HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

ARBEITSRECHT AKTUELL // 18/312

Al­ters­be­fris­tung bei Ar­beits­ver­trä­gen mit Rent­nern rech­tens

Wie der EuGH, so das BAG: Die be­fris­te­te Ver­län­ge­rung des Ar­beits­ver­hält­nis­ses nach Ren­ten­ein­tritts­al­ter ist zu­läs­sig: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 19.12.2018, 7 AZR 70/17
ältere Arbeitnehmerin am Computer im Büro, Beschäftigung älterer Arbeitnehmer

24.12.2018. Im März die­ses Jah­res be­rich­te­ten wir über ein Ur­teil des Eu­ro­päi­schen Ge­richts­hofs (EuGH) vom 28.02.2018 (C-46/17 - John), dem zu­fol­ge die be­fris­te­te Ver­län­ge­rung von Ar­beits­ver­hält­nis­sen mit Ar­beit­neh­mern im Ren­ten­al­ter eu­ro­pa­recht­lich zu­läs­sig ist (Ar­beits­recht ak­tu­ell: 18/072 Wei­ter­be­schäf­ti­gung nach Ren­ten­ein­tritts­al­ter).

Am Mitt­woch letz­ter Wo­che hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) nach­ge­legt und eben­falls klar­ge­stellt, dass die ge­setz­li­che Re­ge­lung wirk­sam ist, die ei­ne sol­che be­fris­te­te Ver­län­ge­rung des ren­ten­be­ding­ten Aus­schei­dens äl­te­rer Ar­beit­neh­mer er­mög­licht.

Kon­kret geht es da­bei um § 41 Satz 3 Sechs­tes Buch So­zi­al­ge­setz­buch (SGB VI), der seit Ju­li 2014 in Kraft ist. Die­se Re­ge­lung ist we­der eu­ro­pa­rechts­wid­rig noch al­ters­dis­kri­mi­nie­rend noch aus an­de­ren Grün­den un­wirk­sam: BAG, Ur­teil vom 19.12.2018, 7 AZR 70/17 (Pres­se­mel­dung des Ge­richts).

Die er­leich­ter­te Be­fris­tung von Ar­beits­verhält­nis­sen durch das Hin­aus­schie­ben der ren­ten­be­ding­ten Aus­schei­dens ist eu­ro­pa­recht­lich in Ord­nung, aber auch an­sons­ten wirk­sam?

Ar­beits­verhält­nis­se können durch ar­beits­ver­trag­li­che und/oder ta­rif­ver­trag­li­che Ren­ten­al­ter­sklau­seln wirk­sam be­fris­tet wer­den, so dass Ar­beit­neh­mer mit Er­rei­chen des Ren­ten­ein­tritts­al­ters au­to­ma­tisch aus dem Ar­beits­verhält­nis aus­schei­den. Dar­in liegt kei­ne un­zulässi­ge al­ters­be­ding­te Dis­kri­mi­nie­rung älte­rer Ar­beit­neh­mer, wie sich aus § 10 Satz 3 Nr.5 All­ge­mei­nes Gleich­be­hand­lungs­ge­setz (AGG) er­gibt und be­reits 2010 vom EuGH klar­ge­stellt wur­de (EuGH, Ur­teil vom 12.10.2010, C-45/09 - Ro­sen­bladt, wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 10/217 EuGH erklärt in Ta­rif­verträgen ent­hal­te­ne Ren­ten­al­ter­sklau­seln für rech­tens).

Ergänzend sieht § 41 Satz 3 SGB VI seit Mit­te 2014 vor, dass die Be­en­di­gung ei­nes Ar­beits­verhält­nis auf­grund ei­ner Ren­ten­al­ter­sklau­sel ar­beits­ver­trag­lich hin­aus­ge­scho­ben wer­den kann. Die­se Vor­schrift lau­tet:

„Sieht ei­ne Ver­ein­ba­rung die Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses mit dem Er­rei­chen der Re­gel­al­ters­gren­ze vor, können die Ar­beits­ver­trags­par­tei­en durch Ver­ein­ba­rung während des Ar­beits­verhält­nis­ses den Be­en­di­gungs­zeit­punkt, ge­ge­be­nen­falls auch mehr­fach, hin­aus­schie­ben.“

Da die­se Re­ge­lung kei­ner­lei Be­gren­zung für ei­ne be­fris­te­te Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses enthält, hat­te das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Bre­men eu­ro­pa­recht­li­che Be­den­ken und frag­te den EuGH, ob ei­ne so weit­ge­hen­de Be­fris­tungsmöglich­keit mit dem Eu­ro­pa­recht ver­ein­bar sei (Be­schluss vom 23.11.2016, 3 Sa 78/16, wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 17/143 Hin­aus­schie­ben der Al­ters­gren­ze gemäß § 41 Satz 3 SGB VI). Im­mer­hin er­laubt es § 41 Satz 3 SGB VI theo­re­tisch, mit Ar­beit­neh­mern im Ren­ten­al­ter (un­ter der Vor­aus­set­zung ei­ner Ren­ten­al­ter­sklau­sel) je­den Tag aufs neue ei­ne eintägi­ge Ver­trags­verlänge­rung zu ver­ein­ba­ren, und das über Jah­re hin­weg oh­ne ir­gend­ei­ne recht­li­che Schran­ke.

Trotz die­ser (theo­re­ti­schen) Miss­brauchs­ge­fah­ren ant­wor­te­te der EuGH wie oben erwähnt auf die An­fra­ge des LAG Bre­men, dass Vor­schrif­ten von der Art wie § 41 Satz 3 SGB VI eu­ro­pa­recht­lich in Ord­nung sind (EuGH, Ur­teil vom 28.02.2018, C-46/17 - John, wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 18/072 Wei­ter­beschäfti­gung nach Ren­ten­ein­tritts­al­ter).

Bleibt die Fra­ge, ob mögli­cher­wei­se ver­fas­sungs­recht­li­che Gründe ge­gen die­se ge­setz­li­che Verlänge­rungsmöglich­keit spre­chen. Nein, so das BAG Mit­te letz­ter Wo­che.

Wie­der ein­mal im Streit: Be­fris­te­te Verlänge­rung der Tätig­keit ei­nes Leh­rers über die Ren­ten­al­ters­gren­ze hin­aus

Ein im Ju­li 1949 ge­bo­re­ner Leh­rer war bei dem be­klag­ten Land Nie­der­sach­sen im Schul­dienst tätig, und zwar an ei­ner be­rufs­bil­den­den Schu­le mit 23 Un­ter­richts­stun­den pro Wo­che. Im Ar­beits­ver­trag war ein Ver­weis auf § 44 Nr. 4 Ta­rif­ver­trag für den öffent­li­chen Dienst der Länder (TV-L) ent­hal­ten, und gemäß die­ser ta­rif­li­chen Vor­schrift en­de­te das Ar­beits­verhält­nis des Leh­rers we­gen Er­rei­chens der Re­gel­al­ters­gren­ze am 31.01.2015.

We­ni­ge Ta­ge vor sei­nem ren­ten­be­ding­ten Aus­schei­den, nämlich am 20.01.2015, ver­ein­bar­te der Leh­rer mit der Schul­behörde, dass sein Ar­beits­verhält­nis erst ein hal­bes Jahr später en­den soll­te, nämlich zum 31.07.2015 und da­mit zum En­de des Schul­jah­res.

Mit Schrei­ben vom 03.02.2015 erhöhte die Schul­lei­tung die Un­ter­richts­stun­den für die Zeit von An­fang Fe­bru­ar bis En­de Ju­li 2015 (wi­der­ruf­lich) um vier St­un­den pro Wo­che. An­fang März 2015 gab es dann ei­ne of­fi­zi­el­le ver­trag­li­che Erhöhung der Un­ter­richts­stun­den von 23 auf 25,5 St­un­den.

Als der Leh­rer dann En­de Ju­li 2015 endgültig in Ren­te ge­hen soll­te, moch­te er sich da­mit nicht ab­fin­den und er­hob Ent­fris­tungs­kla­ge vor dem Ar­beits­ge­richt Göttin­gen. Das Ar­beits­ge­richt wies sei­ne Kla­ge ab (Ur­teil vom 13.01.2016, 3 Ca 395/15 Ö), eben­so wie das für die Be­ru­fung zuständi­ge LAG Nie­der­sach­sen (Ur­teil vom 29.11.2016, 10 Sa 218/16).

BAG: Die be­fris­te­te Verlänge­rung des Ar­beits­verhält­nis­ses über das Ren­ten­ein­tritts­al­ters hin­aus auf der Grund­la­ge von § 41 Satz 3 SGB VI ist recht­lich zulässig

Wie be­reits der EuGH vor ei­nem hal­ben Jahr hat­te auch das BAG im Er­geb­nis nichts an der ge­setz­li­chen Be­fris­tungs- bzw. Verlänge­rungsmöglich­keit des § 41 Satz 3 SGB VI aus­zu­set­zen. In der der­zeit al­lein vor­lie­gen­den BAG-Pres­se­mel­dung heißt es zur Be­gründung:

Die Re­ge­lung in § 41 Satz 3 SGB VI ist mit höher­ran­gi­gem Recht ver­ein­bar, d.h. so­wohl mit den ver­fas­sungs­recht­li­chen Vor­ga­ben des Grund­ge­set­zes (GG) als auch mit dem Eu­ro­pa­recht, wie der EuGH ja be­reits mit Ur­teil vom 28.02.2018, C-46/17 (John) ent­schie­den hat­te.

Da­bei lässt das BAG die Fra­ge aus­drück­lich of­fen, ob ei­ne be­fris­te­te Ver­trags­verlänge­rung auf der Grund­la­ge von § 41 Satz 3 SGB VI vor­aus­setzt, dass nur der Be­en­di­gungs­zeit­punkt des Ar­beits­verhält­nis­ses geändert wird (so dass die übri­gen Ver­trags­be­din­gun­gen un­verändert blei­ben) oder ob bei­des mit ei­ner ein­zi­gen Ver­ein­ba­rung ge­re­gelt wer­den kann. Denn im Streit­fall kam es dar­auf letzt­lich nicht an, weil die Erhöhung der wöchent­li­chen Un­ter­richts­stun­den des Klägers erst An­fang März 2015 und da­mit et­wa sechs Wo­chen nach der Verlänge­rungs­ver­ein­ba­rung (20.01.2015) ver­ein­bart wor­den war.

Fa­zit: Die Vor­schrift des § 41 Satz 3 SGB VI ist nicht so ganz un­wich­tig wie in den ver­gan­gen Jah­ren oft be­haup­tet wur­de. Denn an­ge­sichts des Fach­kräfte- und Nach­wuchs­man­gels ge­ra­de im öffent­li­chen Dienst, des­sen Ar­beit­neh­mer prak­ti­sche aus­nahms­los auf der Grund­la­ge von ta­rif­li­chen Ren­ten­al­ter­sklau­seln mit dem Ren­ten­ein­tritts­al­ter in den Ru­he­stand ver­ab­schie­det wer­den, wer­den Verlänge­rungs­ab­re­den in Zu­kunft vor­aus­sicht­lich im­mer öfter ver­ein­bart wer­den.

Für die um­wor­be­nen "Ren­ten­muf­fel" gibt es hier ver­trag­li­che Ge­stal­tungs­spielräume, an­ge­fan­gen von der Dau­er der Verlänge­rung über die ma­te­ri­el­len Ver­trags­kon­di­tio­nen (Ar­beits­zeit, Be­zah­lung) bis hin zu der Fra­ge, ob das verlänger­te Ar­beits­verhält­nis vor­zei­tig künd­bar sein soll (ent­we­der nur durch den Ar­beit­neh­mer oder ggf. auch durch den Ar­beit­ge­ber).

Aus Ar­beit­ge­ber­sicht gilt es da­ge­gen, for­mal­ju­ris­ti­sche Fall­stri­cke zu ver­mei­den, um kei­ne un­erwünsch­ten Dau­er­ar­beits­verhält­nis­se mit Ar­beit­neh­mern im Ren­ten­al­ter zu be­gründen. Da­bei soll­te der Hin­weis des BAG ernst­ge­nom­men wer­den, dass die Ver­bin­dung von Verlänge­rungs­ver­ein­ba­rung mit in­halt­li­chen Ver­tragsände­run­gen mögli­cher­wei­se zur Un­wirk­sam­keit der Be­fris­tungs­ab­re­de führt.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 9. Oktober 2020

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de

Bewertung:

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 

Für Personaler, betriebliche Arbeitnehmervertretungen und andere Arbeitsrechtsprofis: "Update Arbeitsrecht" bringt Sie regelmäßig auf den neusten Stand der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung. Informationen zu den Abo-Bedingungen und ein kostenloses Ansichtsexemplar finden Sie hier:

Alle vierzehn Tage alles Wichtige
verständlich / aktuell / praxisnah

HINWEIS: Sämtliche Texte dieser Internetpräsenz mit Ausnahme der Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen sind urheberrechtlich geschützt. Urheber im Sinne des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Martin Hensche, Lützowstraße 32, 10785 Berlin.

Wörtliche oder sinngemäße Zitate sind nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Urhebers bzw. bei ausdrücklichem Hinweis auf die fremde Urheberschaft (Quellenangabe iSv. § 63 UrhG) rechtlich zulässig. Verstöße hiergegen werden gerichtlich verfolgt.

© 1997 - 2024:
Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Berlin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Lützowstraße 32, 10785 Berlin
Telefon: 030 - 26 39 62 0
Telefax: 030 - 26 39 62 499
E-mail: hensche@hensche.de