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ARBEITSRECHT AKTUELL // 18/260

Be­zah­lung von Rei­se­zei­ten bei Aus­lands­ent­sen­dung

Dienst­rei­sen zu aus­län­di­schen Ar­beits­or­ten und zu­rück lie­gen al­lein im Ar­beit­ge­ber­in­ter­es­se und sind im All­ge­mei­nen wie Ar­beit zu ver­gü­ten: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 17.10.2018, 5 AZR 553/17
Kabinenpersonal im Flugzeug, Flugbegleiter, Stewardess

23.10.2018. Über die Be­zah­lung von täg­lich an­fal­len­den Fahr­zei­ten gibt es im­mer wie­der Dis­kus­sio­nen, eben­so wie über die Ver­gü­tung län­ge­rer Rei­se­zei­ten, die im Rah­men von Dienst­rei­sen er­for­der­lich sind.

Vor al­lem, wenn Ar­beit­neh­mer län­ge­re Stre­cken in öf­fent­li­chen Ver­kehrs­mit­teln zu­rück­le­gen und da­bei auch Zeit für pri­va­te Tä­tig­kei­ten ha­ben, ge­hen die Mei­nun­gen über die Ver­gü­tungs­pflicht des Ar­beit­ge­bers aus­ein­an­der.

In ei­nem Ur­teil vom Mitt­woch letz­ter Wo­che hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) ent­schie­den, dass län­ge­re Rei­se­zei­ten bei Dienst­fahr­ten ins Aus­land über acht St­un­den hin­aus zu ver­gü­ten sind: BAG, Ur­teil vom 17.10.2018, 5 AZR 553/17 (Pres­se­mel­dung des Ge­richts).

Wel­che Rei­se­zei­ten sind zu be­zah­len und wel­che nicht?

Die Vergütungs­pflicht des Ar­beit­ge­bers für Rei­se­zei­ten ist oft nicht ein­deu­tig ge­re­gelt, ab­ge­se­hen von drei Punk­ten, in de­nen un­ter Ar­beits­recht­lern Ei­nig­keit be­steht:

Ers­tens: Bei der Fra­ge der Be­zah­lung von Rei­se- bzw. Fahr­zei­ten kommt es nicht auf das Ar­beits­zeit­ge­setz (Arb­ZG) an. Denn das Arb­ZG re­gelt nur die Fra­ge, wie lan­ge Ar­beit­neh­mer im Höchst­fall ar­bei­ten dürfen, nicht aber die Fra­ge, wel­che Tätig­kei­ten bzw. wel­che Vor- und Nach­be­rei­tungs­zei­ten zu vergüten sind. Die Ar­beit­neh­mer­schutz­vor­schrif­ten des Arb­ZG, d.h. der Acht­stun­den­tag, die 48-St­un­den­wo­che, die Min­dest­pau­sen und die elfstündi­ge Ru­he­zeit zwi­schen zwei Ar­beits­ta­gen spie­len für die Fra­ge der Be­zah­lung von Rei­se- bzw. Fahr­zei­ten kei­ne Rol­le.

Zwei­tens: Die Fahrt des Ar­beit­neh­mers von sei­ner Woh­nung zum Be­trieb und zurück gehört als We­ge­zeit zur Pri­vat­sphäre des Ar­beit­neh­mers, d.h. sie ist nie zu be­zah­len. Aus­nah­men bestäti­gen die­se Re­gel. So kann ein An­spruch auf Be­zah­lung von Fahrt­zei­ten be­ste­hen, wenn ein Außen­dienst­mit­ar­bei­ter auf ent­spre­chen­de Wei­sung des Ar­beit­ge­bers und/oder auf ar­beits­ver­trag­li­cher Grund­la­ge vom Ho­me-Of­fice aus star­tet, so dass er di­rekt von sei­ner Haustür aus den ers­ten Kun­den be­sucht.

Drit­tens: Fahr­zei­ten sind als Ar­beits­zei­ten zu be­zah­len, wenn die ar­beits­ver­trag­li­che Haupt­leis­tungs­pflicht (auch) im Fah­ren be­steht, wie dies z.B. bei Be­rufs­kraft­fah­rern so­wie bei Ser­vice­tech­ni­kern oder Ver­triebs­kräften im Außen­dienst der Fall ist. Das gilt auch für Ar­beit­neh­mer, die zwar kei­ne Be­rufs­kraft­fah­rer sind, aber selbst am Steu­er ei­nes Pkw sit­zen, denn das ist an­stren­gend, so dass für pri­va­te Tätig­kei­ten kein Raum ist. Zu be­zah­len sind auch Rei­se­zei­ten in öffent­li­chen Ver­kehrs­mit­teln, wenn der Ar­beit­neh­mer dort für den Ar­beit­ge­ber tätig ist, al­so z.B. dienst­li­che Te­le­fo­na­te führt oder Un­ter­la­gen durch­sieht. In all die­sen Fällen kann man die Rei­se­zeit als „Ar­beits­zeit im vergütungs­recht­li­chen Sin­ne“ an­se­hen.

Ab­ge­se­hen von die­sen mehr oder we­ni­ger ein­deu­ti­gen Fällen hängt die Pflicht zur Be­zah­lung von Rei­se­zei­ten erst ein­mal da­von ab, ob die­se Fra­ge in ei­nem ein­schlägi­gen Ta­rif­ver­trag, ei­ner Be­triebs­ver­ein­ba­rung oder im Ar­beits­ver­trag ge­re­gelt ist. Dann er­gibt sich die Höhe der Be­zah­lung aus die­sen Ver­ein­ba­run­gen.

Sind sol­che Re­ge­lun­gen nicht vor­han­den, kommt es dar­auf an, ob der Ar­beit­neh­mer ei­ne „be­rech­tig­te Vergütungs­er­war­tung“ im Sin­ne von § 612 Bürger­li­ches Ge­setz­buch (BGB) hat. Die­se Vor­schrift lau­tet:

„Ei­ne Vergütung gilt als still­schwei­gend ver­ein­bart, wenn die Dienst­leis­tung den Umständen nach nur ge­gen ei­ne Vergütung zu er­war­ten ist.“

Auf der Grund­la­ge die­ser (sehr all­ge­mei­nen und da­her im Ein­zel­fall un­kla­ren) Vor­schrift können Ar­beit­neh­mer in vie­len Fällen er­war­ten, dass sie für die Rei­se­zei­ten zu Ar­beits­ein­satz­or­ten, die der Ar­beit­ge­ber vor­gibt, auch dann ih­re re­guläre Vergütung er­hal­ten, wenn sie öffent­li­che Ver­kehrs­mit­tel be­nut­zen.

Dies gilt je­den­falls bis zur Höchst­gren­ze der re­gulären tägli­chen Ar­beits­zeit. Ob und un­ter wel­chen Umständen ei­ne darüber hin­aus­ge­hen­de Rei­se­zeit (eben­falls) zu vergüten ist, ist um­strit­ten. Klar ist je­den­falls, dass es hier Gren­zen ge­ben muss, z.B. für Über­nach­tun­gen oder für länge­re (Es­sens-)Pau­sen, da sol­che Zei­ten ja auch dann nicht zu be­zah­len wären, wenn der Ar­beit­neh­mer an­statt zu rei­sen ar­bei­ten würde.

Über ei­nen sol­chen Fall, in dem der Ar­beit­neh­mer pro Stre­cke mehr als ei­nen Tag un­ter­wegs war, hat­te das BAG in sei­nem Ur­teil vom Mitt­woch letz­ter Wo­che zu ent­schei­den.

Der Streit­fall: In­ge­nieur ver­langt vollständi­ge Be­zah­lung der Rei­se­zei­ten für ei­ne Dienst­rei­se zum Ar­beits­ort in Chi­na und zurück

Ge­klagt hat­te ein tech­ni­scher An­ge­stell­ter ei­nes Bau­un­ter­neh­mens, der ar­beits­ver­trag­lich da­zu ver­pflich­tet war, auf wech­seln­den Bau­stel­len im In- und Aus­land zu ar­bei­ten. Auf das Ar­beits­verhält­nis fand auf­grund bei­der­sei­ti­ger Ta­rif­bin­dung der Bun­des­rah­men­ta­rif­ver­trag für das Bau­ge­wer­be (BRTV-Bau) An­wen­dung. Dort heißt es in § 7 Punkt 4.3, der Rei­sen zu „Ar­beits­stel­len oh­ne tägli­che Heim­fahrt“ be­trifft:

„Der Ar­beit­ge­ber hat den Ar­beit­neh­mer kos­ten­los zur Ar­beits­stel­le zu befördern oder ihm die Fahrt­kos­ten in Höhe von 0,20 € je ge­fah­re­nem Ki­lo­me­ter oh­ne Be­gren­zung zu er­stat­ten. Das gilt auch für den un­mit­tel­ba­ren Wech­sel zu ei­ner an­de­ren Ar­beits­stel­le und für die Rück­fahrt zu sei­ner Woh­nung nach Be­en­di­gung der Tätig­keit auf der Ar­beits­stel­le. Im Übri­gen gilt Nr.3.1. In die­sen Fällen hat der Ar­beit­neh­mer für die er­for­der­li­che Rei­se­zeit An­spruch auf sei­nen Ge­samt­ta­rif­stun­den­lohn oh­ne je­den Zu­schlag.“

Im Streit­fall gab es (ab­ge­se­hen von die­ser Ta­rif­vor­schrift) kei­ne Re­ge­lun­gen über die Pflicht des Ar­beit­ge­bers zur Be­zah­lung von Rei­se­zei­ten, we­der in Be­triebs­ver­ein­ba­run­gen noch im Ar­beits­ver­trag des An­ge­stell­ten noch in dem Ent­sen­de­ver­trag, den er mit dem Un­ter­neh­men ab­ge­schlos­sen hat­te, be­vor er von Au­gust bis Ok­to­ber 2015 auf ei­ne Bau­stel­le nach Chi­na ent­sandt wur­de.

Der Hin- und der Rück­flug dau­er­ten bei die­ser Rei­se et­was länger, da der Ar­beit­ge­ber auf Wunsch des An­ge­stell­ten statt ei­nes Di­rekt­flugs in der Eco­no­my-Class ei­nen Flug in der Busi­ness-Class buch­te, der mit ei­nem Zwi­schen­stopp in Du­bai ver­bun­den war.

Das Un­ter­neh­men zahl­te dem An­ge­stell­ten für die­se vier Rei­se­ta­ge pro Tag das ar­beits­ver­trag­lich ver­ein­bar­te Ge­halt, je­weils für acht St­un­den, ins­ge­samt 1.149,44 EUR brut­to. Der An­ge­stell­te war da­mit nicht ein­ver­stan­den und ver­lang­te Vergütung für wei­te­re 15 Rei­se­stun­den (An­rei­se nach Chi­na) so­wie für wei­te­re 22 Rei­se­stun­den (Rück­rei­se), ins­ge­samt 1.661,30 EUR brut­to. In dem Be­trag ent­hal­ten war ein Zu­schlag für Über­stun­den von 25 Pro­zent gemäß Ta­rif­ver­trag (BRTV-Bau). Denn aus Sicht des An­ge­stell­ten wa­ren die strit­ti­gen Rei­se­stun­den als Über­stun­den zu be­wer­ten, da sie die Gren­ze von acht St­un­den pro Tag über­schrit­ten.

Das Ar­beits­ge­richt Lud­wigs­ha­fen wies die Kla­ge ab (Ur­teil vom 07.07.2016, 1 Ca 4/16), wo­hin­ge­gen das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Rhein­land-Pfalz der Kla­ge im Prin­zip statt­gab, al­ler­dings oh­ne den Über­stun­den­zu­schlag (LAG Rhein­land-Pfalz, Ur­teil vom 13.07.2017, 2 Sa 468/16). Da­bei stütz­te das LAG sein Ur­teil auf die o.g. Vor­schrift des BRTV-Bau. Denn der BRTV-Bau ist, so je­den­falls das LAG Rhein­land-Pfalz, auch auf Ent­sen­dun­gen ins Aus­land an­zu­wen­den.

BAG: Dienst­rei­sen zu ausländi­schen Ar­beits­or­ten und zurück lie­gen al­lein im Ar­beit­ge­ber­in­ter­es­se und sind im All­ge­mei­nen wie Ar­beit zu vergüten

Das BAG hob das LAG-Ur­teil zwar auf, mach­te da­bei aber deut­lich, dass es den An­spruch des An­ge­stell­ten im Prin­zip für be­rech­tigt hält. Al­ler­dings, so das BAG, sind nur die „er­for­der­li­chen“ Rei­se­zei­ten zu be­zah­len, und das wie­der­um sind die­je­ni­gen Rei­se­zei­ten, die bei ei­nem Flug in der Eco­no­my-Class an­fal­len. Da­zu heißt es in der Pres­se­mel­dung des BAG:

„Ent­sen­det der Ar­beit­ge­ber ei­nen Ar­beit­neh­mer vorüber­ge­hend ins Aus­land, er­fol­gen die Rei­sen zur auswärti­gen Ar­beits­stel­le und von dort zurück aus­sch­ließlich im In­ter­es­se des Ar­beit­ge­bers und sind des­halb in der Re­gel wie Ar­beit zu vergüten. Er­for­der­lich ist da­bei grundsätz­lich die Rei­se­zeit, die bei ei­nem Flug in der Eco­no­my-Class anfällt.“

Da die For­mu­lie­run­gen in der der­zeit al­lein vor­lie­gen­den Pres­se­mel­dung des BAG sehr all­ge­mein ge­hal­ten sind, d.h. den BRTV-Bau nicht erwähnen, stützt das BAG den An­spruch des Klägers mögli­cher­wei­se auf § 612 BGB. Dann könn­ten Ar­beit­neh­mer ge­ne­rell im Fal­le ei­ner Aus­lands­ent­sen­dung ih­re Rei­se­zei­ten oh­ne Be­schränkun­gen ab­rech­nen, je­den­falls über die Gren­ze von acht St­un­den pro Tag hin­aus.

Mögli­cher­wei­se be­zieht sich das BAG aber auch auf die spe­zi­el­le Vor­schrift des § 7 Punkt 4.3 BRTV-Bau. Dann wäre die Be­deu­tung des vor­lie­gen­den Ur­teils in ers­ter Li­nie auf die Bau­bran­che be­schränkt. Hier wird man die Ur­teils­gründe ab­war­ten müssen.

Fa­zit: Ar­beit­ge­bern und Ar­beit­neh­mern ist zu ra­ten, in Ent­sen­de­verträgen die Fra­ge der Be­zah­lung von Rei­se­zei­ten möglichst ge­nau zu re­geln. Da­bei müssen Ar­beit­ge­ber bei der Aus­for­mu­lie­rung sol­cher Ver­ein­ba­run­gen, die prak­tisch im­mer All­ge­mei­ne Geschäfts­be­din­gun­gen (AGB) sein wer­den, das Ver­bot un­kla­rer Re­ge­lun­gen und das Ver­bot un­an­ge­mes­se­ner Be­nach­tei­li­gun­gen be­ach­ten (§ 307 BGB). So wäre ein völli­ger Aus­schluss der Vergütungs­pflicht auch für Rei­se­zei­ten im Um­fang der re­gelmäßigen Ar­beits­zeit als un­an­ge­mes­se­ne Be­nach­tei­li­gung des Ar­beit­neh­mers un­wirk­sam.

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Letzte Überarbeitung: 7. Januar 2020

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