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BAG, Ur­teil vom 25.06.2009, 8 AZR 236/08

   
Schlagworte: Ausschlussfrist, Haftung, Arzthaftung
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 8 AZR 236/08
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 25.06.2009
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Bremen-Bremerhaven, 18. Januar 2006, Az: 9 Ca 9660/04, Urteil Landesarbeitsgericht Bremen 2. Kammer, 7. November 2007, Az: 2 Sa 29/06, Urteil
   


 

BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT


8 AZR 236/08
2 Sa 29/06
Lan­des­ar­beits­ge­richt

Bre­men

 

Im Na­men des Vol­kes!


Verkündet am

25. Ju­ni 2009

UR­TEIL

Di­ede­rich, Ur­kunds­be­am­tin

der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Be­klag­te, Be­ru­fungs­be­klag­te und Re­vi­si­onskläge­rin,

pp.

Kläger, Be­ru­fungskläger und Re­vi­si­ons­be­klag­ter,

hat der Ach­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 25. Ju­ni 2009 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Hauck, die Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Böck und Brein­lin­ger so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Burr und Ave­na­ri­us für Recht er­kannt:
 


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Auf die Re­vi­si­on der Be­klag­ten wird das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Bre­men vom 7. No­vem­ber 2007 - 2 Sa 29/06 - auf­ge­ho­ben und die Be­ru­fung des Klägers ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Bre­men-Bre­mer­ha­ven vom 18. Ja­nu­ar 2006 - 9 Ca 9660/04 - zurück­ge­wie­sen.


Der Kläger hat die Kos­ten des Rechts­streits zu tra­gen.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Der Kläger ver­langt von der Be­klag­ten die Frei­stel­lung von al­len Scha­dens­er­satz­ansprüchen we­gen ei­nes Be­hand­lungs­feh­lers.

Der Kläger ist seit dem 1. Fe­bru­ar 1993 als Lei­ten­der Arzt der Frau­en­kli­nik im Zen­tral­kran­ken­haus „L“ bei der Be­klag­ten und ih­rer Rechts­vorgänge­rin an­ge­stellt. In dem zu­grun­de­lie­gen­den Dienst­ver­trag vom 18. De­zem­ber 1992 wur­de ua. ver­ein­bart:

㤠1
Dienst­verhält­nis


...


(3) Das Dienst­verhält­nis ist bürger­lich-recht­li­cher Na­tur. Ne­ben den Re­ge­lun­gen die­ses Ver­tra­ges fin­den auf das Dienst­verhält­nis fol­gen­de Vor­schrif­ten des Bun­des­an­ge­stell­ten­ta­rif­ver­tra­ges (BAT) vom 23.02.1961 in der je­weils für die Ta­rif­an­ge­stell­ten der Frei­en Han­se­stadt Bre­men gülti­gen Fas­sung An­wen­dung:


...

§ 14 - Haf­tung


...

§ 70 - Aus­schlußfris­ten.

...
 


§ 3
Dienst­auf­ga­ben im Be­reich der Kran­ken­haus­be­hand­lung

(1) Dem Arzt ob­liegt die Führung und fach­li­che Lei­tung sei­ner Ein­rich­tung. Er hat nach Maßga­be der vom Träger be­stimm­ten Auf­ga­ben­stel­lung und Ziel­set­zung des Kran­ken­hau­ses und der Ein­rich­tung fol­gen­de Auf­ga­ben:

1. die Be­hand­lung al­ler Kran­ken der Ein­rich­tung im Rah­men der all­ge­mei­nen Kran­ken­haus­leis­tun­gen ein­sch­ließlich vor­sta­ti­onärer Dia­gnos­tik, nach­sta­ti­onärer The­ra­pie, teil¬sta­ti­onärer Leis­tun­gen, am­bu­lan­tes Ope­rie­ren und Am­bu­lanz des Kran­ken­hau­ses;

...


(3) Dem Arzt ob­liegt wei­ter,

1. die not­wen­di­gen Vi­si­ten bei al­len Kran­ken der Ein­rich­tung persönlich durch­zuführen;

...

§ 15
Ver­si­che­rungs­schutz

(1) Ge­gen Haft­pflicht­ansprüche ist der Lei­ten­de Arzt im Rah­men sei­nes Auf­ga­ben­ge­bie­tes und für sei­ne Per­son durch den Kran­ken­haus­träger beim ’Kom­mu­na­len Haft­pflicht-Scha­dens­aus­gleich deut­scher Großstädte’ in Bo­chum ver­si­chert. Der De­ckungs­schutz wird je­doch nur gewährt, so­weit die Tätig­keit zu sei­nen Dienst­auf­ga­ben gehört.

(2) Ge­gen Haft­pflicht­ansprüche von Pa­ti­en­ten, de­nen ge­genüber der Arzt ein ei­ge­nes Li­qui­da­ti­ons­recht hat, hat er sich selbst in aus­rei­chen­dem Maße ein­sch­ließlich sei­ner Ver­tre­tung zu ver­si­chern. Er hat hierüber Nach­wei­se zu führen.

...

§ 17
Tätig­keit außer­halb der Dienst­auf­ga­ben

...


(2) Dem Arzt wird im Rah­men ei­ner von ihm zu be­an­tra­gen­den Ne­bentätig­keits­er­laub­nis ermöglicht,
 


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a) in das Kran­ken­haus sta­ti­onär auf­ge­nom­me­ne Pa­ti­en­ten persönlich zu be­ra­ten, zu un­ter­su­chen und zu be­han­deln, so­fern die Pa­ti­en­ten die­ses schrift­lich gewünscht ha­ben; die­ses gilt auch für vor­sta­ti­onäre Dia­gnos­tik, nach­sta­ti­onäre The­ra­pie, am­bu­lan­tes Ope­rie­ren und teil­sta­ti­onäre Leis­tun­gen;


...


Das Nähe­re über die Durchführung der Ne­bentätig­keit, ins­be­son­de­re die Re­ge­lung von Kos­ten­er­stat­tun­gen und der Vor­teils­aus­gleich, wird in ei­ner ge­son­der­ten Ver­ein­ba­rung zwi­schen dem Arzt und der Di­rek­ti­on des Kran­ken­hau­ses fest­ge­legt.

...

(4) Die Ver­sor­gung der sta­ti­onären Kran­ken im Rah­men all­ge­mei­ner Kran­ken­haus­leis­tun­gen muß je­doch stets Schwer­punkt der Tätig­keit des Arz­tes sein und darf durch die Ausübung von Ne­bentätig­kei­ten nicht be­ein­träch­tigt wer­den.“

Neh­men sie Dienst­auf­ga­ben war, so hält die Be­klag­te ih­re Ärz­te auch bei grob fahrlässi­ger Hand­lungs­wei­se von der Außen­haf­tung frei. Der Kläger er­hielt ei­ne Ne­bentätig­keits­er­laub­nis ua. für die Zeit vom 1. Ja­nu­ar 1996 bis zum 31. De­zem­ber 1998.

Am 21. Ja­nu­ar 1997 such­te Frau F. die Ent­bin­dungs­sta­ti­on des Kran­ken­hau­ses der Be­klag­ten auf und wur­de ab 5.30 Uhr im Kreißsaal von den Ärz­tin­nen und der Heb­am­me, die Dienst hat­ten, un­ter­sucht und be­han­delt. Der Kläger un­ter­such­te die Pa­ti­en­tin erst­mals ge­gen 7.50 Uhr, hielt das CTG für nicht be­sorg­nis­er­re­gend und ord­ne­te im Hin­blick auf die bald zu er­war­ten­de Ge­burt Be­ob­ach­tung, die Hin­zu­zie­hung ei­nes Pädia­ters und bei Be­darf ei­ne Mi­kro­b­lut­ana­ly­se an. Letz­te­re wur­de ge­gen 8.40 Uhr vor­ge­nom­men und dar­auf­hin ei­ne Kai­ser­schnit­t­ent­bin­dung ein­ge­lei­tet, die um 9.12 Uhr zur Ge­burt des Kin­des Lu­kas F. führ­te. Das bei der Ge­burt leb­lo­se Kind muss­te re­ani­miert wer­den, es hat er­heb­li­che Ge­sund­heitsschäden, ist schwerst­be­hin­dert und le­bensläng­lich auf frem­de Hil­fe an­ge­wie­sen.
 


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Die Mut­ter, Frau F., wur­de nach der Ge­burt auf der Pri­vat­sta­ti­on des Klägers auf­ge­nom­men, wo­bei die Mo­da­litäten der Auf­nah­me zwi­schen den Par­tei­en strei­tig sind. Über die Kran­ken­haus­ver­wal­tung li­qui­dier­te der Kläger sei­ne Leis­tun­gen ge­genüber Frau F. pri­vat und er­hielt das be­rech­ne­te Ho­no­rar. En­de 1997 wur­de die Freie Han­se­stadt Bre­men als da­ma­li­ge Träge­rin des Kran­ken­hau­ses von den Be­vollmäch­tig­ten der Frau F. we­gen Be­hand­lungs­feh­lern bei der Ge­burt von Lu­kas F. zur Zah­lung von Scha­dens­er­satz auf­ge­for­dert. Die Mut­ter des Kin­des hat den Kran­ken­haus­träger, ei­ne wei­te­re Ärz­tin und den Kläger vor den Zi­vil­ge­rich­ten auf Scha­dens­er­satz und Schmer­zens­geld ab Mai 1999 in An­spruch ge­nom­men. Mit Ur­teil vom 26. No­vem­ber 2002 hat das Han­sea­ti­sche Ober­lan­des­ge­richt in Bre­men den Kläger ver­ur­teilt, an Lu­kas F. ein Schmer­zens­geld iHv. 250.000,00 Eu­ro zu zah­len und fest­ge­stellt, dass die Be­klag­ten als Ge­samt­schuld­ner ver­pflich­tet sind, Frau F. den Un­ter­halts­scha­den in­so­weit zu er­set­zen, als es sich um den ver­mehr­ten Un­ter­halt han­delt, der durch die in­fol­ge von Be­hand­lungs­feh­lern bei der Ge­burt ent­stan­de­ne Be­hin­de­rung des Lu­kas F. ver­ur­sacht wor­den ist. Ge­genüber Lu­kas F. wur­de ei­ne Ver­pflich­tung der Be­klag­ten als Ge­samt­schuld­ner fest­ge­stellt, dass sie ihm sämt­li­che künf­ti­gen ma­te­ri­el­len Schäden zu er­set­zen ha­ben, die auf die Be­hand­lungs­feh­ler zurück­zuführen sind, so­weit die Ansprüche nicht auf So­zi­al­ver­si­che­rungs­träger oder Drit­te über­ge­gan­gen sind oder über­ge­hen wer­den.


Das Ur­teil des Ober­lan­des­ge­richts wur­de dem Kläger am 29. No­vem­ber 2002 zu­ge­stellt. Die Re­vi­si­on ge­gen sein Ur­teil hat­te das Ober­lan­des­ge­richt nicht zu­ge­las­sen. Die ein­mo­na­ti­ge Frist zur Ein­le­gung ei­ner Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de beim Bun­des­ge­richts­hof ließ der Kläger ver­strei­chen. Ei­ne von den Pro­zess­geg­nern we­gen teil­wei­ser Ab­wei­sung ih­rer Kla­ge ein­ge­leg­te Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de nah­men die­se später zurück. Dar­auf­hin wur­den sie durch Be­schluss vom 30. April 2003 sei­tens des Bun­des­ge­richts­hofs des Rechts­mit­tels der Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de für ver­lus­tig erklärt. Die Haft­pflicht­ver­si­che­rung des Klägers hat das vom Han­sea­ti­schen Ober­lan­des­ge­richt in Bre­men aus­ge­ur­teil­te Schmer­zens­geld be­zahlt.
 


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Mit Schrei­ben vom 16. Ju­li 2003 hat der Pro­zess­be­vollmäch­tig­te des Klägers ge­genüber der Frei­en Han­se­stadt Bre­men den An­spruch auf ar­beits-recht­li­che Frei­stel­lung von al­len Ansprüchen aus dem Scha­dens­fall vom 21. Ja­nu­ar 1997 ver­langt. Dies lehn­te die Be­klag­te ab, was En­de De­zem­ber 2004 zum vor­lie­gen­den Rechts­streit führ­te.

Der Kläger hat zur Be­gründung sei­ner Kla­ge be­haup­tet, er ha­be Frau F. im Rah­men sei­ner ar­beits­ver­trag­li­chen Pflich­ten be­han­delt, ei­ne Wahl­leis­tungs­ver­ein­ba­rung sei mit der Pa­ti­en­tin nicht ge­schlos­sen wor­den. Zur Pri­vat­li­qui­da­ti­on sei es auf­grund ei­nes Ver­wal­tungs­feh­lers ge­kom­men. Sei­ne fachärzt­li­che Tätig­keit bei der Be­hand­lung von Frau F. sei nicht feh­ler­haft, je­den­falls nicht grob feh­ler­haft ge­we­sen. Die Aus­schluss­frist des § 70 BAT ha­be erst nach rechts­kräfti­gem Ab­schluss des Zi­vil­ver­fah­rens zu lau­fen be­gon­nen.


Der Kläger hat be­an­tragt,

die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, ihn von al­len Ansprüchen von Frau B F, wohn­haft S, und ih­res Soh­nes Lu­kas F, geb. am 21. Ja­nu­ar 1997, wohn­haft eben­da, aus dem Scha­dens­fall vom 21. Ja­nu­ar 1997 frei­zu­stel­len.

Die Be­klag­te hat Ab­wei­sung der Kla­ge be­an­tragt und da­zu vor­ge­tra­gen, die Großmut­ter von Lu­kas F. ha­be für ih­re Toch­ter am Mor­gen des 21. Ja­nu­ar 1997 die Auf­nah­me­for­ma­litäten er­le­digt und da­bei den An­trag auf Wahl­leis­tungs­ver­ein­ba­run­gen un­ter­zeich­net. Frau F. se­ni­or sei da­bei aus­drück­lich als Ver­tre­te­rin mit Ver­tre­tungs­macht auf­ge­tre­ten. Dies sei dann von der Ver­wal­tungs­mit­ar­bei­te­rin ge­gen­ge­zeich­net wor­den, al­ler­dings sei die schrift­li­che Wahl­leis­tungs­ver­ein­ba­rung nicht mehr auf­find­bar. Die Be­klag­te hat ei­nen Frei­stel­lungs­an­spruch nach § 70 BAT für ver­fal­len ge­hal­ten. So­weit die Ver­si­che­rung be­reits ge­zahlt ha­be, sei der Fest­stel­lungs­an­trag zu­dem un­zulässig.


Das Ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Auf die Be­ru­fung des Klägers hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt die­ses Ur­teil ab­geändert und der Kla­ge statt­ge­ge­ben. Mit der zu­ge­las­se­nen Re­vi­si­on er­strebt die Be­klag­te die Wie­der­her­stel­lung des erst­in­stanz­li­chen Ur­teils.
 


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Ent­schei­dungs­gründe


Die Re­vi­si­on der Be­klag­ten ist be­gründet. Et­wai­ge Frei­stel­lungs­ansprüche ge­gen sei­ne Ar­beit­ge­be­rin hat der Kläger nicht bin­nen der ver­trag­lich ver­ein­bar­ten Aus­schluss­frist des § 70 BAT gel­tend ge­macht.


A. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat sei­ne Ent­schei­dung im We­sent­li­chen wie folgt be­gründet:

Die Fest­stel­lungs­kla­ge sei zulässig und be­gründet. Dem Frei­stel­lungs­an­spruch ste­he die Aus­schluss­frist des § 70 BAT nicht ent­ge­gen. Er wer­de erst in dem Zeit­punkt fällig, in dem fest­ste­he, ob der Geschädig­te den oder die Schädi­ger in An­spruch neh­men könne. Zu berück­sich­ti­gen sei­en aber vor-lie­gend Be­son­der­hei­ten des Aus­gleichs­an­spruchs ge­gen ge­mein­sam in An­spruch ge­nom­me­ne Ge­samt­schuld­ner. Die Be­klag­te ha­be we­der während des Zi­vil­pro­zes­ses noch auf an­de­re ein­deu­ti­ge Wei­se ei­nen Wil­len deut­lich wer­den las­sen, den Kläger we­gen des Scha­dens­fal­les im We­ge des Aus­gleichs der Ge­samt­schuld­ner in An­spruch zu neh­men, § 426 BGB. Der ar­beits­recht­li­che Frei­stel­lungs­an­spruch wer­de erst nach ei­ner sol­chen Klärung fällig. Der Kläger ha­be auch ei­nen ma­te­ri­el­len Frei­stel­lungs­an­spruch ge­gen die Be­klag­te, da die­se nicht ha­be be­wei­sen können, dass mit Frau F. Wahl­leis­tun­gen ver­ein­bart wor­den sei­en und der Kläger bei ih­rer Be­hand­lung im Rah­men sei­ner pri­vatärzt­li­chen Ne­bentätig­keit die feh­ler­haf­ten Leis­tun­gen er­bracht ha­be.


B. Die Ent­schei­dung des Lan­des­ar­beits­ge­richts hält im Er­geb­nis ei­ner re­vi­si­ons­recht­li­chen Über­prüfung nicht stand.

I. Die Kla­ge ist zulässig. 


1. Der Kläger hat zwar dem Wort­laut nach be­an­tragt, die Be­klag­te zur Frei­stel­lung zu ver­ur­tei­len, al­so bei for­ma­ler Be­trach­tung ei­nen Leis­tungs­an­trag ge­stellt. Die­ser wäre we­gen man­geln­der Be­stimmt­heit, § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, un­zulässig. Ein Leis­tungs­an­trag ist nicht hin­rei­chend be­stimmt, wenn er der Zwangs­voll­stre­ckung nicht zugäng­lich ist. Anträge auf Ver­ur­tei­lung zur Frei-
 


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stel­lung bedürfen, um voll­stre­ckungsfähig zu sein, der ge­nau­en Kon­kre­ti­sie­rung des An­spruchs nach Grund und Höhe, von dem frei­ge­hal­ten wer­den soll. Fehlt es an An­ga­ben zum Um­fang der Ver­bind­lich­kei­ten, würde es ggf. ei­nes neu­en Rechts­streits zur Kon­kre­ti­sie­rung der For­de­run­gen bedürfen, um die Voll­streck­bar­keit der Frei­stel­lung zu er­rei­chen (BGH 18. März 1980 - VI ZR 105/78 - zu A der Gründe, BGHZ 76, 249; Mu­sielak/Fo­ers­te ZPO § 253 Rn. 32).

2. Ei­ne Aus­le­gung des An­trags, die nicht an dem buchstäbli­chen Sin­ne des Aus­drucks haf­ten bleibt, er­gibt je­doch, dass der Kla­ge­an­trag in Wirk­lich­keit ein Fest­stel­lungs­an­trag ist. Dem Kläger geht es dar­um, ei­ne all­ge­mei­ne Klärung über das Be­ste­hen sei­nes ar­beits­recht­li­chen Frei­stel­lungs­an­spruchs hin­sicht­lich sämt­li­cher Ansprüche der Frau F. und ih­res Soh­nes Lu­kas aus dem Scha­dens­fall vom 21. Ja­nu­ar 1997 ge­genüber der Be­klag­ten her­bei­zuführen. Da­bei lässt sich die Höhe der For­de­run­gen, von de­nen der Kläger frei­ge­stellt wer­den will, we­der ge­genwärtig noch we­gen des Dau­er­scha­dens auch in Zu­kunft nicht si­cher be­stim­men. Ei­ne endgülti­ge Be­zif­fe­rung der For­de­run­gen der Geschädig­ten ist we­der die­sen, noch dem Kläger möglich. Der Ein­tritt künf­ti­ger wei­te­rer Schäden ist vor­lie­gend nicht nur wahr­schein­lich, son­dern ge­wiss. In ei­ner sol­chen Si­tua­ti­on geht das Rechts­schutz­in­ter­es­se des die Frei­stel­lung be­geh­ren­den Ar­beit­neh­mers vor­ran­gig nicht auf die Ver­fol­gung ei­ner un­be­zif­fer­ten Leis­tungs­kla­ge, son­dern auf Fest­stel­lung der Frei­stel­lungs­pflicht des Ar­beit­ge­bers im Grund­satz. Als Fest­stel­lungs­kla­ge ver­stan­den, ist das er­for­der­li­che Fest­stel­lungs­in­ter­es­se nach § 256 Abs. 1 ZPO ge­ge­ben, da die endgülti­ge Be­zif­fe­rung noch nicht möglich ist (BAG 24. April 2007 - 1 AZR 252/06 - Rn. 51, BA­GE 122, 134 = AP TVG § 1 So­zi­al­plan Nr. 2 = EzA GG Art. 9 Ar­beits­kampf Nr. 139) und künf­tig wei­te­re Schäden ein­tre­ten wer­den (BAG 14. De­zem­ber 2006 - 8 AZR 628/05 - Rn. 11, AP BGB § 618 Nr. 28 = EzA BGB 2002 § 618 Nr. 2).


3. Da der Kläger die Ver­pflich­tung der Be­klag­ten fest­ge­stellt wis­sen will, ihn „von al­len Ansprüchen“ der Geschädig­ten frei­zu­stel­len, schei­tert das Fest-stel­lungs­in­ter­es­se iSd. § 256 Abs. 1 ZPO auch nicht dar­an, dass die Ver­ur­tei­lung zur Zah­lung von Schmer­zens­geld an Lu­kas F. iHv. 250.000,00 Eu­ro



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zwi­schen­zeit­lich von der Haft­pflicht­ver­si­che­rung des Klägers über­nom­men wur­de und der Kläger in­so­weit nicht mehr ak­tiv­le­gi­ti­miert ist.


II. Mit der erst­ma­li­gen Gel­tend­ma­chung sei­nes Frei­stel­lungs­an­spruchs am 16. Ju­li 2003 ge­genüber der Be­klag­ten hat der Kläger je­doch die Aus­schluss­frist nach § 70 BAT nicht ge­wahrt. Es kann da­her da­hin­ste­hen, ob dem Kläger über­haupt vor­lie­gend ein ar­beits­ver­trag­li­cher Frei­stel­lungs­an­spruch zu­zu­spre­chen ge­we­sen wäre.


1. In dem Dienst­ver­trag vom 18. De­zem­ber 1992 hat­ten die Par­tei­en des Ar­beits­ver­tra­ges die An­wen­dung von § 70 BAT, Aus­schluss­frist, ver­ein­bart. Da­nach ver­fal­len Ansprüche aus dem Ar­beits­verhält­nis, wenn sie nicht in­ner­halb ei­ner Aus­schluss­frist von sechs Mo­na­ten nach Fällig­keit vom An­ge­stell­ten oder vom Ar­beit­ge­ber schrift­lich gel­tend ge­macht wer­den.

2. Die Aus­schluss­frist für den Frei­stel­lungs­an­spruch des Klägers be­gann je­den­falls mit dem 30. De­zem­ber 2002 zu lau­fen.

a) Der ar­beits­recht­li­che Frei­stel­lungs­an­spruch des Ar­beit­neh­mers ge­gen den Ar­beit­ge­ber we­gen Ver­let­zung ar­beits­ver­trag­li­cher Pflich­ten ist ein „An­spruch aus dem Ar­beits­verhält­nis“ iSd. § 70 Abs. 1 BAT (BAG 16. März 1995 - 8 AZR 58/92 - zu II 3 a der Gründe mwN, BA­GE 79, 285 = AP TVG § 4 Aus­schluss­fris­ten Nr. 129 = EzA TVG § 4 Aus­schluss­fris­ten Nr. 110).

b) Der Frei­stel­lungs­an­spruch ei­nes Ar­beit­neh­mers ge­gen sei­nen Ar­beit­ge­ber we­gen Schädi­gung ei­nes Drit­ten wird fällig, wenn fest­steht, dass der schädi­gen­de Ar­beit­neh­mer von dem Geschädig­ten mit Er­folg in An­spruch ge­nom­men wer­den kann (BAG 27. Ok­to­ber 2005 - 8 AZR 3/05 - Rn. 22, AP BGB § 310 Nr. 5 = EzA TVG § 4 Aus­schluss­fris­ten Nr. 181; 16. März 1995 - 8 AZR 58/92 - zu II 3 b bb der Gründe mwN, BA­GE 79, 285 = AP TVG § 4 Aus­schluss­fris­ten Nr. 129 = EzA TVG § 4 Aus­schluss­fris­ten Nr. 110; 1. De­zem­ber 1988 - 8 AZR 65/84 - zu B I 3 der Gründe, AP BGB § 840 Nr. 2 = EzA BGB § 611 Ar­beit­neh­mer­haf­tung Nr. 50; 18. Ja­nu­ar 1966 - 1 AZR 247/63 - AP BGB § 611 Haf­tung des Ar­beit­neh­mers Nr. 37). Der Schädi­ger ist ab dem
 


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Zeit­punkt, in dem sei­ne rechts­kräfti­ge Ver­ur­tei­lung fest­steht, zur frist­gemäßen Gel­tend­ma­chung des Frei­stel­lungs­an­spruchs ver­pflich­tet (BAG 16. März 1995 - 8 AZR 58/92 - zu II 3 b bb der Gründe aaO). Da­bei kommt es nicht auf die for­mel­le Rechts­kraft ei­nes Ur­teils im Sin­ne des Pro­zess­rechts an, son­dern dar­auf, dass die er­folg­rei­che In­an­spruch­nah­me des Schädi­gers durch den Geschädig­ten fest­steht (BAG 27. Ok­to­ber 2005 - 8 AZR 3/05 - Rn. 22 aaO). Der Er­folg des Geschädig­ten steht fest, wenn der von ihm ver­klag­te, schädi­gen­de Ar­beit­neh­mer die für ihn ungüns­ti­ge Ge­richts­ent­schei­dung nicht mehr ei­gen-ständig ver­hin­dern oder abändern las­sen kann.


c) Die­ser Zeit­punkt ist vor­lie­gend auf den 30. De­zem­ber 2002 zu da­tie­ren. Dem Kläger ist die ihn zum Scha­dens­er­satz ver­ur­tei­len­de Ent­schei­dung des Han­sea­ti­schen Ober­lan­des­ge­richts in Bre­men vom 26. No­vem­ber 2002 am 29. No­vem­ber 2002 zu­ge­stellt wor­den. Die Re­vi­si­on ge­gen die­ses Be­ru­fungs­ur­teil war nicht zu­ge­las­sen. Die Frist für die Ein­le­gung ei­ner Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de zum Bun­des­ge­richts­hof lief am 29. De­zem­ber 2002 ab, § 544 Abs. 1 ZPO. Der Kläger hat die­se ver­strei­chen las­sen. Da­mit stand für ihn ab dem 30. De­zem­ber 2002 fest, dass er von den Geschädig­ten mit Er­folg in An­spruch ge­nom­men wor­den ist. Um dem Sinn und Zweck der ver­trag­lich ver­ein­bar­ten Aus­schluss­frist, in­ner­halb be­stimm­ter Zeit­vor­ga­ben Rechts­klar­heit und Rechts­frie­den her­bei­zuführen, zu ent­spre­chen, hätte er bin­nen sechs Mo­na­ten, al­so bis zum 30. Ju­ni 2003 sei­nen Frei­stel­lungs­an­spruch ge­genüber der Be­klag­ten gel­tend ma­chen müssen. Das Schrei­ben sei­nes An­walts vom 16. Ju­li 2003 wahr­te die­se Frist nicht.


d) Da­bei kommt es nicht dar­auf an, dass die Geschädig­ten ih­rer­seits noch ei­ne Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de ge­gen das Be­ru­fungs­ur­teil des Ober­lan­des­ge­richts ein­ge­legt hat­ten. Der Kläger je­den­falls hat­te im Außen­verhält­nis sei­ne Rechts­ver­tei­di­gung ge­gen die Ver­ur­tei­lung zum Scha­dens­er­satz ein­ge­stellt. Die Möglich­keit ei­ner un­selbständi­gen „An­schluss Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de“ be­stand für ihn nicht, § 544 ZPO.

3. Ent­ge­gen der im Be­ru­fungs­ur­teil dar­ge­leg­ten Auf­fas­sung kommt es für die Fällig­keit des Frei­stel­lungs­an­spruchs auch nicht dar­auf an, ob und wann bei
 


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ei­ner Mehr­heit von Schädi­gern der ge­samt­schuld­ne­ri­sche Aus­gleich im In­nen­verhält­nis be­trie­ben wird. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat in­so­fern ver­kannt, dass sol­che Aus­gleichs­ansprüche zwi­schen Ge­samt­schuld­nern nicht Ge­gen­stand des vor­lie­gen­den Pro­zes­ses oder der Gel­tend­ma­chung vom 16. Ju­li 2003 wa­ren. Der Kläger be­gehrt von der Be­klag­ten kei­nen an­tei­li­gen Aus­gleich nach § 426 Abs. 1 BGB, son­dern die aus dem Ar­beits­verhält­nis zu be­gründen­de Frei­stel­lung „von al­len Ansprüchen“ Drit­ter. Ob und wie weit die Be­klag­te dem Kläger un­ter dem Ge­sichts­punkt ih­rer ge­samt­schuld­ne­ri­schen Mit­haf­tung Aus­gleich zu leis­ten hat, war vor­lie­gend nicht zu ent­schei­den.


C. Die Kos­ten­ent­schei­dung be­ruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. 


Hauck 

Böck 

Brein­lin­ger

Burr 

F. Ave­na­ri­us

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