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ARBEITSRECHT AKTUELL // 17/220

Un­pfänd­bar­keit von Zu­la­gen

Zu­la­gen für Sonn­tags-, Fei­er­tags- und Nacht­ar­beit sind un­pfänd­bar, Schicht­zu­la­gen da­ge­gen nicht: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 23.08.2017, 10 AZR 859/16
Zwei Männchen mit Euro

23.08.2017. Wel­che Be­stand­tei­le von lau­fen­den Lohn­for­de­run­gen im Fal­le ei­ner Lohn­pfän­dung an den Gläu­bi­ger ab­ge­führt wer­den müs­sen und wel­che dem Ar­beit­neh­mer ver­blei­ben müs­sen, ist in der Zi­vil­pro­zess­ord­nung (ZPO) aus­führ­lich ge­re­gelt.

Mit ei­nem Ur­teil vom heu­ti­gen Ta­ge hat der Zehn­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts (BAG) ei­ne um­strit­te­ne Fra­ge des Lohn­pfän­dungs­rechts ge­klärt, näm­lich die Fra­ge, wel­che "Er­schwer­nis­zu­la­gen" ge­mäß § 850a Nr.3 ZPO un­pfänd­bar sind und wel­che nicht.

Der Pfän­dung ge­ne­rell ent­zo­gen sind auf­grund die­ser ge­setz­li­chen Vor­schrift des Schuld­ner­schut­zes le­dig­lich Zu­la­gen für Sonn­tags­ar­beit, für Fei­er­tags­ar­beit und für die Ar­beit wäh­rend der Nacht. An­de­re Zu­la­gen für be­las­ten­de Ar­beits­zei­ten kön­nen da­ge­gen ge­pfän­det wer­den: BAG, Ur­teil vom 23.08.2017, 10 AZR 859/16 (Pres­se­mel­dung des BAG).

Sind Zu­la­gen für be­son­ders un­an­ge­neh­me Ar­beits­zei­ten pfändungs­frei?

Wer ei­ne Geld­for­de­rung ein­klagt und mit der Kla­ge Er­folg hat, kann auf der Grund­la­ge des Ur­teils (= Ti­tel) die Zwangs­voll­stre­ckung be­trei­ben, wenn der Be­klag­te bzw. Schuld­ner nicht frei­wil­lig zahlt. An­stel­le der „klas­si­schen“ Sachpfändung mit­hil­fe des Ge­richts­voll­zie­hers ist es oft bes­ser, For­de­run­gen des Schuld­ners zu pfänden, z.B. auf Zah­lung von Lohn oder Ge­halt.

Da der lau­fen­de Ar­beits­lohn die fi­nan­zi­el­le Exis­tenz­grund­la­ge des Ar­beit­neh­mers ist, ist ei­ne schran­ken­lo­se Lohnpfändung ge­setz­lich aus­ge­schlos­sen. Die wich­tigs­te Gren­ze für die Pfändung von lau­fen­den sind § 850c ZPO und die re­gelmäßig ak­tua­li­sier­ten Pfändungs­frei­gren­zen­be­kannt­ma­chun­gen des Jus­tiz­mi­nis­te­ri­ums. Nach den ab dem 01.07.2017 gülti­gen Pfändungs­frei­gren­zen sind 1.133,80 EUR pro Mo­nat pfändungs­frei, und zwar net­to, d.h. nach Ab­zug von Lohn­steu­er und So­zi­al­ab­ga­ben (§ 850e Nr.1 Satz 1 ZPO). Wer Un­ter­halts­ansprüche erfüllen muss, wird durch höhe­re Frei­beträge geschützt.

Über die­se all­ge­mei­ne Pfändungs­frei­gren­ze hin­aus sind gemäß § 850a ZPO auch be­stimm­te Ge­halts­be­stand­tei­le ganz oder teil­wei­se pfändungs­frei, so zum Bei­spiel 50 Pro­zent der Vergütung für Über­stun­den (§ 850a Nr.1 ZPO) oder ei­nes Weih­nachts­gel­des (§ 850a Nr.4 ZPO). Auch be­stimm­te Zu­la­gen, die be­son­de­re Er­schwer­nis­se aus­glei­chen sol­len, blei­ben von ei­ner Pfändung ver­schont. Das sind gemäß § 850a Nr.3 ZPO

„Auf­wands­entschädi­gun­gen, Auslösungs­gel­der und sons­ti­ge so­zia­le Zu­la­gen für auswärti­ge Beschäfti­gun­gen, das Ent­gelt für selbst­ge­stell­tes Ar­beits­ma­te­ri­al, Ge­fah­ren­zu­la­gen so­wie Schmutz- und Er­schwer­nis­zu­la­gen, so­weit die­se Bezüge den Rah­men des Übli­chen nicht über­stei­gen“.

Frag­lich ist, in wel­chem Um­fang Zu­la­gen für be­son­ders un­an­ge­neh­me Ar­beits­zei­ten un­ter die­se Vor­schrift zur Pfändungs­frei­heit fal­len.

Hier lei­ten ei­ni­ge Ar­beits­recht­ler aus der ge­setz­li­chen An­ein­an­der­rei­hung von „Ge­fah­ren­zu­la­gen so­wie Schmutz- und Er­schwer­nis­zu­la­gen“ her, dass „Er­schwer­nis­zu­la­gen“ nur dann pfändungs­frei sind, wenn sie ge­ra­de des­halb ge­zahlt wer­den, weil die Art der Ar­beit selbst be­son­ders un­an­ge­nehm ist, d.h. schmut­zig, ekel­er­re­gend oder gefähr­lich. Die­ser An­sicht zu­fol­ge sind Zu­la­gen für un­an­ge­neh­me Ar­beits­zei­ten (z.B. für Sonn­tags­ar­beit, Nacht­ar­beit oder Schicht­ar­beit) kei­ne „Er­schwer­nis­zu­la­gen“ im Sin­ne des Ge­set­zes.

An­de­re Ar­beits­recht­ler und Ge­rich­te sind da­ge­gen der Mei­nung, dass auch Zu­la­gen für Sonn­tags­ar­beit, Fei­er­tags­ar­beit, Nacht­ar­beit oder für Schicht­ar­beit ei­ne pfändungs­freie Er­schwer­nis­zu­la­ge im Sin­ne von § 850a Nr.3 ZPO ist.

Der Ber­li­ner Streit­fall: Pfle­ge­kraft in Pri­vat­in­sol­venz möch­te Zu­schläge für Sams­tags- und Sonn­tags­ar­beit, Fei­er­tags­ar­beit, Nacht­schich­ten so­wie für Schicht­ar­beit und Vor­fest­ar­beit be­hal­ten

Ge­klagt hat­te ei­ne Ar­beit­neh­me­rin, die bei ei­ner So­zi­al­sta­ti­on als Haus­pfle­ge­rin ar­bei­te­te. Da sie sich 2015 und 2016 in Pri­vat­in­sol­venz be­fand, zahl­te die So­zi­al­sta­ti­on den pfänd­ba­ren Teil ih­res lau­fen­den Ge­halts an ei­nen Treuhänder. Denn wer sich in die Pri­vat­in­sol­venz be­gibt und zum Schluss der "Wohl­ver­hal­tens­pha­se" von der Rest­schuld­be­frei­ung pro­fi­tie­ren möch­te, muss den pfänd­ba­ren Teil sei­nes lau­fen­den Ar­beits­ein­kom­mens für ei­ni­ge Jah­re an ei­nen vom In­sol­venz­ge­richt be­stell­ten Treuhänder ab­tre­ten, der das Geld wie­der­um an die Gläubi­ger ver­teilt (§ 287 Abs.2 In­sol­venz­ord­nung - In­sO).

Aus Sicht der Kläge­rin wur­de al­ler­dings zu viel Geld an den Treuhänder ab­geführt, nämlich be­stimm­te Zu­schläge, die die Kläge­rin auf­grund ei­nes für sie gel­ten­den Ta­rif­ver­trags für be­stimm­te Ar­beits­zei­ten ver­dient hat­te. Kon­kret ging es da­bei um Zu­schläge für

  • Sonn­tags­ar­beit,
  • Fei­er­tags­ar­beit,
  • Nacht­ar­beit,
  • Ar­beit in Wech­sel­schicht,
  • Sams­tags­ar­beit und sog.
  • Vor­fest­ar­beit.

Aus Sicht der Kläge­rin fie­len die­se Zu­schläge als unpfänd­ba­re Er­schwer­nis­zu­la­gen un­ter § 850a Nr.3 ZPO, nach An­sicht ih­res Ar­beit­ge­bers war § 850a Nr.3 ZPO hier nicht an­wend­bar. Letzt­lich muss­ten das Ar­beits­ge­richt Ber­lin (Ur­teil vom 18.03.2016, 31 Ca 1437/16) und in der Be­ru­fung das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Ber­lin-Bran­den­burg über strei­ti­ge 1.144,91 EUR net­to ent­schei­den, die sie der Kläge­rin zu­spra­chen (LAG Ber­lin-Bran­den­burg, Ur­teil vom 20.07.2016, 20 Sa 639/16, 20 Sa 975/16).

Denn die Zu­schläge wa­ren al­le­samt Er­schwer­nis­zu­la­gen im Sin­ne von § 850a Nr.3 ZPO und da­mit von der Ab­tre­tung an den Treuhänder nicht er­fasst, so das Ar­beits­ge­richt Ber­lin und auch das LAG. Da­mit wie­der­um hat­te der Ar­beit­ge­ber das Geld an den fal­schen Empfänger ge­zahlt, so dass der An­spruch der Kläge­rin noch be­stand.

BAG: Zu­la­gen für Sonn­tags-, Fei­er­tags- und Nacht­ar­beit sind unpfänd­bar, Schicht­zu­la­gen so­wie Zu­la­gen für Sams­tags- und Vor­fest­ar­beit da­ge­gen nicht

Das BAG hob das LAG-Ur­teil auf und ver­wies den Rechts­streit zurück nach Ber­lin. Die Kla­ge­for­de­rung war nämlich nur zum Teil be­rech­tigt. In der der­zeit al­lein vor­lie­gen­den Pres­se­mel­dung des BAG heißt es:

Zu­la­gen für Sonn­tags-, Fei­er­tags- und Nacht­ar­beit sind Er­schwer­nis­zu­la­gen im Sin­ne von § 850a Nr.3 ZPO und da­mit im Rah­men des Übli­chen unpfänd­bar. Da­ge­gen sind Zu­la­gen für Schicht-, Sams­tags- oder sog. Vor­fest­ar­beit der Pfändung nicht ent­zo­gen. Zur Be­gründung für die­se Un­ter­schei­dung ver­wei­sen die die Er­fur­ter Rich­ter auf § 3b Ein­kom­men­steu­er­ge­setz (ESt), der die vom BAG für pfändungs­frei an­ge­se­he­nen Zu­la­gen in­ner­halb ge­wis­ser Gren­zen steu­er­frei stellt. 

Die­se steu­er­li­che Be­vor­zu­gung der Sonn­tags-, Fei­er­tags- und Nacht­ar­beit wird ergänzt und verstärkt durch an­de­re ge­setz­li­che Vor­ga­ben, nämlich durch den ver­fas­sungs­recht­li­chen Schutz der Sonn­tags­ru­he und der Ar­beits­ru­he an ge­setz­li­chen Fei­er­ta­gen gemäß Art.140 Grund­ge­setz (GG) in Verb. mit Art.139 Wei­ma­rer Reichs­ver­fas­sung (WRV). Die­se ver­fas­sungs­recht­li­chen Vor­ga­ben wie­der­um sind Grund­la­ge des ge­setz­li­chen Ar­beits­ver­bots an die­sen Ta­gen (§ 9 Abs.1 Ar­beits­zeit­ge­setz - Arb­ZG). Was den be­son­de­ren Stel­len­wert der Nacht­ar­beit an­geht, steht hier ne­ben § 3b ESt die ge­setz­li­che Pflicht zur Zah­lung ei­nes be­son­de­ren Aus­gleichs für Nacht­ar­beit gemäß § 6 Abs.5 Arb­ZG.

Ver­gleich­ba­re ge­setz­ge­be­ri­sche Be­wer­tun­gen gibt es, so das BAG, für an­de­re be­las­ten­de Ar­beits­zei­ten nicht, d.h. we­der für die Schicht­ar­beit noch für die Ar­beit an Sams­ta­gen und an den Ta­gen vor Fes­ten. Und da bei der Aus­le­gung der Schuld­ner­schutz­vor­schrift des § 850a Nr.3 ZPO auch das ent­ge­gen­ge­setz­te In­ter­es­se der Gläubi­ger­sei­te zu berück­sich­ti­gen ist, dürfen nicht all­zu vie­le Zu­la­gen als pfändungs­frei an­ge­se­hen wer­den.

Fa­zit: Die Ent­schei­dung des BAG über­zeugt, denn in der Les­art des Ar­beits­ge­richts Ber­lin und des LAG Ber­lin-Bran­den­burg um­fasst der Be­griff der "Er­schwer­nis­zu­la­ge" im Sin­ne von § 850a Nr.3 ZPO ten­den­zi­ell al­le Son­der­zah­lun­gen, die Ar­beit­neh­mer auf­grund von be­son­de­ren Ar­beits­leis­tun­gen er­hal­ten. Für ei­ne so weit­ge­hen­de Aus­le­gung gibt es kei­ne über­zeu­gen­de Be­gründung, da die ge­setz­li­chen Pfändungs­be­schränkun­gen oh­ne­hin schon recht weit ge­hen.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das BAG sei­ne Ent­schei­dungs­grün­de ver­öf­fent­licht. Das voll­stän­dig be­grün­de­te Ur­teil des BAG fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 15. Dezember 2017

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