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LAG Nie­der­sach­sen, Ur­teil vom 29.09.2011, 7 Sa 323/11

   
Schlagworte: Altersdiskriminierung, Sozialplan
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Aktenzeichen: 7 Sa 323/11
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 29.09.2011
   
Leitsätze:

1. § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG verstößt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, von der abzuweichen kein Anlass besteht, nicht gegen das Verbot der Altersdiskriminierung im Recht der Europäischen Union.

2. Der konkrete Sozialplan ist an dem Maßstab des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu prüfen und muss den gesetzlichen und unionsrechtlichen Anforderungen entsprechen.

3. Nach § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG dient der Sozialplan dem Ausgleich oder der Milderung der wirtschaftlichen Nachteile, die den Arbeitnehmern infolge der geplanten Betriebsänderung entstehen. Die Entscheidung, den rentennahen Arbeitnehmern lediglich einen gewissen Ausgleich für eine eintretende Minderung zu gewähren, ist unter Berücksichtigung der Verteilungsgerechtigkeit nicht zu beanstanden.

4. Der den Betriebsparteien zustehende Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum schließt eine Typisierung und Pauschalierung ein, eine Stichtagsregelung ist deshalb zulässig.

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Göttingen, Urteil vom 9.02.2011, 4 Ca 363/10
   

LAN­DES­AR­BEITS­GERICHT

NIE­DERSACHSEN

 

Verkündet am:

29.09.2011

Ge­richts­an­ge­stell­te als Ur­kunds­be­am­tin der Geschäfts­stel­le

 

IM NA­MEN DES VOL­KES

UR­TEIL

7 Sa 323/11

4 Ca 363/10 ArbG Göttin­gen

In dem Rechts­streit

Kläger und Be­ru­fungskläger,

ge­gen

Be­klag­te und Be­ru­fungs­be­klag­te,

hat die 7. Kam­mer des Lan­des­ar­beits­ge­richts Nie­der­sach­sen auf die münd­li­che Ver­hand-lung vom 29. Sep­tem­ber 2011 durch

den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Lan­des­ar­beits­ge­richt Lei­bold,
den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Herrn Krantz,
den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Herrn Smidt

für Recht er­kannt:

Die Be­ru­fung des Klägers ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Göttin­gen vom 09.02.2011, 4 Ca 363/10, wird kos­ten­pflich­tig zurück­ge­wie­sen.

Die Re­vi­si­on wird zu­ge­las­sen.

 

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Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten über die Höhe der dem Kläger zu­ste­hen­den So­zi­al­plan­ab­fin­dung und da­bei ins­be­son­de­re über die Fra­ge, ob der Kläger durch die So­zi­al­plan­re­ge­lung auf­grund sei­nes Al­ters un­an­ge­mes­sen be­nach­tei­ligt wird.

Der am 0.0.1946 ge­bo­re­ne Kläger war seit dem 01.01.1987 bei der Be­klag­ten als Phar­ma­re­fe­rent im Außen­dienst beschäftigt und be­zog zu­letzt ei­ne durch­schnitt­li­che mo­nat­li­che Brut­to­vergütung von 5.325,00 €. Die Be­klag­te ist Her­stel­le­rin von Ge­ne­ri­ka und beschäftig­te ursprüng­lich 171 Ar­beit­neh­mer, da­von 88 im Außen­dienst.

Die Be­klag­te ver­ein­bar­te am 19.06.2009 mit dem bei ihr ge­bil­de­ten Be­triebs­rat ei­nen In­ter­es­sen­aus­gleich und So­zi­al­plan (Bl. 27-33 d.A.), der die Ein­stel­lung des Außen­diens­tes zum 01.07.2009 und be­triebs­be­ding­te Kündi­gun­gen der in der An­la­ge ge­nann­ten 88 Ar­beit­neh­mer, dar­un­ter der Kläger, vor­sah. Der So­zi­al­plan enthält da­bei un­ter B II u.a. fol­gen­de Re­ge­lun­gen:

II. Höhe der Ab­fin­dung

1. Je­der nach den Kri­te­ri­en die­ses So­zi­al­plans an­spruchs­be­rech­tig­te Ar­beit­neh­mer erhält ei­nen Be­trag, der sich nach fol­gen­der For­mel er­rech­net:
Brut­to­mo­nats­vergütung x Be­triebs­zu­gehörig­keit x Fak­tor aus nach­ste­hen­der Ta­bel­le

Al­ter Fak­tor
30-39 0,7
40-45 0,8
46-50 0,9
51-59 1,0
60-62 0,3
> 62 0

5. Min­dest- und Höchst­be­trag der Ab­fin­dung

Die Ab­fin­dung beträgt min­des­tens 2 Brut­to­mo­nats­gehälter.
Die Höhe der Ab­fin­dung ist be­grenzt auf höchs­tens 200.000,- € brut­to.

 

- 3 -

Die Be­klag­te kündig­te das Ar­beits­verhält­nis mit dem Kläger durch Schrei­ben vom 23.06.2009 zum 31.01.2010. Die hier­ge­gen er­ho­be­ne Kündi­gungs­schutz­kla­ge wur­de rechts­kräftig ab­ge­wie­sen (Ur­teil des LAG Nie­der­sach­sen vom 15.07.2010, 7 Sa 123/10).

Die Be­klag­te zahl­te an den Kläger ei­ne So­zi­al­plan­ab­fin­dung in Höhe des Be­tra­ges von 2 Mo­nats­ein­kom­men, was ei­nem Be­trag von ins­ge­samt 10.650,00 € ent­spricht. Mit der vor­lie­gen­den Kla­ge be­gehrt der Kläger ei­ne Ab­fin­dung nach dem So­zi­al­plan in Höhe von wei­te­ren 112.251,00 €. Er legt bei sei­ner Be­rech­nung den in dem So­zi­al­plan für die Grup­pe der 51- bis 59-jähri­gen Ar­beit­neh­mer maßgeb­li­chen Mul­ti­pli­ka­ti­ons­fak­tor von 1,0 zu Grun­de.

Das Ar­beits­ge­richt hat durch ein dem Kläger am 15.02.2011 zu­ge­stell­tes Ur­teil vom 09.02.2011, auf des­sen In­halt zur wei­te­ren Dar­stel­lung des erst­in­stanz­li­chen Sach- und Streit­stan­des und des­sen Würdi­gung durch das Ar­beits­ge­richt Be­zug ge­nom­men wird (Bl. 41 - 46 d.A.), die Kla­ge ab­ge­wie­sen.

Hier­ge­gen rich­tet sich die am 08.03.2011 ein­ge­leg­te und gleich­zei­tig be­gründe­te Be­ru­fung des Klägers.

Der Kläger ist der Auf­fas­sung, dass die Re­ge­lung in dem So­zi­al­plan ei­nen Rechts­ver­s­toß der eu­ro­pa­recht­li­chen un­ter­sag­ten Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung dar­stel­le. Nicht berück­sich­tigt wer­de, dass mit ei­ner Ab­fin­dung von 2 Brut­to­mo­nats­ent­gel­ten nicht der­je­ni­ge Ver­lust aus­ge­gli­chen wer­den könne, den er er­lei­de, weil er über ein Jahr hin­weg Ar­beits­lo­sen­geld be­zie­hen müsse. Zu­dem tre­te bei ihm in­fol­ge der Ar­beits­lo­sig­keit vor Ren­ten­be­ginn ein Ren­ten­ver­lust ein.

Fer­ner be­ste­he ein kras­ses Miss­verhält­nis im Verhält­nis zu den Mit­ar­bei­tern, die knapp un­ter 60 Jah­re alt sei­en und ei­ne Ab­fin­dung bis zu 200.000,00 € er­hal­ten könn­ten. Es sei nicht er­kenn­bar, wes­halb die dras­ti­sche Kürzung der So­zi­al­plan­ab­fin­dung der über 62 Jah­re al­ten Ar­beit­neh­mer an­ge­mes­sen und er­for­der­lich sei.

Ein gro­bes Miss­verhält­nis lie­ge auch vor im Verhält­nis zu den Mit­ar­bei­tern, die in un­mit­tel­ba­rem An­schluss an das be­ste­hen­de Ar­beits­verhält­nis ei­ne Neu­ein­stel­lung ge­fun­den hätten. Die­se er­lit­ten kei­nen wirt­schaft­li­chen Nach­teil, könn­ten aber die So­zi­al­plan­ab­fin­dung bis zum Höchst­be­trag er­hal­ten.

 

- 4 -

We­gen der wei­te­ren Ein­zel­hei­ten des Vor­trags des Klägers im Be­ru­fungs­ver­fah­ren wird Be­zug ge­nom­men auf die Schriftsätze sei­ner Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten vom 08.03.2011, 27.04.2011 und 17.08.2011.

Der Kläger be­an­tragt,

das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Göttin­gen vom 09.02.2011 ab­zuändern und die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an ihn ei­ne Ab­fin­dung in Höhe von 112.251,00 € brut­to nebst Zin­sen in Höhe von 5 Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit dem 16.07.2010 zu zah­len.

Die Be­klag­te be­an­tragt,

die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen.

Sie ver­tei­digt das an­ge­foch­te­ne Ur­teil nach Maßga­be der Schriftsätze ih­rer Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten vom 08.04.2011 und 20.09.2011.

Ent­schei­dungs­gründe

I.
Die Be­ru­fung des Klägers ist statt­haft, sie ist form- und frist­ge­recht ein­ge­legt und be­gründet wor­den und da­mit ins­ge­samt zulässig, §§ 519, 520 ZPO, 64, 66 ArbGG.

II.
Die Be­ru­fung ist je­doch nicht be­gründet.

Das Ar­beits­ge­richt ist zu Recht und mit weit­ge­hend zu­tref­fen­der Be­gründung zu dem Er­geb­nis ge­langt, dass dem Kläger kein An­spruch auf ei­ne wei­te­re So­zi­al­plan­ab­fin­dung in Höhe von 112.251,00 € brut­to zu­steht. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt macht sich die Ent­schei­dungs­gründe des ar­beits­ge­richt­li­chen Ur­teils zu Ei­gen und nimmt hier­auf zur Ver­mei­dung von Wie­der­ho­lun­gen gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG Be­zug.

 

- 5 -

Die Be­ru­fung des Klägers gibt An­lass zu fol­gen­den ergänzen­den und zu­sam­men­fas­sen­den Ausführun­gen.

Der im Streit ste­hen­de So­zi­al­plan vom 19.06.2009 macht die Höhe der Ab­fin­dung im We­sent­li­chen auch von dem Al­ter der be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer abhängig. Die­se un­ter­schied­li­che Be­hand­lung we­gen des Al­ters ist grundsätz­lich nach § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG zulässig. Die­se Vor­schrift ge­stat­tet die un­ter­schied­li­che Be­hand­lung bei Dif­fe­ren­zie­run­gen von Leis­tun­gen in So­zi­alplänen, wenn die Par­tei­en ei­ne nach Al­ter oder Be­triebs­zu­gehörig­keit ge­staf­fel­te Ab­fin­dungs­re­ge­lung ge­schaf­fen ha­ben, in der die we­sent­lich vom Al­ter abhängen­den Chan­cen auf dem Ar­beits­markt durch ei­ne verhält­nismäßig star­ke Be­to­nung des Le­bens­al­ters er­kenn­bar berück­sich­tigt wor­den sind. Fer­ner dürfen Beschäftig­te von den Leis­tun­gen des So­zi­al­plans aus­ge­schlos­sen wer­den, wenn sie wirt­schaft­lich ab­ge­si­chert sind, weil sie, ge­ge­be­nen­falls nach Be­zug von Ar­beits­lo­sen­geld, ren­ten­be­rech­tigt sind.

§ 10 Satz 3 Nr. 6 AGG verstößt nach der ständi­gen Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts, von der ab­zu­wei­chen kein An­lass be­steht, nicht ge­gen das Ver­bot der Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung im Recht der Eu­ropäischen Uni­on (BAG vom 12.04.2011, 1 AZR 743/09, NZA 2011, 985-988). Denn die­se Vor­schrift ist durch ein im all­ge­mei­nen In­ter­es­se lie­gen­des so­zi­al­po­li­ti­sches Ziel des deut­schen Ge­setz­ge­bers im Sin­ne von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Richt­li­nie 2000/78/EG ge­recht­fer­tigt. Hier­durch wird dem Um­stand Rech­nung ge­tra­gen, dass älte­re Ar­beit­neh­mer auf dem Ar­beits­markt ty­pi­scher­wei­se größere Schwie­rig­kei­ten ha­ben als jünge­re. Dies liegt im all­ge­mei­nen so­zi­al­po­li­ti­schen In­ter­es­se und nicht nur im rein in­di­vi­du­el­len In­ter­es­se der Ar­beit­ge­ber an ei­ner Kos­ten­re­du­zie­rung oder der Erhöhung der Wett­be­werbsfähig­keit.

Dies gilt nach der bis­he­ri­gen Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts auch für die von dem Ge­setz ein­geräum­te Möglich­keit, älte­re Ar­beit­neh­mer un­ter den ge­nann­ten Vor­aus­set­zun­gen ganz von So­zi­al­plan­leis­tun­gen aus­zu­sch­ließen. Hier­durch soll den Be­triebs­par­tei­en ent­spre­chend dem zu­kunfts­ge­rich­te­ten Cha­rak­ter von So­zi­al­plan­leis­tun­gen ermöglicht wer­den, die­se bei ren­ten­na­hen Ar­beit­neh­mern stärker an den tatsächlich ein­tre­ten­den wirt­schaft­li­chen Nach­tei­len zu ori­en­tie­ren, die ih­nen durch den be­vor­ste­hen­den Ar­beits­platz­ver­lust und ei­ne dar­auf zurück­ge­hen­de Ar­beits­lo­sig­keit dro­hen (BAG vom 23.03.2010, 1 AZR 832/08, Rn. 17, AP Nr. 55 zu § 75 Be­trVG 1972; BAG vom 26.05.2009, 1 AZR 198/08, Rn. 33-40 und 48 f., AP Nr. 200 zu § 112 Be­trVG 1972).

 

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Ob an­ge­sichts der Ent­schei­dung des EuGH vom 12.10.2010, C-499/08 (NZA 2010, 1341) wei­ter­hin ein völli­ger Aus­schluss von So­zi­al­plan­leis­tun­gen zulässig ist, kann vor­lie­gend da­hin­ste­hen, da der im Streit ste­hen­de So­zi­al­plan ren­ten­na­he Ar­beit­neh­mer an­ders als in dem von dem EuGH ent­schie­de­nen Fall nicht völlig von ei­ner Ab­fin­dungs­zah­lung aus­sch­ließt. Dass die Möglich­keit, in ab­seh­ba­rer Zeit Ren­te be­zie­hen zu können, nicht an­spruchs­min­dernd berück­sich­tigt wer­den darf, hat der EuGH nicht ent­schie­den.

Der kon­kre­te So­zi­al­plan ist al­ler­dings im­mer an dem Maßstab des Verhält­nismäßig­keits­grund­sat­zes zu prüfen. Er muss den ge­setz­li­chen und uni­ons­recht­li­chen An­for­de­run­gen ent­spre­chen. Die So­zi­al­plan­ge­stal­tung muss des­halb ge­eig­net sein, das mit § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG ver­folg­te Ziel, älte­ren Ar­beit­neh­mern we­gen de­ren schlech­te­ren Ar­beits­markt­chan­cen ei­nen höhe­ren Nach­teils­aus­gleich zu gewähren, tatsächlich zu fördern. Die In­ter­es­sen der be­nach­tei­lig­ten Al­ters­grup­pen dürfen da­bei nicht un­verhält­nismäßig stark ver­nachlässigt wer­den (BAG vom 12.04.2011, 1 AZR 743/09, Rn. 19).

Ent­ge­gen der von dem Kläger ver­tre­te­nen Auf­fas­sung ist die kon­kre­te Re­ge­lung in dem So­zi­al­plan vom 19.06.2009 un­ter Zu­grun­de­le­gung die­ser Maßstäbe nicht zu be­an­stan­den.

Zu berück­sich­ti­gen ist da­bei ins­be­son­de­re, dass der So­zi­al­plan vom 19.06.2009 die ren­ten­na­hen Ar­beit­neh­mer nicht völlig von den Ab­fin­dungs­zah­lun­gen aus­sch­ließt, son­dern ei­ne Min­dest­ab­fin­dung in Höhe von 2 Mo­nats­ein­kom­men vor­sieht. Dies be­deu­tet für den Kläger, dass die ihm bis zum Be­zug der ge­setz­li­chen Al­ters­ren­te ent­ste­hen­den fi­nan­zi­el­len Nach­tei­le durch die im So­zi­al­plan ver­ein­bar­te Ab­fin­dung tatsächlich zu ei­nem über­wie­gen­den Teil aus­ge­gli­chen wer­den. Der Kläger war bei Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses 64 Jah­re alt. Bis zum Be­zug der Al­ters­ren­te muss­te er le­dig­lich 12 Mo­na­te über­brücken. Die fi­nan­zi­el­len Nach­tei­le wer­den bei ei­ner Ab­fin­dung nach dem So­zi­al­plan von 10.650,00 € mit mo­nat­lich 887,50 € aus­ge­gli­chen, wes­halb die In­ter­es­sen des Klägers nicht un­verhält­nismäßig stark ver­nachlässigt wer­den.

Ein gro­bes Miss­verhält­nis kann ent­ge­gen der von dem Kläger ver­tre­te­nen Auf­fas­sung auch nicht dar­in ge­se­hen wer­den, dass die Ar­beit­neh­mer der Al­ters­grup­pe 51 - 59 mit 1,0 den höchs­ten Fak­tor er­hal­ten, während die­ser Fak­tor bei den über 62-jähri­gen 0 beträgt. Hier­durch wird zum ei­nen dem Um­stand Rech­nung ge­tra­gen, dass ge­ra­de die Al­ters­grup­pe der über 50-jähri­gen trotz al­ler Bemühun­gen der Bun­des­re­gie­rung und der Bun­des­agen­tur für Ar­beit auf dem Ar­beits­markt nur schwer zu ver­mit­teln ist. Die über 62-

 

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jähri­gen ha­ben dem­ge­genüber die Möglich­keit, nach dem Be­zug von Ar­beits­lo­sen­geld in ab­seh­ba­rer Zeit den ge­setz­li­chen Ren­ten­an­spruch in An­spruch zu neh­men. Die­se Al­ters­grup­pe ist des­halb im Verhält­nis zu den 51- bis 59-jähri­gen wirt­schaft­lich weit ge­hend ab­ge­si­chert. Die Be­triebs­par­tei­en, die bei der Aus­ge­stal­tung von So­zi­alplänen ei­nen wei­ten Be­ur­tei­lungs- und Ge­stal­tungs­spiel­raum ha­ben (BAG vom 20.01.2009, 1 AZR 740/07, Rn. 14), können grundsätz­lich frei darüber ent­schei­den, ob, in wel­chem Um­fang und in wel­cher Wei­se sie die ent­ste­hen­den Nach­tei­le aus­glei­chen oder mil­dern wol­len. Die Be­triebs­par­tei­en ha­ben vor­lie­gend durch die Re­ge­lung in B II 1 des So­zi­al­plans in zulässi­ger Wei­se dem Ge­sichts­punkt Rech­nung ge­tra­gen, dass nach § 112 Abs. 1 Satz 2 Be­trVG der So­zi­al­plan dem Aus­gleich oder der Mil­de­rung der wirt­schaft­li­chen Nach­tei­le, die den Ar­beit­neh­mern in­fol­ge der ge­plan­ten Be­triebsände­rung ent­ste­hen, dient. Ei­ne So­zi­al­plan­ab­fin­dung stellt kein zusätz­li­ches Ent­gelt für die in der Ver­gan­gen­heit ge­leis­te­ten Diens­te dar, son­dern soll künf­ti­ge wirt­schaft­li­che Nach­tei­le in ty­pi­sier­ter und pau­scha­lier­ter Form aus­glei­chen oder mil­dern (BAG vom 30.09.2008, 1 AZR 684/07, Rn. 33, AP Nr. 197 zu § 112 Be­trVG 1972). Die Ent­schei­dung, den ren­ten­na­hen Ar­beit­neh­mern le­dig­lich ei­nen ge­wis­sen Aus­gleich für ei­ne ein­tre­ten­de Min­de­rung zu gewähren, ist un­ter Berück­sich­ti­gung der Ver­tei­lungs­ge­rech­tig­keit nicht zu be­an­stan­den. Die Be­triebs­par­tei­en wa­ren nicht ge­hal­ten, al­le denk­ba­ren Nach­tei­le zu entschädi­gen, was an­ge­sichts der Be­grenzt­heit der zur Verfügung ste­hen­den Mit­tel re­gelmäßig auch nicht um­setz­bar wäre (LAG Düssel­dorf vom 14.06.2011, 16 Sa 1712/10).

Hin­zu­neh­men ist, dass ein knapp un­ter 60 Jah­re al­ter Ar­beit­neh­mer den höchs­ten So­zi­al­plan­an­spruch er­rei­chen kann, während ein nur et­was mehr als 3 Jah­re älte­rer Ar­beit­neh­mer le­dig­lich die Min­dest­ab­fin­dung von 2 Brut­to­mo­nats­gehältern erhält. Der den Be­triebs­par­tei­en zu­ste­hen­de Be­ur­tei­lungs- und Ge­stal­tungs­spiel­raum schließt ei­ne Ty­pi­sie­rung und Pau­scha­lie­rung ein. Ei­ne Stich­tags­re­ge­lung ist des­halb nicht zu be­an­stan­den, auch wenn sie im Ein­zel­fall - vor­lie­gend je­doch nicht - zu un­ge­recht er­schei­nen­den Er­geb­nis­sen führen mag (vgl. BAG vom 20.01.2009, 1 AZR 740/07, Rn. 14, a.a.O.).

Die So­zi­al­plan­re­ge­lung vom 19.06.2009 ist auch nicht un­ter dem Ge­sichts­punkt un­wirk­sam, dass die­je­ni­gen Ar­beit­neh­mer die vol­le So­zi­al­plan­ab­fin­dung be­hal­ten dürfen, die zeit­nah zu der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses mit der Be­klag­ten ein neu­es Ar­beits­verhält­nis be­gründen und des­halb kei­ne er­heb­li­chen wirt­schaft­li­chen Nach­tei­le er­lei­den. Auch die­se Re­ge­lung ist von dem Be­ur­tei­lungs­spiel­raum der Be­triebs­par­tei­en ge­deckt und ent­spricht ei­ner sinn­vol­len und durchführ­ba­ren Ge­stal­tung im Rah­men der ge­bo­te­nen Ty­pi­sie­rung und Pau­scha­lie­rung. Es ist we­nig prak­ti­ka­bel und schwie­rig um­setz­bar, die

 

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Höhe ei­ner Ab­fin­dung von nach der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses lie­gen­den kon­kre­ten tatsächli­chen Umständen abhängig zu ma­chen, die von der Pro­gno­se der Be­triebs­par­tei­en ab­weicht.

Zu­sam­men­fas­send lässt sich fest­stel­len, dass die von den Be­triebs­par­tei­en gewähl­te So­zi­al­plan­ge­stal­tung ge­eig­net ist, das mit § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG ver­folg­te Ziel tatsächlich zu fördern. Die In­ter­es­sen der be­nach­tei­lig­ten Al­ters­grup­pen wer­den nicht un­verhält­nismäßig stark ver­nachlässigt.

III.
Die Be­ru­fung des Klägers war mit der Kos­ten­fol­ge des § 97 ZPO zurück­zu­wei­sen.
Die Zu­las­sung der Re­vi­si­on be­ruht auf § 72 Abs. 2 Zif­fer 1 ArbGG

Rechts­mit­tel­be­leh­rung

Ge­gen die­ses Ur­teil fin­det, wie sich aus der Ur­teils­for­mel er­gibt, die Re­vi­si­on statt.

Die Re­vi­si­ons­schrift muss in­ner­halb ei­nes Mo­nats nach Zu­stel­lung die­ses Ur­teils, die Re­vi­si­ons­be­gründung in­ner­halb von zwei Mo­na­ten nach Zu­stel­lung die­ses Ur­teils bei dem Bun­des­ar­beits­ge­richt ein­ge­hen.

Die An­schrift des Bun­des­ar­beits­ge­richts lau­tet:

Post­fach, 99113 Er­furt

oder

Hu­go-Preuß-Platz 1, 99084 Er­furt.

Te­le­fax-Nr.: (0361) 26 36 – 20 00

Auf die Möglich­keit der Ein­rei­chung elek­tro­ni­scher Do­ku­men­te beim Bun­des­ar­beits­ge­richt nach § 46 c ArbGG i. V. m. den be­son­de­ren Vor­aus­set­zun­gen nach der Ver­ord­nung über den elek­tro­ni­schen Rechts­ver­kehr beim Bun­des­ar­beits­ge­richt vom 09. März 2006,
BGBl. 2006 Teil I Nr. 12, S. 519 f., aus­ge­ge­ben zu Bonn am 15. März 2006, wird hin­ge­wie­sen.

 

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Vor dem Bun­des­ar­beits­ge­richt müssen sich die Par­tei­en durch Pro­zess­be­vollmäch­tig­te ver­tre­ten las­sen. Als Be­vollmäch­tig­te sind außer Rechts­anwälten nur die in § 11 Ab­satz 2 Satz 2 Nr. 4 und 5 ArbGG be­zeich­ne­ten Or­ga­ni­sa­tio­nen zu­ge­las­sen. Die­se müssen in Ver­fah­ren vor dem Bun­des­ar­beits­ge­richt durch Per­so­nen mit Befähi­gung zum Rich­ter­amt han­deln.

Die Re­vi­si­ons­schrift, die Re­vi­si­ons­be­gründungs­schrift und die sons­ti­gen wech­sel­sei­ti­gen Schriftsätze im Re­vi­si­ons­ver­fah­ren sol­len 7-fach – für je­den wei­te­ren Be­tei­lig­ten ein Ex­em­plar mehr – ein­ge­reicht wer­den.

 

Lei­bold 

Krantz 

Smidt

 

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