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BAG, Ur­teil vom 31.07.2014, 2 AZR 434/14

   
Schlagworte: Schwerbehinderung, Gleichstellung
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 2 AZR 434/14
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 31.07.2014
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht München, Endurteil vom 3.07.2012 - 31 Ca 13956/11
Landesarbeitsgericht München, Urteil vom 21.11.2012 - 8 Sa 627/12
   

BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT

2 AZR 434/13
8 Sa 627/12
Lan­des­ar­beits­ge­richt

München

 

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am

31. Ju­li 2014

UR­TEIL

Schmidt, Ur­kunds­be­am­tin

der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Kläge­rin, Be­ru­fungs­be­klag­te und Re­vi­si­onskläge­rin,

pp.

Be­klag­te, Be­ru­fungskläge­rin und Re­vi­si­ons­be­klag­te,

hat der Zwei­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 31. Ju­li 2014 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Kreft, die Rich­te­rin am Bun­des­ar­beits­ge­richt Ber­ger, den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Nie­mann so­wie den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Dr. Bartz und die eh­ren­amt­li­che Rich­te­rin Alex für Recht er­kannt:


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1. Auf die Re­vi­si­on der Kläge­rin wird das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts München vom 21. No­vem­ber 2012 - 8 Sa 627/12 - auf­ge­ho­ben.

2. Die Be­ru­fung der Be­klag­ten ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts München vom 3. Ju­li 2012 - 31 Ca 13956/11 - wird zurück­ge­wie­sen, so­weit sie sich ge­gen den Fest­stel­lungs­aus­spruch rich­tet.

3. Im Übri­gen wird die Sa­che zur neu­en Ver­hand­lung und Ent­schei­dung - auch über die Kos­ten des Re­vi­si­ons­ver­fah­rens - an das Lan­des­ar­beits­ge­richt zurück­ver­wie­sen.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten über die Wirk­sam­keit ei­ner or­dent­li­chen Kündi­gung und ei­nen Auflösungs­an­trag der Be­klag­ten.


Die Be­klag­te, ein US-ame­ri­ka­ni­sches Un­ter­neh­men, pro­du­ziert und ver­treibt me­di­zi­ni­sche Pro­duk­te. Sie hat in Deutsch­land ei­ne Nie­der­las­sung mit ca. 130 Ar­beit­neh­mern. Die 1968 ge­bo­re­ne Kläge­rin trat im Ja­nu­ar 2005 in ih­re Diens­te. Seit No­vem­ber 2009 war die Kläge­rin als „Di­rect Mar­ke­ting Su­per­vi­sor“ tätig. In die­ser Funk­ti­on lei­te­te sie ein Team von acht Mit­ar­bei­tern. Ih­re Ar­beits-auf­ga­ben er­ga­ben sich aus ei­ner „Stel­len-/Po­si­ti­ons­be­schrei­bung“ und aus jähr­lich ge­trof­fe­nen Ziel­ver­ein­ba­run­gen.


In der Zeit von En­de Au­gust bis Mit­te Ok­to­ber 2011 war die Kläge­rin ar­beits­unfähig er­krankt. Am 8. Sep­tem­ber 2011 be­an­trag­te sie beim Ver­sor­gungs­amt ih­re An­er­ken­nung als schwer­be­hin­der­ter Mensch. Kurz dar­auf un­ter­rich­te­te sie da­von die Be­klag­te. Am 17. Ok­to­ber 2011 - dem Tag der Wie­der­auf­nah­me ih­rer Ar­beit - wur­de ihr in ei­nem Per­so­nal­gespräch eröff­net, sie sei bis auf Wei­te­res ge­genüber den Mit­ar­bei­tern ih­res Teams nicht mehr wei­sungs­be­rech­tigt. Außer­dem wur­de ihr - an­ders als zu­vor - ein Ein­zelbüro zu­ge­wie­sen. Am 19., 20. und am 25. Ok­to­ber 2011 ar­bei­te­te sie auf Wei­sung der

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Be­klag­ten ei­ne Kol­le­gin in das „Re­porting“ über „Di­rekt­mar­ke­ting(DM)-Ak­ti­vitäten“ ein.

Am 28. Ok­to­ber 2011 be­an­trag­te die Kläge­rin beim Ar­beits­ge­richt, die Be­klag­te im We­ge der einst­wei­li­gen Verfügung zu ver­pflich­ten, sie als „Di­rect Mar­ke­ting Su­per­vi­sor“ ein­zu­set­zen und tätig wer­den zu las­sen. Hilfs­wei­se be­gehr­te sie die Zu­wei­sung von Tätig­kei­ten, die in ih­rer Wer­tig­keit die­ser Po­si­ti­on entsprächen. Dem Ge­such fügte sie - ne­ben ih­rem Ar­beits­ver­trag und der „Stel­len-/Po­si­ti­ons­be­schrei­bung“ - ei­ne ei­des­statt­li­che Ver­si­che­rung vom 27. Ok­to­ber 2011 bei. Dar­in heißt es:


„In Kennt­nis und im Be­wusst­sein der Tat­sa­che, dass die vorsätz­li­che und fahrlässi­ge Ab­ga­be ei­ner fal­schen ei­des-statt­li­chen Ver­si­che­rung straf­bar ist und die­se ei­des­statt­li­che Ver­si­che­rung Behörden und Ge­rich­ten vor­ge­legt wird, ver­si­che­re ich [...]:
...

Am 17.10.2011 fand ein Gespräch zwi­schen der Geschäfts­lei­tung, der Per­so­nal­lei­tung und mir statt, in wel­chem mir durch den Ma­na­ging Di­rec­tor / Coun­try Ma­na­ger Herrn Dr. [...] mit­ge­teilt wur­de, dass mir die Team­lei­tung ent­zo­gen und ich in ein Ein­zelbüro ver­setzt wer­de. Am Abend die­ses Ta­ges er­hielt ich per E-Mail die An­ord­nung von Herrn Dr. [...], dass ich mich ab so­fort mor­gens und abends an der Re­zep­ti­on an- und ab­zu­mel­den ha­be. Bei [der Be­klag­ten] gibt es kein Zeit­er­fas­sungs­sys­tem. ...

Am 19., 20. und 25.10.2011 muss­te ich mei­ne Mit­ar­bei­te­rin [...] in mei­ne bis­he­ri­gen Tätig­kei­ten ein­ar­bei­ten. Am 21.10.2011 ha­be ich die of­fi­zi­el­le An­ord­nung er­hal­ten, ab so­fort di­rekt an Herrn Dr. [...] zu be­rich­ten. Gleich­zei­tig wur­de mir mit­ge­teilt, dass das Di­rect-Mar­ke­ting Team ab so­fort bis auf wei­te­res von Frau [...] ge­lei­tet wird. ...

Fak­tisch wer­den mir seit dem 17.10.2011 kei­ne Auf­ga­ben mehr über­tra­gen. Viel­mehr wur­den mir sämt­li­che Auf­ga­ben und Ver­ant­wor­tung ent­zo­gen. Ich sit­ze in ei­nem „lee­ren Büro“ und darf kei­nen Kon­takt zu mei­nen Mit­ar­bei­tern und Kol­le­gen ha­ben und ih­nen kei­ne Wei­sun­gen mehr er­tei­len.“

Am 4. No­vem­ber 2011 schlos­sen die Par­tei­en zur Be­en­di­gung des Ver­fah­rens ei­nen ge­richt­li­chen Ver­gleich. Die Be­klag­te ver­pflich­te­te sich, die Kläge­rin zu un­veränder­ten Ar­beits­be­din­gun­gen gemäß der Stel­len­be­schrei­bung mit

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der Ein­schränkung zu beschäfti­gen, dass es beim Ent­zug der Wei­sungs­be­rech­ti­gung ver­blei­be. Die­se Ab­re­de soll­te längs­tens bis zum 15. De­zem­ber 2011 gel­ten.


Mit Schrei­ben vom 30. No­vem­ber 2011 kündig­te die Be­klag­te das Ar­beits­verhält­nis or­dent­lich zum 31. Ja­nu­ar 2012. Sie hielt der Kläge­rin vor, bei Ge­richt ei­ne fal­sche ei­des­statt­li­che Ver­si­che­rung ab­ge­ge­ben zu ha­ben. Da­ge­gen er­hob die Kläge­rin frist­ge­recht die vor­lie­gen­de Kla­ge.

Mit Be­scheid vom 17. Ju­li 2012 stell­te das Ver­sor­gungs­amt bei der Kläge­rin ei­ne Be­hin­de­rung mit ei­nem Grad von 30 fest. Am 26. Ju­li 2012 be­an­trag­te die­se bei der Bun­des­agen­tur für Ar­beit ih­re Gleich­stel­lung mit ei­nem schwer­be­hin­der­ten Men­schen. Mit Be­scheid vom 18. Sep­tem­ber 2012 si­cher­te die Bun­des­agen­tur die Gleich­stel­lung für den Fall zu, dass im Zu­ge ih­rer Ver­mitt­lungs­bemühun­gen oder ei­ge­ner Bemühun­gen der Kläge­rin um ei­nen Ar­beits­platz ein Ar­beit­ge­ber die Ein­stel­lung vom Vor­lie­gen ei­ner Schwer­be­hin­de­rung abhängig ma­chen soll­te.

Die Kläge­rin hat gel­tend ge­macht, die Kündi­gung sei schon des­halb un­wirk­sam, weil die Be­klag­te - un­strei­tig - ei­ne Zu­stim­mung des In­te­gra­ti­ons­amts nicht ein­ge­holt ha­be. Je­den­falls sei die Kündi­gung so­zi­al un­ge­recht­fer­tigt. Der Vor­wurf, sie ha­be ih­re Ver­trags­pflich­ten durch ih­re ei­des­statt­li­che Erklärung ver­letzt, sei un­be­rech­tigt. Sie ha­be den Sach­ver­halt aus ih­rer da­ma­li­gen Per­spek­ti­ve zu­tref­fend dar­ge­stellt. Mit dem Aus­druck „lee­res Büro“ ha­be sie - er­kenn­bar - ein „men­schen- und auf­ga­ben­lee­res Büro“ ge­meint. Die ei­ner Kol­le­gin über­tra­ge­ne Auf­ga­be des „Re­porting“ über „DM-Ak­ti­vitäten“ ha­be ne­ben der Per­so­nalführung den Schwer­punkt ih­rer Tätig­keit aus­ge­macht. Die be­tref­fen­den An­ord­nun­gen ha­be sie des­halb als den Ent­zug sämt­li­cher Auf­ga­ben emp­fun­den. Kon­kre­te Ar­beits­an­wei­sun­gen sei­en ihr in der frag­li­chen Zeit nicht er­teilt wor­den. Der Aus­wer­tung von Pa­ti­en­ten­da­ten­ban­ken ha­be sie sich nur ge­wid­met, um nicht mit dem Vor­wurf ei­ner Ar­beits­ver­wei­ge­rung kon­fron­tiert zu wer­den. Sie sei vom in­ner­be­trieb­li­chen E-Mail-Ver­kehr ab­ge­schnit­ten ge­we­sen. Auch sons­ti­ge Post ha­be sie nicht mehr er­reicht. Sie sei nicht zu „DM-Kon­fe­ren­zen“ ein­ge­la­den wor­den, auch nicht zur Weih­nachts­fei­er oder an­de­ren

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Tref­fen im Kol­le­gen­kreis. Mit ihr sei kaum mehr ge­spro­chen wor­den. Sie ha­be da­von aus­ge­hen müssen, dies ge­he auf die Be­klag­te zurück, nach­dem die­se sie be­reits zu ei­nem frühe­ren Zeit­punkt dar­um ge­be­ten ha­be, mit ei­ner Kol­le­gin während schwe­ben­der Aus­ein­an­der­set­zun­gen kei­nen Um­gang zu pfle­gen.


Die Kläge­rin hat be­an­tragt


1. fest­zu­stel­len, dass das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en durch die or­dent­li­che Kündi­gung vom 30. No­vem­ber 2011 nicht auf­gelöst wor­den ist;

2. die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, sie bis zum rechts­kräfti­gen Ab­schluss des Kündi­gungs­schutz­ver­fah­rens zu un­veränder­ten Be­din­gun­gen als „Di­rect Mar­ke­ting Su­per­vi­sor“ wei­ter zu beschäfti­gen.

Die Be­klag­te hat zu­letzt be­an­tragt, die Kla­ge ab­zu­wei­sen, hilfs­wei­se, das Ar­beits­verhält­nis ge­gen Zah­lung ei­ner Ab­fin­dung, die 15.000,00 Eu­ro brut­to nicht über­schrei­ten möge, zum 31. Ja­nu­ar 2012 auf­zulösen.


Die Be­klag­te hat ge­meint, die Kündi­gung sei durch Gründe im Ver­hal­ten der Kläge­rin be­dingt. Die­se ha­be in dem vor­aus­ge­gan­ge­nen Ver­fah­ren vorsätz­lich ei­ne fal­sche ei­des­statt­li­che Ver­si­che­rung ab­ge­ge­ben. Das „Re­porting“ und die An­lei­tung des nach­ge­ord­ne­ten Be­reichs hätten nur ei­nen Teil ih­rer Tätig­kei­ten aus­ge­macht. Al­le sons­ti­gen in der Stel­len­be­schrei­bung ge­nann­ten Auf­ga­ben aus dem Be­reich „Dai­ly busi­ness tasks DM Team“ sei­en der Kläge­rin - bis auf die Teil­nah­me an Mes­sen und Kon­gres­sen - ge­blie­ben. Die Be­haup­tun­gen, sie ha­be ei­ne Kol­le­gin in „ih­re bis­he­ri­gen Auf­ga­ben ein­ar­bei­ten [müssen]“ und ihr sei­en „sämt­li­che Auf­ga­ben und Ver­ant­wor­tung ent­zo­gen [wor­den]“, sei­en des­halb ob­jek­tiv falsch. Eben­so falsch sei die mit dem Hin­weis auf ein „lee­res Büro“ ver­bun­de­ne Be­haup­tung, untätig zu sein. Die Kläge­rin ha­be sich mit der Aus­wer­tung von Pa­ti­en­ten­da­ten­ban­ken ei­ner ihr ori­ginär über­tra­ge­nen Ar­beits­auf­ga­be ge­wid­met. Das ihr zu­ge­wie­se­ne Büro sei voll aus­ge­stat­tet ge­we­sen. Die räum­li­che Verände­rung sei aus­sch­ließlich durch den Wech­sel von Mit­ar­bei­tern ei­ner Schwes­ter­fir­ma zu ihr - der Be­klag­ten - be­dingt ge­we­sen. Es ha­be auch kein Ver­bot be­stan­den, mit Ar­beits­kol­le­gen Kon­takt zu pfle­gen. So­weit sich die Kläge­rin auf ge­gen­tei­li­ge sub­jek­ti­ve Einschätzun­gen


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be­ru­fe, han­de­le es sich um Schutz­be­haup­tun­gen. Ei­ner Ab­mah­nung ha­be es nicht be­durft. Die Kläge­rin ha­be ver­sucht, durch ei­ne ver­zer­ren­de Dar­stel­lung der be­trieb­li­chen Verhält­nis­se ei­nen Pro­zes­s­er­folg zu ih­rem - der Be­klag­ten - Nach­teil zu er­zie­len.


Zu­min­dest sei der Auflösungs­an­trag be­gründet. Ei­ne den Be­triebs­zwe­cken dien­li­che Zu­sam­men­ar­beit mit der Kläge­rin sei nicht mehr zu er­war­ten. Man führe mitt­ler­wei­le meh­re­re Rechts­strei­tig­kei­ten ge­gen­ein­an­der, in de­nen die Kläge­rin be­wusst fal­sche Tat­sa­chen­be­haup­tun­gen auf­ge­stellt ha­be. Ihr feh­le zu­dem die Be­reit­schaft, ih­re neue Vor­ge­setz­te zu ak­zep­tie­ren.


Die Kläge­rin hat be­an­tragt, den Auflösungs­an­trag ab­zu­wei­sen.


Das Ar­beits­ge­richt hat der Kla­ge statt­ge­ge­ben; ih­ren Auflösungs­an­trag hat­te die Be­klag­te erst­in­stanz­lich noch nicht ge­stellt. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Mit der Re­vi­si­on be­gehrt die Kläge­rin auch mit Blick auf den Auflösungs­an­trag die Wie­der­her­stel­lung der erst­in­stanz­li­chen Ent­schei­dung.


Ent­schei­dungs­gründe

Die zulässi­ge Re­vi­si­on hat Er­folg. Sie führt zur Auf­he­bung des Be­ru­fungs­ur­teils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und im Um­fang des Fest­stel­lungs­be­geh­rens zur Wie­der­her­stel­lung der erst­in­stanz­li­chen Ent­schei­dung (§ 563 Abs. 3 ZPO). Im Übri­gen war die Sa­che man­gels Ent­schei­dungs­rei­fe an das Lan­des­ar­beits­ge­richt zurück­zu­ver­wei­sen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).


A. Die Re­vi­si­on ist zulässig. Dass sie vor Zu­stel­lung des Be­ru­fungs­ur­teils ein­ge­legt wur­de, ist un­er­heb­lich. Es genügt, dass im Zeit­punkt der Rechts­mit­tel­ein­le­gung - wie hier - die an­ge­foch­te­ne Ent­schei­dung be­reits verkündet war (vgl. BAG 26. Ju­li 2012 - 6 AZR 52/11 - Rn. 18 mwN). Die Re­vi­si­ons­be­gründungs­frist (§ 74 Abs. 1 Satz 1 bis 3 ArbGG) ist ge­wahrt.

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B. Die Re­vi­si­on ist be­gründet. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge zu Un­recht ab­ge­wie­sen. Die Kündi­gung vom 30. No­vem­ber 2011 ist un­wirk­sam (I.). Ob der da­mit zur Ent­schei­dung an­ge­fal­le­ne Auflösungs­an­trag der Be­klag­ten be­gründet ist, steht noch nicht fest (II.). Der in­so­weit ge­bo­te­nen Zurück­ver­wei­sung un­ter­liegt auch der An­trag der Kläge­rin auf vorläufi­ge Wei­ter­beschäfti­gung (III.).


I. Die Kündi­gung ist un­wirk­sam. Sie ist nicht durch Gründe im Ver­hal­ten der Kläge­rin be­dingt und des­halb so­zi­al un­ge­recht­fer­tigt (§ 1 Abs. 1, Abs. 2 KSchG).


1. Ei­ne Kündi­gung ist iSv. § 1 Abs. 2 KSchG durch Gründe im Ver­hal­ten des Ar­beit­neh­mers be­dingt, wenn die­ser sei­ne ver­trag­li­chen Haupt- oder Ne­ben­pflich­ten er­heb­lich und in der Re­gel schuld­haft ver­letzt hat und ei­ne dau­er­haft störungs­freie Ver­trags­erfüllung in Zu­kunft nicht mehr zu er­war­ten steht. Das wie­der­um ist nicht der Fall, wenn schon mil­de­re Mit­tel und Re­ak­tio­nen von Sei­ten des Ar­beit­ge­bers ge­eig­net ge­we­sen wären, beim Ar­beit­neh­mer künf­ti­ge Ver­trags­treue zu be­wir­ken (BAG 10. April 2014 - 2 AZR 684/13 - Rn. 13; 3. No­vem­ber 2011 - 2 AZR 748/10 - Rn. 20 mwN).


2. Gibt der Ar­beit­neh­mer in ei­nem Rechts­streit mit dem Ar­beit­ge­ber vorsätz­lich ei­ne fal­sche ei­des­statt­li­che Ver­si­che­rung ab, kann dies die or­dent­li­che Kündi­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses - womöglich gar die außer­or­dent­li­che - recht­fer­ti­gen (st. Rspr., BAG 24. No­vem­ber 2005 - 2 ABR 55/04 - Rn. 23; 20. No­vem­ber 1987 - 2 AZR 266/87 - zu II 2 a der Gründe mwN). Ein sol­ches Ver­hal­ten stellt - un­abhängig von sei­ner Straf­bar­keit - ei­ne er­heb­li­che Ver­let­zung der den Ar­beit­neh­mer gemäß § 241 Abs. 2 BGB tref­fen­den Ne­ben­pflicht dar, auf die be­rech­tig­ten In­ter­es­sen des Ar­beit­ge­bers Rück­sicht zu neh­men und sie in zu­mut­ba­rem Um­fang zu wah­ren. Ent­spre­chen­des gilt, wenn der Ar­beit­neh­mer in ei­nem Ge­richts­ver­fah­ren mit dem Ar­beit­ge­ber leicht­fer­tig Tat­sa­chen­be­haup­tun­gen auf­stellt, de­ren Un­halt­bar­keit auf der Hand liegt (BAG 29. Au­gust 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 37; 24. März 2011 - 2 AZR 674/09 - Rn. 22).


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3. Ein Ar­beit­neh­mer kann sich für fal­sche Tat­sa­chen­be­haup­tun­gen nicht auf sein Recht auf freie Mei­nungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) be­ru­fen. Un­rich­ti­ge An­ga­ben sind vom Schutz­be­reich des Grund­rechts nicht um­fasst (BVerfG 25. Ok­to­ber 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 19). An­de­res gilt für Äußerun­gen, die ein Wert­ur­teil ent­hal­ten. Sie können zum ei­nen - eben­so wie recht­li­che Schluss­fol­ge­run­gen oder die Wie­der­ga­be sub­jek­ti­ver Einschätzun­gen - nicht taug­li­cher Ge­gen­stand ei­ner ei­des­statt­li­chen Ver­si­che­rung sein (vgl. Münch­Kom­mStGB/ Müller 2. Aufl. § 156 Rn. 60). Im Zi­vil­pro­zess können le­dig­lich tatsächli­che Be­haup­tun­gen durch Ver­si­che­rung an Ei­des statt glaub­haft ge­macht wer­den (§ 294 Abs. 1 ZPO). Wert­ur­tei­le fal­len zum an­de­ren in den Schutz­be­reich von Art. 5 Abs. 1 GG. Das­sel­be gilt für Äußerun­gen, in de­nen sich Tat­sa­chen und Mei­nun­gen ver­men­gen, so­fern sie durch die Ele­men­te der Stel­lung­nah­me, des Dafürhal­tens oder Mei­nens ge­prägt sind (BVerfG 25. Ok­to­ber 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 18; 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 21).


4. Ei­ne Tat­sa­chen­be­haup­tung zeich­net sich da­durch aus, dass die Erklärung ei­ner Über­prüfung auf ih­re Rich­tig­keit mit den Mit­teln des Be­wei­ses zugäng­lich ist (BAG 29. Au­gust 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 35; BGH 22. Fe­bru­ar 2011 - VI ZR 120/10 - Rn. 22; je­weils mwN). Falsch ist ei­ne Be­haup­tung, wenn sie im Hin­blick auf ih­ren Ge­gen­stand der Wahr­heit nicht ent­spricht, al­so die Wirk­lich­keit un­zu­tref­fend wie­der­gibt. Das ist der Fall, wenn der In­halt der Aus-sa­ge mit der ob­jek­ti­ven Sach­la­ge nicht übe­rein­stimmt. Auch das Ver­schwei­gen von Tat­sa­chen macht ei­ne Be­haup­tung falsch, wenn die spe­zi­fi­sche Un­vollständig­keit nicht of­fen­bart, son­dern die Aus­sa­ge als vollständi­ge aus­ge­ge­ben wird und da­durch ihr Ge­gen­stand in ei­nem fal­schen Licht er­scheint (BGH 26. Ok­to­ber 1999 - VI ZR 322/98 - zu II 2 a der Gründe mwN; Cra­mer Ju­ra 1998, 337). Da­bei ist frei­lich zu berück­sich­ti­gen, dass je­de Äußerung in ih­rem Kon­text zu se­hen ist und nicht aus dem Zu­sam­men­hang ge­ris­sen wer­den darf (BAG 29. Au­gust 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 40; BGH 26. Ok­to­ber 1999 - VI ZR 322/98 - zu II 2 der Gründe). Das gilt auch im Rah­men der Be­ur­tei­lung, ob ei­ne Äußerung als Tat­sa­chen­be­haup­tung oder als Wert­ur­teil an­zu­se­hen ist (vgl. BVerfG 24. Ju­li 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 527/13 - Rn. 18; BAG 29. Au­gust 2013 - 2 AZR 419/12 - aaO). Die je­wei­li­ge Ein­stu­fung durch das Be-


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ru­fungs­ge­richt un­ter­liegt der un­ein­ge­schränk­ten re­vi­si­ons­recht­li­chen Kon­trol­le (vgl. BGH 16. No­vem­ber 2004 - VI ZR 298/03 - zu II 2 a aa der Gründe; zum Feh­len ei­ner Bin­dung an die Fest­stel­lun­gen der Tat­sa­chen­ge­rich­te sie­he auch BVerfG 19. April 1990 - 1 BvR 40/86, 1 BvR 42/86 - zu B II 1 der Gründe, BVerfGE 82, 43).


5. Da­nach war ei­ne Kündi­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses der Par­tei­en nicht ge­recht­fer­tigt.


a) Die Be­klag­te stützt ih­re Kündi­gung auf die ei­des­statt­li­che Ver­si­che­rung der Kläge­rin vom 27. Ok­to­ber 2011. Die­se schei­det nicht des­halb als Kündi­gungs­grund aus, weil sich die Par­tei­en in dem Ver­fah­ren auf Er­lass ei­ner einst­wei­li­gen Verfügung auf ei­nen Ver­gleich verständigt ha­ben. Da­durch hat die Be­klag­te nicht zum Aus­druck ge­bracht, sie wer­de aus dem vor­aus­ge­gan­ge­nen Ver­hal­ten der Kläge­rin kei­ne nach­tei­li­gen Fol­gen für den Be­stand des Ar­beits­verhält­nis­ses mehr ab­lei­ten. Mit der Kündi­gung hat sich die Be­klag­te auch nicht in ei­nen nach § 242 BGB be­acht­li­chen Wi­der­spruch zu den ma­te­ri­el­len Re­ge­lun­gen des Ver­gleichs ge­setzt. Die Verständi­gung über die Mo­da­litäten ei­ner Beschäfti­gung der Kläge­rin be­zieht sich auf das un­gekündig­te Ar­beits­verhält­nis. Die Re­ge­lun­gen soll­ten über­dies al­len­falls bis zum 15. De­zem­ber 2011 gel­ten und hat­ten dem­ent­spre­chend nur vorläufi­gen Cha­rak­ter. Je­den­falls an ei­ner or­dent­li­chen, für ei­nen späte­ren Zeit­punkt erklärten Kündi­gung war die Be­klag­te auf­grund des Ver­gleichs nicht ge­hin­dert. Das hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt zu­tref­fend er­kannt.


b) Nicht frei von Rechts­feh­lern ist sei­ne Würdi­gung, die ei­des­statt­li­che Erklärung ent­hal­te in al­len be­an­stan­de­ten Punk­ten fal­sche Tat­sa­chen­be­haup­tun­gen.


aa) Bei der Äußerung der Kläge­rin, sie ha­be ei­ne Kol­le­gin in „ih­re bis­he­ri­gen Tätig­kei­ten“ ein­ar­bei­ten müssen, mag es sich zwar um ei­ne Tat­sa­chen­be­haup­tung han­deln. Die­se ist aber nicht des­halb ob­jek­tiv falsch, weil die Kläge­rin ih­re Kol­le­gin - un­strei­tig - le­dig­lich in die „Pa­ti­en­ten­se­lek­ti­on der Da­ten­bank“ und das mo­nat­li­che Be­richts­we­sen, dem­nach nur in ei­nem Teil ih­rer Ar­beits­auf-


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ga­ben ein­wei­sen muss­te. So­weit das Lan­des­ar­beits­ge­richt an­ge­nom­men hat, die Kläge­rin ha­be in ih­rer Ver­si­che­rung - fälsch­lich - zum Aus­druck ge­bracht, sie ha­be die Kol­le­gin in sämt­li­che ih­rer Tätig­kei­ten ein­ar­bei­ten müssen, über­sieht es, dass die be­an­stan­de­te Aus­sa­ge ei­nen sol­chen Sinn schon dem Wort­laut nach nicht enthält.


bb) Ein sol­ches Verständ­nis ist nicht des­halb ge­bo­ten, weil die Kläge­rin im letz­ten Ab­satz ih­rer Ver­si­che­rung an­ge­ge­ben hat, ihr sei­en „sämt­li­che Auf­ga­ben und Ver­ant­wor­tung ent­zo­gen wor­den“. Die Äußerung schließt sich un­mit­tel­bar an die Be­haup­tung an, ihr sei­en seit dem 17. Ok­to­ber 2011 „fak­tisch“ kei­ne Auf­ga­ben mehr über­tra­gen wor­den. Das lässt zum ei­nen die In­ter­pre­ta­ti­on zu, dass sie mit der be­an­stan­de­ten Aus­sa­ge - er­neut - nur auf das Feh­len kon­kre­ter Ar­beits­auf­ga­ben hat hin­wei­sen wol­len. Der auf­ge­zeig­te Kon­text spricht zum an­de­ren - aus­ge­hend vom verständi­gen Empfänger­ho­ri­zont - dafür, dass die Kläge­rin mit ih­rer Aus­sa­ge ei­nen wer­ten­den, von ih­rem sub­jek­ti­ven Dafürhal­ten und Mei­nen ge­prägten Schluss hat zie­hen wol­len, der auf dem Aus­blei­ben von Auf­ga­ben­zu­wei­sun­gen be­ruh­te. Dar­auf, ob die­se Wer­tung ob­jek­tiv ver­tret­bar war, kommt es nicht an. Selbst wenn dies nicht der Fall sein soll­te, wird da­durch die Äußerung nicht zu ei­ner rei­nen Tat­sa­chen­be­haup­tung.

cc) Ob es sich bei den Ausführun­gen zum „fak­ti­schen“ Feh­len ei­ner Auf­ga­benüber­tra­gung um ei­ne Tat­sa­chen­be­haup­tung oder um ein Wert­ur­teil han­delt, kann da­hin­ste­hen. Die Be­klag­te hat für den erst­ge­nann­ten Fall nicht dar­ge­tan, die Aus­sa­ge sei er­weis­lich falsch. Sie hat le­dig­lich auf die Stel­len­be­schrei­bung und der Kläge­rin dar­in über­tra­ge­ne Ar­beits­auf­ga­ben ver­wie­sen. Dar­auf kommt es eben­so we­nig an wie auf die zwi­schen den Par­tei­en um­strit­te­ne Fra­ge, ob zu die­sen der Kläge­rin all­ge­mein über­tra­ge­nen Tätig­kei­ten die Aus­wer­tung von Pa­ti­en­ten­da­ten­ban­ken zähl­te. Die frag­li­che Äußerung in der ei­des­statt­li­chen Ver­si­che­rung hebt er­kenn­bar auf das - un­strei­ti­ge - Aus­blei­ben ei­ner Zu­wei­sung spe­zi­fi­scher zu er­le­di­gen­der Ar­bei­ten in der Zeit nach dem 17. Ok­to­ber 2011 ab.

dd) So­weit die Kläge­rin ver­si­chert hat, sie sit­ze in ei­nem „lee­ren Büro“, spre­chen schon die von ihr ge­setz­ten Anführungs­zei­chen deut­lich dafür, dass


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es sich in­so­weit um ei­ne Wer­tung und nicht um ei­ne Tat­sa­chen­be­haup­tung han­delt. Umstände, die ei­nem sol­chen Verständ­nis wi­der­spre­chen, sind nicht er­sicht­lich. Die be­an­stan­de­te Aus­sa­ge kann nicht taug­li­cher In­halt ei­ner ei­des-statt­li­chen Ver­si­che­rung sein. Das gilt un­abhängig da­von, ob die Äußerung sich auf die tech­ni­sche Aus­stat­tung des Büros oder dar­auf be­zog, die­ses sei „leer“ an Auf­ga­ben und an­de­ren Men­schen.

ee) Die An­nah­me des Lan­des­ar­beits­ge­richts, die Kläge­rin ha­be mit der Äußerung, sie „dürfe“ kei­nen Kon­takt zu Mit­ar­bei­tern und Kol­le­gen ha­ben, ob­jek­tiv und wahr­heits­wid­rig be­haup­tet, die Be­klag­te ha­be ihr ge­genüber ein ent­spre­chen­des Ver­bot aus­ge­spro­chen, liegt fern. Zwar schließt der Wort­laut der Erklärung ei­ne sol­che Deu­tung nicht gänz­lich aus. Sie kann aber eben­so gut als wer­ten­de Be­schrei­bung ei­nes tatsächli­chen Zu­stands ver­stan­den wer­den. Im Er­geb­nis liegt ein sol­ches Verständ­nis näher. Zum ei­nen schließt sich die Aus­sa­ge un­mit­tel­bar an die Ausführun­gen zur „Lee­re“ des zu­ge­wie­se­nen Büros an. Zum an­de­ren hat die Kläge­rin, wenn sie be­stimm­te kon­kre­te An­ord­nun­gen und Wei­sun­gen sei­tens der Be­klag­ten be­haup­tet hat, dies je­des Mal - ins­be­son­de­re durch zeit­li­che Ein­gren­zung - ei­gens deut­lich ge­macht.

c) Die Kündi­gung ist selbst dann nicht durch Gründe iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG be­dingt, wenn zu­guns­ten der Be­klag­ten an­ge­nom­men wird, je­den­falls die Äußerung der Kläge­rin, ihr sei­en „sämt­li­che Auf­ga­ben [...] ent­zo­gen [wor­den]“, stel­le ei­ne un­zu­tref­fen­de, die wah­ren Ge­ge­ben­hei­ten ver­zer­ren­de Tat­sa­chen­be­haup­tung dar. Die im Be­ru­fungs­ur­teil ge­trof­fe­nen Fest­stel­lun­gen tra­gen nicht das Er­geb­nis, die Kläge­rin ha­be in­so­weit vorsätz­lich fal­sche An­ga­ben ge­macht.

aa) Vor­satz be­steht im Wis­sen und Wol­len der Tat­be­stands­ver­wirk­li­chung. Be­ding­ter Vor­satz reicht dafür aus (BAG 11. Ju­li 2013 - 2 AZR 994/12 - Rn. 22; 28. April 2011 - 8 AZR 769/09 - Rn. 50; für den An­wen­dungs­be­reich von § 156 StGB vgl. Fi­scher StGB 61. Aufl. § 156 Rn. 17; Münch­Kom­mStGB/Müller § 156 Rn. 79). Der an Ei­des statt Erklären­de muss dem­nach wis­sen, wel­che Tat­sa­chen sei­ne Erklärungs­pflicht be­gründen. Er muss zu­dem die Un­rich­tig­keit sei­ner Be­haup­tun­gen er­ken­nen und de­ren Un­wahr­heit in sei­nen Erklärungs­wil­len

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auf­neh­men. Er muss die Un­vollständig­keit und Un­rich­tig­keit zu­min­dest für möglich hal­ten und bil­li­gend in Kauf neh­men (BAG 11. Ju­li 2013 - 2 AZR 994/12 - aaO).


bb) Die Be­wer­tung ei­nes Fehl­ver­hal­tens als vorsätz­lich oder fahrlässig liegt im We­sent­li­chen auf tatsäch­li­chem Ge­biet. Sie ist Ge­gen­stand der tatrich­ter­li­chen Würdi­gung iSv. § 286 ZPO. Das Re­vi­si­ons­ge­richt kann die Fest­stel­lung in­ne­rer Tat­sa­chen nur dar­auf­hin prüfen, ob das Tat­sa­chen­ge­richt von den rich­ti­gen Be­ur­tei­lungs­maßstäben aus­ge­gan­gen ist, die we­sent­li­chen Umstände berück­sich­tigt und kei­ne Denk­ge­set­ze, Er­fah­rungssätze oder Ver­fah­rens­vor­schrif­ten ver­letzt hat (BAG 11. Ju­li 2013 - 2 AZR 994/12 - Rn. 24; 9. Ju­ni 2011 - 2 AZR 381/10 - Rn. 16).

cc) Die an­ge­foch­te­ne Ent­schei­dung hält auch die­ser ein­ge­schränk­ten Über­prüfung nicht stand.

(1) Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat an­ge­nom­men, die Kläge­rin ha­be die Un­wahr­heit ih­rer Aus­sa­ge er­kannt und in ih­ren Wil­len auf­ge­nom­men. Die be­haup­te­ten Umstände sei­en Ge­gen­stand ih­rer ei­ge­nen Wahr­neh­mung ge­we­sen und es ge­be kei­ne An­halts­punk­te für die An­nah­me, sie ha­be bei der Ab­fas­sung der ei­des­statt­li­chen Erklärung nicht genügend Sorg­falt wal­ten las­sen.

(2) Die­se Be­ur­tei­lung lässt außer Acht, dass der Kläge­rin mit ih­ren Wei­sungs­be­fug­nis­sen und dem Be­richts­we­sen we­sent­li­che, für ih­re Lei­tungstätig­keit cha­rak­te­ris­ti­sche Auf­ga­ben ent­zo­gen wor­den wa­ren. Un­abhängig vom zeit­li­chen Um­fang die­ser Tätig­kei­ten ist es nicht aus­ge­schlos­sen, dass die Kläge­rin in ih­nen sub­jek­tiv den Kern ih­rer Tätig­keit er­blickt hat. Da ihr nach dem 17. Ok­to­ber 2011 bis auf die Ein­ar­bei­tung ei­ner Kol­le­gin kei­ne an­de­ren kon­kre­te Ar­beits­an­wei­sun­gen mehr er­teilt wor­den wa­ren, mag bei ihr durch­aus der Ein­druck ent­stan­den sein, sie ha­be „nichts mehr zu tun“ und dies sei auch so ge­wollt. Dem steht die Auf­ga­be, Pa­ti­en­ten­da­ten aus­zu­wer­ten, nicht zwin­gend ent­ge­gen. Die Kläge­rin rech­ne­te die­se Tätig­keit nicht zu ih­rem ori­ginären Zuständig­keits­be­reich. Selbst wenn sie in­so­weit ge­irrt ha­ben soll­te, be­deu­tet dies nicht, es könne sich bei ih­rer Ein­las­sung, sie ha­be den Sach­ver­halt aus ih­rer

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da­ma­li­gen sub­jek­ti­ven Sicht zu­tref­fend ge­schil­dert, nur um ei­ne Schutz­be­haup­tung han­deln.


(3) Un­abhängig da­von lie­gen kei­ne An­halts­punk­te für die An­nah­me vor, die Kläge­rin ha­be ge­meint, die ihr an­ge­las­te­ten Über­trei­bun­gen sei­en er­for­der­lich ge­we­sen, um das an­ge­streb­te Ver­fah­rens­ziel - ei­ne tatsächli­che Beschäfti­gung als „Di­rect Mar­ke­ting Su­per­vi­sor“ - zu er­rei­chen. Als we­sent­li­chen Kern ih­rer Lei­tungstätig­keit hat sie die ihr ent­zo­ge­nen Wei­sungs­be­fug­nis­se ge­genüber nach­ge­ord­ne­ten Mit­ar­bei­tern und das mo­nat­li­che Re­porting über „DM-Ak­ti­vitäten“ an­ge­se­hen. Ob dies aus­ge­reicht hätte, den gel­tend ge­mach­ten Beschäfti­gungs­an­spruch vor Ge­richt durch­zu­set­zen, kann da­hin­ste­hen. Je­den­falls muss die Kläge­rin nicht et­wa not­wen­dig da­von aus­ge­gan­gen sein, sie ha­be auf die Rechts­sa­che durch die Be­haup­tung, ihr sei­en „sämt­li­che“ Auf­ga­ben ent­zo­gen wor­den, ein völlig fal­sches Licht ge­wor­fen.


d) Der Se­nat konn­te über den Kündi­gungs­schutz­an­trag selbst ent­schei­den (§ 563 Abs. 3 ZPO). Ei­ne wei­te­re Sach­aufklärung wäre auch nach ei­ner Zurück­ver­wei­sung nicht zu er­war­ten. Ge­gen die Kläge­rin kann al­len­falls der Vor­wurf er­ho­ben wer­den, sie ha­be die ei­des­statt­li­che Erklärung nicht vor­sich­tig ge­nug for­mu­liert und ha­be in Tei­len leicht­fer­tig fal­sche An­ga­ben ge­macht. An­ge­sichts des­sen ist die Kündi­gung un­verhält­nismäßig. Als Mit­tel zur Her­beiführung künf­ti­ger Ver­trags­treue hätte ei­ne Ab­mah­nung aus­ge­reicht.


aa) Be­ruht die Ver­trags­pflicht­ver­let­zung auf steu­er­ba­rem Ver­hal­ten des Ar­beit­neh­mers, ist grundsätz­lich da­von aus­zu­ge­hen, dass sein künf­ti­ges Ver­hal­ten schon durch die An­dro­hung von Fol­gen für den Be­stand des Ar­beits­verhält­nis­ses po­si­tiv be­ein­flusst wer­den kann. Ei­ner Ab­mah­nung be­darf es nach Maßga­be des auch in § 314 Abs. 2 iVm. § 323 Abs. 2 BGB zum Aus­druck kom­men­den Verhält­nismäßig­keits­grund­sat­zes nur dann nicht, wenn be­reits ex an­te er­kenn­bar ist, dass ei­ne Ver­hal­tensände­rung auch nach Ab­mah­nung nicht zu er­war­ten steht, oder es sich um ei­ne so schwe­re Pflicht­ver­let­zung han­delt, dass selbst de­ren erst­ma­li­ge Hin­nah­me dem Ar­beit­ge­ber nach ob­jek­ti­ven Maßstäben un­zu­mut­bar und da­mit of­fen­sicht­lich - auch für den Ar­beit­neh­mer er-


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kenn­bar - aus­ge­schlos­sen ist (vgl. BAG 11. Ju­li 2013 - 2 AZR 994/12 - Rn. 21; 25. Ok­to­ber 2012 - 2 AZR 495/11 - Rn. 16).

bb) Im Streit­fall wiegt das Ver­hal­ten der Kläge­rin nicht so schwer, dass ei­ne Ab­mah­nung ent­behr­lich ge­we­sen wäre. Zwar mag die Kläge­rin ei­ner Fehl­vor­stel­lung Vor­schub ge­leis­tet ha­ben, so­weit sie be­haup­tet und durch ih­re ei­des-statt­li­che Ver­si­che­rung glaub­haft ge­macht hat, ihr sei­en „sämt­li­che Auf­ga­ben ent­zo­gen [wor­den]“. Auch mag das die­ser Äußerung in­ne­woh­nen­de über­schießen­de Ele­ment für sie leicht er­kenn­bar ge­we­sen sein. Ihr kann aber man­gels ent­spre­chen­der An­halts­punk­te nicht un­ter­stellt wer­den, sie ha­be durch ei­ne ver­zer­ren­de Dar­stel­lung den Aus­gang des Ver­fah­rens auf Er­lass ei­ner einst­wei­li­gen Verfügung ent­schei­dend zu ih­ren Guns­ten be­ein­flus­sen wol­len. Auch hat­te sie ih­rem An­trag ei­ne Stel­len­be­schrei­bung bei­gefügt, aus der sich der Um­fang der ihr ob­lie­gen­den Ar­beits­auf­ga­ben er­gab. Da­nach und an­ge­sichts ih­rer Be­haup­tung, ihr sei mit dem Ent­zug der Team­lei­tung gleich­zei­tig auf­ge­ge­ben wor­den, zukünf­tig un­mit­tel­bar an den „Ma­na­ging Di­rec­tor/Coun­try Ma­na­ger“ zu be­rich­ten - was ei­ner gänz­li­chen Beschäfti­gungs­lo­sig­keit wi­der­sprach - muss­te ih­re Be­haup­tung, ihr sei­en „sämt­li­che Auf­ga­ben [...] ent­zo­gen [wor­den]“, wenn nicht als sub­stanz­los, so doch als erläute­rungs­bedürf­tig er­schei­nen. Dies hat das Ar­beits­ge­richt, das im Ur­sprungs­ver­fah­ren Ter­min zur münd­li­chen Ver­hand­lung an­be­raumt hat­te, er­sicht­lich nicht an­ders be­wer­tet. Über­dies war die Kläge­rin durch den un­ver­mit­tel­ten Ent­zug der Führungs­ver­ant­wor­tung emo­tio­nal stark be­las­tet. Die Be­klag­te hat­te die Maßnah­me der Kläge­rin ge­genüber nicht näher be­gründet. Auch im vor­lie­gen­den Rechts­streit hat sie kei­ne kon­kre­ten Vorfälle be­nannt, die ihr An­lass ge­ge­ben hätten, der Kläge­rin Führungs­qua­litäten und/oder team­ori­en­tier­tes Ar­bei­ten ab­zu­spre­chen. Dies ver­mag de­ren hier zu be­ur­tei­len­des Ver­hal­ten zwar nicht gänz­lich zu ent­schul­di­gen. Es lässt ihr Vor­ge­hen aber in ei­nem mil­de­ren Licht er­schei­nen.

cc) Ob die Ent­schei­dung des Lan­des­ar­beits­ge­richts, das maßgeb­lich auf die Straf­bar­keit des in Re­de ste­hen­den Ver­hal­tens ab­ge­stellt hat, auch des­halb kei­nen Be­stand ha­ben kann, weil das Amts­ge­richt ge­genüber der Kläge­rin den Er­lass ei­nes Straf­be­fehls we­gen fal­scher ei­des­statt­li­cher Ver­si­che­rung mitt­ler-

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wei­le ab­ge­lehnt hat, be­darf kei­ner Erörte­rung (zur grundsätz­li­chen Ver­pflich­tung der Ge­rich­te für Ar­beits­sa­chen, den Sach­ver­halt selbst auf­zuklären vgl. BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 25 mwN).


II. We­gen ih­res Un­ter­lie­gens im Kündi­gungs­rechts­streit fällt der Hilfs­an­trag der Be­klag­ten zur Ent­schei­dung an. Da­zu war die Sa­che man­gels Ent­schei­dungs­rei­fe an das Lan­des­ar­beits­ge­richt zurück­zu­ver­wei­sen.


1. Der Auflösungs­an­trag der Be­klag­ten ist auf­grund des Rechts­mit­tels der Kläge­rin in die Re­vi­si­on ge­langt, auch wenn das Lan­des­ar­beits­ge­richt über ihn fol­ge­rich­tig nicht ent­schie­den hat. Ei­ner An­schluss­re­vi­si­on der Be­klag­ten be­durf­te es nicht (vgl. BAG 10. Ok­to­ber 2002 - 2 AZR 598/01 - zu A I der Gründe; 20. Au­gust 1997 - 2 AZR 620/96 - zu II 4 der Gründe).


2. Die Vor­aus­set­zun­gen, un­ter de­nen der Ar­beit­ge­ber be­rech­tigt ist, den Auflösungs­an­trag nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG zu stel­len, lie­gen im Streit­fall vor. Die Un­wirk­sam­keit der or­dent­li­chen Kündi­gung vom 30. No­vem­ber 2011 be­ruht al­lein auf ih­rer So­zi­al­wid­rig­keit (zu die­ser Vor­aus­set­zung BAG 24. No­vem­ber 2011 - 2 AZR 429/10 - Rn. 19 mwN, BA­GE 140, 47). Sie ist - wie das Lan­des­ar­beits­ge­richt zu­tref­fend er­kannt hat - nicht nach § 85 SGB IX iVm. § 134 BGB un­wirk­sam. Ei­ner Zu­stim­mung des In­te­gra­ti­ons­amts be­durf­te es nicht.

a) Die Kläge­rin ist nicht schwer­be­hin­dert iSv. § 2 Abs. 2 SGB IX. Der Grad ih­rer Be­hin­de­rung beträgt gemäß dem Be­scheid des Ver­sor­gungs­amts vom 17. Ju­li 2012 le­dig­lich 30.

b) Die Kläge­rin war zum Zeit­punkt der Kündi­gung ei­nem schwer­be­hin­der­ten Men­schen nicht gleich­ge­stellt. Ei­ne Gleich­stel­lung ist auch nicht zu ei­nem späte­ren Zeit­punkt er­folgt. Durch Be­scheid der Bun­des­agen­tur für Ar­beit vom 18. Sep­tem­ber 2012 ist ihr ei­ne Gleich­stel­lung le­dig­lich für den Fall zu­ge­si­chert wor­den, dass ein Ar­beit­ge­ber ih­re Ein­stel­lung von ei­ner sol­chen Gleich­stel­lung abhängig ma­che. Selbst wenn ein sol­cher „Zu­si­che­rungs­be­scheid“ (zu den Vor­aus­set­zun­gen vgl. LSG Hes­sen 11. Ju­li 2007 - L 7 AL 61/06 -) kündi­gungs-

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recht­lich wie ei­ne Gleich­stel­lung zu be­han­deln sein soll­te, wirk­te er frühes­tens auf den Tag der An­trag­stel­lung - den 26. Ju­li 2012 - zurück. Vor die­sem Zeit­punkt kommt ein Son­derkündi­gungs­schutz der Kläge­rin nicht in Be­tracht.


aa) Nach § 85 SGB IX iVm. § 68 Abs. 1 und 3, § 2 Abs. 3 SGB IX be­darf die Kündi­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses ei­nes Ar­beit­neh­mers, der ei­nem schwer­be­hin­der­ten Men­schen gleich­ge­stellt ist, der vor­he­ri­gen Zu­stim­mung des In­te­gra­ti­ons­amts. Gemäß § 68 Abs. 2 SGB IX er­folgt die Gleich­stel­lung ei­nes be­hin­der­ten Men­schen mit schwer­be­hin­der­ten Men­schen auf des­sen An­trag durch ei­ne Fest­stel­lung nach § 69 SGB IX sei­tens der Bun­des­agen­tur für Ar­beit.


bb) Die Gleich­stel­lung wird gemäß § 68 Abs. 2 Satz 2 SGB IX mit dem Tag des Ein­gangs des An­trags wirk­sam. Die behörd­li­che Ent­schei­dung ist für die Rechts­po­si­ti­on des Be­trof­fe­nen kon­sti­tu­tiv. Im Un­ter­schied zu den kraft Ge­set­zes geschütz­ten Per­so­nen, bei de­nen durch die An­er­ken­nung als schwer­be­hin­der­ter Mensch der ge­setz­lich be­ste­hen­de Rechts­schutz nur fest­ge­stellt wird, wird der Schutz des Be­hin­der­ten durch die Gleich­stel­lung erst be­gründet (BAG 10. April 2014 - 2 AZR 647/13 - Rn. 39; 24. No­vem­ber 2005 - 2 AZR 514/04 - zu B II 1 a der Gründe). Die Bun­des­agen­tur für Ar­beit darf die Gleich­stel­lung rück­wir­kend nicht über den Tag des Ein­gangs des An­trags hin­aus aus­spre­chen (Neu­mann in Neu­mann/Pah­len/Ma­jer­ski-Pah­len SGB IX 12. Aufl. § 68 Rn. 24). Ei­ner erst nach Zu­gang der Kündi­gung be­an­trag­ten Gleich­stel­lung kommt dem­zu­fol­ge für die Wirk­sam­keit der Kündi­gung - selbst bei ei­nem po­si­ti­ven Be­scheid - kei­ne Be­deu­tung zu (vgl. BAG 10. April 2014 - 2 AZR 647/13 - aaO; 24. No­vem­ber 2005 - 2 AZR 514/04 - aaO).


cc) Die Kläge­rin hat ih­ren An­trag auf Gleich­stel­lung erst am 26. Ju­li 2012 und da­mit nach Zu­gang der Kündi­gung ge­stellt. Im Verhält­nis zur Be­klag­ten ist es un­er­heb­lich, ob sie ihn, wäre ihr An­trag auf An­er­ken­nung als schwer­be­hin­der­ter Mensch schnel­ler be­schie­den wor­den, schon früher ge­stellt hätte. Der An­trag auf An­er­ken­nung als schwer­be­hin­der­ter Mensch wie­der­um enthält - an­ders als die Kläge­rin meint - nicht zu­gleich ei­nen An­trag auf Gleich­stel­lung


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für den Fall, dass ein Grad der Be­hin­de­rung von we­ni­ger als 50, aber min­des­tens 30 fest­ge­stellt wer­den soll­te.


(1) Die Kläge­rin hat nicht be­haup­tet, sie ha­be schon beim Ver­sor­gungs­amt ei­nen sol­chen (Hilfs-)An­trag aus­drück­lich an­ge­bracht.


(2) Oh­ne ent­spre­chen­de Erklärung wie­der­um kann in dem An­er­ken­nungs­an­trag nicht zu­gleich ein (vor­sorg­li­cher) An­trag auf Gleich­stel­lung er­blickt wer­den. Dies folgt schon dar­aus, dass für die Anträge un­ter­schied­li­che Behörden zuständig sind. Die Ent­schei­dung über die An­er­ken­nung ob­liegt den zuständi­gen Ver­sor­gungsämtern oder den durch Lan­des­recht be­stimm­ten Behörden (§ 69 Abs. 1 SGB IX) bzw. den in § 69 Abs. 2 SGB IX ge­nann­ten Dienst­stel­len. Die Ent­schei­dung über die Gleich­stel­lung fällt in die aus­sch­ließli­che Zuständig­keit der Bun­des­agen­tur für Ar­beit (§ 68 Abs. 2 Satz 1 SGB IX). Un­abhängig da­von sind die Fest­stel­lung ei­ner Schwer­be­hin­de­rung und die Gleich­stel­lung an un­ter­schied­li­che recht­li­che Vor­aus­set­zun­gen ge­bun­den, die zu un­ter­schied­li­chen Prüfun­gen der je­weils zuständi­gen Stel­len führen. Im Übri­gen kann nicht als selbst­verständ­lich un­ter­stellt wer­den, dass ein be­hin­der­ter Mensch für den Fall der Er­folg­lo­sig­keit ei­nes An­er­ken­nungs­an­trags sei­ne Gleich­stel­lung be­an­tra­gen will.

(3) Die Tren­nung der Ver­fah­ren er­schwert es Ar­beit­neh­mern mit ei­nem Grad der Be­hin­de­rung von we­ni­ger als 50 nicht in un­zu­mut­ba­rer Wei­se, Son­derkündi­gungs­schutz zu er­lan­gen. Sie können viel­mehr bei­de Ver­fah­ren von Be­ginn an par­al­lel be­trei­ben, ins­be­son­de­re den Gleich­stel­lungs­an­trag bei der Bun­des­an­stalt vor­sorg­lich für den Fall stel­len, dass der An­trag auf Fest­stel­lung der Schwer­be­hin­der­ten­ei­gen­schaft we­gen ei­nes GdB un­ter 50 beim Ver­sor­gungs­amt er­folg­los blei­ben soll­te (Dau in LPK-SGB IX 4. Aufl. § 68 Rn. 11). Auch wenn die Ver­sor­gungsämter ge­hal­ten sein soll­ten, auf die Möglich­keit ei­ner vor­sorg­li­chen An­trag­stel­lung bei der Bun­des­an­stalt hin­zu­wei­sen (vgl. da­zu Dau in LPK-SGB IX 4. Aufl. § 68 Rn. 10, 11; Lam­pe in Großmann GK-SGB IX § 90 Rn. 65, 103; Schorn in Müller-Wen­ner/Schorn SGB IX Teil 2 § 68 Rn. 34), folg­te dar­aus selbst bei ei­ner Ver­let­zung der Hin­weis­pflicht nicht, dass ei­ner Gleich­stel­lung Wir­kung auf ei­nen Zeit­punkt vor Ein­gang des An­trags bei der

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Bun­des­agen­tur für Ar­beit zu­kom­men könn­te. Für die bloße Zu­si­che­rung ei­ner er­for­der­lich wer­den­den Gleich­stel­lung gilt nichts an­de­res.

c) Die kündi­gungs­recht­lich un­ter­schied­li­che Be­hand­lung von Ar­beit­neh­mern mit ei­nem Grad der Be­hin­de­rung von we­ni­ger als 50 und schwer­be­hin­der­ten Ar­beit­neh­mern iSv. § 2 Abs. 2 SGB IX stellt kei­ne Dis­kri­mi­nie­rung der we­ni­ger stark be­hin­der­ten Ar­beit­neh­mer nach Art. 2 Abs. 1 der Richt­li­nie 2000/78/EG des Ra­tes vom 27. No­vem­ber 2000 zur Fest­le­gung ei­nes all­ge­mei­nen Rah­mens für die Ver­wirk­li­chung der Gleich­be­hand­lung in Beschäfti­gung und Be­ruf (ABl. EG L 303 vom 2. De­zem­ber 2000 S. 16) dar. Eben­so we­nig liegt ein Ver­s­toß ge­gen das Be­nach­tei­li­gungs­ver­bot aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG vor. Die we­ni­ger stark be­hin­der­ten Ar­beit­neh­mer er­fah­ren nicht „we­gen ih­rer Be­hin­de­rung“ ei­ne ungüns­ti­ge­re Be­hand­lung. Sie wer­den nicht we­ni­ger güns­tig als nicht be­hin­der­te Ar­beit­neh­mer be­han­delt, son­dern we­ni­ger güns­tig als stärker be­hin­der­te (vgl. BAG 10. April 2014 - 2 AZR 647/13 - Rn. 39).

3. Der Se­nat kann nicht ab­sch­ließend be­ur­tei­len, ob der Auflösungs­an­trag im Übri­gen be­gründet ist. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat nicht ge­prüft, ob Gründe vor­lie­gen, die ei­ner den Be­triebs­zwe­cken dien­li­chen wei­te­ren Zu­sam­men­ar­beit der Par­tei­en ent­ge­gen­ste­hen. Es hat sich mit den dafür be­haup­te­ten Tat­sa­chen nicht be­fasst und in­so­weit kei­ne Fest­stel­lun­gen ge­trof­fen. Dies wird es nach­ho­len müssen.

III. Der Zurück­ver­wei­sung un­ter­liegt auch der An­trag der Kläge­rin auf vorläufi­ge Wei­ter­beschäfti­gung. Er ist dar­auf ge­rich­tet, die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, sie „bis zum rechts­kräfti­gen Ab­schluss des Kündi­gungs­schutz­ver­fah­rens“ in der zu­letzt aus­geübten Funk­ti­on wei­ter zu beschäfti­gen. Zum Kündi­gungs­schutz-ver­fah­ren zählt der Auflösungs­an­trag der Be­klag­ten. Aus die­sem Grund ist der von der Kläge­rin auf­recht­er­hal­te­ne Wei­ter­beschäfti­gungs­an­trag als un­ech­ter Hilfs­an­trag zu ver­ste­hen, über den nur un­ter der Vor­aus­set­zung zu ent­schei­den ist, dass sie mit ih­rem Fest­stel­lungs­an­trag ob­siegt und der Auflösungs­an­trag der Be­klag­ten ab­ge­wie­sen wird. Kei­ne die­ser Prämis­sen ist bis­lang erfüllt. Ob ein An­trag nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG, so­lan­ge er nicht ab­schlägig be­schie­den wor­den ist, ein über­wie­gen­des In­ter­es­se des Ar­beit­ge­bers an der Nicht­be-

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schäfti­gung des Ar­beit­neh­mers zu be­gründen ver­mag (vgl. BAG 16. No­vem­ber 1995 - 8 AZR 864/93 - zu E der Gründe, BA­GE 81, 265), be­darf des­halb kei­ner Ent­schei­dung.


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