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LAG Ber­lin-Bran­den­burg, Ur­teil vom 29.03.2017, 4 Sa 1619/16

   
Schlagworte: Nachteilsausgleich, Sozialplan: Abfindungsanspruch, Massenentlassung
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen: 4 Sa 1619/16
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 29.03.2017
   
Leitsätze: 1. Der deutsche Gesetzgeber hat zur Umsetzung der RL 98/59/EG des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen vom 20.7.1998 (EG-Massenentlassungsrichtlinie) die §§ 17 ff. KSchG bestimmt. Eines Rückgriffs auf die §§ 111 ff. BetrVG bedarf es im Rahmen einer europarechtskonformen Umsetzung der EG-Massenentlassungsrichtlinie durch den deutschen Gesetzgeber nur, wenn und soweit durch § 17 KSchG keine ausreichende Umsetzung der EG-Massenentlassungsrichtlinie erfolgt ist.

2. Eine ohne Durchführung eines Konsultationsverfahrens i. S. d. § 17 Abs.2 KSchG im Rahmen einer Massenentlassung ausgesprochene Kündigung ist - unabhängig von dem Erfordernis einer ordnungsgemäßen Anzeige bei der Agentur für Arbeit nach § 17 Abs.1 i.V.m. Abs.3 KSchG - wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot i.S.v. § 134 BGB rechtsunwirksam (BAG 21.03.2013 - 2 AZR 60/12 - BAGE 144, 366 Rn.19).

3. Durch die Unwirksamkeit der Kündigung als Rechtsfolge des Verstoßes gegen § 17 Abs.2 KSchG hat der deutsche Gesetzgeber eine wirksame und abschreckende Sanktion bei einem Verstoß gegen Art.2 der EG-Massenentlassungsrichtlinie vorgesehen und damit Art.6 der EG- Massenentlassungsrichtlinie genügt.

4. Art.6 der EG- Massenentlassungsrichtlinie gebietet es deswegen nicht, von einer vollständigen Verrechnung von Nachteilsausgleichsanspruch und Sozialplanabfindung abzusehen, wenn der Arbeitgeber die Konsultationspflicht aus Art.2 der EG-Massenentlassungsrichtlinie verletzt hat.

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 10.08.2016, 12 Ca 16673/15
Nachgehend Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 12.02.2019, 1 AZR 279/17
   

Te­nor

I.

Die Be­ru­fung des Klägers ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Ber­lin vom 10. Au­gust 2016 – 12 Ca 16673/15 – wird auf Kos­ten des Klägers zurück­ge­wie­sen.

II.

Die Re­vi­si­on wird zu­ge­las­sen.

Tat­be­stand

Der Kläger be­geht von der Be­klag­ten die Zah­lung ei­ner So­zi­al­plan­ab­fin­dung in Höhe von 9.000 EUR.

Der Kläger war un­ter An­rech­nung von Vor­beschäfti­gungs­zei­ten seit dem 02. Sep­tem­ber 1991 bei der Be­klag­ten beschäftigt. Im März 2014 be­schloss die Be­klag­te, den Beschäfti­gungs­be­trieb des Klägers in Ber­lin-K. still­zu­le­gen. Mit Schrei­ben vom 26. März 2014 un­ter­rich­te­te die Be­klag­te den dort er­rich­te­ten Be­triebs­rat über die ge­plan­te Sch­ließung und ver­han­del­te mit ihm am 08. April 2014 er­folg­los über ei­nen In­ter­es­sen­aus­gleich. Mit Schrei­ben vom 16. April 2014, hin­sicht­lich des­sen Ein­zel­hei­ten auf Bl. 66 - 67 d. A. ver­wie­sen wird, über­mit­tel­te die Be­klag­te dem Be­triebs­rat ein „An­zei­ge von be­ab­sich­tig­ten an­zei­ge­pflich­ti­gen Ent­las­sun­gen gem. § 17 Abs. 2 KSchG“. Hier­auf re­agier­te der Be­triebs­rat mit ei­nem der Be­klag­ten am 30. April 2014 zu­ge­gan­ge­nen Schrei­ben, hin­sicht­lich des­sen Wort­laut auf Bl. 68 - 71 d. A. ver­wie­sen wird. Noch be­vor das Ar­beits­ge­richt Ber­lin auf An­trag der Be­klag­ten mit Be­schluss vom 02. Mai 2014 ei­nen Vor­sit­zen­den ei­ner Ei­ni­gungs­stel­le mit dem Re­ge­lungs­ge­gen­stand „In­ter­es­sen­aus­gleich und So­zi­al­plan für die be­ab­sich­tig­te Still­le­gung der Be­triebsstätte Köpe­nick“ be­stellt hat­te, kündig­te die Be­klag­te die Ar­beits­verhält­nis­se al­ler im Be­trieb Köpe­nick beschäftig­ten Mit­ar­bei­ter. Am 13. Sep­tem­ber 2014 schlos­sen die Be­triebs­par­tei­en ei­nen So­zi­al­plan, aus dem sich ein Ab­fin­dungs­an­spruch für den Kläger in Höhe von 9.000 EUR er­gibt. Im So­zi­al­plan wur­de kei­ne Nicht­an­rech­nung der So­zi­al­plan­ab­fin­dung auf den Nach­teils­aus­gleich ver­ein­bart.

Der Kläger er­hob ge­gen die ihm aus­ge­spro­che­ne Kündi­gung Kündi­gungs­schutz­kla­ge und stell­te hilfs­wei­se ei­nen An­trag auf Zah­lung ei­nes Nach­teils­aus­gleichs. Die Kündi­gungs­schutz­kla­ge nahm der Kläger so­dann zurück und ver­folg­te nur noch den An­spruch auf Zah­lung ei­nes Nach­teils­aus­gleichs. Mit Ur­teil vom 08. Sep­tem­ber 2015 (7 Sa 870/15) ver­ur­teil­te das LAG Ber­lin-Bran­den­burg die Be­klag­te zur Zah­lung ei­nes Nach­teils­aus­gleichs in Höhe von 16.307,20 EUR brut­to. Der Be­trag ent­sprach acht Mo­nats­gehältern des Klägers. Zur Be­gründung führ­te das Ge­richt aus, die Be­klag­te ha­be sich nicht auf die ein­ma­li­ge Ver­hand­lung mit dem Be­triebs­rat be­schränken dürfen, son­dern hätte die Ei­ni­gungs­stel­le an­ru­fen müssen. Hin­sicht­lich der Ein­zel­hei­ten des Ur­teils wird auf die ein­ge­reich­te Ko­pie (Bl. 18 - 24 d. A.) ver­wie­sen.

Die Be­klag­te zahl­te den aus­ge­ur­teil­ten Be­trag in Höhe von 16.307,20 EUR brut­to in 4 Ra­ten an den Kläger aus. Die ent­spre­chen­den Ab­rech­nun­gen wie­sen die ers­te Zah­lung als „Ab­schlag“ und die wei­te­ren drei Zah­lun­gen als „Ab­fin­dung“ aus. Hin­sicht­lich des ge­nau­en In­halts der Ab­rech­nun­gen wird auf Bl. 62 - 65 d. A. ver­wie­sen. Die Aus­zah­lung wei­te­rer 9.000 EUR brut­to un­ter­blieb.

Das Ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge mit Ur­teil vom 10. Au­gust 2016 ab­ge­wie­sen. Zur Be­gründung hat es aus­geführt, ei­ne So­zi­al­plan­ab­fin­dung sei grundsätz­lich auf ei­nen Nach­teils­aus­gleichs­an­spruch an­zu­rech­nen. Ei­ne Aus­nah­me hier­von er­fol­ge nicht des­halb, weil die Höhe des Nach­teils­aus­gleichs vom je­wei­li­gen Ar­beit­neh­mer als un­zu­rei­chend emp­fun­den wer­de.

Ge­gen das ihm am 02. Sep­tem­ber 2016 zu­ge­stell­te Ur­teil des Ar­beits­ge­richts hat der Kläger mit beim Lan­des­ar­beits­ge­richt am 28. Sep­tem­ber 2016 ein­ge­gan­ge­nen Schrift­satz Be­ru­fung ein­ge­legt und die­se zu­gleich be­gründet.

Der Kläger trägt vor, der Aus­schluss der An­re­chen­bar­keit er­ge­be sich aus Art. 2 Abs.2 der EG-Mas­sen­ent­las­sungs­richt­li­nie. Die Be­klag­te ha­be den Be­triebs­rat we­der aus­rei­chend über die ge­plan­te Mas­sen­ent­las­sung in­for­miert, noch hätten sub­stan­ti­el­le Ver­hand­lun­gen und Erörte­run­gen mit dem Be­triebs­rat statt­ge­fun­den. Die Ver­hand­lun­gen am 08. April 2014 sei­en be­reits nach ei­ner hal­ben St­un­de be­en­det wor­den, oh­ne dass über ei­ne Ver­mei­dung/Be­schränkung der ge­plan­ten Be­triebs­still­le­gung und so­zia­le Be­gleit­maßnah­men ver­han­delt wor­den sei. Hin­sicht­lich des wei­te­ren Vor­trags des Klägers über die nicht aus­rei­chen­den Ver­hand­lun­gen der Be­klag­ten mit dem Be­triebs­rat wird auf S. 3 - 4 und 7 - 11 der Be­ru­fungs­schrift (Bl. 96 - 97 und 100 - 104 d. A.) ver­wie­sen. Das Ar­beits­ge­richt ha­be auch nicht berück­sich­tigt, dass das Lan­des­ar­beits­ge­richt in sei­nem Ur­teil vom 08. Sep­tem­ber 2015 den Nach­teils­aus­gleichs­an­spruchs nur des­we­gen so nied­rig an­ge­setzt ha­be, weil es da­von aus­ging, dem Kläger ste­he darüber hin­aus noch der So­zi­al­plan­an­spruch zu.

Der Kläger be­an­tragt,

das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Ber­lin vom 10. Au­gust 2016 (12 Ca 16673/15) ab­zuändern und die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an den Kläger 9.000 EUR brut­to zu zah­len.

Die Be­klag­te be­an­tragt,

die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen.

Die Be­klag­te trägt vor, es sei nicht nach­voll­zieh­bar, in­wie­weit sich aus der Mas­sen­ent­las­sungs­richt­li­nie der Aus­schluss der An­re­chen­bar­keit ei­ner So­zi­al­plan­ab­fin­dung auf den Nach­teils­aus­gleich er­ge­ben könne. Auch sei das Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­ren mit dem Be­triebs­rat ent­spre­chend den Vor­aus­set­zun­gen des § 17 Abs. 2 Satz2 KSchG durch­geführt wor­den. Dies er­ge­be sich aus den vor­ge­leg­ten Un­ter­la­gen zur An­zei­ge gem. § 17 Abs.2 KSchG vom 16. April 2014 und aus der Stel­lung­nah­me des Be­triebs­rats vom 30. April 2014.

Hin­sicht­lich des wei­te­ren Vor­trags der Par­tei­en wird auf die ge­wech­sel­ten Schriftsätze nebst An­la­gen ver­wie­sen.

Ent­schei­dungs­gründe

A. Die gemäß §§ 8 Abs.2, 64 Abs.1 und 2 ArbGG, 511 ZPO statt­haf­te Be­ru­fung des Klägers ist form­ge­recht und frist­gemäß im Sin­ne von § 64 Abs.6, § 66 Abs.1 ArbGG, §§ 519, 520 Abs. 1 und 3 ZPO ein­ge­legt und be­gründet wor­den. Die Be­ru­fung ist da­her zulässig.

B. Die Be­ru­fung ist un­be­gründet. Der An­spruch des Klägers auf Zah­lung der So­zi­al­plan­ab­fin­dung ist gemäß § 362 Abs.1 BGB durch Erfüllung er­lo­schen.

I. Die Erfüllung ist al­ler­dings nicht al­lein des­we­gen ein­ge­tre­ten, weil die Be­klag­te in drei der Ab­rech­nun­gen als Til­gungs­be­stim­mung „Ab­fin­dung“ an­ge­ge­ben hat. Die Be­klag­te hat in der Sum­me der ab­ge­rech­ne­ten Beträge ex­akt den als Nach­teils­aus­gleichs­an­spruch aus­ge­ur­teil­ten Be­trag ab­ge­rech­net und woll­te er­sicht­lich die­sen erfüllen.

II. Ei­ne Erfüllungs­wir­kung ist aber ein­ge­tre­ten, weil der An­spruch aus dem So­zi­al­plan und der Nach­teils­aus­gleichs­an­spruch auf­ein­an­der an­zu­rech­nen wa­ren. Die Be­klag­te schul­de­te des­we­gen aus bei­den Rechts­grund­la­gen ins­ge­samt 16.307,20 EUR brut­to und nicht 25.307,20 EUR brut­to. Die­sen An­spruch hat die Be­klag­te erfüllt.

1. Der So­zi­al­plan­an­spruch sei­ner­seits und der Nach­teils­aus­gleich an­de­rer­seits ste­hen nach ständi­ger Recht­spre­chung, der die er­ken­nen­de Kam­mer folgt, nicht be­zie­hungs­los ne­ben­ein­an­der und können des­we­gen grundsätz­lich nicht ku­mu­la­tiv ver­langt wer­den (BAG16. Mai 2007 - 8 AZR 693/06 - AP Nr. 64 zu § 111 Be­trVG 1972 = EzA § 613a BGB 2002 Nr 70; BAG 23. Sep­tem­ber 2003 - 1 AZR 576/02 - BA­GE 107, 347, 355 = AP Be­trVG 1972 § 113 Nr. 43 = EzA Be­trVG 2001 § 113 Nr. 3; 24. Ja­nu­ar 1996 - 1 AZR 542/95 - BA­GE 82, 79, 87 = AP Be­trVG 1972 § 50 Nr. 16 = EzA Be­trVG 1972 § 113 Nr. 24 mwN; LAG Schles­wig Hol­stein 11. Mai 2001 - 5 Sa 66/01 - Ju­ris). Zwi­schen der Ab­fin­dung nach § 113 Be­trVG und der So­zi­al­plan­ab­fin­dung be­steht ei­ne par­ti­el­le Zweck­iden­tität, da § 113 Be­trVG nicht nur Sank­ti­ons­cha­rak­ter auf­weist, son­dern auch dem Aus­gleich wirt­schaft­li­cher Nach­tei­le dient. Ei­ner­seits soll präven­tiv die vor­ge­schrie­be­ne Be­tei­li­gung des Be­triebs­rats an der Be­triebsände­rung si­cher­ge­stellt wer­den. An­de­rer­seits ist § 113 Be­trVG kei­ne bußgeldähn­li­che Ver­pflich­tung mit Straf­cha­rak­ter. Viel­mehr sol­len die Ar­beit­neh­mer auch ei­ne Entschädi­gung dafür er­hal­ten, dass ei­ne im Ge­setz vor­ge­se­he­ne Be­tei­li­gung un­ter­blie­ben und da­mit ei­ne Chan­ce nicht ge­nutzt wor­den ist, ei­nen In­ter­es­sen­aus­gleich zu fin­den, der Ent­las­sun­gen ver­mei­det oder wirt­schaft­li­che Nach­tei­le ab­mil­dert (BAG 29. No­vem­ber 1983 - 1 AZR 523/82 - BA­GE 44, 260, 266 = AP Be­trVG 1972 § 113 Nr. 10 = EzA Be­trVG 1972 § 113 Nr. 11). Dem Aus­gleich die­ser Nach­tei­le dient aber auch die Ab­fin­dung aus dem So­zi­al­plan nach § 112 Abs.1 Satz 2 Be­trVG. Aus der in­so­weit be­ste­hen­den Zweck­iden­tität folgt die An­re­chen­bar­keit des ge­setz­li­chen Nach­teils­aus­gleichs auf ei­ne So­zi­al­plan­ab­fin­dung (BAG 13. Ju­ni 1989 - 1 AZR 819/87 - BA­GE 62, 88 = AP Be­trVG 1972 § 113 Nr. 19 = EzA Be­trVG 1972 § 113 Nr. 19 mwN).

2. Um­strit­ten ist al­ler­dings, ob die­se Recht­spre­chung nach den Grundsätzen der ge­mein­schafts­kon­for­men Aus­le­gung ei­ner Kor­rek­tur be­darf, wenn der Ar­beit­ge­ber auch die Kon­sul­ta­ti­ons­pflicht nach Art.2 Abs.1 der RL 98/59/EG des Ra­tes zur An­glei­chung der Rechts­vor­schrif­ten der Mit­glied­staa­ten über Mas­sen­ent­las­sun­gen vom 20. Ju­li 1998 (im Fol­gen­den: EG-Mas­sen­ent­las­sungs­richt­li­nie) ver­letzt hat.

a. Nach Art.2 Abs.1 der EG-Mas­sen­ent­las­sungs­richt­li­nie muss ein Ar­beit­ge­ber, der be­ab­sich­tigt, ei­ne Mas­sen­ent­las­sung iSd. Art.1 Abs.1 der Richt­li­nie durch­zuführen, die Ar­beit­neh­mer­ver­tre­ter recht­zei­tig kon­sul­tie­ren, um zu ei­ner Ei­ni­gung zu ge­lan­gen. Nach Art.2 Abs.2 der EG-Mas­sen­ent­las­sungs­richt­li­nie ha­ben sich die Ver­hand­lun­gen zu­min­dest auf die Möglich­keit zu er­stre­cken, Mas­sen­ent­las­sun­gen zu ver­mei­den oder zu be­schränken so­wie ih­re Fol­gen durch so­zia­le Be­gleit­maßnah­men, die ins­be­son­de­re Hil­fen für an­der­wei­ti­ge Ver­wen­dung oder Um­schu­lung der ent­las­se­nen Ar­beit­neh­mer zum Ziel ha­ben, zu mil­dern. Des wei­te­ren hat der Ar­beit­ge­ber die Ar­beit­neh­mer­ver­tre­tung iSd. Art.2 Abs.3 EG-Mas­sen­ent­las­sungs­richt­li­nie zu un­ter­rich­ten.

b. Vor­lie­gend spricht vie­les dafür, dass die Be­klag­te die Kon­sul­ta­ti­ons­pflicht nach Art. 2 der EG-Mas­sen­ent­las­sungs­richt­li­nie ver­letzt hat. Dies folgt al­ler­dings noch nicht aus den Fest­stel­lung des Ur­teils des LAG Ber­lin-Bran­den­burg vom 08. Sep­tem­ber 2015 (7 Sa 870/15). Das Ge­richt hat­te den Nach­teils­aus­gleichs­an­spruch auf die feh­len­de An­ru­fung der Ei­ni­gungs­stel­le vor Aus­spruch der Kündi­gung gestützt. Die Pflicht zur An­ru­fung der Ei­ni­gungs­stel­le folgt zwar mit § 112 Abs.2 Be­trVG aus dem na­tio­na­len Recht. An­ders als § 112 Abs.2 Be­trVG ver­langt Art. 2 Abs.2 der EG-Mas­sen­ent­las­sungs­richt­li­nie für die Erfüllung der Kon­sul­ta­ti­ons­pflicht aber nicht auch noch die Ein­schal­tung ei­nes un­par­tei­ischen Drit­ten nach dem Schei­tern der Ver­hand­lun­gen der Be­triebs­par­tei­en. Un­ter Zu­grun­de­le­gung des Vor­trags des Klägers hat die Be­klag­te aber kei­ner­lei ernst­haf­te Kon­sul­ta­tio­nen iSv. Art.2 der EG-Mas­sen­ent­las­sungs­richt­li­nie mit dem Be­triebs­rat über die ge­plan­te Mas­sen­ent­las­sung vor de­ren Durchführung geführt. Die Be­klag­te kann sich in­so­weit auch nicht auf die Stel­lung­nah­me des Be­triebs­rats vom 30. April 2014 be­ru­fen. Viel­mehr er­gibt sich aus der Stel­lung­nah­me des Be­triebs­rats, dass die­ser we­der von ei­ner aus­rei­chen­den Kon­sul­ta­ti­on, noch von ei­nem Ab­schluss des Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­rens aus­ging.

3. Der An­spruch aus dem So­zi­al­plan und der Nach­teils­aus­gleichs­an­spruch wa­ren je­doch vor­lie­gend auch dann auf­ein­an­der an­zu­rech­nen, wenn die Be­klag­te die Kon­sul­ta­ti­ons­pflicht nach Art.2 Abs.1 EG-Mas­sen­ent­las­sungs­richt­li­nie ver­letzt hat.

a. Teil­wei­se wird al­ler­dings ver­tre­ten, dass ei­ne vollständi­ge Ver­rech­nung von Nach­teils­aus­gleichs­an­spruch und So­zi­al­plan­ab­fin­dung dann nicht statt­zu­fin­den hat, wenn gleich­zei­tig ein Ver­s­toß ge­gen die EG-Mas­sen­ent­las­sungs­richt­li­nie vor­liegt (LAG Hes­sen 17. Fe­bru­ar 2006 - 17 Sa 1305/05 - Rn. 42, Ju­ris mwN; LAG Rhein­land-Pfalz 24. Sep­tem­ber 2007 - 5 Sa 277/07 - Rn. 43, Ju­ris ; für ei­ne nur teil­wei­se An­rech­nung: Oet­ker NZA 1998, 1193 (1198); GK/Oet­ker 10. Aufl. § 113 Rn. 109; aA LAG Schles­wig-Hol­stein 11. Mai 2001 - 5 Sa 66/01 - Ju­ris; ErfK/Ka­nia 17. Aufl. § 113 Rn. 2; Leuch­ten/Li­pin­ski NZA 2003, 1361 (1362)). Dies wird da­mit be­gründet, dass im Hin­blick auf Art. 6 der EG-Mas­sen­ent­las­sungs­richt­li­nie ei­ne aus­rei­chend ab­schre­cken­de Wir­kung nicht ge­ge­ben sei, wenn ei­ne Ver­rech­nung vor­ge­nom­men wer­de. Da die So­zi­al­plan­ab­fin­dung den Nach­teils­aus­gleichs­an­spruch re­gelmäßig über­stei­ge, blei­be bei ei­ner An­rech­nung des Nach­teils­aus­gleichs ein Ver­s­toß der Ar­beit­ge­ber ge­gen § 112 Be­trVG im Er­geb­nis sank­ti­ons­los.

b. Dem ist nicht mehr zu fol­gen, seit­dem nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts auch ein Ver­s­toß ge­gen die In­for­ma­ti­ons- und Kon­sul­ta­ti­ons­pflicht nach § 17 Abs.2 KSchG zur Un­wirk­sam­keit der Kündi­gung führt (vgl. hier­zu BAG 21. März 2013 - 2 AZR 60/12 - BA­GE 144, 366 Rn.19 mwN).

aa. Nach Art. 6 der EG-Mas­sen­ent­las­sungs­richt­li­nie sor­gen die Mit­glied­staa­ten dafür, dass den Ar­beit­neh­mer­ver­tre­tern und/oder den Ar­beit­neh­mern ad­mi­nis­tra­ti­ve und/oder ge­richt­li­che Ver­fah­ren zur Durch­set­zung der Ver­pflich­tun­gen gemäß der Richt­li­nie zur Verfügung ste­hen. Enthält ei­ne ge­mein­schafts­recht­li­che Richt­li­nie kei­ne be­son­de­re Sank­ti­on für den Fall ei­nes Ver­s­toßes ge­gen ih­re Vor­schrif­ten oder ver­weist sie in­so­weit auf die na­tio­na­len Rechts- und Ver­wal­tungs­vor­schrif­ten, so sind die Mit­glied­staa­ten ver­pflich­tet, al­le ge­eig­ne­ten Maßnah­men zu tref­fen, um die Gel­tung und die Wirk­sam­keit des Ge­mein­schafts­rechts zu gewähr­leis­ten. Da­bei müssen die Mit­glied­staa­ten, de­nen al­ler­dings die Wahl der Sank­tio­nen ver­bleibt, dar­auf ach­ten, dass die Verstöße ge­gen das Ge­mein­schafts­recht nach sach­li­chen und ver­fah­rens­recht­li­chen Re­geln ge­ahn­det wer­den, die den­je­ni­gen ent­spre­chen, die für nach Art und Schwe­re gleich­ar­ti­ge Verstöße ge­gen na­tio­na­les Recht gel­ten, wo­bei die Sank­ti­on je­den­falls wirk­sam, verhält­nismäßig und ab­schre­ckend sein muss (vgl. zur RL 75/129/EWG: EuGH 08. Ju­ni 1994 - Rn. 40, Slg 1994, I-2479; BAG 21. März 2013 - 2 AZR 60/12 - BA­GE 144, 366 Rn. 25).

bb. Der deut­sche Ge­setz­ge­ber hat zur Um­set­zung der EG-Mas­sen­ent­las­sungs­richt­li­nie die §§ 17 ff. KSchG be­stimmt (vgl. BAG 21. März 2013 - 2 AZR 60/12 - BA­GE 144, 366 Rn. 22; Wiss­mann RdA 1998 221 (222) mit Ver­weis auf BT-Drucks. 13/688, S. 4; Wölfel Die So­zi­al­plan­ab­fin­dung, S.277; Bro­se Der präven­ti­ve Kündi­gungs­schutz bei be­triebs­be­ding­ten Kündi­gun­gen, 216). Ei­nes Rück­griffs auf die §§ 111 ff. Be­trVG be­darf es im Rah­men ei­ner eu­ro­pa­rechts­kon­for­men Um­set­zung der EG-Mas­sen­ent­las­sungs­richt­li­nie durch den deut­schen Ge­setz­ge­ber nur, wenn und so­weit durch § 17 KSchG kei­ne aus­rei­chen­de Um­set­zung der EG-Mas­sen­ent­las­sungs­richt­li­nie er­folgt ist. Die in § 17 Abs.2 KSchG nor­mier­te In­for­ma­ti­ons- und Kon­sul­ta­ti­ons­pflicht deckt die Vor­ga­ben von Art. 2 EG-Mas­sen­ent­las­sungs­richt­li­nie ab. Sieht § 17 KSchG bei dem Ver­s­toß ge­gen die Kon­sul­ta­ti­ons­pflicht ei­ne wirk­sa­me, verhält­nismäßige und ab­schre­cken­de Sank­ti­on vor, so ist auch Art. 6 der EG-Mas­sen­ent­las­sungs­richt­li­nie genügt.

cc. § 17 KSchG sieht bei dem Ver­s­toß ge­gen die Kon­sul­ta­ti­ons­pflicht des Art. 2 EG-Mas­sen­ent­las­sungs­richt­li­nie ei­ne wirk­sa­me, verhält­nismäßige und ab­schre­cken­de Sank­ti­on vor. Ei­ne oh­ne Durchführung ei­nes Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­rens iSd. § 17 Abs.2 KSchG im Rah­men ei­ner Mas­sen­ent­las­sung aus­ge­spro­che­ne Kündi­gung ist - un­abhängig von dem Er­for­der­nis ei­ner ord­nungs­gemäßen An­zei­ge bei der Agen­tur für Ar­beit nach § 17 Abs. 1 iVm. Abs. 3 KSchG - we­gen Ver­s­toßes ge­gen ein ge­setz­li­ches Ver­bot iSv. § 134 BGB rechts­un­wirk­sam. Die Durchführung des Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­rens ist ein ei­genständi­ges Wirk­sam­keits­er­for­der­nis für die Kündi­gung (BAG 21. März 2013 - 2 AZR 60/12 - BA­GE 144, 366 Rn. 19 mwN; vgl. a. BAG 22. Sep­tem­ber 2016 - 2 AZR 276/16 - Rn. 36 AP Nr 52 zu § 17 KSchG 1969).

Durch die Un­wirk­sam­keit der Kündi­gung als Rechts­fol­ge des Ver­s­toßes ge­gen § 17 Abs.2 KSchG und Art.2 der EG-Mas­sen­ent­las­sungs­richt­li­nie hat der deut­sche Ge­setz­ge­ber ei­ne wirk­sa­me und ab­schre­cken­de Sank­ti­on vor­ge­se­hen (vgl. a. Wiss­mann RdA 1998 221 (226)). Die Un­wirk­sam­keit der Kündi­gung und der da­mit ein­her­ge­hen­de Be­stand des Ar­beits­verhält­nis­ses enthält so­gar ei­ne die Ziel­set­zung der EG-Mas­sen­ent­las­sungs­richt­li­nie deut­lich bes­ser ab­bil­den­de wirk­sa­me und ab­schre­cken­de Sank­ti­on als der aus § 113 Abs.3 Be­trVG re­sul­tie­ren­de An­spruch, der im Verhält­nis zum Fort­be­stand des Ar­beits­verhält­nis­ses der Sa­che nach nur ei­nen Se­kundäran­spruch gibt. Da be­reits § 17 KSchG be­zo­gen auf die Kon­sul­ta­ti­ons­pflicht die EG-Mas­sen­ent­las­sungs­richt­li­nie aus­rei­chend um­setzt, be­darf es im Hin­blick auf Art. 6 der EG-Mas­sen­ent­las­sungs­richt­li­nie kei­nes Ver­bots ei­ner Ver­rech­nung von So­zi­al­plan­ab­fin­dung und Nach­teils­aus­gleichs­an­spruchs, um ei­ne wirk­sa­me und ab­schre­cken­de Sank­ti­on bei Ver­let­zung der Kon­sul­ta­ti­ons­pflicht zu gewähr­leis­ten.

Nur ergänzend sei dar­auf hin­ge­wie­sen, dass vor­lie­gend der Nach­teils­aus­gleichs­an­spruch über 181 % des So­zi­al­plan­an­spruchs beträgt und da­mit auch bei ei­ner Ver­rech­nung der Ver­s­toß ge­gen § 112 Abs.2 Be­trVG ei­genständi­ge und er­heb­li­che fi­nan­zi­el­le Aus­wir­kun­gen hat­te.

dd. Un­er­heb­lich ist, dass der Kläger auf­grund der Rück­nah­me sei­ner Kündi­gungs­schutz­kla­ge und der Wei­ter­ver­fol­gung nur sei­nes Nach­teils­aus­gleichs­an­spruchs die Wirk­sam­keit der Kündi­gung nach § 4 Satz 1, § 7 KSchG iVm. § 269 Abs.3 Satz 1 ZPO her­bei­geführt hat. Die Tat­sa­che, dass der Kläger den Fort­be­stand sei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses auf­grund ei­ner au­to­no­men Ent­schei­dung nicht mehr gel­tend ma­chen woll­te, stellt nicht in Fra­ge, dass der deut­sche Ge­setz­ge­ber mit ei­ner aus § 17 Abs.2 KSchG iVm. § 134 BGB re­sul­tie­ren­den Un­wirk­sam­keit der Kündi­gung ei­ne aus­rei­chen­de Sank­ti­on bei der Ver­let­zung der In­for­ma­ti­ons- und Kon­sul­ta­ti­ons­pflicht des Art.2 EG-Mas­sen­ent­las­sungs­richt­li­nie ge­schaf­fen hat.

4. So­weit der Kläger die Auf­fas­sung ver­tritt, ei­ne An­rech­nung der So­zi­al­plan­ab­fin­dung auf den Nach­teils­aus­gleichs­an­spruch sei aus­ge­schlos­sen, weil das Lan­des­ar­beits­ge­richt in sei­nem Ur­teil vom 08. Sep­tem­ber 2015 den Nach­teils­aus­gleichs­an­spruchs nur des­we­gen so nied­rig an­ge­setzt ha­be, weil es da­von aus­ging, dem Kläger ste­he darüber hin­aus noch der So­zi­al­plan­an­spruch zu, trifft dies nicht zu. Un­abhängig da­von, dass Lan­des­ar­beits­ge­richt rechts­kräftig al­lein über den Nach­teils­aus­gleich und nicht über ei­ne et­wai­ge An­rech­nung ent­schie­den hat, lässt sich die Wer­tung des Klägers aus den Ur­teils­gründen auch nicht ent­neh­men. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat viel­mehr le­dig­lich aus­geführt, dass mit der Ab­fin­dung aus dem So­zi­al­plan der Nach­teils­aus­gleich nicht aus­rei­chend ab­ge­gol­ten sei und des­we­gen die Höhe des Nach­teils­aus­gleichs­an­spruchs nicht hin­ter der Höhe des So­zi­al­plan­an­spruchs zurück­blei­ben dürfe (S.6 des Ur­teils = Bl. 23 d. A.). Die im­pli­ziert die Möglich­keit ei­ner Ver­rech­nung.

C. Die Kos­ten­ent­schei­dung be­ruht auf § 97 Abs.1 ZPO.

D. Die Re­vi­si­on wur­de gemäß § 72 Abs.2 Nr.1 ArbGG zu­ge­las­sen.

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