HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

BAG, Ur­teil vom 22.07.2010, 8 AZR 1012/08

   
Schlagworte: Diskriminierung: Geschlecht, Beförderung
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 8 AZR 1012/08
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 22.07.2010
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 30.01.2008, 35 Ca 7441/07
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26.11.2008, 15 Sa 517/08
   

BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT

8 AZR 1012/08

15 Sa 517/08

Lan­des­ar­beits­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am 22. Ju­li 2010

UR­TEIL

Förs­ter, Ur­kunds­be­am­tin der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Be­klag­ter, Be­ru­fungs­be­klag­ter, Re­vi­si­onskläger, Re­vi­si­ons­be­klag­ter und An­schluss­re­vi­si­ons­be­klag­ter,

pp.

Kläge­rin, Be­ru­fungskläge­rin, Re­vi­si­ons­be­klag­te, Re­vi­si­onskläge­rin und An­schluss­re­vi­si­onskläge­rin,


 

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hat der Ach­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 22. Ju­li 2010 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Hauck, die Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Böck und Brein­lin­ger so­wie die eh­ren­amt­li­che Rich­te­rin Morsch und den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Schus­ter für Recht er­kannt:

Auf die Re­vi­si­on des Be­klag­ten, die An­schluss­re­vi­si­on und die Re­vi­si­on der Kläge­rin wird das Schlus­s­ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Ber­lin-Bran­den­burg vom 26. No­vem­ber 2008 - 15 Sa 517/08 - auf­ge­ho­ben.

Die Sa­che wird zur neu­en Ver­hand­lung und Ent­schei­dung - auch über die Kos­ten der Re­vi­si­on - an das Lan­des­ar­beits­ge­richt zurück­ver­wie­sen.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten in zwei in der Re­vi­si­ons­in­stanz ver­bun­de­nen Ver

fah­ren darüber, ob der Kläge­rin für die Ver­gan­gen­heit und die Zu­kunft ein Scha­dens­er­satz­an­spruch we­gen ge­schlechts­spe­zi­fi­scher Be­nach­tei­li­gung bei ei­ner Beförde­rungs­ent­schei­dung und zu des­sen künf­ti­ger Be­zif­fe­rung Aus­kunfts­ansprüche ge­gen den Be­klag­ten zu­ste­hen. Darüber hin­aus ver­langt die Kläge­rin im­ma­te­ri­el­len Scha­dens­er­satz und stellt ei­nen Fest­stel­lungs­an­trag be­tref­fend Scha­dens­er­satz für den Zeit­raum ab De­zem­ber 2006.

Der Be­klag­te ist ein rechtsfähi­ger wirt­schaft­li­cher Ver­ein. Er glie­dert

sich in zehn Be­zirks­di­rek­tio­nen und zwei Ge­ne­ral­di­rek­tio­nen. Ei­ne Ge­ne­ral­di­rek­ti­on be­fin­det sich in B, die an­de­re in M. Bei­de ha­ben ei­genständi­ge Per­so­nal­ver­wal­tun­gen, de­nen je­weils ei­ne Per­son vor­steht, die - mit Aus­nah­me der Kläge­rin - bis zum 9. De­zem­ber 2006 als Per­so­nal­lei­ter/in be­zeich­net wur­den. Über­ge­ord­net war die Per­so­nal­di­rek­ti­on mit dem Per­so­nal­di­rek­tor.


 

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Die­ser wird seit dem 10. De­zem­ber 2006 als Per­so­nal­lei­ter, die Per­so­nal­di­rek­ti­on als Per­so­nal­ab­tei­lung be­zeich­net.

Die 1961 ge­bo­re­ne Kläge­rin hat 1986 ei­ne Aus­bil­dung zur „staat­lich

ge­prüften Be­triebs­wir­tin“ er­folg­reich be­en­det. Sie war bei frühe­ren Ar­beit­ge­bern ua. in der Per­so­nal­ent­wick­lungs­ar­beit tätig. Seit Mit­te 2007 ist sie als Schwer­be­hin­der­te an­er­kannt.

Die Kläge­rin war am 1. Ja­nu­ar 1993 bei dem Be­klag­ten als Per­so­nal-

re­fe­ren­tin ein­ge­stellt wor­den. Zum 1. Ju­li 1995 wur­de ihr die Stell­ver­tre­tung für die Per­so­nal­ver­wal­tung in B mit 340 Mit­ar­bei­tern über­tra­gen. Ab Mai 2001 war die Kläge­rin in Teil­zeit für die Be­klag­te tätig. Mit Wir­kung ab 1. Ja­nu­ar 2006 wur­de sie zur Ab­tei­lungs­lei­te­rin der Ab­tei­lung Per­so­nal­ver­wal­tung in der Per­so­nal­di­rek­ti­on B er­nannt. Auf Ba­sis ei­ner „Zu­satz­ver­ein­ba­rung“ zum An­stel­lungs­ver­trag wur­de sie ab 1. Ok­to­ber 2006 mit ei­ner wöchent­li­chen Ar­beits­zeit von 35,79 St­un­den beschäftigt. Im Jah­re 2007 er­hielt sie ei­ne mo­nat­li­che Brut­to­vergütung von 4.647,24 Eu­ro. In Zwi­schen­zeug­nis­sen vom 31. Ja­nu­ar 1999 und 16. Fe­bru­ar 2007 wur­de der Kläge­rin be­schei­nigt, dass sie „stets“ bzw. „je­der­zeit“ ih­re Auf­ga­ben „zu un­se­rer vol­len Zu­frie­den­heit“ er­le­digt ha­be.

Mit­te der 1990-iger Jah­re war Per­so­nal­lei­te­rin der Ge­ne­ral­di­rek­ti­on B

Frau G und der Ge­ne­ral­di­rek­ti­on M Frau S. Bei­de sind Ju­ris­tin­nen. Hier­ar­chisch stell­te der Be­klag­te die Per­so­nal­lei­ter den Ab­tei­lungs­di­rek­to­ren gleich. Frau S ist Fach­anwältin für Ar­beits­recht und war 1990 vom Be­klag­ten als Per­so­nal­re­fe­ren­tin ein­ge­stellt wor­den. Zum 1. April 1994 über­nahm Frau G kom­mis­sa­risch die Lei­tung der Per­so­nal­di­rek­ti­on und Frau S wur­de zu ih­rer Stell­ver­tre­te­rin be­ru­fen. Frau G schied En­de Sep­tem­ber 1999 bei dem Be­klag­ten aus. Fak­tisch lei­te­te die Kläge­rin im Jah­re 1999 die Per­so­nal­ver­wal­tung der Ge­ne­ral­di­rek­ti­on B für fünf Mo­na­te bis Dr. Mü von dem Be­klag­ten als Nach­fol­ger für Frau G ein­ge­stellt wur­de. Er ist Fach­an­walt für Ar­beits­recht. Mit Wir­kung vom 1. Ja­nu­ar 2001 wur­de ihm die Amts­be­zeich­nung „Per­so­nal­di­rek­tor“ ver­lie­hen. We­gen Mut­ter­schut­zes und Er­zie­hungs­ur­laubs/El­tern­zeit war die Per­so­nal­lei­te­rin der Ge­ne­ral­di­rek­ti­on M S vom 14. Au­gust 1999 bis 7. Ju­li 2005 nicht be­rufstätig. Seit­her ar­bei­tet sie in Teil­zeit. Ihr ob­liegt im


 

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We­sent­li­chen die ju­ris­ti­sche Sach­be­ar­bei­tung der Per­so­nal­di­rek­ti­on (ab De­zem­ber 2006: Per­so­nal­ab­tei­lung). Auf­ga­ben der Per­so­nal­lei­tung nimmt sie seit­her nicht mehr wahr. We­gen ih­res ab­seh­ba­ren Aus­fal­les such­te der Be­klag­te mit An­zei­ge von An­fang Au­gust 1999 be­fris­tet für ca. zwei Jah­re ei­ne/n Per­so­nal­lei­ter/in für M. In der An­zei­ge wur­de ein Schwer­punkt „kon­zep­tio­nel­le Per­so­nal­ar­beit“ eben­so we­nig erwähnt, wie das Er­for­der­nis ei­nes Hoch­schul­ab­schlus­ses. Nach­dem an ei­ner be­fris­te­ten Ein­stel­lung kein Be­wer­ber In­ter­es­se ge­zeigt hat­te, wur­de zum 1. Ja­nu­ar 2000 Herr R als Per­so­nal­lei­ter der Ge­ne­ral­di­rek­ti­on M un­be­fris­tet mit ei­ner 40-St­un­den-Wo­che ein­ge­stellt. Der 1960 ge­bo­re­ne und an ei­ner Hoch­schu­le aus­ge­bil­de­te Di­plom-Öko­nom mit dem Aus­bil­dungs­schwer­punkt Per­so­nal­we­sen, Un­ter­neh­mensführung und Or­ga­ni­sa­ti­on war bei dem Be­klag­ten von An­fang an der Ebe­ne der Ab­tei­lungs­di­rek­to­ren, dh. min­des­tens ei­ner Ebe­ne über der Kläge­rin, zu­ge­ord­net. Zwi­schen dem 1. Ja­nu­ar 2007 und dem 31. Ju­li 2008 ver­dien­te Herr R 28.214,66 Eu­ro mehr als die Kläge­rin. Dar­in ent­hal­ten ist ei­ne va­ria­ble Vergütung für 2007 in Höhe von 8.291,00 Eu­ro. Bei die­ser Dif­fe­renz­be­rech­nung ist die Teil­zeittätig­keit der Kläge­rin ent­spre­chend berück­sich­tigt.

Zum 1. Ju­li 2001 wur­de der Per­so­nal­lei­ter der Ge­ne­ral­di­rek­ti­on B und

Per­so­nal­di­rek­tor Dr. Mü mit gleich­blei­ben­dem Auf­ga­ben­be­reich nach M ver­setzt. Nach­dem er zu­neh­mend Jus­ti­tia­ri­ats­auf­ga­ben erfüll­te, über­nahm die Kläge­rin spätes­tens ab Som­mer 2003 - nach ih­rem Vor­brin­gen ab 2002 - die Auf­ga­ben der Per­so­nal­ver­wal­tung B. Ent­spre­chend wur­de sie in den Jahrbüchern des Be­klag­ten als zuständig für die Per­so­nal­ver­wal­tung B be­zeich­net und zwar ab 2002 als Per­so­nal­re­fe­ren­tin und ab 2006 als Ab­tei­lungs­lei­te­rin.

Zu ih­ren Auf­ga­ben im Be­reich der Per­so­nal­ent­wick­lung gehörte ua. im

Jah­re 1994 die Er­stel­lung ei­nes An­for­de­rungs­pro­fils zur Einführung ei­nes elek­tro­ni­schen Zeit­er­fas­sungs­sys­tems. 1993/1994 und 1999 ent­wi­ckel­te sie ein Kon­zept zur Er­stel­lung von Stel­len- und Tätig­keits­be­schrei­bun­gen. Für den Stand­ort B führ­te sie kon­zep­tio­nell und or­ga­ni­sa­to­risch Mit­ar­bei­ter­be­ur­tei­lungs-gespräche durch. Nach der Über­tra­gung der Trainee­aus­bil­dung in den Jah­ren 1999/2000 auf den Per­so­nal­be­reich ent­wi­ckel­te die Kläge­rin hier­zu ein


 

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Kon­zept. Auch führ­te sie Wei­ter­bil­dungs­maßnah­men und Schu­lun­gen zur DIDAS-Da­ten­bank durch.

Zu den Auf­ga­ben, wel­che die Kläge­rin und Herr R je­den­falls bis zum 9. De­zem­ber 2006 bei­de wahr­ge­nom­men hat­ten, gehörte die Lei­tung der Per­so­nal­ver­wal­tung der je­wei­li­gen Ge­ne­ral­di­rek­ti­on. Da­zu zähl­te ua. die Per­so­nal­be­treu­ung mit dem Führen von Be­wer­bungs­gesprächen, Ab­fas­sen von Ab­mah­nun­gen, Be­triebs­rats­anhörun­gen vor Kündi­gun­gen, die Kon­troll- und Ver­ant­wor­tungs­funk­ti­on für die un­ter­stell­ten Mit­ar­bei­ter so­wie Tätig­kei­ten der ei­ge­nen all­ge­mei­nen Per­so­nal­ent­wick­lungs­ar­beit. Bei­de wa­ren im sel­ben Um­fan­ge zeich­nungs­be­rech­tigt.

An­fang 2006 teil­te Dr. Mü der Kläge­rin mit, dass er wohl die Lei­tung der neu zu gründen­den Rechts­ab­tei­lung über­neh­men wer­de. Als sein Nach­fol­ger für die Per­so­nal­di­rek­ti­on kom­me aus sei­ner Sicht Herr R oder ein Ex­ter­ner in Be­tracht.

Im De­zem­ber 2006 hat­te die Per­so­nal­struk­tur beim Be­klag­ten fol­gen­de

Ge­stalt:

Männer

Frau­en

Ge­samt

Vor­stand

3

0

3

Di­rek­to­ren

15

0

15

Be­zirks­di­rek­to­ren

9

0

9

Ab­tei­lungs­di­rek- to­ren

8

4

12

Stellv. Be­zirks­di-

rek­to­ren

3

1

4

Ab­tei­lungs­lei­ter

12

19

31

Fach­re­fe­ren­ten

2

3

5

Fach­ju­ris­ten

6

1

7


 

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sons­ti­ge AT-Mit-

ar­bei­ter

34

24

58

ge­sam­ter AT-Be- reich

92

52

144

Ge­samt­be­leg- schaft

348

780

1128

Ge­samt­be­leg- schaft in %

31 %

69 %

Zu die­ser Zeit wa­ren in den höchs­ten zwei Ge­halts­stu­fen des nach­wir­ken­den Ta­rif­ver­tra­ges und im außer­ta­rif­li­chen Be­reich 2/3 al­ler Männer und 1/3 al­ler Frau­en ein­grup­piert. 95 % der Teil­zeit­kräfte wa­ren Frau­en. Der Auf­sichts­rat des Be­klag­ten be­stand aus 19 Männern und zwei Frau­en.

Am 9. De­zem­ber 2006 er­fuhr die Kläge­rin von Dr. Mü, dass Herr R sein Nach­fol­ger wer­den sol­le. Mit E-Mail vom 10. De­zem­ber 2006 bat der jet­zi­ge Pro­zess­be­vollmäch­tig­te der Kläge­rin ua. um schrift­li­che Präzi­sie­rung der ge­plan­ten Maßnah­me und um Mit­tei­lung, wie sich künf­tig die Stel­lung der Kläge­rin in der Be­triebs­hier­ar­chie und ih­re Be­fug­nis­se dar­stel­len soll­ten. Mit Aus­hang vom 10. De­zem­ber 2006 in­for­mier­te der Be­klag­te darüber, dass Herr Per­so­nal­lei­ter R „mit so­for­ti­ger Wir­kung zusätz­lich zur Per­so­nal­lei­tung der GD M die Per­so­nal­lei­tung für die GD B und die Be­zirks­di­rek­tio­nen“ über­neh­me.

Mit Schrei­ben vom 17. De­zem­ber 2006 wies die Kläge­rin ge­genüber dem Vor­stands­mit­glied Dr. H ua. dar­auf hin, dass ihr nicht klar sei, wie sich ih­re Stel­lung in der Be­triebs­hier­ar­chie dar­stel­le und mit wel­chen Ver­ant­wort­lich­kei­ten sie aus­ge­stat­tet blei­be und wer­de. Darüber hin­aus se­he sie ei­ne frau­en­spe­zi­fi­sche Be­nach­tei­li­gung bei der Beförde­rungs­ent­schei­dung. Auch kämen auf der wirk­li­chen Führungs­ebe­ne Frau­en nicht an, ob­wohl das Un­ter­neh­men weib­lich do­mi­niert sei.

Anläss­lich ei­nes Gespräches am 20. De­zem­ber 2006 in B zwi­schen Herrn R, der Kläge­rin und den drei wei­te­ren dort täti­gen Mit­ar­bei­te­rin­nen der Per­so­nal­ver­wal­tung erläuter­te Herr R, dass es künf­tig die Be­grif­fe Per­so­nal-


 

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di­rek­ti­on und Per­so­nal­ver­wal­tung nicht mehr ge­ben wer­de. Statt­des­sen exis­tie­re nur noch ei­ne Per­so­nal­ab­tei­lung, die aus der „Per­so­nal­ab­tei­lung M“, die er lei­te, so­wie aus der „Per­so­nal­ab­tei­lung B“, wel­che die Kläge­rin lei­te, be­ste­he. Die Kläge­rin bat dar­um, ihr die­se un­veränder­te hier­ar­chi­sche Ein­ord­nung schrift­lich zu bestäti­gen, was Herr R zu­sag­te.

Am Nach­mit­tag die­ses Ta­ges äußer­te Herr R in ei­nem wei­te­ren Ge-

spräch mit der Kläge­rin, sie sol­le sich über­le­gen, wie sie ih­re be­ruf­li­che Zu­kunft se­he. Über die­ses Gespräch hat die Kläge­rin ei­nen Ak­ten­ver­merk ge­fer­tigt.

Das Mit­glied des Vor­stan­des der Be­klag­ten Dr. H teil­te der Kläge­rin mit

Schrei­ben vom 3. Ja­nu­ar 2007 ua. Fol­gen­des mit:

„Der Vor­stand hat ent­schie­den, die Per­so­nal­di­rek­ti­on in ‚Per­so­nal­ab­tei­lung‘ um­zu­be­nen­nen. ‚Per­so­nal­ab­tei­lung‘ ist ein fest­ste­hen­der Be­griff und für die Funk­ti­on in zahl­rei­chen Un­ter­neh­men gebräuch­lich.

Die fach­li­che und dis­zi­pli­na­ri­sche Lei­tung der Per­so­nal­ab­tei­lung über­nimmt der Per­so­nal­lei­ter, Herr R.

Wei­ter­hin hat der Vor­stand ent­schie­den, den Be­griff ‚Per­so­nal­ver­wal­tung‘ ab­zu­schaf­fen. Im Er­geb­nis gibt es in­ner­halb der GE ei­ne Per­so­nal­ab­tei­lung, wel­che zukünf­tig als Ein­heit GE-weit als Dienst­leis­ter tätig ist. Sie selbst sind in­ner­halb der Per­so­nal­ab­tei­lung wei­ter­hin als Ab­tei­lungs­lei­te­rin tätig. In die­ser Funk­ti­on un­ter­ste­hen Sie fach­lich und dis­zi­pli­na­risch dem Per­so­nal­lei­ter.

Die Be­set­zung der Po­si­ti­on des Per­so­nal­lei­ters durch Herrn R wur­de aus­sch­ließlich aus fach­li­chen Erwägun­gen her­aus ge­trof­fen. Gründe für ei­ne Be­nach­tei­li­gung we­gen des Ge­schlechts sind nicht ge­ge­ben. ...

Ich for­de­re Sie da­her auf, Ih­ren ar­beits­ver­trag­li­chen Ver­pflich­tun­gen zukünf­tig nach­zu­kom­men und im Rah­men Ih­rer ar­beits­ver­trag­li­chen Ver­pflich­tun­gen den Wei­sun­gen Ih­res Vor­ge­setz­ten, Herrn Per­so­nal­lei­ter R, nach­zu­kom­men. Dies be­deu­tet ins­be­son­de­re, die durch den Vor­stand be­schlos­se­ne neue Or­ga­ni­sa­ti­ons­struk­tur des Per­so­nal­be­reichs im Rah­men der mit­tel­fris­ti­gen Un­ter­neh­mens­pla­nung ak­tiv un­ter­neh­mens­in­tern und -ex­tern mit um­zu­set­zen.“


 

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Die­sem Schrei­ben hef­te­te ein Kle­be­zet­tel von Herrn R an, wo­nach er

den In­halt mit Dr. Mü ab­ge­spro­chen ha­be und kei­ne ar­beits­recht­li­chen Be­den­ken bestünden.

Mit Schrei­ben ih­rer da­ma­li­gen Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten vom 6. Fe­bru­ar

2007 lies die Kläge­rin dar­auf hin­wei­sen, dass sie als Frau dis­kri­mi­niert wor­den sei. So er­hal­te sie ins­be­son­de­re ein deut­lich ge­rin­ge­res Ge­halt als Herr R und sei bei des­sen Beförde­rung dis­kri­mi­nie­rend über­g­an­gen wor­den. Auch sei­en ih­re Kom­pe­ten­zen und Be­fug­nis­se be­schränkt wor­den. Gleich­zei­tig mach­te sie Ansprüche auf Er­satz des ma­te­ri­el­len und im­ma­te­ri­el­len Scha­dens gel­tend, den sie auch be­zif­fer­te. Hier­auf ant­wor­te­te die Pro­zess­be­vollmäch­tig­te des Be­klag­ten mit Schrei­ben vom 8. Fe­bru­ar 2007 ua., dass sich durch die Um­be­nen­nung der Per­so­nal­di­rek­ti­on in „Per­so­nal­ab­tei­lung“ an der Po­si­ti­on der Kläge­rin zunächst nichts verände­re. Sie sei be­auf­tragt mit­zu­tei­len, dass der­zeit un­ter­neh­mens­in­tern ge­prüft wer­de, ob auf­grund der voll­zo­ge­nen Ände­run­gen wei­te­re Maßnah­men, ins­be­son­de­re auch auf der Lei­tungs­ebe­ne in M und B er­for­der­lich sei­en. Die im Schrei­ben des Vor­stan­des vom 3. Ja­nu­ar 2007 ent­hal­te­ne An­mah­nung zur Ein­hal­tung der ver­trag­li­chen Pflich­ten sei kein Vor­wurf der Schlecht- bzw. Min­der­leis­tung. Es ha­be nur be­deu­tet, dass die Kläge­rin ver­pflich­tet sei, in­ner­halb der be­ste­hen­den Hier­ar­chie und Or­ga­ni­sa­ti­ons­struk­tu­ren ih­ren ar­beits­ver­trag­li­chen Ver­pflich­tun­gen und den Wei­sun­gen ih­res di­rek­ten Vor­ge­setz­ten, Herrn R, nach­zu­kom­men.

Am 11. April 2007 traf sich in M ei­ne Pro­jekt­grup­pe „Ge­haltsbänder“,

de­ren Len­kungs­gre­mi­um die Kläge­rin an­gehörte. Die Ein­la­dun­gen der Teil­neh­mer wa­ren mit­tels zwei­er E-Mails durch Frau Ha er­folgt. In den Adress­zei­len wa­ren ua. die Na­men der Kläge­rin und des Herrn R auf­geführt. Auf die Äußerung der Kläge­rin: „Gu­ten Mor­gen, Herr R“ er­wi­der­te die­ser den Gruß nicht, son­dern ent­geg­ne­te: „Was wol­len Sie denn hier? Wer hat Sie denn ein­ge­la­den? Ich hätte Sie nicht ein­ge­la­den.“ Bei ei­nem Tref­fen am nächs­ten Tag in B erläuter­te Herr R sei­ne Äußerun­gen da­hin­ge­hend, dass die Kläge­rin an sol­chen Ver­an­stal­tun­gen künf­tig per Vi­deo­kon­fe­renz teil­neh­men sol­le. Dies die­ne der Kos­ten­er­spar­nis und ih­rem ef­fi­zi­en­te­ren Ein­satz. Als die Kläge­rin ent­geg­ne­te, dass sie ei­ne wei­te­re Teil­neh­me­rin aus dem B Haus über die


 

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Möglich­keit der Vi­deo­kon­fe­renz un­ter­rich­ten wol­le, ant­wor­te­te Herr R, dass dies et­was ganz an­de­res sei.

Nach Ein­rei­chung der Kla­ge mit Schrift­satz vom 4. Mai 2007 (Kla­ge­ein-

gang am sel­ben Ta­ge) fand am 22. Au­gust 2007 in M ein außer­ge­richt­li­ches Ver­gleichs­gespräch statt. In des­sen Ver­lauf äußer­te Dr. Mü, die Kläge­rin sol­le sich ge­nau über­le­gen, ob sie ei­nen länge­ren Rechts­streit durch­ste­hen könne, weil sol­che Pro­zes­se für Ar­beit­neh­mer ge­ne­rell sehr be­las­tend sei­en. Auch sol­le sie prüfen, ob sie das körper­lich und see­lisch aus­hal­te. Der jet­zi­ge Pro­zess­be­vollmäch­tig­te der Kläge­rin erklärte hier­zu, ein länge­rer Pro­zess könne auch für die vom Be­klag­ten be­nann­ten Zeu­gen un­an­ge­nehm sein. Während die­ses Wort­wech­sels erklärte Dr. Mü auch, sei­ne Ausführun­gen er­folg­ten „off re­cor­ds“.

Mit Aus­hang vom 7. Ja­nu­ar 2008 mach­te der Be­klag­te be­kannt, dass

Herr R „Per­so­nal­lei­ter der GD B, GD M und der Be­zirks­di­rek­tio­nen“ mit Wir­kung ab 1. Ja­nu­ar 2008 zum „Di­rek­tor Per­so­nal er­nannt“ wur­de.

Bis zur Sch­ließung der Be­zirks­di­rek­ti­on Ha am 30. Sep­tem­ber 1997 war

Frau W dort als Be­zirks­di­rek­to­rin beschäftigt. So­dann wur­de ihr die Po­si­ti­on ei­ner Sach­ge­biets­lei­te­rin (or­ga­ni­sa­to­risch un­ter dem Be­zirks­di­rek­tor ein­ge­stuft) in der Be­zirks­di­rek­ti­on N an­ge­bo­ten, wel­che sie auch an­nahm. Drei Mo­na­te später wur­de dort die Po­si­ti­on der Lei­tung der Be­zirks­di­rek­ti­on an Herrn Ba, Di­rek­tor der Di­rek­ti­on Außen­dienst in der Ge­ne­ral­di­rek­ti­on M, oh­ne Aus­schrei­bung neu ver­ge­ben.

Mit An­zei­ge vom 9. April 2005 such­te der Be­klag­te für den Stand­ort D

ei­ne/n Be­zirks­di­rek­tor/in. Be­wer­ber/Be­wer­be­rin­nen soll­ten über ein Stu­di­um der Wirt­schafts­wis­sen­schaf­ten verfügen. Die Be­wer­bung der Frau Gr, der dor­ti­gen stell­ver­tre­ten­den Be­zirks­di­rek­to­rin, fand kei­ne Berück­sich­ti­gung, ob­wohl sie über das gewünsch­te Stu­di­um verfügte. Nach­dem zum Be­wer­bungs­gespräch nur männ­li­che Be­wer­ber ein­ge­la­den wor­den wa­ren, wur­de ein Be­wer­ber ein­ge­stellt, der über kein Hoch­schul­stu­di­um verfügt, son­dern staat­lich ge­prüfter Be­triebs­wirt ist.


 

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Anläss­lich ei­ner Ab­tei­lungs­vi­deo­kon­fe­renz im April 2008 zwi­schen den

Stand­or­ten B und M sprach Herr R auf ei­nen Bei­trag der Kläge­rin die­se als „Frau C“ an. Nach­dem die Kläge­rin klar­ge­stellt hat­te, dass sie sich ge­mel­det hat­te, ant­wor­te­te die­ser: „Na dann wird uns Frau K in ei­nem hal­ben Jahr mal über den Stand un­ter­rich­ten“.

Die Kläge­rin ver­tritt die Auf­fas­sung, dass sie we­gen ih­res Ge­schlechts

bei der Be­set­zung der Lei­tungs­stel­le der bun­des­weit täti­gen Per­so­nal­di­rek­ti­on (später: Per­so­nal­ab­tei­lung) des Be­klag­ten im De­zem­ber 2006 über­g­an­gen wor­den sei und dass sie vom Be­klag­ten nach Wahr­neh­mung ih­rer Rech­te nach dem All­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­ge­setz (AGG) wie­der­um dis­kri­mi­niert, ins­be­son­de­re ein­geschüchtert wor­den sei und ihr sei­tens des Be­klag­ten Kom­pe­ten­zen ent­zo­gen würden. Sie meint, In­diz für ih­re Dis­kri­mi­nie­rung sei ua., dass im Zu­sam­men­hang mit der Be­set­zung der Stel­le in D im April 2005 und ih­rer Nach­fra­ge, wes­halb Frau Gr nicht in Be­tracht käme, Herr Dr. Mü sinn­gemäß be­zo­gen auf ein da­ma­li­ges Vor­stands­mit­glied ge­ant­wor­tet ha­be: „Sie ken­nen ja Herrn Dr. Kr. Der will halt kei­ne Frau­en“. Ein wei­te­res In­diz er­ge­be sich aus dem zah­lenmäßigen Ver­gleich der Zu­sam­men­set­zung von Ge­samt­be­leg­schaft nach Ge­schlechts­zu­gehörig­keit ei­ner­seits und der der Di­rek­to­ren­stel­len an­de­rer­seits. Un­ter Ver­wen­dung der kon­kre­ten Beschäfti­gungs­zah­len beim Be­klag­ten und un­ter Berück­sich­ti­gung der all­ge­mein an­er­kann­ten wis­sen­schaft­li­chen Grundsätze für Wahr­schein­lich­keits­rech­nun­gen lie­ge die Wahr­schein­lich­keit der Ge­schlech­ter­dis­kri­mi­nie­rung ei­ner Frau bei der Beförde­rung auf ei­ne der Di­rek­to­ren­stel­len zwi­schen 98,7 und 100 %. Die Wahr­schein­lich­keit der Ge­schlech­ter­dis­kri­mi­nie­rung bei dem Be­klag­ten er­ge­be sich auch aus den von ihr ein­ge­reich­ten Pri­vat­gut­ach­ten des Di­plom-Ma­the­ma­ti­kers Sch vom 10. Mai 2008 und vom 26. Ju­li 2008. Wei­te­res In­diz sei die Nicht­berück­sich­ti­gung von Frau S bei der Beförde­rung.

Auch sei sie durch den Aus­hang vom 10. De­zem­ber 2006 be­triebs-

öffent­lich er­nied­rigt wor­den. Für ih­re Be­nach­tei­li­gung durch den Be­klag­ten sei auch ih­re Teil­zeittätig­keit und da­mit mit­tel­bar ihr Ge­schlecht ver­ant­wort­lich ge­we­sen. Für ih­re Dis­kri­mi­nie­rung sprächen fer­ner Vorgänge, an de­nen sie als Lei­te­rin der Per­so­nal­ver­wal­tung B - im Ge­gen­satz zu frühe­ren Ge­pflo­gen-


 

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hei­ten - nicht be­tei­ligt wor­den sei. Als Re­ak­ti­on auf die Gel­tend­ma­chung ih­rer Rech­te ver­su­che der Be­klag­te, ihr Kom­pe­ten­zen zu ent­zie­hen. Auch ha­be Herr R bei dem Gespräch am Nach­mit­tag des 20. De­zem­ber 2006 kei­nen Zwei­fel dar­an ge­las­sen, dass er ei­ne ver­trau­ens­vol­le Zu­sam­men­ar­beit mit ihr ge­ra­de we­gen ih­rer Be­ru­fung auf das AGG als nicht mehr möglich an­se­he. Mit Schrei­ben vom 3. Ja­nu­ar 2007 ha­be der Be­klag­te den fal­schen Ein­druck er­weckt, sie ha­be in der Ver­gan­gen­heit ih­re Pflich­ten nicht erfüllt.

Die Kläge­rin hat zu­letzt be­an­tragt,

1. den Be­klag­ten zu ver­ur­tei­len, ihr 28.214,66 Eu­ro brut­to nebst Zin­sen zu zah­len,

2. den Be­klag­ten zu ver­ur­tei­len, ihr in Zu­kunft über das be­zo­ge­ne Ge­halt hin­aus mo­nat­lich wei­te­re 1.467,86 Eu­ro brut­to zu zah­len,

3. hilfs­wei­se für den Fall der Zurück­wei­sung des An­tra­ges zu 1. und 2., den Be­klag­ten zu ver­ur­tei­len, ihr in Zu­kunft nach Maßga­be der Aus­kunft über die Vergütung des Herrn R (Ge­halt bis 9. De­zem­ber 2006) gleich dem Herrn R zu zah­len,

4. den Be­klag­ten zu ver­ur­tei­len, ihr ei­ne Entschädi­gung nach dem Er­mes­sen des Ge­richts zu zah­len, min­des­tens je­doch 60.000,00 Eu­ro,

5. so­weit nicht durch die Anträge zu 2., 3. und 4. be­reits aus­ge­gli­chen, fest­zu­stel­len, dass der Be­klag­te ver­pflich­tet ist, ihr die ma­te­ri­el­len und im­ma­te­ri­el­len Schäden zu er­set­zen, die ihr im Zeit­raum zwi­schen De­zem­ber 2006 und Ju­li 2008 durch das Ver­hal­ten des Be­klag­ten ent­stan­den sind oder künf­tig ent­ste­hen wer­den auf­grund der Ver­let­zung des Ge­bots der Gleich­be­hand­lung von Mann und Frau (Art. 3 Abs. 3 GG, Art. 141 EGV, § 1 AGG) durch die un­ter­blie­be­ne Beförde­rung auf die Stel­le ei­ner Lei­te­rin der bun­des­weit täti­gen Per­so­nal­ab­tei­lung des Be­klag­ten so­wie durch die sons­ti­gen Be­nach­tei­li­gun­gen, die Maßnah­men nach § 16 AGG dar­stel­len, auf­grund der Ver­let­zung der Ge­sund­heit und auf­grund der Ver­let­zung des Persönlich­keits­rechts,

6. den Be­klag­ten zu ver­ur­tei­len, ihr über die Höhe des Herrn R ge­zahl­ten va­ria­blen Ent­gelts für das lau­fen­de Jahr je­weils bis Ab­lauf des ers­ten Quar­tals im Fol­ge­jahr, be­gin­nend mit dem 31. März 2009,


 

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Aus­kunft zu er­tei­len.

Der Be­klag­te hat be­an­tragt, die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Er be­haup­tet, Herr R sei An­fang 2000 beim Be­klag­ten ein­ge­stellt

wor­den, um die kon­zep­tio­nel­le Per­so­nal­ar­beit vor­an­zu­trei­ben. Er ha­be sich schon bei sei­nen frühe­ren Ar­beit­ge­bern im Be­reich der kon­zep­tio­nel­len, stra­te­gi­schen Per­so­nal­ar­beit ei­nen Na­men ge­macht. Dies er­ge­be sich auch aus sei­nen Zeug­nis­sen. Herr R ha­be ab dem Jah­re 2000 für den Be­klag­ten schwer­punktmäßig kon­zep­tio­nel­le Per­so­nal­ar­beit er­bracht und ein Per­so­nalent-wick­lungs­kon­zept er­ar­bei­tet, wel­ches dem Vor­stand mit Schrei­ben vom 1. Sep­tem­ber 2000 zu­ge­lei­tet wor­den sei, der die Um­set­zung befürwor­tet ha­be. Die Kläge­rin ha­be dem­ge­genüber kei­ne Er­fah­run­gen in der Er­ar­bei­tung von stra­te­gi­schen, kon­zep­tio­nel­len Per­so­nal­pro­jek­ten. Die Vor­kennt­nis­se und Er­fah­run­gen des Herrn R sei­en nicht nur für die ursprüng­li­che Ein­stel­lung, son­dern auch für die Beförde­rung im De­zem­ber 2006 maßgeb­lich ge­we­sen. Schon von der Aus­bil­dung, der sons­ti­gen Vor­bil­dung und den Kennt­nis­sen her sei­en er und die Kläge­rin nicht ver­gleich­bar. Da­her sei die Kläge­rin als Be­wer­be­rin bei der Beförde­rung im De­zem­ber 2006 schon ob­jek­tiv nicht ge­eig­net ge­we­sen. Zwar ha­be ein kon­kre­tes An­for­de­rungs­pro­fil nicht schrift­lich vor­ge­le­gen, doch ha­be bei den Ent­schei­dungs­trägern Ein­verständ­nis darüber be­stan­den, dass der neue Per­so­nal­lei­ter Be­rufs­er­fah­rung in der stra­te­gi­schen, kon­zep­tio­nel­len Per­so­nal­ar­beit und ein ein­schlägi­ges Uni­ver­sitäts­stu­di­um mit Schwer­punkt Per­so­nal­we­sen oder ein ju­ris­ti­sches Stu­di­um auf­wei­sen müsse.

Ziel des Aus­han­ges vom 10. De­zem­ber 2006 sei es ge­we­sen, die Um-

be­nen­nung der Per­so­nal­di­rek­ti­on in Per­so­nal­ab­tei­lung und die Über­nah­me der ehe­mals von Dr. Mü aus­geführ­ten Ar­bei­ten durch Herrn R mit­zu­tei­len. Die Po­si­ti­on der Kläge­rin als Lei­te­rin der Per­so­nal­ver­wal­tung B sei hier­durch nicht berührt wor­den, ins­be­son­de­re sei­en ihr kei­ne Kom­pe­ten­zen ent­zo­gen wor­den. Der Aus­hang sei in­so­fern al­len­falls miss­verständ­lich, je­den­falls nicht dis­kri­mi­nie­rend.

So­weit mit dem Schrei­ben der da­ma­li­gen Be­klag­ten­ver­tre­te­rin vom

8. Fe­bru­ar 2007 wei­te­re Maßnah­men an­ge­deu­tet wor­den sei­en, sei dies Aus-

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druck der un­ter­neh­me­ri­schen Frei­heit. Im Übri­gen sei die­ses Schrei­ben dem Be­klag­ten im Sin­ne des Dis­kri­mi­nie­rungs­rechts nicht zu­zu­rech­nen, da die Rechts­anwältin als Drit­te ge­han­delt ha­be.

Die Teil­nah­me der Kläge­rin am 11. April 2007 am Tref­fen der Pro­jekt

grup­pe „Ge­haltsbänder“ sei nicht not­wen­dig ge­we­sen. Dies zei­ge sich schon an ih­ren ge­rin­gen Wort­mel­dun­gen. Es sei auch dar­um ge­gan­gen, die Not­wen­dig­keit von Dienst­rei­sen ge­nau zu prüfen. Die Nach­fra­ge von Herrn R be­ru­he dar­auf, dass er über die Ein­la­dung der Kläge­rin nicht in­for­miert ge­we­sen sei.

Bei der Nicht­berück­sich­ti­gung von Frau Gr bei Be­wer­bungs­ver­fah­ren

für den Stand­ort D im Jah­re 2005 ha­be der aus­gewähl­te Kan­di­dat in die­ser größten Be­zirks­di­rek­ti­on Im­pul­se für an­de­re Be­zir­ke ge­ben sol­len. Die hierfür er­for­der­li­chen Kennt­nis­se sei­en in­tern nicht vor­han­den ge­we­sen. Ins­be­son­de­re ha­be Frau Gr über kei­ne Er­fah­rung im ex­ter­nen Be­reich verfügt. Das von der Kläge­rin vor­ge­leg­te Zah­len­ma­te­ri­al zum Verhält­nis weib­li­che/männ­li­che Mit­ar­bei­ter beim Be­klag­ten al­lein sei nicht ge­eig­net, den Nach­weis ei­ner Dis­kri­mi­nie­rung zu er­brin­gen. Vor­lie­gend sei schon nicht er­sicht­lich, wie vie­le Männer und/oder Frau­en sich je­weils zu frühe­ren Zei­ten be­wor­ben hätten.

Das Ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Zunächst hat das

Lan­des­ar­beits­ge­richt mit Teil­ur­teil vom 30. Ju­li 2008 die Be­ru­fung der Kläge­rin in­so­weit zurück­ge­wie­sen als sie sich ge­gen die Ab­wei­sung ih­rer Kla­ge auf Zah­lung der Dif­fe­renz zur Vergütung des Herrn R für den Zeit­raum 1. Ja­nu­ar 2000 bis 9. De­zem­ber 2006 ge­rich­tet hat­te. Ei­nen An­spruch der Kläge­rin ge­gen den Be­klag­ten auf Zah­lung der Ge­halts­dif­fe­renz un­ter dem Ge­sichts­punkt des Gleich­be­hand­lungs­ge­bots hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt ver­neint, weil die Kläge­rin kei­ne der Tätig­keit des Mit­ar­bei­ters R gleich­wer­ti­ge Ar­beit ge­leis­tet ha­be. Ei­ne Be­nach­tei­li­gung der Kläge­rin we­gen ih­res Ge­schlechts hat das Be­ru­fungs­ge­richt in die­sem Zu­sam­men­hang nicht ge­se­hen. Auf die Be­ru­fung der Kläge­rin hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt den Be­klag­ten durch Schlus­s­ur­teil zur Zah­lung der Dif­fe­renz zwi­schen der Vergütung der Kläge­rin und der des Herrn R vom 1. Ja­nu­ar 2007 bis 31. Ju­li 2008 in Höhe von ins­ge­samt 28.214,66 Eu­ro brut­to und zeit­lich un­be­grenzt für die Zu­kunft zur Zah­lung von


 

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mo­nat­lich 1.467,86 Eu­ro brut­to ver­ur­teilt. Darüber hin­aus hat es den Be­klag­ten zur Zah­lung ei­ner Entschädi­gung in Höhe von 20.000,00 Eu­ro und zur künf­ti­gen Aus­kunfts­er­tei­lung über die Höhe des Herrn R je­weils für das ver­gan­ge­ne Jahr ge­zahl­ten va­ria­blen Ent­gelts ver­ur­teilt. Im Übri­gen hat es die Be­ru­fung der Kläge­rin zurück­ge­wie­sen. Mit der teil­wei­se vom Lan­des­ar­beits­ge­richt und teil­wei­se vom Bun­des­ar­beits­ge­richt zu­ge­las­se­nen Re­vi­si­on be­gehrt der Be­klag­te Kla­ge­ab­wei­sung in vol­lem Um­fan­ge. Die Kläge­rin ver­folgt mit ih­rer Re­vi­si­on und Hilfs­an­schluss­re­vi­si­on im We­sent­li­chen ih­re in der Be­ru­fungs­in­stanz ge­stell­ten Anträge wei­ter und be­an­tragt im Übri­gen die Zurück­wei­sung der Re­vi­si­on des Be­klag­ten.

Ent­schei­dungs­gründe

Die Re­vi­sio­nen und die An­schluss­re­vi­si­on sind be­gründet.

A. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat sei­ne Ent­schei­dung im We­sent­li­chen wie

folgt be­gründet: Der Be­klag­te sei der Kläge­rin nach § 15 Abs. 1 AGG zum Scha­dens­er­satz in Höhe von 28.214,66 Eu­ro brut­to nebst Zin­sen für die Zeit vom 1. Ja­nu­ar 2007 bis 31. Ju­li 2008 ver­pflich­tet, weil er sie bei der Be­set­zung ei­ner Beförde­rungs­stel­le im De­zem­ber 2006 we­gen ih­res Ge­schlechts be­nach­tei­ligt ha­be. Die Kläge­rin ha­be mit der vor­ge­leg­ten Sta­tis­tik über das Verhält­nis zwi­schen dem Frau­en­an­teil der Be­leg­schaft des Be­klag­ten ei­ner­seits und dem Frau­en­an­teil in obe­ren Führungs­po­si­tio­nen an­de­rer­seits In­di­zi­en dar­ge­legt, wel­che ih­re Be­nach­tei­li­gung we­gen ei­nes in § 1 AGG ge­nann­ten Grun­des ver­mu­ten ließen. Als aus­rei­chen­des In­diz iSd. § 22 AGG für die Ge­schlech­ter­dis­kri­mi­nie­rung bei der Beförde­rung genüge, dass beim Be­klag­ten al­le 27 Führungs­po­si­tio­nen mit Männern be­setzt sei­en, ob­wohl Frau­en 2/3 der Be­leg­schaft stell­ten. Dies könne nicht dar­auf be­ru­hen, dass Fa­mi­lie und Be­ruf schwer ver­ein­bar sei­en, weil dies sich nur dar­auf aus­wir­ke, ob ei­ne Frau sich über­haupt für die Be­rufstätig­keit ent­schei­de, nicht je­doch dar­auf, wel­che Hier­ar­chie­stu­fe sie er­rei­che. Aus si­gni­fi­kan­ten Zuständen der Ver­gan­gen­heit, dass nämlich auch Frau G die Funk­ti­on der Per­so­nal­di­rek­to­rin nur


 

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kom­mis­sa­risch über­tra­gen wor­den sei und dass es seit 1976 kei­ne wei­te­re Di­rek­to­rin, Be­zirks­di­rek­to­rin oder Vor­stands­frau beim Be­klag­ten ge­be, könne auf die Ge­gen­wart ge­schlos­sen wer­den. Dem­ge­genüber sei dem Be­klag­ten nicht der Nach­weis ge­lun­gen, dass kein Ver­s­toß ge­gen das Be­nach­tei­li­gungs­ver­bot vor­ge­le­gen ha­be. Ins­be­son­de­re sei sein Vor­trag, es sei bei den we­sent­li­chen Ent­schei­dungs­trägern klar ge­we­sen, dass Vor­aus­set­zung für die streit­ge­genständ­li­che Beförde­rung ein ein­schlägi­ges ju­ris­ti­sches oder ein Uni­ver­sitäts­stu­di­um mit Schwer­punkt Per­so­nal­we­sen so­wie Kennt­nis­se und Er­fah­run­gen in der Per­so­nal­ent­wick­lungs­ar­beit sei, un­sub­stan­ti­iert. Da der Be­klag­te sei­ne Aus­wahl­kri­te­ri­en vor­ab nicht nach außen do­ku­men­tiert ha­be, könne er sich auch nicht mehr auf die­se be­ru­fen. Dies gel­te auch, so­weit er da­mit die man­geln­de ob­jek­ti­ve Eig­nung der Kläge­rin be­gründen wol­le. Von der man­geln­den Eig­nung der Kläge­rin könne auch des­halb nicht aus­ge­gan­gen wer­den, weil die­se wie Herr R be­reits zu­vor die Per­so­nal­ver­wal­tung ei­ner Ge­ne­ral­di­rek­ti­on ge­lei­tet ha­be. Bei dis­kri­mi­nie­rungs­frei­er Aus­wahl wäre die Kläge­rin die am bes­ten ge­eig­ne­te Be­wer­be­rin ge­we­sen. Die Höhe des ma­te­ri­el­len Scha­dens­er­sat­zes ent­spre­che der Dif­fe­renz zwi­schen der tatsächlich er­hal­te­nen Vergütung und der Vergütung, die auf der höher­wer­ti­gen Stel­le ge­zahlt wer­de. An­halts­punk­te dafür, dass der Be­klag­te die Pflicht­ver­let­zung nicht zu ver­tre­ten ha­be und für ein Mit­ver­schul­den der Kläge­rin lägen nicht vor.

Die Kla­ge auf Zah­lung der künf­ti­gen Ge­halts­dif­fe­ren­zen iHv. mo­nat­lich

1.467,86 Eu­ro brut­to sei zulässig und be­gründet, weil die Be­sorg­nis be­ste­he, dass der Be­klag­te die Zah­lung nicht frei­wil­lig er­brin­gen wer­de. Die­ser An­spruch sei zeit­lich un­be­grenzt, weil die Rechts­ge­dan­ken der § 628 BGB, §§ 9, 10 KSchG hier nicht ein­schlägig sei­en. Aus den­sel­ben Erwägun­gen sei auch die Kla­ge auf Aus­kunft über die Höhe des an Herrn R ge­zahl­ten va­ria­blen Ent­gelts be­gründet.

Fer­ner sei der Be­klag­te ver­pflich­tet, an die Kläge­rin ei­ne Entschädi­gung

iHv. 20.000,00 Eu­ro we­gen ei­ner schwer­wie­gen­den Ver­let­zung des Persönlich­keits­rechts, Art. 1, 2 GG iVm. § 823 BGB, zu zah­len. Sie sei bei der Beförde­rung we­gen ih­res Ge­schlechts be­nach­tei­ligt wor­den, wes­halb ei­ne Entschädi­gung iHv. 4.000,00 Eu­ro ge­recht­fer­tigt und an­ge­mes­sen sei. Sch­ließlich


 

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wer­de die Kläge­rin, nach­dem sie sich ge­gen den Ein­druck des Kom­pe­tenz­ent­zu­ges durch den Aus­hang vom 10. De­zem­ber 2006 und ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung bei der Beförde­rungs­ent­schei­dung weh­re, her­ab­gewürdigt und be­wusst un­ter Druck ge­setzt. Dies zei­ge die Be­mer­kung des Herrn R vom 20. De­zem­ber 2006, dass die Kläge­rin über ih­re be­ruf­li­che Zu­kunft nach­den­ken sol­le, und das Schrei­ben vom 3. Ja­nu­ar 2007, in dem sie auf­ge­for­dert wur­de, zukünf­tig ih­ren ar­beits­ver­trag­li­chen Ver­pflich­tun­gen nach­zu­kom­men und der dar­an be­find­li­che Kle­be­zet­tel. Dafür spre­che auch das Schrei­ben vom 8. Fe­bru­ar 2007, in dem Über­le­gun­gen zu Ände­run­gen auf der Lei­tungs­ebe­ne an­gekündigt wur­den, das Ver­hal­ten des Herrn R am 11. April 2007 und bei der Vi­deo­kon­fe­renz im April 2008 so­wie der Einschüchte­rungs­ver­such des Herrn Dr. Mü beim außer­ge­richt­li­chen Ver­gleichs­gespräch am 22. Au­gust 2007. Die ent­spre­chen­den Ver­hal­tens­wei­sen sei­en auch dem Be­klag­ten zu­zu­rech­nen. Für die zeit­lich der un­ter­blie­be­nen Beförde­rung nach­fol­gen­den Hand­lun­gen sei ei­ne Entschädi­gung von 16.000,00 Eu­ro ge­recht­fer­tigt. Der darüber hin­aus­ge­hen­de, von der Kläge­rin gel­tend ge­mach­te Entschädi­gungs­an­spruch ste­he ihr nicht zu.

Der gel­tend ge­mach­te An­trag auf Fest­stel­lung der Scha­dens­er­satz-

pflicht des Be­klag­ten für die der Kläge­rin bis Ju­li 2008 ent­stan­de­nen ma­te­ri­el­len und im­ma­te­ri­el­len Schäden sei in großen Tei­len un­zulässig, weil nicht er­sicht­lich sei, wel­che wei­te­ren ma­te­ri­el­len und im­ma­te­ri­el­len Ansprüche über die be­reits gel­tend ge­mach­ten hin­aus in Be­tracht kom­men könn­ten.

B. Die zulässi­ge Re­vi­si­on des Be­klag­ten ist be­gründet; sie führt zur Auf-

he­bung des an­ge­foch­te­nen Ur­teils, so­weit es der Kla­ge statt­ge­ge­ben hat, und zur Zurück­ver­wei­sung der Sa­che an das Lan­des­ar­beits­ge­richt.

I. Die Kla­ge auf Zah­lung von Scha­dens­er­satz in Höhe von

28.214,66 Eu­ro brut­to nebst Zin­sen ist zwar zulässig, aber nicht zur End­ent­schei­dung reif.

1. Die Kla­ge ist aus­rei­chend be­stimmt, § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Aus den

in der Be­ru­fungs­ver­hand­lung vom 30. Ju­li 2008 ein­ge­reich­ten Vergütungs­ta­bel­len, in de­ren Kon­text der An­trag erst­mals be­zif­fert wor­den ist, er­gibt sich,


 

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dass er sich auf ent­gan­ge­nen Mehr­ver­dienst für die Zeit vom 1. Ja­nu­ar 2007 bis ein­sch­ließlich 31. Ju­li 2008 be­zieht und die dem Mit­ar­bei­ter R im Jah­re 2007 ge­zahl­te va­ria­ble Vergütung in Höhe von 8.291,00 Eu­ro enthält. Auch der Über­gang von der Stu­fen­kla­ge zur be­zif­fer­ten Zah­lungs­kla­ge in der zwei­ten In­stanz war zulässig. Zu Recht hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt an­ge­nom­men, dass es sich hier­bei nicht um ei­ne Kla­geände­rung ge­han­delt hat (vgl. BGH 21. Fe­bru­ar 1991 - III ZR 169/88 - NJW 1991, 1893).

2. Den An­spruch der Kläge­rin auf Scha­dens­er­satz in Höhe von

28.214,66 Eu­ro brut­to nebst Zin­sen hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt mit ei­ner Be­gründung be­jaht, die ei­ner re­vi­si­ons­recht­li­chen Über­prüfung nicht standhält.

a) Zu Recht geht das Lan­des­ar­beits­ge­richt zunächst da­von aus, dass die
Be­gründet­heit des gel­tend ge­mach­ten Scha­dens­er­satz­an­spruchs nach dem AGG zu be­ur­tei­len ist. Gem. § 33 AGG ist auf mögli­che Be­nach­tei­li­gun­gen ei­nes Beschäftig­ten we­gen ei­nes in § 1 AGG ge­nann­ten Grun­des, wel­che seit dem 18. Au­gust 2006 statt­ge­fun­den ha­ben, das AGG an­zu­wen­den. Die Nicht­berück­sich­ti­gung der Kläge­rin bei der streit­be­fan­ge­nen Per­so­nal­ent­schei­dung er­folg­te nicht vor dem 9. De­zem­ber 2006 und da­mit nach dem 17. Au­gust 2006.

b) Die Kläge­rin ist Beschäftig­te iSd. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AGG, oh­ne
dass es hierfür dar­auf ankäme, ob sie für die Po­si­ti­on der Lei­te­rin der über­ge­ord­ne­ten Per­so­nal­ab­tei­lung ob­jek­tiv ge­eig­net war. Die ob­jek­ti­ve Eig­nung ei­nes Be­wer­bers ist kei­ne Tat­be­stands­vor­aus­set­zung für ei­nen Scha­dens­er­satz­an­spruch nach § 15 Abs. 1 oder Abs. 2 AGG (Se­nat 18. März 2010 - 8 AZR 77/09 - DB 2010, 1534).

c) Die zwei­mo­na­ti­ge Aus­schluss­frist des § 15 Abs. 4 AGG und die drei-
mo­na­ti­ge des § 61b Abs. 1 ArbGG für die schrift­li­che und die ge­richt­li­che Gel­tend­ma­chung des Scha­dens­er­satz­an­spruchs sind durch das Schrei­ben der Kläge­rin vom 6. Fe­bru­ar 2007, dem Be­klag­ten spätes­tens am 8. Fe­bru­ar 2007 zu­ge­gan­gen, und die am 4. Mai 2007 ein­ge­gan­ge­ne Kla­ge ge­wahrt. Da­bei kann of­fen­blei­ben, ob § 61b Abs. 1 ArbGG Scha­dens­er­satz­ansprüche gem. § 15 Abs. 1 AGG über­haupt er­fasst. Nach den Fest­stel­lun­gen des Lan­des­ar­beits-


 

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ge­richts wur­de der Kläge­rin am 9. De­zem­ber 2006 te­le­fo­nisch mit­ge­teilt, dass der Mit­ar­bei­ter R de­fi­ni­tiv Nach­fol­ger des Per­so­nal­di­rek­tors Dr. Mü wer­de. Da­mit be­gann die Frist des § 15 Abs. 4 Satz 1 ArbGG erst ab die­sem Zeit­punkt zu lau­fen, § 15 Abs. 4 Satz 2 AGG.

d) Ein Scha­dens­er­satz­an­spruch nach § 15 Abs. 1 AGG setzt vor­aus, dass

der An­spruchs­geg­ner ge­gen das Be­nach­tei­li­gungs­ver­bot des § 7 Abs. 1 iVm. § 1 AGG ver­s­toßen hat (vgl. Se­nat 28. Mai 2009 - 8 AZR 536/08 - AP AGG § 8 Nr. 1 = EzA AGG § 8 Nr. 1 zum Entschädi­gungs­an­spruch nach § 15 Abs. 2 AGG).

Der Be­gründung des Lan­des­ar­beits­ge­richts, war­um die Nicht­berück

sich­ti­gung der Kläge­rin bei der Über­tra­gung der Auf­ga­ben des Dr. Mü auf ei­nen Nach­fol­ger ei­ne Be­nach­tei­li­gung der Kläge­rin we­gen ih­res Ge­schlechts (§ 7 Abs. 1 iVm. § 1 AGG) dar­stellt, folgt der Se­nat nicht.

aa) Die Kläge­rin macht gel­tend, sie sei des­halb nicht Nach­fol­ge­rin des

Dr. Mü ge­wor­den, weil sie ei­ne Frau sei.

Ei­ne un­mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung iSd. § 3 Abs. 1 AGG liegt dann vor,

wenn die sich nach­tei­lig aus­wir­ken­de Maßnah­me di­rekt an das ver­bo­te­ne Merk­mal an­knüpft (vgl. Se­nat 18. März 2010 - 8 AZR 77/09 - DB 2010, 1534). Da­bei kommt es nicht dar­auf an, ob die An­knüpfung ver­deckt oder of­fen er­folgt. Ei­ne ver­deck­te Dis­kri­mi­nie­rung ist nicht stets ei­ne mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung iSd. § 3 Abs. 2 AGG. So­wohl die un­mit­tel­ba­re als auch die mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung können of­fen oder ver­deckt er­fol­gen, je nach­dem, ob di­rekt an ein ver­bo­te­nes (un­mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung) bzw. nur dem An­schein nach neu­tra­les Merk­mal (mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung) of­fen oder ver­deckt an­ge­knüpft wird (vgl. Schleu­se­ner in Schleu­se­ner/Suckow/Voigt AGG 2. Aufl. § 3 Rn. 14; Ri­char­di NZA 2006, 881). Die Fra­ge, ob es sich bei ver­deck­ter Dis­kri­mi­nie­rung in Form von tatsächlich un­mit­tel­bar an das Ge­schlecht an­knüpfen­den Beförde­rungs­ent­schei­dun­gen um ei­ne mit­tel­ba­re oder ei­ne un­mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung han­delt, war nicht gem. Art. 267 AEUV dem Ge­richts­hof der Eu­ropäischen Uni­on zur Vor­ab­ent­schei­dung vor­zu­le­gen.


 

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Für die Ent­schei­dung des Rechts­streits kommt es nämlich letzt­lich nicht

dar­auf an, ob ei­ne ver­deck­te Be­nach­tei­li­gung ei­ne mit­tel­ba­re oder ei­ne un­mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung dar­stellt, weil die Be­weis­last­re­gel des § 22 AGG all­ge­mein für Be­nach­tei­li­gun­gen iSd. AGG und da­mit ent­spre­chend der Vor­ga­be des Art. 19 Abs. 1 der Richt­li­nie 2006/54/EG des Eu­ropäischen Par­la­ments und des Ra­tes vom 5. Ju­li 2006 zur Ver­wirk­li­chung des Grund­sat­zes der Chan­cen­gleich­heit und Gleich­be­hand­lung von Männern und Frau­en in Ar­beits-und Beschäfti­gungs­fra­gen (Neu­fas­sung) (im Fol­gen­den: RL 2006/54/EG) so­wohl für ei­ne un­mit­tel­ba­re als auch für ei­ne mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung gilt.

bb) Zu­tref­fend kommt das Be­ru­fungs­ge­richt zu dem Er­geb­nis, dass die

Kläge­rin ungüns­ti­ger be­han­delt wor­den ist als der Mit­ar­bei­ter R, dem als Nach­fol­ger von Dr. Mü die Lei­tung der Per­so­nal­ab­tei­lung über­tra­gen wor­den ist. In die­ser Maßnah­me des Be­klag­ten lag ei­ne Beförde­rung, die nach dem an­zu­le­gen­den ob­jek­ti­ven Maßstab vor­teil­haft war. Die Über­tra­gung höher­wer­ti­ger oder ver­ant­wor­tungs­vol­le­rer Tätig­kei­ten stellt grundsätz­lich ei­ne güns­ti­ge Be­hand­lung in Form des be­ruf­li­chen Auf­stiegs dar. Dies gilt ins­be­son­de­re, wenn - wie im Streit­fal­le - ei­nem Ar­beit­neh­mer Funk­tio­nen ei­nes Mit­ar­bei­ters über­tra­gen wer­den, der auf ei­ner höhe­ren Hier­ar­chie­stu­fe an­ge­sie­delt war. Dr. Mü war als Per­so­nal­di­rek­tor auf der Ebe­ne der Di­rek­to­ren an­ge­sie­delt. Dem­ent­spre­chend wur­de auch der Mit­ar­bei­ter R nach Über­tra­gung der von je­nem aus­geübten Tätig­kei­ten zum 1. Ja­nu­ar 2008 zum „Di­rek­tor Per­so­nal“ er­nannt.

Für die An­nah­me ei­ner Be­nach­tei­li­gung der Kläge­rin ist es un­maßgeb-

lich, dass sie sich für die Po­si­ti­on des Per­so­nal­lei­ters nicht be­wor­ben hat­te. Ei­ne Be­nach­tei­li­gung iSd. § 3 AGG kann auch vor­lie­gen, wenn ei­ne Be­wer­bung des­halb un­ter­blie­ben ist, weil der Ar­beit­ge­ber - wie im Streit­fal­le - sei­ne Aus­wahl oh­ne ei­ne Aus­schrei­bung der Stel­le oder ei­ne Auf­for­de­rung zu Be­wer­bun­gen ge­trof­fen hat.

cc) Eben­falls zu­tref­fend nimmt das Lan­des­ar­beits­ge­richt an, die Kläge­rin

sei in ei­ner ver­gleich­ba­ren Si­tua­ti­on schlech­ter be­han­delt wor­den als der Mit­ar­bei­ter R.


 

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Das Vor­lie­gen ei­ner ver­gleich­ba­ren Si­tua­ti­on iSd. § 3 Abs. 1 AGG setzt

vor­aus, dass die Kläge­rin ob­jek­tiv für die Po­si­ti­on der Lei­te­rin der Per­so­nal­ab­tei­lung ge­eig­net war, denn ver­gleich­bar (nicht: gleich) ist die Aus­wahl­si­tua­ti­on nur für Ar­beit­neh­mer, die glei­cher­maßen die ob­jek­ti­ve Eig­nung für die zu be­set­zen­de Stel­le auf­wei­sen. Maßgeb­lich für die ob­jek­ti­ve Eig­nung ist da­bei nicht das for­mel­le An­for­de­rungs­pro­fil, wel­ches der Ar­beit­ge­ber er­stellt hat, son­dern die An­for­de­run­gen, wel­che der Ar­beit­ge­ber an ei­nen Stel­len­be­wer­ber stel­len durf­te. Zunächst ist da­von aus­zu­ge­hen, dass der Ar­beit­ge­ber über den der Stel­le zu­ge­ord­ne­ten Auf­ga­ben­be­reich und die dafür ge­for­der­ten Qua­li­fi­ka­tio­nen des Stel­len­in­ha­bers frei ent­schei­den darf. Durch das Stel­len von An­for­de­run­gen an Be­wer­ber, die nach der im Ar­beits­le­ben herr­schen­den Ver­kehrs­an­schau­ung durch die Er­for­der­nis­se der wahr­zu­neh­men­den Auf­ga­ben un­ter kei­nem nach­voll­zieh­ba­ren Ge­sichts­punkt ge­deckt sind, darf er al­ler­dings die Ver­gleich­bar­keit der Si­tua­ti­on nicht willkürlich ge­stal­ten und da­durch den Schutz des AGG de fac­to be­sei­ti­gen (Bestäti­gung und Fortführung von: Se­nat 18. März 2010 - 8 AZR 77/09 - DB 2010, 1534). Die ob­jek­ti­ve Eig­nung ist zu tren­nen von der in­di­vi­du­el­len fach­li­chen und persönli­chen Qua­li­fi­ka­ti­on des Be­wer­bers, die nur als Kri­te­ri­um der Aus­wah­l­ent­schei­dung auf der Ebe­ne der Kau­sa­lität zwi­schen Be­nach­tei­li­gung und ver­bo­te­nem Merk­mal ei­ne Rol­le spielt.

Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die ob­jek­ti­ve Eig­nung der Kläge­rin mit

ei­ner Haupt­be­gründung und ei­ner Hilfs­be­gründung be­jaht. Zu­min­dest letz­te­re hält ei­ner re­vi­si­ons­recht­li­chen Über­prüfung stand.

So geht das Lan­des­ar­beits­ge­richt in die­ser da­von aus, dass von der

ob­jek­ti­ven Eig­nung der Kläge­rin für die Lei­tung der Per­so­nal­ab­tei­lung vor dem Hin­ter­grund ih­rer bis­he­ri­gen Tätig­keit aus­ge­gan­gen wer­den müsse. Ob die­ses Merk­mal, wie das Lan­des­ar­beits­ge­richt an­nimmt, nur dann zu ver­nei­nen ist, wenn die Eig­nung of­fen­sicht­lich fehlt, braucht eben­so we­nig ent­schie­den zu wer­den wie die An­wend­bar­keit der Be­weis­last­re­gel des § 22 AGG in die­sem Zu­sam­men­hang. Der Be­klag­te wäre be­reits nach den all­ge­mei­nen Grundsätzen des § 138 ZPO ge­hal­ten ge­we­sen dar­zu­le­gen, in­wie­fern die Kläge­rin ob­jek­tiv für die Po­si­ti­on der über­ge­ord­ne­ten Per­so­nal­lei­tung nicht ge­eig­net war. Sie war un­strei­tig seit 1995 stell­ver­tre­ten­de Lei­te­rin der Per­so­nal­ver­wal­tung der


 

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Ge­ne­ral­di­rek­ti­on B mit 340 Mit­ar­bei­tern, lei­te­te die­se En­de der 1990er-Jah­re be­reits für fünf Mo­na­te fak­tisch, über­nahm je­den­falls ab 2003 die Auf­ga­ben der Lei­tung of­fi­zi­ell und wur­de zum 1. Ja­nu­ar 2006 zur Ab­tei­lungs­lei­te­rin der Ge­ne­ral­di­rek­ti­on B er­nannt. Sie war da­bei im glei­chen Um­fan­ge wie ihr Kol­le­ge R zeich­nungs­be­rech­tigt und nahm klas­si­sche Auf­ga­ben der Per­so­nal­lei­tung, wie et­wa die Durchführung von Be­wer­bungs­gesprächen, das Ver­fas­sen von Ab­mah­nun­gen oder die Fer­ti­gung von Be­triebs­rats­anhörun­gen vor Kündi­gun­gen wahr. So­wohl bei frühe­ren Ar­beit­ge­bern als auch bei dem Be­klag­ten führ­te sie Tätig­kei­ten durch, wel­che dem Be­reich der Per­so­nal­ent­wick­lung zu­zu­ord­nen wa­ren. Bei die­ser Sach­la­ge hätte es dem Be­klag­ten ob­le­gen, im Ein­zel­nen dar­zu­tun, in­wie­weit sich die bis­her von der Kläge­rin aus­geführ­ten Tätig­kei­ten von de­nen un­ter­schei­den, die ihr Kol­le­ge R bis­lang er­le­digt hat­te, und wel­che wei­te­ren fach­li­chen und/oder persönli­chen An­for­de­run­gen der Mit­ar­bei­ter R im Ge­gen­satz zur Kläge­rin erfüll­te. Der Be­klag­te hat sich aber nur abs­trakt dar­auf be­ru­fen, Vor­aus­set­zun­gen für die Lei­tung der Per­so­nal­ab­tei­lung sei­en ein ein­schlägi­ges Uni­ver­sitäts­stu­di­um und Vor­kennt­nis­se im Be­reich der kon­zep­tio­nel­len, stra­te­gi­schen Per­so­nal­ar­beit ge­we­sen. Hin­sicht­lich der an­fal­len­den Tätig­kei­ten führt er nur aus, der Per­so­nal­lei­ter agie­re als Bin­de­glied zum Vor­stand und be­ra­te die­sen recht­lich. Wei­ter ob­lie­ge ihm die mit­tel­fris­ti­ge Un­ter­neh­mens­pla­nung im Hin­blick auf die Per­so­nal­stra­te­gie so­wie die al­lei­ni­ge kon­zep­tio­nel­le Ver­ant­wor­tung. Dies ist im Hin­blick auf die hierfür er­for­der­li­chen Fähig­kei­ten und die Kennt­nis­se des Stel­len­in­ha­bers nicht aus­sa­ge­kräftig. Auch erläutert der Be­klag­te nicht ein­deu­tig, was er un­ter „mo­der­ner“ oder „stra­te­gisch kon­zep­tio­nel­ler“ Per­so­nal­ar­beit ver­steht, die nach sei­nem Vor­trag vor der Ein­stel­lung des Dr. Mü im Jah­re 1999 bei ihm nicht statt­ge­fun­den hat.

dd) Die Eig­nung der Kläge­rin ist auch nicht in­fol­ge des Teil­ur­teils des

Lan­des­ar­beits­ge­richts vom 30. Ju­li 2008 zu ver­nei­nen. Mit Zurück­wei­sung der Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de durch Be­schluss des Bun­des­ar­beits­ge­richts vom 11. Fe­bru­ar 2009 (- 5 AZN 1023/08 -) ist das Teil­ur­teil for­mell rechts­kräftig ge­wor­den, weil die von der Kläge­rin ein­ge­leg­te Ver­fas­sungs­be­schwer­de kein Rechts­mit­tel dar­stellt und den Ein­tritt der for­mel­len und ma­te­ri­el­len Rechts­kraft


 

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nicht hemmt (BAG 16. Ja­nu­ar 2003 - 2 AZR 735/00 - AP ZPO § 322 Nr. 38 = EzA TVG § 4 Aus­schluss­fris­ten Nr. 166). Der aus­schlag­ge­ben­de, die Kla­ge­ab­wei­sung tra­gen­de Grund wird Teil des in Rechts­kraft er­wach­sen­den Ent­schei­dungs­sat­zes und ist nicht al­lein ein Ele­ment der Ent­schei­dungs­be­gründung (BGH 24. Ju­ni 1993 - III ZR 43/92 - NJW 1993, 3204). Auch wenn in­so­fern die tatsächli­chen Fest­stel­lun­gen nicht an der Rechts­kraft der gefäll­ten Ent­schei­dung teil­ha­ben, darf die­se nicht mit dem Vor­brin­gen aus­gehöhlt wer­den, das rechts­kräfti­ge Ur­teil gründe sich auf un­rich­ti­ge tatsächli­che Fest­stel­lun­gen. Zu den Rechts­kraft­wir­kun­gen gehört des­halb die Präklu­si­on der im ers­ten Pro­zess vor­ge­tra­ge­nen Tat­sa­chen, wel­che zu ei­ner Ab­wei­chung von ei­ner rechts­kräftig fest­ge­stell­ten Rechts­fol­ge führen sol­len (BGH 11. No­vem­ber 1994 - V ZR 46/93 - NJW 1995, 967). Die Fest­stel­lung im Teil­ur­teil, die Po­si­tio­nen, auf wel­che die Kläge­rin ei­ner­seits und der Mit­ar­bei­ter R an­de­rer­seits ursprüng­lich ein­ge­stellt wor­den sei­en, sei­en nicht auf der glei­chen Hier­ar­chie­stu­fe an­ge­sie­delt ge­we­sen, sagt je­doch über die ob­jek­ti­ve Eig­nung der Kläge­rin für die im De­zem­ber 2006 be­setz­te Beförde­rungs­stel­le nichts aus. Glei­ches gilt für die un­ter­schied­li­che Qua­lität der je­weils ab­sol­vier­ten Aus­bil­dun­gen, von der das Teil­ur­teil aus­geht, und we­gen der es ua. auch die Gleich­wer­tig­keit der bis­he­ri­gen Tätig­kei­ten der Kläge­rin und des Mit­ar­bei­ters R ver­neint hat. Es ist nämlich un­klar, wel­che zusätz­li­chen Kennt­nis­se und Fähig­kei­ten die Beförde­rungs­stel­le er­for­dert.

ee) Die Ver­fah­rensrüge des Be­klag­ten ge­gen die tatsächli­chen Fest-

stel­lun­gen des Lan­des­ar­beits­ge­richts zur Eig­nung der Kläge­rin greift nicht durch. Auch so­weit er die rich­ter­li­che Aufklärungs­pflicht nach § 139 ZPO für ver­letzt hält, weil das Lan­des­ar­beits­ge­richt sei­nen Vor­trag als un­sub­stan­ti­iert an­ge­se­hen und kei­nen Be­weis er­ho­ben ha­be, oh­ne vor­her von sei­nem Fra­ge­recht Ge­brauch zu ma­chen, ist die Ver­fah­rensrüge eben­falls un­be­gründet. Von ei­ner Be­gründung sei­ner Ent­schei­dung sieht der Se­nat in­so­weit gem. § 564 ZPO iVm. § 72 Abs. 5 ArbGG ab.


 

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ff) Er­folg hat je­doch die Rüge des Be­klag­ten ge­gen die An­nah­me des

Lan­des­ar­beits­ge­richts, die Be­nach­tei­li­gung der Kläge­rin sei we­gen ih­res Ge­schlechts er­folgt.

Ei­ne un­zulässi­ge Be­nach­tei­li­gung nach § 7 AGG kann be­reits dann vor

lie­gen, wenn ei­ner der in § 1 AGG ge­nann­ten Gründe, zu de­nen auch das Ge­schlecht zählt, Be­stand­teil ei­nes Mo­tivbündels war, das die streit­be­fan­ge­ne Ent­schei­dung be­ein­flusst hat (st. Rspr., vgl. Se­nat 20. Mai 2010 - 8 AZR 287/08 (A) - NZA 2010, 1006; 18. März 2010 - 8 AZR 77/09 - DB 2010, 1534).

Mit der Be­gründung des Lan­des­ar­beits­ge­richts kann ei­ne sol­che Mit-

ursächlich­keit nicht an­ge­nom­men wer­den.

Der Be­klag­te rügt zu Recht, das Be­ru­fungs­ge­richt ha­be § 286 ZPO

durch die An­nah­me ver­letzt, be­reits das zah­lenmäßige Ge­schlech­ter­verhält­nis in sei­ner Be­leg­schaft ei­ner­seits und die aus­sch­ließlich männ­li­che Be­set­zung von 27 Po­si­tio­nen auf der Ebe­ne des Vor­stan­des, der Di­rek­to­ren und der Be­zirks­di­rek­to­ren an­de­rer­seits sei ein aus­rei­chen­des In­diz dafür, dass das Ge­schlecht der Kläge­rin (auch) Mo­tiv für die un­ter­blie­be­ne Beförde­rung ge­we­sen sei.

Die vom Lan­des­ar­beits­ge­richt vor­ge­nom­me­ne Würdi­gung, ob die

Kläge­rin Tat­sa­chen vor­ge­tra­gen hat, die ih­re Be­nach­tei­li­gung we­gen ei­nes verpönten Merk­mals iSd. § 1 AGG ver­mu­ten las­sen (§ 22 AGG), ist re­vi­si­ons­recht­lich nur dar­auf­hin über­prüfbar, ob sie möglich und in sich wi­der­spruchs­frei ist, ge­gen Denk­ge­set­ze, Er­fah­rungssätze oder an­de­re Rechtssätze verstößt und ob al­le vernünf­ti­ger­wei­se in Be­tracht kom­men­den Umstände in sich wi­der­spruchs­frei be­ach­tet wor­den sind (Se­nat 17. De­zem­ber 2009 - 8 AZR 670/08 - EzA AGG § 15 Nr. 6).

Nach der ge­setz­li­chen Be­weis­last­re­ge­lung des § 22 AGG genügt es,

dass der An­spruchs­stel­ler In­di­zi­en vorträgt und im Streit­fal­le be­weist, die ei­ne Be­nach­tei­li­gung we­gen ei­nes in § 1 AGG ge­nann­ten Grun­des ver­mu­ten las­sen. An die­se Ver­mu­tungs­vor­aus­set­zun­gen ist kein zu stren­ger Maßstab an­zu­le­gen. Es ist nicht er­for­der­lich, dass die Tat­sa­chen ei­nen zwin­gen­den In­di­zi­en­schluss für ei­ne Ver­knüpfung der Be­nach­tei­li­gung mit ei­nem Be­nach­tei­li­gungs­merk­mal

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zu­las­sen. Viel­mehr reicht es aus, wenn nach all­ge­mei­ner Le­bens­er­fah­rung hierfür ei­ne über­wie­gen­de Wahr­schein­lich­keit be­steht (Se­nat 17. De­zem­ber 2009 - 8 AZR 670/08 - EzA AGG § 15 Nr. 6).

Hat der An­trags­stel­ler ein In­diz vor­ge­tra­gen, wel­ches die über­wie­gen­de

Wahr­schein­lich­keit be­gründet, dass er we­gen ei­nes verpönten Merk­mals be­nach­tei­ligt wor­den ist, muss nun­mehr der Ar­beit­ge­ber sei­ner­seits den vol­len Be­weis führen, dass kein Ver­s­toß ge­gen die Be­stim­mun­gen zum Schutz vor Be­nach­tei­li­gun­gen vor­ge­le­gen hat (Se­nat 17. De­zem­ber 2009 - 8 AZR 670/08 - EzA AGG § 15 Nr. 6). Die Würdi­gung, ob der An­spruchs­stel­ler der durch § 22 AGG mo­di­fi­zier­ten Dar­le­gungs­last genügt hat, un­ter­liegt da­mit eben­so der frei­en Über­zeu­gung des Tat­sa­chen­ge­richts nach § 286 Abs. 1 ZPO wie dies hin­sicht­lich der Er­brin­gung des „Voll­be­wei­ses“ durch die dar­le­gungs- und be­weis­pflich­ti­ge Par­tei der Fall ist (vgl. zu § 611a BGB aF: Se­nat 24. April 2008 - 8 AZR 257/07 - AP AGG § 33 Nr. 2 = EzA BGB 2002 § 611a Nr. 6).

Die­sem ein­ge­schränk­ten Prüfungs­maßstab hält die Würdi­gung des Be-

ru­fungs­ge­richts je­doch nicht stand.

Zunächst ist des­sen An­nah­me, dass sich auch aus Sta­tis­ti­ken grund-

sätz­lich In­di­zi­en für ei­ne Ge­schlech­ter­dis­kri­mi­nie­rung er­ge­ben können, re­vi­si­ons­recht­lich nicht zu be­an­stan­den. So weist be­reits die Ge­set­zes­be­gründung zu § 22 AGG aus­drück­lich dar­auf hin, dass „auch die Er­geb­nis­se von Sta­tis­ti­ken ... im Rah­men der rich­ter­li­chen Würdi­gung des Sach­ver­halts ei­nen tatsächli­chen An­halts­punkt“ für ei­ne Be­nach­tei­li­gung „dar­stel­len können“ (BT-Drucks. 16/1780 S. 47). Ei­ne Be­gren­zung auf Fälle mit­tel­ba­rer Dis­kri­mi­nie­rung ist der Ge­set­zes­be­gründung nicht zu ent­neh­men und auch nicht ge­bo­ten. Aus­rei­chend sind nämlich für die Ver­mu­tungs­wir­kung des § 22 AGG sol­che In­di­zi­en, die aus ei­nem re­gel­haft ei­nem Merk­mal­sträger ge­genüber geübten Ver­hal­ten auf ei­ne sol­cher­maßen (mit) mo­ti­vier­te Ent­schei­dung schließen las­sen (vgl. Se­nat 24. April 2008 - 8 AZR 257/07 - AP AGG § 33 Nr. 2 = EzA BGB 2002 § 611a Nr. 6). Ei­ne Ver­mu­tung für ein der­ar­tig re­gel­haf­tes Ver­hal­ten kann sich aus sta­tis­ti­schen Da­ten aber nur dann er­ge­ben, wenn sie sich kon­kret auf den be­tref­fen­den Ar­beit­ge­ber be­zie­hen und im Hin­blick auf des­sen Ver-


 

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hal­ten aus­sa­ge­kräftig sind. Ge­gen die Berück­sich­ti­gung von Sta­tis­ti­ken im Rah­men des § 22 AGG spricht nicht, dass da­mit mögli­cher­wei­se von in der Ver­gan­gen­heit er­folg­ten Dis­kri­mi­nie­run­gen auf die Ge­gen­wart ge­schlos­sen wird. Ein re­gel­haft ei­nem Ge­schlecht ge­genüber geübtes Ver­hal­ten kann nämlich ge­ra­de nur durch die Be­trach­tung der Ver­gan­gen­heit aus­ge­macht wer­den. Auch in der Li­te­ra­tur wird ganz über­wie­gend an­ge­nom­men, dass aus­sa­ge­kräfti­ge Sta­tis­ti­ken im Rah­men des § 22 AGG ei­ne Rol­le spie­len können (Wen­de­ling-Schröder/St­ein AGG § 22 Rn. 25; Schiek/Ko­cher AGG § 22 Rn. 30; Rühl/Schmid/Vie­then AGG S. 169; Mei­nel/Heyn/Herms AGG 2. Aufl. § 22 Rn. 29; Bo­em­ke/Dan­kow AGG im Ar­beits­recht § 10 Rn. 14; Gro­bys NZA 2006, 898; Win­del RdA 2007, 1; Bau­er/Evers NZA 2006, 893; Bay­reu­ther NJW 2009, 806; Bau­er/Göpfert/Krie­ger AGG 2. Aufl. § 22 Rn. 11; Dahm BB 2010, 1792).

Nichts an­de­res er­gibt sich aus dem Ur­teil des Bun­des­ar­beits­ge­richtt

vom 18. Ok­to­ber 2005 (- 3 AZR 506/04 - BA­GE 116, 152 = AP Be­trAVG § 1 Un­ver­fall­bar­keit Nr. 13 = EzA EG-Ver­trag 1999 Art. 141 Nr. 19). Dort wird die Her­an­zie­hung von Sta­tis­ti­ken nicht ge­ne­rell ab­ge­lehnt, son­dern vor­ge­leg­tes Da­ten­ma­te­ri­al für die Ver­mu­tung der be­haup­te­ten Dis­kri­mi­nie­rung als nicht hin­rei­chend aus­sa­ge­kräftig be­wer­tet.

Die Kläge­rin macht als un­mit­tel­ba­res In­diz für ih­re Be­nach­tei­li­gung ei­ne

„gläser­ne De­cke“ zwi­schen der Hier­ar­chie­ebe­ne, auf der sie tätig ist (Ab-tei­lungs­lei­ter­ebe­ne), und der­je­ni­gen, auf die sie bei be­nach­tei­li­gungs­frei­er Aus­wahl nach ih­rer Mei­nung hätte auf­stei­gen müssen (Di­rek­to­re­nebe­ne), gel­tend. Da­mit be­haup­tet sie, dass Frau­en re­gel­haft nicht in be­stimm­te Hier­ar­chie­ebe­nen des Be­klag­ten auf­stei­gen können. Darüber, ob ei­ne sol­che Ver­mu­tung be­gründet ist, kann nur die sta­tis­ti­sche Be­trach­tung der Beförde­rungs­po­li­tik des Ar­beit­ge­bers Auf­schluss ge­ben, so­weit sie die frag­li­chen Hier­ar­chie­ebe­nen be­trifft.


 

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Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat nicht al­le vernünf­ti­ger­wei­se in Be­tracht

kom­men­den Umstände in sich wi­der­spruchs­frei und oh­ne Ver­s­toß ge­gen Denk­ge­set­ze berück­sich­tigt. Es hat aus der Be­set­zung der Po­si­tio­nen auf der Ebe­ne ober­halb der Ab­tei­lungs­di­rek­to­ren mit Männern und Frau­en im Verhält­nis zum Frau­en­an­teil an der Ge­samt­be­leg­schaft dar­auf ge­schlos­sen, dass der un­strei­tig weit un­ter­durch­schnitt­li­che Frau­en­an­teil in den obe­ren Führungs­ebe­nen des Be­klag­ten auf ei­ner „gläser­nen De­cke“ be­ru­he. Dar­aus hat das Be­ru­fungs­ge­richt auf ei­ne re­gel­haf­te Be­nach­tei­li­gung von Frau­en we­gen des Ge­schlechts in der Ver­gan­gen­heit ge­schlos­sen. Al­lein das Verhält­nis zwi­schen dem Frau­en­an­teil der Ge­samt­be­leg­schaft und dem in obe­ren Führungs­po­si­tio­nen lässt al­ler­dings ei­nen Rück­schluss auf die Un­gleich­be­hand­lung von Frau­en beim be­ruf­li­chen Auf­stieg in be­stimm­te Hier­ar­chie­ebe­nen ei­nes Un­ter­neh­mens nicht zu. Der Schluss auf ei­ne re­gel­haf­te Nicht­berück­sich­ti­gung von Frau­en bei Beförde­rungs­ent­schei­dun­gen macht zwar nicht er­for­der­lich, dass vom Be­wer­ber im Rah­men der Dar­le­gung von In­di­zi­en (§ 22 Halbs. 1 AGG) oder vom Ar­beit­ge­ber im Rah­men der Ver­mu­tungs­wi­der­le­gung (§ 22 Halbs. 2 AGG) al­le kon­kre­ten Be­wer­ber­si­tua­tio­nen bei den bis­he­ri­gen Beförde­rungsent­schei­dun­gen dar­ge­legt wer­den. Ei­ne Be­nach­tei­li­gung kann nämlich auch ge­ra­de in der Ge­stal­tung des dem Be­wer­bungs­ver­fah­ren zeit­lich vor­ge­la­ger­ten Ver­fah­rens lie­gen (vgl. BVerfG 16. No­vem­ber 1993 - 1 BvR 258/86 - BVerfGE 89, 276). Um be­ur­tei­len zu können, ob si­gni­fi­kant we­ni­ger Frau­en als Männer die Hier­ar­chie­stu­fe ober­halb ei­ner an­ge­nom­me­nen „gläser­nen De­cke“ er­rei­chen, be­darf es al­ler­dings der Fest­stel­lung, wie vie­le Frau­en über­haupt un­ter­halb die­ser an­ge­kom­men sind. Darüber gibt der An­teil von Frau­en an der Ge­samt­be­leg­schaft kei­nen Auf­schluss.

Es ist nicht frei von Denk­feh­lern, wenn das Lan­des­ar­beits­ge­richt er-

gänzend zu dem Ge­samt­an­teil an der Be­leg­schaft dar­auf ab­stellt, bei dem Be­klag­ten wäre mit ei­nem Frau­en­an­teil von 44 % auf den Ebe­nen vom Ab­tei­lungs­di­rek­tor abwärts bis zu den sons­ti­gen AT-Beschäfti­gen „ein genügend großes Re­ser­voi­re zur Beförde­rung auch von Frau­en“ vor­han­den ge­we­sen. Hierfür müss­te nämlich fest­ste­hen, wel­che Po­si­tio­nen auf den Ebe­nen „Ab­tei­lungs­di­rek­tor aufwärts“ im Ein­zel­nen exis­tie­ren und von wel­chen Po­si­tio­nen


 

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dar­un­ter lie­gen­der Ebe­nen tatsächlich ei­ne Beförde­rung dort­hin denk­bar war und ist. So wird bei­spiels­wei­se die Per­so­nal­lei­te­rin ei­ner Ge­ne­ral­di­rek­ti­on übli­cher­wei­se nicht auf die Po­si­ti­on ei­ner Mar­ke­ting­di­rek­to­rin befördert. Auch an­sons­ten be­steht nicht für je­den In­ha­ber ei­ner Po­si­ti­on ei­ner nie­dere­ren Ebe­ne ob­jek­tiv be­trach­tet ei­ne Beförde­rungsmöglich­keit auf ei­ne höhe­re Ebe­ne.

Selbst un­ter der Prämis­se, es exis­tie­re auf­grund des Frau­en­an­teils

beim Be­klag­ten tatsächlich ein Re­ser­voi­re für Beförde­run­gen von Frau­en auf die Führungs­ebe­nen ober­halb der be­haup­te­ten „gläser­nen De­cke“, berück­sich­tigt das Lan­des­ar­beits­ge­richt in sei­ner An­nah­me, es be­ste­he mit über­wie­gen­der Wahr­schein­lich­keit ei­ne „gläser­ne De­cke“, nicht al­le vernünf­ti­ger­wei­se in Be­tracht kom­men­den Umstände. Als mögli­che Gründe für die man­geln­de Re­präsen­ta­ti­on von Frau­en ober­halb ei­ner be­stimm­ten Ebe­ne geht das Lan­des­ar­beits­ge­richt nämlich im Er­geb­nis nur von ech­tem Zu­fall oder ei­ner dis­kri­mi­nie­ren­den Hal­tung des Be­klag­ten aus. So wer­tet es den Ein­wand des Be­klag­ten, zahl­rei­che Di­rek­to­ren hätten Be­triebs­zu­gehörig­kei­ten von mehr als 30 Jah­ren, le­dig­lich als Ein­geständ­nis, in der Ver­gan­gen­heit sei mögli­cher­wei­se „ei­ne Po­li­tik der Be­nach­tei­li­gung von Frau­en“ vor­han­den ge­we­sen. Al­lein die Tat­sa­che, dass bei ei­nem Ar­beit­ge­ber in Führungs­po­si­tio­nen zahl­rei­che Männer mit sehr lan­gen Be­triebs­zu­gehörig­kei­ten ar­bei­ten, be­gründet oh­ne wei­te­re An­halts­punk­te nicht die Ver­mu­tung für ei­ne frühe­re dis­kri­mi­nie­ren­de Hal­tung des Ar­beit­ge­bers ge­genüber Frau­en.

So­weit das Lan­des­ar­beits­ge­richt die ge­sell­schaft­li­chen Verhält­nis­se bei

sei­ner Würdi­gung der Ge­schlech­ter­ver­tei­lung nicht berück­sich­ti­gen will, hält auch dies ei­ner re­vi­si­ons­recht­li­chen Über­prüfung nicht stand. Das Be­ru­fungs­ge­richt über­sieht da­bei, dass ein Ar­beit­ge­ber gar nicht in der La­ge, ge­schwei­ge denn ver­pflich­tet ist, ge­sell­schaft­li­che Ge­ge­ben­hei­ten, die der Er­werbstätig­keit und/oder dem be­ruf­li­chen Auf­stieg von Frau­en ent­ge­gen­ste­hen, durch sei­ne Per­so­nal­po­li­tik aus­zu­glei­chen. In­so­weit wi­der­spricht es all­ge­mei­nen Er­fah­rungssätzen, wenn das Be­ru­fungs­ge­richt an­nimmt, die schlech­te Ver­ein­bar­keit von Fa­mi­lie und Be­ruf könne sich nicht auf den An­teil von Männern und Frau­en in höhe­ren Hier­ar­chie­ebe­nen aus­wir­ken, weil da­mit al­len­falls erklärt wer­de, dass Frau­en sich ge­ne­rell nicht im sel­ben Maße wie Männer für ei­ne


 

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Be­rufstätig­keit ent­schei­den. Es ent­spricht viel­mehr all­ge­mei­ner Le­bens­er­fah­rung, dass ein be­ruf­li­cher Auf­stieg häufig ei­ne nicht un­er­heb­li­che Fle­xi­bi­lität vor­aus­setzt (zB Be­reit­schaft zur Leis­tung von Über­stun­den, Teil­nah­me an Fort­bil­dungs­maßnah­men und Ta­gun­gen, Durchführung von Dienst­rei­sen und Ver­set­zungs­be­reit­schaft an an­de­re Stand­or­te), wel­che sich mit der häufig von Frau­en aus­sch­ließlich oder über­wie­gend wahr­ge­nom­me­nen Kin­der­er­zie­hung nicht oder nur schlecht ver­ein­ba­ren lässt, und die auf nied­ri­ge­ren Hier­ar­chie­stu­fen nicht in glei­chem Maße ge­for­dert wird. Auch wir­ken sich länge­re Un­ter­bre­chun­gen der Er­werbstätig­keit we­gen Ar­beits­frei­stel­lun­gen in­fol­ge von Schwan­ger­schaft, Mut­ter­schutz und (bis­lang über­wie­gend von Frau­en in An­spruch ge­nom­me­ner) El­tern­zeit ne­ga­tiv auf die Chan­cen zum be­ruf­li­chen Auf­stieg aus, ob­wohl der Ar­beits­platz als sol­cher während die­ser Zei­ten der Ar­beit­neh­me­rin grundsätz­lich ga­ran­tiert ist. Da­bei müssen sol­che Auf­stiegs­vor­aus­set­zun­gen bzw. „-hin­der­nis­se“ durch­aus nicht ih­rer­seits im­mer ver­bo­te­ne Dis­kri­mi­nie­run­gen von Ar­beit­neh­me­rin­nen dar­stel­len. Häufig könne die­se iSd. § 3 Abs. 2 AGG sach­lich ge­recht­fer­tigt oder in Ein­z­elfällen so­gar nach § 8 Abs. 1 AGG zulässig sein.

Dass nicht die ge­nann­ten Fak­to­ren, son­dern ei­ne re­gel­haft dis-

kri­mi­nie­ren­de Beförde­rungs­po­li­tik des Be­klag­ten mit über­wie­gen­der Wahr­schein­lich­keit Grund für die feh­len­de Re­präsen­ta­ti­on von Frau­en auf den Führungs­ebe­nen der Be­klag­ten ist, ist auch nicht aus den vom Lan­des­ar­beits­ge­richt an­geführ­ten Ver­gleichs­zah­len an­de­rer Un­ter­neh­men zu fol­gern. Der Ver­gleich des An­teils von Frau­en auf Führungs­po­si­tio­nen bei an­de­ren Un­ter­neh­men stellt kein In­diz für das Vor­lie­gen ei­ner „gläser­nen De­cke“ beim Be­klag­ten dar. Es fehlt in­so­weit an ver­gleich­ba­rem und da­mit aus­sa­ge­kräfti­gem Tat­sa­chen­ma­te­ri­al. Ins­be­son­de­re so­weit das Be­ru­fungs­ge­richt zum Ver­gleich den ho­hen An­teil von weib­li­chen Führungs­kräften bei pri­va­ten Ban­ken, im Ge­sund­heits- und So­zi­al­we­sen, in der pri­va­ten Dienst­leis­tungs­bran­che und bei obers­ten Bun­des­behörden anführt, ist fest­zu­stel­len, dass der Be­klag­te als Ver­wer­tungs­ge­sell­schaft ur­he­ber­recht­li­cher Nut­zungs­rech­te an Mu­sik­wer­ken grundsätz­lich an­de­re Auf­ga­ben wahr­nimmt als die vom Lan­des­ar­beits­ge­richt zum Ver­gleich her­an­ge­zo­ge­nen Un­ter­neh­men und es so­mit an ei­ner Ver­gleich-


 

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bar­keit der Bran­chen fehlt. In der Re­gel muss nämlich nach Ver­gleichs­zah­len in der je­weils ver­gleich­ba­ren Bran­che und Be­rufs­grup­pe ge­fragt wer­den (Bay­reu­ther NJW 2009, 806). Selbst bei Her­an­zie­hung von Ver­gleichs­zah­len aus der­sel­ben Bran­che zei­gen die­se nur, wel­cher Frau­en­an­teil dort üblich ist. Für die Ver­mu­tung, dass im hier zu ent­schei­den­den Ein­zel­fal­le ei­ne Frau­en­dis­kri­mi­nie­rung vor­liegt, reicht dies aber nicht aus. Es fehlt so­wohl an der Üblich­keit als auch an ir­gend­wel­chen recht­li­chen Vor­ga­ben dafür, dass auf al­len Hier­ar­chie­ebe­nen ei­nes Un­ter­neh­mens ei­ne annähernd glei­che Ver­tei­lung der Ge­schlech­ter vor­lie­gen muss. Da­zu sind die Tätig­kei­ten in Führungs­po­si­tio­nen und sol­che in un­te­ren Ebe­nen (zB Pro­duk­ti­on, Ver­wal­tung) zu un­ter­schied­lich. Dies gilt vor al­lem auch hin­sicht­lich des An­for­de­rungs­pro­fils, das an die Stel­len­in­ha­ber zu stel­len ist.

Da das AGG bei der Über­prüfung von Beförde­rungs­ent­schei­dun­gen auf

den Ein­zel­fall ab­stellt, genügt es im Re­gel­fall auch nicht für ein „In­diz“ iSd. § 22 AGG, wenn le­dig­lich „auffälli­ge Un­gleich­ge­wich­te“ beim Frau­en­an­teil in ver­schie­de­nen Hier­ar­chie­ebe­nen ei­nes Un­ter­neh­mens vom An­spruchs­stel­ler an­hand von Sta­tis­ti­ken be­wie­sen sind (vgl. auch Wen­de­ling-Schröder FS Pfarr S. 158). Für die An­nah­me ei­ner ge­schlechts­be­zo­ge­nen Dis­kri­mi­nie­rung von Frau­en bei Beförde­rungs­ent­schei­dun­gen be­darf es über die bloße Sta­tis­tik hin­aus wei­te­rer An­halts­punk­te.

Zu­dem ist un­klar, auf wel­chen Zeit­raum sich die Zah­len­an­ga­ben des

Lan­des­ar­beits­ge­richts be­zie­hen und in­wie­weit der vom Lan­des­ar­beits­ge­richt ver­wen­de­te Be­griff der „Führungs­po­si­ti­on“ mit den streit­be­fan­ge­nen „Führungs­po­si­tio­nen“ beim Be­klag­ten ver­gleich­bar ist. Glei­ches gilt, so­weit das Lan­des­ar­beits­ge­richt ganz all­ge­mein auf den Frau­en­an­teil in „Be­trie­ben mit 500 und mehr Beschäftig­ten“ oder auf „Großun­ter­neh­men (min­des­tens 20 Mio. € Jah­res­um­satz und/oder über 200 Beschäftig­te)“ ab­stellt.

Die Fra­ge, ob ei­ne „gläser­ne De­cke“ die Ver­mu­tung für ei­ne Be-

nach­tei­li­gung der Kläge­rin iSd. § 22 AGG be­gründen kann, oder un­ter wel­chen Vor­aus­set­zun­gen auf das Vor­lie­gen ei­ner sol­chen zu schließen ist, war nicht gem. Art. 267 AEUV dem Ge­richts­hof der Eu­ropäischen Uni­on zur Vor­abent-


 

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schei­dung vor­zu­le­gen. Die­se Fra­gen sind zwar ent­schei­dungs­er­heb­lich, be­tref­fen aber nicht die Aus­le­gung von Ge­mein­schafts­recht. Viel­mehr stellt die Be­weiswürdi­gung iSd. § 22 AGG durch das na­tio­na­le Ge­richt aus­sch­ließlich die An­wen­dung na­tio­na­len Rechts dar, die durch das Ge­mein­schafts­recht ge­ra­de kei­ne Re­ge­lung er­fah­ren hat und da­mit dem na­tio­na­len Ge­richt vor­be­hal­ten bleibt. Art. 19 Abs. 1 der RL 2006/54/EG be­stimmt, dass die Mit­glied­staa­ten im Ein­klang mit dem Sys­tem ih­rer na­tio­na­len Ge­richts­bar­keit die er­for­der­li­chen Maßnah­men er­grei­fen, nach de­nen dann, wenn Per­so­nen, die sich durch die Ver­let­zung des Gleich­be­hand­lungs­grund­sat­zes für be­schwert hal­ten und bei ei­nem Ge­richt Tat­sa­chen glaub­haft ma­chen, die das Vor­lie­gen ei­ner un­mit­tel­ba­ren oder mit­tel­ba­ren Dis­kri­mi­nie­rung ver­mu­ten las­sen, es dem Be­klag­ten ob­liegt zu be­wei­sen, dass kei­ne Ver­let­zung des Gleich­be­hand­lungs­grund­sat­zes vor­ge­le­gen hat. Der Erfüllung die­ser eu­ro­pa­recht­li­chen Vor­ga­be dient § 22 AGG. Wann das na­tio­na­le Ge­richt ei­ne glaub­haft ge­mach­te Tat­sa­che als aus­rei­chen­des In­diz für die be­haup­te­te Dis­kri­mi­nie­rung an­zu­se­hen hat, ist nicht Re­ge­lungs­ge­gen­stand der RL 2006/54/EG. Dies macht Nr. 30 der Erwägun­gen zur Richt­li­nie deut­lich. Dort heißt es: „Es ist je­doch klar­zu­stel­len, dass die Be­wer­tung der Tat­sa­chen, die das Vor­lie­gen ei­ner mit­tel­ba­ren oder un­mit­tel­ba­ren Dis­kri­mi­nie­rung ver­mu­ten las­sen, wei­ter­hin der ein­schlägi­gen ein­zel­staat­li­chen Stel­le im Ein­klang mit den in­ner­staat­li­chen Rechts­vor­schrif­ten und Ge­pflo­gen­hei­ten ob­liegt“.

Auch die Hilfs­be­gründung des Lan­des­ar­beits­ge­richt hält ei­ner re­vi­si­ons-

recht­li­chen Über­prüfung nicht stand. Das Be­ru­fungs­ge­richt nimmt hilfs­wei­se an, die feh­len­de weib­li­che Be­set­zung von Führungs­po­si­tio­nen zu­sam­men mit der Tat­sa­che, dass der frühe­ren Mit­ar­bei­te­rin G die Funk­ti­on der Per­so­nal­di­rek­to­rin nur kom­mis­sa­risch über­tra­gen wor­den sei und es seit 1976 kei­ne wei­te­re Di­rek­to­rin mehr bei dem Be­klag­ten ge­ge­ben ha­be, las­se es als über­wie­gend wahr­schein­lich er­schei­nen, dass das Ge­schlecht der Kläge­rin Mo­tiv für die un­ter­blie­be­ne Beförde­rung ge­we­sen sei. Bei die­ser Würdi­gung lässt das Lan­des­ar­beits­ge­richt we­sent­li­che Umstände außer Be­tracht. Wie dar­ge­legt kommt al­lein dem An­teil der Frau­en in der Ebe­ne ober­halb der Ab­tei­lungs­lei­ter nicht die vom Lan­des­ar­beits­ge­richt an­ge­nom­me­ne Ver­mu­tungs­wir­kung zu. Die


 

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Tat­sa­che, dass seit 30 Jah­ren bei dem Be­klag­ten kei­ne Frau Di­rek­to­rin war, hat oh­ne Zah­len­ma­te­ri­al darüber, ob und ggf. in wel­chem Um­fan­ge es ex­ter­ne oder in­ter­ne Be­wer­bun­gen von Frau­en oder im Be­trieb für die Beförde­rungs­stel­le ge­eig­ne­te Mit­ar­bei­te­rin­nen ge­ge­ben hat, kei­ne Aus­sa­ge­kraft. Es kann nach all­ge­mei­ner Le­bens­er­fah­rung nicht ver­mu­tet wer­den, dass in den ver­gan­ge­nen 30 Jah­ren so vie­le ge­eig­ne­te Mit­ar­bei­te­rin­nen zur Verfügung ge­stan­den ha­ben, dass die man­geln­de Be­set­zung von Di­rek­to­ren­stel­len mit Frau­en auf Dis­kri­mi­nie­run­gen be­ruht hat. Auch in­so­weit hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt zu Un­recht ge­sell­schaft­li­che Fak­to­ren nicht in sei­ne Würdi­gung mit ein­be­zo­gen.

Die nur kom­mis­sa­ri­sche Über­tra­gung der Funk­ti­on der Per­so­nal-

di­rek­to­rin auf die frühe­re Mit­ar­bei­te­rin G in den 1990er-Jah­ren ent­fal­tet kei­ne Ver­mu­tungs­wir­kung für ei­ne „gläser­nen De­cke“. Als In­diz iSd. § 22 AGG für ein ge­ne­rell frau­en­feind­li­ches Um­feld ist die­se, über zehn Jah­re zurück­lie­gen­de nur kom­mis­sa­ri­sche Über­tra­gung der Di­rek­to­ren­po­si­ti­on auf die Mit­ar­bei­te­rin G nicht ge­eig­net.

3. Die Ver­let­zung des § 22 AGG iVm. § 286 Abs. 1 ZPO führt zur Auf-

he­bung des an­ge­foch­te­nen Ur­teils (§ 563 ZPO), weil die­ses sich auch nicht aus an­de­ren Gründen als rich­tig er­weist (§ 561 ZPO).

a) Das Ur­teil er­weist sich nicht des­halb als zu­tref­fend, weil et­wa An­halts-

punk­te dafür be­ste­hen, dass die Kläge­rin im Zu­sam­men­hang mit der Beförde­rung des Mit­ar­bei­ters R un­ter Ver­s­toß ge­gen § 4 Abs. 1 Tz­B­fG we­gen ih­rer Teil­zeit­beschäfti­gung und der da­durch mögli­cher­wei­se be­ding­ten ge­rin­ge­ren Kennt­nis­se und Er­fah­run­gen in der kon­zep­tio­nel­len Per­so­nal­ar­beit be­nach­tei­ligt wor­den ist. Ins­be­son­de­re kann die Über­tra­gung der Auf­ga­ben der kon­zep­tio­nel­len Per­so­nal­ar­beit auf den Mit­ar­bei­ter R statt auf die Kläge­rin im Ja­nu­ar 2000 nicht dar­auf be­ruht ha­ben, dass die Kläge­rin teil­zeit­beschäftigt war. Ih­re Ar­beits­zeit­ver­rin­ge­rung er­folg­te nämlich nach der bin­den­den Fest­stel­lung des Lan­des­ar­beits­ge­richts erst ab Mai 2001. So­weit der Be­klag­te erst­in­stanz­lich vor­ge­tra­gen hat, die Kläge­rin ha­be we­gen ih­rer Teil­zeittätig­keit aus zeit­li­chen Gründen ab dem Jah­re 2000 nicht die Möglich­keit ge­habt, Auf-


 

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ga­ben der kon­zep­tio­nel­len Per­so­nal­ar­beit zu er­le­di­gen, be­ruht die­ser Sach­vor­trag er­sicht­lich auf ei­nem Ver­se­hen.

b) Der Se­nat ist nicht in der La­ge, im Hin­blick auf die wei­te­ren vom Be-

ru­fungs­ur­teil fest­ge­stell­ten und als In­di­zi­en für ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung der Kläge­rin in Be­tracht kom­men­den Umstände in der Sa­che selbst zu ent­schei­den, § 563 Abs. 3 ZPO, weil er sei­ne Würdi­gung der In­di­zi­en nach § 286 ZPO nicht an die Stel­le der Würdi­gung durch das Tat­sa­chen­ge­richt set­zen darf. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat - aus sei­ner Sicht fol­ge­rich­tig - kei­ne ab­sch­ließen­de Aufklärung und Ge­samt­be­trach­tung al­ler von der Kläge­rin vor­ge­tra­ge­nen Hilfs­tat­sa­chen vor­ge­nom­men. Wer­den aber von dem Ar­beit­neh­mer, der ei­ne Be­nach­tei­li­gung gel­tend macht, Hilfs­tat­sa­chen vor­ge­tra­gen, die je­weils für sich al­lein be­trach­tet nicht aus­rei­chen, um die Ver­mu­tungs­wir­kung des § 22 AGG her­bei­zuführen, ist vom Tat­sa­chen­ge­richt ei­ne Ge­samt­be­trach­tung vor­zu­neh­men, ob die­se Hilfs­tat­sa­chen zur Be­gründung der Ver­mu­tungs­wir­kung ge­eig­net sind (vgl. zu § 611a BGB aF: Se­nat 24. April 2008 - 8 AZR 257/07 - AP AGG § 33 Nr. 2 = EzA BGB 2002 § 611a Nr. 6). Hier­bei wird das Lan­des­ar­beits­ge­richt bei sei­ner Würdi­gung, ob die Ge­samt­be­trach­tung der von der Kläge­rin vor­ge­tra­ge­nen Umstände es als über­wie­gend wahr­schein­lich er­schei­nen lässt, dass bei dem Be­klag­ten ein Um­feld ge­ge­ben ist, das dem be­ruf­li­chen Auf­stieg von Frau­en ge­ne­rell ab­leh­nend ge­genüber steht, ua. fol­gen­de Umstände mit ein­zu­be­zie­hen ha­ben: die Ver­ga­be der Funk­ti­on der Lei­tung der Be­zirks­di­rek­ti­on N an den Mit­ar­bei­ter Ba statt an die vor­ma­li­ge Be­zirks­di­rek­to­rin der ge­schlos­se­nen Be­zirks­di­rek­ti­on Ha, W, im Jah­re 1997, die un­ter­blie­be­ne Berück­sich­ti­gung der stell­ver­tre­ten­den Be­zirks­di­rek­to­rin des Stand­or­tes D, Gr, auf die Po­si­ti­on der Be­zirks­di­rek­to­rin des Stand­or­tes zu­guns­ten ei­nes männ­li­chen Be­wer­bers, der nicht über das ge­for­der­te Hoch­schul­stu­di­um verfügte im Jah­re 2005, und die Tat­sa­che, dass nur Männer als Be­ob­ach­ter für das 2007 durch­geführ­te Ent­wick­lungs­au­dit für die Ebe­nen Ab­tei­lungs­di­rek­tor/Ab­tei­lungs­lei­ter fun­gier­ten. Des Wei­te­ren könn­te es ei­ne In­dizwir­kung iSd. § 22 AGG ent­fal­ten, wenn es zu­träfe, dass Dr. Mü der Kläge­rin im Zu­sam­men­hang mit der nicht er­folg­ten Beförde­rung der Mit­ar­bei­te­rin Gr be­zo­gen auf ein da­ma­li­ges Vor­stands­mit­glied mit­ge­teilt hat­te,


 

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dass die­ser kei­ne Frau­en wol­le, und wenn Männer bei dem Be­klag­ten stets spätes­tens nach zwei Jah­ren bei ent­spre­chen­der Tätig­keit den Di­rek­to­ren­ti­tel ver­lie­hen er­hiel­ten. Hin­sicht­lich der zeit­lich nach Kla­ge­er­he­bung lie­gen­den Vorfälle wird das Be­ru­fungs­ge­richt ins­be­son­de­re auch berück­sich­ti­gen müssen, in­wie­weit die­se In­di­zi­en für die Be­nach­tei­li­gung der Kläge­rin we­gen ih­res Ge­schlechts sind oder le­dig­lich - wenn auch mögli­cher­wei­se das Persönlich­keits­recht der Kläge­rin ver­let­zen­de - Re­ak­tio­nen auf ei­nen be­ste­hen­den Kon­flikt dar­stel­len und als sol­che mit dem Ge­schlecht der Kläge­rin nicht im Zu­sam­men­hang ste­hen.

II. Die Re­vi­si­on des Be­klag­ten ist auch be­gründet, so­weit er sich ge­gen

sei­ne Ver­ur­tei­lung zu ei­ner mo­nat­li­chen Zah­lung von 1.467,86 Eu­ro brut­to wen­det.

Ein ent­spre­chen­der An­spruch der Kläge­rin gem. §§ 1, 7 Abs. 1, § 15

Abs. 1 AGG kann mit der Be­gründung des Lan­des­ar­beits­ge­richts nicht be­jaht wer­den. Des­sen Schluss­fol­ge­rung, die Kläge­rin sei we­gen ih­res Ge­schlechts nicht befördert und da­mit un­zulässig be­nach­tei­ligt wor­den, hält - wie oben dar­ge­legt - ei­ner re­vi­si­ons­recht­li­chen Über­prüfung nicht stand.

C. Be­gründet sind die Re­vi­sio­nen der Kläge­rin und des Be­klag­ten so­weit

sie sich ge­gen die Ver­ur­tei­lung zur Zah­lung ei­ner Entschädi­gung in Höhe von 20.000,00 Eu­ro rich­ten.

I. Der auf Zah­lung ei­ner Entschädi­gung ge­rich­te­te Kla­ge­an­trag ist zu

lässig, ins­be­son­de­re ist er hin­rei­chend be­stimmt (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).

Dem steht nicht ent­ge­gen, dass die Kläge­rin die von ihr be­gehr­te Ent-

schädi­gung in das Er­mes­sen des Ge­richts ge­stellt hat. Ein sol­cher Kla­ge­an­trag ist hier zulässig, weil die Be­stim­mung der Höhe des An­spruchs von bil­li­gem Er­mes­sen abhängt und da­mit dem Ge­richt ein Be­ur­tei­lungs­spiel­raum ein­geräumt wird. Ist die Höhe des An­spruchs nach bil­li­gem Er­mes­sen des Ge­richts zu be­stim­men, ist ein un­be­zif­fer­ter Kla­ge­an­trag zulässig, wenn der Kläger Tat­sa­chen be­nennt, die das Ge­richt bei sei­ner Er­mes­sens­ent­schei­dung her­an­zie­hen soll, und die Größen­ord­nung der For­de­rung an­gibt (vgl. Se­nat


 

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24. Sep­tem­ber 2009 - 8 AZR 705/08 - mwN, EzA AGG § 3 Nr. 1). Die­se Vor­aus­set­zun­gen sind erfüllt. Die Kläge­rin hat ei­nen Sach­ver­halt dar­ge­legt, den das Ge­richt bei sei­ner Er­mes­sens­ent­schei­dung her­an­zie­hen soll und der es grundsätz­lich ermöglicht, ei­ne Entschädi­gung zu be­stim­men. Fer­ner hat die Kläge­rin An­ga­ben zur Größen­ord­nung der Entschädi­gung, nämlich min­des­tens 60.000,00 Eu­ro, ge­macht.

II. Die Ver­ur­tei­lung des Be­klag­ten durch das Lan­des­ar­beits­ge­richt zur

Zah­lung ei­ner Entschädi­gung in Höhe von 20.000,00 Eu­ro an die Kläge­rin hält ei­ner re­vi­si­ons­recht­li­chen Über­prüfung nicht stand.

1. Zu­tref­fend geht das Be­ru­fungs­ge­richt bei der Prüfung der Be­gründet­heit

der Entschädi­gungs­kla­ge da­von aus, dass sich aus ei­ner schwer­wie­gen­den Ver­let­zung des Persönlich­keits­rechts ein Entschädi­gungs­an­spruch er­ge­ben kann. Da­bei hat es auf die Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts zu Entschädi­gungs­ansprüchen bei „Mob­bing“ Be­zug ge­nom­men. Da­nach ist „Mob­bing“ kein Rechts­be­griff und da­mit auch kei­ne An­spruchs­grund­la­ge für Ansprüche des Ar­beit­neh­mers ge­gen den Ar­beit­ge­ber oder ge­gen Ar­beits­kol­le­gen (Se­nat 24. April 2008 - 8 AZR 347/07 - AP BGB § 611 Haf­tung des Ar­beit­ge­bers Nr. 42 = EzA BGB 2002 § 611 Persönlich­keits­recht Nr. 8). Nicht al­les, was als „Mob­bing“ be­zeich­net wird, ist von recht­li­cher, ins­be­son­de­re ar­beits­recht­li­cher oder scha­dens­recht­li­cher Re­le­vanz. Macht ein Ar­beit­neh­mer kon­kre­te Ansprüche auf­grund „Mob­bings“ gel­tend, muss viel­mehr je­weils ge­prüft wer­den, ob der in An­spruch Ge­nom­me­ne in den ge­nann­ten Ein­z­elfällen ar­beits­ver­trag­li­che Pflich­ten, ein ab­so­lu­tes Recht des Ar­beit­neh­mers iSd. § 823 Abs. 1 BGB, ein Schutz­ge­setz iSd. § 823 Abs. 2 BGB ver­letzt oder ei­ne sit­ten­wid­ri­ge Schädi­gung iSd. § 826 BGB be­gan­gen hat. Bei die­ser Prüfung gilt es wei­ter zu be­ach­ten, dass es Fälle gibt, in de­nen die ein­zel­nen vom Ar­beit­neh­mer dar­ge­leg­ten Hand­lun­gen oder Ver­hal­tens­wei­sen sei­ner Ar­beits­kol­le­gen oder sei­ner Vor­ge­setz­ten bzw. des Ar­beit­ge­bers für sich al­lein be­trach­tet noch kei­ne Rechts­ver­let­zung dar­stel­len, die Ge­samt­schau der ein­zel­nen Hand­lun­gen oder Ver­hal­tens­wei­sen je­doch zu ei­ner Ver­trags- oder Rechts­guts­ver­let­zung führt, weil de­ren Zu­sam­men­fas­sung auf­grund der ih­nen zu­grun­de lie­gen­den


 

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Sys­te­ma­tik und Ziel­rich­tung zu ei­ner Be­ein­träch­ti­gung ei­nes geschütz­ten Rechts des Ar­beit­neh­mers führt (vgl. Se­nat 24. April 2008 - 8 AZR 347/07 - aaO). Ei­ne sol­che Sys­te­ma­tik und Ziel­rich­tung ist dann an­zu­neh­men, wenn un­erwünsch­te Ver­hal­tens­wei­sen be­zwe­cken oder be­wir­ken, dass die Würde des Ar­beit­neh­mers ver­letzt und ein durch Einschüchte­run­gen, An­fein­dun­gen, Er­nied­ri­gun­gen, Entwürdi­gun­gen oder Be­lei­di­gun­gen ge­kenn­zeich­ne­tes Um­feld ge­schaf­fen wird. Dies ent­spricht weit­ge­hend der nun­mehr vom Ge­setz­ge­ber in § 3 Abs. 3 AGG (in Kraft seit 18. Au­gust 2006) gewähl­ten De­fi­ni­ti­on des Be­grif­fes „Belästi­gung“. Da­nach ist ei­ne Belästi­gung ei­ne Be­nach­tei­li­gung, wenn un­erwünsch­te Ver­hal­tens­wei­sen, die mit ei­nem in § 1 AGG ge­nann­ten Grund in Zu­sam­men­hang ste­hen, be­zwe­cken oder be­wir­ken, dass die Würde des Ar­beit­neh­mers ver­letzt und ein durch Einschüchte­run­gen, An­fein­dun­gen, Er­nied­ri­gun­gen, Entwürdi­gun­gen oder Be­lei­di­gun­gen ge­kenn­zeich­ne­tes Um­feld ge­schaf­fen wird. Da­mit hat der Ge­setz­ge­ber auch den Be­griff des „Mob­bings“ um­schrie­ben, je­den­falls so­weit die­ses an die nach § 1 AGG verpönten Merk­ma­le an­knüpft (vgl. Se­nat 24. April 2008 - 8 AZR 347/07 - aaO). Ent­spre­chend kann für die Fälle des „Mob­bings“ ei­nes Ar­beit­neh­mers, gleich aus wel­chen Gründen, an § 3 Abs. 3 AGG an­ge­knüpft wer­den. Die­se Norm zeigt vor al­lem, dass es grundsätz­lich auf die Zu­sam­men­schau der ein­zel­nen „un­erwünsch­ten” Ver­hal­tens­wei­sen an­kommt, um zu be­ur­tei­len, ob „Mob­bing” vor­liegt. § 3 Abs. 3 AGG stellt nämlich dar­auf ab, ob ein durch die un­erwünsch­ten Hand­lun­gen ge­kenn­zeich­ne­tes Um­feld ge­schaf­fen wird. Ein Um­feld wird aber grundsätz­lich nicht durch ein ein­ma­li­ges, son­dern durch ein fort­dau­ern­des Ver­hal­ten ge­schaf­fen. Da­mit sind al­le Hand­lun­gen bzw. Ver­hal­tens­wei­sen, die dem sys­te­ma­ti­schen Pro­zess der Schaf­fung ei­nes be­stimm­ten Um­fel­des zu­zu­ord­nen sind, in die Be­trach­tung mit ein­zu­be­zie­hen. Des­halb dürfen ein­zel­ne zurück­lie­gen­de Hand­lun­gen/Ver­hal­tens­wei­sen bei der Be­ur­tei­lung nicht un­berück­sich­tigt ge­las­sen wer­den. We­sens­merk­mal der als „Mob­bing” be­zeich­ne­ten Form der Rechts­ver­let­zung des Ar­beit­neh­mers ist da­mit die sys­te­ma­ti­sche, sich aus vie­len ein­zel­nen Hand­lun­gen/Ver­hal­tens­wei­sen zu­sam­men­set­zen­de Ver­let­zung, wo­bei den ein­zel­nen Hand­lun­gen oder Ver­hal­tens­wei­sen für sich al­lein be­trach­tet oft kei­ne recht­li­che Be­deu­tung zu­kommt (Se­nat 25. Ok­to­ber 2007


 

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- 8 AZR 593/06 - BA­GE 124, 295 = AP BGB § 611 Mob­bing Nr. 6 = EzA BGB 2002 § 611 Persönlich­keits­recht Nr. 7). Bei die­ser Würdi­gung ist zu berück­sich­ti­gen, dass im Ar­beits­le­ben übli­che Kon­flikt­si­tua­tio­nen, die sich auch über ei­nen länge­ren Zeit­raum er­stre­cken können, von der recht­li­chen Be­wer­tung aus­zu­neh­men sind. Viel­mehr sind die kri­ti­schen Ver­hal­tens­wei­sen auf­grund ei­ner ob­jek­ti­ven Be­trach­tungs­wei­se und oh­ne Rück­sicht auf das sub­jek­ti­ve Emp­fin­den des be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mers zu be­wer­ten. Dies gilt auch im Verhält­nis zu Vor­ge­setz­ten. Ent­spre­chend stel­len Wei­sun­gen, die sich im Rah­men des Di­rek­ti­ons­rechts des Ar­beit­ge­bers be­we­gen, und de­nen sich nicht ein­deu­tig ei­ne schi­kanöse Ten­denz ent­neh­men las­sen, in der Re­gel kei­ne Ver­let­zung des Persönlich­keits­rechts dar. Glei­ches kann für den Rah­men des Di­rek­ti­ons­rechts über­schrei­ten­de Wei­sun­gen gel­ten, de­nen je­doch sach­lich nach­voll­zieh­ba­re Erwägun­gen des Ar­beit­ge­bers zu­grun­de lie­gen. Da­ne­ben kann es an der die ein­zel­nen Hand­lun­gen zu­sam­men­fas­sen­den Sys­te­ma­tik feh­len, wenn ver­schie­de­ne Vor­ge­setz­te han­deln und nicht zu­sam­men­wir­ken oder wenn zwi­schen den ein­zel­nen Teil­ak­ten lan­ge zeit­li­che Zwi­schenräume lie­gen (vgl. Se­nat 16. Mai 2007 - 8 AZR 709/06 - BA­GE 122, 304 = AP BGB § 611 Mob­bing Nr. 5 = EzA BGB 2002 § 611 Persönlich­keits­recht Nr. 6).

2. Ob ein Ge­samt­ver­hal­ten als ei­ne ein­heit­li­che Ver­let­zung von Rech­ten

des Ar­beit­neh­mers zu qua­li­fi­zie­ren ist und ob ein­zel­ne Hand­lun­gen oder Ver­hal­tens­wei­sen für sich ge­nom­men oder in der Ge­samt­schau ei­nen rechts­ver­let­zen­den Cha­rak­ter ha­ben, un­ter­liegt der tatrich­ter­li­chen Würdi­gung und ist da­mit nur ein­ge­schränkt re­vi­si­ons­recht­lich über­prüfbar. Ob Rech­te des Ar­beit­neh­mers ver­letzt wor­den sind, muss von den Tat­sa­chen­ge­rich­ten auf­grund ei­ner Güter- und In­ter­es­sen­abwägung un­ter sorg­sa­mer Würdi­gung al­ler Umstände des Ein­zel­fal­les be­ur­teilt wer­den. Die­se Würdi­gung darf dem Be­ru­fungs­ge­richt nicht ent­zo­gen wer­den. Da­her kann das Re­vi­si­ons­ge­richt nur über­prüfen, ob das Lan­des­ar­beits­ge­richt Denk­ge­set­ze oder all­ge­mei­ne Er­fah­rungssätze ver­letzt, al­le we­sent­li­chen Umstände des Ein­zel­fal­les be­ach­tet und hin­rei­chend gewürdigt hat und ob es in die vor­zu­neh­men­de Güter- und In­ter­es­sen­abwägung die we­sent­li­chen Umstände des Ein­zel­fal­les in nach­voll­zieh­ba­rer Wei­se mit ein­be­zo­gen hat so­wie ob das Ur­teil in sich wi­der-


 

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spruchs­frei ist (vgl. Se­nat 24. April 2008 - 8 AZR 347/07 - AP BGB § 611 Haf­tung des Ar­beit­ge­bers Nr. 42 = EzA BGB 2002 § 611 Persönlich­keits­recht Nr. 8).

3. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat bei der Fest­set­zung der Höhe ei­ner

Entschädi­gung in Höhe von 20.000,00 Eu­ro zu­guns­ten der Kläge­rin zu Un­recht in sei­ne Ge­samt­schau ei­ne Persönlich­keits­rechts­ver­let­zung der Kläge­rin durch die un­ter­blie­be­ne Beförde­rung mit ein­be­zo­gen. Wie oben dar­ge­legt durf­te das Lan­des­ar­beits­ge­richt mit der von ihm ge­ge­be­nen Be­gründung ei­ne sol­che Persönlich­keits­rechts­ver­let­zung nicht be­ja­hen. Durch die­se un­zulässi­ge Mit­ein­be­zie­hung die­ses Sach­ver­halts er­weist sich die ge­sam­te Be­wer­tung der vom Lan­des­ar­beits­ge­richt an­ge­nom­me­nen Persönlich­keits­rechts­ver­let­zung als rechts­feh­ler­haft.

Ins­be­son­de­re verstößt das Lan­des­ar­beits­ge­richt da­durch ge­gen das Er-

for­der­nis ei­ner Ge­samt­schau, dass es für den Fall, dass in der un­ter­blie­be­nen Beförde­rung der Kläge­rin kei­ne Persönlich­keits­rechts­ver­let­zung zu se­hen sein soll­te, für die nach­fol­gen­den Hand­lun­gen des Be­klag­ten „zu­min­dest ei­ne Entschädi­gung in Höhe von 16.000,00 Eu­ro“ als „ge­recht­fer­tigt“ an­sieht.

Ei­ne sol­che ge­trenn­te Be­ur­tei­lung ist nicht zulässig, weil die von der

Kläge­rin gel­tend ge­mach­ten Persönlich­keits­rechts­ver­let­zun­gen nicht ein­deu­tig in sol­che auf­ge­spal­tet wer­den können, die im Zu­sam­men­hang mit der streit­be­fan­ge­nen Nicht­beförde­rung der Kläge­rin ste­hen, und in sol­che die mögli­cher­wei­se mit der un­ter­blie­be­nen Beförde­rung nichts zu tun ha­ben. Al­le von der Kläge­rin vor­ge­tra­ge­nen Ver­let­zun­gen ste­hen in ei­nem Zu­sam­men­hang und wären des­halb - so­weit das Lan­des­ar­beits­ge­richt in ih­nen Be­stand­tei­le ei­ner Ver­let­zung des Persönlich­keits­rechts der Kläge­rin sieht - im Rah­men der er­for­der­li­chen Ge­samt­schau zu berück­sich­ti­gen ge­we­sen. Von ei­nem sol­chen Zu­sam­men­hang der von der Kläge­rin zur Stützung ih­res Vor­wurfs der Persönlich­keits­rechts­ver­let­zung durch den Be­klag­ten her­an­ge­zo­ge­nen Vorfälle ist auch das Lan­des­ar­beits­ge­richt aus­ge­gan­gen. So nimmt es bei­spiels­wei­se an, dass der Be­klag­te mit dem Aus­hang vom 10. De­zem­ber 2006 den Ein­druck ei­nes „Kom­pe­tenz­ent­zu­ges“ im Zu­sam­men­hang mit der ge­trof­fe­nen Per­so­nal-


 

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ent­schei­dung zu­guns­ten des Mit­ar­bei­ters R er­weckt hat und die­ser trotz der Schrei­ben vom 3. Ja­nu­ar 2007 und 8. Fe­bru­ar 2007 an die Kläge­rin nach außen hin „wei­ter auf­recht­er­hal­ten“ wor­den ist. Des Wei­te­ren nimmt das Be­ru­fungs­ge­richt an, dass die Kläge­rin, nach­dem sie sich ge­gen den Ein­druck „des Kom­pe­tenz­ent­zu­ges“ und ei­ner Dis­kri­mi­nie­rung bei der Beförde­rungs­ent­schei­dung ge­wehrt hat­te, ei­ner Be­hand­lung aus­ge­setzt wor­den ist, die „sie her­abwürdigt und be­wusst un­ter Druck“ ge­setzt hat. Da­mit stellt das Lan­des­ar­beits­ge­richt al­le nach der streit­be­fan­ge­nen Beförde­rungs­ent­schei­dung sei­tens des Be­klag­ten der Kläge­rin ge­genüber getätig­ten Äußerun­gen und Ver­hal­tens­wei­sen in ei­nen Zu­sam­men­hang mit der als Persönlich­keits­ver­let­zung ge­wer­te­ten Nicht­beförde­rung der Kläge­rin. Auch bei der Be­ur­tei­lung der Schwe­re der Persönlich­keits­rechts­ver­let­zung stellt das Lan­des­ar­beits­ge­richt dar­auf ab, dass „ein Großteil des Ver­hal­tens des Be­klag­ten als Re­ak­ti­on auf die Wahr­neh­mung ver­meint­li­cher Rech­te durch die Kläge­rin nach dem AGG an­ge­se­hen wer­den kann“.

4. Ei­ne ab­sch­ließen­de Ent­schei­dung in der Sa­che ist dem Se­nat ver­wehrt,

weil das Lan­des­ar­beits­ge­richt we­der ei­ne zu­tref­fen­de Ge­samt­be­trach­tung der vor­ge­tra­ge­nen Tat­sa­chen/Ge­scheh­nis­se vor­ge­nom­men noch al­le an­de­ren von der Kläge­rin vor­ge­tra­ge­nen Tat­sa­chen, die als ein­zel­ne Hand­lun­gen oder in der Ge­samt­schau rechts­ver­let­zen­den Cha­rak­ter ha­ben könn­ten, berück­sich­tigt hat.

So feh­len be­reits Ausführun­gen da­zu, ob das Lan­des­ar­beits­ge­richt auf-

grund ei­ner ein­zel­nen Hand­lung oder erst auf der Ba­sis ei­ner Ge­samt­schau meh­re­rer Hand­lun­gen ei­ne Persönlich­keits­rechts­ver­let­zung an­ge­nom­men hat und ins­be­son­de­re, ob es ins­ge­samt ein sys­te­ma­ti­sches Ver­hal­ten sieht, durch wel­ches ein durch Einschüchte­run­gen, An­fein­dun­gen, Er­nied­ri­gun­gen oder Be­lei­di­gun­gen ge­kenn­zeich­ne­tes Um­feld ge­schaf­fen wor­den ist. Die Würdi­gung, ob ins­ge­samt ein sys­te­ma­ti­sches Ver­hal­ten vor­liegt, ist ge­ra­de des­halb nötig, weil hier meh­re­re Per­so­nen ge­han­delt ha­ben, so dass grundsätz­lich geklärt wer­den muss, ob die­se zu­sam­men­ge­wirkt ha­ben. Auch da­zu feh­len weit­ge­hend Ausführun­gen im an­ge­foch­te­nen Ur­teil. Le­dig­lich bezüglich des Schrei­bens vom 3. Ja­nu­ar 2007 nimmt das Lan­des­ar­beits­ge­richt ein Zu-


 

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sam­men­wir­ken zwi­schen Dr. Mü, Dr. H und Herrn R an. Darüber hin­aus hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt auch ei­ni­ge von der Kläge­rin vor­ge­tra­ge­ne Tat­sa­chen nicht berück­sich­tigt. So ist es de­ren Be­haup­tung nicht nach­ge­gan­gen, dass im Zu­sam­men­hang mit der Be­set­zung der Stel­le in D im April 2005 und ih­rer Nach­fra­ge, wes­halb Frau Gr nicht in Be­tracht kom­me, Dr. Mü sinn­gemäß be­zo­gen auf ein da­ma­li­ges Vor­stands­mit­glied ge­ant­wor­tet ha­ben soll: „Sie ken­nen ja Herrn Dr. Kr, der will halt kei­ne Frau­en“. Soll­te die­se Äußerung ge­fal­len sein, könn­te dies nicht nur auf ei­ne beim Be­klag­ten nicht unübli­che Frau­en­dis­kri­mi­nie­rung, son­dern mögli­cher­wei­se in der Ge­samt­schau mit den Ver­hal­tens­wei­sen ab De­zem­ber 2006 auch auf ein „frau­en­feind­li­ches Um­feld“ beim Be­klag­ten hin­deu­ten. Fer­ner hat das Be­ru­fungs­ge­richt nicht berück­sich­tigt, dass die Kläge­rin, ob­wohl die Per­so­nal­be­treu­ung nebst Ab­fas­sen von Ab­mah­nun­gen zu ih­ren Auf­ga­ben gehört, bei dem Gespräch des Herrn R im Fe­bru­ar 2008 mit dem Mit­ar­bei­ter C. in B über die Auf­he­bung des­sen Ar­beits­ver­tra­ges nicht be­tei­ligt war und die von ihr im Ja­nu­ar 2008 für A K. for­mu­lier­te Er­mah­nung Frau S zur Prüfung vor­ge­legt wur­de. Auch dies könn­te in der Ge­samt­schau auf ei­ne Persönlich­keits­ver­let­zung hin­deu­ten.

III. Die Re­vi­si­on des Be­klag­ten ist auch be­gründet, so­weit sie sich ge­gen

die Ver­ur­tei­lung zur Aus­kunfts­er­tei­lung über das dem Ar­beit­neh­mer R ge­zahl­te va­ria­ble Ent­gelt rich­tet.

1. Die Kla­ge auf Aus­kunft ist zulässig.

a) Der Kla­ge­an­trag wur­de zwar in die­ser Form erst­mals in der Be­ru­fungs-

ver­hand­lung vom 30. Ju­li 2008 ge­stellt. Ob es sich da­bei um ei­ne nachträgli­che Kla­geände­rung ge­han­delt hat, kann da­hin­ste­hen. Auch ei­ne sol­che wäre nämlich nach § 64 Abs. 6 ArbGG iVm. § 533 ZPO zulässig ge­we­sen, weil der Be­klag­te sich hier­auf wi­der­spruchs­los ein­ge­las­sen hat und des­halb nach § 267 ZPO sei­ne Ein­wil­li­gung zur Kla­geände­rung an­zu­neh­men ist. Ob der An­trag auf Tat­sa­chen gestützt wird, die das Be­ru­fungs­ge­richt sei­ner Ver­hand­lung und Ent­schei­dung über die Be­ru­fung oh­ne­hin nach § 529 ZPO zu­grun­de zu le­gen hat­te, kann eben­falls of­fen blei­ben. Ob und in­wie­fern die Berück­sich­ti­gung neu­er Tat­sa­chen im ar­beits­ge­richt­li­chen Be­ru­fungs­ver­fah­ren zulässig ist, rich­tet


 

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sich nicht nach § 531 Abs. 2 ZPO, son­dern nach der Spe­zi­al­re­ge­lung in § 67 ArbGG (BAG 25. Ja­nu­ar 2005 - 9 AZR 44/04 - BA­GE 113, 247 = AP AEntG § 1 Nr. 22 = EzA AEntG § 1 Nr. 8). Hat das Be­ru­fungs­ge­richt - wie hier - Vor­brin­gen zu­ge­las­sen, ist dies im Re­vi­si­ons­ver­fah­ren un­an­fecht­bar und das vom Lan­des­ar­beits­ge­richt zu­ge­las­se­ne Sach­vor­brin­gen zu berück­sich­ti­gen, weil die Be­schleu­ni­gungs­wir­kung, der die Präklu­si­ons­vor­schrift des § 67 ArbGG dient, nicht wie­der her­stell­bar ist (vgl. BAG 19. Fe­bru­ar 2008 - 9 AZN 1085/07 - AP ArbGG 1979 § 72a Nr. 60 = EzA ArbGG 1979 § 72 Nr. 37).

b) Der An­trag ist als Kla­ge auf zukünf­ti­ge Leis­tung nach § 258 ZPO

zulässig. Er dient dem Ziel, den Kla­ge­an­trag zu 2) um den Be­trag der zukünf­ti­gen va­ria­blen Vergütung des Mit­ar­bei­ters R zu ergänzen.

2. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat den Aus­kunfts­an­spruch je­doch mit ei­ner

nicht tra­gen­den Be­gründung be­jaht. Auch in­so­weit wirkt sich die un­zu­tref­fen­de Würdi­gung des Be­ru­fungs­ge­richts im Rah­men der an­ge­nom­men Be­nach­tei­li­gung der Kläge­rin we­gen ih­res Ge­schlechts aus.

IV. Auf die Re­vi­si­on der Kläge­rin war das an­ge­foch­te­ne Ur­teil auf­zu­he­ben,

so­weit es die Kla­ge auf Fest­stel­lung ab­ge­wie­sen hat, dass der Be­klag­te zum Er­satz der durch sein Ver­hal­ten bis Ju­li 2008 der Kläge­rin ent­stan­de­nen und ent­ste­hen wer­den­den ma­te­ri­el­len und im­ma­te­ri­el­len Schäden ver­pflich­tet ist.

1. Der Fest­stel­lungs­an­trag ist nicht be­reits „in großen Tei­len un­zulässig“,

wie das Lan­des­ar­beits­ge­richt ge­meint hat.

a) So be­steht für den Fest­stel­lungs­an­trag in der in der Re­vi­si­ons­in­stanz

ge­stell­ten (be­schränk­ten) Fas­sung ins­be­son­de­re das nach § 256 ZPO er­for­der­li­che Fest­stel­lungs­in­ter­es­se.

Die An­nah­me ei­nes Fest­stel­lungs­in­ter­es­ses setzt vor­aus, dass dem be-

trof­fe­nen Recht oder der Rechts­la­ge ei­ne ge­genwärti­ge Ge­fahr der Un­si­cher­heit droht. Dies wird bei der Fest­stel­lung ei­ner Scha­dens­er­satz­pflicht an­ge­nom­men, wenn zukünf­ti­ge, noch nicht be­zif­fer­ba­re Schäden möglich sind. Dies gilt auch, wenn ih­re Art, ihr Um­fang und ihr Ein­tritt noch un­ge­wiss sind.


 

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Al­ler­dings muss ei­ne ge­wis­se Wahr­schein­lich­keit des Scha­den­s­ein­tritts be­ste­hen. Dafür genügt die nicht eben ent­fernt lie­gen­de Möglich­keit künf­ti­ger Ver­wirk­li­chung der Er­satz­pflicht durch Auf­tre­ten wei­te­rer, bis­her noch nicht er­kenn­ba­rer oder vor­aus­seh­ba­rer Lei­den (Se­nat 16. Mai 2007 - 8 AZR 709/06 - BA­GE 122, 304 = AP BGB § 611 Mob­bing Nr. 5 = EzA BGB 2002 § 611 Persönlich­keits­recht Nr. 6). Sol­ches er­scheint be­zo­gen auf die For­mu­lie­rung im Fest­stel­lungs­an­trag „durch die un­ter­blie­be­ne Beförde­rung auf die Stel­le ei­ner Lei­te­rin der bun­des­weit täti­gen Per­so­nal­ab­tei­lung des Be­klag­ten“ für die Zeit ab De­zem­ber 2006 als möglich.

b) Glei­ches gilt für „sons­ti­ge Be­nach­tei­li­gun­gen, die Maßnah­men nach 106
§ 16 AGG dar­stel­len“.

c) Darüber hin­aus ist der An­trag hin­rei­chend be­stimmt gem. § 253 Abs. 2 107
Nr. 2 ZPO.

Der Kla­ge­an­trag muss den er­ho­be­nen An­spruch nach In­halt und Um-

fang kon­kret be­zeich­nen und die Kla­ge­art er­ge­ben. In­so­weit ist bei Fest­stel­lungs­anträgen er­for­der­lich, dass sich für den Fall der Kla­ge­statt­ga­be der ob­jek­ti­ve Um­fang der Bin­dungs­wir­kung der ge­richt­li­chen Ent­schei­dung hin­rei­chend fest­stel­len lässt (BAG 23. Ja­nu­ar 2007 - 9 AZR 557/06 - AP BGB § 611 Mob­bing Nr. 4). Da­bei muss der Streit­ge­gen­stand so ge­nau be­zeich­net wer­den, dass die ei­gent­li­che Streit­fra­ge mit Rechts­kraft­wir­kung zwi­schen den Par­tei­en ent­schie­den wer­den kann (BAG 17. Ju­ni 1997 - 1 ABR 10/97 -). Aus­rei­chend ist al­ler­dings, wenn der An­trag in ei­ner dem Be­stimmt­heits-er­for­der­nis genügen­den Wei­se aus­ge­legt wer­den kann. Das Ge­richt ist da­her ge­hal­ten, ei­ne ent­spre­chen­de Aus­le­gung des An­tra­ges vor­zu­neh­men, wenn hier­durch ei­ne vom Kläger er­kenn­bar er­streb­te Sach­ent­schei­dung ermöglicht wird. Da­bei darf es sich je­doch nicht über ei­nen ein­deu­ti­gen An­trag hin­weg­set­zen (vgl. BAG 17. Ju­ni 1997 - 1 ABR 10/97 -). Darüber hin­aus gilt es bei der Be­ur­tei­lung der hin­rei­chen­den Be­stimmt­heit zu be­ach­ten, dass ein Fest­stel­lungs­an­trag ei­ner­seits der Hem­mung der Verjährung gem. § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB dient und an­de­rer­seits den Grund des kläge­ri­schen Scha­dens­er­satz­an­spruchs klärt, so dass im Fal­le späte­rer Fol­geschäden nur noch der


 

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Ur­sa­chen­zu­sam­men­hang mit dem Scha­dens­er­eig­nis und die Scha­denshöhe nach­zu­wei­sen sind. Vor die­sem Hin­ter­grund sind die An­for­de­run­gen an die Be­stimmt­heit des An­tra­ges fest­zu­set­zen. Soll ein späte­rer Rechts­streit über den Grund des Scha­dens­er­satz­an­spruchs ver­mie­den wer­den, muss die­ser klar aus dem Fest­stel­lungs­an­trag her­vor­ge­hen. In­so­fern war der ursprüng­li­che Fest­stel­lungs­an­trag - wie von der Kläge­rin in der Re­vi­si­ons­in­stanz klar­ge­stellt - so aus­zu­le­gen, wie es sich aus dem Tat­be­stand (Ziff. 5 der Anträge) er­gibt.

2. Ob das von der Kläge­rin gel­tend ge­mach­te scha­dens­er­satz­be-

gründen­de Ver­hal­ten des Be­klag­ten tatsächlich vor­liegt, ist ei­ne Fra­ge der Be­gründet­heit der Fest­stel­lungs­kla­ge und kann durch den Se­nat auf­grund der vom Lan­des­ar­beits­ge­richt ge­trof­fe­nen Fest­stel­lun­gen nicht ab­sch­ließend ent­schie­den wer­den.

D. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt wird bei sei­ner Kos­ten­ent­schei­dung auch

über die Kos­ten der Re­vi­si­on mit­zu­ent­schei­den ha­ben.

Hauck Böck Brein­lin­ger

Die eh­ren­amt­li­che Rich­te­rin Morsch ist we­gen Aus­schei­den aus dem Amt an der Un­ter­schrifts­leis­tung ver­hin­dert.

Hauck

N. Schus­ter

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