HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

EuGH, Ur­teil vom 07.06.2012, C-132/11 - Ty­ro­le­an Air­ways Ti­ro­ler Luft­fahrt

   
Schlagworte: Diskriminierung: Alter, Tarifvertrag, Altersdiskriminierung
   
Gericht: Europäischer Gerichtshof
Aktenzeichen: C-132/11
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 07.06.2012
   
Leitsätze: Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf ist dahin auszulegen, dass er einer Bestimmung eines Kollektivvertrags nicht entgegensteht, nach der bei der Einstufung in die kollektivvertraglichen Verwendungsgruppen und damit für die Höhe des Entgelts nur die als Flugbegleiter bei einer bestimmten Luftlinie erworbene Berufserfahrung berücksichtigt wird, nicht aber die inhaltlich identische Erfahrung, die bei einer anderen konzerninternen Luftlinie erworben wurde.
Vorinstanzen:
   

UR­TEIL DES GERICH­TSHOFS (Zwei­te Kam­mer)

7. Ju­ni 2012(*)

„Richt­li­nie 2000/78/EG – Gleich­be­hand­lung in Beschäfti­gung und Be­ruf – Un­gleich­be­hand­lung we­gen des Al­ters – Char­ta der Grund­rech­te der Eu­ropäischen Uni­on – All­ge­mei­ne Grundsätze des Uni­ons­rechts – Kol­lek­tiv­ver­trag – Feh­len­de Berück­sich­ti­gung der bei ei­ner an­de­ren Luft­li­nie des­sel­ben Kon­zerns er­wor­be­nen Be­rufs­er­fah­rung für die Zwe­cke der Ein­stu­fung von Flug­be­glei­tern ei­ner Luft­li­nie in das Ge­halts­sche­ma – Ver­trags­klau­sel

In der Rechts­sa­che C‑132/11

be­tref­fend ein Vor­ab­ent­schei­dungs­er­su­chen nach Art. 267 AEUV, ein­ge­reicht vom Ober­lan­des­ge­richt Inns­bruck (Öster­reich) mit Ent­schei­dung vom 9. März 2011, beim Ge­richts­hof ein­ge­gan­gen am 18. März 2011, in dem Ver­fah­ren

Ty­ro­le­an Air­ways Ti­ro­ler Luft­fahrt Ge­sell­schaft mbH

ge­gen

Be­triebs­rat Bord der Ty­ro­le­an Air­ways Ti­ro­ler Luft­fahrt Ge­sell­schaft mbH

erlässt

DER GERICH­TSHOF (Zwei­te Kam­mer)

un­ter Mit­wir­kung des Kam­mer­präsi­den­ten J. N. Cun­ha Ro­d­ri­gues so­wie der Rich­ter U. Lõhmus, A. Ó Cao­imh, A. Ara­b­ad­jiev (Be­richt­er­stat­ter) und C. G. Fern­lund,

Ge­ne­ral­an­walt: Y. Bot,

Kanz­ler: A. Ca­lot Es­co­bar,

auf­grund des schrift­li­chen Ver­fah­rens,

un­ter Berück­sich­ti­gung der Erklärun­gen

– der Ty­ro­le­an Air­ways Ti­ro­ler Luft­fahrt Ge­sell­schaft mbH, ver­tre­ten durch Rechts­an­walt A. Grund­ei,

– der öster­rei­chi­schen Re­gie­rung, ver­tre­ten durch C. Pe­sen­dor­fer als Be­vollmäch­tig­te,

– der Eu­ropäischen Kom­mis­si­on, ver­tre­ten durch V. Kreu­schitz und J. En­e­gren als Be­vollmäch­tig­te,

auf­grund des nach Anhörung des Ge­ne­ral­an­walts er­gan­ge­nen Be­schlus­ses, oh­ne Schluss­anträge über die Rechts­sa­che zu ent­schei­den,

fol­gen­des

Ur­teil

1 Das Vor­ab­ent­schei­dungs­er­su­chen be­trifft die Aus­le­gung des Art. 21 Abs. 1 der Char­ta der Grund­rech­te der Eu­ropäischen Uni­on (im Fol­gen­den: Char­ta) und der Art. 1, 2 und 6 der Richt­li­nie 2000/78/EG des Ra­tes vom 27. No­vem­ber 2000 zur Fest­le­gung ei­nes all­ge­mei­nen Rah­mens für die Ver­wirk­li­chung der Gleich­be­hand­lung in Beschäfti­gung und Be­ruf (ABl. L 303, S. 16).
2

Die­ses Er­su­chen er­geht im Rah­men ei­nes Rechts­streits zwi­schen der Ty­ro­le­an Air­ways Ti­ro­ler Luft­fahrt Ge­sell­schaft mbH (im Fol­gen­den: Ty­ro­le­an Air­ways) und dem Be­triebs­rat Bord der Ty­ro­le­an Air­ways Ti­ro­ler Luft­fahrt Ge­sell­schaft mbH (im Fol­gen­den: Be­triebs­rat) über die Aus­le­gung des für das Bord­per­so­nal von Ty­ro­le­an Air­ways gel­ten­den Kol­lek­tiv­ver­trags in sei­ner im Aus­gangs­ver­fah­ren maßgeb­li­chen Fas­sung (im Fol­gen­den: Kol­lek­tiv­ver­trag von Ty­ro­le­an Air­ways) und ins­be­son­de­re über die Fra­ge der Berück­sich­ti­gung von Vor­dienst­zei­ten bei den an­de­ren bei­den Toch­ter­ge­sell­schaf­ten des Aus­tri­an Air­lines Kon­zerns (im Fol­gen­den: Kon­zern), nämlich der Aus­tri­an Air­lines AG (im Fol­gen­den: Aus­tri­an Air­lines) und der Lau­da Air Luft­fahrt Ge­sell­schaft mbH (im Fol­gen­den: Lau­da Air).

Recht­li­cher Rah­men

Uni­ons­recht

3

In den Art. 1 und 2 der Richt­li­nie 2000/78 heißt es:

Ar­ti­kel 1

Zweck

Zweck die­ser Richt­li­nie ist die Schaf­fung ei­nes all­ge­mei­nen Rah­mens zur Bekämp­fung der Dis­kri­mi­nie­rung we­gen der Re­li­gi­on oder der Welt­an­schau­ung, ei­ner Be­hin­de­rung, des Al­ters oder der se­xu­el­len Aus­rich­tung in Beschäfti­gung und Be­ruf im Hin­blick auf die Ver­wirk­li­chung des Grund­sat­zes der Gleich­be­hand­lung in den Mit­glied­staa­ten.

Ar­ti­kel 2

Der Be­griff ‚Dis­kri­mi­nie­rung‘

(1) Im Sin­ne die­ser Richt­li­nie be­deu­tet ‚Gleich­be­hand­lungs­grund­satz‘, dass es kei­ne un­mit­tel­ba­re oder mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung we­gen ei­nes der in Ar­ti­kel 1 ge­nann­ten Gründe ge­ben darf.

(2) Im Sin­ne des Ab­sat­zes 1

b) liegt ei­ne mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung vor, wenn dem An­schein nach neu­tra­le Vor­schrif­ten, Kri­te­ri­en oder Ver­fah­ren Per­so­nen mit ei­ner be­stimm­ten Re­li­gi­on oder Welt­an­schau­ung, ei­ner be­stimm­ten Be­hin­de­rung, ei­nes be­stimm­ten Al­ters oder mit ei­ner be­stimm­ten se­xu­el­len Aus­rich­tung ge­genüber an­de­ren Per­so­nen in be­son­de­rer Wei­se be­nach­tei­li­gen können, es sei denn:

i) die­se Vor­schrif­ten, Kri­te­ri­en oder Ver­fah­ren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sach­lich ge­recht­fer­tigt, und die Mit­tel sind zur Er­rei­chung die­ses Ziels an­ge­mes­sen und er­for­der­lich, …

…“

4

Art. 3 („Gel­tungs­be­reich“) der Richt­li­nie 2000/78 be­stimmt in Abs. 1:

„Im Rah­men der auf die Ge­mein­schaft über­tra­ge­nen Zuständig­kei­ten gilt die­se Richt­li­nie für al­le Per­so­nen in öffent­li­chen und pri­va­ten Be­rei­chen, ein­sch­ließlich öffent­li­cher Stel­len, in Be­zug auf

a) die Be­din­gun­gen - ein­sch­ließlich Aus­wahl­kri­te­ri­en und Ein­stel­lungs­be­din­gun­gen - für den Zu­gang zu un­selbständi­ger und selbständi­ger Er­werbstätig­keit, un­abhängig von Tätig­keits­feld und be­ruf­li­cher Po­si­ti­on, ein­sch­ließlich des be­ruf­li­chen Auf­stiegs;

c) die Beschäfti­gungs- und Ar­beits­be­din­gun­gen, ein­sch­ließlich der Ent­las­sungs­be­din­gun­gen und des Ar­beits­ent­gelts;

…“

5

Art. 6 („Ge­recht­fer­tig­te Un­gleich­be­hand­lung we­gen des Al­ters“) der Richt­li­nie 2000/78 sieht in Abs. 1 vor:

„Un­ge­ach­tet des Ar­ti­kels 2 Ab­satz 2 können die Mit­glied­staa­ten vor­se­hen, dass Un­gleich­be­hand­lun­gen we­gen des Al­ters kei­ne Dis­kri­mi­nie­rung dar­stel­len, so­fern sie ob­jek­tiv und an­ge­mes­sen sind und im Rah­men des na­tio­na­len Rechts durch ein le­gi­ti­mes Ziel, wor­un­ter ins­be­son­de­re rechtmäßige Zie­le aus den Be­rei­chen Beschäfti­gungs­po­li­tik, Ar­beits­markt und be­ruf­li­che Bil­dung zu ver­ste­hen sind, ge­recht­fer­tigt sind und die Mit­tel zur Er­rei­chung die­ses Ziels an­ge­mes­sen und er­for­der­lich sind.

Der­ar­ti­ge Un­gleich­be­hand­lun­gen können ins­be­son­de­re Fol­gen­des ein­sch­ließen:

a) die Fest­le­gung be­son­de­rer Be­din­gun­gen für den Zu­gang zur Beschäfti­gung und zur be­ruf­li­chen Bil­dung so­wie be­son­de­rer Beschäfti­gungs- und Ar­beits­be­din­gun­gen, ein­sch­ließlich der Be­din­gun­gen für Ent­las­sung und Ent­loh­nung, um die be­ruf­li­che Ein­glie­de­rung von Ju­gend­li­chen, älte­ren Ar­beit­neh­mern und Per­so­nen mit Fürsor­ge­pflich­ten zu fördern oder ih­ren Schutz si­cher­zu­stel­len;

b) die Fest­le­gung von Min­dest­an­for­de­run­gen an das Al­ter, die Be­rufs­er­fah­rung oder das Dienst­al­ter für den Zu­gang zur Beschäfti­gung oder für be­stimm­te mit der Beschäfti­gung ver­bun­de­ne Vor­tei­le;

…“

6

Nach Art. 16 Buchst. b der Richt­li­nie 2000/78 tref­fen die Mit­glied­staa­ten die er­for­der­li­chen Maßnah­men, um si­cher­zu­stel­len, dass „die mit dem Gleich­be­hand­lungs­grund­satz nicht zu ver­ein­ba­ren­den Be­stim­mun­gen in Ar­beits- und Ta­rif­verträgen … für nich­tig erklärt wer­den oder erklärt wer­den können oder geändert wer­den“.

Öster­rei­chi­sches Recht

7 Ty­ro­le­an Air­ways und Lau­da Air sind zwei 100%ige Toch­ter­ge­sell­schaf­ten von Aus­tri­an Air­lines.
8 Zur Zu­sam­men­le­gung von Aus­tri­an Air­lines und Lau­da Air kam es auf­grund ei­ner So­zi­al­part­ner­ei­ni­gung im Jahr 2003. Die Ar­beits­be­din­gun­gen des Bord­per­so­nals die­ser bei­den Luft­li­ni­en wer­den seit­her durch ei­nen ein­heit­li­chen Kol­lek­tiv­ver­trag ge­re­gelt, der kei­ne Berück­sich­ti­gung von Vor­dienst­zei­ten bei Ty­ro­le­an Air­ways vor­sieht.
9 Die Dienst­verhält­nis­se zwi­schen Ty­ro­le­an Air­ways und ih­rem Bord­per­so­nal un­ter­lie­gen dem Kol­lek­tiv­ver­trag von Ty­ro­le­an Air­ways.
10 Nach An­hang III („Ge­halt/Ver­wen­dungs­grup­pen­sche­ma“) Ab­schnitt 1 („All­ge­mei­ne Be­stim­mun­gen“) die­ses Kol­lek­tiv­ver­trags wird das Bord­per­so­nal in die Ver­wen­dungs­grup­pe A oder B ein­ge­reiht. Punkt 1.7 lau­tet: „Die Um­stu­fung von A auf B er­folgt nach Voll­endung des 3. Dienst­jah­res, d. h. ge­nau drei Jah­re nach der Ein­stel­lung als Flug­be­glei­ter(in)“ (im Fol­gen­den: strei­ti­ge Klau­sel des Kol­lek­tiv­ver­trags von Ty­ro­le­an Air­ways).
11 Aus dem Vor­la­ge­be­schluss geht her­vor, dass der Kol­lek­tiv­ver­trag der Ty­ro­le­an Air­ways kei­ne An­ga­ben da­zu enthält, ob sich der Be­griff „Ein­stel­lung“ auf die Ein­stel­lung bei Ty­ro­le­an Air­ways oder all­ge­mei­ner bei ei­ner der drei Luft­li­ni­en des Kon­zerns be­zieht. In den Be­stim­mun­gen über den persönli­chen Gel­tungs­be­reich die­ses Kol­lek­tiv­ver­trags heißt es nur, dass er für das Bord­per­so­nal von Ty­ro­le­an Air­ways gel­te.
12 Ab­schnitt 3 („Ge­halts­ta­bel­len für das Bord­per­so­nal“) von An­hang III des Kol­lek­tiv­ver­trags von Ty­ro­le­an Air­ways enthält in den Punk­ten 3.4 und 3.5 ei­ne Ge­halts­ta­bel­le für Flug­be­glei­ter und ei­ne ei­ge­ne Ge­halts­ta­bel­le für Flug­be­glei­ter mit min­des­tens drei Jah­ren Er­fah­rung.
13

Punkt 2.2. des Kol­lek­tiv­ver­trags für das Bord­per­so­nal von Aus­tri­an Air­lines be­stimmt:

„Bei Um­stu­fung in ei­ne höhe­re Ver­wen­dungs­grup­pe er­folgt die Ein­stu­fung:

2.2. beim Ka­bi­nen­per­so­nal

2.2.1. von Ver­wen­dungs­grup­pe Ju­ni­or Flug­be­glei­ter oh­ne Di­plom in Ver­wen­dungs­grup­pe Ju­ni­or Flug­be­glei­ter mit Di­plom:

Die Um­stu­fung er­folgt nach Ab­le­gung der Di­plom­prüfung, frühes­tens je­doch nach Voll­endung des 3. Dienst­jah­res. Die Ein­stu­fung er­folgt in das 4. Dienst­jahr mit Di­plom.“

14

Die Dienst­verträge der Flug­be­glei­ter von Ty­ro­le­an Air­ways ent­hal­ten übli­cher­wei­se un­ter Punkt 8 fol­gen­de Klau­sel:

„Für al­le Re­ge­lun­gen und Ansprüche, für die das Ein­tritts­da­tum re­le­vant ist, ist je­nes bei Ty­ro­le­an Air­ways maßgeb­lich.“

15

Aus den Un­ter­la­gen geht her­vor, dass die Flug­be­glei­ter vor ih­rem erst­ma­li­gen Ein­satz ei­ner Ein­schu­lungs­zeit von sechs bis acht Wo­chen bedürfen. Die Ein­schu­lung um­fasst ei­nen all­ge­mei­nen und ei­nen spe­zi­el­len, auf den je­wei­li­gen Flug­zeug­typ, in dem die Flug­be­glei­ter ein­ge­setzt wer­den, ab­ge­stimm­ten Teil. War ein Flug­be­glei­ter be­reits als sol­cher in­ner­halb des Kon­zerns tätig, kommt es bei ei­nem kon­zern­in­ter­nen Wech­sel zwi­schen den Luft­li­ni­en nur mehr zu ei­ner verkürz­ten Ein­schu­lungs­pha­se von knapp vier Wo­chen. Ziel der verkürz­ten Ein­schu­lung ist die Aus­bil­dung auf den bei dem Un­ter­neh­men spe­zi­fisch ver­wen­de­ten Flug­geräten.

Aus­gangs­ver­fah­ren und Vor­la­ge­fra­gen

16 Mit ei­ner am 27. Ju­li 2010 beim Lan­des­ge­richt Inns­bruck ein­ge­brach­ten Kla­ge be­gehr­te der Be­triebs­rat die Fest­stel­lung, dass Flug­be­glei­ter, die bei Ty­ro­le­an Air­ways beschäftigt sind und gemäß An­hang III Punkt 3.5 des Kol­lek­tiv­ver­trags von Ty­ro­le­an Air­ways ei­ne ins­ge­samt min­des­tens dreijähri­ge Er­fah­rung als Flug­be­glei­ter bei Ty­ro­le­an Air­ways und/oder bei Aus­tri­an Air­lines oder Lau­da Air er­wor­ben ha­ben, in der Ver­wen­dungs­grup­pe B ein­zu­rei­hen sind.
17 Mit Ur­teil vom 10. De­zem­ber 2010 gab das Lan­des­ge­richt Inns­bruck der Kla­ge statt und stell­te fest, dass An­hang III Punkt 1.7 die­ses Kol­lek­tiv­ver­trags wie folgt aus­zu­le­gen sei: „Die Um­stu­fung von A auf B er­folgt nach Voll­endung des 3. Dienst­jah­res in­ner­halb des Kon­zerns, d. h. ge­nau drei Jah­re nach der Ein­stel­lung als Flug­be­glei­ter(in) in­ner­halb des Kon­zerns.“
18 Das mit der Be­ru­fung von Ty­ro­le­an Air­ways be­fass­te vor­le­gen­de Ge­richt ist der An­sicht, dass die Fähig­kei­ten und Kennt­nis­se, die das Per­so­nal bei den drei Luft­li­ni­en des Kon­zerns er­wer­be, in­halt­lich iden­tisch sei­en. Die Tätig­kei­ten von Flug­be­glei­tern bei die­sen Luft­li­ni­en sei­en na­he­zu gleich. Sie un­ter­schie­den sich nur da­durch, dass sich die Küche bei den ver­wen­de­ten Flug­geräten an ver­schie­de­nen Or­ten be­fin­de und dass sich durch die flug­gerätspe­zi­fi­schen Ver­schie­den­hei­ten ge­ringfügi­ge ma­ni­pu­la­ti­ve Un­ter­schie­de für den Ein­satz des Bord­per­so­nals in der Luft ergäben.
19 Die strei­ti­ge Klau­sel des Kol­lek­tiv­ver­trags von Ty­ro­le­an Air­ways und da­mit die übli­cher­wei­se un­ter Punkt 8 der Dienst­verträge der Flug­be­glei­ter von Ty­ro­le­an Air­ways ent­hal­te­ne Klau­sel stell­ten ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Al­ters dar, da sie ei­ne Un­ter­schei­dung an­hand des Al­ters vornähmen, in dem der Flug­be­glei­ter die von Ty­ro­le­an Air­ways ver­lang­ten Fähig­kei­ten und Kennt­nis­se er­wor­ben ha­be. Nach der Recht­spre­chung des Ge­richts­hofs rich­te­ten sich die Rechts­fol­gen von Verstößen ge­gen Grund­rech­te zwar nach na­tio­na­lem Recht, doch be­ste­he, wie bei kar­tell­rechts­wid­ri­gen Ver­ein­ba­run­gen, die Möglich­keit ei­ner ab­so­lu­ten Nich­tig­keit.
20

Un­ter die­sen Umständen hat das Ober­lan­des­ge­richt Inns­bruck das Ver­fah­ren aus­ge­setzt und dem Ge­richts­hof fol­gen­de Fra­gen zur Vor­ab­ent­schei­dung vor­ge­legt:

1. Steht das Uni­ons­recht in der gel­ten­den Fas­sung, ins­be­son­de­re in Art. 21 der Char­ta (in Ver­bin­dung mit Art. 6 Abs. 1 EUV), im all­ge­mei­nen Rechts­grund­satz des Uni­ons­rechts (Art. 6 Abs. 3 EUV) des Ver­bots der Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung und in den Art. 1, 2 und 6 der Richt­li­nie 2000/78 ei­ner na­tio­na­len kol­lek­tiv­ver­trag­li­chen Re­ge­lung ent­ge­gen, die älte­re Ar­beit­neh­merIn­nen da­durch mit­tel­bar dis­kri­mi­niert, dass sie nur ih­re Fähig­kei­ten und Kennt­nis­se, die sie als Flug­be­glei­terIn­nen bei ei­ner be­stimm­ten Luft­li­nie er­wor­ben ha­ben, bei der Ein­stu­fung in die kol­lek­tiv­ver­trag­li­che Ver­wen­dungs­grup­pe und da­mit für die Höhe des Ent­gelts berück­sich­tigt, nicht aber die in­halt­lich iden­ti­schen Fähig­kei­ten und Kennt­nis­se, die die­se bei ei­ner an­de­ren kon­zern­in­ter­nen Luft­li­nie er­wor­ben ha­ben? Gilt dies auch für Ar­beits­verhält­nis­se, die vor dem 1. De­zem­ber 2009 ab­ge­schlos­sen wur­den?

2. Kann ein na­tio­na­les Ge­richt ei­ne ein­zel­ver­trag­li­che Klau­sel, die mit­tel­bar ge­gen Art. 21 der Char­ta, ge­gen den all­ge­mei­nen Rechts­grund­satz des Uni­ons­rechts des Ver­bots der Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung und/oder ge­gen die Art. 1, 2 und 6 der Richt­li­nie 2000/78 verstößt, ana­log der Rechts­sa­che Rie­ser (Ur­teil vom 5. Fe­bru­ar 2004, Rie­ser In­ter­na­tio­na­le Trans­por­te, C‑157/02, Slg. 2004, I‑1477) und ana­log der Recht­spre­chung in den kar­tell­rechts­wid­ri­gen Ver­ein­ba­rungsfällen wie in der Rechts­sa­che Bégue­lin (Ur­teil vom 25. No­vem­ber 1971, Bégue­lin Im­port, 22/71, Slg. 1971, 949) auf­grund der ho­ri­zon­ta­len un­mit­tel­ba­ren Wir­kung von Uni­ons­grund­rech­ten als teil­nich­tig be­han­deln und un­an­ge­wen­det las­sen?

Zu den Vor­la­ge­fra­gen

Zur ers­ten Fra­ge

21 Mit sei­ner ers­ten Fra­ge möch­te das vor­le­gen­de Ge­richt wis­sen, ob das Uni­ons­recht, ins­be­son­de­re die Art. 2 und 6 Abs. 1 der Richt­li­nie 2000/78, da­hin aus­zu­le­gen ist, dass es ei­ner Be­stim­mung ei­nes Kol­lek­tiv­ver­trags ent­ge­gen­steht, nach der bei der Ein­stu­fung in die kol­lek­tiv­ver­trag­li­chen Ver­wen­dungs­grup­pen und da­mit für die Höhe des Ent­gelts nur die als Flug­be­glei­ter bei ei­ner be­stimm­ten Luft­li­nie er­wor­be­ne Be­rufs­er­fah­rung berück­sich­tigt wird, nicht aber die in­halt­lich iden­ti­sche Er­fah­rung, die bei ei­ner an­de­ren kon­zern­in­ter­nen Luft­li­nie er­wor­ben wur­de. 
22

Nach der Recht­spre­chung müssen die So­zi­al­part­ner, wenn sie Maßnah­men tref­fen, die in den Gel­tungs­be­reich der Richt­li­nie 2000/78 fal­len, mit der für den Be­reich der Beschäfti­gung und des Be­rufs das Ver­bot der Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Al­ters kon­kre­ti­siert wird, un­ter Be­ach­tung die­ser Richt­li­nie vor­ge­hen (Ur­teil vom 13. Sep­tem­ber 2011, Prig­ge u. a., C‑447/09, noch nicht in der amt­li­chen Samm­lung veröffent­licht, Rand­nr. 48 und die dort an­geführ­te Recht­spre­chung).

23 Un­ter die­sen Umständen ist die ers­te Fra­ge nur im Hin­blick auf die Richt­li­nie 2000/78 zu prüfen.
24 Die strei­ti­ge Klau­sel des Kol­lek­tiv­ver­trags von Ty­ro­le­an Air­ways sieht vor, dass die Um­stu­fung von Ver­wen­dungs­grup­pe A auf B nach Voll­endung des drit­ten Dienst­jah­res er­folgt. Die­se Vor­schrift be­trifft so­mit die Be­stim­mung der Ver­wen­dungs­grup­pe, in die die Ar­beit­neh­mer bei ih­rer Ein­stel­lung in die­ses Un­ter­neh­men ein­ge­reiht wer­den. Sie wirkt sich in­fol­ge­des­sen auch auf ihr Ge­halt aus. Mit ei­ner der­ar­ti­gen Re­ge­lung wer­den da­her Vor­schrif­ten über die Be­din­gun­gen für den Zu­gang zur Er­werbstätig­keit, die Ein­stel­lungs­be­din­gun­gen und das Ar­beits­ent­gelt im Sin­ne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. a und c der Richt­li­nie 2000/78 ge­schaf­fen.
25 Folg­lich ist da­von aus­zu­ge­hen, dass die Richt­li­nie 2000/78 auf ei­nen Fall, wie er dem Rechts­streit des Aus­gangs­ver­fah­rens zu­grun­de liegt, An­wen­dung fin­det.
26 Im Aus­gangs­ver­fah­ren hat der Be­triebs­rat gel­tend ge­macht, dass das Bord­per­so­nal der be­tref­fen­den Luft­li­ni­en, das be­reits über mehrjähri­ge Be­rufs­er­fah­rung im Kon­zern verfüge, im Fall ei­ner Ein­stel­lung durch Ty­ro­le­an Air­ways in die Ver­wen­dungs­grup­pe A zurück­ge­stuft wer­de.
27 Die ers­te Fra­ge scheint auf der Prämis­se zu be­ru­hen, dass sich ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Al­ters dar­aus er­ge­ben könn­te, dass nach der strei­ti­gen Klau­sel des Kol­lek­tiv­ver­trags von Ty­ro­le­an Air­ways die bei den an­de­ren kon­zern­in­ter­nen Luft­li­ni­en er­wor­be­nen Vor­dienst­zei­ten nicht berück­sich­tigt wer­den.
28 Nach Art. 2 Abs. 1 der Richt­li­nie 2000/78 in Ver­bin­dung mit ih­rem Art. 1 ver­langt der Gleich­be­hand­lungs­grund­satz, dass es kei­ne un­mit­tel­ba­re oder mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung u. a. we­gen des Al­ters ge­ben darf. Ei­ne mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Al­ters im Sin­ne der Richt­li­nie liegt gemäß Art. 2 Abs. 2 Buchst. b vor, wenn dem An­schein nach neu­tra­le Vor­schrif­ten, Kri­te­ri­en oder Ver­fah­ren Per­so­nen ei­nes be­stimm­ten Al­ters ge­genüber an­de­ren Per­so­nen in be­son­de­rer Wei­se be­nach­tei­li­gen können, es sei denn, die­se Vor­schrif­ten, Kri­te­ri­en oder Ver­fah­ren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sach­lich ge­recht­fer­tigt, und die Mit­tel sind zur Er­rei­chung die­ses Ziels an­ge­mes­sen und er­for­der­lich.
29 Ei­ne Be­stim­mung wie die, de­ren In­halt in Rand­nr. 21 des vor­lie­gen­den Ur­teils wie­der­ge­ge­ben wor­den ist, kann zwar zu ei­ner Un­gleich­be­hand­lung in Abhängig­keit vom Ein­stel­lungs­da­tum bei dem be­tref­fen­den Ar­beit­ge­ber führen, doch be­ruht ein sol­cher Un­ter­schied we­der un­mit­tel­bar noch mit­tel­bar auf dem Al­ter oder auf ei­nem an das Al­ter an­knüpfen­den Er­eig­nis. Bei der Ein­stu­fung nicht berück­sich­tigt wird nämlich die et­wai­ge Be­rufs­er­fah­rung, die ein Flug­be­glei­ter bei ei­ner an­de­ren kon­zern­in­ter­nen Luft­li­nie er­wor­ben hat, und zwar un­abhängig von sei­nem Al­ter zum Zeit­punkt der Ein­stel­lung. Die Be­stim­mung be­ruht da­her auf ei­nem Kri­te­ri­um, das we­der un­trenn­bar mit dem Al­ter der Ar­beit­neh­mer ver­bun­den ist (vgl. im Um­kehr­schluss Ur­teil vom 12. Ok­to­ber 2010, In­ge­niørfo­re­nin­gen i Dan­mark, C‑499/08, noch nicht in der amt­li­chen Samm­lung veröffent­licht, Rand­nr. 23) noch mit­tel­bar dar­an an­knüpft, auch wenn nicht aus­ge­schlos­sen ist, dass die An­wen­dung des strei­ti­gen Kri­te­ri­ums in be­stimm­ten Ein­z­elfällen da­zu führen kann, dass die Um­stu­fung von Ver­wen­dungs­grup­pe A auf Ver­wen­dungs­grup­pe B bei den be­trof­fe­nen Flug­be­glei­tern in höhe­rem Al­ter er­folgt als bei Flug­be­glei­tern, die ei­ne ent­spre­chen­de Be­rufs­er­fah­rung bei Ty­ro­le­an Air­ways er­wor­ben ha­ben.
30 Un­ter die­sen Umständen kann nicht da­von aus­ge­gan­gen wer­den, dass die strei­ti­ge Klau­sel des Kol­lek­tiv­ver­trags von Ty­ro­le­an Air­ways zu ei­ner Un­gleich­be­hand­lung we­gen des Al­ters im Sin­ne von Art. 1 in Ver­bin­dung mit Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richt­li­nie 2000/78 führt.
31 Nach den vor­ste­hen­den Erwägun­gen ist auf die ers­te Fra­ge zu ant­wor­ten, dass Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richt­li­nie 2000/78 da­hin aus­zu­le­gen ist, dass er ei­ner Be­stim­mung ei­nes Kol­lek­tiv­ver­trags nicht ent­ge­gen­steht, nach der bei der Ein­stu­fung in die kol­lek­tiv­ver­trag­li­chen Ver­wen­dungs­grup­pen und da­mit für die Höhe des Ent­gelts nur die als Flug­be­glei­ter bei ei­ner be­stimm­ten Luft­li­nie er­wor­be­ne Be­rufs­er­fah­rung berück­sich­tigt wird, nicht aber die in­halt­lich iden­ti­sche Er­fah­rung, die bei ei­ner an­de­ren kon­zern­in­ter­nen Luft­li­nie er­wor­ben wur­de.

Zur zwei­ten Fra­ge

32 An­ge­sichts der Ant­wort auf die ers­te Fra­ge ist die zwei­te Fra­ge nicht zu be­ant­wor­ten.

Kos­ten

33 Für die Par­tei­en des Aus­gangs­ver­fah­rens ist das Ver­fah­ren ein Zwi­schen­streit in dem bei dem vor­le­gen­den Ge­richt anhängi­gen Rechts­streit; die Kos­ten­ent­schei­dung ist da­her Sa­che die­ses Ge­richts. Die Aus­la­gen an­de­rer Be­tei­lig­ter für die Ab­ga­be von Erklärun­gen vor dem Ge­richts­hof sind nicht er­stat­tungsfähig.

Aus die­sen Gründen hat der Ge­richts­hof (Zwei­te Kam­mer) für Recht er­kannt:

Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richt­li­nie 2000/78/EG des Ra­tes vom 27. No­vem­ber 2000 zur Fest­le­gung ei­nes all­ge­mei­nen Rah­mens für die Ver­wirk­li­chung der Gleich­be­hand­lung in Beschäfti­gung und Be­ruf ist da­hin aus­zu­le­gen, dass er ei­ner Be­stim­mung ei­nes Kol­lek­tiv­ver­trags nicht ent­ge­gen­steht, nach der bei der Ein­stu­fung in die kol­lek­tiv­ver­trag­li­chen Ver­wen­dungs­grup­pen und da­mit für die Höhe des Ent­gelts nur die als Flug­be­glei­ter bei ei­ner be­stimm­ten Luft­li­nie er­wor­be­ne Be­rufs­er­fah­rung berück­sich­tigt wird, nicht aber die in­halt­lich iden­ti­sche Er­fah­rung, die bei ei­ner an­de­ren kon­zern­in­ter­nen Luft­li­nie er­wor­ben wur­de.

Un­ter­schrif­ten

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* Ver­fah­rens­spra­che: Deutsch.

Quel­le: Ge­richts­hof der Eu­ropäischen Uni­on (EuGH), http://cu­ria.eu­ro­pa.eu

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