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Hes­si­sches LAG, Ur­teil vom 22.01.2009, 14 Sa 1173/08

   
Schlagworte: Kündigung, Kündigung: Betriebsbedingt, Sozialauswahl, Namensliste, Interessenausgleich
   
Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 14 Sa 1173/08
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 22.01.2009
   
Leitsätze: Es stellt in der Regel eine grobe Fehlerhaftigkeit im Sinne des § 1 Abs. 5 KSchG dar, wenn der Arbeitgeber sämtliche gewerbliche Arbeitnehmer als vergleichbar beurteilt, sich anschließend jedoch zur Begründung möglicher berechtigter betrieblicher Bedürfnisse, die einer Sozialauswahl entgegenstehen, darauf beruft, dass einzelne Arbeitnehmer gegenüber dem klagenden Arbeitnehmer Vorgesetztenfunktionen als Abteilungsleiter wahrnehmen. Allein mit der Vorgesetztenstellung kann die Herausnahme aus dem Kreis der vergleichbaren Arbeitnehmer nicht begründet werden, da dies im Widerspruch zu der zunächst angenommenen grundsätzlichen Vergleichbarkeit aller gewerblichen Arbeitnehmer steht.
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Kassel
   

Lan­des­ar­beits­ge­richt Hes­sen
Urt. v. 22.01.2009, Az.: 14 Sa 1173/08

 

Te­nor:

Die Be­ru­fung der Be­klag­ten ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Kas­sel vom 13.05.2008 Az. 6 Ca 548/07 wird zurück­ge­wie­sen.

Die Be­klag­te hat die Kos­ten der Be­ru­fung zu tra­gen. Die Re­vi­si­on wird zu­ge­las­sen.

 

Tat­be­stand:

Die Par­tei­en strei­ten um die Wirk­sam­keit ei­ner be­triebs­be­ding­ten Kündi­gung so­wie die Wei­ter­beschäfti­gung des Klägers.

Die Be­klag­te und Be­ru­fungskläge­rin (im Fol­gen­den Be­klag­te) ist ein ta­rif­ge­bun­de­nes Un­ter­neh­men der Me­tall- und Elek­tro­in­dus­trie, das au­to­ma­ti­sche Türsys­te­me für Straßen – und Schie­nen­fahr­zeu­ge pro­du­ziert. Sie beschäftig­te zum Zeit­punkt der Kündi­gung des Klägers ca. 569 Ar­beit­neh­mer, fer­ner be­steht im Be­trieb der Be­klag­ten ein Be­triebs­rat.

Der Kläger und Be­ru­fungs­be­klag­te (im Fol­gen­den Kläger) ist am XX.XX.19XX ge­bo­ren und hat Un­ter­halts­ver­pflich­tun­gen ge­genüber zwei Per­so­nen. Er ist seit dem 15.10.1996 als In­dus­trie­me­cha­ni­ker bei der Be­klag­ten beschäftigt, sein Brut­to-Mo­nats­ein­kom­men be­lief sich zu­letzt auf 2626.- €. Der Kläger ist schwer­be­hin­dert mit ei­nem Grad der Be­hin­de­rung von 30, fer­ner liegt rück­wir­kend zum 1.6.2006 ein Gleich­stel­lungs­be­scheid hin­sicht­lich ei­nes GdB von 50 vor.

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Mit sei­ner am 20.12.2007 beim Ar­beits­ge­richt ein­ge­gan­ge­nen Kündi­gung wen­det sich der Kläger ge­gen ei­ne Kündi­gung der Be­klag­ten vom 29.11.2007 zum 31.3.2008. Das In­te­gra­ti­ons­amt hat der be­ab­sich­tig­ten Kündi­gung mit Be­scheid vom 23.11.2007, auf des­sen In­halt Be­zug ge­nom­men wird (An­la­ge B 17/ Bl. 66 – 71 d.A.) zu­ge­stimmt, die­ser Be­scheid ist noch nicht rechts­kräftig.
5 Die Be­klag­te schloss mit dem Be­triebs­rat un­ter dem 15.10.2007 ei­nen In­ter­es­sen­aus­gleich (An­la­ge B 2 / Bl. 28 – 31 d.A.), ein So­zi­al­plan ist gleich­falls auf den 15.10.2007 da­tiert (Bl. 37 – 40 d.A.) Auf den In­halt wird Be­zug ge­nom­men.

Im In­ter­es­sen­aus­gleich wird zur Fra­ge der Per­so­nal­an­pas­sung un­ter Zif­fer 3 b aus­geführt„ Per­so­nal­an­pas­sung durch In­ter­es­sen­aus­gleich

Zur Re­du­zie­rung der Per­so­nalüberhänge und zur An­pas­sung des Per­so­nal­stan­des an die länger­fris­tig er­war­te­te Auf­trags­si­tua­ti­on wer­den 65 Stel­len ab­ge­baut. Fer­ner heißt es un­ter Zif­fer 4 (Per­so­nal­maßnah­men): ...

e) Ge­mein­samt mit dem Be­triebs­rat wur­den be­trieb­lich not­wen­di­ge Mit­ar­bei­ter de­fi­niert, de­ren Aus­schei­den ent­we­der zum Know-how-Ver­lust oder zum Ver­lust von Fähig­kei­ten oder Fer­tig­kei­ten führen würde. Die­se wer­den aus der So­zi­al­aus­wahl aus­ge­nom­men.

f) Die so­zia­le Aus­wahl der Ar­beit­neh­mer, de­nen gekündigt wird, rich­tet sich nach den ge­setz­li­chen Be­stim­mun­gen und dem auf der Recht­spre­chung ba­sie­ren­den Punk­te­sche­ma gemäß An­la­ge 1. Das Durch­schnitts­al­ter in der Fer­ti­gung beträgt mehr als 43 Jah­re. Die Al­ters­py­ra­mi­de hat ih­re größte Di­cke jen­seits der 40 und verjüngt sich stark nach un­ten. Um nicht zu ei­ner noch ungüns­ti­ge­ren Al­ters­ver­tei­lung zu kom­men, ist es er­for­der­lich, zu­min­dest die der­zei­ti­ge Al­ters­struk­tur nicht durch den ge­plan­ten Per­so­nal­ab­bau zu ver­schlech­tern. Des­halb wird zur Si­che­rung der Al­ters­struk­tur in der Fer­ti­gung gem. § 1 Abs. 3 Satz 2 2. HS. KSchG ver­ein­bart, dass zum Zwe­cke der So­zi­al­aus­wahl vier Al­ters­grup­pen ge­bil­det wer­den. Die 1. Grup­pe reicht bis zum voll­ende­ten 29. Lj, 2. Grup­pe 30. bis voll­ende­tes 39. Lj. 3. Grup­pe 40. bis voll­ende­tes 49. Lj., 4. Grup­pe 50. bis voll­ende­tes 59. Lj. und älter. In­ner­halb der Al­ters­grup­pen sind die Mit­ar­bei­ter mit der ge­rings­ten Punkt­zahl ent­spre­chend dem Verhält­nis der Mit­ar­bei­ter in der je­wei­li­gen Al­ters­grup­pe zur An­zahl der ge­werb­li­chen Mit­ar­bei­ter ins­ge­samt vom Ver­lust des Ar­beits­plat­zes be­trof­fen. ...

g) Ge­mein­samt mit dem Be­triebs­rat wur­de ei­ne na­ment­li­che Lis­te der zu ent­las­se­nen ge­werb­li­chen Mit­ar­bei­ter und der An­ge­stell­ten (An­la­ge 2 und 3) er­stellt, die Be­stand­teil die­ses In­ter­es­sen­aus­gleichs sind. Sie wer­den in der glei­chen Form wie die­ser In­ter­es­sen­aus­gleich un­ter­zeich­net und mit die­sem fest ver­bun­den.

Zu Zif­fer 4 g des In­ter­es­sen­aus­gleichs leg­te die Be­klag­te ei­ne Na­mens­lis­te un­ter der Über­schrift „An­la­ge 2 zum In­ter­es­sen­aus­gleich und So­zi­al­plan vom 15.10.2007“ vor, die von der Geschäftsführung und dem Be­triebs­rat am 26.10.2007 un­ter­zeich­net wor­den ist und das Da­tum vom 25.10.2007 trägt. Hier­in heißt es un­ter an­de­rem:

1. Geschäfts­lei­tung und Be­triebs­rat ha­ben die So­zi­al­da­ten der Mit­ar­bei­ter/in­nen ein­ge­hend be­ra­ten und die So­zi­al­aus­wahl gemäß den ge­setz­li­chen Vor­schrif­ten ge­mein­sam durch­geführt. Geschäfts­lei­tung und Be­triebs­rat sind sich ei­nig, dass die nach­fol­gen­de Lis­te das Er­geb­nis ih­rer ge­mein­sa­men So­zi­al­aus­wahl bil­det und die hier­auf ent­hal­te­nen Mit­ar­bei­ter/in­nen von den ge­plan­ten Ent­las­sun­gen be­trof­fen sind.

2. Die nach­fol­gen­de Lis­te er­setzt die in­di­vi­du­ell durch­zuführen­den Anhörun­gen des Be­triebs­rats zu den Ent­las­sun­gen. Die­se Lis­te ist Be­stand­teil des
In­ter­es­sen­aus­gleichs vom 15.10.2007 und mit die­sem un­trenn­bar ver­bun­den. “

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Auf die Na­mens­lis­te, auf der sich auch der Na­me des Klägers be­fin­det, wird im Übri­gen Be­zug ge­nom­men (Bl. 33 und 34 d.A)

Die Be­klag­te hat be­haup­tet, dass 54 Ar­beit­neh­mer von der So­zi­al­aus­wahl aus­ge­nom­men wor­den sei­en, da ih­re Wei­ter­beschäfti­gung im be­rech­tig­ten be­trieb­li­chen In­ter­es­se lie­ge. Der Kläger hat die Auf­fas­sung ver­tre­ten, dass die Na­mens­lis­te nicht wirk­sa­mer Be­stand­teil des In­ter­es­sen­aus­gleichs ge­wor­den sei. Zu­dem ha­be die Be­klag­te nicht sub­stan­ti­iert vor­ge­tra­gen, war­um be­stimm­te Ar­beit­neh­mer aus der So­zi­al­aus­wahl her­aus­ge­nom­men wor­den sei­en.

We­gen des wei­te­ren erst­in­stanz­li­chen Sach­vor­trags der Par­tei­en so­wie die erst­in­stanz­lich ge­stell­ten Anträge wird auf Tat­be­stand und Ent­schei­dungs­gründe des Ur­teils des Ar­beits­ge­richts Kas­sel vom 13.5.2008 Be­zug ge­nom­men.

Das Ar­beits­ge­richt hat die Un­wirk­sam­keit der Kündi­gung vom 29.11.2007 fest­ge­stellt und die Be­klag­te zur Wei­ter­beschäfti­gung des Klägers ver­ur­teilt. Zur Be­gründung hat es im We­sent­li­chen aus­geführt, dass die Ver­mu­tungs­wir­kung des § 1 Abs. 5 KSchG nicht grei­fe, da die Na­mens­lis­te erst zeit­lich nach dem In­ter­es­sen­aus­gleich er­stellt wor­den sei und da­her das Er­for­der­nis der Ein­heit­lich­keit der Ur­kun­de nicht erfüllt sei.

Ge­gen die­ses Ur­teil, dass der Be­klag­ten am 16.7.2008 zu­ge­stellt wor­den ist hat die Be­klag­te mit Schrift­satz, der am 24.7.2008 beim Hess. LAG ein­ge­gan­gen ist, Be­ru­fung ein­ge­legt und die­se mit Schrift­satz vom 15.9.2008 im Ein­zel­nen be­gründet.

Die Be­klag­te wie­der­holt und ver­tieft ih­ren Vor­trag aus dem ers­ten Rechts­zug.

Sie ver­tritt die Auf­fas­sung, dass die Na­mens­lis­te die Vor­aus­set­zun­gen des § 1 Abs. 5 KSchG als Teil des In­ter­es­sen­aus­gleichs erfülle, da sie von bei­den Be­triebs­par­tei­en un­ter­zeich­net und als
An­la­ge zum In­ter­es­sen­aus­gleich ge­nom­men wor­den sei, es be­ste­he da­her nicht bloß ei­ne ge­dank­li­che Ver­bin­dung zum In­ter­es­sen­aus­gleich.

Die Be­klag­te ver­tritt wei­ter die Auf­fas­sung, dass auch die So­zi­al­aus­wahl nicht grob feh­ler­haft sei. Es sei nicht zu be­an­stan­den, wenn die Be­klag­te al­le ge­werb­li­chen Ar­beit­neh­mer in den Aus­wahl­kreis der ver­gleich­ba­ren Ar­beit­neh­mer ein­be­zo­gen ha­be. Dies ha­be den Kläger nicht be­nach­tei­ligt und ha­be die Wahr­schein­lich­keit, von ei­ner Kündi­gung nicht be­trof­fen zu sein, erhöht, zu­mal al­le die­se Mit­ar­bei­ter der­sel­ben Ebe­ne der Be­triebs­hier­ar­chie an­gehörten und auf­grund der ar­beits­ver­trag­li­chen Ver­set­zungs­klau­sel auf al­len Ar­beitsplätzen im Pro­duk­ti­ons­be­reich ein­ge­setzt wer­den könn­ten. Die Ar­beit­neh­mer A und B gehörten ei­ner an­de­ren Al­ters­grup­pe an und sei­en ho­ri­zon­tal mit dem Kläger nicht ver­gleich­bar. Ins­be­son­de­re lie­ge die Wei­ter­beschäfti­gung des vom Kläger be­nann­ten Mit­ar­bei­ters Thie­me im be­rech­tig­ten be­trieb­li­chen In­ter­es­se, da er ei­ner von we­ni­gen aus­ge­bil­de­ten Kle­be­prak­ti­kern sei. Der Mit­ar­bei­ter Pe­ter ha­be als stell­ver­tre­ten­der Grup­pen­lei­ter und der Mit­ar­bei­ter Gratz als Grup­pen­lei­ter Vor­ge­setz­ten­funk­ti­on. Glei­ches gel­te für die Mit­ar­bei­te­rin Si­mon als ei­ne von zwei Grup­pen­lei­te­rin­nen im Be­schlag­bau.

Die Be­klag­te be­an­tragt

das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Kas­sel vom 13.5.2008, Az 6 Ca 548/07 ab­zuändern und die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Der Kläger bit­tet um Zurück­wei­sung der Be­ru­fung. Er ver­tei­digt das an­ge­foch­te­ne Ur­teil un­ter ie­der­ho­lung und Ver­tie­fung sei­nes Vor­trags aus dem ers­ten Rechts­zug. Er be­haup­tet, dass kon­kre­te Dar­le­gun­gen der Be­klag­ten über ei­nen an­hal­ten­den Auf­tragsrück­gang nicht vor­ge­tra­gen wor­den sei­en, zu­mal Über­stun­den an­ge­fal­len sei­en und Leih­ar­bei­ter ein­ge­setzt würden. Eben­so we­nig grei­fe die Ver­mu­tungs­wir­kung des § 1 Abs. 5 KSchG , da die Na­mens­lis­te ge­trennt vom In­ter­es­sen­aus­gleich er­stellt wor­den sei, mit die­ser nicht fest ver­bun­den sei und kei­ne ein­heit­li­che Ur­kun­de vor­lie­ge. Je­den­falls sei die So­zi­al­aus­wahl grob feh­ler­haft .Die Be­klag­te ha­be die

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Aus­tausch­bar­keit der Ar­beit­neh­mer grob ver­kannt, nach­dem sie al­le ge­werb­li­chen Ar­beit­neh­mer un­ter­schied­li­cher Lohn­grup­pen als ver­gleich­bar an­ge­se­hen ha­be, so die Mit­ar­bei­ter A und B. Sch­ließlich ha­be die Be­klag­te nicht aus­rei­chend dar­ge­legt, war­um sie ein­zel­ne Mit­ar­bei­ter als Leis­tungs­träger aus der So­zi­al­aus­wahl her­aus­ge­nom­men ha­be. Auch der Kläger verfüge über die von der Be­klag­ten mehr­fach erwähn­ten be­son­de­ren Ei­gen­schaf­ten, da er bei ei­nem Gespräch mit dem Team­spre­cher C an zwei­ter Stel­le ei­ner Qua­li­fi­zie­rungs­ma­trix geführt wor­den sei und der vor ihm ste­hen­de Mit­ar­bei­ter D in den Büro­be­reich ver­setzt wor­den sei.

We­gen des wei­te­ren Sach­vor­trags der Par­tei­en wird auf den In­halt der in der münd­li­chen Ver­hand­lung vor­ge­tra­ge­nen Schriftsätze der Par­tei­en, ins­be­son­de­re die Be­ru­fungs­be­gründung der Be­klag­ten vom 15.9.2008 so­wie ih­ren Schrift­satz vom 27.11.2008 so­wie die Be­ru­fungs­er­wi­de­rung des Klägers vom 14.11.2008 und sei­nen Schrift­satz vom 3.12.2008 Be­zug ge­nom­men.

Ent­schei­dungs­gründe

Die gem. den §§ 8 Abs. 2 ArbGG , 511 ZPO so­wie nach dem Wert des Be­schwer­de­ge­gen­stan­des gem. § 64 Abs. 2 ArbGG statt­haf­te Be­ru­fung ist frist­ge­recht und ord­nungs­gemäß ein­ge­legt wor­den ( §§ 66 Abs. 1 , 64 Abs. 6 ArbGG , 519 und 520 ZPO ).

Die Be­ru­fung hat je­doch in der Sa­che kei­nen Er­folg, weil sie un­be­gründet ist. Das Ar­beits­ge­richt hat m Er­geb­nis zu­tref­fend der Kla­ge statt­ge­ge­ben. Zwar ist ent­ge­gen der Rechts­auf­fas­sung des Ar­beits­ge­richts von ei­ner wirk­sa­men Ver­bin­dung zwi­schen dem In­ter­es­sen­aus­gleich und der vor­ge­leg­ten Na­mens­lis­te aus­zu­ge­hen. Je­doch er­weist sich die So­zi­al­aus­wahl als grob feh­ler­haft. Im Ein­zel­nen gilt fol­gen­des:

1. Nach­dem der Kläger die Kla­ge­frist des § 4 KSchG ge­wahrt hat, ist die Kündi­gung auf ih­re so­zia­le Recht­fer­ti­gung hin zu über­prüfen.

2. Zunächst stellt die von der Be­klag­ten vor­ge­nom­me­ne Bil­dung von Al­ters­grup­pen kei­nen Ver­s­toß ge­gen das Ver­bot der Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung nach §§ 1 , 10 AGG dar. Auch nach § 10 AGG ist es zulässig, im Rah­men der So­zi­al­aus­wahl Al­ters­grup­pen zu bil­den. Zwar er­gibt sich bei der Bil­dung von Al­ters­grup­pen ei­ne an das Al­ter an­knüpfen­de un­ter­schied­li­che Be­hand­lung von Ar­beit­neh­mern. Sie führt al­ler­dings nicht un­ter Berück­sich­ti­gung der sons­ti­gen so­zia­len Ge­sichts­punk­te wie Be­triebs­zu­gehörig­keit, Un­ter­halt und Schwer­be­hin­de­rung zu ei­ner Über­be­wer­tung des Le­bens­al­ters (vgl. BAG, Ur­teil vom 6.11.2008 – 2 AZR 701/07 – ju­ris). Da­mit be­ste­hen kei­ne Be­den­ken an der von der Be­klag­ten vor­ge­nom­men Her­aus­nah­me der Mit­ar­bei­ter B und A un­ter Berück­sich­ti­gung ei­ner an­de­ren Al­ters­grup­pe.

3. Ent­ge­gen der Rechts­auf­fas­sung des Ar­beits­ge­richts liegt auch ei­ne wirk­sa­me Ver­bin­dung von In­ter­es­sen­aus­gleich und Na­mens­lis­te vor. Ins­be­son­de­re ist die von der Be­klag­ten vor­ge­leg­te Na­mens­lis­te Be­stand­teil des In­ter­es­sen­aus­gleichs im Sin­ne des § 1 Abs. 5 KSchG . Zwar ist nach dem in­so­weit un­strei­ti­gen Sach­vor­trag der Par­tei­en die Na­mens­lis­te erst ca. 11 Ta­ge nach dem In­ter­es­sen­aus­gleich un­ter­zeich­net wor­den. Dies führt je­doch nicht zur Un­wirk­sam­keit der Ver­bin­dung von Na­mens­lis­te und In­ter­es­sen­aus­gleich. Nach der Recht­spre­chung des BAG ( Ur­teil vom 22.1.2004 – 2 AZR 111/02 – ju­ris Rdn 55 – fer­ner KR – Grie­be­ling 8. Aufl. § 1 KSchG Rdn 703a mit wei­te­ren Nach­wei­sen) ist es aus­rei­chend, wenn die Na­mens­lis­te zeit­nah zum In­ter­es­sen­aus­gleich er­stellt wird, auch wenn die Un­ter­zeich­nung der Na­mens­lis­te erst nach Er­stel­lung des In­ter­es­sen­aus­gleichs er­folgt. Ins­be­son­de­re ist auch das ge­setz­li­che chrift­for­mer­for­der­nis erfüllt, § 125 , 126 BGB . Bei­de Schriftstücke sind zunächst von den Be­triebs­par­tei­en un­ter­zeich­net. Auch nach § 1 Abs. 5 KSchG ist es zulässig, ei­ne Lis­te der zu kündi­gen­den Ar­beit­neh­mer als An­la­ge zum In­ter­es­sen­aus­gleich zu er­stel­len (vgl. BAG, Ur­teil vom 21.2.2002 – 2 AZR 581/00 – ju­ris), wenn sich aus den je­wei­li­gen Schriftstücken er­gibt, dass Na­mens­lis­te und In­ter­es­sen­aus­gleich auf ein­an­der Be­zug neh­men. Auch die­se Vor­aus­set­zun­gen lie­gen vor, wie sich aus dem Text der von der Be­klag­ten vor­ge­leg­ten Schriftstücke er­gibt.

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4. Al­ler­dings er­weist sich die Durchführung der So­zi­al­aus­wahl als grob feh­ler­haft. Dies er­gibt sich be­reits aus den Dar­le­gun­gen der Be­klag­ten.

4.1 Folgt man ih­ren Ausführun­gen, sind zunächst al­le ge­werb­li­chen Ar­beit­neh­mer in den Kreis der ver­gleich­ba­ren Ar­beit­neh­mer ein­be­zo­gen wor­den. Dies ent­spricht grundsätz­lich nicht den von der Recht­spre­chung ent­wi­ckel­ten Kri­te­ri­en zur Be­stim­mung des Krei­ses der ver­gleich­ba­ren Ar­beit­neh­mer. Zwar ist der nach dem Ge­setz vor­ge­ge­be­ne Prüfungs­rah­men be­schränkt, was sich be­reits aus dem Maßstab der gro­ben Feh­ler­haf­tig­keit er­gibt. Den Be­triebs­part­nern wird in­so­weit bei der Be­ur­tei­lung und Be­wer­tung der so­zia­len Aus­wahl ei­ne ho­he Präfe­renz ein­geräumt, wo­bei sich die­se auch auf die Bil­dung der aus­wahl­re­le­van­ten Grup­pen be­zieht (vgl. BAG, 21.1.1999, 2 AZR 624/98 - ju­ris, fer­ner BAG v. 21.2.2001 – 2 AZR 39/00 ). Hier ha­ben die Be­triebs­par­tei­en ent­ge­gen den von Recht­spre­chung und Leh­re ent­wi­ckel­ten Grundätzen al­le ge­werb­li­chen Ar­beit­neh­mer als ver­gleich­bar an­ge­se­hen und in die­sem Be­reich von der Bil­dung aus­wahl­re­le­van­ter Grup­pen ab­ge­se­hen – dies un­abhängig von den im Be­trieb gel­ten­den Lohn­grup­pen und Qua­li­fi­ka­ti­ons­stu­fen. Dies wi­der­spricht zunächst dem Grund­satz, wo­nach sich die Ver­gleich­bar­keit an ob­jek­ti­ven, dh. ar­beits­platz­be­zo­ge­nen Merk­ma­len ori­en­tiert und der bis­her aus­geübten Tätig­keit ent­spricht (vgl. BAG, Ur­teil vom 28.10.2004, EzA § 1 KSchG So­zia­le Aus­wahl Nr. 56).

Nach der Recht­spre­chung fehlt die Ver­gleich­bar­keit, wenn der Ar­beit­ge­ber den Ar­beit­neh­mer nicht ein­sei­tig auf den an­de­ren Ar­beits­platz ver­setz­ten kann. Um­ge­kehrt führt al­lein ei­ne hier als zulässig un­ter­stell­te wei­te Ver­set­zungs­klau­sel nicht zur Ver­gleich­bar­keit der Ar­beit­neh­mer im Rah­men der So­zi­al­aus­wahl, da die Ver­gleich­bar­keit der Ar­beit­neh­mer wech­sel­sei­tig ge­ge­ben sein müss­te und da­mit auch be­zo­gen auf die von der Be­klag­ten be­nann­ten Ab­tei­lungs­lei­ter vor­lie­gen müss­te. Selbst wenn da­her die Ver­setz­bar­keit ge­ge­ben sein soll­te, ist in der Re­gel von be­stimm­ten Qua­li­fi­ka­ti­ons­an­for­de­run­gen bei der Ein­grup­pie­rung in die be­stimm­ten Lohn­grup­pen aus­zu­ge­hen. Un­ter­stellt man da­her mit der Be­klag­ten die wech­sel­sei­ti­ge Aus­tausch­bar­keit der Grup­pen­lei­ter mit dem Kläger, kann al­lein in der Stel­lung der Grup­pen­lei­ter kein Kri­te­ri­um ge­se­hen wer­den, dass zu ei­ner not­wen­di­gen Wei­ter­beschäfti­gung die­ser Ar­beit­neh­mer im Sin­ne ei­nes be­son­de­ren be­trieb­li­chen Bedürf­nis­ses ge­wer­tet wer­den könn­te.

4.2.Selbst wenn man in der Bil­dung des aus­wahl­re­le­van­ten Per­so­nen­krei­ses kei­ne gro­be Feh­ler­haf­tig­keit se­hen woll­te, er­weist sich je­den­falls das Vor­ge­hen der Be­klag­ten bei der Dar­le­gung des Per­so­nen­krei­ses, der nach § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG aus dem Kreis der ver­gleich­ba­ren Ar­beit­neh­mer her­aus­ge­nom­men wor­den ist, als grob feh­ler­haft. Die Her­aus­nah­me von Ar­beit­neh­mern aus dem aus­wahl­re­le­van­ten Per­so­nen­kreis kann er­fol­gen, wenn die Wei­ter­beschäfti­gung auf Grund ih­rer im Be­trieb benötig­ten Kennt­nis­se, Fähig­kei­ten und Leis­tun­gen im be­rech­tig­ten be­trieb­li­chen In­ter­es­se der Be­klag­ten liegt. Hier ver­wi­ckelt sich die Be­klag­te in Wi­dersprüche zu dem vor­her be­stimm­ten aus­wahl­re­le­van­ten Per­so­nen­kreis, wenn sie sich dar­auf be­ruft, be­stimm­te Per­so­nen nähmen Vor­ge­setz­ten­funk­tio­nen wahr – so zB. als Ab­tei­lungs­lei­ter und dies er­for­de­re ih­re Wei­ter­beschäfti­gung.

Be­reits das BAG hat in sei­ner Ent­schei­dung vom 5 12. 2002 (2 AZR 697/01 –ju­ris un­ter Rdn 38) aus­geführt, dass je nach Be­triebs­struk­tur und Qua­li­fi­ka­ti­ons­stu­fe die Zahl der Ar­beit­neh­mer, die oh­ne Be­ein­träch­ti­gung des ord­nungs­gemäßen Be­triebs­ab­laufs im Rah­men der so­zia­len Aus­wahl aus­ge­tauscht wer­den können, un­ter­schied­li­che groß sein können. Ent­spre­chen­des gilt auch für die hier von der Be­klag­ten be­nann­ten Ab­tei­lungs­lei­ter – die – was hier zu­guns­ten der Be­klag­ten un­ter­stellt wer­den soll – mit dem Kläger grundsätz­lich ver­gleich­bar sein sol­len. Al­lein aus ih­rer Stel­lung als Ab­tei­lungs­lei­ter folgt al­ler­dings noch nicht die nach § 1 Abs. 3 KSchG dar­zu­le­gen­de Vor­aus­set­zung, dass die Wei­ter­beschäfti­gung auf Grund ih­rer im Be­trieb benötig­ten Kennt­nis­se, Fähig­kei­ten und Leis­tun­gen im be­rech­tig­ten be­trieb­li­chen In­ter­es­se der Be­klag­ten liegt. Dass Ab­tei­lungs­lei­ter als Vor­ge­setz­te benötigt wer­den, steht außer Fra­ge. Al­ler­dings er­gibt sich die Not­wen­dig­keit ih­rer Wei­ter­beschäfti­gung nicht al­lein auf Grund ih­rer Stel­lung als Ab­tei­lungs­lei­ter, son­dern al­len­falls un­ter Berück­sich­ti­gung der sons­ti­gen, als Ab­tei­lungs­lei­ter beschäftig­ten Mit­ar­bei­ter. Wie vie­le Per­so­nen die Be­klag­te als Ab­tei­lungs­lei­ter beschäftigt, ist dem Ge­richt nicht be­kannt und ist auch nicht dar­ge­legt wor­den. Ent­spre­chend ist auch nicht dar­ge­legt, ob im Be­reich der Ab­tei­lungs­lei­ter ei­ne ent­spre­chend am künf­ti­gen Beschäfti­gungs­be­darf ori­en­tier­te Re­du­zie­rung der Mit­ar­bei­ter vor­ge­nom­men wur­de. Die Her­aus­nah­me sol­cher Ar­beit­neh­mer aus dem Kreis der

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ver­gleich­ba­ren Ar­beit­neh­mer al­lein auf­grund ih­rer Stel­lung in der be­trieb­li­chen Hier­ar­chie wi­der­spricht da­her der zunächst von der Be­klag­ten be­haup­te­ten Aus­tausch­bar­keit al­ler ge­werb­li­chen Ar­beit­neh­mer. Da­mit sind die von der Be­klag­ten vor­ge­tra­ge­nen Gründe zur So­zi­al­aus­wahl in sich wi­dersprüchlich, sie er­wei­sen sich da­mit als grob feh­ler­haft.

5. Die Be­klag­te hat als un­ter­le­ge­ne Par­tei­en die Kos­ten der Be­ru­fung zu tra­gen, § 97 ZPO . Die Zu­las­sung der Re­vi­si­on er­folgt un­ter Berück­sich­ti­gung der ab­wei­chen­den Ent­schei­dung der Kam­mer 8 des Hess. LAG (8 Sa 722/08 – Ur­teil vom 19.11.2008) zum vor­lie­gend zu be­ur­tei­len­den In­ter­es­sen­aus­gleich und So­zi­al­plan.

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