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LAG Köln, Ur­teil vom 17.11.2015, 12 Sa 711/15

   
Schlagworte: Sozialplan
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Aktenzeichen: 12 Sa 711/15
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 17.11.2015
   
Leitsätze: 1. Die Betriebsparteien können zur Herstellung von Rechtssicherheit ein Verfahren oder einen Stichtag bestimmen und auf diese Weise festlegen, ob eine Eigenkündigung durch die konkrete Betriebsänderung veranlasst wurde oder nicht. Dazu kann die Ausgleichspflicht an einen Zeitpunkt anknüpfen, in dem die Art und Weise der durchzuführenden Betriebsänderung für die betroffenen Arbeitnehmer feststeht. Bei der gebotenen typisierenden Betrachtungsweise dürfen die Betriebsparteien in einem solchen Fall davon ausgehen, dass Arbeitnehmer, die auf eigene Veranlassung ihr Arbeitsverhältnis beenden, bevor das Ausmaß einer sie treffenden Betriebsänderung konkret absehbar und der Umfang der daran knüpfenden wirtschaftlichen Nachteile prognostizierbar ist, ihr Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der Betriebsänderung beenden.

2. Erst mit dem Abschluss des Interessenausgleichs stand der Umfang der betriebsändernden Maßnahmen und der Zeitpunkt seiner Umsetzung - wenn überhaupt - hinreichend fest. Ab diesem Zeitpunkt stand im Ansatz fest, welche Mitarbeitergruppen zu welchem Zeitpunkt von der Standortverlagerung betroffen waren.

3. Für § 628 Abs. 2 BGB muss die Kündigung des Arbeitnehmers durch vertragswidriges schuldhaftes Verhalten des Arbeitgebers veranlasst worden sein. Die Kündigung muss also ihren Grund gerade in einem vertragswidrigen Verhalten des anderen Vertragsteils haben - so genanntes Auflösungsverschulden. Für dieses Verschulden genügt nicht jede geringfügige schuldhafte Vertragsverletzung. Vielmehr muss ihr das Gewicht eines wichtigen Grunds zukommen und zum Ausspruch einer fristlosen Kündigung berechtigen.
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Köln, 12 Ca 1595/14
   

Te­nor:

1. Die Be­ru­fung des Klägers ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Köln vom 10. Fe­bru­ar 2015 - 12 Ca 1595/14 - wird zurück­ge­wie­sen.

2. Der Kläger hat die Kos­ten der Be­ru­fung zu tra­gen.

3. Die Re­vi­si­on wird nicht zu­ge­las­sen.

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten über den An­spruch des Klägers auf Gleich­be­hand­lung bei ei­ner So­zi­al­plan­ab­fin­dung so­wie auf Scha­dens­er­satz we­gen Auflösungs­ver­schul­dens der Be­klag­ten.

Der An­fang 1974 ge­bo­re­ne Kläger war seit Ju­li 2003 bei der be­klag­ten Flug­ge­sell­schaft als Sys­tem­ad­mi­nis­tra­tor mit Ein­satz­ort K beschäftigt.

Seit 2012 trat die Be­klag­te in Über­le­gun­gen zur Ver­le­gung ih­res Stand­orts von nach M ein. In ei­ner Mit­tei­lung vom 15. April 2013 teil­te sie mit, dass in den nächs­ten Wo­chen ein kon­kre­ter Um­zugs­fahr­plan ent­wi­ckelt wer­de. In ei­ner wei­te­ren Mit­tei­lung von Mai 2013 teil­te sie mit, dass sich im Zu­ge der Ver­la­ge­rung des Stand­orts Rah­men­be­din­gun­gen, Pro­zes­se und nicht zu­letzt die persönli­che Le­bens­si­tua­ti­on der meis­ten Kol­le­gen verändern würden.

Der Be­triebs­rat un­ter­rich­te­te die Mit­ar­bei­ter am 11. Ju­ni 2013, dass Gespräche zwi­schen den Be­triebs­par­tei­en zum Aus­tausch ge­gen­sei­ti­ger Po­si­tio­nen we­gen ver­schie­de­ner Möglich­kei­ten hin­sicht­lich des Stand­ort­wech­sels stattfänden.

Am 20. Ju­ni 2013 kündig­te der Kläger sein Ar­beits­verhält­nis mit der Be­klag­ten zum 31. Ok­to­ber 2013. Dar­in bat er die Be­klag­te, das Ar­beits­verhält­nis vor­zei­tig mit Wir­kung zu En­de Sep­tem­ber 2013 auf­zulösen, da­mit er die neue Stel­le an­tre­ten könne. Er hof­fe bei ei­nem So­zi­al­plan rück­wir­kend berück­sich­tigt zu wer­den. Die Be­klag­te erklärte sich mit ei­ner Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses, das ei­gent­lich nur zum 31. De­zem­ber 2013 be­en­det wer­den konn­te, zum 31. Ok­to­ber 2013 in ei­nem Schrei­ben vom 25. Ju­ni 2013 ein­ver­stan­den.

Am 29. Ok­to­ber 2013 schlos­sen die Be­triebs­par­tei­en ei­nen In­ter­es­sen­aus­gleich und So­zi­al­plan (IASP). Die­ser enthält aus­zugs­wei­se fol­gen­de Re­ge­lun­gen:

„... 

I. In­ter­es­sen­aus­gleich

§ 1 Gel­tungs­be­reich

Die­ser In­ter­es­sen­aus­gleich gilt für al­le Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter des Bo­den­per­so­nals (im fol­gen­den: Mit­ar­bei­ter) die zum Zeit­punkt der Un­ter­zeich­nung die­ser Be­triebs­ver­ein­ba­rung in ei­nem un­gekündig­ten Ar­beits­verhält­nis bei der C beschäftigt, und von der Stand­ort­ver­la­ge­rung gemäß § 2 be­trof­fen sind.

... 

§ 2 Stand­ort­ver­la­ge­rung

(1) Die Haupt­ver­wal­tung so­wie die ad­mi­nis­tra­ti­ven Funk­tio­nen des Tech­nik­be­triebs am Stand­ort K , mit Aus­nah­me von Ar­beitsplätzen, die der „Busi­ness­u­nit Hea­vy Main­ten­an­ce“ zu­ge­ord­net sind, wer­den nach M ver­la­gert (im Fol­gen­den: Stand­ort­ver­la­ge­rung). Ob hier­bei auch der Be­reich Ma­te­ri­al­wirt­schaft nach M ver­legt wird, wird der­zeit un­ter­sucht und ge­son­dert mit dem Be­triebs­rat be­ra­ten und ent­schie­den. In K nach der Un­ter­zeich­nung die­ser Be­triebs­ver­ein­ba­rung neu ge­schaf­fe­ne Stel­len für neue Auf­ga­ben­stel­lun­gen sind von der Stand­ort­ver­la­ge­rung eben­falls nicht be­trof­fen.

(2) Der Um­zug nach M wird fach­ab­tei­lungs­be­zo­gen nach Maßga­be des in Anl. 1 bei­gefügten Um­zugs­pla­nes durch­geführt. Da­nach wer­den die per­so­nel­len Maßnah­men un­ter Ein­hal­tung der je­wei­li­gen Kündi­gungs­fris­ten mit Wir­kung zum 15.9.2014 bzw. 30.9.2014 durch­geführt.

Für die be­trof­fe­nen Mit­ar­bei­ter im I be­steht die Möglich­keit, auf frei­wil­li­ger Ba­sis be­reits ab dem 1.4.2014 nach M ver­setzt zu wer­den. An­dern­falls ver­bleibt auch ihr Ar­beits­platz bis zum 14.9.2014 K .

... 

§ 3 Maßnah­men zur Stand­ort­ver­la­ge­rung

§ 3.1 Ar­beits­platz­an­ge­bot

(1) C bie­tet je­dem von der Stand­ort­ver­la­ge­rung be­trof­fe­nen Mit­ar­bei­ter an, sein Ar­beits­verhält­nis grundsätz­lich zu den be­ste­hen­den Be­din­gun­gen, je­den­falls je­doch auf ei­nem gleich­wer­ti­gen Ar­beits­platz in M fort­zu­set­zen.

(2) Be­triebs­be­ding­te Be­en­di­gungskündi­gun­gen aus An­lass der Stand­ort­ver­la­ge­rung wer­den nicht aus­ge­spro­chen.

... 

§ 3.4 Te­le­ar­beit

(1) Mit­ar­bei­ter, die nach M ver­setzt wer­den, können ih­re Ar­beits­leis­tung in Te­le­ar­beit er­brin­gen, so­weit die kon­kre­te Ar­beits­leis­tung der Te­le­ar­beit zugäng­lich ist.

... 

§ 4 Pro­zess der Stand­ort­ver­la­ge­rung

(1) Die Be­triebs­part­ner dif­fe­ren­zie­ren in­ner­halb des Krei­ses der von der Stand­ort­ver­la­ge­rung be­trof­fe­nen Mit­ar­bei­ter zwi­schen fol­gen­den
Mit­ar­bei­ter­grup­pen:

... 

II. So­zi­al­plan

§ 6 Ziel des So­zi­al­pla­nes

... 

§ 7 Gel­tungs­be­reich

Der So­zi­al­plan gilt für al­le Mit­ar­bei­ter des Bo­den­per­so­nals die zum Zeit­punkt der Un­ter­zeich­nung die­ser Be­triebs­ver­ein­ba­rung in ei­nem un­be­fris­te­ten und un­gekündig­ten Ar­beits­verhält­nis bei der C beschäftigt und die von der Stand­ort­ver­la­ge­rung be­trof­fen sind

... 

§ 8 Maßnah­men zum Nach­teils­aus­gleich

... 

§ 8.4 Ab­fin­dungs­leis­tun­gen

Für die durch die Stand­ort­ver­la­ge­rung aus­gelöste Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses wer­den dif­fe­ren­zier­te Ab­fin­dun­gen ge­zahlt.

...“ 

Die Ab­fin­dung des Klägers hätte nach dem So­zi­al­plan un­strei­tig, wenn er auf die­sen an­wend­bar wäre, 46.185,00 Eu­ro be­tra­gen.

Der Kläger hat vor­ge­tra­gen, er un­ter­fal­le zwar nicht dem An­wen­dungs­be­reich des So­zi­al­plans. Er könne aber aus Gleich­be­hand­lungs­gründen den Ab­fin­dungs­an­spruch ver­lan­gen. Sei­ne Ei­genkündi­gung sei von der Stand­ort­ver­la­ge­rung und da­mit von der Be­klag­ten ver­an­lasst wor­den. Darüber hin­aus ha­be er ei­nen Scha­dens­er­satz­an­spruch nach § 628 BGB.

Der Kläger hat be­an­tragt, 

die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an ihn 46.185,00 Eu­ro nebst Zin­sen iHv. fünf Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit dem 1. Ja­nu­ar 2014 zu zah­len und über die er­folg­te Zah­lung ei­ne Ab­rech­nung zu er­tei­len.

Die Be­klag­te hat be­an­tragt, 

die Kla­ge ab­zu­wei­sen. 

Die Be­klag­te hat vor­ge­tra­gen, im Zeit­punkt der Kündi­gung des Klägers sei die Stand­ort­ver­la­ge­rung noch nicht hin­rei­chend kon­kret ge­we­sen. Ins­be­son­de­re die Un­ter­schei­dung ver­schie­de­ner Mit­ar­bei­ter­grup­pen bei der Be­klag­ten, die un­ter­schied­lich schnell nach München verändert wer­den soll­ten, ha­be sich erst aus dem In­ter­es­sen­aus­gleich er­ge­ben. Die Par­tei­en hätten kei­nen Auf­he­bungs­ver­trag ge­schlos­sen. Sie sei viel­mehr da­mit ein­ver­stan­den ge­we­sen, die Kündi­gungs­frist verkürzt ge­gen sich gel­ten zu las­sen. Sie ha­be kein Ver­trau­en beim Kläger auf ei­ne Ab­fin­dungs­re­ge­lung ge­weckt. Die Ab­fin­dungslösung sei le­dig­lich ei­ne Möglich­keit ge­we­sen. Die Be­triebs­part­ner hätten zulässig den Zeit­punkt des Ab­schlus­ses des In­ter­es­sen­aus­gleichs und So­zi­al­plans als Stich­tag ver­ein­bart. Sie hätten die­je­ni­gen Mit­ar­bei­ter aus­ge­nom­men, die vor dem Ab­schluss der Ver­ein­ba­rung das Ar­beits­verhält­nis selbst gekündigt hätten. Durch den Stich­tag könn­ten die Be­triebs­par­tei­en fest­le­gen, ob ei­ne Ei­genkündi­gung durch die kon­kre­te Be­triebsände­rung ver­an­lasst sei oder nicht. Bis zu die­sem Zeit­punkt sei die Maßnah­me und der Ab­lauf nicht hin­rei­chend kon­kret ab­seh­bar ge­we­sen. Erst nach dem Ab­schluss des In­ter­es­sen­aus­gleichs sei sie in der La­ge ge­we­sen, den Um­set­zungs­pro­zess durch­zuführen. Der Kläger ver­hal­te sich wi­dersprüchlich, wenn er in sei­ner Kündi­gung ei­ne rück­wir­ken­de An­wen­dung des So­zi­al­plans auf ihn er­hof­fe, den Ab­fin­dungs­an­spruch jetzt aber ge­richt­lich gel­tend ma­chen.

Das Ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Der Kläger ha­be kei­nen An­spruch aus dem Gleich­be­hand­lungs­grund­satz. Die Kündi­gung sei nicht von der Be­klag­ten ver­an­lasst, die Grup­pen­bil­dung der Be­triebs­par­tei­en zulässig. Ei­nen An­spruch auf Scha­dens­er­satz ha­be der Kläger nicht, die Be­klag­te tref­fe kein Auflösungs­ver­schul­den.

Im Übri­gen wird auf die zwi­schen den Par­tei­en ge­wech­sel­ten Schriftsätze wie auch auf das ar­beits­ge­richt­li­che Ur­teil Be­zug ge­nom­men.

Das Ur­teil vom 10. Fe­bru­ar 2015 ist dem Kläger am 9. März 2015 zu­ge­stellt wor­den. Hier­ge­gen rich­tet sich die am 27. März 2015 ein­ge­leg­te und am 10. Ju­ni 2015 nach ent­spre­chen­der Verlänge­rung be­gründe­te Be­ru­fung des Klägers.

Der Kläger trägt vor, ent­ge­gen der An­nah­me des Ar­beits­ge­richts ha­be das Ar­beits­verhält­nis erst am 31. Ok­to­ber 2013 ge­en­det. Die Kündi­gung sei ar­beit­ge­ber­sei­tig ver­an­lasst ge­we­sen. Da An­fang 2013 die Stand­ort­ver­la­ge­rung si­cher fest­ge­stan­den ha­be, sei die Kündi­gung durch die Be­klag­te ver­an­lasst. Das Ar­beits­ge­richt sei feh­ler­haft von ei­ner vor­zei­ti­gen Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses aus­ge­gan­gen. Es sei un­ter Abkürzung der ta­rif­ver­trag­li­chen Kündi­gungs­frist ein­ver­nehm­lich zum 31. Ok­to­ber 2013 be­en­det wor­den. Die­ses Ver­hal­ten der Be­klag­ten zei­ge, dass sie sich be­reits im Zeit­punkt der Kündi­gung des Klägers ent­spre­chend ei­ner späte­ren Re­ge­lung im So­zi­al­plan ver­hal­ten ha­be. Die Ei­genkündi­gung des Klägers und sein vor­zei­ti­ges Aus­schei­den sei von der Be­klag­ten mo­ti­viert und ge­tra­gen wor­den. Ein Ver­schul­den der Be­klag­ten im Sin­ne von § 628 BGB er­ge­be sich dar­aus, dass ihm von der Be­klag­ten dar­ge­legt wor­den sei, sich so früh wie möglich nach ei­ner an­der­wei­ti­gen An­stel­lung um­zu­se­hen.

Der Kläger be­an­tragt, 

das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Köln vom 10. Fe­bru­ar 2015 - 12 Ca 159514- ab­zuändern und die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an ihn 46.185,00 Eu­ro nebst Zin­sen iHv. fünf Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit dem 1. Ja­nu­ar 2014 zu zah­len und über die er­folg­te Zah­lung ei­ne Ab­rech­nung zu er­tei­len.

Die Be­klag­te be­an­tragt, 

die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen. 

Die Be­klag­te trägt vor, der Gleich­be­hand­lungs­grund­satz sei nicht ver­letzt. Die Be­triebs­part­ner dürf­ten zulässig da­von aus­ge­hen, dass Ar­beit­neh­mer, die vor Ab­schluss des So­zi­al­plans kündig­ten, be­reits ei­ne neue An­schluss­beschäfti­gung ge­fun­den hätten. Der Stich­tag sei auch we­gen der Rechts­si­cher­heit ge­bo­ten. Ge­ra­de in Re­struk­tu­rie­rungs­si­tua­tio­nen, die sich über Jah­re hinzögen, sei es nicht möglich, die ein­zel­nen Per­so­nal­maßnah­men von­ein­an­der ab­zu­gren­zen. Es sei schon un­klar, auf wel­chen Le­bens­sach­ver­halt der Kläger sei­nen Scha­dens­er­satz­an­spruch stütze.

Für den wei­te­ren Vor­trag wird auf die ge­wech­sel­ten Schriftsätze und das Sit­zungs­pro­to­koll Be­zug ge­nom­men.

Ent­schei­dungs­gründe

Die Be­ru­fung ist zulässig, aber un­be­gründet. 

A. Die Be­ru­fung ist zulässig. Sie ist frist- und form­ge­recht ein­ge­legt und be­gründet, § 66 Abs. 1 Satz 1, 2, § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG iVm. § 519, § 520 Abs. 1, Abs. 3 ZPO. Die Be­ru­fungs­be­gründungs­frist wur­de nach ent­spre­chen­der Verlänge­rung am 10. Ju­ni 2015 ge­wahrt. Die ursprüng­lich am 9. Mai 2015 ab­lau­fen­de Frist en­de­te we­gen des Wo­chen­en­des erst am Mon­tag, 11. Mai 2015, § 224 Abs. 3 ZPO. Die verlänger­te Frist währ­te da­her bis zum 11. Ju­ni 2015. Das Fal­len­las­sen ei­ner An­spruchs­be­gründung für den Nach­teils­aus­gleichs­an­spruch steht der Zulässig­keit der Be­ru­fung nicht ent­ge­gen. In­so­weit han­delt es sich um ei­ne ei­genständi­ge An­spruchs­grund­la­ge und nicht um ei­ne Mehr­fach­be­gründung im ar­beits­ge­richt­li­chen Ur­teil.

B. Die Be­ru­fung des Klägers ist nicht be­gründet. Das Ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge zu Recht ab­ge­wie­sen. Die Kla­ge ist mit Haupt- und Hilfs­be­gründung un­be­gründet. Der Kläger hat kei­nen An­spruch auf die So­zi­al­plan­ab­fin­dung oder auf Scha­dens­er­satz.

I. Der Kläger hat kei­nen An­spruch auf ei­ne Ab­fin­dung aus § 8.4 IASP iVm. § 75 Abs. 1 Be­trVG - be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­cher Gleich­be­hand­lungs­grund­satz. Der In­ter­es­sen­aus­gleich und So­zi­al­plan nimmt zulässig Ar­beit­neh­mer vom An­wen­dungs­be­reich aus, die zum Zeit­punkt des Ab­schlus­ses am 29. Ok­to­ber 2013 nicht in ei­nem un­gekündig­ten Ar­beits­verhält­nis stan­den. Die Stich­tags­re­ge­lung § 7 IASP ist wirk­sam.

1. Der auf den all­ge­mei­nen Gleich­heits­satz des Art. 3 Abs. 1 GG zurück­zuführen­de be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­che Gleich­be­hand­lungs­grund­satz zielt dar­auf ab, ei­ne Gleich­be­hand­lung von Per­so­nen in ver­gleich­ba­ren Sach­ver­hal­ten si­cher­zu­stel­len und ei­ne gleich­heits­wid­ri­ge Grup­pen­bil­dung aus­zu­sch­ließen. Maßgeb­lich für das Vor­lie­gen ei­nes die Bil­dung un­ter­schied­li­cher Grup­pen recht­fer­ti­gen­den Sach­grun­des ist vor al­lem der mit der Re­ge­lung ver­folg­te Zweck (BAG 1. Fe­bru­ar 2011 - 1 AZR 417/09 - Rn. 17).

2. Vor­lie­gend ha­ben die Be­triebs­par­tei­en ei­ne Grup­pen­bil­dung vor­ge­nom­men, in­dem sie den An­spruch auf ei­ne So­zi­al­plan­ab­fin­dung ua. nur für sol­che von der Be­triebsände­rung be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer vor­ge­se­hen ha­ben, die ihr Ar­beits­verhält­nis auf­grund ei­ner nach dem 29. Ok­to­ber 2013 aus­ge­spro­che­nen Ei­genkündi­gung be­en­det ha­ben. Da­mit ha­ben sie die­je­ni­gen Mit­ar­bei­ter aus­ge­nom­men, die vor dem Ab­schluss der In­ter­es­sen­aus­gleichs- und So­zi­al­plan­ver­hand­lun­gen ihr Ar­beits­verhält­nis selbst gekündigt ha­ben. Die­se Grup­pen­bil­dung ist sach­lich ge­recht­fer­tigt.

a) Sie ist am Zweck des So­zi­al­plans aus­ge­rich­tet, der kei­ne Entschädi­gung für ge­leis­te­te Diens­te gewähren, son­dern kon­kret ab­seh­ba­re oder ein­ge­tre­te­ne be­triebsände­rungs­be­ding­te Nach­tei­le aus­glei­chen soll. Die Be­triebs­par­tei­en können zur Her­stel­lung von Rechts­si­cher­heit ein Ver­fah­ren oder ei­nen Stich­tag be­stim­men und auf die­se Wei­se fest­le­gen, ob ei­ne Ei­genkündi­gung durch die kon­kre­te Be­triebsände­rung ver­an­lasst wur­de oder nicht. Da­zu kann die Aus­gleichs­pflicht an ei­nen Zeit­punkt an­knüpfen, in dem die Art und Wei­se der durch­zuführen­den Be­triebsände­rung für die be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer fest­steht. Bei der ge­bo­te­nen ty­pi­sie­ren­den Be­trach­tungs­wei­se dürfen die Be­triebs­par­tei­en in ei­nem sol­chen Fall da­von aus­ge­hen, dass Ar­beit­neh­mer, die auf ei­ge­ne Ver­an­las­sung ihr Ar­beits­verhält­nis be­en­den, be­vor das Aus­maß ei­ner sie tref­fen­den Be­triebsände­rung kon­kret ab­seh­bar und der Um­fang der dar­an knüpfen­den wirt­schaft­li­chen Nach­tei­le pro­gnos­ti­zier­bar ist, ihr Ar­beits­verhält­nis nicht auf­grund der Be­triebsände­rung be­en­den (BAG 12. April 2011 - 1 AZR 505/09 - Rn. 17).

b) Der in § 7 IASP be­stimm­te Stich­tag ist da­nach nicht zu be­an­stan­den. Vor dem 29. Ok­to­ber 2013 stand für die be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer der Zeit­punkt und der Um­fang der be­triebsändern­den Maßnah­men noch nicht hin­rei­chend fest. Erst nach der Un­ter­zeich­nung des IASP konn­te die Be­klag­te be­triebs­be­ding­te Kündi­gun­gen aus­spre­chen und den ge­plan­ten Stand­ort­wech­sel um­set­zen. Ob der Wech­sel zu die­sem Zeit­punkt be­reits hin­rei­chend klar fest­stand, kann da­hin­ste­hen. Denn je­den­falls vor die­sem Stich­tag aus­ge­spro­che­ne Ei­genkündi­gun­gen durf­ten zulässig vom So­zi­al­plan aus­ge­nom­men wer­den.

aa) Die Be­klag­te war bis zum Ab­schluss ei­nes In­ter­es­sen­aus­gleichs be­triebs­ver­fas­sungs­recht­lich nicht be­rech­tigt, die ge­plan­ten be­triebsändern­den Maßnah­men um­zu­set­zen. Aus die­sem Grund wa­ren die be­reits im Frühjahr 2013 ver­laut­bar­ten Ankündi­gun­gen der Be­klag­ten nicht ge­eig­net, die vor dem Stich­tag aus­ge­spro­che­nen Ei­genkündi­gun­gen als durch die Be­triebsände­rung iSd. IASP ver­an­lasst an­zu­se­hen.

bb) Erst mit dem Ab­schluss des In­ter­es­sen­aus­gleichs stand der Um­fang der be­triebsändern­den Maßnah­men und der Zeit­punkt sei­ner Um­set­zung- wenn über­haupt - hin­rei­chend fest. Ab die­sem Zeit­punkt stand im An­satz fest, wel­che Mit­ar­bei­ter­grup­pen zu wel­chem Zeit­punkt von der Stand­ort­ver­la­ge­rung be­trof­fen wa­ren. Sch­ließlich eröff­ne­te auch erst der In­ter­es­sen­aus­gleich die Möglich­keit der Te­le­ar­beit, § 3.4 IASP. Außer­dem ent­hielt § 3.2 Re­ge­lun­gen über Kündi­gungs­fris­ten. Hin­zu tritt die Möglich­keit von un­be­zahl­tem Son­der­ur­laub, § 3.6, und ei­nes vor­zei­ti­gen Ren­ten­ein­tritts, § 3.7 IASP. § 4 re­gelt dann de­tail­liert und de­zi­diert den Pro­zess der Stand­ort­ver­la­ge­rung und un­ter­schei­det aus­drück­lich zwi­schen di­ver­sen Mit­ar­bei­ter­grup­pen. Mit sei­nem Ab­schluss stan­den da­mit Zeit­punkt und Um­fang der be­triebsändern­den Maßnah­me fest.

cc) Die Be­triebs­par­tei­en muss­ten auch nicht sol­che Ar­beits­verhält­nis­se in den An­wen­dungs­be­reich führen, die auf­grund ei­ner frühe­ren Ei­genkündi­gung erst nach dem Ab­schluss des In­ter­es­sen­aus­gleichs und So­zi­al­plans en­de­ten. Auch in­so­weit durf­ten sie da­von aus­ge­hen, dass die Ei­genkündi­gung des Ar­beit­neh­mers nicht aus­rei­chend von der ge­plan­ten Stand­ort­ver­la­ge­rung er­fasst war. Das gilt ins­be­son­de­re auch dann, wenn sich die Be­klag­te mit ei­ner verkürz­ten Kündi­gungs­frist ein­ver­stan­den erklärt, die der Kündi­gungs­frist im späte­ren In­ter­es­sen­aus­gleich ent­spricht. Es ist kein aus­rei­chen­der Zu­sam­men­hang zwi­schen der Ei­genkündi­gung und dem An­wen­dungs­be­reich des IASP er­sicht­lich.

dd) Auch für den Kläger er­kenn­bar be­fand sich die Be­klag­te im Zeit­punkt ih­rer Mit­tei­lun­gen An­fang 2013 noch nicht in der La­ge, per­so­nel­le Ein­zel­maßnah­men durch­zuführen. In ih­ren Mit­tei­lun­gen spricht sie stets vom ge­plan­ten Um­zug. Darüber hin­aus ist die Re­de von ei­nem Pro­jekt­plan, der ent­wi­ckelt würde. Ins­be­son­de­re in der Mit­tei­lung vom Mai 2013 war für den Kläger klar, dass die Be­klag­te sich in Gesprächen mit den Mit­be­stim­mungs­gre­mi­en zu den Be­din­gun­gen des Stand­ort­wech­sels be­fand. Er­fah­rungs­gemäß könn­ten sich sol­che Ver­hand­lun­gen über ei­ni­ge Mo­na­te hin­zie­hen. Je­den­falls die In­for­ma­ti­on des Be­triebs­rats vom 11. Ju­ni 2013 mach­te deut­lich, dass in den Ver­hand­lun­gen Zeit­punkt und Um­fang der be­triebsändern­den Maßnah­me noch nicht hin­rei­chend fest­stan­den. Ob der Kläger darüber hin­aus aus­rei­chend von der Be­klag­ten zur Kündi­gung ver­an­lasst wor­den ist, ist für den ty­pi­sie­rend an­knüpfen­den Gleich­be­hand­lungs­an­spruch un­er­heb­lich. Er ist je­den­falls nicht als aus­rei­chend iSd. So­zi­al­plans und iSd. Be­ur­tei­lungs­spiel­raums der Be­triebs­par­tei­en von der Be­klag­ten ver­an­lasst an­zu­se­hen.

II. Der Kläger hat eben­so we­nig ei­nen An­spruch ge­gen die Be­klag­te aus § 628 Abs. 2 BGB.

1. Wie das Ar­beits­ge­richt zu Recht ausführt, muss die Kündi­gung des Ar­beit­neh­mers durch ver­trags­wid­ri­ges schuld­haf­tes Ver­hal­ten des Ar­beit­ge­bers ver­an­lasst wor­den sein. Die Kündi­gung muss al­so ih­ren Grund ge­ra­de in ei­nem ver­trags­wid­ri­gen Ver­hal­ten des an­de­ren Ver­trags­teils ha­ben - so ge­nann­tes Auflösungs­ver­schul­den. Für die­ses Ver­schul­den genügt nicht je­de ge­ringfügi­ge schuld­haf­te Ver­trags­ver­let­zung. Viel­mehr muss ihr das Ge­wicht ei­nes wich­ti­gen Grunds zu­kom­men und zum Aus­spruch ei­ner frist­lo­sen Kündi­gung be­rech­ti­gen (BAG 22. Ja­nu­ar 2009 - 8 AZR 808/07 - Rn. 32).

2. Der Kläger macht al­lein gel­tend, die Be­klag­te ha­be die Kündi­gung ver­an­lasst. Er macht nicht gel­tend, auf­grund der Erklärun­gen der Be­klag­ten zu ei­ner außer­or­dent­li­chen Kündi­gung be­rech­tigt ge­we­sen zu sein. Der Hin­weis der Be­klag­ten, sich so früh wie möglich nach ei­ner an­der­wei­ti­gen Ein­stel­lung um­zu­se­hen, hätte ihn zu­dem nicht zur Kündi­gung aus wich­ti­gem Grund be­rech­tigt. Das macht der Kläger auch nicht gel­tend. Er macht viel­mehr gel­tend, er ha­be im Ver­trau­en auf die Äußerun­gen der Be­klag­ten, er kom­me mögli­cher­wei­se rück­wir­kend in den Ge­nuss ei­ner So­zi­al­plan­ab­fin­dung, sei­ne Kündi­gung aus­ge­spro­chen. Dies recht­fer­tigt al­ler­dings al­len­falls ei­nen Scha­dens­er­satz­an­spruch we­gen feh­ler­haf­ter Un­ter­rich­tung oder we­gen feh­ler­haf­ter Hin­wei­se, § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2 BGB. Die­sen macht der Kläger al­ler­dings nicht gel­tend.

III. Da der Kläger kei­nen Zah­lungs­an­spruch hat, kann er auch kei­ne Ab­rech­nung hierüber ver­lan­gen, § 108 Abs. 1 Satz 1 Ge­wO. Es kann da­mit da­hin­ste­hen, ob die­ser An­trag über­haupt un­abhängig vom Zah­lungs­an­trag ge­stellt war.

C. Die Kos­ten­ent­schei­dung be­ruht auf § 97 ZPO. Die Kos­ten ei­nes oh­ne Er­folg ein­ge­leg­ten Rechts­mit­tels fal­len der Par­tei zur Last, die es ein­ge­legt hat.

D. Die Ent­schei­dung über die Nicht­zu­las­sung der Re­vi­si­on folgt aus § 72 Abs. 2 ArbGG. Die ent­schei­dungs­er­heb­li­che Rechts­fra­ge ist be­reits durch das Bun­des­ar­beits­ge­richt aus­rei­chend geklärt.

E. Auf die Möglich­keit der Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de wird hin­ge­wie­sen, § 72a Abs. 1 ArbGG.

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