HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

ARBEITSRECHT AKTUELL // 15/347

Kün­di­gung des Aus­bil­dungs­ver­hält­nis­ses in der Pro­be­zeit

Kei­ne An­rech­nung ei­nes vor­an­ge­gan­ge­nen Prak­ti­kums oder Ar­beits­ver­hält­nis­ses auf die Pro­be­zeit bei der Be­rufs­aus­bil­dung: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 19.11.2015, 6 AZR 844/14
Prak­ti­kum und Aus­bil­dung sind nicht das­sel­be

08.12.2015. Wäh­rend Ar­beits­ver­trä­ge im All­ge­mei­nen or­dent­lich ge­kün­digt wer­den kön­nen, gibt es beim The­ma Kün­di­gung in der Be­rufs­bil­dung ei­ne star­re zeit­li­che Zwei­tei­lung:

Wäh­rend der Pro­be­zeit kön­nen bei­de Ver­trags­par­tei­en je­der­zeit frist­los kün­di­gen, d.h. es gel­ten noch nicht ein­mal kur­ze Kün­di­gungs­fris­ten, ge­schwei­ge denn ei­ne an­de­re Art von Be­stands­si­che­rung des Aus­bil­dungs­ver­tra­ges.

Nach der Pro­be­zeit kön­nen bei­de Par­tei­en da­ge­gen nur noch aus wich­ti­gem Grund und der Aus­zu­bil­den­de au­ßer­dem auch we­gen Auf­ga­be des Aus­bil­dungs­ziels kün­di­gen.

Vor kur­zem hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) klar­ge­stellt, dass die Pro­be­zeit in der Aus­bil­dung voll aus­ge­schöpft wer­den kann, d.h. dass ein vor­an­ge­gan­ge­nes Prak­ti­kum nicht auf die Pro­be­zeit im Aus­bil­dungs­ver­hält­nis an­zu­rech­nen ist: BAG, Ur­teil vom 19.11.2015, 6 AZR 844/14 (Pres­se­mit­tei­lung des Ge­richts).

Pro­be­zeit und Kündi­gung im Be­rufs­aus­bil­dungs­verhält­nis

Das Be­rufs­aus­bil­dungs­verhält­nis be­ginnt gemäß § 20 Satz 1 BBiG mit der Pro­be­zeit. Sie muss min­des­tens ei­nen Mo­nat und darf höchs­tens vier Mo­na­te be­tra­gen (§ 20 Satz 2 BBiG). Die Dau­er der Pro­be­zeit ist in den schrift­li­chen Aus­bil­dungs­ver­trag auf­zu­neh­men (§ 11 Abs.1 Satz 2 Nr.5 BBiG).

Während der Pro­be­zeit gilt für den Aus­zu­bil­den­den (Azu­bi) und für den Aus­bil­den­den ab­so­lu­te Kündi­gungs­frei­heit, d.h. bei­de Par­tei­en können je­der­zeit frist­los oh­ne be­son­de­re Gründe kündi­gen (§ 22 Abs.1 BBiG). Da­nach braucht der Aus­bil­den­de wie erwähnt ei­nen wich­ti­gen Grund für ei­ne frist­lo­se Kündi­gung, während er or­dent­lich gar nicht mehr kündi­gen kann. Im Er­geb­nis ist das Be­rufs­bil­dungs­verhält­nis aus Sicht des Azu­bi während der Pro­be­zeit ei­ne äußerst wack­li­ge Sa­che und da­nach bom­ben­si­cher.

Ob­wohl ei­ne Kündi­gung in der Pro­be­zeit je­der­zeit möglich ist, un­ter­liegt sie doch ge­wis­sen Vor­aus­set­zun­gen: 

  • Die Kündi­gung muss schrift­lich erklärt wer­den.
  • Die Kündi­gung muss dem Kündi­gungs­empfänger spätes­tens am letz­ten Tag der Pro­be­zeit zu­ge­hen.
  • Kündigt ein min­derjähri­ger Azu­bi, benötigt er die vor­he­ri­ge Ein­wil­li­gung des ge­setz­li­chen Ver­tre­ters.
  • Kündigt ein Aus­bil­den­der ge­genüber ei­nem min­derjähri­gen Azu­bi, muss er die Kündi­gungs­erklärung ge­genüber dem ge­setz­li­chen Ver­tre­ter ab­ge­ben.
  • Die Kündi­gung darf nicht ge­gen be­son­de­re Kündi­gungs­schutz­vor­schrif­ten ver­s­toßen wie z.B. den be­son­de­ren Kündi­gungs­schutz nach dem Mut­ter­schutz­ge­setz (MuSchG).

Frag­lich ist, wel­che Aus­wir­kun­gen es auf die Pro­be­zeit im Aus­bil­dungs­verhält­nis hat, wenn der Azu­bi be­reits vor­her ein Prak­ti­kum im Be­trieb ab­ge­leis­tet hat und die Par­tei­en da­her be­reits Ge­le­gen­heit hat­ten, sich ken­nen­zu­ler­nen. Mögli­cher­wei­se kann die Pro­be­zeit dann verkürzt wer­den.

Der Streit­fall: Azu­bi wird nach vor­he­ri­gem Prak­ti­kum am letz­ten Tag der Pro­be­zeit gekündigt

Der Kläger be­warb sich im Frühjahr 2013 bei dem Be­klag­ten um ei­ne Aus­bil­dung zum Kauf­mann im Ein­zel­han­del. Der Be­klag­te sag­te ihm ei­nen Aus­bil­dungs­platz zu An­fang Au­gust 2013 zu.

Zur Über­brückung der Zeit bis da­hin ab­sol­vier­te der künf­ti­ge Aus­zu­bil­den­de bis zum En­de Ju­li 2013 ein Prak­ti­kum. Un­mit­tel­bar da­nach be­gann die Be­rufs­aus­bil­dung. Die ver­ein­bar­te Pro­be­zeit be­trug drei Mo­na­te, d.h. sie dau­er­te von An­fang Au­gust bis En­de Ok­to­ber 2013. 

Mit Schrei­ben vom 29.10.2013, das dem Azu­bi am sel­ben Tag zu­ging, kündig­te der Aus­bil­den­de das Aus­bil­dungs­verhält­nis frist­los. Der gekündig­te Azu­bi war ge­schockt und er­hob Kündi­gungs­schutz­kla­ge, hat­te aber we­der beim Ar­beits­ge­richt Pa­der­born (Ur­teil vom 13.03.2014, 1 Ca 1895/13) noch beim Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Hamm Er­folg (LAG Hamm, Ur­teil vom 30.07.2014, 3 Sa 523/14). Sch­ließlich zog er vor das BAG.

BAG: Kei­ne An­rech­nung ei­nes vor­an­ge­gan­ge­nen Prak­ti­kums oder Ar­beits­verhält­nis­ses auf die Pro­be­zeit bei der Be­rufs­aus­bil­dung

Auch in Er­furt un­ter­lag der streit­ba­re Azu­bi. In der bis­her al­lein veröffent­lich­ten BAG-Pres­se­mit­tei­lung heißt es zur Be­gründung:

§ 20 Satz 1 BBiG ord­net zwin­gend an, dass das Be­rufs­aus­bil­dungs­verhält­nis mit ei­ner Pro­be­zeit be­ginnt, so das BAG. Bei­de Ver­trags­part­ner sol­len aus­rei­chend Ge­le­gen­heit ha­ben, die für die Aus­bil­dung we­sent­li­chen Umstände ein­ge­hend zu prüfen. Dies aber ist nach An­sicht der Er­fur­ter Rich­ter "nur un­ter den Be­din­gun­gen des Be­rufs­aus­bil­dungs­verhält­nis­ses mit sei­nen spe­zi­fi­schen Pflich­ten möglich".

An­de­re Ver­trags­verhält­nis­se wie z.B. Prak­ti­kum oder ein Ar­beits­verhält­nis, so das BAG aus­drück­lich, sind da­her auf die Dau­er der Pro­be­zeit in der Be­rufs­aus­bil­dung nicht an­zu­rech­nen. Denn es han­delt sich um ver­schie­de­ne Ver­trags­verhält­nis­se mit un­ter­schied­li­chen Zweck­set­zun­gen.

Fa­zit: Auch Azu­bis, die vor dem Aus­bil­dungs­start be­reits im Un­ter­neh­men des Aus­bil­den­den ge­jobbt oder ein Prak­ti­kum ab­ge­leis­tet ha­ben, kom­men um ei­ne min­des­tens ein­mo­na­ti­ge Pro­be­zeit zu Be­ginn ih­rer "of­fi­zi­el­len" Be­rufs­aus­bil­dung nicht her­um. Das ist sinn­voll und dient dem Schutz bei­der Sei­ten, denn auch der Azu­bi kann während der Pro­be­zeit je­der­zeit hin­schmeißen.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das BAG sei­ne Ent­schei­dungs­gründe veröffent­licht. Das vollständig be­gründe­te Ur­teil des BAG fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 2. August 2019

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de

Bewertung:

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 

Für Personaler, betriebliche Arbeitnehmervertretungen und andere Arbeitsrechtsprofis: "Update Arbeitsrecht" bringt Sie regelmäßig auf den neusten Stand der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung. Informationen zu den Abo-Bedingungen und ein kostenloses Ansichtsexemplar finden Sie hier:

Alle vierzehn Tage alles Wichtige
verständlich / aktuell / praxisnah

HINWEIS: Sämtliche Texte dieser Internetpräsenz mit Ausnahme der Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen sind urheberrechtlich geschützt. Urheber im Sinne des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Martin Hensche, Lützowstraße 32, 10785 Berlin.

Wörtliche oder sinngemäße Zitate sind nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Urhebers bzw. bei ausdrücklichem Hinweis auf die fremde Urheberschaft (Quellenangabe iSv. § 63 UrhG) rechtlich zulässig. Verstöße hiergegen werden gerichtlich verfolgt.

© 1997 - 2024:
Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Berlin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Lützowstraße 32, 10785 Berlin
Telefon: 030 - 26 39 62 0
Telefax: 030 - 26 39 62 499
E-mail: hensche@hensche.de