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BSG, Ur­teil vom 12.07.2006, B 11a AL 47/05 R

   
Schlagworte: Arbeitslosengeld, Aufhebungsvertrag, Sperrzeit
   
Gericht: Bundessozialgericht
Aktenzeichen: B 11a AL 47/05 R
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 12.07.2006
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Sozialgericht Aachen, Urteil vom 2.07.2004, S 8 AL 34/04
Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 9.06.2005, L 9 AL 153/04
   

BUN­DESSO­ZIAL­GERICHT


Im Na­men des Vol­kes

Ur­teil

in dem Rechts­streit 

Verkündet am
12. Ju­li 2006

Az: B 11a AL 47/05 R

...,


Kläger und Re­vi­si­ons­be­klag­ter,

Pro­zess­be­vollmäch­tig­te:  

...,


g e g e n


Bun­des­agen­tur für Ar­beit,
Re­gens­bur­ger Straße 104, 90478 Nürn­berg,

Be­klag­te und Re­vi­si­onskläge­rin.

Der 11a. Se­nat des Bun­des­so­zi­al­ge­richts hat auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 12. Ju­li 2006 durch die Vi­ze­präsi­den­tin Dr. W e t z e l - S t e i n w e d e l , den Rich­ter Dr. V o e l z k e und die Rich­te­rin Dr. R o o s so­wie den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter K l e e m a n n und die eh­ren­amt­li­che Rich­te­rin G o v o r u s i c für Recht er­kannt:

Die Re­vi­si­on der Be­klag­ten ge­gen das Ur­teil des Lan­des­so­zi­al­ge­richts Nord­rhein-West­fa­len vom 9. Ju­ni 2005 wird zurück­ge­wie­sen.

Die Be­klag­te trägt auch die not­wen­di­gen außer­ge­richt­li­chen Kos­ten des Klägers im Re­vi­si­ons­ver­fah­ren.

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G r ü n d e :


I

Die Be­tei­lig­ten strei­ten über den Ein­tritt ei­ner Sperr­zeit nach Ab­schluss ei­nes Auf­he­bungs­ver­tra­ges.

Der im No­vem­ber 1941 ge­bo­re­ne Kläger war seit Ok­to­ber 1995 bei der M Sys­te­me GmbH beschäftigt; es galt ei­ne Kündi­gungs­frist von ei­nem Mo­nat zum Mo­nats­en­de. Das Ar­beits­verhält­nis des Klägers wur­de durch Auf­he­bungs­ver­trag vom 16. Ju­li 2003 zum 30. No­vem­ber 2003 be­en­det. Er er­hielt nach die­sem Ver­trag ei­ne Ab­fin­dung in Höhe von 10.000,00 € und wur­de ab 1. Ok­to­ber 2003 un­ter Fort­zah­lung der mo­nat­li­chen Vergütung von der Ar­beit frei­ge­stellt. Nach der Auflösungs­ver­ein­ba­rung er­folg­te die Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses un­ter Ein­hal­tung der für das Ar­beits­verhält­nis gel­ten­den or­dent­li­chen Kündi­gungs­frist zum 30. No­vem­ber 2003 auf Ver­an­las­sung des Ar­beit­ge­bers aus be­triebs­be­ding­ten Gründen; oh­ne den Ab­schluss der Ver­ein­ba­rung wäre die Kündi­gung ge­genüber dem Kläger zum glei­chen Zeit­punkt un­umgäng­lich ge­we­sen.

Der Kläger mel­de­te sich am 10. Ok­to­ber 2003 ar­beits­los und be­an­trag­te die Be­wil­li­gung von Ar­beits­lo­sen­geld (Alg). Mit dem Be­scheid vom 17. De­zem­ber 2003, geändert durch den Be­scheid vom 12. Ja­nu­ar 2004, lehn­te die Be­klag­te den An­trag auf Alg aus­ge­hend von ei­nem Sperr­zeit­be­ginn ab 1. Ok­to­ber 2003 bis ein­sch­ließlich 23. De­zem­ber 2003 ab. Mit Be­scheid vom 14. Ja­nu­ar 2004 be­wil­lig­te die Be­klag­te Alg ab 24. De­zem­ber 2003. Den we­gen des Sperr­zeit­ein­tritts ein­ge­leg­ten Wi­der­spruch wies sie mit Wi­der­spruchs­be­scheid vom 22. Ja­nu­ar 2004 zurück.

Das So­zi­al­ge­richt (SG) hat - nach Be­weis­er­he­bung (Zeu­gen­ver­neh­mung der Per­so­nal­lei­te­rin des ehe­ma­li­gen Ar­beit­ge­bers) - die Be­klag­te un­ter Auf­he­bung der an­ge­foch­te­nen Be­schei­de ver­ur­teilt, dem Kläger Alg oh­ne Fest­stel­lung ei­ner Sperr­zeit nach Maßga­be der ge­setz­li­chen Vor­schrif­ten zu zah­len (Ur­teil vom 2. Ju­li 2004).


Das Lan­des­so­zi­al­ge­richt (LSG) hat die Be­ru­fung der Be­klag­ten mit der Maßga­be zurück­ge­wie­sen, dass die Be­klag­te un­ter Ände­rung des Be­schei­des vom 14. Ja­nu­ar 2004 ver­ur­teilt wur­de, dem Kläger Alg ab 1. De­zem­ber 2003 für den Zeit­raum von 960 Ka­len­der­ta­gen zu zah­len. Das LSG hat zur Be­gründung aus­geführt, ei­ne Sperr­zeit sei nicht ein­ge­tre­ten, weil der Kläger für sein Ver­hal­ten ei­nen wich­ti­gen Grund ge­habt ha­be. Ein sol­cher lie­ge nach der Recht­spre­chung des Bun­des­so­zi­al­ge­richts (BSG) vor, wenn dem Be­trof­fe­nen zum glei­chen Zeit­punkt ei­ne Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses durch ei­ne so­zi­al ge­recht­fer­tig­te Kündi­gung ge­droht ha­be und er sich nicht ar­beits­recht­lich ge­gen die an­ge­droh­te Kündi­gung hätte weh­ren können. Die­se Vor­aus­set­zun­gen sei­en im Fall des
 


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Klägers erfüllt. Am Er­geb­nis ände­re sich nichts, wenn man mit der Recht­spre­chung des BSG zusätz­lich for­de­re, dass dem Ar­beit­neh­mer das Ab­war­ten der ar­beit­ge­ber­sei­ti­gen Kündi­gung nicht zu­zu­mu­ten ge­we­sen sei. Denn es ge­be An­halts­punk­te dafür, dass die an­de­ren­falls mit ei­ner Kündi­gung ty­pi­scher­wei­se ver­bun­de­nen Nach­tei­le ge­ra­de nicht ein­ge­tre­ten sei­en. Dem Kläger sei durch den Ab­schluss des Auf­he­bungs­ver­tra­ges nicht zum frühest mögli­chen Zeit-punkt (31. Au­gust 2003) gekündigt wor­den. Darüber hin­aus sei er be­reits ab 1. Ok­to­ber 2003 frei­ge­stellt wor­den. Das ha­be zur Kon­se­quenz, dass er sich un­ein­ge­schränkt um an­de­re Ar­beitsplätze ha­be bemühen können. Sch­ließlich ha­be der Kläger auch noch ei­ne Ab­fin­dung in Höhe von 10.000,00 € er­hal­ten, die bei ei­ner Kündi­gung so oh­ne Wei­te­res nicht zahl­bar ge­we­sen wäre, je­den­falls nicht in die­ser Höhe. Nach § 1a Abs 2 Kündi­gungs­schutz­ge­setz (KSchG), der erst zum 1. Ja­nu­ar 2004 in Kraft ge­tre­ten sei, wäre le­dig­lich ein Be­trag in Höhe von et­wa 9.000,00 € er­reicht wor­den. Der in § 1a KSchG zum Aus­druck kom­men­de Ge­dan­ke stel­le darüber hin­aus auch ei­nen be­son­de­ren Um­stand iS der ge­nann­ten Recht­spre­chung des BSG dar, die den Ab­schluss ei­ner Auflösungs­ver­ein­ba­rung recht­fer­ti­ge. Die Vor­schrift verkörpe­re die Kon­se­quenz, der sich die Ar­beits­ver­trags­par­tei­en bei drin­gen­den be­trieb­li­chen Er­for­der­nis­sen stel­len müss­ten.

Mit der vom LSG zu­ge­las­se­nen Re­vi­si­on rügt die Be­klag­te ei­ne Ver­let­zung des § 144 Abs 1 Nr 1 So­zi­al­ge­setz­buch - Drit­tes Buch - (SGB III). Dem vom LSG fest­ge­stell­ten Sach­ver­halt las­se sich nicht mit hin­rei­chen­der Si­cher­heit ent­neh­men, dass ei­ne Kündi­gung zu ei­nem frühe­ren Zeit­punkt ge­droht ha­be. Darüber hin­aus zähle ei­ne Kündi­gung zu ei­nem frühe­ren Zeit­punkt nicht als ver­mie­de­ner Nach­teil, weil es sich nur um ei­nen re­la­ti­ven Nach­teil han­de­le. Der Um­stand, dass der Kläger nur in Fol­ge des Auf­he­bungs­ver­tra­ges frei­ge­stellt wor­den sei, sei eben­falls nicht fest­ge­stellt. Die Vor­aus­set­zun­gen für be­son­de­re Umstände iS der BSG-Recht­spre­chung sei­en hier­durch oh­ne­hin nicht erfüllt, weil der­ar­ti­ge re­la­ti­ve Nach­tei­le durch die Ver­trags­par­tei­en ver­ein­bar sei­en. Zu­dem ha­be die Zeit der Frei­stel­lung nicht zu ei­ner Ver­bes­se­rung der Ein­glie­de­rungs­chan­cen auf dem Ar­beits­markt geführt. Wie aus der Erklärung nach § 428 SGB III er­sicht­lich, ha­be der Kläger an ei­ner be­ruf­li­chen Ein­glie­de­rung kein In­ter­es­se mehr ge­habt. Auch die ver­ein­bar­te Ab­fin­dung sei als re­la­ti­ver Nach­teil kein be­son­de­rer Um­stand. Sie be­zie­he sich zu­dem nicht auf das be­ruf­li­che Fort­kom­men. Al­ler­dings se­he auch die Be­klag­te, dass sich durch § 1a KSchG ei­ne neue Be­wer­tung für das Er­for­der­nis ei­ner Nach­teils­ver­mei­dung zur An­nah­me ei­nes wich­ti­gen Grun­des er­ge­ben könne, je­doch könn­ten sich für den strei­ti­gen Zeit­raum, der vor dem In­kraft­tre­ten des § 1a KSchG lie­ge, noch kei­ne Aus­wir­kun­gen er­ge­ben.


Die Be­klag­te be­an­tragt,
das Ur­teil des Lan­des­so­zi­al­ge­richts Nord­rhein-West­fa­len vom 9. Ju­ni 2005 so­wie das Ur­teil des So­zi­al­ge­richts Aa­chen vom 2. Ju­li 2004 auf­zu­he­ben und die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

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Der Kläger be­an­tragt,
die Re­vi­si­on zurück­zu­wei­sen.
 


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Der Kläger ist der Auf­fas­sung, er ha­be die Ar­beits­lo­sig­keit nicht grob fahrlässig her­bei­geführt. Ihm sei kei­ne Hand­lungs­al­ter­na­ti­ve ver­blie­ben, die die Ar­beits­lo­sig­keit nicht oder erst später hätte ein­tre­ten las­sen. Im Übri­gen ha­be das BSG kei­nes­falls ei­ne ab­sch­ließen­de Zu­sam­men­stel­lung der be­son­de­ren Umstände, die ein Ab­war­ten der Kündi­gung ent­behr­lich wer­den ließen, auf­ge­stellt. Ihm (dem Kläger) sei zum ei­nen der Un­ter­schied zwi­schen dem re­la­ti­ven und dem (für ihn) ab­so­lu­ten Nach­teil nicht geläufig. Zum an­de­ren sei ja ge­ra­de die Ver­ein­ba­rung von Vor­tei­len im Auf­he­bungs­ver­trag bei der ver­glei­chen­den Be­trach­tung ein Nach­teil im Fal­le der Kündi­gung.


II

Die Re­vi­si­on der Be­klag­ten ist un­be­gründet. Das LSG hat zu Recht ent­schie­den, dass dem Kläger für die Lösung des Beschäfti­gungs­verhält­nis­ses ein wich­ti­ger Grund zur Sei­te stand und er des­halb Alg ab 1. De­zem­ber 2003 für den Zeit­raum von 32 Mo­na­ten be­an­spru­chen kann.


Der Kläger, der auf Grund der Frei­stel­lung im Auf­he­bungs­ver­trag be­reits ab 1. Ok­to­ber 2003 nicht mehr in ei­nem Beschäfti­gungs­verhält­nis im leis­tungs­recht­li­chen Sin­ne stand (vgl zur Ab­gren­zung des leis­tungs- und des bei­trags­recht­li­chen Be­griffs des Beschäfti­gungs­verhält­nis­ses Schle­gel, NZA 2005, 972 ff), erfüll­te je­den­falls ab 1. De­zem­ber 2003 nach dem von der Re­vi­si­on nicht an­ge­grif­fe­nen Fest­stel­lun­gen des LSG al­le in den §§ 117 ff SGB III ge­re­gel­ten Vor­aus­set­zun­gen (Ar­beits­lo­sig­keit, Ar­beits­los­mel­dung, An­wart­schafts­zeit) des An­spruchs auf Alg. Der Kläger hat An­spruch auf Alg für die Dau­er von 32 Mo­na­ten (§ 127 Abs 2 SGB III idF vor dem In­kraft­tre­ten der Ände­rung durch das Ge­setz zu Re­for­men am Ar­beits­markt vom 24. De­zem­ber 2003, BGBl I, 3002), da kein Min­de­rungs­tat­be­stand iS des § 128 SGB III ein­greift.


Der An­spruch des Klägers hat auch nicht we­gen des Ein­tritts ei­ner Sperr­zeit we­gen Ar­beits­auf­ga­be ge­ruht (§ 144 Abs 2 Satz 2 SGB III). Ei­ne Sperr­zeit we­gen Ar­beits­auf­ga­be tritt nach § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB III ein, wenn der Ar­beits­lo­se das Beschäfti­gungs­verhält­nis gelöst und er da­durch vorsätz­lich oder grob fahrlässig die Ar­beits­lo­sig­keit her­bei­geführt hat, oh­ne für sein Ver­hal­ten ei­nen wich­ti­gen Grund zu ha­ben. Der Kläger, der kei­ne kon­kre­ten Aus­sich­ten auf ei­nen An­schluss­ar­beits­platz hat­te, hat durch den Ab­schluss des Auf­he­bungs­ver­tra­ges sein Beschäfti­gungs­verhält­nis gelöst und da­durch sei­ne Ar­beits­lo­sig­keit zu­min­dest grob fahrlässig her­bei­geführt. Un­er­heb­lich ist in die­sem Zu­sam­men­hang, ob die Ar­beits­lo­sig­keit auch un­abhängig vom Ab­schluss des Auf­he­bungs­ver­tra­ges auf Grund ei­ner an­sons­ten aus­ge­spro­che­nen Ar­beit­ge­berkündi­gung ein­ge­tre­ten wäre. Denn für die Be­ur­tei­lung der Fra­ge, ob ei­ne Lösung des Beschäfti­gungs­verhält­nis­ses zum Ein­tritt der Ar­beits­lo­sig­keit geführt hat, kommt es al­lein auf den tatsächli­chen Ge­sche­hens­ab­lauf an
 


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(BSG SozR 4100 § 119 Nr 24; BS­GE 77, 48, 51 = SozR 3-4100 § 119 Nr 9; BS­GE 89, 243, 245 = SozR 3-4300 § 144 Nr 8; BSG SozR 3-4300 § 144 Nr 12). Kei­ne Be­ach­tung fin­det dem­ge­genüber ein hy­po­the­ti­scher Ge­sche­hens­ab­lauf, zu der die an­ge­droh­te be­triebs­be­ding­te Kündi­gung gehört (so zu­tref­fend Ga­gel, SGb 2006, 264, 265).


Das LSG hat je­doch zu Recht an­ge­nom­men, dass dem Kläger für sein Ver­hal­ten ein wich­ti­ger Grund zur Sei­te stand. Da­bei genügt es für die Be­ja­hung ei­nes wich­ti­gen Grun­des nicht, dass der Ar­beits­lo­se an­nimmt, er ha­be im Hin­blick auf ei­ne an­sons­ten dro­hen­de rechtmäßige Ar­beit­ge­berkündi­gung ei­nen wich­ti­gen Grund für den Ab­schluss ei­nes Auf­he­bungs­ver­tra­ges. Viel­mehr muss der wich­ti­ge Grund ob­jek­tiv vor­ge­le­gen ha­ben (stRspr, vgl nur: BS­GE 66, 94, 101 f = SozR 4100 § 119 Nr 36; BSG SozR 3-4100 § 119 Nr 11; da­ge­gen Preis/Schnei­der, FS zum 25-jähri­gen Be­ste­hen der Ar­beits­ge­mein­schaft Ar­beits­recht im Deut­schen An­walts­ver­ein, 2005, 1300, 1313; vgl auch Ga­gel, SGb 2006, 264, 268, der als Maßstab ei­ne ob­jek­ti­ve Be­ur­tei­lung der sub­jek­ti­ven Sicht des Ar­beit­neh­mers genügen las­sen möch­te). Nach der bis­he­ri­gen Recht­spre­chung des BSG kann sich ein Ar­beit­neh­mer im Fal­le der Lösung des Beschäfti­gungs­verhält­nis­ses durch Auf­he­bungs­ver­trag auf ei­nen wich­ti­gen Grund be­ru­fen, wenn ihm der Ar­beit­ge­ber mit ei­ner ob­jek­tiv rechtmäßigen Kündi­gung droht und ihm die Hin­nah­me die­ser Kündi­gung nicht zu­zu­mu­ten ist (BS­GE 89, 243, 246 ff = SozR 3-4300 § 144 Nr 8; SozR 3-4300 § 144 Nr 12; BS­GE 92, 74, 81= SozR 4-4300 § 144 Nr 6; SozR 4-4300 § 147a Nr 1; BSG Ur­teil vom 17. No­vem­ber 2005 - B 11a/11 AL 69/04 R - SozR 4-4300 § 144 Nr 11, auch zur Veröffent­li­chung in BS­GE vor­ge­se­hen). In­wie­weit ein wich­ti­ger Grund auch bei ei­ner dro­hen­den oder fest­ste­hen­den, aber noch nicht er­folg­ten rechts­wid­ri­gen Kündi­gung in Ver­bin­dung mit sons­ti­gen Umständen in Be­tracht kommt, be­darf hier kei­ner Erörte­rung (vgl da­zu BSG SozR 3-4300 § 144 Nr 12 S 34 mwN).


Das LSG ist auf der Grund­la­ge der von ihm ge­trof­fe­nen Fest­stel­lun­gen da­von aus­ge­gan­gen, es lägen kei­ner­lei An­halts­punk­te dafür vor, dass der Kläger sich ge­gen die im Raum ste­hen­de Kündi­gung ar­beits­recht­lich hätte weh­ren können. Es hat in Übe­rein­stim­mung mit dem SG an­ge­nom­men, dem Kläger ha­be ei­ne so­zi­al ge­recht­fer­tig­te be­triebs­be­ding­te Kündi­gung ge­droht (§ 1 KSchG idF des Ge­set­zes vom 19. De­zem­ber 1998 <BGBl I, 3843>). SG und LSG ha­ben da­bei maßgeb­lich auf die Zeu­gen­aus­sa­ge der Per­so­nal­lei­te­rin des ehe­ma­li­gen Ar­beit­ge­bers ab­ge­stellt, wo­nach der Ar­beits­platz des Klägers auf Grund ei­ner Neu­struk­tu­rie­rung des Ar­beits­pro­zes­ses weg­ge­fal­len war und an­der­wei­ti­ge Ein­satzmöglich­kei­ten im Un­ter­neh­men nicht be­stan­den. Die­se weit­ge­hend auf tatsäch­li­chem Ge­biet lie­gen­de Wer­tung des LSG wird auch von der Be­klag­ten in ih­rer Re­vi­si­ons­be­gründung nicht in Fra­ge ge­stellt.


Sch­ließlich hat das LSG auch zu Recht an­ge­nom­men, dass dem Kläger ein Ab­war­ten der dro­hen­den rechtmäßigen Ar­beit­ge­berkündi­gung nicht zu­zu­mu­ten war. Es hat viel­mehr ein für ei­nen wich­ti­gen Grund aus­rei­chen­des In­ter­es­se am Ab­schluss ei­nes Auf­he­bungs­ver­tra­ges mit Ab­fin­dungs­re­ge­lung fest­ge­stellt. Denn - wie der Se­nat be­reits in sei­nem Ur­teil vom


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17. No­vem­ber 2005 - B 11a/11 AL 69/04 R - (= SozR 4-4300 § 144 Nr 11) dar­ge­legt hat - liegt ein wich­ti­ger Grund kei­nes­wegs nur dann vor, wenn ein Ab­war­ten der ar­beit­ge­ber­sei­ti­gen Kündi­gung des­halb un­zu­mut­bar ist, weil Nach­tei­le für das be­ruf­li­che Fort­kom­men zu befürch­ten sind; viel­mehr han­delt es sich hier­bei nur um ei­nen der in Be­tracht zu zie­hen­den Ge­sichts-punk­te (BSG Ur­teil vom 12. April 1984 - 7 RAr 28/83 - und vom 25. April 2002 - B 11 AL 100/01 R -, je­weils veröffent­licht in ju­ris). Dem­gemäß können auch sons­ti­ge Umstände zu der An­nah­me führen, dass ein Ab­war­ten der Ar­beit­ge­berkündi­gung un­zu­mut­bar war. An­ders for­mu­liert: Bei ei­nem Auf­he­bungs­ver­trag ist - mit dem LSG - zu prüfen, ob "An­halts­punk­te dafür vor­lie­gen, dass die mit ei­ner Kündi­gung ty­pi­scher­wei­se ein­her­ge­hen­den Nach­tei­le ... nicht ein­ge­tre­ten wären" (vgl BS­GE 89, 243, 248 = SozR 3-4300 § 144 Nr 8 mit Hin­weis auf das ver­fas­sungs­recht­li­che Über­maßver­bot; BSG SozR 3-4300 § 144 Nr 12 S 34, 36; BSG Ur­teil vom 2. Sep­tem­ber 2004 - B 7 AL 18/04 R, veröffent­licht in ju­ris). An­knüpfend hier­an hat der Se­nat in sei­nem Ur­teil vom 17. No­vem­ber 2005 (= SozR 4-4300 § 144 Nr 11; zu­stim­mend Spell­brink, BB 2006, 1274, 1276; ab­leh­nend Ha­se, AuB 2006, 58 f; vgl auch Ga­gel, SGb 2006, 264, 267) zur Mit­wir­kung ei­nes lei­ten­den An­ge­stell­ten bei der Be­en­di­gung sei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses ent­schie­den, dass be­reits das In­ter­es­se, sich (im Hin­blick auf den oh­ne­hin nicht zu ver­mei­den­den Ein­tritt der Beschäfti­gungs­lo­sig­keit) durch den Auf­he­bungs­ver­trag we­nigs­tens die ihm an­ge­bo­te­ne Ab­fin­dung zu si­chern, im Rah­men der Prüfung des wich­ti­gen Grun­des als schützens­wert an­zu­se­hen ist, ein wich­ti­ger Grund mit­hin be­reits un­ter die­sem As­pekt zu be­ja­hen ist.


Die vor­lie­gen­de Fall­ge­stal­tung er­for­dert kei­ne an­de­re Be­wer­tung, denn der Kläger hätte sich ge­gen die an­sons­ten si­cher be­vor­ste­hen­de rechtmäßige Ar­beit­ge­berkündi­gung nicht zur Wehr set­zen können. Da­bei kann of­fen blei­ben, ob be­reits sein Al­ter (über 58 Jah­re) und das Vor­lie­gen der Vor­aus­set­zun­gen des § 428 SGB III ei­ne dif­fe­ren­zie­ren­de Wer­tung recht­fer­ti­gen (oh­ne Fest­le­gung - vgl BSG SozR 3-4300 § 144 Nr 8, S 17; eben­so of­fen ge­las­sen in BSG SozR 3-4300 § 144 Nr 12, S 36 f; wei­ter­ge­hend und für die­sen Per­so­nen­kreis ei­nen wich­ti­gen Grund be­ja­hend Ga­gel, SGb 2006, 264, 269). Je­den­falls steht an­ge­sichts der oh­ne­hin nicht zu ver­mei­den­den Beschäfti­gungs­lo­sig­keit sei­nem In­ter­es­se dar­an, sich durch Ab­schluss des Auf­he­bungs­ver­tra­ges zu­min­dest die ihm zu­ge­sag­te Ab­fin­dung zu si­chern, kein gleich­wer­ti­ges In­ter­es­se der Ver­si­cher­ten­ge­mein­schaft an ei­nem Ab­war­ten der Ar­beit­ge­berkündi­gung ge­genüber. Aus­rei­chend ist in­so­weit die Fest­stel­lung des LSG, dass oh­ne den Ab­schluss des Auf­he­bungs­ver­tra­ges ei­ne Ab­fin­dung nicht zahl­bar ge­we­sen wäre. In die­sem Zu­sam­men­hang bleibt die Höhe der Ab­fin­dung un­er­heb­lich.

Ent­ge­gen der Mei­nung der Be­klag­ten be­darf es des­halb in Fällen der vor­lie­gen­den Art zur Be­ja­hung ei­nes wich­ti­gen Grun­des nicht der Fest­stel­lung wei­te­rer Umstände, et­wa hin­sicht­lich der Ver­schie­bung des Kündi­gungs­zeit­punk­tes oder der Frei­stel­lung durch den Auf­he­bungs­ver­trag. Un­ter Berück­sich­ti­gung des Zwecks der Sperr­zeit und des ver­fas­sungs­recht­li­chen Über­maßver­bo­tes (vgl BS­GE 89, 243, 248 = SozR 3-4300 § 144 Nr 8)

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un­terläge es durch­grei­fen­den Be­den­ken, das Ei­gen­in­ter­es­se des Ver­si­cher­ten an ei­ner für ihn güns­ti­gen Ge­stal­tung der Mo­da­litäten der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses un­berück­sich­tigt zu las­sen, wenn ein In­ter­es­se der Ver­si­cher­ten­ge­mein­schaft an ei­nem Ab­war­ten der Kündi­gung nicht er­sicht­lich ist. In­so­weit hat der er­ken­nen­de Se­nat be­reits im oben ge­nann­ten Ur­teil vom 17. No­vem­ber 2005 (SozR 4-4300 § 144 Nr 11 Rd­Nr 21) in Er­wei­te­rung der bis­he­ri­gen Recht­spre­chung deut­lich ge­macht, dass bei ei­ner dro­hen­den rechtmäßigen Ar­beit­ge­berkündi­gung "im Re­gel­fall ... ein wich­ti­ger Grund an­zu­neh­men sein ..." wird, dh bei die­ser Fall­ge­stal­tung der (zusätz­li­che) Nach­weis ei­nes be­son­de­ren In­ter­es­ses an der Auflösungs­ver­ein­ba­rung (wie zB Ver­mei­dung zukünf­ti­ger be­ruf­li­cher Nach­tei­le) re­gelmäßig nicht er­for­der­lich ist bzw - selbst wenn an die­sem Er­for­der­nis fest­ge­hal­ten wird - das In­ter­es­se des Ar­beit­neh­mers an ei­ner Ab­fin­dung im Rah­men der ge­bo­te­nen In­ter­es­sens­abwägung als schützens­wert an­zu­se­hen ist. Der Se­nat ver­mag sich so­mit der - we­sent­lich en­ge­ren - Rechts­mei­nung der Be­klag­ten nicht an­zu­sch­ließen, die auch bei dro­hen­der rechtmäßiger Kündi­gung ei­nen wich­ti­gen Grund zum Ab­schluss ei­nes Auf­he­bungs­ver­tra­ges - ab­ge­se­hen vom Fall der Ver­mei­dung be­ruf­li­cher Nach­tei­le - nur beim Nach­weis sons­ti­ger gleich ge­wich­ti­ger Gründe, aus de­nen der Ar­beit­neh­mer "ob­jek­tiv Nach­tei­le aus ei­ner ar­beit­ge­ber­sei­ti­gen Kündi­gung befürch­ten muss­te" ge­ge­ben sieht (vgl Durchführungs­an­wei­sun­gen zu § 144 SGB III, Stand 2006, un­ter 9.3.1. - Rz 144.99).


Ein wich­ti­ger Grund kann im vor­lie­gen­den Fall auch nicht mit der von der Be­klag­ten an­ge­spro­che­nen Erwägung in Zwei­fel ge­zo­gen wer­den, der Kläger ha­be je­den­falls be­zo­gen auf den Frei­stel­lungs­zeit­punkt (1. Ok­to­ber 2003) kei­nen wich­ti­gen Grund zur Lösung des Beschäfti­gungs­verhält­nis­ses ge­habt, zu­mal er - wie die Erklärung nach § 428 SGB III zei­ge - kein In­ter­es­se an ei­ner be­ruf­li­chen Ein­glie­de­rung ge­habt ha­be. Denn aus­weis­lich der vom LSG in Be­zug ge­nom­me­nen Ver­wal­tungs­ak­ten hat sich der Kläger be­reits am 18. Ju­li 2003 ar­beit­su­chend ge­mel­det und da­mit sei­ne Ver­pflich­tung zur frühzei­ti­gen Ar­beits­su­che erfüllt (vgl § 37b Satz 1 SGB III in der hier maßgeb­li­chen, ab 1. Ju­li 2003 gel­ten­den Fas­sung des Ge­set­zes vom 23. De­zem­ber 2002 <BGBl I 4607>; die­se Ver­pflich­tung be­to­nend - Ha­se, AuB 2006, 58 f; seit 1. Ju­li 2006 als ei­genständi­ger Sperr­zeit­tat­be­stand in § 144 Abs 1 Nr 7 SGB III idF des Ge­set­zes vom 22. De­zem­ber 2005 <BGBl I 3676> er­fasst). Es ist hier auch kein Grund er­sicht­lich, bei der Be­ur­tei­lung des wich­ti­gen Grun­des dar­auf ab­zu­stel­len, ob der Ar­beit­neh­mer bis zum En­de des Ar­beits­verhält­nis­ses ar­bei­tet oder ver­ein­ba­rungs­gemäß ge­gen Zah­lung von Ar­beits­ent­gelt von der Ar­beit frei­ge­stellt wird (so be­reits BSG SozR 3-4300 § 144 Nr 12, S 35).


Sch­ließlich bie­tet der vor­lie­gen­de Sach­ver­halt im Hin­blick auf den Zeit­punkt des Sperr­zeit­ein­tritts auch kei­ne Ver­an­las­sung zur ab­sch­ließen­den Erörte­rung der - vom LSG und von der Be­klag­ten in der Re­vi­si­ons­be­gründung the­ma­ti­sier­ten - Fra­ge, ob aus der neu ge­schaf­fe­nen mit Wir­kung ab 1. Ja­nu­ar 2004 in Kraft ge­tre­te­nen Re­ge­lung des § 1a KSchG durch das Ge­setz zu Re­for­men am Ar­beits­markt vom 24. De­zem­ber 2003 (BGBl I 3002) wei­ter­ge­hen­de Fol­ge-
 


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run­gen für die Aus­le­gung des Merk­mals "wich­ti­ger Grund" zu zie­hen sind. Mit die­ser neu­ar­ti­gen kündi­gungs­schutz­recht­li­chen Re­ge­lung woll­te der Ge­setz­ge­ber den Ar­beits­ver­trags­par­tei­en im Fal­le ei­ner be­triebs­be­ding­ten Kündi­gung ei­ne ein­fa­che, ef­fi­zi­en­te und kostengüns­ti­ge vor­ge­richt­li­che Klärung der Vor­aus­set­zun­gen der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses an­bie­ten (BT-Drucks 15/1204 S 9; vgl auch BT-Drucks 15/1587 S 27). Die­se un­mit­tel­bar nur auf das Ar­beits­recht be­zo­ge­ne "Öff­nung" für ei­ne Be­en­di­gung von Ar­beits­verhält­nis­sen könn­te Ver­an­las­sung dafür ge­ben, künf­tig ei­nen wich­ti­gen Grund bei Ab­schluss ei­nes Auf­he­bungs­ver­tra­ges oh­ne die aus­nahms­lo­se Prüfung der Rechtmäßig­keit der dro­hen­den Ar­beit­ge­berkündi­gung an­zu­er­ken­nen. Letz­te­res erwägt der Se­nat für Sperr­zei­ten we­gen Ar­beits­auf­ga­be mit ei­nem Lösungs­sach­ver­halt ab dem 1. Ja­nu­ar 2004, wenn die Ab­fin­dungshöhe die in § 1a Abs 2 KSchG vor­ge­se­he­ne nicht über­schrei­tet (vgl in die­sem Sin­ne auch Pe­ters-Lan­ge/Ga­gel, NZA 2005, 740, 741; Spell­brink, BB 2006, 1274, 1276; Voelz­ke, NZS 2005, 281, 287; zurück­hal­tend Ei­cher, SGb 2005, 553, 558). Die­se Ab­fin­dungshöhe wäre im Übri­gen auch im Fall des Klägers - un­ter Ein­be­zie­hung des Weih­nachts­gel­des (§ 1a Abs 2 Satz 2 iVm § 10 Abs 3 KSchG) - nicht über­schrit­ten.


Die Kos­ten­ent­schei­dung folgt aus § 193 SGG.

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