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HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

LAG Rhein­land-Pfalz, Ur­teil vom 18.12.2014, 5 Sa 518/14

   
Schlagworte: Betriebliches Eingliederungsmanagement, BEM
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen: 5 Sa 518/14
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 18.12.2014
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Mainz, Urteil vom 25.06.2014, 10 Ca 493/14
   

Ak­ten­zei­chen:
5 Sa 518/14
10 Ca 493/14
Ar­beits­ge­richt Mainz

Ent­schei­dung vom 18.12.2014

Te­nor:

Die Be­ru­fung der Kläge­rin ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Mainz vom 25. Ju­ni 2014, Az. 10 Ca 493/14, wird kos­ten­pflich­tig zurück­ge­wie­sen. Die Re­vi­si­on wird nicht zu­ge­las­sen.

Tat­be­stand:

Die Par­tei­en strei­ten darüber, ob die Kläge­rin die Hin­zu­zie­hung ei­nes Rechts­bei­stan­des zu Gesprächen des be­trieb­li­chen Ein­glie­de­rungs­ma­nage­ments ver­lan­gen kann.

Die Be­klag­te gehört zu ei­nem Ver­si­che­rungs­kon­zern. Die 1971 ge­bo­re­ne Kläge­rin ist seit De­zem­ber 1996 bei der Be­klag­ten bzw. de­ren Rechts­vorgängern als Sach­be­ar­bei­te­rin zu ei­nem Brut­to­mo­nats­ent­gelt von zu­letzt € 3.706,- mit 38 Wo­chen­stun­den in Voll­zeit an­ge­stellt. Sie wur­de zunächst am Stand­ort Saarbrücken ein­ge­setzt. Auf­grund ei­ner un­ter­neh­mens­wei­ten Um­struk­tu­rie­rung wur­de sie mit ih­rem Ein­verständ­nis ab 01.10.2007 am Stand­ort Mainz beschäftigt. Im schrift­li­chen Ar­beits­ver­trag vom 07.09.2007 ver­ein­bar­ten die Par­tei­en den Dienst­ort Mainz. Die Kläge­rin be­hielt je­doch ih­ren Wohn­sitz in der Nähe von Saarbrücken bei und pen­del­te nach Mainz.

Nach der Ge­burt ih­res Soh­nes im Jahr 2010 nahm die Kläge­rin El­tern­zeit bis zum 13.04.2012 in An­spruch, die ein­ver­nehm­lich bis zum 13.04.2013 verlängert wur­de. Seit 14.04.2013 ist die Kläge­rin un­un­ter­bro­chen ar­beits­unfähig krank­ge­schrie­ben.

In ei­nem wei­te­ren Rechts­streit (LAG Rhein­land-Pfalz 5 Sa 378/14) strei­ten die Par­tei­en darüber, ob die Kläge­rin be­fris­tet bis zum 30.09.2016 ne­ben ei­ner Ver­rin­ge­rung ih­rer Ar­beits­zeit auf 20 Wo­chen­stun­den - wo­mit die Be­klag­te ein­ver­stan­den ist -, auch ei­ne Ver­la­ge­rung ih­res Ar­beits­or­tes von Mainz nach Saarbrücken, hilfs­wei­se die Ein­rich­tung ei­nes Heim­ar­beits­plat­zes be­an­spru­chen kann.

Die Be­klag­te be­ab­sich­tigt, das gem. § 84 Abs. 2 SGB IX vor­ge­schrie­be­ne be­trieb­li­che Ein­glie­de­rungs­ma­nage­ment (BEM) durchführen. Des­halb lud sie die Kläge­rin be­reits im Sep­tem­ber 2013 zu ei­nem BEM-Gespräch ein. Auf Sei­ten der Be­klag­ten sol­len die lo­ka­le Per­so­nal­sach­be­ar­bei­te­rin so­wie die Vor­ge­setz­te der Kläge­rin teil­neh­men. Außer­dem sol­len ein Mit­glied des Be­triebs­rats und ggf. der Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­ter des Stand­orts Mainz teil­neh­men, wenn die Kläge­rin dem nicht wi­der­spricht. Die Kläge­rin ist mit der Durchführung des BEM ein­ver­stan­den; sie ver­langt je­doch die Teil­nah­me ih­res Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten als Rechts­bei­stand an dem BEM-Gespräch. Dies lehnt die Be­klag­te ab. Von ei­ner wei­ter­ge­hen­den Dar­stel­lung des un­strei­ti­gen Tat­be­stands und des erst­in­stanz­li­chen Par­tei­vor­brin­gens wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG ab­ge­se­hen und auf den Tat­be­stand des Ur­teils des Ar­beits­ge­richts Mainz vom 25.06.2014 (dort S. 2 bis 6) Be­zug ge­nom­men.

Die Kläge­rin hat erst­in­stanz­lich zu­letzt be­an­tragt,

die Be­klag­te zu ver­pflich­ten, ih­ren Rechts­bei­stand Sch. zu den Gesprächen des be­trieb­li­chen Ein­glie­de­rungs­ma­nage­ments zwi­schen ihr und der Be­klag­ten zu­zu­las­sen.

Die Be­klag­te hat be­an­tragt,

die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Das Ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge nach vor­aus­ge­gan­ge­nem Versäum­nis­ur­teil ab­ge­wie­sen. Zur Be­gründung hat das Ar­beits­ge­richt - zu­sam­men­ge­fasst - aus­geführt, die Kläge­rin könne die Teil­nah­me ih­res Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten an dem BEM-Gespräch nicht er­zwin­gen. § 84 Abs. 2 SGB IX se­he ei­nen der­ar­ti­gen An­spruch nicht vor. Ein An­spruch fol­ge we­der aus dem all­ge­mei­nen Persönlich­keits­recht (Art. 2 Abs. 1 GG) noch aus Fürsor­ge­ge­sichts­punk­ten (§ 242 BGB). We­gen der Ein­zel­hei­ten der Ent­schei­dungs­gründe wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG auf S. 7 bis S. 13 des erst­in­stanz­li­chen Ur­teils vom 25.06.2014 Be­zug ge­nom­men. Ge­gen das am 30.07.2014 zu­ge­stell­te Ur­teil hat die Kläge­rin mit am 01.09.2014 (Mo) beim Lan­des­ar­beits­ge­richt ein­ge­gan­ge­nem Schrift­satz Be­ru­fung ein­ge­legt und die­se in­ner­halb der bis zum 30.10.2014 verlänger­ten Be­gründungs­frist mit am 30.10.2014 ein­ge­gan­ge­nem Schrift­satz be­gründet.

Die Kläge­rin macht zur Be­gründung der Be­ru­fung gel­tend, sie ha­be ei­nen An­spruch auf Hin­zu­zie­hung ih­res Rechts­bei­stan­des aus § 84 Abs. 2 SGB IX iVm. § 242 BGB. Das Ar­beits­ge­richt ha­be zu ho­he An­for­de­run­gen an die Vor­aus­set­zun­gen für des­sen Hin­zu­zie­hung ge­stellt. Der Ar­beit­neh­mer sei während des BEM be­son­ders schutz­bedürf­tig. Auch wenn beim Ar­beit­ge­ber ei­ne be­trieb­li­che In­ter­es­sen­ver­tre­tung iSd. §§ 84 Abs. 2, 93 SGB IX ge­bil­det sei und ei­ne Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung be­ste­he, müsse der Schutz des Ar­beit­neh­mers durch Hin­zu­zie­hung wei­te­rer Per­so­nen gewähr­leis­tet wer­den. Die Auf­fas­sung des Ar­beits­ge­richts, dass die Teil­nah­me ei­nes Rechts­an­walts nur in ex­tre­men Aus­nah­mefällen in Be­tracht kom­me, wi­der­spre­che der ge­setz­ge­be­ri­schen In­ten­si­on, die struk­tu­rel­le Un­ter­le­gen­heit des Ar­beit­neh­mers aus­zu­glei­chen. Dem Ar­beit­neh­mer sei auch aus Gründen der Waf­fen­gleich­heit ein Recht auf Hin­zu­zie­hung ei­nes Rechts­bei­stan­des zu­zu­bil­li­gen. Der Ar­beit­ge­ber ha­be die Möglich­keit, sich durch ei­nen oder meh­re­re - auch ju­ris­tisch - aus­ge­bil­de­te Mit­ar­bei­ter beim BEM ver­tre­ten zu las­sen, oh­ne dass der Ar­beit­neh­mer wi­der­spre­chen könne. Die Über­zahl und das in der Re­gel zu­vor un­ter­ein­an­der ab­ge­stimm­te Vor­ge­hen der Ver­tre­ter auf Ar­beit­ge­ber­sei­te stel­le für den Ar­beit­neh­mer ei­ne Über­for­de­rungs­si­tua­ti­on dar, der der Ar­beit­neh­mer im Hin­blick auf den da­durch aus­gelösten psy­chi­schen Stress nicht ge­wach­sen sei. Ins­be­son­de­re bei ei­nem krank­heits­be­dingt ge­schwäch­ten Ar­beit­neh­mer sei der Ar­beit­ge­ber ge­hal­ten, die­sem zum Aus­gleich des si­tua­tiv und struk­tu­rell be­ding­ten Un­gleich­ge­wichts die Hin­zu­zie­hung ei­nes Rechts­bei­stan­des zu­zu­bil­li­gen.

Im Streit­fall be­ste­he aber auch ei­ne Aus­nah­me­si­tua­ti­on, die die Teil­nah­me ih­res Rechts­an­wal­tes am BEM-Gespräch er­for­de­re. Der von der Be­klag­ten aus­geübte Druck, sie müsse nach der El­tern­zeit auf ih­ren bis­he­ri­gen Ar­beits­platz nach Mainz zurück­keh­ren, ha­be sie der­art über­for­dert, dass sie seit­dem durchgängig ar­beits­unfähig er­krankt sei. Ih­re Ar­beits­unfähig­keit sei durch die Wei­ge­rungs­hal­tung der Be­klag­ten be­dingt. Aus­gelöst durch den Ar­beits­platz­kon­flikt lei­de sie an ei­ner mit­tel­gra­di­gen bis schwe­ren de­pres­si­ven Epi­so­de. Aus the­ra­peu­ti­scher Sicht sei wich­tig, ihr die Beschäfti­gung zu er­hal­ten. Die Ar­beits­be­din­gun­gen müss­ten je­doch so um­ge­stal­tet wer­den, dass das ge­sund­heit­li­che Ri­si­ko un­ter Er­hal­tung ih­rer Res­sour­cen mi­ni­miert wer­de. Ei­ne Psy­cho­the­ra­pie könne sinn­vol­ler­wei­se erst ein­ge­lei­tet wer­den, wenn sich ih­re Ar­beits­platz­si­tua­ti­on geklärt ha­be. Vor die­sem Hin­ter­grund sei ihr nicht zu­zu­mu­ten, BEM-Gespräche oh­ne ih­ren Rechts­bei­stand zu führen.

Im Übri­gen sei nicht aus­zu­sch­ließen, dass die Be­klag­te im Rah­men des BEM-Gesprächs die Möglich­keit er­grei­fe, ihr die Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses an­heim­zu­stel­len. Die Be­en­di­gung sei schließlich be­reits im März/April 2013 zwi­schen den Par­tei­en the­ma­ti­siert wor­den. Es sei nicht da­von aus­zu­ge­hen, dass sie von der Be­klag­ten als mit­wir­kungs­be­rech­tig­te und gleich­be­rech­tig­te Part­ne­rin an­se­hen wer­de. Auch in­so­fern sei von ih­rer struk­tu­rel­len Un­ter­le­gen­heit aus­zu­ge­hen, die nur durch die Hin­zu­zie­hung ih­res Rechts­bei­stan­des zum BEM-Gespräch über­wun­den wer­den könne. We­gen wei­te­rer Ein­zel­hei­ten der Be­ru­fungs­be­gründung wird auf die Schriftsätze der Kläge­rin vom 30.10.2014 und vom 10.12.2014 Be­zug ge­nom­men.

Die Kläge­rin be­an­tragt zweit­in­stanz­lich,

das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Mainz vom 25.06.2014, Az. 10 Ca 493/13, ab­zuändern und un­ter Auf­he­bung des kla­ge­ab­wei­sen­den Versäum­nis­ur­teils vom 31.03.2014 die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, den Rechts­bei­stand der Kläge­rin Sch. zu den Gesprächen des be­trieb­li­chen Ein­glie­de­rungs­ma­nage­ments zwi­schen den Par­tei­en zu­zu­las­sen.

Die Be­klag­te be­an­tragt,

die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen.

Sie hält die Be­ru­fung be­reits für un­zulässig, weil we­der die Be­ru­fungs­schrift noch die Be­gründungs­schrift form­wirk­sam un­ter­zeich­net wor­den sei­en. In der Sa­che ver­tei­digt sie das an­ge­foch­te­ne Ur­teil nach Maßga­be ih­rer Be­ru­fungs­er­wi­de­rung vom 02.12.2014 und des Schrift­sat­zes vom 12.12.2014, auf die Be­zug ge­nom­men wird, als zu­tref­fend.

Ent­schei­dungs­gründe:

I. Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statt­haf­te Be­ru­fung der Kläge­rin ist gem. §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO form- und frist­ge­recht ein­ge­legt und in­halt­lich aus­rei­chend be­gründet wor­den.

Ent­ge­gen der An­sicht der Be­klag­ten ent­spre­chen so­wohl die Be­ru­fungs­schrift als auch die Be­ru­fungs­be­gründungs­schrift den an be­stim­men­de Schriftsätze zu stel­len­den förm­li­chen An­for­de­run­gen (§ 130 ZPO). Die Be­ru­fungs­kam­mer be­zwei­felt nicht, dass der in­di­vi­du­el­le Schrift­zug des Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten der Kläge­rin ei­ne formgülti­ge Un­ter­schrift dar­stellt. Das hand­schrift­li­che Ge­bil­de, mit dem Rechts­an­walt Sch. die Schriftsätze ge­zeich­net hat, steht für sei­nen Na­men. Es ist von in­di­vi­du­el­lem Ge­präge und hat cha­rak­te­ris­ti­sche Merk­ma­le, wel­che die Iden­tität des­sen, von dem es stammt, aus­rei­chend kenn­zeich­nen. Das genügt, wenn - wie hier - die Au­to­ren­schaft ge­si­chert ist (vgl. BAG 30.08.2000 - 5 AZB 17/00 - NZA 2000, 1248).

II. In der Sa­che hat die Be­ru­fung der Kläge­rin kei­nen Er­folg. Das Ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge zu Recht als un­be­gründet ab­ge­wie­sen. Die Kläge­rin hat kei­nen An­spruch auf Hin­zu­zie­hung ih­res Rechts­bei­stan­des zu Gesprächen im Rah­men des be­trieb­li­chen Ein­glie­de­rungs­ma­nage­ments (BEM).

Die Be­ru­fungs­kam­mer folgt der ausführ­li­chen und sorgfälti­gen Be­gründung des an­ge­foch­te­nen Ur­teils und stellt dies gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG fest. Das Be­ru­fungs­vor­brin­gen der Kläge­rin ver­an­lasst le­dig­lich fol­gen­de Ausführun­gen:

Nach § 84 Abs. 2 SGB IX be­steht kei­ne Pflicht der Be­klag­ten, den Rechts­bei­stand der Kläge­rin zu ei­nem BEM-Gespräch hin­zu­zu­zie­hen. Die Kläge­rin stellt an das Ver­hal­ten der Be­klag­ten An­for­de­run­gen, die über die ge­setz­li­chen Vor­ga­ben in § 84 Abs. 2 SGB IX hin­aus­ge­hen. Nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts, der auch die Be­ru­fungs­kam­mer folgt, ent­spricht je­des Ein­glie­de­rungs­ma­nage­ment den ge­setz­li­chen Er­for­der­nis­sen des § 84 Abs. 2 SGB IX, das die zu be­tei­li­gen­den Per­so­nen und Stel­len un­ter­rich­tet, das sie - ggf. abhängig von ih­rer Zu­stim­mung - ein­be­zieht, das kein vernünf­ti­ger­wei­se in Be­tracht zu zie­hen­des Er­geb­nis aus­sch­ließt und in dem die von die­sen Per­so­nen und Stel­len ein­ge­brach­ten Vor­schläge erörtert wer­den (vgl. BAG 10.12.2009 - 2 AZR 198/09 - Rn. 16, NZA 2010, 639).

Das Ge­setz be­nennt die vom Ar­beit­ge­ber ne­ben dem be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer zu be­tei­li­gen­den Per­so­nen und Stel­len aus­drück­lich. Es sieht mit Zu­stim­mung des Ar­beit­neh­mers die Ein­be­zie­hung der zuständi­gen In­ter­es­sen­ver­tre­tung iSd. § 93 SGB IX (Be­triebs­rat oder Per­so­nal­rat) und bei schwer­be­hin­der­ten Men­schen außer­dem der Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung vor. So­weit er­for­der­lich wird der Werks- oder Be­triebs­arzt hin­zu­ge­zo­gen. Kom­men Leis­tun­gen zur Teil­ha­be oder be­glei­ten­de Hil­fen im Ar­beits­le­ben in Be­tracht, wer­den vom Ar­beit­ge­ber die ört­li­chen ge­mein­sa­men Ser­vice­stel­len der Re­ha­bi­li­ta­ti­ons­träger oder bei schwer­be­hin­der­ten Beschäftig­ten das In­te­gra­ti­ons­amt hin­zu­ge­zo­gen.

Von die­sen ge­setz­li­chen Er­for­der­nis­sen muss die Be­klag­te nicht ab­wei­chen. § 84 Abs. 2 SGB IX sieht ge­ra­de nicht vor, dass der Ar­beit­neh­mer sich von ei­nem Rechts­bei­stand zum BEM-Gespräch be­glei­ten lässt. Aus die­sem Grund ist das Ar­beits­ge­richt zu­tref­fend zu dem Er­geb­nis ge­langt, dass die Kläge­rin aus § 84 Abs. 2 SGB IX kei­nen An­spruch auf die Teil­nah­me ih­res Rechts­bei­stan­des an ei­nem BEM-Gespräch her­lei­ten kann. Hat sich der Ge­setz­ge­ber ent­schie­den, den Rechts­bei­stand des Ar­beit­neh­mers nicht in den Teil­neh­mer­kreis des § 84 Abs. 2 SGB IX auf­zu­neh­men, darf ein Hin­zu­zie­hungs­an­spruch nicht über § 242 BGB her­bei­geführt wer­den, wie dies der Kläge­rin vor­schwebt. Dies würde be­deu­ten, sich über den klar er­kenn­ba­ren Wil­len des Ge­setz­ge­bers hin­weg­zu­set­zen und un­zulässig in des­sen Kom­pe­ten­zen ein­zu­grei­fen. Des­halb verfängt auch die Ar­gu­men­ta­ti­on der Kläge­rin nicht, die Hin­zu­zie­hung ei­nes Rechts­bei­stan­des sei ge­ne­rell als Aus­gleich für die "struk­tu­rel­le Un­ter­le­gen­heit" der Ar­beit­neh­mer im BEM-Gespräch er­for­der­lich bzw. aus Gründen der "Waf­fen­gleich­heit" in je­dem Fall not­wen­dig. Der Ge­setz­ge­ber hat die Be­tei­li­gung der be­trieb­li­chen In­ter­es­sen­ver­tre­tung (Be­triebs­rat oder Per­so­nal­rat) und ggf. der Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung, des Werks- oder Be­triebs­arz­tes so­wie der ört­li­chen ge­mein­sa­men Ser­vice­stel­len oder des In­te­gra­ti­ons­am­tes für aus­rei­chend er­ach­tet. Nach Auf­fas­sung des Ge­setz­ge­bers ist ei­ne Ver­tre­tung der Ar­beit­neh­mer im BEM durch Rechts­anwälte nicht er­for­der­lich.

Zwar lässt die Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts im Zu­sam­men­hang mit der Anhörung des Ar­beit­neh­mers zu ei­ner Ver­dachtskündi­gung er­ken­nen, dass dem Ar­beit­neh­mer Ge­le­gen­heit zu ge­ben sein dürf­te, ei­nen Rechts­an­walt hin­zu­zu­zie­hen (vgl. BAG 13.03.2008 - 2 AZR 961/06 - Rn. 18, NZA 2008, 809). In der Li­te­ra­tur wird ver­tre­ten, dass es an­ge­bracht sei, dem Ar­beit­neh­mer in die­ser Si­tua­ti­on grundsätz­lich das Recht zu­zu­bil­li­gen, zum Anhörungs­gespräch auch dann ei­nen Rechts­an­walt hin­zu­zu­zie­hen, wenn der Ar­beit­ge­ber nicht an­walt­lich oder durch ei­nen an­de­ren ex­ter­ner (Ver­bands-)Ver­tre­ter ver­tre­ten ist, weil sich die Anhörung vor Aus­spruch ei­ner Ver­dachtskündi­gung von ei­nem übli­chen Gespräch über die Aus­ge­stal­tung und den In­halt des Ar­beits­verhält­nis­ses er­heb­lich un­ter­schei­de, weil der Ar­beit­ge­ber den Be­stand des Ar­beits­verhält­nis­ses be­reits gefähr­det se­he (vgl. Ey­lert/ Fried­richs DB 2007, 2203, 2204 f.). Beim BEM iSd. § 84 Abs. 2 SGB IX be­steht je­doch kei­ne Par­al­le­le zur Anhörung vor Aus­spruch ei­ner Ver­dachtskündi­gung, denn die Si­tua­ti­on des Ar­beit­neh­mers ist nicht annähernd ver­gleich­bar. Das Ein­glie­de­rungs­ma­nage­ment zielt - wie der Na­me schon sagt - dar­auf ab, dem ar­beits­unfähi­gen Ar­beit­neh­mer den Ar­beits­platz zu er­hal­ten. Ei­ne grundsätz­li­che Pflicht des Ar­beit­ge­bers, zum BEM-Gespräch ei­nen Rechts­an­walt hin­zu­zu­zie­hen, kann da­her nicht an­ge­nom­men wer­den.

Ob ein Ar­beit­ge­ber in "ex­tre­men Aus­nah­mefällen" ver­pflich­tet sein kann, ei­nem Ar­beit­neh­mer zu ge­stat­ten, BEM-Gespräche in Be­glei­tung ei­nes Rechts­bei­stan­des zu führen, kann da­hin­ste­hen. Ein Aus­nah­me­fall liegt nach den vor­lie­gen­den Ge­samt­umständen nicht vor.

Ent­ge­gen der An­sicht der Kläge­rin lässt sich ein Aus­nah­me­fall nicht mit dem Ar­gu­ment be­gründen, der Ar­beit­neh­mer sei im BEM-Gespräch krank­heits­be­dingt ge­schwächt. Die krank­heits­be­ding­te Ar­beits­unfähig­keit stellt gem. § 84 Abs. 2 SGB IX ge­ra­de den Grund für die Durchführung des BEM dar. Die Er­kran­kung des Ar­beit­neh­mers kann des­halb für sich al­lein be­trach­tet, kei­ne be­son­de­re Schutz­bedürf­tig­keit be­gründen, die die Teil­nah­me ei­nes Rechts­an­walts am BEM-Gespräch be­din­gen könn­te, um ei­ne "struk­tu­rel­le Un­ter­le­gen­heit" aus­zu­glei­chen. Dies wäre sonst bei je­dem BEM der Fall.

Auch das von der Kläge­rin an­geführ­te Ar­gu­ment der "Waf­fen­gleich­heit" führt nicht wei­ter. Sinn und Zweck des BEM be­steht nicht dar­in, wi­der­strei­ten­de In­ter­es­sen der Ar­beits­ver­trags­par­tei­en aus­zu­fech­ten, son­dern krank­heits­be­ding­te Kündi­gun­gen zu ver­hin­dern. Durch die dem Ar­beit­ge­ber gemäß § 84 Abs. 2 SGB IX auf­er­leg­ten be­son­de­ren Ver­hal­tens­pflich­ten soll möglichst frühzei­tig ei­ner Gefähr­dung des Ar­beits­verhält­nis­ses ei­nes kran­ken Men­schen be­geg­net und die dau­er­haf­te Fort­set­zung der Beschäfti­gung er­reicht wer­den. Ziel des BEM ist die frühzei­ti­ge Klärung, ob und ggf. wel­che Maßnah­men zu er­grei­fen sind, um ei­ne möglichst dau­er­haf­te Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses zu fördern. Die in § 84 Abs. 2 SGB IX ge­nann­ten Maßnah­men die­nen da­mit letzt­lich der Ver­mei­dung ei­ner Kündi­gung und der Ver­hin­de­rung von Ar­beits­lo­sig­keit er­krank­ter und kran­ker Men­schen (vgl. BAG 30.09.2010 - 2 AZR 88/09 - Rn. 32 mwN, NZA 2011, 39). Ei­ne man­geln­de "Waf­fen­gleich­heit" ist nicht zu be­sor­gen. Um das Ziel des BEM zu er­rei­chen, ist die Hin­zu­zie­hung ei­nes Rechts­an­walts nicht zwin­gend er­for­der­lich.

Ent­ge­gen der An­sicht der Be­ru­fung be­gründet die ge­sund­heit­li­che Si­tua­ti­on der Kläge­rin nicht aus­nahms­wei­se ein Recht zur Teil­nah­me ih­res Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten am BEM-Gespräch. Die Kläge­rin lei­det aus­weis­lich der vor­ge­leg­ten ärzt­li­chen At­tes­te an ei­ner mit­tel­gra­di­gen bis schwe­ren de­pres­si­ven Epi­so­de. Aus Sicht der Ärz­te ist die Er­kran­kung auf die Ar­beits­platz­si­tua­ti­on der Kläge­rin zurück­zuführen, die nach Be­en­di­gung der El­tern­zeit ab 14.04.2013 - bei Ar­beitsfähig­keit - von ih­rem Wohn­ort im Saar­land zu ih­rem Ar­beits­ort nach Mainz hätte pen­deln müssen. Die Be­klag­te, die zwar mit der gewünsch­ten Teil­zeit­ar­beit von 20 St­un­den pro Wo­che ein­ver­stan­den ist, wei­gert sich aus be­trieb­li­chen Gründen, das Ver­lan­gen der Kläge­rin, ihr ei­ne Beschäfti­gung in Saarbrücken an­zu­bie­ten oder ei­nen Heim­ar­beits­platz ein­zu­rich­ten, zu erfüllen. Auch wenn der Kau­sal­zu­sam­men­hang zwi­schen der Er­kran­kung und der Wei­ge­rung der Be­klag­ten, dem Be­geh­ren der Kläge­rin zu ent­spre­chen, of­fen­sicht­lich ist, führt der Um­stand, dass die Be­klag­te auf ih­rem (zu­tref­fen­den) Rechts­stand­punkt be­harrt, die Kläge­rin sei ar­beits­ver­trag­lich ver­pflich­tet, ih­re Ar­beits­leis­tung - auch bei ei­ner Teil­zeit­beschäfti­gung - am Stand­ort in Mainz er­brin­gen, zu kei­nem Ver­schul­den am Krank­heits­fall. Der Be­klag­ten ist nicht als Ver­schul­dens­bei­trag zu­zu­rech­nen, dass die Kläge­rin, de­ren Ar­beits­ort seit dem 01.10.2007 in Mainz liegt, ih­ren Wohn­sitz im Saar­land bei­be­hal­ten hat, so dass sie sich nach der El­tern­zeit ab 14.04.2013 nicht in der La­ge sieht, zur Ar­beits­stel­le zu pen­deln und gleich­zei­tig für die Kin­der­be­treu­ung zu sor­gen.

Ein Aus­nah­me­fall liegt auch nicht des­halb vor, weil die Kläge­rin ver­mu­tet, dass die Be­klag­te mit ihr im BEM-Gespräch über die Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses re­den wol­le. Die Be­klag­te hat im Ver­lauf des Rechts­streits wie­der­holt ver­si­chert, dass sie mit der Kläge­rin nicht (mehr) über die Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses ver­han­deln wol­le. Aus dem Schrei­ben der Be­klag­ten vom 28.03.2013 an den jet­zi­gen Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten der Kläge­rin lässt sich kei­ne Er­kennt­nis über ih­re Ab­sich­ten im BEM-Gespräch ge­win­nen. Die Be­klag­te hat­te der Kläge­rin da­mals mit­ge­teilt, sie könne sich prin­zi­pi­ell ei­ne ein­ver­nehm­li­che Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses zum En­de der El­tern­zeit vor­stel­len, wenn die Kläge­rin we­gen feh­len­der Kin­der­be­treu­ungsmöglich­kei­ten nicht an ih­ren Ar­beits­ort in Mainz zurück­keh­ren könne. Ent­ge­gen der An­sicht der Kläge­rin, kann aus dem da­ma­li­gen Bemühen der Be­klag­ten, Strei­tig­kei­ten vor­zu­beu­gen, nicht ge­schlos­sen wer­den, sie wer­de das BEM-Gespräch ent­ge­gen ih­rer aus­drück­li­chen Be­teue­rung "miss­brau­chen", um die Kläge­rin zu ei­ner Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses zu be­we­gen.

III. Die Kos­ten der er­folg­los ge­blie­be­nen Be­ru­fung fal­len der Kläge­rin nach § 97 Abs. 1 ZPO zur Last.

Ein Grund, der nach den hierfür maßgeb­li­chen ge­setz­li­chen Kri­te­ri­en des § 72 Abs. 2 ArbGG die Zu­las­sung der Re­vi­si­on recht­fer­ti­gen könn­te, be­steht nicht.

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