HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

ARBEITSRECHT AKTUELL // 12/356

Be­fra­gung des Stel­len­be­wer­bers zu Er­mitt­lungs­ver­fah­ren

Die all­ge­mei­ne Fra­ge an ei­nen Stel­len­be­wer­ber, ob ge­gen ihn in den ver­gan­ge­nen Jah­ren Er­mitt­lungs­ver­fah­ren der Staats­an­walt­schaft ge­führt wur­den, ist un­zu­läs­sig: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 15.11.2012, 6 AZR 339/11
Führt im­mer wie­der zu Streit: Die Aus­kunfts­pflich­ten des Be­wer­bers

15.11.2012. Ar­beit­ge­ber ver­su­chen mit gu­ten Grün­den, in ei­nem Be­wer­bungs­ge­spräch oder mit Hil­fe von Be­wer­ber­fra­ge­bö­gen her­aus­zu­fin­den, ob ein Stel­len­be­wer­ber für die Stel­le ge­eig­net ist oder nicht. Und na­tür­lich möch­te man mit "schwar­zen Scha­fen" kei­nen Ar­beits­ver­trag ab­schlie­ßen.

Be­wer­ber mit Vor­stra­fen ha­ben es da­her schwer, ei­ne Stel­le zu be­kom­men. Und da vie­le Be­stra­fun­gen mit der Zu­ver­läs­sig­keit des Be­wer­bers für ei­ne be­stimm­te Stel­le nichts zu tun ha­ben, darf der Ar­beit­ge­ber nur nach "ein­schlä­gi­gen" Vor­stra­fen fra­gen: Ein Kraft­fah­rer darf zu Stra­ßen­ver­kehrs­de­lik­ten be­fragt wer­den, ein Buch­hal­ter zu Ver­mö­gens­de­lik­ten usw.

Die­se Be­schrän­kun­gen der Aus­kunfts­pflicht von Stel­len­be­wer­bern gel­ten na­tür­lich auch für die Fra­ge, ob in der Ver­gan­gen­heit Er­mitt­lungs­ver­fah­ren ge­gen den Be­wer­ber ge­führt wor­den sind. Denn dass die Po­li­zei oder die Staats­an­walt­schaft ein Er­mitt­lungs­ver­fah­ren ge­führt hat, be­sagt für sich ge­nom­men gar nichts, denn sol­che Ver­fah­ren müs­sen auf­grund je­der noch so un­sin­ni­gen Straf­an­zei­ge ge­führt wer­den - und wer­den da­her oft er­geb­nis­los ein­ge­stellt.

Der Ar­beit­ge­ber soll­te es sich da­her im All­ge­mei­nen ver­knei­fen, Be­wer­ber nach Er­mitt­lungs­ver­fah­ren zu be­fra­gen, wie ein heu­te er­gan­ge­nes Ur­teil des Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) zeigt: BAG, Ur­teil vom 15.11.2012, 6 AZR 339/11.

Müssen Be­wer­ber Fra­gen zu Er­mitt­lungs­ver­fah­ren be­ant­wor­ten, die in der Ver­gan­gen­heit ein­mal ge­gen sie geführt wur­den?

Im Be­wer­bungs­ver­fah­ren und bei ei­nem Vor­stel­lungs­gespräch müssen Be­wer­ber nur zulässi­ge Fra­gen des Ar­beit­ge­bers wahr­heits­gemäß be­ant­wor­ten. Bei un­zulässi­gen Fra­gen ha­ben Be­wer­ber „Recht zur Lüge“, denn das bloße Nicht-Be­ant­wor­ten ei­ner un­zulässi­gen Fra­ge hätte den­sel­ben ne­ga­ti­ven Ef­fekt wie ei­ne rich­ti­ge Ant­wort.

Fragt der Ar­beit­ge­ber nach Vor­stra­fen, muss er da­her ge­zielt nach den Stra­fen fra­gen, auf die es bei der zu be­set­zen­den Stel­le an­kommt. So darf der Ar­beit­ge­ber z.B. ei­nen Be­wer­ber, der sich als Kas­sie­rer be­wirbt, nach Ver­ur­tei­lun­gen we­gen Dieb­stahls, Un­ter­schla­gung oder Be­trugs fra­gen. Und bei Tätig­kei­ten, bei de­nen der Be­wer­ber Kon­takt zu Kin­dern und Ju­gend­li­chen hat, ist die Fra­ge nach Stra­fen we­gen Se­xu­al­de­lik­ten und Körper­ver­let­zungs­de­lik­ten zulässig.

Und es gibt ei­ne wei­te­re Ein­schränkung: Vorgänge, die nicht im Führungs­zeug­nis ste­hen, muss der Ar­beit­neh­mer auch dann nicht an­ge­ge­ben, wenn sie ein­schlägi­ge De­lik­te be­tref­fen: Da­her darf an­ge­hen­der Kas­sie­rer ei­ne Ver­ur­tei­lung we­gen Dieb­stahls zu 30 Ta­gessätzen ver­schwei­gen.

Vor die­sem Hin­ter­grund ist klar, dass auch Fra­gen nach lau­fen­den oder in der Ver­gan­gen­heit ein­mal geführ­ten Er­mitt­lungs­ver­fah­ren der Staats­an­walt­schaft nur in en­gen Gren­zen zulässig sind. Ers­tens dürfen über­haupt nur Be­wer­ber auf Stel­len in "si­cher­heits­re­le­van­ten" oder pädago­gi­schen Be­rei­chen nach Er­mitt­lungs­ver­fah­ren be­fragt wer­den, und das auch nur mit der wei­te­ren Ein­schränkung, dass nur nach stel­len­spe­zi­fi­schen De­lik­ten ge­fragt wer­den darf.

Ge­gen die­se Grundsätze hat­te das Land Nord­rhein-West­fa­len (NRW) gra­vie­rend ver­s­toßen.

Der Streit­fall: In­ge­nieur will als Quer­ein­stei­ger Leh­rer wer­den und ver­schweigt bei der Ein­stel­lung ver­gan­ge­ne Er­mitt­lungs­ver­fah­ren

Im Fall des BAG ging es um ei­nen In­ge­nieur, der sich im Som­mer 2009 mit En­de 40 als sog. Sei­ten­ein­stei­ger als Leh­rer an ei­ner Haupt­schu­le in Nord­rhein-West­fa­len (NRW) be­warb.

Vor sei­ner Ein­stel­lung wur­de er auf­ge­for­dert, auf ei­nem Vor­druck zu erklären, ob er vor­be­straft sei. Außer­dem soll­te er ver­si­chern, dass ge­gen ihn kein Er­mitt­lungs­ver­fah­ren der Staats­an­walt­schaft anhängig sei oder in­ner­halb der letz­ten drei Jah­re anhängig ge­we­sen sei.

Der In­ge­nieur un­ter­schrieb den Vor­druck und mach­te da­bei kei­ne An­ga­ben zu Er­mitt­lungs­ver­fah­ren. Die­se Erklärung war nicht rich­tig, denn in Wahr­heit wa­ren in den letz­ten Jah­rens ins­ge­samt fünf Er­mitt­lungs­ver­fah­ren we­gen ge­ringfügi­ger De­lik­te ge­gen ihn geführt wor­den, die al­le­samt ein­ge­stellt wor­den wa­ren.

Auf­grund sei­ner An­ga­ben wur­de der In­ge­nieur zum 15.09.2009 be­fris­tet für ein Jahr ein­ge­stellt. Im Ok­to­ber 2009 er­hielt die zuständi­ge Be­zirks­re­gie­rung ei­nen an­ony­men Hin­weis, der sie ver­an­lass­te, die Staats­an­walt­schaft um Mit­tei­lung straf­rechts­re­le­van­ter Vorfälle zu bit­ten.

Dar­auf­hin über­sand­te die Staats­an­walt­schaft ei­ne Vor­gangs­lis­te mit meh­re­ren nach §§ 153 ff. Straf­pro­zess­ord­nung (St­PO) ein­ge­stell­ten Er­mitt­lungs­ver­fah­ren. Das nahm das Land NRW als Ar­beit­ge­ber zum An­lass, das Ar­beits­verhält­nis außer­or­dent­lich und frist­los zu kündi­gen. Hilfs­wei­se für den Fall der Un­wirk­sam­keit der frist­lo­sen Kündi­gung kündig­te das Land or­dent­lich und erklärte die An­fech­tung des Ar­beits­ver­trags. Grund dafür war, dass der Ar­beit­neh­mer die Fra­ge nach Er­mitt­lungs­ver­fah­ren falsch be­ant­wor­tet ha­be.

Der In­ge­nieur klag­te ge­gen die Kündi­gun­gen und die An­fech­tung und konn­te vor dem Ar­beits­ge­richt Det­mold ei­nen Teil­er­folg ver­bu­chen, da das Ar­beits­ge­richt nur die or­dent­li­che Pro­be­zeitkündi­gung für rech­tens hielt, die frist­lo­se Kündi­gung und die An­fech­tung da­ge­gen für un­wirk­sam (Ur­teil vom 28.04.2010, 2 Ca 1577/09). Das mit der Be­ru­fung be­fass­te Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Hamm ging noch ei­nen Schritt wei­ter und erklärte auch die frist­ge­rech­te Kündi­gung für un­wirk­sam (LAG Hamm, Ur­teil vom 10.03.2011, 11 Sa 2266/10).

BAG: Die all­ge­mei­ne Fra­ge an ei­nen Stel­len­be­wer­ber, ob ge­gen ihn in den ver­gan­ge­nen Jah­ren Er­mitt­lungs­ver­fah­ren der Staats­an­walt­schaft geführt wur­den, ist un­zulässig

Auch das BAG ent­schied ge­gen das be­klag­te Land. Zur Be­gründung heißt es da­zu in der der­zeit al­lein vor­lie­gen­den Pres­se­mel­dung des BAG:

Ei­ne Er­he­bung von Da­ten, wie sie die un­spe­zi­fi­zier­te Fra­ge nach Er­mitt­lungs­ver­fah­ren dar­stellt, ist nach den da­ten­schutz­recht­li­chen Be­stim­mun­gen in Nord­rhein-West­fa­len nur zulässig,

  • wenn sie durch ei­ne Rechts­vor­schrift er­laubt ist oder
  • wenn der Be­trof­fe­ne ein­wil­ligt.

Hier lag kei­ne Er­laub­nis durch Rechts­vor­schrif­ten vor, so das BAG, denn In­for­ma­tio­nen zu ab­ge­schlos­se­nen Er­mitt­lungs­ver­fah­ren sind für die Be­wer­bung um ei­ne Stel­le als Leh­rer nicht er­for­der­lich. Da­her greift der Recht­fer­ti­gungs­grund des § 29 des Da­ten­schutz­ge­set­zes Nord­rhein-West­fa­len nicht ein. Und ein­ge­wil­ligt in die Da­ten­er­he­bung hat­te der Be­wer­ber hier im Streit­fall auch nicht.

Da­her hat­te das Land NRW mit der Be­fra­gung ge­gen da­ten­schutz­recht­li­che Ge­set­zes­vor­schrif­ten ver­s­toßen. Aber da­mit nicht ge­nug: Das BAG wirft dem Land ei­nen Ver­s­toß "ge­gen die ob­jek­ti­ve Wert­ord­nung des Grund­ge­set­zes" vor. Denn das Grund­ge­setz (GG) be­inhal­tet auch das Grund­recht auf in­for­ma­tio­nel­le Selbst­be­stim­mung, das ein Teil des all­ge­mei­nen Persönlich­keits­rechts ist und durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützt ist.

Da­her kommt das BAG zu dem Er­geb­nis, dass die strei­ti­gen Kündi­gun­gen un­wirk­sam wa­ren, weil sie "sit­ten­wid­rig" im Sin­ne von § 138 Abs. 1 Bürger­li­ches Ge­setz­buch (BGB) wa­ren.

Das gilt auch für die or­dent­li­che Kündi­gung, ob­wohl or­dent­li­che Kündi­gun­gen während der ers­ten sechs Mo­na­te im All­ge­mei­nen wirk­sam sind, weil der Ar­beit­neh­mer ja noch kei­nen Kündi­gungs­schutz hat. Denn die Ent­schei­dung, das Ar­beits­verhält­nis zu be­en­den, hat­te das Land aus­sch­ließlich auf die wahr­heits­wid­ri­ge Be­ant­wor­tung der Fra­ge nach Er­mitt­lungs­ver­fah­ren gestützt.

Fa­zit: Das BAG ist of­fen­bar "nicht amüsiert". Dass Ar­beit­ge­ber Be­wer­ber nicht oh­ne je­de sach­li­che Ein­gren­zung nach al­len mögli­chen Er­mitt­lungs­ver­fah­ren fra­gen dürfen, ver­steht sich von selbst, so dass ei­ne sol­che Fra­ge­rei im Land NRW ein Skan­dal ist. Da­her hat das BAG dem Land zu­recht den har­ten Vor­wurf der "Sit­ten­wid­rig­keit" sei­ner Be­en­di­gungs­erklärun­gen ge­macht. Und auf­grund des­sen war auch die or­dent­li­che Kündi­gung un­wirk­sam.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das BAG sei­ne Ent­schei­dungs­gründe veröffent­licht. Das vollständig be­gründe­te Ur­teil des BAG fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 29. Juni 2019

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