­ti­ons­amt A. am 21. Ju­li 2010 die Zu­stim­mung zur or­dent­li­chen Kündi­gung des mit dem Kläger be­ste­hen­den Ar­beits­verhält­nis­ses.

Mit Schrei­ben vom 27. Ju­li 2010 kündig­te die Be­klag­te das mit dem Kläger be­ste­hen­de Ar­beits­verhält­nis zum 30. Sep­tem­ber 2010 (Bl. 33 d. A.).

Mit am 04. Au­gust 2010 bei Ge­richt ein­ge­gan­ge­ner, der Be­klag­ten am 09. Au­gust 2010 zu­ge­stell­ter Kla­ge­schrift hat sich der Kläger ge­gen die Kündi­gung ge­wandt.

Der Kläger hat die An­sicht ver­tre­ten, das Ar­beits­verhält­nis sei durch die Kündi­gung nicht be­en­det wor­den. Zwar könne ei­nem Kraft­fah­rer bei Ent­zug des Führer­scheins grundsätz­lich per­so­nen­be­dingt gekündigt wer­den. In der In­ter­es­sen­abwägung sei je­doch zu berück­sich­ti­gen, dass er für die Be­klag­te 15 Jah­re lang oh­ne Be­an­stan­dung tätig ge­we­sen sei, die Trun­ken­heits­fahrt fahrlässig be­gan­gen ha­be und kein Scha­den ent­stan­den sei. We­gen sei­nes ex­tre­men Un­ter­ge­wichts ha­be er vor An­tritt der Trun­ken­heits­fahrt die Al­ko­hol­kon­zen­tra­ti­on völlig falsch ein­geschätzt. Im Übri­gen ha­be der Pro­zess­ver­tre­ter der Be­klag­ten beim In­te­gra­ti­ons­amt in Aus­sicht ge­stellt, dass nach Wie­derertei­lung des Führer­scheins ggf. ein neu­es Ar­beits­verhält­nis ab­ge­schlos­sen wer­den könne, wes­halb nicht ein­seh­bar sei, dass nun­mehr gleich­wohl ei­ne Kündi­gung aus­ge­spro­chen wor­den sei. Die Ab­mah­nun­gen aus den Jah­ren 2001 und 2005 sei­en we­gen der ver­gan­ge­nen Zeit­dau­er ir­re­le­vant. Die Ab­mah­nung vom 31. Mai 2006 sei zu un­be­stimmt und das Be­schwer­de­schrei­ben des Auf­trag­ge­bers vom 05. Mai 2009 sei nicht nach­voll­zieh­bar, so dass da­von aus­zu­ge­hen sei, dass das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en bis auf we­ni­ge alltägli­che Ba­na­litäten be­an­stan­dungs­los ge­we­sen sei.

Der Kläger hat be­an­tragt,

fest­zu­stel­len, dass das Ar­beits­verhält­nis zwi­schen den Par­tei­en nicht durch die or­dent­li­che Kündi­gung der Be­klag­ten vom 27. Fe­bru­ar 2010 zum Ab­lauf des 30. Sep­tem­ber 2010 auf­gelöst wor­den ist.

Die Be­klag­te hat be­an­tragt,

die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

 

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Die Be­klag­te hat die An­sicht ver­tre­ten, dass es dem Kläger auf­grund des Ent­zu­ges sei­ner Fahr­er­laub­nis auf un­ab­seh­ba­re Zeit unmöglich ge­wor­den sei, sei­ne ar­beits­ver­trag­li­chen Ver­pflich­tun­gen zu erfüllen, so dass an sich ein wich­ti­ger Grund für ei­ne frist­lo­se Kündi­gung ge­ge­ben sei. Im Rah­men der vor­zu­neh­men­den In­ter­es­sen­abwägung ha­be die Be­klag­te den In­ter­es­sen des Klägers da­durch Genüge ge­tan, dass sie nicht ei­ne frist­lo­se, son­dern le­dig­lich ei­ne or­dent­li­che Kündi­gung aus­ge­spro­chen ha­be. In­so­weit sei auch zu berück­sich­ti­gen, dass das Ar­beits­verhält­nis in der Ver­gan­gen­heit nicht störungs­frei ver­lau­fen sei, wie die Ab­mah­nungs­schrei­ben und der Be­schwer­de­brief des Auf­trag­ge­bers be­leg­ten.

Mit Ur­teil vom 21. De­zem­ber 2010 hat das Ar­beits­ge­richt Kas­sel – 6 Ca 325/10 – die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Es hat u. a. aus­geführt, das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en sei auf­grund der or­dent­li­chen Kündi­gung der Be­klag­ten mit der Kündi­gungs­frist des Man­tel­ta­rif­ver­trags für die ge­werb­li­chen Ar­beit­neh­mer des pri­va­ten Trans­port- und Ver­kehrs­ge­wer­bes in Hes­sen zum 30. Sep­tem­ber 2010 be­en­det wor­den. Die Kündi­gung sei aus Gründen, die in der Per­son des Klägers lägen, so­zi­al ge­recht­fer­tigt. Der Kläger benöti­ge ei­ne gülti­ge Fahr­er­laub­nis zur Ver­rich­tung der von ihm ar­beits­ver­trag­lich ge­schul­de­ten Tätig­keit als Kraft­fah­rer. Da er über die­se nicht verfüge, könne er, da auch ei­ne an­der­wei­ti­ge Beschäfti­gungsmöglich­keit nicht be­ste­he, nicht beschäftigt wer­den. Im Rah­men der In­ter­es­sen­abwägung sei zu Guns­ten des Klägers sei­ne nicht un­er­heb­li­che Be­triebs­zu­gehörig­keit, sei­ne Un­ter­halts­pflich­ten ge­genüber Ehe­frau und Sohn, sein Le­bens­al­ter und sei­ne Schwer­be­hin­de­rung zu berück­sich­ti­gen. Zu sei­nen Las­ten ge­he es, dass der Kläger den Ver­lust sei­ner Fahr­er­laub­nis schuld­haft ver­ur­sacht ha­be, wo­bei ihm klar ge­we­sen sein müsse, dass er auf die Fahr­er­laub­nis zur Ausübung der von ihm ge­schul­de­ten Tätig­keit an­ge­wie­sen sei. Ins­ge­samt sei den schutzwürdi­gen In­ter­es­sen des Klägers in hin­rei­chen­dem Um­fang da­durch Rech­nung ge­tra­gen wor­den, dass die Be­klag­te kei­ne frist­lo­se, son­dern ei­ne or­dent­li­che Kündi­gung aus­ge­spro­chen ha­be.

Die­ses Ur­teil ist dem Kläger am 28. Ja­nu­ar 2011 zu­ge­stellt wor­den. Die Be­ru­fung des Klägers ist am 24. Fe­bru­ar 2011 und die Be­ru­fungs­be­gründung nach recht­zei­ti­ger Verlänge­rung der Be­ru­fungs­be­gründungs­frist bis zum 28. April 2011 am sel­ben Tag bei Ge­richt ein­ge­gan­gen.

Der Kläger wen­det sich ge­gen das erst­in­stanz­li­che Ur­teil und ist wei­ter­hin der An­sicht, die Wirk­sam­keit der or­dent­li­chen Kündi­gung schei­te­re in der In­ter­es­sen­abwägung. Im

 

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Rah­men der In­ter­es­sen­abwägung müsse die Beschäfti­gungs­zeit ab 1995 berück­sich­tigt wer­den, wel­che auf­grund sei­ner Kündi­gung le­dig­lich für drei Mo­na­te un­ter­bro­chen ge­we­sen sei. Es müsse des Wei­te­ren berück­sich­tigt wer­den, dass er im Herbst 2009 schwer er­krankt sei und nicht zu­letzt we­gen sei­nes ex­tre­men Un­ter­ge­wichts ei­ne ganz schlech­te be­ruf­li­che Per­spek­ti­ve ha­be. Auch könne das Ar­beits­verhält­nis ru­hend ge­stellt wer­den, so­dass der Be­klag­ten kei­ne Kos­ten entstünden. Die Be­klag­te ha­be zu­dem für den Fall, dass der Kläger die Kündi­gung ak­zep­tie­re, die wohl­wol­len­de Prüfung ei­ner Be­wer­bung des Klägers zu­ge­sagt. Die Tat­sa­che des Ent­zugs der Fahr­er­laub­nis ha­be so­mit für die Be­klag­te kei­nen Hin­de­rungs­grund dar­ge­stellt, den Kläger wie­der ein­zu­stel­len. Für die Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses sei­en aus­sch­ließlich wirt­schaft­li­che Gründe ge­nannt wor­den. Dar­aus er­ge­be sich, dass die Be­klag­te per­so­nen­be­ding­te Gründe nut­ze, um der Be­klag­ten wirt­schaft­li­che Ge­stal­tungsmöglich­kei­ten zu eröff­nen.

Der Kläger be­an­tragt,

das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Kas­sel vom 21.12.2010 (AZ.: 6 Ca 325/10) ab­zuändern und fest­zu­stel­len, dass das zwi­schen den Par­tei­en be­ste­hen­de Ar­beits­verhält­nis durch die Kündi­gung vom 27.07.2010 nicht mit dem 30.09.2010 sein En­de ge­fun­den hat.

Die Be­klag­te be­an­tragt,

die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen.

Die Be­klag­te ver­tei­digt das erst­in­stanz­li­che Ur­teil und ist der An­sicht, die or­dent­li­che Kündi­gung ha­be in der In­ter­es­sen­abwägung Be­stand. In­so­weit sei das Al­ter des Klägers als Kraft­fah­rer kein Ein­stel­lungs­hin­der­nis. Zu berück­sich­ti­gen sei, dass der Kläger ver­ant­wor­tungs­los ge­han­delt ha­be, da er von sei­nem Un­ter­ge­wicht ge­wusst ha­be und hätte da­von aus­ge­hen müssen, dass Al­ko­hol für ihn um so gefähr­li­cher sei. Zum Zeit­punkt des Zu­gangs der Kündi­gung sei die Wie­der­er­lan­gung des Führer­scheins un­ge­wiss und ein Leis­tungs­aus­tausch im Ar­beits­verhält­nis auf un­ge­wis­se Zeit nicht möglich ge­we­sen. Die Be­klag­te ha­be be­reits zum mil­de­ren Mit­tel der or­dent­li­chen Kündi­gung ge­grif­fen. Die Be­klag­te ha­be dem Kläger kei­ne Wie­der­ein­stel­lung an­ge­bo­ten und nicht le­dig­lich wirt­schaft­li­che Gründe ge­nannt, aus de­nen ein Ru­hen des Ar­beits­verhält­nis­ses nicht möglich ge­we­sen sei.

 

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We­gen der wei­te­ren Ein­zel­hei­ten des Be­ru­fungs­vor­brin­gens wird auf den In­halt der Be­ru­fungs­schriftsätze Be­zug ge­nom­men.


Ent­schei­dungs­gründe

Die Be­ru­fung des Klägers ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Kas­sel ist gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statt­haft. Der Kläger hat sie auch form- und frist­ge­recht ein­ge­legt und be­gründet, §§ 66 Abs. 1 ArbGG, 519 ZPO.

In der Sa­che hat die Be­ru­fung kei­nen Er­folg, denn das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en ist, wie be­reits das Ar­beits­ge­richt zu­tref­fend fest­ge­stellt hat, durch die or­dent­li­che Kündi­gung der Be­klag­ten vom 27. Ju­li 2010 zum 30. Sep­tem­ber 2010 auf­gelöst wor­den. Die­se Kündi­gung ist so­zi­al ge­recht­fer­tigt, da sie durch Gründe, die in der Per­son des Klägers lie­gen, be­dingt ist, § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG.

Als per­so­nen­be­ding­te Gründe, die ei­ne or­dent­li­che Kündi­gung nach § 1 Abs. 2 KSchG so­zi­al recht­fer­ti­gen können, kom­men sol­che Umstände in Be­tracht, die auf ei­ner in den persönli­chen Verhält­nis­sen oder Ei­gen­schaf­ten des Ar­beit­neh­mers lie­gen­den „Störquel­le“ be­ru­hen. Ei­ne per­so­nen­be­ding­te Kündi­gung kann ins­be­son­de­re so­zi­al ge­recht­fer­tigt sein, wenn der Ar­beit­neh­mer aus Gründen, die in sei­ner Sphäre lie­gen, je­doch nicht von ihm ver­schul­det sein müssen, zu der nach dem Ar­beits­ver­trag vor­aus­ge­setz­ten Ar­beits­leis­tung ganz oder teil­wei­se nicht mehr in der La­ge ist. In die­sen Fällen liegt in der Re­gel ei­ne schwe­re und dau­er­haf­te Störung des ver­trag­li­chen Aus­tausch­verhält­nis­ses vor, der der Ar­beit­ge­ber, wenn kei­ne an­de­re Beschäfti­gungsmöglich­keit mehr be­steht, mit ei­ner or­dent­li­chen Kündi­gung be­geg­nen kann (BAG 05.06.2008 – 2 AZR 984/06 – DB 2009, 123).

Es ist darüber hin­aus all­ge­mein an­er­kannt, dass der Ver­lust ei­ner Fahr­er­laub­nis bei ei­nem Kraft­fah­rer ei­nen sol­chen per­so­nen­be­ding­ten Grund zur Kündi­gung und zwar auch ei­nen wich­ti­gen Grund zur außer­or­dent­li­chen Kündi­gung dar­stel­len kann. Der Ver­lust des Führer­scheins führt zu ei­nem ge­setz­li­chen Beschäfti­gungs­ver­bot. Oh­ne Führer­schein darf der Ar­beit­neh­mer im Straßen­ver­kehr nicht wei­ter ein­ge­setzt wer­den. Der Ar­beit­neh­mer kann sei­ne ver­trag­lich ge­schul­de­te Ar­beits­leis­tung als Kraft­fah­rer

 

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nicht mehr er­brin­gen. Sie ist ihm auf­grund des Ver­lus­tes der Fahr­er­laub­nis recht­lich unmöglich ge­wor­den (BAG 05.06.2008 – 2 AZR 984/06 – a. a. O.).

Zwi­schen den Par­tei­en ist nicht im Streit, dass der al­ko­hol­be­ding­te Führer­schein­ent­zug beim Kläger ein an sich ge­eig­ne­ter Grund für ei­ne frist­lo­se, je­den­falls aber ei­ne or­dent­li­che Kündi­gung dar­stellt. Un­strei­tig ist auch, dass die Be­klag­te kei­ne Möglich­keit hat­te, den Kläger oh­ne Führer­schein wei­ter­zu­beschäfti­gen. Strei­tig ist al­lein, ob die Be­klag­te im Rah­men der In­ter­es­sen­abwägung nicht nur von der frist­lo­sen außer­or­dent­li­chen, son­dern auch von der or­dent­li­chen frist­ge­rech­ten Kündi­gung Ab­stand neh­men muss­te.

Das Be­ru­fungs­ge­richt geht – wie be­reits das Ar­beits­ge­richt – da­von aus, dass die or­dent­li­che Kündi­gung des mit dem Kläger be­ste­hen­den Ar­beits­verhält­nis­ses auch im Rah­men der In­ter­es­sen­abwägung Be­stand hat. Zu Guns­ten des Klägers ist in­so­weit zu berück­sich­ti­gen, dass das Ar­beits­verhält­nis ca. drei­zehn­ein­halb Jah­re be­stand. Die Vor­beschäfti­gungs­zeit des Klägers ab 1995 ist nicht zu berück­sich­ti­gen, da der Kläger die­ses Ar­beits­verhält­nis selbst be­en­det hat und es so­dann erst mit ei­ner Un­ter­bre­chung von ca. drei Mo­na­ten fort­ge­setzt wur­de. Zu berück­sich­ti­gen ist die er­heb­li­che Er­kran­kung des Klägers ab Herbst 2009. Das Ge­richt geht ent­ge­gen der Be­haup­tung der Be­klag­ten auch da­von aus, dass der Kläger in sei­nem Al­ter, ge­ra­de auch un­ter Berück­sich­ti­gung sei­ner Er­kran­kung und der Schwer­be­hin­de­rung, nur schwer ei­nen Ar­beits­platz als Kraft­fah­rer fin­den wird. Für den Kläger spre­chen darüber hin­aus sei­ne Un­ter­halts­pflich­ten ge­genüber sei­ner Ehe­frau und dem ar­beits­lo­sen Sohn.

Auf der an­de­ren Sei­te ist im Rah­men der In­ter­es­sen­abwägung zu­guns­ten der Be­klag­ten zunächst zu berück­sich­ti­gen, dass das Ar­beits­verhält­nis des Klägers nicht gänz­lich un­be­las­tet war. Die Ab­mah­nung aus dem Jahr 2001 wird in­so­weit nicht berück­sich­tigt, da sie 9 Jah­re zurück­liegt, wenn­gleich im Jahr 2005 ein gleich­ge­la­ger­tes Fehl­ver­hal­ten vor­lag und der Kläger we­gen fahrlässi­ger Scha­dens­ver­ur­sa­chung ab­ge­mahnt wur­de. Es mag da­hin­ste­hen, ob die Ab­mah­nung vom 31. Mai 2006 im Fal­le ge­richt­li­cher Über­prüfung Be­stand hätte oder ggf. nicht hin­rei­chend be­stimmt ist. Je­den­falls macht die­se Ab­mah­nung deut­lich, da der In­halt letzt­lich vom Kläger nicht be­strit­ten ist, dass be­reits im Jahr 2006 Pro­ble­me mit den vom Kläger ab­ge­ge­be­nen Ab­lie­fe­rungs­quit­tun­gen be­stan­den. So­weit von ei­nem Auf­trag­ge­ber im Jahr 2009 bemängelt wur­den, dass der Kläger den Wa­ren­emp­fang für den Empfänger selbst quit­tiert hat, ist nicht er­sicht­lich, war­um der Kläger die­ses Be­schwer­de­schrei­ben für

 

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nicht nach­voll­zieh­bar hält: es ist selbst­verständ­lich, dass ein Aus­lie­fe­rer sich den Emp­fang vom Empfänger quit­tie­ren lässt.

Es ist des Wei­te­ren zu­guns­ten der Be­klag­ten zu berück­sich­ti­gen, dass die Be­klag­te nicht zum schar­fen Mit­tel der frist­lo­sen, son­dern zum mil­de­ren Mit­tel der or­dent­li­chen Kündi­gung ge­grif­fen hat, ob­wohl sie den Kläger als Kraft­fah­rer nicht mehr beschäfti­gen konn­te.

Es kann da­hin­ste­hen, ob – wie die Be­klag­te im Be­ru­fungs­ver­fah­ren vorträgt – es zur Zeit des Aus­spruchs der Kündi­gungs­erklärung ganz un­ge­wiss war, wann der Kläger den Führer­schein wie­der­er­lan­gen wird, oder ob es ab­seh­bar war, dass er im Mai 2011 wie­der im Be­sitz ei­ner Fahr­er­laub­nis sein wird. Fest stand je­den­falls, dass zum Zeit­punkt des Zu­gangs der Kündi­gungs­erklärung das Ar­beits­verhält­nis mehr als neun Mo­na­te lang nicht durch­geführt wer­den konn­te. Das ist aus­rei­chend, um das Ar­beits­verhält­nis mit or­dent­li­cher Kündi­gungs­frist zu be­en­den.

Ent­schei­dend zu Las­ten des Klägers geht sein Fehl­ver­hal­ten anläss­lich der Pri­vat­fahrt. Als Kraft­fah­rer weiß der Kläger, wie gefähr­lich es ist, un­ter Al­ko­hol­ein­fluss Au­to zu fah­ren. Er weiß, dass er da­durch nicht nur an­de­re Ver­kehrs­teil­neh­mer gefähr­det, son­dern sei­ne ei­ge­ne Ge­sund­heit und sei­nen Ar­beits­platz aufs Spiel setzt. Um­so schwe­rer ist es nach­zu­voll­zie­hen, dass der Kläger Al­ko­hol zu sich nahm, nach­dem er ei­ne schwe­re Er­kran­kung über­stan­den hat­te, noch an ex­tre­mem Un­ter­ge­wicht litt und sich in der Wie­der­ein­glie­de­rungs­pha­se in das Ar­beits­le­ben be­fand. Zu Recht geht die Be­klag­te da­von aus, dass der Kläger in­so­weit ver­ant­wor­tungs­los ge­han­delt hat.

Dem Kläger kann auch nicht dar­in ge­folgt wer­den, dass der Be­klag­ten ein mil­de­res Mit­tel, nämlich das Ru­hen des Ar­beits­verhält­nis­ses zur Verfügung ge­stan­den hätte. Ein Ar­beits­verhält­nis ru­hend zu stel­len ist kein Ge­stal­tungs­mit­tel, das dem Ar­beit­ge­ber zur Verfügung steht. Er muss sich auf ein sol­ches Mit­tel auch nicht im Ein­ver­neh­men mit dem Ar­beit­neh­mer ein­las­sen. Dem Ar­beit­ge­ber steht – wie oben aus­geführt – ein Kündi­gungs­recht zu, wenn ei­ne schwe­re und dau­er­haf­te Störung des ver­trag­li­chen Aus­tausch­verhält­nis­ses vor­liegt.

Die Be­klag­te hat ihr Kündi­gungs­recht nicht ver­wirkt. Das Ge­richt un­ter­stellt zu Guns­ten des Klägers, dass die Be­klag­te im Rah­men der Ver­hand­lun­gen vor dem In­te­gra­ti­ons­amt ei­ne wohl­wol­len­de Prüfung der Be­wer­bung des Klägers bei Ak­zep­tanz der Kündi­gung

 

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zu­ge­sagt hat. Der Kläger hat die Kündi­gung nicht ak­zep­tiert, so dass er auch ei­ne wohl­wol­len­de Prüfung der Be­wer­bung nicht ver­lan­gen kann. Im Übri­gen würde ei­ne sol­che Zu­sa­ge den Tat­be­stand der Ver­wir­kung selbst dann nicht erfüllen, wenn die Be­klag­te in die­sen Gesprächen im We­sent­li­chen wirt­schaft­li­che Erwägun­gen ins Spiel ge­bracht hätte. Es sind auch wirt­schaft­li­che Erwägun­gen, die der per­so­nen­be­ding­ten Kündi­gung zu­grun­de lie­gen, denn die Störung des Aus­tausch­verhält­nis­ses ist ein sol­cher wirt­schaft­li­cher Grund.

Der Kläger trägt die Kos­ten sei­ner Be­ru­fung, da sein Rechts­mit­tel kei­nen Er­folg hat, § 97 Abs. 1 ZPO.

Ei­ne ge­setz­lich be­gründe­te Ver­an­las­sung zur Zu­las­sung der Re­vi­si­on ist nicht er­sicht­lich.

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