HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

EuGH, Ur­teil vom 23.09.2008, C-427/06 - Bartsch

   
Schlagworte: Diskriminierung: Alter
   
Gericht: Europäischer Gerichtshof
Aktenzeichen: C-427/06
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 23.09.2008
   
Leitsätze: Das Gemeinschaftsrecht enthält kein Verbot der Diskriminierung aus Gründen des Alters, dessen Schutz die Gerichte der Mitgliedstaaten zu gewährleisten haben, wenn die möglicherweise diskriminierende Behandlung keinen gemeinschaftsrechtlichen Bezug aufweist. Ein solcher gemeinschaftsrechtlicher Bezug wird weder durch Art. 13 EG hergestellt noch - unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens - durch die Richtlinie 2000/78 vor Ablauf der dem betreffenden Mitgliedstaat für die Umsetzung dieser Richtlinie gesetzten Frist.
Vorinstanzen: Vorabentscheidungsersuchen Bundesarbeitsgericht - Deutschland
   

UR­TEIL DES GERICH­TSHOFS (Große Kam­mer)

23. Sep­tem­ber 2008(*)

„Gleich­be­hand­lung in Beschäfti­gung und Be­ruf – Art. 13 EG – Richt­li­nie 2000/78/EG – Be­trieb­li­che Al­ters­ver­sor­gungs­re­ge­lung, die den Ru­he­geld­an­spruch des über­le­ben­den Ehe­gat­ten aus­sch­ließt, wenn die­ser über fünf­zehn Jah­re jünger ist als der ver­stor­be­ne ehe­ma­li­ge Ar­beit­neh­mer – Dis­kri­mi­nie­rung aus Gründen des Al­ters – An­knüpfung an das Ge­mein­schafts­recht“

In der Rechts­sa­che C‑427/06

be­tref­fend ein Vor­ab­ent­schei­dungs­er­su­chen nach Art. 234 EG, ein­ge­reicht vom Bun­des­ar­beits­ge­richt (Deutsch­land) mit Ent­schei­dung vom 27. Ju­ni 2006, beim Ge­richts­hof ein­ge­gan­gen am 18. Ok­to­ber 2006, in dem Ver­fah­ren

Bir­git Bartsch

ge­gen

Bosch und Sie­mens Haus­geräte (BSH) Al­tersfürsor­ge GmbH

erlässt

DER GERICH­TSHOF (Große Kam­mer)

un­ter Mit­wir­kung des Präsi­den­ten V. Skou­ris, der Kam­mer­präsi­den­ten P. Jann, C. W. A. Tim­mer­m­ans, A. Ro­sas, K. Lena­erts und L. Bay Lar­sen, des Rich­ters J. N. Cun­ha Ro­d­ri­gues (Be­richt­er­stat­ter), der Rich­te­rin R. Sil­va de La­pu­er­ta, der Rich­ter K. Schie­mann, und J. Ma­k­arc­zyk, der Rich­te­rin P. Lindh so­wie der Rich­ter J.‑C. Bo­ni­chot und T. von Dan­witz,

Ge­ne­ral­anwältin: E. Sharps­ton,

Kanz­ler: C. Strömholm, Ver­wal­tungsrätin,

auf­grund des schrift­li­chen Ver­fah­rens und auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 10. Ok­to­ber 2007,

un­ter Berück­sich­ti­gung der Erklärun­gen

– der Bosch und Sie­mens Haus­geräte (BSH) Al­tersfürsor­ge GmbH, ver­tre­ten durch Rechts­an­walt J. Mas­ling,

– der deut­schen Re­gie­rung, ver­tre­ten durch M. Lum­ma und C. Schul­ze-Bahr als Be­vollmäch­tig­te,

– der nie­derländi­schen Re­gie­rung, ver­tre­ten durch C. Wis­sels als Be­vollmäch­tig­te,

– der Re­gie­rung des Ver­ei­nig­ten König­reichs, ver­tre­ten durch E. O’Neill als Be­vollmäch­tig­te im Bei­stand von A. Da­shwood, Bar­ris­ter,

– der Kom­mis­si­on der Eu­ropäischen Ge­mein­schaf­ten, ver­tre­ten durch V. Kreu­schitz und J. En­e­gren als Be­vollmäch­tig­te,

nach Anhörung der Schluss­anträge der Ge­ne­ral­anwältin in der Sit­zung vom 22. Mai 2008

fol­gen­des

Ur­teil

1 Das Vor­ab­ent­schei­dungs­er­su­chen be­trifft die Aus­le­gung von Art. 13 EG, der Richt­li­nie 2000/78/EG des Ra­tes vom 27. No­vem­ber 2000 zur Fest­le­gung ei­nes all­ge­mei­nen Rah­mens für die Ver­wirk­li­chung der Gleich­be­hand­lung in Beschäfti­gung und Be­ruf (ABl. L 303, S. 16) und all­ge­mei­ner Grundsätze des Ge­mein­schafts­rechts.
2 Die­ses Er­su­chen er­geht im Rah­men ei­nes Rechts­streits zwi­schen Frau Bartsch und der Bosch und Sie­mens Haus­geräte (BSH) Al­tersfürsor­ge GmbH (im Fol­gen­den: BSH Al­tersfürsor­ge), ei­ner be­trieb­li­chen Un­terstützungs­kas­se, we­gen de­ren Wei­ge­rung, Frau Bartsch Ru­he­geld für Hin­ter­blie­be­ne zu zah­len.

Recht­li­cher Rah­men
Ge­mein­schafts­recht
3

Art. der Richt­li­nie 2000/78 lau­tet:

„Zweck die­ser Richt­li­nie ist die Schaf­fung ei­nes all­ge­mei­nen Rah­mens zur Bekämp­fung der Dis­kri­mi­nie­rung we­gen der Re­li­gi­on oder der Welt­an­schau­ung, ei­ner Be­hin­de­rung, des Al­ters oder der se­xu­el­len Aus­rich­tung in Beschäfti­gung und Be­ruf im Hin­blick auf die Ver­wirk­li­chung des Grund­sat­zes der Gleich­be­hand­lung in den Mit­glied­staa­ten.“

4

Art. 6 die­ser Richt­li­nie be­stimmt:

„(1) Un­ge­ach­tet des Ar­ti­kels 2 Ab­satz 2 können die Mit­glied­staa­ten vor­se­hen, dass Un­gleich­be­hand­lun­gen we­gen des Al­ters kei­ne Dis­kri­mi­nie­rung dar­stel­len, so­fern sie ob­jek­tiv und an­ge­mes­sen sind und im Rah­men des na­tio­na­len Rechts durch ein le­gi­ti­mes Ziel, wor­un­ter ins­be­son­de­re rechtmäßige Zie­le aus den Be­rei­chen Beschäfti­gungs­po­li­tik, Ar­beits­markt und be­ruf­li­che Bil­dung zu ver­ste­hen sind, ge­recht­fer­tigt sind und die Mit­tel zur Er­rei­chung die­ses Ziels an­ge­mes­sen und er­for­der­lich sind.

Der­ar­ti­ge Un­gleich­be­hand­lun­gen können ins­be­son­de­re Fol­gen­des ein­sch­ließen:

a) die Fest­le­gung be­son­de­rer Be­din­gun­gen für den Zu­gang zur Beschäfti­gung und zur be­ruf­li­chen Bil­dung so­wie be­son­de­rer Beschäfti­gungs- und Ar­beits­be­din­gun­gen, ein­sch­ließlich der Be­din­gun­gen für Ent­las­sung und Ent­loh­nung, um die be­ruf­li­che Ein­glie­de­rung von Ju­gend­li­chen, älte­ren Ar­beit­neh­mern und Per­so­nen mit Fürsor­ge­pflich­ten zu fördern oder ih­ren Schutz si­cher­zu­stel­len;

b) die Fest­le­gung von Min­dest­an­for­de­run­gen an das Al­ter, die Be­rufs­er­fah­rung oder das Dienst­al­ter für den Zu­gang zur Beschäfti­gung oder für be­stimm­te mit der Beschäfti­gung ver­bun­de­ne Vor­tei­le;

c) die Fest­set­zung ei­nes Höchst­al­ters für die Ein­stel­lung auf­grund der spe­zi­fi­schen Aus­bil­dungs­an­for­de­run­gen ei­nes be­stimm­ten Ar­beits­plat­zes oder auf­grund der Not­wen­dig­keit ei­ner an­ge­mes­se­nen Beschäfti­gungs­zeit vor dem Ein­tritt in den Ru­he­stand.

(2) Un­ge­ach­tet des Ar­ti­kels 2 Ab­satz 2 können die Mit­glied­staa­ten vor­se­hen, dass bei den be­trieb­li­chen Sys­te­men der so­zia­len Si­cher­heit die Fest­set­zung von Al­ters­gren­zen als Vor­aus­set­zung für die Mit­glied­schaft oder den Be­zug von Al­ters­ren­te oder von Leis­tun­gen bei In­va­li­dität ein­sch­ließlich der Fest­set­zung un­ter­schied­li­cher Al­ters­gren­zen im Rah­men die­ser Sys­te­me für be­stimm­te Beschäftig­te oder Grup­pen bzw. Ka­te­go­ri­en von Beschäftig­ten und die Ver­wen­dung im Rah­men die­ser Sys­te­me von Al­ters­kri­te­ri­en für ver­si­che­rungs­ma­the­ma­ti­sche Be­rech­nun­gen kei­ne Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Al­ters dar­stellt, so­lan­ge dies nicht zu Dis­kri­mi­nie­run­gen we­gen des Ge­schlechts führt.“

5

Die Richt­li­nie muss­te nach ih­rem Art. 18 Abs. 1 bis spätes­tens 2. De­zem­ber 2003 in die Rechts­ord­nung der Mit­glied­staa­ten um­ge­setzt wer­den. Al­ler­dings sieht Art. 18 Abs. 2 vor:

„Um be­son­de­ren Be­din­gun­gen Rech­nung zu tra­gen, können die Mit­glied­staa­ten er­for­der­li­chen­falls ei­ne Zu­satz­frist von drei Jah­ren ab dem 2. De­zem­ber 2003, d. h. ins­ge­samt sechs Jah­re, in An­spruch neh­men, um die Be­stim­mun­gen die­ser Richt­li­nie über die Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Al­ters und ei­ner Be­hin­de­rung um­zu­set­zen. In die­sem Fall set­zen sie die Kom­mis­si­on un­verzüglich da­von in Kennt­nis. …“

6

Die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land hat von die­ser Möglich­keit Ge­brauch ge­macht, so dass die Um­set­zung der Be­stim­mun­gen der Richt­li­nie 2000/78 über die Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Al­ters und ei­ner Be­hin­de­rung in die­sem Mit­glied­staat spätes­tens am 2. De­zem­ber 2006 er­folgt sein muss­te.

Die Ver­sor­gungs­richt­li­ni­en der BSH Al­tersfürsor­ge

7

§ 6 Abs. 4 der Richt­li­ni­en der Bosch-Sie­mens Haus­geräte Al­tersfürsor­ge GmbH vom 1. Ja­nu­ar 1984 in ih­rer ab 1. April 1992 gel­ten­den Fas­sung (im Fol­gen­den: Ver­sor­gungs­richt­li­ni­en) sieht vor:

„Vor­aus­set­zung für das Ru­he­geld

(4) Ru­he­geld (§ 5 Abs. 1 b) wird an die Wit­we/den Wit­wer ei­nes Mit­ar­bei­ters ge­zahlt, der während sei­nes Beschäfti­gungs­verhält­nis­ses … ver­stor­ben ist und die War­te­frist (§ 2) erfüllt hat­te, wenn und so­lan­ge ein An­spruch auf Hin­ter­blie­be­nen­ren­te (Wit­wen-/Wit­wer­ren­te) aus der deut­schen ge­setz­li­chen Ren­ten­ver­si­che­rung be­steht. Ent­spre­chen­des gilt für die Wit­we/den Wit­wer ei­nes Ru­he­geld­empfängers.

Leis­tun­gen kom­men nicht in Be­tracht, wenn

a) Die Wit­we/der Wit­wer über fünf­zehn Jah­re jünger als der ehe­ma­li­ge Mit­ar­bei­ter ist,

…“

Aus­gangs­ver­fah­ren und Vor­la­ge­fra­gen

8 Aus der Vor­la­ge­ent­schei­dung geht her­vor, dass Frau Bartsch, die 1965 ge­bo­ren wur­de, seit 1986 mit dem 1944 ge­bo­re­nen und am 5. Mai 2004 ver­stor­be­nen Herrn Bartsch ver­hei­ra­tet war. Herr Bartsch war am 1. März 1988 auf der Grund­la­ge ei­nes am 23. Fe­bru­ar 1988 ge­schlos­se­nen Ar­beits­ver­trags in die Diens­te der Bosch-Sie­mens Haus­geräte GmbH (im Fol­gen­den: BSH) ge­tre­ten und war für die­se bis zu sei­nem Tod als Verkäufer tätig.
9 Die von BSH ge­gründe­te BSH Al­tersfürsor­ge hat sich ge­genüber Frau Bartsch ver­pflich­tet, in mögli­che Ver­bind­lich­kei­ten von BSH aus der be­trieb­li­chen Al­ters­ver­sor­gung des ver­stor­be­nen Herrn Bartsch ein­zu­tre­ten.
10   Aus der Vor­la­ge­ent­schei­dung geht außer­dem her­vor, dass auf das Ar­beits­verhält­nis zwi­schen Herrn Bartsch und BSH die Ver­sor­gungs­richt­li­ni­en, u. a. de­ren § 6, An­wen­dung fan­den. Der Sach­ver­halt des Aus­gangs­ver­fah­rens fällt un­ter § 6 Abs. 4 der Ver­sor­gungs­richt­li­ni­en, da Frau Bartsch über fünf­zehn Jah­re jünger ist als ihr ver­stor­be­ner Ehe­mann.
11 Nach dem Tod ih­res Ehe­man­nes be­an­trag­te Frau Bartsch bei BSH Al­tersfürsor­ge die Zah­lung ei­nes Ru­he­gelds für Hin­ter­blie­be­ne auf der Grund­la­ge der Ver­sor­gungs­richt­li­ni­en.
12 Nach­dem BSH Al­tersfürsor­ge den An­trag von Frau Bartsch ab­ge­lehnt hat­te, klag­te die­se vor dem Ar­beits­ge­richt auf Fest­stel­lung, dass BSH Al­tersfürsor­ge ver­pflich­tet ist, ihr ein Ru­he­geld nach den Ver­sor­gungs­richt­li­ni­en zu zah­len. Ge­gen die Ab­wei­sung ih­rer Kla­ge durch das Ar­beits­ge­richt leg­te sie Be­ru­fung beim Lan­des­ar­beits­ge­richt ein, das das erst­in­stanz­li­che Ur­teil bestätig­te.
13

Frau Bartsch leg­te ge­gen das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Re­vi­si­on beim Bun­des­ar­beits­ge­richt ein, das das Ver­fah­ren aus­ge­setzt und dem Ge­richts­hof fol­gen­de Fra­gen zur Vor­ab­ent­schei­dung vor­ge­legt hat:

1. a) Enthält das Primärrecht der EG ein Ver­bot der Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Al­ters, des­sen Schutz die Ge­rich­te der Mit­glied­staa­ten auch dann zu gewähr­leis­ten ha­ben, wenn die mögli­cher­wei­se dis­kri­mi­nie­ren­de Be­hand­lung kei­nen ge­mein­schafts­recht­li­chen Be­zug auf­weist?

b) Falls die Fra­ge zu 1a ver­neint wird:

Wird ein sol­cher ge­mein­schafts­recht­li­cher Be­zug her­ge­stellt durch Art. 13 EG oder – auch vor Ab­lauf der Um­set­zungs­frist – durch die Richt­li­nie 2000/78 EG?

2. Ist ein sich aus der Be­ant­wor­tung der Fra­ge zu 1 er­ge­ben­des ge­mein­schafts­recht­li­ches Ver­bot der Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Al­ters auch an­wend­bar zwi­schen pri­va­ten Ar­beit­ge­bern ei­ner­seits und ih­ren Ar­beit­neh­mern oder Be­triebs­rent­nern und de­ren Hin­ter­blie­be­nen an­de­rer­seits?

3. Falls die Fra­ge zu 2 be­jaht wird:

a) Wird von ei­nem sol­chen Ver­bot der Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Al­ters ei­ne Re­ge­lung der be­trieb­li­chen Al­ters­ver­sor­gung er­fasst, nach der ei­ne Hin­ter­blie­be­nen­ver­sor­gung ei­nem hin­ter­blie­be­nen Ehe­gat­ten nicht gewährt wird, wenn er mehr als 15 Jah­re jünger ist als der ver­stor­be­ne ehe­ma­li­ge Ar­beit­neh­mer?

b) Falls die Fra­ge zu 3a be­jaht wird:

Kann es ein Recht­fer­ti­gungs­grund für ei­ne der­ar­ti­ge Re­ge­lung sein, dass der Ar­beit­ge­ber ein In­ter­es­se an der Be­gren­zung der aus der be­trieb­li­chen Al­ters­ver­sor­gung fol­gen­den Ri­si­ken hat?

c) Falls die Fra­ge zu 3b ver­neint wird:

Kommt dem mögli­chen Ver­bot der Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Al­ters im Be­triebs­ren­ten­recht un­be­grenz­te Rück­wir­kung zu, oder ist es für die Ver­gan­gen­heit be­grenzt und falls ja, in wel­cher Wei­se?


Zu den Vor­la­ge­fra­gen
Zur ers­ten Fra­ge
14 Mit den bei­den Tei­len sei­ner ers­ten Fra­ge, die zu­sam­men zu prüfen sind, möch­te das vor­le­gen­de Ge­richt wis­sen, ob das Ge­mein­schafts­recht ein Ver­bot der Dis­kri­mi­nie­rung aus Gründen des Al­ters enthält, des­sen Schutz die Ge­rich­te der Mit­glied­staa­ten auch dann zu gewähr­leis­ten ha­ben, wenn die mögli­cher­wei­se dis­kri­mi­nie­ren­de Be­hand­lung kei­nen ge­mein­schafts­recht­li­chen Be­zug auf­weist. Falls dies zu ver­nei­nen ist, möch­te das vor­le­gen­de Ge­richt er­fah­ren, ob – un­ter Umständen wie de­nen des Aus­gangs­ver­fah­ren – ein sol­cher ge­mein­schafts­recht­li­cher Be­zug durch Art. 13 EG oder durch die Richt­li­nie 2000/78 her­ge­stellt wird, noch be­vor die dem be­tref­fen­den Mit­glied­staat für die Um­set­zung die­ser Richt­li­nie ge­setz­te Frist ab­ge­lau­fen ist.
15 Wenn ei­ne in­ner­staat­li­che Re­ge­lung in den An­wen­dungs­be­reich des Ge­mein­schafts­rechts fällt, hat der Ge­richts­hof im Vor­ab­ent­schei­dungs­ver­fah­ren – wie sich aus sei­ner Recht­spre­chung er­gibt – dem vor­le­gen­den Ge­richt al­le Aus­le­gungs­hin­wei­se zu ge­ben, die es benötigt, um die Ver­ein­bar­keit die­ser Re­ge­lung mit den all­ge­mei­nen Grundsätzen des Ge­mein­schafts­rechts be­ur­tei­len zu können (vgl. in die­sem Sin­ne u. a. Ur­teil vom 22. No­vem­ber 2005, Man­gold, C-144/04, Slg. 2005, I-9981, Rand­nr. 75).
16 We­der die Richt­li­nie 2000/78 noch Art. 13 EG ermögli­chen es je­doch, ei­ne Si­tua­ti­on wie die­je­ni­ge im Aus­gangs­ver­fah­ren an den An­wen­dungs­be­reich des Ge­mein­schafts­rechts an­zu­knüpfen.
17 Zum ei­nen han­delt es sich bei den Ver­sor­gungs­richt­li­ni­en nicht um ei­ne Maßnah­me zur Um­set­zung der Richt­li­nie 2000/78, und zum an­de­ren ist Herr Bartsch ver­stor­ben, be­vor die Frist zur Um­set­zung die­ser Richt­li­nie für den be­tref­fen­den Mit­glied­staat ab­ge­lau­fen war.
18 Art. 13 EG, der den Rat der Eu­ropäischen Uni­on ermäch­tigt, im Rah­men der durch den Ver­trag über­tra­ge­nen Zuständig­kei­ten ge­eig­ne­te Vor­keh­run­gen zu tref­fen, um Dis­kri­mi­nie­run­gen aus Gründen des Al­ters zu bekämp­fen, kann als sol­cher nicht Sach­ver­hal­te in den An­wen­dungs­be­reich des Ge­mein­schafts­rechts für die Zwe­cke des Ver­bots der Dis­kri­mi­nie­rung aus Gründen des Al­ters brin­gen, die, wie der des Aus­gangs­ver­fah­rens, nicht in den Rah­men der auf der Grund­la­ge die­ses Ar­ti­kels er­las­se­nen Maßnah­men – ins­be­son­de­re der Richt­li­nie 2000/78 vor Ab­lauf der in ihr für ih­re Um­set­zung vor­ge­se­he­nen Frist – fal­len.
19 Ent­ge­gen der von der Kom­mis­si­on ver­tre­te­nen Auf­fas­sung ver­mag das Ur­teil vom 2. Ok­to­ber 1997, Sald­an­ha und MTS (C-122/96, Slg. 1997, I-5325), ei­ne ge­gen­tei­li­ge An­sicht nicht zu stützen.
20 In dem ge­nann­ten Ur­teil ging es um Art. 6 EG-Ver­trag (nach Ände­rung jetzt Art. 12 EG), der im An­wen­dungs­be­reich des Ver­trags un­mit­tel­bar das Recht einräumt, nicht aus Gründen der Staats­an­gehörig­keit dis­kri­mi­niert zu wer­den (vgl. u. a. Ur­teil vom 20. Ok­to­ber 1993, Phil Col­lins u. a., C-92/92 und C-326/92, Slg. 1993, I-5145, Rand­nr. 34).
21 Hier­zu hat der Ge­richts­hof in Rand­nr. 22 des Ur­teils Sald­an­ha und MTS fest­ge­stellt, dass der Aus­gangs­rechts­streit den Schutz der In­ter­es­sen ei­nes Ge­sell­schaf­ters, der Staats­an­gehöri­ger ei­nes Mit­glied­staats war, ge­gen ei­ne in ei­nem an­de­ren Mit­glied­staat ansässi­ge Ge­sell­schaft be­traf. In Rand­nr. 23 die­ses Ur­teils hat der Ge­richts­hof aus­geführt, dass der Rat und die Kom­mis­si­on gemäß Art. 54 Ab­satz 3 Buch­sta­be g EG-Ver­trag (nach Ände­rung jetzt Art. 44 Abs. 2 Buchst. g EG) zur Durchführung der Nie­der­las­sungs­frei­heit, so­weit er­for­der­lich, die Schutz­be­stim­mun­gen ko­or­di­nie­ren konn­ten, die in den Mit­glied­staa­ten den Ge­sell­schaf­ten im Sin­ne des Art. 58 Abs. 2 EG-Ver­trag (nach Ände­rung jetzt Art. 48 Abs. 2 EG) im In­ter­es­se der Ge­sell­schaf­ter so­wie Drit­ter vor­ge­schrie­ben sind, um die­se Be­stim­mun­gen gleich­wer­tig zu ge­stal­ten.
22 Der Ge­richts­hof hat dar­aus in der ge­nann­ten Rand­nr. 23 ab­ge­lei­tet, dass dem Schutz der In­ter­es­sen der Ge­sell­schaf­ter die­nen­de Be­stim­mun­gen des Ge­sell­schafts­rechts in den „An­wen­dungs­be­reich [des EG-Ver­trags]“ im Sin­ne von des­sen Art. 6 Abs. 1 fal­len und für die­se Be­stim­mun­gen folg­lich das Ver­bot der Dis­kri­mi­nie­rung aus Gründen der Staats­an­gehörig­keit gilt.
23 Die An­wend­bar­keit des Ge­mein­schafts­rechts er­gab sich in der Rechts­sa­che Sald­an­ha und MTS da­her nicht al­lein aus dem Um­stand, dass es um ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung aus Gründen der Staats­an­gehörig­keit ging, son­dern be­ruh­te auf der Fest­stel­lung, dass die in Re­de ste­hen­de na­tio­na­le Re­ge­lung im An­wen­dungs­be­reich des Ge­mein­schafts­rechts an­ge­sie­delt war.
24 Der letzt­ge­nann­te Ge­sichts­punkt un­ter­schei­det die vor­lie­gen­de Rechts­sa­che außer­dem von der Rechts­sa­che Man­gold. Denn in der letzt­ge­nann­ten Rechts­sa­che han­del­te es sich bei der in Re­de ste­hen­den na­tio­na­len Re­ge­lung um ei­ne Maßnah­me zur Um­set­zung ei­ner Ge­mein­schafts­richt­li­nie, nämlich der Richt­li­nie 1999/70/EG des Ra­tes vom 28. Ju­ni 1999 zu der EGB-UN­ICE-CEEP-Rah­men­ver­ein­ba­rung über be­fris­te­te Ar­beits­verträge (ABl. L 175, S. 43), wo­durch die be­tref­fen­de Re­ge­lung in den An­wen­dungs­be­reich des Ge­mein­schafts­rechts fiel (vgl. Ur­teil Man­gold, Rand­nr. 75). Da­ge­gen sind die im Aus­gangs­ver­fah­ren in Re­de ste­hen­den Ver­sor­gungs­richt­li­ni­en kei­ne Maßnah­men zur Um­set­zung von Ge­mein­schafts­be­stim­mun­gen.
25 In An­be­tracht der vor­ste­hen­den Erwägun­gen ist auf die ers­te Fra­ge zu ant­wor­ten, dass das Ge­mein­schafts­recht kein Ver­bot der Dis­kri­mi­nie­rung aus Gründen des Al­ters enthält, des­sen Schutz die Ge­rich­te der Mit­glied­staa­ten zu gewähr­leis­ten ha­ben, wenn die mögli­cher­wei­se dis­kri­mi­nie­ren­de Be­hand­lung kei­nen ge­mein­schafts­recht­li­chen Be­zug auf­weist. Ein sol­cher ge­mein­schafts­recht­li­cher Be­zug wird we­der durch Art. 13 EG her­ge­stellt noch – un­ter Umständen wie de­nen des Aus­gangs­ver­fah­rens – durch die Richt­li­nie 2000/78 vor Ab­lauf der dem be­tref­fen­den Mit­glied­staat für die Um­set­zung die­ser Richt­li­nie ge­setz­ten Frist.
Zur zwei­ten und zur drit­ten Fra­ge
26 In An­be­tracht der Ant­wort auf die ers­te Fra­ge sind die zwei­te und die drit­te Fra­ge nicht zu be­ant­wor­ten.

Kos­ten
27 Für die Par­tei­en des Aus­gangs­ver­fah­rens ist das Ver­fah­ren ein Zwi­schen­streit in dem bei dem vor­le­gen­den Ge­richt anhängi­gen Rechts­streit; die Kos­ten­ent­schei­dung ist da­her Sa­che die­ses Ge­richts. Die Aus­la­gen an­de­rer Be­tei­lig­ter für die Ab­ga­be von Erklärun­gen vor dem Ge­richts­hof sind nicht er­stat­tungsfähig.
  Aus die­sen Gründen hat der Ge­richts­hof (Große Kam­mer) für Recht er­kannt:
  Das Ge­mein­schafts­recht enthält kein Ver­bot der Dis­kri­mi­nie­rung aus Gründen des Al­ters, des­sen Schutz die Ge­rich­te der Mit­glied­staa­ten zu gewähr­leis­ten ha­ben, wenn die mögli­cher­wei­se dis­kri­mi­nie­ren­de Be­hand­lung kei­nen ge­mein­schafts­recht­li­chen Be­zug auf­weist. Ein sol­cher ge­mein­schafts­recht­li­cher Be­zug wird we­der durch Art. 13 EG her­ge­stellt noch – un­ter Umständen wie de­nen des Aus­gangs­ver­fah­rens – durch die Richt­li­nie 2000/78 vor Ab­lauf der dem be­tref­fen­den Mit­glied­staat für die Um­set­zung die­ser Richt­li­nie ge­setz­ten Frist.

* Ver­fah­rens­spra­che: Deutsch.

Quel­le: Ge­richts­hof der Eu­ropäischen Uni­on (EuGH), http://cu­ria.eu­ro­pa.eu

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Nina Wesemann
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