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LAG Ba­den-Würt­tem­berg, Ur­teil vom 16.09.2010, 9 Sa 33/10

   
Schlagworte: Massenentlassung, Massenentlassungsanzeige
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Aktenzeichen: 9 Sa 33/10
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 16.09.2010
   
Leitsätze:

1. Die Anzahl der zu entlassenden Arbeitnehmer gehört zu den "Muss"-angaben des § 17 Abs. 3 Ziffer 4 KSchG.

2. Unrichtige Angaben hinsichtlich der Zahl der zu entlassenden Arbeitnehmer führen nur dann zur Unwirksamkeit von Kündigungen, wenn sie Auswirkungen auf die Arbeit der Agentur für Arbeit haben konnten.

3. Dies ist regelmäßig nicht der Fall, wenn die angegebene Zahl der zu Entlassenen die der tatsächlich beabsichtigten oder ausgesprochenen Kündigungen geringfügig übersteigt.

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Freiburg (Breisgau), Urteil vom 23.02.2010, 4 Ca 566/09
   

Lan­des­ar­beits­ge­richt

Ba­den-Würt­tem­berg -

Kam­mern Frei­burg -

 

Verkündet

am 16.09.2010

Ak­ten­zei­chen:

9 Sa 33/10

4 Ca 566/09 (ArbG Frei­burg)
(Bit­te bei al­len Schrei­ben an­ge­ben!)

M.
Ur­kunds­be­am­tin der Geschäfts­stel­le

 

Ur­teil

In dem Rechts­streit

- Kläge­rin/Be­ru­fungskläge­rin -

Proz.-Bev.:

ge­gen

- Be­klag­te/Be­ru­fungs­be­klag­te -

Proz.-Bev.:

hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt Ba­den-Würt­tem­berg - Kam­mern
Frei­burg - 9. Kam­mer -
durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Lan­des­ar­beits­ge­richt Till-
manns,
den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Schaaf
und den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Schil­ler
auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom13.09.2010

für Recht er­kannt:

1. Die Be­ru­fung der Kläge­rin ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Frei­burg vom 23.02.2010 - 4 Ca 566/09 -wird auf ih­re Kos­ten zurück­ge­wie­sen.

2. Die Re­vi­si­on wird zu­ge­las­sen.

 

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Ur­teil vom 16.09.2010 - 9 Sa 33/10 -

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten um die Wirk­sam­keit ei­ner or­dent­li­chen be­triebs­be­ding­ten Ar­beit­ge­berkündi­gung. Strei­tig ist zu­letzt nur die Fra­ge, ob die un­strei­tig er­for­der­li­che Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge der Be­klag­ten den An­for­de­run­gen der §§ 17 ff KSchG genügt und wie sich even­tu­el­le Mängel auf die Kündi­gung aus­wir­ken.

Die heu­te 29 Jah­re al­te Kläge­rin, war seit 01.06.2007 bei der Be­klag­ten als Ge­sund­heits-und Kran­ken­pfle­ge­rin in Teil­zeit ge­gen ei­ne durch­schnitt­li­che Brut­to­mo­nats­vergütung von 1433,- € beschäftigt. Am 27.08.2009 be­schloss die Ge­sell­schaf­ter­ver­samm­lung der Be­klag­ten die so­for­ti­ge Sch­ließung der von ihr be­trie­be­nen on­ko­lo­gi­schen Fach­kli­nik, in der es kei­nen Be­triebs­rat gab. Be­reits am Fol­ge­tag zeig­te die Be­klag­te ge­genüber der Agen­tur für Ar­beit die Ent­las­sung ih­rer Be­leg­schaft an. In dem von ihr ver­wen­de­ten For­mu­lar gab sie an, bei ihr sei­en in der Re­gel 67 und zum Zeit­punkt der An­zei­ge 66 Ar­beit­neh­mer beschäftigt. Es sei be­ab­sich­tigt, am 31.08.2009 66 Ar­beit­neh­mer zu ent­las­sen.

Mit Schrei­ben vom 31.08.2009, der Kläge­rin am 02.02.2009 zu­ge­gan­gen kündig­te die Be-klag­te so­dann das Ar­beits­verhält­nis zum 30.11.2009 und sprach zu­gleich und bis zum 29.09.2009 wei­te­re ins­ge­samt 57 Kündi­gun­gen aus. Die zunächst nicht gekündig­ten Mitar-bei­ter be­fan­den sich in Mut­ter­schutz oder El­tern­zeit und konn­ten in­fol­ge Son­derkündi­gungs­schut­zes nicht so­fort gekündigt wer­den.

Un­ter dem 31.08.2009 bestätig­te die Agen­tur für Ar­beit den Ein­gang der Mas­sen­ent­las-sungs­an­zei­ge und for­der­te die Be­klag­te auf, ei­ne Lis­te der zur Ent­las­sung vor­ge­se­he­nen Mit­ar­bei­ter vor­zu­le­gen. Nach Ein­gang die­ser Lis­te stell­te der zuständi­ge Sach­be­ar­bei­ter der Agen­tur fest, dass nur 58 Mit­ar­bei­ter auf­geführt wa­ren und kor­ri­gier­te auf te­le­fo­ni­sche Nach­fra­ge bei der Be­klag­ten am 10.09.2009 das For­mu­lar der Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge da­hin­ge­hend, dass er die Zahl der re­gelmäßig Beschäftig­ten, der zum Zeit­punkt der Kündi­gung Beschäftig­ten und der ins­ge­samt und am 31.08.2009 zu Kündi­gen­den je­weils hand­schrift­lich in 58 abänder­te. Mit Be­scheid vom 17.09.2009 setz­te die Agen­tur für Ar­beit so­dann den Ab­lauf der Ent­las­sungs­sper­re nach § 18 KSchG für 58 Ar­beit­neh­mer auf den 28.09.2009 fest.

Die Kläge­rin hat die Kündi­gung we­gen feh­ler­haf­ter Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge für un­wirk­sam ge­hal­ten und be­an­tragt,

 

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Ur­teil vom 16.09.2010 - 9 Sa 33/10 -

Es wird fest­ge­stellt, dass das Ar­beits­verhält­nis zwi­schen den Par­tei­en nicht durch or­den-tli­che Kündi­gung der Be­klag­ten vom 31.08.2009 nicht auf­gelöst wird, son­dern über den 30.11.2009 hin­aus un­gekündigt fort­be­steht.

Die Be­klag­te hat Klag­ab­wei­sung be­an­tragt und die Auf­fas­sung ver­tre­ten, die ursprüng­lich un­rich­ti­gen Zah­len­an­ga­ben mach­ten we­der die Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge feh­ler­haft, noch gar die Kündi­gung rechts­un­wirk­sam.

Bezüglich wei­te­rer Ein­zel­hei­ten des Par­tei­en­vor­brin­gens ers­ter In­stanz wird auf die dort ge­wech­sel­ten Schriftsätze nebst An­la­gen so­wie auf den Tat­be­stand des an­ge­grif­fe­nen Ur­teils ver­wie­sen.

Das Ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge ab­ge­wie­sen, so­weit mit ihr der Fort­be­stand des Ar­beits­verhält­nis­ses über den 31.12.2009 hin­aus gel­tend ge­macht wor­den ist. Es hat aus­geführt, die Be­klag­te ha­be die er­for­der­li­che Mas­sen­ent­las­sung vor Aus­spruch der Kündi­gung ord­nungs­gemäß an­ge­zeigt. We­sent­lich sei, dass al­le Kündi­gun­gen, die die Be­klag­te am 31.08.2009 bzw. in den Fol­ge­ta­gen aus­ge­spro­chen ha­be, von der Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge er­fasst ge­we­sen sei­en. Die fal­sche An­ga­be ha­be die Ar­beits­ver­wal­tung nicht dar­an ge­hin­dert, durch recht­zei­ti­ge und ge­ziel­te Maßnah­men das Ent­ste­hen größerer Ar­beits­lo­sig­keit zu ver­mei­den oder zu verzögern, der ar­beits­markt­po­li­ti­sche Zweck der Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge sei da­mit erfüllt ge­we­sen. Da der Sach­be­ar­bei­ter der Ar­beits­ver­wal­tung die hand­schrift­li­chen Kor­rek­tu­ren selbst vor­ge­nom­men und die ursprüng­li­che An­zei­ge un­ter Berück­sich­ti­gung der Kor­rek­tu­ren be­ar­bei­tet ha­be, ha­be er in­zi­dent fest­ge­stellt, dass ei­ne wirk­sa­me Mas­sen­ent-las­sungs­an­zei­ge vor­lag. An die­se Ent­schei­dung sei­en die Ge­rich­te für Ar­beits­sa­chen ge-bun­den.

Die Kläge­rin hat ge­gen das ihr am 12.04.2010 zu­ge­stell­te Ur­teil des Ar­beits­ge­richts am 07.05.2010 Be­ru­fung ein­ge­legt und sie in­ner­halb der auf frist­ge­rech­ten An­trag hin verlänger­ten Be­ru­fungs­be­gründungs­frist am 12.07.2010 be­gründet.

Zur Be­gründung der Be­ru­fung trägt die Kläge­rin vor, das Ar­beits­ge­richt ha­be mit der ge­ge­be­nen Be­gründung die Kla­ge nicht ab­wei­sen dürfen. Die Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge der Be­klag­ten genüge nicht den ge­setz­li­chen An­for­de­run­gen, so dass auch dies da­zu führe, dass die von der Be­klag­ten aus­ge­spro­che­ne Kündi­gung un­wirk­sam sei we­gen Ver­s­toßes ge­gen § 17 KSchG. Zweck der Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge sei es, der Ar­beits­ver­wal­tung

 

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Ur­teil vom 16.09.2010 - 9 Sa 33/10 -

ei­ne Min­dest­frist von 30 Ta­gen zu gewähren, in der sie nach Lösun­gen für die von der Mas­sen­ent­las­sung be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer su­chen könne. Da­bei hand­le es sich um ei­nen Min­dest­zeit­raum. Es kom­me da­bei ge­ra­de auf die frühzei­ti­ge Ent­schei­dung der Agen­tur für Ar­beit vor der Ent­las­sung der Mit­ar­bei­ter an. Zwar ha­be sich vor­lie­gend der Sach­be­ar­bei­ter nicht da­von ab­hal­ten las­sen, die Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge sach­lich zu prüfen, er ha­be je­doch mehr als zehn Ta­ge nach Er­stat­tung der An­zei­ge te­le­fo­nisch bei der Be­klag­ten nach­fra­gen und Kor­rek­tu­ren an der Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge vor­neh­men müssen, so dass der Ar­beits­ver­wal­tung nicht die vom Eu­ropäischen Ge­richts­hof ge­for­der­te Min­dest­frist von 30 Ta­gen für die Su­che nach Lösun­gen bis zum Ab­lauf der Sperr­frist ver­blie­ben sei­en, son­dern le­dig­lich noch 18 Ta­ge. Würde es genügen, dass der Ar­beit­ge­ber bei ge­plan­ten Ent­las­sun­gen nur un­gefähre An­ga­ben mach­te, so würde we­der die Richt­li­nie noch der die­se um­set­zen­de § 17 KSchG aus­drück­lich ver­lan­gen, dass die Zahl und die Be­rufs­grup­pen der zu ent­las­sen­den und in der Re­gel beschäftig­ten Ar­beit­neh­mer in der An­zei­ge an­zu­ge­ben sei­en. Da­her könne sich die Be­klag­te auch nicht dar­auf be­ru­fen, die Agen­tur ha­be be­reits aus­rei­chen­de Maßnah­men tref­fen können, da ihr ja zu vie­le in der Re­gel beschäftig­te und zu ent­las­sen­de Ar­beit­neh­mer ge­mel­det wor­den sei­en. Für ein be­triebs­rats­lo­ses Un­ter­neh­men wie das der Be­klag­ten hätten vom Grund­satz her die­sel­ben An­for­de­run­gen zu gel­ten, wie für ein Un­ter­neh­men mit ei­nem Be­triebs­rat, bei dem recht­zei­tig vor Aus­spruch der Kündi­gun­gen und vor Er­stat­tung der Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge das Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­ren ab­ge­schlos­sen sein müsse.
Zu­dem ha­be die Be­klag­te Ar­beit­neh­mer zu Rest­ar­bei­ten her­an­ge­zo­gen, die über die bloße Aus­nut­zung der Kündi­gungs­fris­ten hin­aus ge­gan­gen sei. Dem ge­genüber ha­be es in der Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge an­ge­ge­ben, der Be­trieb wer­de zum 30.09.2009 ge­schlos­sen und we­gen der an­geb­li­chen gleich­zei­ti­gen Ent­las­sung al­ler Ar­beit­neh­mer kei­ne Kri­te­ri­en für die Aus­wahl der Ar­beit­neh­mer an­ge­ge­ben, während sie noch bis Mit­te De­zem­ber 2009 Ab­wick­lungs­ar­bei­ten er­le­digt ha­be, wofür die Ar­beits­leis­tung meh­re­rer Mit­ar­bei­ter er­for­der­lich ge­we­sen sei. Auch blei­be of­fen, wie­so nach Dar­stel­lung der Be­klag­ten nun­mehr nur noch 58 Ar­beit­neh­mer tatsächlich beschäftigt ge­we­sen sei­en und 58 Ar­beit­neh­mer un­ter dem 31.08.2009 ent­las­sen wor­den sei­en, den­noch je­doch 5 Mit­ar­bei­ter zu Rest­ar­bei­tern her­an­ge­zo­gen wer­den konn­ten. An­zei­ge­pflich­tig sei­en auch im­mer die Be­rufs­grup­pen der in der Re­gel beschäftig­ten und der zu ent­las­sen­den Ar­beit­neh­mer. Dies­bezüglich ha­be die Be­klag­te ge­genüber der Agen­tur für Ar­beit je­doch kei­ne Kor­rek­tu­ren vor­ge­nom­men. Auf­grund der un­sorgfälti­gen Ar­beit der Be­klag­ten bei der An­zei­ge­er­stat­tung sei für die Agen­tur we­der die tatsächli­che An­zahl der von der Be­klag­ten frei­zu­set­zen­den Ar­beit­neh­mer er­kenn­bar ge­we­sen, eben­so we­nig wie der Um­stand, ob ei­ne So­zi­al­aus­wahl statt­zu­fin­den ha­be oder nicht.

 

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Ur­teil vom 16.09.2010 - 9 Sa 33/10 -

Auf­grund die­ser Un­ge­nau­ig­kei­ten sei mehr als zwei­fel­haft, ob die Ar­beits­ver­wal­tung in der La­ge ge­we­sen sei, ih­ren Ver­pflich­tun­gen zur Er­grei­fung recht­zei­tig und ge­ziel­ter Maßnah­men zur Ver­hin­de­rung größerer Ar­beits­lo­sig­keit nach­zu­kom­men.
Ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Ar­beits­ge­richts sei­en die Ge­rich­te auch nicht durch die Be-stands­kraft des Ver­wal­tungs­ak­tes dar­an ge­hin­dert, die Wirk­sam­keit der Mas­sen­ent­las-sungs­an­zei­ge zu über­prüfen. Im Hin­blick auf die geänder­te Recht­spre­chung des Eu­ropäi-schen Ge­richts­hofs und des Bun­des­ar­beits­ge­richts müsse die An­zei­ge nun­mehr vor Aus-spruch der Kündi­gung vollständig und kor­rekt er­fol­gen. Dies er­ge­be sich auch aus Nr. 2 der Erwägungs­gründe der Richt­li­nie 98/59/EG, wo­nach ne­ben der ar­beits­markt­po­li­ti­schen Ziel­set­zung auch die Verstärkung des Schut­zes von Ar­beit­neh­mern bei Mas­sen­ent­las­sun­gen Sinn und Zweck die­ser Richt­li­nie sei.
Ergänzend führt die Kläge­rin aus, dass die Be­klag­te nicht plau­si­bel erklären könne, wie­so sie auf das Er­geb­nis ge­kom­men sei, dass le­dig­lich 58 Mit­ar­bei­ter zunächst zu ent­las­sen sei­en. Ge­he man mit der Be­klag­ten da­von aus, dass Grund der zunächst überhöhten An­ga­be der zu ent­las­se­nen Mit­ar­bei­ter ein Fehlzähler ge­we­sen ist, weil man die Ar­beit­neh­mer in El­tern­zeit und Mut­ter­schutz mit­ge­rech­net ha­be, so blei­be die Be­klag­te je­doch ei­ne Erklärung schul­dig, wie­so später dann von den in der Re­gel beschäftig­ten 66 Ar­beit­neh­mern nur noch 5 gekündigt wor­den sei­en, was da­zu führe, dass die Zahl der Mit­ar­bei­ter, die zunächst gekündigt wor­den sein soll­ten, mit 61 oder 62 hätten an­ge­ge­ben wer­den müssen. Die Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge wer­de auch durch die Nicht­berück­sich­ti­gung der sich in El­tern­zeit oder Mut­ter­schutz be­find­li­chen Mit­ar­bei­te­rin­nen nicht rich­ti­ger. Zu den ob­li­ga­to­ri­schen An­ga­ben des § 17 Abs. 2 KSchG gehöre auch die Zahl der Be­rufs­grup­pen der in der Re­gel beschäftig­ten Mit­ar­bei­ter. Maßgeb­lich hierfür sei die Zahl der re­gelmäßig beschäfti­gen ständi­gen Ar­beit­neh­mer bei nor­ma­ler Be­triebs­ak­ti­vität. Da­nach gel­te, dass Mit­ar­bei­te­rin­nen, die sich in El­tern­zeit oder in Mut­ter­schutz befänden, grundsätz­lich als in der Re­gel beschäftig­te Ar­beit­neh­mer zu zählen sei­en, so­weit für die­se nicht Er­satz­kräfte ein­ge­stellt sei­en. Da je­doch klar ge­we­sen sei, dass der Be­trieb nicht fort­geführt wer­de, sei­en auch Er­satz­kräfte nicht ein­ge­stellt wor­den. Rich­ti­ger­wei­se hätten die An­ga­ben im Ab­schnitt der in der Re­gel beschäftig­ten Ar­beit­neh­mer da­her höher aus­fal­len müssen, als im Ab­schnitt der zu ent­las­se­nen Ar­beit-neh­mer, selbst wenn man den Vor­trag der Be­klag­ten­sei­te als rich­tig un­ter­stel­le, dass der Zähl­feh­ler le­dig­lich auf zunächst nicht be­ach­te­ten Kündi­gungs­schutz zurück­zuführen sei. Da­nach blei­be die An­zei­ge der Mas­sen­ent­las­sung auch nach den hand­schrift­li­chen Kor­rek­tu­ren des Mit­ar­bei­ters der Agen­tur für Ar­beit in F. falsch.
Wäre im übri­ge die Rechts­an­sicht des Ar­beits­ge­richts zu­tref­fend, dass die An­ga­be von zu viel zu ent­las­sen­den Ar­beit­neh­mern unschädlich sei, so würde das da­zu führen, dass zu-

 

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Ur­teil vom 16.09.2010 - 9 Sa 33/10 -

künf­tig die Ar­beit­ge­ber bei Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­gen großzügig auf­run­den würden, um die ne­ga­ti­ven Fol­gen ei­ner un­wirk­sa­men Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge zu um­ge­hen. Das führe aber be­reits da­zu, dass die Agen­tur für Ar­beit ei­nen größeren Zeit­auf­wand zu be­trei­ben hätte, als ei­gent­lich not­wen­dig wäre. Das ver­tra­ge sich nicht mit dem Zweck der Mas­sen­ent­las­sung und der in be­grenz­ten Ka­pa­zitäten der Agen­tur für Ar­beit.

Die Kläge­rin be­an­tragt da­her: Das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Frei­burg vom 23.02.2010 - 4 Ca 566/09 - wird ab­geändert. Es wird fest­ge­stellt, dass das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en nicht durch die Kündi­gung der Be­klag­ten vom 31.08.2009 auf­gelöst wor­den ist, son­dern über den 31.12.2009 hin­aus un-gekündigt fort­be­steht.

Die Be­klag­te be­an­tragt,
die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen.

Sie führt zur Be­gründung aus, ent­ge­gen der nicht be­leg­ba­ren Be­haup­tung der Kläge­rin sei­en die Zähl­feh­ler nicht ”willkürlich" ge­we­sen und die Be­klag­te ha­be sie auch zu kei­ner Zeit da­mit be­gründet, dass Mit­ar­bei­ter noch Rest­ar­bei­ten zu er­le­di­gen ge­habt hätten. Aus S. 8 f. der Kla­ge­er­wi­de­rung vom 16.11.2009 er­ge­be sich ge­ra­de, dass die Be­klag­te dar­auf hin­ge­wie­sen ha­be, dass die Ab­wick­lungs­ar­bei­ten nur von we­ni­gen eben­falls schon gekündig­ten Per­so­nen (fünf) durch­geführt würden und in­ner­halb der Kündi­gungs­frist zum 31.12.2009 be­en­det sei­en. Es han­de­le sich ge­ra­de nicht um ei­ne suk­zes­si­ve Be­triebs­sch­ließung.
Sie ver­weist fer­ner auf die Ent­schei­dung des Bun­des­ar­beits­ge­richts vom 22.03.2001, wo­nach fal­sche An­ga­ben des Ar­beit­ge­bers in ei­ner Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge über die An­zahl der in der Re­gel beschäftig­ten bzw. der zu ent­las­sen­den Ar­beit­neh­mer re­gelmäßig fol­gen­los blei­be, wenn die Ar­beits­ver­wal­tung da­durch bei der sach­li­chen Prüfung nicht be­ein­flusst wor­den sei. Ins­be­son­de­re ha­be ihr die vol­le Frist von 30 Ta­gen zur Verfügung ge­stan­den, um für al­le von der Kündi­gung be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer ei­ne Lösung zu fin­den. Die Vor­schrif­ten der §§ 17 f. KSchG ver­folg­ten nämlich ei­nen ar­beits­markt­po­li­ti­schen Zweck, Sinn und Zweck der An­zei­ge sei es primär, die Agen­tur für Ar­beit bes­ser auf Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­gen re­agie­ren las­sen zu können. Die Verstärkung des Schut­zes der Ar­beit­neh­mer bei
Mas­sen­ent­las­sun­gen be­ste­he ge­ra­de dar­in, dass die Ar­beits­agen­tur durch die Mas­sen­ent-las­sungs­an­zei­ge auf ei­ne Be­wer­ber­flut vor­be­rei­tet wer­de und ent­spre­chen­de Maßnah­men
er­grei­fen könne. Ge­nau da­durch wer­de der persönli­che Schutz der von ei­ner Mas­sen­ent­las­sung be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mers gewähr­leis­tet. Darüber hin­aus sei­en die Ar­beits­ge­rich­te

 

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Ur­teil vom 16.09.2010 - 9 Sa 33/10 -

auch an be­stands­kräfti­ge Ver­wal­tungs­ak­te der Ar­beits­agen­tur ge­bun­den. so dass ab der Zu­stim­mung der Agen­tur zu den Ent­las­sun­gen von ei­ner rechtmäßigen An­zei­ge aus­zu­ge­hen sei.
Bezüglich wei­te­rer Ein­zel­hei­ten des Par­tei­en­vor­brin­gens in der Be­ru­fung wird auf de­ren Be­gründung so­wie auf die Er­wi­de­rung ver­wie­sen.

 

 

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Ur­teil vom 16.09.2010 - 9 Sa 33/10 -

Ent­schei­dungs­gründe:

Die form- und frist­ge­recht ein­ge­reich­te und aus­geführ­te und so­mit zulässi­ge Be­ru­fung derKläge­rin ist un­be­gründet. Das Ar­beits­ge­richt hat im Er­geb­nis und mit zu­tref­fen­der Be­gründung zu Recht ent­schie­den, dass das Ar­beits­verhält­nis zwi­schen den Par­tei­en durch die Kündi­gung der Be­klag­ten vom 31.08.2009 mit Frist­ab­lauf am 31.12.2009 ge­en­det hat, was auch nicht an dem ein­zi­gen Streit­punkt zwi­schen den Par­tei­en schei­ter­te, nämlich der Fra­ge, ob die Be­klag­te vor Aus­spruch der Kündi­gung ei­ne ord­nungs­gemäße Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge bei der Agen­tur für Ar­beit er­stat­tet hat. Auf die Ausführun­gen des Ar­beits­ge­richts hier­zu in den Ent­schei­dungs­gründen des an­ge­grif­fe­nen Ur­teils wird voll­umfäng­lich ver­wie­sen. Da Vor­brin­gen in der Be­ru­fung führt zu kei­nem an­de­ren Er­geb­nis.

1. Die Par­tei­en und auch das Ar­beits­ge­richt gin­gen erst­in­stanz­lich of­fen­sicht­lich da­von aus, dass die Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge der Be­klag­ten in­so­weit feh­ler­haft war, als die An­ga­ben hin­sicht­lich der An­zahl der re­gelmäßig im Be­trieb Beschäftig­ten, der An­zahl der zum Zeit­punkt der Kündi­gung beschäftig­ten und der An­zahl der zu ent­las­sen­den Ar-beit­neh­mer nicht den tatsächli­chen Ge­ge­ben­hei­ten und der tatsächli­chen Ab­sicht der Be­klag­ten ent­spra­chen und erst am 10.09.2009 nach te­le­fo­ni­scher Rück­fra­ge vom Sach­be­ar­bei­ter der Agen­tur für Ar­beit be­rich­tigt wor­den sind. Selbst wenn man mit der Kläge­rin da­von aus­geht, dass die Zahl der re­gelmäßig be-schäftig­ten Ar­beit­neh­mer wie auch die Zahl der zum Zeit­punkt der Kündi­gung beschäf-tig­ten Ar­beit­neh­mer und die Zahl der zu ent­las­sen­den Ar­beit­neh­mer ob­jek­tiv be­trach­tet un­zu­tref­fend wa­ren, führen die un­zu­tref­fen­den An­ga­ben nicht zu ei­ner Un­wirk­sam­keit der Kündi­gung. Das be­gründet sich im Hin­blick auf den Zweck der Mas­sen­ent­las­sungs-an­zei­ge nach § 17 KSchG da­mit, dass die mögli­chen, von der Kläge­rin be­haup­te­ten Feh­ler oh­ne Aus­wir­kung auf die Ent­schei­dung der Agen­tur für Ar­beit wa­ren und da­her den mit § 17 KSchG be­zweck­ten Schutz der Ar­beit­neh­mer nicht be­ein­träch­ti­gen konn­ten. Die fal­sche An­ga­be der im Be­trieb re­gelmäßig beschäftig­ten Ar­beit­neh­mer führt nicht zur Un­wirk­sam­keit der An­zei­ge, wenn die Agen­tur für Ar­beit da­durch bei ei­ner sach­li­chen Prüfung nicht be­ein­flusst wur­de (BAG, 21.03.2001, 8 AZR 565/00, AP Nr. 59 zu Art. 101 GG; Lem­ke-Ober­win­ter, § 17 KSchG, Rz. 125; KR-Wei­gand, § 17 KSchG, Rz. 83).

 

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Ur­teil vom 16.09.2010 - 9 Sa 33/10 -

Nur dann, wenn we­gen zu ho­her An­ga­be der re­gelmäßig Beschäftig­ten im Verhält­nis zur Zahl der zu Kündi­gen­den oder we­gen ei­ner zu ge­rin­gen Zahl zu kündi­gen­der Mit­ar­bei­ter im Verhält­nis zur Ge­samt­zahl der Mit­ar­bei­ter kei­ne Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge er­for­der­lich ge­we­sen wäre und die Agen­tur für Ar­beit sich des­halb ver­an­lasst ge­se­hen hätte, ein Ne­ga­ti­vat­test zu er­tei­len, wäre ei­ne Be­ein­flus­sung der Ar­beit der Agen­tur in Be­tracht ge­kom­men. Ob nun aber ei­ne Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge nach den §§ 17 ff. KSchG er­for­der­lich ist, hängt vom Verhält­nis der zu ent­las­sen­den Mit­ar­bei­ter zu den re­gelmäßig beschäftig­ten Mit­ar­bei­tern ab. So­weit nicht we­ni­ger als 20 Mit­ar­bei­ter im Be­trieb re­gelmäßig beschäftigt sind, kann ei­ne überhöhte An­ga­be der re­gelmäßig Beschäftig­ten nur Aus­wir­kun­gen auf die Ar­beit der Agen­tur für Ar­beit ha­ben, wenn im Verhält­nis zur Zahl der zu ent­las­sen­den Mit­ar­bei­ter der ge­setz­lich vor­ge­se­he­ne Pro­zent­satz un­ter­schrit­ten ist, der ei­ne Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge er­for­der­lich macht. Auch wenn, wie die Kläge­rin in den Raum stellt, die Zahl der re­gelmäßig beschäftig­ten Ar­beit­neh­mer falsch ge­we­sen wäre, weil die in Mut­ter­schutz oder El­tern­zeit be­find­li­chen Ar­beit­neh­mer mit­zuzählen ge­we­sen wären, weil kei­ne Ver­tre­tungs­kräfte ein­ge­stellt wor­den sind, führt das zu kei­nem Er­folg. Sind kei­ne Ver­tre­tungs­kräfte ein­ge­stellt wor­den, wäre die rich­ti­ge Beschäftig­ten­zahl 67 ge­we­sen — wie von der Be­klag­ten ursprüng­lich an­ge­ge­ben. Wenn der Sach­be­ar­bei­ter der Ar­beits­agen­tur dann der Be­klag­ten ver­deut­lich, dass die­se nicht mit­zu­rech­nen sei­nen, kann das nicht ge­gen die Be­klag­te ver­wen­det wer­den und zur Un­wirk­sam­keit der Kündi­gung führen. Im Übri­gen wären die ge­plan­ten Ent­las­sun­gen —gleichgültig ob von 67 oder 58 Beschäftig­ten aus­zu­ge­hen war, un­er­heb­lich für die Fra­ge der An­zei­ge­pflicht, denn die­se be­stand in je­dem Fall. Auch führ­ten sie nicht zu ge­rin­ge­ren Bemühun­gen der Ar­beits­agen­tur, denn die­se muss­te für 58 Ar­beit­neh­mer, die bis zum 31.8.2009 gekündigt wur­den, nach Lösun­gen und neu­en Beschäfti­gungsmöglich­kei­ten su­chen. Dem von der Kläge­rin an­ge­spro­che­nen in­di­vi­du­al­recht­li­chen Schutz­zweck des § 17 KSchG — nämlich durch das recht­zei­ti­ge Er­ar­bei­ten von Lösungs­vor­schlägen durch die Ar­beits­agen­tur Ar­beits­lo­sig­keit zu ver­mei­den, wur­de auch hier gleich­wohl Genüge ge­tan.

2. Nichts an­de­res würde aber gel­ten, hätte die Be­klag­te die An­zahl der re­gelmäßig und der zum Zeit­punkt der be­ab­sich­tig­ten Mas­sen­ent­las­sung beschäftig­ten Ar­beit­neh­mer selbst fälsch­lich mit 67 Ar­beit­neh­mern zu hoch an­ge­ge­ben. Die fal­sche An­ga­be der im Be­trieb re­gelmäßig beschäftig­ten Ar­beit­neh­mer führt wie­der­um nicht zur Un­wirk­sam­keit der An-zei­ge, wenn die Agen­tur für Ar­beit da­durch bei ei­ner sach­li­chen Prüfung nicht be­ein­flusst wur­de (BAG, 21.03.2001, 8 AZR 565/00, AP Nr. 59 zu Art. 101 GG; Lem­ke-

 

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Ober­win­ter, § 17 KSchG, Rz. 125; KR-Wei­gand, § 17 KSchG, Rz. 83). Wäre die An­ga­be der re­gelmäßig und ak­tu­ell beschäftig­ten Ar­beit­neh­mer in der Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge der Be­klag­ten zu hoch ge­we­sen, hätte auch dies im kon­kre­ten Fall kei­ner­lei Aus­wir­kun­gen auf die Ar­beit der Agen­tur für Ar­beit ha­ben können. Nur dann, wenn we­gen zu ho­her An­ga­be der re­gelmäßig Beschäftig­ten im Verhält­nis zur Zahl der zu Kündi­gen­den kei­ne Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge er­for­der­lich ge­we­sen wäre und die Agen­tur für Ar­beit sich des­halb ver­an­lasst ge­se­hen hätte, ein Ne­ga­ti­vat­test zu er­tei­len, wäre ei­ne Be­ein­flus­sung der Ar­beit der Agen­tur in Be­tracht ge­kom­men. Ob nun aber ei­ne Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge nach den §§ 17 ff. er­for­der­lich ist, hängt vom Verhält­nis der zu ent­las­sen­den Mit­ar­bei­ter zu den re­gelmäßig beschäftig­ten Mit­ar­bei­tern ab. So­weit nicht we­ni­ger als 20 Mit­ar­bei­ter im Be­trieb re­gelmäßig beschäftigt sind, kann ei­ne überhöhte An­ga­be der re­gelmäßig Beschäftig­ten nur Aus­wir­kun­gen auf die Ar­beit der Agen­tur für Ar­beit ha­ben, wenn im Verhält­nis zur Zahl der zu ent­las­sen­den Mit­ar­bei­ter der ge­setz­lich vor­ge­se­he­ne Pro­zent­satz un­ter­schrit­ten ist, der ei­ne Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge er­for­der­lich macht. Da­von könn­te vor­lie­gend auch dann nicht aus­ge­gan­gen wer­den, wenn die Zahl der re­gelmäßig Beschäftig­ten im Be­trieb der Be­klag­ten tatsächlich nicht 67, son­dern le­dig­lich 62 oder 58 be­tra­gen hätte. Die Ent­las­sung von dann an­ge­ge­be­nen 66 Ar­beit­neh­mern wäre in die­sem Fal­le un­denk­bar, weil sie 100 % über­schrei­ten würde, die Ent­las­sung von 58 Ar­beit­neh­mern ergäbe je­den­falls 100 %. In bei­den Fällen wäre da­von aus­zu­ge­hen, dass al­le Beschäftig­ten ent­las­sen wer­den soll­ten, die Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge al­so zwin­gend be­ar­bei­tet wer­den muss­te.

3. Un­strei­tig hat die Be­klag­te in der Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge aber die Zahl der zu ent-las­sen­den Mit­ar­bei­ter zu hoch an­ge­ge­ben, weil sie nicht berück­sich­tig­te, dass 8 Ar­beit-neh­me­rin­nen we­gen Mut­ter­schutz bzw. El­tern­zeit zum vor­ge­se­he­nen Zeit­punkt nicht gekündigt wer­den konn­ten. Auch die­se Feh­ler­haf­tig­keit führt nicht zur Un­wirk­sam­keit der Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge und da­mit auch nicht zur Un­wirk­sam­keit der streit­ge-genständ­li­chen Kündi­gung.

Rich­tig ist, dass die An­ga­be der Zahl der zu ent­las­sen­den Ar­beit­neh­mer zu den so­ge-nann­ten „Muss­an­ga­ben" des § 17 Abs. 3 Ziff. 4 KSchG zählt. Rich­tig ist auch, dass die herr­schen­de Mei­nung da­von aus­geht, dass in­halt­li­che Feh­ler in die­sen Punk­ten zur Rechts­un­wirk­sam­keit der Kündi­gun­gen führen (Kitt­ner/Dei­nert, § 17 KSchG, Rz. 43; von Ho­y­nin­gen-Hue­ne/Link, § 17 KSchG, Rn. 84, KR Wei­gand Rn. 83, APS/ Moll , § 17 KSchG, Rn. 100). Zwin­gend ist dies al­ler­dings nicht. Mit be­acht­li­cher Be­gründung weist

 

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bei­spiels­wei­se Lem­ke- Ober­win­ter (§ 17 KSchG Rz. 115 und 125) dar­auf hin, dass ob-jek­tiv fal­sche An­ga­ben dann un­er­heb­lich sei­en, wenn der Ar­beit­ge­ber die aus sei­ner Sicht im Zeit­punkt der Er­stat­tung der An­zei­ge zu­tref­fen­den An­ga­ben ge­macht hat, wo­von ge­ra­de im vor­lie­gen­den Fal­le aus­ge­gan­gen wer­den kann, weil die Be­klag­te in der Tat al­len Mit­ar­bei­tern kündi­gen woll­te, auch den Mit­ar­bei­tern, die sich in Kündi­gungs­schutz be­fan­den und in­so­weit le­dig­lich ei­nem recht­li­chem Irr­tum un­ter­lag, als sie nicht be­ach­te­te, dass in der Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge nach dem Form­blatt der Agen­tur für Ar­beit nicht al­le be­ab­sich­tig­ten Ent­las­sun­gen auf­zuführen wa­ren, son­dern le­dig­lich die, die mit dem 31.08.2009 in Gang ge­setzt wer­den soll­ten.

Letzt­lich muss­te die Kam­mer sich nicht endgültig ent­schei­den, ob sie der Mei­nung von Lem­ke-Ober­win­ter fol­gen woll­te, weil ih­rer Auf­fas­sung nach je­den­falls auch bei der feh-ler­haf­ten An­ga­be der Zahl der zu ent­las­sen­den Mit­ar­bei­ter die Ent­schei­dung des Bun-des­ar­beits­ge­richts vom 22.03.2001 (8 AZR 566/00, AP Nr. 59 zu Art. 101 GG) in­so­weit an­zu­wen­den ist, als Feh­ler in der Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge auch hier nur zur Un­wirk-sam­keit der An­zei­ge und da­mit in der Fol­ge zur Un­wirk­sam­keit aus­ge­spro­che­ner Kündi-gun­gen führen können, wenn die feh­ler­haf­ten An­ga­ben Aus­wir­kun­gen auf die Ar­beit der Agen­tur für Ar­beit ha­ben konn­te. Von Letz­te­rem ist auch in­so­weit nicht aus­zu­ge­hen.

Durch den zwin­gend er­for­der­li­chen in § 17 Abs. 3 Satz 4 KSchG ab­sch­ließend ge­re­gel­ten In­halt soll si­cher­ge­stellt wer­den, dass der mit der Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge er­streb­te ar­beits­markt­po­li­ti­sche Zweck er­reicht wer­den kann. Die Agen­tu­ren für Ar­beit sol­len auf die­se Wei­se in die La­ge ver­setzt wer­den, vor­aus­schau­en­de Ar­beits­ver­mitt­lung und an­de­re Maßnah­men ein­zu­lei­ten, um die Fol­gen der Mas­sen­ent­las­sung von den be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mern möglichst ab­zu­wen­den (vgl. BR-Druck­sa­che 400/77, S. 8 = RdA 1978 36; BT-Druck­sa­che 8/1041, S. 5; von Ho­y­nin­gen-Hue­ne, § 17 KSchG Rz. 84). Die An­ga­be ei­ner überhöhten Zahl der zu ent­las­sen­den Mit­ar­bei­ter kann den so be­schrie­be­nen ar­beits­markt­po­li­ti­schen Zweck nicht ver­ei­teln, schon gar nicht in ei­nem die be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer nach­tei­lig tan­gie­ren­den Sin­ne. Wenn die Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge die Agen­tur für Ar­beit in die La­ge ver­set­zen soll, Ar­beits­ver­mitt­lungs- und an­de­re Maßnah­men ein­zu­lei­ten, um die Fol­gen der Mas­sen­ent­las­sung möglichst ab­zu­wen­den, wird sie nicht durch überhöhte An­ga­ben, und schon gar nicht bei ei­ner so ge­ringfügi­gen Überhöhung wie vor­lie­gend, da­von ab­ge­hal­ten, die not­wen­di­gen Tätig­kei­ten zu ent­wi­ckeln. Aus der kon­kre­ten Re­ak­ti­on der Agen­tur für Ar­beit durch Be­scheid vom 17.09.2009 kann auch nicht das Ge­rings­te dafür ent­nom­men wer­den, dass sich die

 

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Agen­tur in ih­rer Sach­be­ar­bei­tung be­hin­dert ge­se­hen hätte, sie hat viel­mehr die Min-dest­sperr­frist verhängt, be­gin­nend mit dem Ein­gang der, wenn auch in­halt­lich teil­wei­se feh­ler­haf­ten, Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge und da­mit ge­zeigt, dass sie sich zum Zeit­punkt des Ein­gangs der An­zei­ge in der La­ge sah, die ihr auf­er­leg­te Ar­beit zu ver­rich­ten.

Auch das Ar­gu­ment der Kläge­rin, bei ei­ner der­ar­ti­gen Aus­le­gung sei es für Ar­beit­ge­ber ver­lo­ckend, die Zahl der ge­plan­ten Ent­las­sun­gen auf­zu­run­den, ist nicht ent­schei­dend. In wie weit die­se Befürch­tung prak­tisch re­le­vant ist, kann da­hin ge­stellt blei­ben, eben­so wie bei be­wuss­ten Täuschun­gen der Ar­beits­agen­tur zu ent­schei­den ist, denn bei­des liegt hier nicht vor. Dem Ein­wand ist aber vor al­lem ent­ge­gen zu hal­ten, dass an­dern­falls für die Ar­beit­ge­ber ein Kündi­gungs­zwang ent­ste­hen würde, wenn sich nach Er­stat­tung der Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge Gründe her­aus­stel­len, die ei­ne Kündi­gung un­be­gründet er­schei­nen las­sen, wie bei­spiels­wei­se nachträglich be­kannt ge­wor­de­ne Umstände ei­nes be­son­de­re Kündi­gungs­schut­zes. Die­ser „Kündi­gungs­zwang" wäre mit dem von der Klä-ge­rin re­kla­mier­ten Ar­beit­neh­mer­schutz des § 17 KSchG noch viel we­ni­ger zu ver­ein­ba­ren als die obi­ge zweck­ori­en­tier­te Aus­le­gung der Fol­gen ei­ner Unschädlich­keit ei­ner zur ho­hen An­ga­be an zu ent­las­sen­den Ar­beit­neh­mern

Auch der Ein­wand der Kläge­rin, die Be­klag­te ha­be ja fünf Ar­beit­neh­mer wei­ter­beschäftigt, ist nicht stich­hal­tig. Die Beschäfti­gung ist nach dem un­wi­der­spro­che­nen Sach­vor­trag der Be­klag­ten am 31.12.2009 be­en­det ge­we­sen, so dass ins­be­son­de­re bei länge­ren Kündi­gungs­fris­ten die­se für die Ab­wick­lungs­ar­bei­ten ge­nutzt wer­den konn­ten. So ist es aus dem Ver­fah­ren 11 Sa 35/10 des Lan­des­ar­beits­ge­richts be­kannt, dass der Lei­ter der Fi­nan­zen ei­ne deut­lich länge­re Kündi­gungs­frist ge­habt hat.

Die Be­haup­tung der Kläge­rin, die Be­klag­te ha­be von den Ar­beit­neh­mern mit Son­der-kündi­gungs­schutz le­dig­lich für fünf Anträge auf Zu­stim­mung zur Kündi­gung beim Re­gie-rungs­präsi­di­um F. ge­stellt, be­deu­tet nicht, dass die Be­klag­te ei­ne höhe­re An­zahl an Kündi­gun­gen als die zu­letzt an­ge­ge­be­nen 58 im Ab­schluss an die er­stat­te­te Mas­sen­ent-las­sungs­an­zei­ge aus­ge­spro­chen hat. Das be­haup­tet die Kläge­rin selbst nicht, son­dern zieht dar­aus le­dig­lich den Schluss, die Beschäftig­ten­zahl sei höher ge­we­sen als die von der Agen­tur für Ar­beit letzt­lich an­ge­nom­me­nen 58 Ar­beit­neh­mer. Hier­zu kann auf die Ausführun­gen un­ter 1. a. E. ver­wie­sen wer­den.

 

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4. An dem vor­ge­fun­de­nen Er­geb­nis ändert sich auch nichts, berück­sich­tigt man die Richt-li­nie 98/59/EG. Auch wenn rich­tig ist, dass die dor­ti­gen Re­ge­lun­gen den Schutz der Ar-beit­neh­mer bei Mas­sen­ent­las­sun­gen verstärken sol­len, kann dies nicht zu mehr führen, als da­zu, dass ei­ne Ent­las­sung außer­halb der An­ga­ben zur An­zahl und zu den Be­rufs­grup­pen der zu ent­las­sen­den Ar­beit­neh­mer von der Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge nicht ge­deckt ist, so dass im Hin­blick auf ei­ne sol­che Ent­las­sung kei­ne Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge vor­liegt und die sich aus ei­nem der­ar­ti­gen Ge­set­zes­ver­s­toß er­ge­ben­den Rechts­fol­gen ein­tre­ten. Hat aber die Be­klag­te wie vor­lie­gend ei­ne zu ho­he An­zahl der zu ent­las­sen­den Mit­ar­bei­ter in die Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge auf­ge­nom­men, so ist je­den­falls auch die be­ab­sich­tig­te Ent­las­sung des Klägers wie der al­ler an­de­ren 57 gekündig­ten Ar­beit­neh­mer von der Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge ge­deckt, der Schutz al­ler gekündig­ter Ar­beit­neh­mer durch die er­for­der­li­che Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge ist mit­hin gewähr­leis­tet.

5. Das Be­ru­fungs­ge­richt konn­te nach dem vor­ste­hen­den Er­geb­nis of­fen las­sen, ob es be-reits durch die Ent­schei­dung der Agen­tur für Ar­beit vom 17.09.2009 an die­se ge­bun­den war oder ob Feh­ler in der Be­schluss­fas­sung durch die Agen­tur der Ar­beit ei­ne Bin-dungs­wir­kung aus­sch­ließen konn­ten, denn even­tu­el­le Feh­ler in der Wil­lens­bil­dung der Agen­tur für Ar­beit, die nicht vom Ar­beit­ge­ber ver­an­lasst wur­den, können je­den­falls die Wirk­sam­keit aus­ge­spro­che­ner Kündi­gun­gen nicht tan­gie­ren.

6. Die Zurück­wei­sung der Be­ru­fung führ­te zur Kos­ten­fol­ge des § 97 ZPO.

7. Das Be­ru­fungs­ge­richt hält die ent­schie­de­ne Fra­ge der Aus­wir­kun­gen zu ho­her Zah­len-an­ga­ben in der Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge auf die Wirk­sam­keit aus­ge­spro­che­ner Kün-di­gun­gen für grundsätz­lich und hat des­halb die Re­vi­si­on zu­ge­las­sen.

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