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LAG Schles­wig-Hol­stein, Ur­teil vom 24.01.2017, 3 Sa 244/16

   
Schlagworte: Kündigung - fristlos, Kündigung - verhaltensbedingt, Beleidigung
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein
Aktenzeichen: 3 Sa 244/16
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 24.01.2017
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Neumünster, Urteil vom 11.08.2016, 2 Ca 244 c/16
   

Lan­des­ar­beits­ge­richt Schles­wig-Hol­stein
Ak­ten­zei­chen: 3 Sa 244/16
2 Ca 244 c/16 ArbG Ne­umüns­ter
(Bit­te bei al­len Schrei­ben an­ge­ben!)

Verkündet am 24.01.2017

Gez. ...
als Ur­kunds­be­am­tin der Geschäfts­stel­le

Ur­teil

Im Na­men des Vol­kes

In dem Rechts­streit
pp.

hat die 3. Kam­mer des Lan­des­ar­beits­ge­richts Schles­wig-Hol­stein auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 24.01.2017 durch die Vi­ze­präsi­den­tin des Lan­des­ar­beits­ge­richts ... als Vor­sit­zen­de und d. eh­ren­amt­li­chen Rich­ter ... als Bei­sit­zer und d. eh­ren­amt­li­chen Rich­ter ... als Bei­sit­zer

für Recht er­kannt

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Die Be­ru­fung des Klägers ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Ne­umüns­ter vom 11.08.2016 – Az. 2 Ca 244 c/16 – wird auf sei­ne Kos­ten zurück­ge­wie­sen.

Die Re­vi­si­on wird nicht zu­ge­las­sen.


Rechts­mit­tel­be­leh­rung

Ge­gen die­ses Ur­teil ist das Rechts­mit­tel der Re­vi­si­on nicht ge­ge­ben; im Übri­gen wird auf § 72 a ArbGG ver­wie­sen.

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Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten über die Wirk­sam­keit ei­ner frist­lo­sen, hilfs­wei­se frist­gemäßen Kündi­gung vom 19.02.2016 mit dem Vor­wurf der Be­lei­di­gung des Geschäftsführers und des ehe­ma­li­gen Geschäftsführers.

Der Kläger ist am ...1954 ge­bo­ren, war bei der Kündi­gung al­so 62 Jah­re alt. Er ist ver­hei­ra­tet. Seit dem 28.10.1992 ist er bei der Be­klag­ten als Ge­sel­le im Be­reich der Gas- und Was­ser­in­stal­la­ti­on in N... beschäftigt. Der Brut­to­mo­nats­ver­dienst be­trug zu­letzt durch­schnitt­lich 3.315,42 EUR.

Im Be­trieb der Be­klag­ten sind un­ter Ein­schluss des Klägers ins­ge­samt drei Ge­sel­len und die Mut­ter der Geschäftsführer als Büroan­ge­stell­te beschäftigt, außer­dem ein Aus­zu­bil­den­der. Grund­la­ge des Ar­beits­verhält­nis­ses war zu­letzt der schrift­li­che Ar­beits­ver­trag vom 31.01.2007 (Anl. K1, Bl. 6-11 d.A.).

Mit Schrei­ben vom 19.02.2016 (Anl. K3, Bl. 18 f d. A.) kündig­te die Be­klag­te das Ar­beits­verhält­nis außer­or­dent­lich frist­los so­wie vor­sorg­lich or­dent­lich und vor­sorg­lich frist­ge­recht zum nächstmögli­chen Kündi­gungs­ter­min, das ist der 30.09.2016. Der Kündi­gung liegt fol­gen­der Sach­ver­halt zu Grun­de:

Am En­de ei­nes Ar­beits­ta­ges such­te der Kläger das Büro der bei­den Geschäftsführer der Be­klag­ten auf, um zwei auf ei­ner ak­tu­el­len Bau­stel­le auf­ge­tauch­te Fra­gen zu klären. Dort be­fand sich auch der Va­ter der bei­den, der ehe­ma­li­ge (Se­ni­or)-Geschäftsführer H... B.. Da der Geschäftsführer F... B. te­le­fo­nier­te, wand­te sich der Kläger an den Va­ter. Er frag­te ihn, wie er ei­ne Steu­er­lei­tung (Pneu­ma­sch­lauch) verlängern könne, da sich die Pum­pe und der da­zu­gehöri­ge Schalt­schrank nicht in ei­nem Raum be­fan­den und Ori­gi­nal­tei­le nicht vor­han­den wa­ren. Der Se­ni­or ver­wies ihn - mit wel­cher Ton­la­ge auch im­mer - zunächst u.a. an vor­han­de­ne Tei­le. Ob er auch ge­sagt hat, zur Not sol­le sich der Kläger was „schnit­zen“, ist strei­tig. Un­strei­tig gab er dem Kläger im Ver­lau­fe des Gesprächs aber auch Recht, dass er vor ei­nem ob­jek­tiv be­ste­hen­den, vom Lie­fe­ran­ten un­gelösten Pro­blem ste­he. Auf die wei­te­re Fra­ge des Klägers, wie er den Schwim­mer der Pum­pe bes­ser ge­gen „Ab­sturz“ si­chern könne,

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ant­wor­te­te der ehe­ma­li­ge Geschäftsführer, dass die­ser doch als ehe­ma­li­ger See­mann ver­schie­de­ne Kno­ten könne. Das emp­fand der Kläger als sar­kas­ti­sche Pro­vo­ka­ti­on, weil s. E. ein Kno­ten in ei­nem Stahl­seil nicht hält und er die An­spie­lung auf die See­mannstätig­keit un­pas­send fand. Der wei­te­re Ver­lauf ist strei­tig. Der Kläger sah das Gespräch dann man­gels sach­lich zu­tref­fen­der Lösungsmöglich­keit als be­en­det an. Als er grußlos und mit nicht näher be­zeich­ne­ten Wor­ten den Raum ver­las­sen woll­te, kom­men­tier­te der eben­falls an­we­sen­de Geschäftsführer F... B. das Gan­ze noch hörbar für den Kläger sinn­gemäß als „Kin­der­kram/ Sind wir hier im Kin­der­gar­ten?“

Am Mor­gen des 16.02.2016 be­trat der Kläger das Büro. So­wohl er als auch die an­we­sen­den Geschäftsführer wa­ren an­ge­spannt und ge­reizt. Der Kläger brach­te zum Aus­druck, dass von ihm das Gespräch vom Vor­tag kei­nes­wegs als „Kin­der­kram“ ver­stan­den wer­de. Der Kläger be­schwer­te sich auch über ei­ne Ab­mah­nung vom 16.11.2015 aus An­lass ei­ner von ihm ver­lang­ten, aber ver­wei­ger­ten Nach­schu­lung (Bl. 24 d. A.). Dann kam es zu ei­nem Wort­ge­fecht. Der Ver­lauf ist strei­tig. Der Kläger äußer­te un­strei­tig nach ei­ge­nem Vor­brin­gen min­des­tens auch, dass F.... B. ger­ne den Chef raushängen las­se und dass sein Va­ter sich am Vor­tag ihm ge­genüber wie ein „Arsch“ ver­hal­ten hätte. Der Geschäftsführer F... B. sei auf dem bes­ten We­ge, sei­nem Va­ter den Rang ab­zu­lau­fen (Kläger-Schrift­satz vom 04.04.2016 - Bl. 34 d. A.). Des Wei­te­ren sag­te der Kläger min­des­tens: „Dann kündigt mich doch“ (Bl. 52 d.A.), wor­auf der GF F... B... er­wi­der­te: „Da­mit wir dann als so­zia­le Arschlöcher da­ste­hen“. Er erwähn­te auch ei­ne zurück­lie­gen­de Tätig­keit des Klägers als „Ta­xi­fah­rer“. Der Kläger er­wi­der­te un­strei­tig, dass die Fir­ma dies be­reits so­wie­so schon sei (Bl. 34 d. A.). Dar­auf be­en­de­te der Geschäftsführer das Gespräch. Der Kläger nahm die Ar­beit auf und wur­de abends te­le­fo­nisch zum Ab­bau von Ar­beits­zeit­gut­ha­ben für drei Ta­ge frei­ge­stellt. An­sch­ließend wur­de ihm bis zum 24.2.2016 Ur­laub gewährt.
Die Be­klag­te be­trach­te­te die Äußerun­gen des Klägers ins­be­son­de­re vom 16.02.2016 als Be­lei­di­gung. Die Geschäftsführer war­te­ten noch drei Ta­ge ab, ob der Kläger sich ent­schul­di­gend an sie her­an­tre­te, was nicht ge­schah. Sch­ließlich sprach die Be­klag­te mit Schrei­ben vom 19.02.2016, zu­ge­gan­gen am 23.02.2016, die streit­be­fan­ge­ne frist­lo­se, hilfs­wei­se frist­gemäße Kündi­gung aus (An­la­ge K 3, Bl. 18 f. d. A.), ge­gen

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die der Kläger am 24.02.2016 Kla­ge er­hob. Den Ver­such ei­ner Ent­schul­di­gung un­ter­nahm der Kläger erst­mals nach ein­dring­li­chem An­ra­ten des Ar­beits­ge­richts im Kam­mer­ter­min am 11.08.2016 im Rah­men ei­ner Un­ter­bre­chung der Ver­hand­lung.

Der Kläger hat stets die An­sicht ver­tre­ten, er sei vom Se­nior­geschäftsführer der Be­klag­ten zu den Äußerun­gen pro­vo­ziert wor­den. Am Fol­ge­tag, dem 16.02.2016 ha­be er sich auch auf­grund der Äußerun­gen des Vor­ta­ges in die Ecke ge­drängt gefühlt, wes­we­gen in ihm die Emo­tio­nen hoch­ge­kocht sei­en. Die Äußerung sei ein Au­gen­blicks­ver­sa­gen, und ihm hätten die Wor­te, nach­dem er sie aus­ge­spro­chen hätte, so­fort leid­ge­tan. Das Gespräch sei wei­ter es­ka­liert. Das sei aber nicht ihm an­zu­las­ten.

Die Äußerun­gen, die ihm vor­ge­hal­ten wer­den, sei­en aus ei­nem Af­fekt her­aus getätigt wor­den, ver­ur­sacht durch Pro­vo­ka­tio­nen der ak­tu­el­len wie des ehe­ma­li­gen Geschäftsführers der Be­klag­ten. Es lie­ge in­so­weit auch kei­ne schwer­wie­gen­de Be­lei­di­gung vor, son­dern nur ei­ne noch von der Mei­nungs­frei­heit ge­deck­te Mei­nungsäußerung zum Ver­hal­ten der Fir­ma ge­genüber ih­rem langjähri­gen Mit­ar­bei­ter. Auch die Tat­sa­che, dass er, der Kläger, nach die­ser Dis­kus­si­on noch sei­ner Ar­beit ha­be nach­ge­hen können und nicht um­ge­hend frei­ge­stellt wor­den sei, ma­che deut­lich, dass es der Be­klag­ten zu­mut­bar sei, ihn, den Kläger, wei­ter zu beschäfti­gen.

Die Be­klag­te hat stets vor­ge­tra­gen, sie ha­be den Kläger nicht pro­vo­ziert. Bei­de Geschäftsführer hätten dem Kläger am 16.02.2016 deut­lich ge­macht, dass sie das vom Kläger am Vor­tag dem Va­ter ge­genüber an den Tag ge­leg­te Ver­hal­ten nicht ak­zep­tie­ren würden. Dar­auf­hin sei der Kläger sehr un­ver­mit­telt mas­siv ausfällig ge­wor­den. Ein Au­gen­blicks­ver­sa­gen sei schon des­halb nicht ge­ge­ben, weil ei­ne mehrstündi­ge Un­ter­bre­chung zwi­schen der an­geb­li­chen Pro­vo­ka­ti­on vom 15.02.2016 und den Be­lei­di­gun­gen am Fol­ge­tag läge. Die Wort­wahl des Klägers stel­le ei­ne dras­ti­sche persönli­che Be­lei­di­gung so­wohl ei­nes der Geschäftsführer wie auch des­sen Va­ters dar und sei vom Recht auf freie Mei­nungsäußerung nicht ge­deckt; der Kläger ha­be durch sein Ver­hal­ten das Ver­trau­ens­verhält­nis nach­hal­tig zerstört.

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Das Ar­beits­ge­richt hat mit Ur­teil vom 11.08.2016 die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Hin­sicht­lich der Ein­zel­hei­ten wird auf Tat­be­stand, Anträge und Ent­schei­dungs­gründe des Ur­teils ver­wie­sen.

Ge­gen die­se dem Kläger am 22.08.2016 zu­ge­stell­te Ent­schei­dung hat er am 16.09.2016 Be­ru­fung ein­ge­legt, die nach Frist­verlänge­rung bis zum 24.11.2016 am 03.11.2016 be­gründet wur­de.

Der Kläger ergänzt und ver­tieft im We­sent­li­chen sein erst­in­stanz­li­ches Vor­brin­gen.

Der Kläger be­an­tragt,

un­ter Abände­rung des am 11.08.2016 verkünde­ten Ur­teils des Ar­beits­ge­richts Ne­umüns­ter, Ak­ten­zei­chen 2 Ca 244 c/16,

1. fest­zu­stel­len, dass das Ar­beits­verhält­nis zwi­schen den Par­tei­en durch die außer­or­dent­li­che, frist­lo­se Kündi­gung der Be­klag­ten vom 19.02.2016 nicht auf­gelöst wor­den ist;

2. fest­zu­stel­len, dass das Ar­beits­verhält­nis zwi­schen den Par­tei­en auch nicht durch die hilfs­wei­se or­dent­li­che, frist­ge­rech­te Kündi­gung der Be­klag­ten vom 19.02.2016 auf­gelöst wer­den wird;

3. die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, den Kläger über den 19.02.2016 hin­aus bis zum rechts­kräfti­gen Ab­schluss des Rechts­streits zu un­veränder­ten Be­din­gun­gen als Ge­sel­le „Gas- und Was­ser­in­stal­la­teur“ in N... wei­ter­zu­beschäfti­gen.

Die Be­klag­te be­an­tragt,

die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen.

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Sie hält das an­ge­foch­te­ne Ur­teil so­wohl in tatsäch­li­cher als auch in recht­li­cher Hin­sicht für zu­tref­fend.

Hin­sicht­lich des wei­te­ren Vor­brin­gens wird auf den münd­lich vor­ge­tra­ge­nen In­halt der ge­wech­sel­ten Schriftsätze nebst An­la­gen so­wie die Pro­to­kol­le ver­wie­sen.

Ent­schei­dungs­gründe

Die Be­ru­fung ist zulässig. Sie ist form- und frist­ge­recht ein­ge­legt und in­ner­halb der verlänger­ten Be­ru­fungs­be­gründungs­frist auch be­gründet wor­den. In der Sa­che konn­te sie je­doch kei­nen Er­folg ha­ben.

Mit ausführ­li­cher, über­zeu­gen­der Be­gründung hat das Ar­beits­ge­richt die Kündi­gungs­schutz­kla­ge ab­ge­wie­sen und da­bei ins­be­son­de­re dar­auf ab­ge­stellt, dass der Kläger den Geschäftsführer F... B... und des­sen Va­ter, den ehe­ma­li­gen Geschäftsführer H... B..., oh­ne Vor­han­den­sein ei­ner Af­fekt­si­tua­ti­on nach­hal­tig be­lei­digt hat, oh­ne sich hierfür auf­rich­tig ent­schul­di­gen zu wol­len. Vor die­sem Hin­ter­grund sei der Be­klag­ten ei­ne Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses nicht zu­zu­mu­ten. Dem folgt das Be­ru­fungs­ge­richt. Zur Ver­mei­dung überflüssi­ger Wie­der­ho­lun­gen wird auf die Ent­schei­dungs­gründe des an­ge­foch­te­nen Ur­teils ver­wie­sen (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Le­dig­lich ergänzend und auf den neu­en Vor­trag der Par­tei­en ein­ge­hend, wird Fol­gen­des aus­geführt:

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Ar­beits­verhält­nis aus wich­ti­gem Grund oh­ne Ein­hal­tung ei­ner Kündi­gungs­frist gekündigt wer­den, wenn Tat­sa­chen vor­lie­gen, auf­grund de­rer dem Kündi­gen­den un­ter Berück­sich­ti­gung al­ler Umstände des Ein­zel­fal­les und un­ter Abwägung der In­ter­es­sen bei­der Ver­trags­tei­le die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses bis zum Ab­lauf der Kündi­gungs­frist nicht zu­ge­mu­tet wer­den kann. Die er­for­der­li­che Über­prüfung, ob ein ge­ge­be­ner Le­bens­sach­ver­halt ei­nen wich­ti­gen Grund dar­stellt, voll­zieht sich zwei­stu­fig: Im Rah­men von § 626 Abs. 1 BGB ist zunächst zu prüfen, ob ein be­stimm­ter Sach­ver­halt oh­ne die be­son­de­ren Umstände des Ein­zel­falls als wich­ti­ger Kündi­gungs­grund an sich ge­eig­net ist. Liegt ein sol­cher

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Sach­ver­halt vor, be­darf es der wei­te­ren Prüfung, ob die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses un­ter Berück­sich­ti­gung der kon­kre­ten Umstände des Ein­zel­falls und un­ter Abwägung der In­ter­es­sen bei­der Ver­trags­tei­le zu­mut­bar ist oder nicht (vgl. nur BAG vom 23.06.2009 – 2 AZR 103/08 - zi­tiert nach Ju­ris Rz. 18 m.w.N.; BAG vom 10.06.2010 – 2 AZR 541/09 – zi­tiert nach Ju­ris Rz. 16 m.w.N.).

2. Bei der Prüfung des wich­ti­gen Grun­des kommt es nicht dar­auf an, wie ein be­stimm­tes Ver­hal­ten straf­recht­lich zu würdi­gen ist, son­dern dar­auf, ob der Ge­samt­sach­ver­halt die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses un­zu­mut­bar macht. Zweck ei­ner Kündi­gung we­gen ei­ner Ver­trags­ver­let­zung darf re­gelmäßig nicht die Sank­ti­on ei­ner Ver­trags­ver­let­zung sein. Die Kündi­gung dient der Ver­mei­dung des Ri­si­kos wei­te­rer Ver­trags­ver­let­zun­gen. Das ist un­ter dem Ge­sichts­punkt der ne­ga­ti­ven Zu­kunfts­pro­gno­se zu be­trach­ten. Die Dar­le­gungs- und Be­weis­last für das Vor­lie­gen ei­nes Kündi­gungs­grun­des trägt der Ar­beit­ge­ber (BAG a.a.O.).

3. Vor die­sem recht­li­chen Hin­ter­grund ist die außer­or­dent­li­che, frist­lo­se Kündi­gung der Be­klag­ten vom 19.02.2016 wirk­sam. Die ge­genüber dem Kläger er­ho­be­nen Vorwürfe recht­fer­ti­gen ei­ne frist­lo­se Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses. Un­ter Berück­sich­ti­gung der kon­kre­ten Ein­zel­fall­si­tua­ti­on ist der Be­klag­ten als Klein­be­trieb die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses bis zum Aus­lau­fen der sie­ben­mo­na­ti­gen Kündi­gungs­frist un­zu­mut­bar.

a) Gro­be Be­lei­di­gun­gen können grundsätz­lich ei­ne frist­lo­se Kündi­gung recht­fer­ti­gen. Da­bei ist die straf­recht­li­che Be­ur­tei­lung kündi­gungs­recht­lich nicht aus­schlag­ge­bend. Was als gro­be Be­lei­di­gung an­zu­se­hen ist, muss un­ter Berück­sich­ti­gung der Umstände des Ein­zel­fal­les ent­schie­den wer­den. Zu berück­sich­ti­gen ist hier­bei, ob und in­wie­weit die Aus­ein­an­der­set­zung vom Ar­beit­ge­ber mit­ver­ur­sacht wur­de. Von Be­deu­tung sind wei­ter­hin der be­trieb­li­che bzw. der bran­chenübli­che Um­gangs­ton und die Gesprächs­si­tua­ti­on. Bei Vor­lie­gen ei­ner gro­ben Be­lei­di­gung des Ar­beit­ge­bers und/oder sei­ner Ver­tre­ter oder Re­präsen­tan­ten, die nach Form und In­halt ei­ne er­heb­li­che Ehr­ver­let­zung für den bzw. die Be­trof­fe­nen be­deu­ten, kann sich der Ar­beit­neh­mer nicht er­folg­reich auf sein Recht auf freie Mei­nungsäußerung nach Ar­ti­kel 5 Abs. 1 GG

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be­ru­fen (BAG vom 10.10.2002 – 2 AZR 418/01 – zi­tiert nach Ju­ris Leit­satz 1 m.w.N.; LAG Rhein­land-Pfalz vom 18.05.2016 – 4 Sa 350/15 – Rz. 31 f).

b) Maßgeb­lich ab­zu­stel­len ist auf das Gespräch am Mor­gen des 16.02.2016. Es kann da­hin­ge­stellt blei­ben, ob der Kläger den Geschäftsführer F... B. und des­sen Va­ter H... B. wortwört­lich als „große Arschlöcher“ be­zeich­net hat. Denn un­strei­tig hat der Kläger min­des­tens ge­sagt, dass der Va­ter des Geschäftsführers F... B. sich ihm ge­genüber „wie ein Arsch“ ver­hal­ten hätte und dass der Geschäftsführer F... B. auf dem bes­ten We­ge sei, sei­nem Va­ter den Rang ab­zu­lau­fen. Das war nach der Über­zeu­gung der Kam­mer ein Fron­tal­an­griff auf den Geschäftsführer F... B. und des­sen Va­ter. Des Wei­te­ren hat der Kläger un­strei­tig auf den Satz des Geschäftsführers F... B. „Da­mit wir dann als so­zia­le Arschlöcher da­ste­hen“ er­wi­dert, dass die Fir­ma dies be­reits so­wie­so schon sei. Die­se Äußerun­gen stel­len ei­ne ge­ziel­te ehr­ver­let­zen­de, durch nichts ge­recht­fer­tig­te Be­schimp­fung der Geschäftsführer und de­ren Va­ter, dem ehe­ma­li­gen Geschäftsführer, dar. Ei­ne ca. 10 Jah­re zurück­lie­gen­de nicht auf­recht­er­hal­te­ne be­triebs­be­ding­te Kündi­gung recht­fer­tigt ei­ne der­ar­ti­ge Äußerung nicht, wie der Kläger meint. Eben­so we­nig rund acht Jah­re zurück­lie­gen­de Verände­run­gen des Ar­beits­ver­tra­ges zum Nach­teil des Klägers, ge­gen die er sich, wie er in der Be­ru­fungs­ver­hand­lung ein­geräumt hat, noch nicht ein­mal ge­wehrt hat.

Das Gespräch am Abend des 15.02.2016 mit dem ehe­ma­li­gen Geschäftsführer H... B. über ei­ne Verlänge­rung der Steu­er­lei­tung so­wie ei­ne Si­che­rung des Schwim­mers ist eben­falls nicht ge­eig­net, die o. g. Äußerun­gen des Klägers ab­zu­mil­dern. Die Kam­mer ver­mag schon in den Ant­wor­ten des ehe­ma­li­gen Geschäftsführers H... B. kei­ne Pro­vo­ka­ti­on zu er­ken­nen, selbst wenn sie ggf. teil­wei­se in ei­nem süffi­san­ten Ton­fall er­folgt sein soll­ten. Auch der Hin­weis auf die ehe­ma­li­ge See­mannstätig­keit des Klägers bleibt noch im Rah­men der Sach­lich­keit. Glei­ches gilt für die vom Geschäftsführer F... B. erwähn­te For­mu­lie­rung „Kin­der­kram/Sind wir im Kin­der­gar­ten?“, als der Kläger grußlos und mit nicht näher be­zeich­ne­ten Wor­ten den Raum ver­las­sen woll­te.

Auch die am 16.02.2016 er­folg­te Erwähnung der zurück­lie­gen­den Tätig­keit des Klägers als „Ta­xi­fah­rer“ stellt kei­ne Pro­vo­ka­ti­on dar, die die ver­ba­le und ehr­ver­let­zen­de

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Ent­glei­sung des Klägers auch nur an­satz­wei­se recht­fer­ti­gen könn­te. Die Kam­mer ist viel­mehr da­von über­zeugt, dass sich der Kläger an die­sen Wor­ten aufhängt, um sei­ne Ent­glei­sung und sein un­kon­trol­lier­tes Ver­hal­ten nachträglich in ei­nem bes­se­ren Licht er­schei­nen zu las­sen.

Von be­son­de­rem Ge­wicht ist vor­lie­gend auch, dass na­he­zu 16 St­un­den zwi­schen der vom Kläger be­haup­te­ten Pro­vo­ka­ti­on durch den ehe­ma­li­gen Geschäftsführer H... B. und den ehr­ver­let­zen­den wie­der­hol­ten Be­lei­di­gun­gen der Geschäftsführer und ih­res Va­ters lie­gen. Wie das Ar­beits­ge­richt zu­tref­fend fest­ge­stellt hat, sind die Äußerun­gen ge­ra­de nicht un­mit­tel­bar aus ei­ner Af­fekt­si­tua­ti­on nach ei­ner – strei­ti­gen - Pro­vo­ka­ti­on er­folgt. Viel­mehr hat­te der Kläger ei­nen gan­zen Abend und ei­ne gan­ze Nacht Zeit, sich zu be­ru­hi­gen und auf sach­li­cher Ebe­ne das zu for­mu­lie­ren, was ihn an der Gesprächsführung des Vor­abends gestört hat. Das hat er je­doch ge­ra­de nicht ge­tan, viel­mehr die Geschäftsführer erst St­un­den später nach der be­haup­te­ten Pro­vo­ka­ti­on als „so­zia­le Arschlöcher“ be­zeich­net. An­ge­sichts des­sen be­steht kein Raum, für ei­ne er­folg­rei­che Be­ru­fung auf das Recht auf freie Mei­nungsäußerung nach Ar­ti­kel 5 Abs. 1 GG.

c) Die streit­be­fan­ge­ne frist­lo­se Kündi­gung er­weist sich – ent­ge­gen der An­sicht des Klägers – nicht we­gen Feh­lens ei­ner vor­he­ri­gen Ab­mah­nung als un­wirk­sam. Im Hin­blick auf die Schwe­re der Pflicht­ver­let­zung be­durf­te es ei­ner sol­chen Ab­mah­nung des Klägers nicht. Das Ver­hal­ten des Klägers zeigt nach der Über­zeu­gung des Ge­richts ein ho­hes Ri­si­ko wei­te­rer Ver­trags­ver­let­zun­gen. Der Kläger war auch im Kam­mer­ter­min noch nicht tatsächlich ein­sichtsfähig. Er sah es über­haupt nicht ein, dass er Gren­zen über­schrit­ten hat und dass er auf die Geschäftsführer der Be­klag­ten hätte zu­ge­hen müssen. Er fühlt sich nach wie vor im Recht. Vor die­sem Hin­ter­grund sieht die Kam­mer auch nicht an­satz­wei­se An­halts­punk­te dafür, dass der Kläger sich nach ei­ner et­wai­gen Ab­mah­nung tatsächlich und nach­hal­tig ver­bal an­ders und mit der ge­bo­te­nen Wertschätzung ge­genüber den Geschäftsführern der Be­klag­ten so­wie des­sen Va­ter ver­hal­ten hätte.

d) Auch im Rah­men der ge­bo­te­nen In­ter­es­sen­abwägung ist das Ar­beits­ge­richt zu­tref­fend zu dem Er­geb­nis ge­kom­men, dass hier die außer­or­dent­li­che Kündi­gung wirk-

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sam ist. Der Be­klag­ten war selbst un­ter Berück­sich­ti­gung der mehr als 23-jähri­gen Be­triebs­zu­gehörig­keit des Klägers und sei­ner ak­tu­el­len Ren­tennähe die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses auch nur bis zum Ab­lauf der Kündi­gungs­frist nicht zu­mut­bar. In die­sem Zu­sam­men­hang ist für die Kam­mer von be­son­de­rer Be­deu­tung, dass nach wie vor ei­ne Ent­schul­di­gung des Klägers fehlt. Zu berück­sich­ti­gen ist, dass die Geschäftsführer der Be­klag­ten vor Aus­spruch der Kündi­gung drei Ta­ge ge­war­tet ha­ben, ob der Kläger ggf. auf sie zu­kommt und ver­sucht, die ver­ba­le Ent­glei­sung zu be­rei­ni­gen. Das ist nicht ge­sche­hen. Der Kläger meint auch heu­te noch, dass er das nicht hätte tun müssen. Die Kündi­gungs­frist ist mit sie­ben Mo­na­ten zum Mo­nats­en­de äußerst lang, mit der Fol­ge, dass die Geschäftsführer der Be­klag­ten eben­so wie de­ren Va­ter und de­ren im Be­trieb täti­ge Mut­ter täglich mit dem Nach­hall, „so­zia­le Arschlöcher zu sein“, und mit der Un­ein­sich­tig­keit des Klägers kon­fron­tiert ge­we­sen wären. Zu berück­sich­ti­gen war fer­ner, dass es sich um ei­nen klei­nen Fa­mi­li­en­be­trieb han­delt, in dem sich die agie­ren­den Per­so­nen nicht aus­wei­chen können und in dem man viel mehr emo­tio­na­le Nähe hat, als in ei­nem Großbe­trieb. Die ho­he und nach­hal­ti­ge Be­trof­fen­heit der vier im Be­trieb ar­bei­ten­den Mit­glie­der der Geschäftsführ­er­fa­mi­lie wur­de durch die in je­der Hin­sicht sach­li­chen Schil­de­run­gen der bei­den Geschäftsführer in der Be­ru­fungs­ver­hand­lung ganz be­son­ders deut­lich. Sie fühlen sich und ih­re Be­triebs­phi­lo­so­phie im­mer noch kom­plett in Fra­ge ge­stellt und ha­ben jeg­li­ches Ver­trau­en in den Kläger und ein ge­deih­li­ches Mit­ein­an­der ver­lo­ren. Ob­gleich der Kläger bei Aus­spruch der Kündi­gung be­reits 62 Jah­re alt war und be­reits 23 1/2 Jah­re lang in ei­nem Beschäfti­gungs­verhält­nis zur Be­klag­ten stand, war un­ter Abwägung al­ler o. g. Fak­to­ren es der Be­klag­ten nicht zu­mut­bar, das Ar­beits­verhält­nis auch nur bis zum Ab­lauf der or­dent­li­chen Kündi­gungs­frist von sie­ben Mo­na­ten zum Mo­nats­en­de fort­zu­set­zen.

4. Nach al­le­dem war der Kündi­gungs­schutz­an­trag un­be­gründet. Die Kündi­gung der Be­klag­ten vom 19.02.2016 hat das Ar­beits­verhält­nis außer­or­dent­lich frist­los be­en­det. Die Kla­ge ist zu Recht ab­ge­wie­sen wor­den, so dass die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen war.

Die Kos­ten­ent­schei­dung folgt aus § 97 ZPO.

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Die Vor­aus­set­zun­gen des § 72 Abs. 2 ArbGG lie­gen nicht vor, so dass die Re­vi­si­on nicht zu­zu­las­sen war. Vor­lie­gend han­delt es sich aus­sch­ließlich um ei­ne Ein­zel­fall­ent­schei­dung.

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