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ARBEITSRECHT AKTUELL // 12/083

Ur­laub nach un­wirk­sa­mer Kün­di­gung

Kein dop­pel­ter Ur­laub nach un­wirk­sa­mer Kün­di­gung: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 21.02.2012, 9 AZR 487/10
Frau zu Hause im Bett vor dem Fernsehen Dop­pel­ter Ur­laub bei dop­pel­tem Ar­beits­ver­hält­nis?

22.02.2012. Das Bun­des­ur­laubs­ge­set­zes (BUrlG) si­chert al­len Ar­beit­neh­mern ei­nen Ur­laub von min­des­tens vier Wo­chen pro Jahr. Die­ser An­spruch be­steht aber ge­mäß § 6 Abs.1 BUrlG im Fal­le ei­nes Ar­beit­ge­ber­wech­sels nicht, wenn der Ur­laub schon vom vor­he­ri­gen Ar­beit­ge­ber ge­währt wur­de. Da­mit soll ver­hin­dert wer­den, dass ein Job­wech­sel zur Ver­dop­pe­lung des Ur­laubs­an­spruchs führt.

Im Ge­setz nicht ge­re­gelt ist der Fall, dass zwei Ar­beits­ver­hält­nis­se gleich­zei­tig ne­ben­ein­an­der be­ste­hen. Die­se et­was selt­sa­me Rechts­la­ge kann sich als Ef­fekt ei­ner un­wirk­sa­men Kün­di­gung er­ge­ben, wenn die Un­wirk­sam­keit der Kün­di­gung auf­grund ei­ner er­folg­rei­chen Kün­di­gungs­schutz­kla­ge fest­steht.

Ges­tern hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) ent­schie­den, dass der vom neu­en Ar­beit­ge­ber ge­währ­te Ur­laub auf den Ur­laubs(ab­gel­tungs)an­spruch an­zu­rech­nen ist, den der Ar­beit­neh­mer ge­gen­über sei­nem al­ten Ar­beit­ge­ber hat: BAG, Ur­teil vom 21.02.2012, 9 AZR 487/10.

Ur­laub nach Kündi­gung - was tun?

Vie­le Ar­beit­ge­ber er­tei­len zu­sam­men mit ei­ner or­dent­li­chen Kündi­gung Ur­laub bis zum Ab­lauf der Kündi­gungs­fris­ten, um sich die Ab­gel­tung des Ur­laubs zu spa­ren.

Möglich ist darüber hin­aus, den Ur­laub für die Zeit nach der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses vor­sorg­lich für den Fall zu er­tei­len, dass die Kündi­gung un­wirk­sam sein soll­te. Denn wenn der Ar­beit­neh­mer ei­ne Kündi­gungs­schutz­kla­ge er­hebt und ge­winnt, muss der Ar­beit­ge­ber zwar den zu Un­recht nicht ge­zahl­ten Lohn (den "An­nah­me­ver­zugs­lohn") zah­len, spart dann aber im­mer­hin die Ur­laubs­ab­gel­tung als wei­te­re fi­nan­zi­el­le Be­las­tung.

Gekündig­te Ar­beit­neh­mer wie­der­um tun bis zur endgülti­gen Ei­ni­gung in ei­ner Kündi­gungs­schutz­kla­ge gut dar­an, ge­gen En­de des Ka­len­der­jah­res Ur­laub zu be­an­tra­gen, da ihr Jah­res­ur­laub mit dem En­de des Ka­len­der­jah­res er­satz­los un­ter­geht. Hat der Ar­beit­neh­mer den Ur­laub aber recht­zei­tig vor Jah­res­en­de ver­langt und re­agiert der Ar­beit­ge­ber nicht, geht der Ur­laub zwar an sich recht­lich un­ter, be­steht aber im Er­geb­nis doch fort, nämlich als Scha­dens­er­satz­an­spruch.

Un­klar ist, was mit dem Ur­laubs­an­spruch pas­siert, wenn der gekündig­te Ar­beit­neh­mer

  • sich während der Kündi­gungs­schutz­kla­ge ei­nen neu­en Job sucht, und
  • dort, al­so vom neu­en Ar­beit­ge­ber, Ur­laub be­kommt, und
  • die Kündi­gung sich in­fol­ge des Kündi­gungs­schutz­ver­fah­rens später als un­wirk­sam her­aus­stellt.

Zwar se­hen § 11 Kündi­gungs­schutz­ge­setz (KSchG) und § 615 Bürger­li­ches Ge­setz­buch (BGB) vor, dass der von ei­nem neu­en Ar­beit­ge­ber ge­zahl­te Lohn vom An­nah­me­ver­zugs­lohn ab­ge­zo­gen wird, den der al­te Ar­beit­ge­ber für die Zeit nach sei­ner un­wirk­sa­men Kündi­gung be­zah­len muss, aber die­se Vor­schrif­ten gel­ten nicht für den Ur­laub, son­dern eben für den Lohn.

Der Fall des BAG: Un­wirk­sam gekündig­te Ar­beit­neh­me­rin klagt ge­gen die Kündi­gung, fin­det ei­nen neu­en Job und erhält dort Ur­laub

Nach­dem ein Ar­beit­ge­ber im Ja­nu­ar 2007 or­dent­lich gekündigt hat­te und die gekündig­te Ar­beit­neh­me­rin nach lan­gem Rechts­streit im Jah­re 2008 ein neu­en Job an­ge­tre­ten hat­te, kam es zum Fol­ge­streit über den Ur­laub für 2008.

Denn die Kündi­gung vom Ja­nu­ar 2007 hat­te sich vor Ge­richt als un­wirk­sam er­wie­sen, und da­her ver­lang­te die Ar­beit­neh­me­rin von ih­rem al­ten Ar­beit­ge­ber Ur­laub vom 14.11.2008 bis zum 30.12.2008, d.h. für 29 Ta­ge gemäß ih­rem Ar­beits­ver­trag.

Statt des Ur­laubs er­hielt die Ar­beit­neh­me­rin ei­ne wei­te­re Kündi­gung zum En­de Ja­nu­ar 2009, ge­gen die sie sich nicht mehr wehr­te. Viel­mehr woll­te sie ge­richt­lich fest­ge­stellt se­hen, dass ihr 29 Ta­ge Ur­laub für 2008 zustünden, und zwar als "Er­satz­ur­laubs­an­spruch", da ihr ja der be­an­trag­te Ur­laub nicht gewährt wor­den war. Der ver­klag­te Alt-Ar­beit­ge­ber be­rief sich dar­auf, dass sein Nach­fol­ger für 2008 ja schon 21 Ta­ge Ur­laub gewährt hat­te.

Das half dem Ar­beit­ge­ber aber vor dem Ar­beits­ge­richt Leip­zig nichts (Ur­teil vom 11.06.2009, 8 Ca 5517/08) und auch nicht vor dem Säch­si­schen Lan­des­ar­beits­ge­richt (Ur­teil vom 26.01.2010, 7 Sa 442/09). Bei­de Ge­rich­te ur­teil­ten pro Ar­beit­neh­me­rin. Da­bei be­rie­fen sie sich auf die bis­he­ri­ge BAG-Recht­spre­chung, der zu­fol­ge der vom neu­en Ar­beit­ge­ber gewähr­te Ur­laub den Ur­laubs­an­spruch nicht min­dert, der dem Ar­beit­neh­mer ge­genüber sei­nem Alt-Ar­beit­ge­ber zu­steht (BAG, Ur­teil vom 28.02.1991, 8 AZR 196/90).

BAG: Der vom neu­en Ar­beit­ge­ber er­teil­te Ur­laub wird an­ge­rech­net

An­ders jetzt aber das BAG: Es gab der Re­vi­si­on des Ar­beit­ge­bers statt und ent­schied, dass der Kläge­rin nur nur acht Ur­laubs­ta­ge zustünden. An­ders als in sei­nem Ur­teil aus dem Jahr 1991 meint das BAG jetzt, dass die Ur­laubs­ansprüche in sinn­gemäßer ("ana­lo­ger") An­wen­dung von § 11 Nr.1 KSchG, § 615 Satz 2 BGB gekürzt wer­den müss­ten.

Zur Be­gründung be­ruft sich das BAG in sei­ner der­zeit al­lein vor­lie­gen­den Pres­se­mit­tei­lung dar­auf, dass der Ar­beit­neh­mer durch ei­ne er­folg­rei­che Kündi­gungs­schutz­kla­ge "grundsätz­lich so zu stel­len ist, als hätte kei­ne tatsächli­che Un­ter­bre­chung des Ar­beits­verhält­nis­ses statt­ge­fun­den." An­schei­nend möch­te das BAG ei­ne un­ge­recht­fer­tig­te Bes­ser­stel­lung des Ar­beit­neh­mers im Ver­gleich da­zu ver­mei­den, dass es erst gar nicht zur Kündi­gung ge­kom­men wäre (denn dann hätte der Ar­beit­neh­mer ja auch kei­nen "dop­pel­ten Ur­laub" er­hal­ten).

Fa­zit: Das Ur­teil ver­rin­gert im Fal­le ei­ner Kündi­gung mit nach­fol­gen­der er­folg­rei­cher Kündi­gungs­schutz­kla­ge das fi­nan­zi­el­le Ri­si­ko des Ar­beit­ge­bers, mit Ur­laubs­ansprüchen für die Zeit be­las­tet zu wer­den, in der der Ar­beit­neh­mer schon bei ei­nem neu­en Ar­beit­ge­ber ar­bei­tet und Ur­laub erhält.

Ei­ne über­zeu­gen­de Be­gründung für die­se Recht­spre­chungsände­rung enthält die Pres­se­mel­dung nicht. Ab­ge­se­hen von ju­ris­ti­schen Be­gründungs­fra­gen bringt die vom BAG ge­zo­ge­ne Par­al­le­le zu § 615 BGB und § 11 KSchG auch Fol­ge­pro­ble­me mit sich. So fragt sich z.B., ob - wie bei §§ 615 BGB, 11 KSchG - auch „böswil­lig“ nicht ge­nom­me­ner Ur­laub an­ge­rech­net wer­den kann.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das BAG sei­ne Ent­schei­dungs­gründe veröffent­licht. Das vollständig be­gründe­te Ur­teil des BAG fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 4. Juni 2019

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